| Titel: | Ueber Fortschritte in der Stärke-, Dextrin- und Traubenzuckerfabrikation; von Prof. Ladislaus v. Wàgner. | 
| Autor: | Ladislaus v. Wàgner | 
| Fundstelle: | Band 266, Jahrgang 1887, S. 471 | 
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                        Ueber Fortschritte in der Stärke-, Dextrin- und
                           								Traubenzuckerfabrikation; von Prof. Ladislaus v. Wàgner.
                        (Patentklasse 89. Fortsetzung des Berichtes Bd.
                           								264 S. 174.)
                        L. v. Wàgner, über Fortschritte in der
                           								Stärkefabrikation.
                        
                     
                        
                           Die Stagnation, welche jüngster Zeit diese wichtigen Industriezweige charakterisirte,
                              									veranlaſste mich, gelegentlich meiner Sommerferien eine Studienreise nach Frankreich
                              									zu unternehmen, um den Stand dieser Industrien daselbst näher kennen zu lernen und
                              									eventuell die daselbst gemachten Erfahrungen auch Oesterreich-Ungarn und Deutschend
                              									zugänglich zu machen. Es wird wohl nicht ohne Interesse sein, einiges Wichtigere
                              									über die heutige Situation dieser Industrien in Frankreich zu erfahren.
                           Wie überall, wird auch in Frankreich mit diesen Industriezweigen Geheimniſskrämerei
                              									getrieben, und ist es dem zu Folge höchst schwierig, in solche Etablissements
                              									Eintritt zu erlangen. Nichts desto weniger habe ich die drei gröſsten Etablissements
                              									Frankreichs an Ort und Stelle sehr Angehend geprüft, und zwar eines derselben in der
                              									Umgebung von Lyon, die beiden anderen nächst Paris. Für den Leser wird es wohl mehr
                              									oder weniger indifferent sein, wenn ich diese von mir besuchten Fabriken nicht näher
                              									bezeichne; ich bin diese Discretion der Liebenswürdigkeit der betreffenden
                              									Fabrikanten schuldig, die mich hierum ergeht haben.
                           Die Stärke-, Dextrin- und Glucosefabrikation ist in Frankreich sehr entwickelt und
                              									steht gewiſs auf einer höheren Stufe als bei uns. Die Einrichtung der dortigen
                              									Fabriken ist einfach aber ratiohell, die Gebäude – wie überhaupt in Frankreich –
                              									zwar ohne Luxus errichtet, der Betrieb pedantisch regelmäſsig und correct. Die
                              									Einrichtung und Eintheilung der Fabrikation gestattet die benöthigte
                              									Handarbeitskraft auf ein Minimum zu reduciren, was
                              									namentlich für die dortigen Industrien, der hohen Arbeitslöhne wegen, von groſser
                              									Wichtigkeit ist. Die Arbeitslöhne betragen daselbst durchschnittlich 3½ bis 4
                              									Franken für den Tag und steigen nicht selten auf 5, ja sogar 6 Franken. Der Gehalt
                              									eines sogen. Manipulanten, der allerdings auch etwas Chemiker ist, beträgt jährlich
                              									5 bis 6000 Franken, wo doch der Fabrikherr die eigentliche Leitung des Unternehmens
                              									besorgt. Berücksichtigen wir ferner, daſs nebstdem in jeder gröſseren Fabrik
                              									Buchhalter, Kassirer, Correspondenten und anderes Hilfspersonal benöthigt sind, so
                              									ist wohl kaum daran zu zweifeln, daſs diese allgemeinen Regiespesen jährlich einen
                              									nicht unbedeutenden Kostenaufwand verursachen. Und nichts desto weniger rentirt
                              									diese Industrie in Frankreich sehr gut, was wohl hauptsächlich der rationellen
                              									Arbeit und der guten commerciellen Leitung zu verdanken ist.
                           Stärkefabriken gibt es in Frankreich mehrere hundert, und spielt diese Industrie in
                              									der Landwirtschaft eine ganz hervorragende Rolle. Die kleineren
                              									Kartoffelstärkefabriken („Féculeries“) sind fast
                              									durchgehends mit dem landwirtschaftlichen Betrieb verknüpft. Die Kultur der
                              									Kartoffeln wird in den betreffenden Distrikten Frankreichs, wo diese Industrie am
                              									meisten florirt, mit einem so auſsergewöhnlich vorzüglichen Erfolg betrieben, daſs
                              									der Landwirth – ob Eigenthümer oder Pächter – dabei seine Rechnung stets sehr
                              									befriedigend findet. Nicht nur sehr hohe Erträge an Kartoffeln (bis zu 36000k auf das Hektar), sondern hoher Stärkegehalt (bis
                              									zu 25 Proc.), sichern den besten pecuniären Erfolg. Selbstverständlich wird der
                              									Boden nicht nur vorzüglich bearbeitet, sondern entsprechend auch gedüngt. Nebst
                              									animalischem Dünger (26 bis 30000k auf das Hektar)
                              									verwendet man Guano, Phosphate, Chilisalpeter und Kali- und Ammoniaksalze in
                              									benöthigten Mengen, um dem Boden eine je vollkommenere Düngung zu geben. Die von mir
                              									besichtigten französischen Stärke- und Glucosefabriken zahlten die guten Kartoffeln
                              									mit 3¾ Franken (3 M.) für 100k, aus denen sie 20¼
                              									Proc. Stärke (mit 18 Proc. Wassergehalt) erzielten.
                           Nächst der Kartoffel spielt in Frankreich der Mais eine hervorragende Rolle als
                              									Rohmaterial der Stärkefabrikation, und zwar zumeist amerikanischer Pferdezahnmais,
                              									welcher direkt aus Amerika bezogen wird. Der gute amerikanische Pferdezahnmais
                              									notirte im Monat September loco Havre 11 bis 12½ Franken (9 bis 10 M.) für 100k, ein relativ sehr niedriger Preis. Die
                              									Transportkosten von Havre bis in die Fabrik berechnen sich auf 1½ bis 2 Franken für
                              									1 Metercentner.
                           Der Mais wird vor Allem trocken geschält und entkeimt („décorticage“) und dann auf die bekannte Art verarbeitet. Die
                              									Ausbeute beträgt, je nach Qualität des Maises, 51 bis 56 Gew.-Proc. an Prima-Stärke,
                              									deren Preis heute zwischen 35 und 36 Franken (28 bis 29 M.) für 100k variirt.Preisnotirung gelegentlich meines Aufenthaltes in Frankreich im Monat
                                    											September 1887. Krystallstärke wird mit 38 Franken (30½ M.) gezahlt.
                           Die Kartoffelstärke notirte zur selben Zeit 15 Franken für 100k im „grünen“ Zustande (mit 38 Proc. Wassergehalt). Dieser Preis reducirt auf einen
                              									Wassergehalt von 12 Proc., ergibt 21 Franken für 100k. Anknüpfend sei bemerkt, daſs zur selben Zeit die bekannte
                              									Preſshefefabrik in Maison Alfort, welche ich ebenfalls besuchte, vorzügliche
                              									trockene Kartoffelstärke
                              									von Hamburg bezog, welche loco Fabrik sammt „caf“Die ausländische Stärke hat nämlich 4 Franken Einfuhrzoll („caf“) und
                                    											½ Frank Zoll („douane“) für 100k zu
                                    											zahlen. 27½ Franken für 100k kostete. Der
                              									Wassergehalt dieser Hamburger Stärke betrug 18 bis 19 Proc. Ich habe Muster dieser
                              									Kartoffelstärke mitgebracht und stelle dieselben den Interessenten gerne zur
                              									Verfügung.
                           Schlieſslich bestehen in Frankreich auch einige Reis- und Weizenstärkefabriken.
                           Traubenzuckerfabriken („Glucoseries“) bestehen in Frankreich 18, zumeist gröſsere
                              									Etablissements, welche einen bedeutenden Theil ihres Stärkebedarfes aus Kartoffeln
                              									und Mais selbst erzeugen, und selbstverständlich – ohne zu trocknen – im grünen
                              											(„verte“) Zustande verarbeiten. Die
                              									gröſste dieser Fabriken, welche ich näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte,
                              									erzeugt täglich 16000k Krystallsyrup („Sirop cristal“) und 24000k festen Traubenzucker („Glucose masse“), beides von ganz hervorragend vorzüglicher
                              									Qualität. Während zur Erzeugung des festen Traubenzuckers die Säfte nur auf 40 bis
                              									41° B. eingedichtet werden, zeigt der Krystallsyrup eine Dichtigkeit von 45° B.,
                              									beide bei 15° gewogen. Die Ausbeute beträgt von 100k trockener (Handels-)Stärke: 106k
                              									festen Traubenzucker bezieh. 96½k Krystallsyrup.
                              									Der feste Traubenzucker kommt weniger als Kistenzucker als vielmehr in regelmäſsigen
                              										„Broden“ in den Handel, hat eine ziemlich weiſse Farbe und ist sehr hart (gar nicht
                              									schmierig). Sein Preis beträgt in Frankreich gegenwärtig 33 Franken (26⅖ M.),
                              									während der Krystallsyrup mit 38 Franken (30⅔ M.) für 100k Absatz findet. Beide Producte haben auſserdem 12
                              									Franken (9⅗ M.) Consumsteuer („Droit de consommation“) auf 100k
                              									zu entrichten. In obigen Preisen ist die Verpackung (Gebinde) mit inbegriffen.
                           Zur Erzeugung der Glucose benutzen die französischen Fabriken theils Schwefelsäure,
                              									theils Salzsäure. Die oben erwähnte gröſste Glucoserie arbeitet mit Schwefelsäure.
                              									Die Zusammensetzung der Producte, welche ich aus diesen französischen
                              									Glucosefabriken mit nach Hause brachte und analysirte, ist im Mittel folgende:
                           
                              
                                 
                                    Krystallsyrup („Sirop cristal“)
                                    
                                 
                              
                                 Glucose                     
                                 
                                 
                                 64
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Dextrin
                                 
                                 
                                 21
                                 „
                                 
                              
                                 Wasser
                                 12
                                 bis
                                 15
                                 „
                                 
                              
                                 Gyps
                                 
                                 Spuren
                                 
                                 
                              
                                 
                                    Fester Traubenzucker („Glucose massé“)
                                    
                                 
                              
                                 Glucose
                                 64
                                 bis
                                 66
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Dextrin
                                 18
                                 „
                                 22
                                 „
                                 
                              
                                 Wasser
                                 15
                                 „
                                 18
                                 „
                                 
                              
                           Die Saccharification der Stärke erfolgt in Autoclaven
                              									bekannter Construction, deren jeder etwa 1500k
                              									grüne oder 1000k trockene Stärke faſst. Von 5 Uhr
                              									des Morgens bis Abends 7 Uhr werden 12 Operationen ausfuhrt, deren jede somit 70
                              									Minuten beansprucht.
                           
                           In einer der gröſsten Fabriken hatte ich Gelegenheit, den bekannten
                              									Vorverdampfapparat von Duyntjer, Wilckens und Co. mit
                              									gutem Erfolg arbeiten zu sehen.
                           Nur nebenbei sei erwähnt, daſs zur Filtration ungefähr 50 Gew.-Proc. an Spodium des
                              									fertigen Productes erforderlich sind.
                           Eine zweifelsohne wichtige Frage betrifft die Verwerthung der
                                 										Abfälle der Stärkefabrikation, welche bekanntlich ein höchst werthvolles
                              									Viehfutter repräsentiren. Diesbezüglich habe ich erfahren, daſs die Kartoffelpülpe
                              										(„pulpes de pomme de terre“) in grünem
                              									Zustande mit 1¼ Franken (1 M.) für 100k, oder zu
                              									17 Centimes (13⅗ Pf.) nach je 100k Kartoffeln
                              									leicht Absatz findet. Die Maisschlempe („drêche verte“) hingegen wird mit 4 Franken (3⅕ M.) für 100k in feuchtem, und mit 12 Franken (9⅗ M.) für
                              										100k in getrocknetem Zustande („son“) verkauft. Durch die Entkeimung und
                              									Schälung („decortication“) gewinnt man 2⅔ Gew.-Proc. Abfälle, welche zumeist
                              									der Maische beigemengt werden.
                           Auch die Karamel- bezieh. Couleurfabrikation wird in Frankreich mit gutem Erfolge betrieben. Eine
                              									der von mir erwähnten Fabriken beispielsweise erzeugt mittels Schwefelsäure „Couleur“, ein Product, welches 34° B. wiegt,
                              									das Maximum an Farbstoff enthält und im Biere absolut löslich ist.
                           Ein neues Product, die sogen. „Oenoglucose“ macht in Frankreich neuester Zeit groſses Aufsehen. Dieses Product, mit nahezu
                              									9 Procent Reinheitsquotient dient zu Zwecken der Weinverbesserung (Gallisation und
                              									Petiotisation) und Weinfabrikation. Dies Product wird bisher nur in einer einzigen
                              									französischen Glucosefabrik erzeugt, und haben die von mir mitgebrachten Proben eine
                              									Zusammensetzung von
                           
                              
                                 Traubenzucker
                                   85,75
                                 Proc.
                                 
                              
                                 Wasser
                                   11,60
                                 „
                                 
                              
                                 Differenz
                                     2,65
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 Proc.
                                 
                              
                           gezeigt, wobei die Differenz aus Stoffen indifferenter Natur,
                              									welche ihrer Zusammensetzung nach Uebergangsproducte zwischen dem Dextrin und der
                              									Glucose sind, gebildet wird.
                           Die Oenoglucose ist jene Form des Traubenzuckers, welche
                              									zweifelsohne die gröſste Zukunft hat, und mit der Zeit alle jene unreinen
                              									Glucoseproducte zu verdrängen berufen ist, welche heute ihrer groſsen Unreinheit
                              									wegen nur einen limitirten Absatz finden. Die Oenoglucose liefert somit das Maximum an vergährbarem Traubenzucker und
                              									ersetzt dem zu Folge heute bereits in Frankreich den bisher zur Weinveredelung
                              									benutzten raffinirten Rübenzucker. Frankreich verbraucht nämlich jährlich 20 bis 25
                              									Millionen Kilogramm raffinirten Rübenzucker zur Vinification, welcher in diesem
                              									Falle nur 24 Franken (19½ M.) an Verzehrungssteuer auf 100k zu entrichten hat (als direktes Genuſsmittel ist
                              										der Rübenzucker in
                              									Frankreich bekanntlich einer Besteuerung von 60 Franken = 48 M. für 100k unterworfen); die Consumsteuer der Glucose
                              									hingegen beträgt nur 12 Franken (9⅗ M.) für 100k.
                              									Hieraus folgt selbstverständlich, daſs ein reiner Traubenzucker (wie beispielsweise
                              									die Oenoglucose), schon seines billigeren Preises und
                              									seiner leichteren Vergährbarkeit wegen, der besten Rübenzuckerraffinade den Rang
                              									streitig macht. Beweis dessen citire ich einige Zeilen aus einem mir jüngst in
                              									Frankreich vorgewiesenen SchreibenDas betreffende Schreiben rührt eben von jenem einzigen
                                    											Oenoglucosefabrikanten Frankreichs her, den ich bereits weiter oben
                                    											erwähnte, und ist an einen der bedeutendsten französischen Weinfabrikanten
                                    											in Macon gerichtet., welche, wörtlich übersetzt, folgendermaſsen lauten: „Unser specielles
                                 										Product für die Vinification (Oenoglucose) ist dermaſsen begehrt, daſs wir zu
                                 										unserem lebhaften Bedauern heute nicht in der Lage sind, Ihnen davon auch nur
                                 										die geringste Menge abgeben zu können. Die Bestellungen für dieses Product
                                 										überragen Unsere Erzeugungsfähigkeit sehr bedeutend.“
                           Die Oenoglucose wird heute in Frankreich zu einem Preise von 55 Franken (44 M.) für
                              										100k gehandelt, von welchem Betrage indessen
                              									12 Franken (9⅗ M.) für Consumsteuer abzuziehen sind. Der Fabrikant erhält somit für
                              									diese Waare netto 43 Franken (34⅖ M.). Der reelle Werth der Oenoglucose ist indessen
                              									– mit Berücksichtigung seines hohen Reinheitsquotienten – weit höher, und berechnet
                              									sich, im Verglich zum Preise des gewöhnlichen Traubenzuckers, zu 60 Franken (48 M.)
                              									für 100k.
                           Auf Grundlage von jüngster Zeit angestellten Gährversuchen bedarf man für sogen. Tresterwein („seconde vin“) 16k Oenoglucose, um 1hl mit 9 Proc. Alkoholgehalt zu gewinnen. Da der Tresterwein behufs
                              									Ausgleich (Egalisirung) mit der gleichen Menge Naturwein verschnitten wird, so läſst
                              									sich nun leicht berechnen, welch unbedeutende Mengen Dextrin (bezieh.
                              									Uebergangsproducte zwischen Dextrin und Traubenzucker) darin enthalten sind. Die
                              									Oenoglucose enthält 2,65 von diesen Unreinigkeiten; 9k Oenoglucose enthalten somit hiervon 238g, welche geringe Menge auf 200l zu
                              									vertheilen ist. Der Gehalt an Dextrin bezieh. en erwähnten Zwischenproducten wird
                              									somit für 1 Liter Wein 2⅓g betragen, eine in der
                              									That verschwindend kleine Quantität. Bei Verwendung des gewöhnlichen unreinen
                              									Traubenzuckers mit 65 Proc. Glucosegehalt beträgt der Dextringehalt des Weines
                              									nahezu das Zehnfache.
                           
                              (Fortsetzung folgt.)