| Titel: | Ueber Schreibmaschinen für Blinde. | 
| Autor: | K. | 
| Fundstelle: | Band 267, Jahrgang 1888, S. 202 | 
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                        Ueber Schreibmaschinen für Blinde.
                        Mit Abbildungen.
                        Ueber Schreibmaschinen für Blinde.
                        
                     
                        
                           Das heute am allgemeinsten angenommene Alphabet für Blindenschrift und Blindendruck
                              									ist dasjenige von Louis Braille, dessen Buchstaben und
                              									Zeichen durch Combination von 1 bis 6 Punkten gebildet sind, welche ähnlich wie die
                              									Punkte der Würfel in Form eines Rechteckes zusammengesetzt werden. Der Erfinder
                              									dieses Systemes, Louis Braille, am 4. Januar 1809 als
                              									Sohn eines Sattlers in Coupray, Seine-et-Marne, geboren und am 6. Januar 1852
                              									gestorben, war selbst in Folge eines Unfalles vom 3. Lebensjahre an erblindet. Er
                              									wurde im J. 1819 in die „Institution des Jeunes Aveugles
                                       											de Paris“ aufgenommen und zeichnete sich hier in jeder Weise aus. Im
                              									J. 1827 zum Professor an demselben Institut ernannt, veröffentlichte er wenige Jahre
                              									später, 1829, sein Punktschriftsystem, welches er Anaglyptographie oder Reliefschrift nannte.
                              									Die sechs Punkte dieses Alphabetes nehmen folgende Stellung zu einander ein:
                              										\left\begin{matrix}1&.&.&4\\2&.&.&5\\3&.&.&6\end{matrix}\right
                              									und werden die einzelnen Buchstaben bekanntlich durch Gruppirung von 1 bis 6 Punkten
                              									zu einander gebildet. Beispielsweise würde das Wort „blind,“ wie folgt
                              									geschrieben werden: .
                           Es erhellt aus diesem Beispiel einerseits die hervorragende Einfachheit dieses
                              									Systemes, andererseits aber auch die auſserordentlich groſse Zahl der
                              									Punkt-Combinationen, und zwar sind solcher Gruppirungen von 1 bis 6 Punkten 720
                              									Combinationen möglich. Man kann daher nicht allein alle Zeichen des Alphabetes und
                              									der Interpunktion, sondern auch die Zahlen, stenographischen Zeichen und die Noten
                              									in der Musik zur Darstellung bringen. Die einzelnen Punkte werden in weiches oder
                              									feuchtes Papier eingepreſst, so daſs sie auf der anderen Seite erhaben erscheinen,
                              									und von den Blinden durch Betasten gelesen. Bei der auſserordentlichen Einfachheit
                              									und Mannigfaltigkeit dieses Systemes, und bei der Leichtigkeit, mit welcher sich
                              									dasselbe mit wenig Hilfsmitteln von den Blinden schreiben läſst, konnte es nicht
                              									fehlen, daſs dasselbe groſse Verbreitung fand, und ist dasselbe heutzutage in fast
                              									allen europäischen Blindenanstalten im allgemeinen Gebrauche, so daſs unter allen
                              									diesen Anstalten ein Austausch von Büchern, Musikheften, Landkarten u.s.w.
                              									ermöglicht ist. Selbst in Kairo, Japan, China, Australien, Brasilien u.a.m. ist das
                              										Braille-System fast ausschlieſslich im Gebrauche,
                              									und nur Nordamerika macht hiervon eine Ausnahme, und ist hier das sogen. New-York-System angenommen.
                           Mit Rücksicht auf die Unkenntniſs, in welcher sich die meisten der Leser gegenüber
                              									diesen Bestrebungen befinden werden, und zur leichteren Beurtheilung des Werthes der
                              									auf diesem Gebiete erzeugten Apparate und Hilfsmittel, sei es gestattet, kurz auf
                              									die jetzt in den Blindenanstalten Deutschlands und anderer Länder eingeführte
                              									Methode der Blindenschrift einzugehen.
                           Zum Schreiben dieses Braille-Alphabetes bedient sich der
                              									Blinde eines Rahmens, etwa von der gewöhnlichen Blattgröſse, welcher aus einem
                              									Rillen bleche mit zwei Randleisten aus Holz besteht, zur Auflage bezieh. seitlichen
                              									Anlage des zu beschreibenden Papierblattes. Die Entfernung der Rillen von einander
                              									entspricht der senkrechten Entfernung der Punkte des Alphabetes. Nachdem so das
                              									Papier auf das Blech zwischen die Leisten gelegt und mittels zweier Spitzen am
                              									oberen Rande, welche in das Papier eindringen, gehalten ist, wird ein Lineal aus
                              									Messing darüber gelegt, welches über seine ganze Breite regelmäſsig neben einander
                              									rechteckige Ausschnitte besitzt, der Groſse des zu schreibenden Alphabetes
                              									entsprechend. Diese Ausschnitte geben dem Blinden die Stelle an, an welche der
                              									Buchstabe zu setzen ist, und es enthält mithin nur jede Zeile so viel Buchstaben,
                              									als Ausschnitte im Lineal vorhanden sind. Der Blinde beginnt nun zu schreiben, indem
                              									er von rechts nach links (da das Blatt auf der erhabenen Seite gelesen wird, also
                              									umgedreht werden muſs) in den rechteckigen Ausschnitten des Lineales mit Hilfe eines
                              									kleinen Stichels die dem zu schreibenden Buchstaben entsprechenden Punkte in das
                              									Papierblatt eindrückt, wobei die Ecken des Auschnittes die wagerechte, und die
                              									Rillen der Blechunterlage die senkrechte Entfernung der einzelnen Punkte von
                              									einander sichern. Um dem Lineale seine jeweilige Lage zu bewahren, ruht dasselbe mit
                              									zwei Stiften in Löchern der Randleisten., und sind letztere in Abständen, welche der
                              									Zeilenentfernung entsprechen, über die ganze Länge der Leisten vertheilt, so daſs
                              									nach Beendigung einer Zeile das Lineal abgehoben und in die nächsten Löcher
                              									eingesetzt wird. Es ist ersichtlich, daſs eine etwa nöthige Correctur bei einem so
                              									einfachen Apparate mit groſser Leichtigkeit auszuführen ist. Die Blinden sind so in
                              									den Stand gesetzt, mit einem erfahrungsgemäſs rasch erlernten Alphabet und mit den
                              									einfachsten und billigsten Mitteln, was für Unbemittelte und Anstalten von groſser
                              									Bedeutung ist, unter einander zu correspondiren, und ihre Bücher sich selbst
                              									anfertigen oder drucken zu können. Im letzteren Falle wird die Schrift in eine
                              									Blechtafel eingeschlagen, von welcher sich leicht unter einer Presse Abzüge
                              									herstellen lassen.
                           So einfach und mit so wenig Mitteln durchführbar nun diese Braille'sche Methode der Blindenschrift und des Blindendruckes auch ist,
                              									so haften ihr doch zwei Uebelstände an, welche vielfach die Veranlassung zur
                              									Construction von Schreib- und Druckapparaten für Blinde gebildet haben. Einmal ist
                              									es mit dieser Methode den Blinden nur ermöglicht, unter sich und nicht mit den
                              									Sehenden zu correspondiren, andererseits sind sie gezwungen, ihr Alphabet doppelt zu
                              									lernen, indem sie es entgegengesetzt schreiben müssen, als sie es lesen. Braille selbst construirte mit seinem Mitarbeiter Foucault einen Apparat (vgl. 1843 90 * 94), welcher die Zeichen des gewöhnlichen Alphabetes durch (erhabene)
                              									Punkte darzustellen gestattete. Indessen ist derselbe complicirt, wenig handlich und
                              									sehr kostspielig, so daſs er wenig Verbreitung gefunden hat.
                           Diese Uebelstände haften mehr oder weniger auch den meisten der später
                              									hervorgetretenen Constructionen an, indem dieselben einerseits den Blinden nur
                              									schwer gestatten, sich in jedem Augenblick von der Richtigkeit des Geschriebenen zu
                              									überzeugen, andererseits ihre Complicirtheit die Handlichkeit erschwert, und die
                              									Gefahr häufiger Reparatur nahe legt. Am meisten entsprechen von den neueren
                              									Apparaten dieser Art diesen Bedingungen noch die Maschine von Recordon in Genf und diejenige von F. Bovyn in Lille, welche als eine Verbesserung der
                              									ersteren zu betrachten ist, und auf der Ausstellung des V. Blinden-Lehrer-Congresses
                              									in Amsterdam im J. 1885 den betheiligten Kreisen vorgeführt wurde. Unter den
                              									zahlreichen Apparaten gleicher Art, welche bei dieser Gelegenheit mit zur
                              									Ausstellung gebracht und an denen die meisten Culturstaaten betheiligt waren,
                              									zeichnete sich besonders eine Schreibmaschine, „Tiphlotype“ genannt, eines Grafen Kovaco, Oberst in russischen Diensten, durch zweckmäſsige Anordnung aus,
                              									obwohl auch sie noch schwerfällig zu handhaben und zu hoch im Preise war. Dieser
                              									Apparat setzte sich im Wesentlichen aus drei Metallscheiben zusammen, deren
                              									mittelste die erhabenen Schriftzeichen trug, und wobei das zu beschreibende Papier
                              									sich selbstthätig verschob.
                           
                              
                              Fig. 1., Bd. 267, S. 205
                              
                           
                              
                              Fig. 3., Bd. 267, S. 205
                              
                           Nach den Angaben des Erfinders könnten 30 bis 40 Buchstaben in
                              									der Minute geschrieben werden. Auch die neueste Zeit hat gleiche Bestrebungen
                              									aufzuweisen, und sei hier ein Apparat erwähnt, welcher hinsichtlich seiner
                              									Gesammtanordnung wohl einfach und praktisch genannt werden kann. Diese
                              									Schreibmaschine von Mauler, Mechaniker in Paris (Bulletin de la Société d'Encouragement, 1887 Bd. 2 S.
                              									397), welche mit den oben genannten Constructionen eine gewisse Verwandtschaft
                              									zeigt, arbeitet mit dem 
                              									Braille-Alphabet und mit dem gewöhnlichen. Sie bietet
                              									damit den groſsen Vortheil dar, daſs nicht nur die Blinden unter sich correspondiren
                              									können, sondern auch ein schriftlicher Gedankenaustausch zwischen Blinden und
                              									Sehenden ermöglicht ist, wobei jeder Theil nur sein eigenes Alphabet zu kennen
                              									braucht. Die in Textfig. 1 dargestellte Maschine
                              									besteht im Wesentlichen aus einer horizontalen Scheibe A und einem gegen diese Scheibe hin und zurück bewegten Rahmen C. Die Scheibe A trägt,
                              									wie Textfig. 2 zeigt, im Kreise angeordnet kleine
                              									Plättchen c, auf denen in zwei concentrischen Reihen
                              									die Zeichen des gewöhnlichen Alphabetes, der Interpunktion, die Zahlen u.s.w. und
                              									die entsprechenden Zeichen des Braille-Alphabetes
                              									erhaben angebracht sind.
                           
                              
                              Fig. 2., Bd. 267, S. 206
                              
                           Die Scheibe ist frei um ihre Achse B drehbar und besitzt an ihrem Rande gegenüber jedem Zeichen Kerben E, in welche eine in der Figur nicht sichtbare
                              									Sperrfeder eingreift, um die Scheibe während des Druckes unverrückbar in ihrer Lage
                              									zu erhalten. Das Papier, welches beschrieben werden soll, ist über zwei Walzen I und J gespannt, welche
                              									in dem um eine horizontale Achse F schwingenden Rahmen
                              										C gelagert sind. Letzterer wird durch den mittels einer
                              									Feder R hoch gehaltenen Hebel B bewegt, den der Schreibende in der rechten Hand hält, während er mit der
                              									linken die Scheibe A in die zum Abdruck des gewünschten
                              									Zeichens nöthige Stellung dreht. Ein kleiner Kautschukstempel D, welcher das Papier gegen die Zeichen der Scheibe A preſst, ist auf dem Hebel B verschiebbar und mittels Schraube einstellbar angeordnet, um sowohl das
                              									gewöhnliche, als auch das Braille-Alphabet zum Abdruck
                              									bringen zu können. Die Achse F, durch die Büchse L geführt, ist mit Kerben f versehen, in welche ein an der Achse H
                              									angeordneter Arm h und ein Sperrkegel G (Fig. 3) eingreifen,
                              									und so die seitliche Bewegung der Achse regeln. Beim Emporgehen des Hebels B nach dem Abdrucke wird dann mittels der Scheibe K und Feder S die Achse
                              										F mit dem Rahmen C,
                              									und damit das Papier um die Buchstaben breite verschoben (vom Schreibenden aus
                              									gesehen, von rechts nach links). Zur Bildung der Wortzwischenräume führt man den
                              									Hebel B wie sonst gegen die Scheibe A, ohne den Stempel D
                              									indessen auf die letztere auftreffen zu lassen. Es genügt diese Bewegung, damit sich
                              									die Achse F nach dem Zurückweichen des Sperrkegels G unter der Wirkung der Scheibe K und der Feder S um eine Einkerbung
                              									verschiebt. Ist das Ende einer Zeile erreicht, was dem Schreibenden dadurch
                              									bemerkbar wird, daſs das Geräusch aufhört, welches der Sperrkegel beim jedesmaligen
                              									Verschieben der Achse F verursacht, so hebt man den
                              									Sperrkegel G aus, führt den Rahmen C an den Anfang der Zeile zurück (nach rechts, vom
                              									Schreibenden aus), und verschiebt das Papier auf den Walzen I und J um Zeilen breite, wobei auf den
                              									Handrädchen der Walzen angebrachte Kerben die Gröſse der Verschiebung deutlich
                              									erkennen lassen.
                           Dieser einfache und compendiöse Apparat gewährt somit die Möglichkeit, sowohl mit dem
                              										Braille- als mit dem gewöhnlichen Alphabet
                              									schreiben zu können, und der Blinde, der nur sein Braille-Alphabet kennt, kann nichtsdestoweniger seinen Brief in
                              									gewöhnlichen Buchstaben zum Abdruck bringen und umgekehrt. Dazu tritt noch der
                              									Vortheil hinzu, daſs der Blinde das Geschriebene jeden Augenblick durch Nachlesen
                              									controliren kann, ohne das Blatt wenden zu müssen, was bei der jetzt gebräuchlichen
                              									Schrift mittels des Stichels nicht durchführbar ist. Um einen Fehler in der Schrift
                              									beseitigen zu können, wird ein leeres Feld der Scheibe A unter den falschen Buchstaben gebracht, und der Hebel B herabgedrückt, worauf dann der richtige Buchstabe an
                              									dessen Stelle gesetzt werden kann. Es ist ersichtlich, daſs in gleicher Weise, wie
                              									oben bei der jetzt gebräuchlichen Schreibweise erwähnt wurde, die Buchstaben und
                              									Zeichen in eine Blechtafel eingeprägt werden können, um Abzüge davon herstellen zu
                              									können.
                           Auch die Remington'sche Schreibmaschine (vgl. 1878 227 * 513), welche, 1873 von der Firma Remington and Sons in den Handel eingeführt, unter den
                              									Schreibapparaten für Sehende z. Z. wohl die gröſste Verbreitung erlangt hat, ist in
                              									neuerer Zeit vielfach für Blinde in Verwendung gekommen, und wird derselben
                              									hinsichtlich der Verwendbarkeit und des leichten Erlernens ein sehr günstiges
                              									Zeugniſs von Blinden ausgestellt.
                           Alle diese Schreibapparate für Blinde, so einfach und zweckmäſsig sie auch sonst
                              									construirt sein mögen, konnten sich indeſs bisher in Fachkreisen nicht das Vertrauen
                              									und die Verbreitung und allgemeinere Einführung erringen, die ihnen ihrer
                              									zweckmäſsigen Anordnung nach zukommen könnte. Der Grund hierfür liegt einerseits
                              									darin, daſs man dem zu erziehenden blinden Kinde das Gefühl des Schreibens bewahren
                              									will und dies nicht durch eine rein mechanische Thätigkeit ersetzt sehen mag,
                              									andererseits aber in der Vieltheiligkeit und Kostspieligkeit der Apparate selbst,
                              									welche eine allgemeinere Einführung nicht geeignet erscheinen lassen. Diese Apparate
                              									werden für augenschwache Leute und Blinde, denen die Mittel zur Verfügung stehen,
                              									gewiſs ihren Zweck in befriedigender Weise erfüllen, hinsichtlich der Bedürfnisse
                              									der Blindenanstalten aber werden sie kaum im Stande sein, die jetzt gebräuchliche
                              									Schreibweise der Rillentafel zu verdrängen, welche immer noch den wesentlichen
                              									Vortheil gröſserer Einfachheit und Billigkeit besitzt.
                           
                              
                                 K.