| Titel: | Ueber das Verhalten der salpetrigen zur schwefligen Säure. | 
| Fundstelle: | Band 266, Jahrgang 1887, S. 467 | 
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                        Ueber das Verhalten der salpetrigen zur
                           								schwefligen Säure.
                        Ueber das Verhalten der salpetrigen zur schwefligen
                           								Säure.
                        
                     
                        
                           Wir haben auf S. 276 d. Bd. eine Abhandlung F. Raschig's
                              									mitgetheilt, welche das Verhalten der salpetrigen zur schwefligen Säure in alkalischer Lösung zum Gegenstand hat und an deren
                              									Schlüsse Betrachtungen über die Constitution der Amidophenolsulfosäure und der
                              									Chloramidophenolsulfosäure von Schmitt und Bennewitz
                              									bezieh. Kolrepp angestellt sind. Diese letzteren
                              									Anschauungen Raschig's haben insofern Widerspruch
                              									erfahren, als R. Hirsch in einer Abhandlung: Ueber Chlorstickstoffabkömmlinge
                              									der aromatischen Gruppe (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft,
                              									1887 Bd. 20 S. 1569) den Nachweis führt, daſs in den beiden genannten Sulfosäuren
                              									die Sulfogruppe doch im Kern und nicht an Stickstoff gebunden enthalten ist. Die
                              									Einwirkung einer Chlorkalklösung auf Amidophenolsulfosäure vollzieht sich ohne Abspaltung der Sulfogruppe und Post hat schon früher die Amidophenolsulfosäure durch
                              									Reduction von Nitrophenolsulfosäure erhalten.
                           F. Raschig hat nun auch das Verhalten der salpetrigen
                              									zur schwefligen Säure in saurer Lösung studirt, und
                              									knüpft hieran neue und sehr werthvolle Auseinandersetzungen über die Theorie des
                              									Bleikammerprozesses.
                           Die bereits in der ersten Arbeit Raschig's mitgetheilte
                              									Bildung der Amidosulfonsäure aus Hydroxylamin und schwefliger Säure in saurer Lösung lieſs erwarten, daſs die Neigung der
                              									schwefligen Säure mit Stickstoffverbindungen unter Austritt eines an Schwefel
                              									gebundenen Wasserstoffatomes und einer an Stickstoff gebundenen Hydroxylgruppe
                              									Condensationsproducte zu bilden, nicht auf solche Fälle beschränkt ist, in denen das
                              									Reactionsgemisch alkalisch reagirt, sondern daſs sich der gleiche Reactionsverlauf
                              									auch in saurer Lösung vollzieht, nur muſste im letzten Falle das Endproduct ein
                              									anderes sein. Dies läſst sich mit Hilfe der nachfolgenden Tabelle leicht
                              									verstehen:
                           
                              
                                 –
                                 –
                                 –
                                 4) N(SO3H)3Nitrilosulfonsäure.
                                 
                              
                                 –
                                 –
                                 3) HON(SO3H)2Hydroxylamin-disulfonsäure.
                                 7) NH(SO3H)2Imido-sulfonsäure.
                                 
                              
                                 –
                                 2) (HO)2NSO3HDihydroxylamin-sulfonsäure.
                                 6) HONHSO3HHydroxylamin-monosulfonsäure.
                                 9) NH2SO3HAmido-sulfonsäure.
                                 
                              
                                 1) (HO)3NSalpetrige Säure.
                                 5) (HO)2NHDihydroxylamin.
                                 8) HONH2Hydroxylamin.
                                 10) NH3Ammoniak.
                                 
                              
                           In alkalischer Lösung durchläuft die salpetrige Säure die Phasen 1, 2, 3, 4; das
                              									Kalisalz der Nitrilosulfonsäure ist das Endproduct. Vorausgesetzt, daſs die Reaction
                              									in saurer Lösung den gleichen Weg einschlägt, daſs also auch dabei
                              									Nitrilosulfonsäure entsteht, so wird dieselbe, da sie sich in freiem Zustande nur
                              									kurze Zeit hält, zuerst in Imidosulfonsäure (7) und schlieſslich in Amidosulfonsäure
                              									(9) übergehen, welche gegen Säuren beständig genug ist, um längere Zeit in der
                              									Flüssigkeit existiren zu können. Das gleiche Resultat wird erhalten, wenn man
                              									annimmt, daſs schon die auf dem Wege zur Nitrilosulfonsäure (4) entstehende
                              									Hydroxylamindisulfonsäure (3) dem Einfluſs der vorhandenen freien Säure unterliege
                              									und in Hydroxylaminmonosulfonsäure (6) übergehe; dann wird die letztere mit
                              									schwefliger Säure zur Imidosulfonsäure (7) zusammentreten, aus welcher ebenfalls
                              									Amidosulfonsäure (9) entstehen müſste. Gleichgültig also, ob die Reaction den Weg 1,
                              									2, 3, 4, 7, 9 oder 1, 2,
                              									3, 6, 7, 9 oder sehlieſslich auch 1, 2, 5, 6, 7, 9 einschlägt, so muſs doch, sofern
                              									überhaupt ein Condensationsvorgang und keine Reduction vorliegt, immer das gleiche Endproduct, die
                              									Amidosulfonsäure, entstehen, und man wird umgekehrt schlieſsen dürfen, daſs eine
                              									Anschauung, welche eine Condensation zwischen schwefliger und salpetriger Säure
                              									annimmt, richtig ist, sowie es gelingt, durch Einwirkung der beiden auf einander in
                              									saurer Lösung die Amidosulfonsäure herzustellen.
                           Die Producte der Einwirkung von freier salpetriger auf freie schweflige Säure sind
                              									bereits mehrfach untersucht worden- man weiſs, daſs dabei, je nach den Umständen,
                              									Ammoniak, Hydroxylamin, Stickstoff, Stickoxydul und Stickoxyd auftreten können;
                              									Amidosulfonsäure ist dabei noch nicht gefunden worden. Unter besonderen Bedingungen
                              									gelingt es jedoch, auch letztere aus dem Reactionsgemisch zu isoliren. Wenn man in
                              									eine eiskalte verdünnte Lösung von wässeriger schwefliger Säure in sehr feinem
                              									Strahl eine ebenfalls stark verdünnte und gut gekühlte Lösung von Kaliumnitrit
                              									einflieſsen läſst und das erhaltene Gemisch, welches stark sauer reagirt und noch
                              									freie schweflige Säure enthalten muſs, kräftig eindampft, die freie Schwefelsäure
                              									durch kohlensauren Kalk entfernt und die Lösung weiter concentrirt, so krystallisirt
                              									zuletzt, nachdem sich gröſsere Mengen Von schwefelsaurem Kali abgeschieden haben,
                              									amidosulfonsaures Kali heraus.
                           Damit ist bewiesen, daſs zwischen salpetriger und schwefliger Säure in saurer Lösung
                              									eine ähnliche Condensation stattfindet, wie in alkalischer, und in der That läſst
                              									sich auf Grund dieser Anschauung das Auftreten aller der Stickstoffverbindungen,
                              									welche man bei dieser Reaction bereits beobachtet hat und bisher für Reductionsproducte der salpetrigen Säure hielt, mit
                              									Leichtigkeit erklären.
                           Das Ammoniak entsteht durch eine Zersetzung der
                              									Amidosulfonsäure, wie sie beim andauernden Erwärmen, also auch beim Eindampfen der
                              									Lösung, nicht zu vermeiden ist.
                           Hydroxylamin dürfte nur in solchen Fällen beobachtet
                              									werden, wo nicht genug schweflige Säure vorhanden war, um die salpetrige Säure bis
                              									in die Reihe der Sulfoderivate des Ammoniaks hin zu verwandeln, In diesem Falle muſs
                              									der Condensationsprozeſs ganz oder theilweise bei der Hydroxylamindisulfonsäure
                              									stehen bleiben und diese liefert beim Kochen mit Wasser Hydroxylamin.
                           Stickoxydul entsteht in groſser Menge, wenn man eine
                              									Lösung von salpetrigsaurem Kali (oder auch von freier salpetriger Säure) in eine
                              									starke Lösung von schwefliger Säure flieſsen läſst, ohne dabei zu kühlen. Es tritt
                              									dabei starke Erwärmung ein, die Reaction bleibt unter diesen Umständen in ihrer
                              									ersten Phase bei der Dihydroxylaminsulfonsäure (2) stehen und diese zerfällt, statt
                              									sich weiter mit schwefliger Säure zu verbinden, unter dem Einflüsse der höheren
                              									Temperatur und der vorhandenen freien Säure in Schwefelsäure und das hypothetische
                              									Dihydroxylamin HN :
                              										(OH)2, von welch letzterem sich 2 Mol. in
                              									Stickoxydul und Wasser umsetzen. Doch ist zu bemerken daſs auch, wenn beträchtliche
                              									Stickstoffoxydulentwickelung zu constatiren war, die Lösung nachher doch gröſsere
                              									Ammoniakmengen enthielt; ein Theil der salpetrigen Säure war also auch dann bis in
                              									das Endproduct der ganzen Reaction übergeführt worden.
                           Das Auftreten von Stickstoff kann auf zweierlei Weise
                              									erklärt werden, entweder durch Einwirkung von salpetriger Säure auf Ammoniak oder
                              									seine Sulfoderivate oder durch Einwirkung von Hydroxylamin auf Dihydroxylamin im
                              									Sinne der Gleichung:
                           H2NOH + HN(OH)2 = 2N + 3H2O.
                           Zu einer Erklärung, wie Stickoxyd bei der Reaction entstehen kann, kommt man durch
                              									eine Betrachtung über das Verhalten von Ammoniak, Hydroxylamin und Dihydroxylamin
                              									(gleichbedeutend mit Stickoxydul in statu nascendi) gegen salpetrige Säure. Mit
                              									dieser Säure liefert Ammoniak bekanntlich Stickstoff, Hydroxylamin Stickstoffoxydul;
                              									demnach ist zu erwarten, daſs Dihydroxylamin Stickoxyd liefert. Letztere Vermuthung
                              									läſst sich leicht beweisen mit Hilfe der in der ersten Abhandlung Raschig's beschriebenen Salze, welche beim Ansäuern
                              									ihrer Lösung Stickoxydul entwickeln. Wird z.B. sulfazinsaures Kali
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 266, S. 470
                              
                           in wässeriger Lösung mit einer schwach essigsauren oder
                              									schwefelsauren Kaliumnitritlösung, welche für sich keine Gasentwickelung zeigt,
                              									zusammengebracht, so entsteht Stickstoffoxyd:
                           HN(OH)2 + N(OH)3 = 2 NO + 3H2O.
                           Stickstoffoxyd tritt bei der Einwirkung von salpetriger auf
                              									schweflige Säure jedoch nur dann auf, wenn salpetrige Säure im Ueberschuſs vorhanden
                              									ist, z.B. wenn man schweflige Säure in eine Kalium- oder Natriumnitritlösung
                              									einströmen läſst. In diesem Falle bleibt die Condensation wegen Mangel an
                              									schwefliger Säure natürlich in der ersten Phase stehen:
                           HN(OH)2 + H.SO2.OH = (HO)2 :
                              										N.SO2.OH + H2O.
                           Es entsteht Dihydroxylaminsulfosäure, welche für sich in Stickoxydul und
                              									Schwefelsäure zerfallen würde; bei Anwesenheit von mehr salpetriger Säure wirkt
                              									dieses nascirende Stickoxydul sofort darauf ein und es entsteht Stickoxyd. Die
                              									Bildung von Stickoxyd wird somit durch die Summe von 2
                              									Gleichungen ausgedrückt, deren jede für sich verfolgt werden kann:
                           
                              
                                 (HO)3N + H.SO2.OH = (HO)2 : N.SO2.OH + H2O(HO)3N + (HO)2 : N.SO2.OH
                                    											= 2NO + H2SO4 + 2H2O
                                 
                              
                                 ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 2(HO)3N + H.SO2.HO = 2 NO + H2SO4 + 3H2O.
                                 
                              
                           Alle beim Zusammentreffen von schwefliger mit salpetriger Säure auftretenden Erscheinungen
                              									finden also eine einfache Erklärung sowie man annimmt, daſs die salpetrige Säure
                              									nicht eine Reduction erfährt, sondern eine Condensation mit der schwefligen Säure eingeht und daſs
                              									erst secundär die Condensationsproducte derart
                              									zerfallen, daſs es den Anschein gewinnt, als habe eine Reduction stattgefunden.
                           In ganz analoger Weise erklärt nun Raschig auch den
                              									Prozeſs der Bildung der Schwefelsäure in den Bleikammern.
                           
                              (Schluſs folgt.)