| Titel: | Ausnutzung und Vernichtung der Strassenabfälle der Städte. | 
| Autor: | St. | 
| Fundstelle: | Band 269, Jahrgang 1888, S. 235 | 
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                        Ausnutzung und Vernichtung der Straſsenabfälle
                           								der Städte.
                        Ausnutzung und Vernichtung der Straſsenabfälle der
                           								Städte.
                        
                     
                        
                           In der holländischen Stadt Kralingen (10000 Einwohner) wurden bis vor wenigen Jahren
                              									nach dem Freyer'schen Systeme alle Abfälle organischen
                              									Ursprunges einer steigenden Verkohlung unterworfen und mit der erhaltenen
                              									gepulverten Kohle der Inhalt der Latrinen desinficirt. Das Gemisch konnte aufbewahrt
                              									und vermöge der angenommenen Beschaffenheit verfahren und von den Landwirthen mit
                              									Erfolg und Nutzen angewandt werden. Das Verfahren wurde nur verlassen, weil in der
                              									weitläufigen und wenig bevölkerten Stadt die Anfuhr der Straſsenabfälle zu
                              									kostspielig war. Jetzt werden diese einfach auf dem Felde in Haufen geschichtet,
                              									nachdem sie einigermaſsen ausgelesen worden, dann in gemauerten Gruben mit der
                              									Latrinenmasse gemischt, die von den Einwohnern in Bütten zugeführt wird. Das Gemisch
                              									wird von der Landwirthschaft mit etwa 1 fl. für 1cbm bezahlt.
                           Verständiger wird in Groningen verfahren, und dabei eine nicht unbedeutende Einnahme
                              									erzielt. Der Straſsenkoth wird zuerst durch Auslesen von Scherben aller Art befreit,
                              									dann in Haufen gesetzt und durch Begieſsen mit Schmutzwasser in eine Art Kompost
                              									verwandelt, der zu einem von Zeit zu. Zeit bekannt gegebenen Preise gern gekauft
                              									wird.
                           In Antwerpen besteht schon lange eine sehr gute Einrichtung. Der Straſsenkoth
                              									(Kehricht, Marktabfall, gewerbliche Abfälle aller Art) wird von Arbeitern in
                              									Kippwagen gesammelt und gewöhnlich in Schiffe ausgeladen, wo einige Burschen so viel
                              									wie möglich Scherben und sonstige nicht Fäulniſs erleidende Theile auslesen. Selten
                              									ist man genöthigt, die Abfälle in Haufen zu setzen, doch kommt dies wohl vor, wenn
                              									Nebel, Frost u.s.w. die Schifffahrt verhindern, oder Thauwetter das Ueberführen auf
                              									die Felder unmöglich macht. In solchen Fällen schichtet man sie mit dem Stallmiste
                              									der 140 Pferde des städtischen Dienstes, was sich besonders im Winter empfiehlt, wo
                              									der Unrath mehr Asche u.s.w. und weniger Marktabfälle enthält. Doch vermeidet man
                              									gern die Aufbewahrung in Haufen, da die Abfuhrkosten dadurch vermehrt werden. Aber
                              									auch ohne den Stalldünger ist der Werth des Unrathes nicht zu verkennen, da derselbe
                              									viel Abfall vom Fischmarkte, von der Abdeckerei, Wolle, Leder u.s.w. enthält.
                              									Auſserdem ist die Lage Antwerpens derart, daſs das Verfahren nach den betreffenden
                              									Ländereien fast kostenlos geschieht, und der benachbarte Boden, namentlich die
                              									Campine besonders geeignet für diese Art Dünger ist. Der Preis beträgt, einschlieſslich
                              									Transportkosten, 1,50 Franken für 1000k. Diese
                              									Verhältnisse sind aber nicht leicht anderwärts ebenso anzutreffen.
                           Die Stadt Brüssel ist z.B. weit weniger begünstigt, denn sie kann sich des Unrathes
                              									nur schwierig vollkommen entledigen und bald wird es an Platz zum Sammeln fehlen.
                              									Auch in Brüssel werden die Abfuhrwagen in Schiffe entleert, die Scherben u. dgl.
                              									ausgelesen und das Uebrige in die Nachbarschaft und bis in die Campine verschifft,
                              									wobei aber die Nähe Antwerpens sehr unbequem wird. Auch müssen die Schiffe gezogen
                              									werden, was die Kosten sehr vermehrt. Man bezahlt für 1000k auf dem Schiffe 20 Cent. und beim Versandt nach
                              									der Campine sogar nur 15 Cent. Der Bauer in Brabant schätzt den Brüsseler
                              									Straſsenkoth nur wenig.
                           Ob hieran die Kosten oder die Unkenntniſs des Werthes schuld sind, wird folgende
                              									Rechnung ergeben.
                           100t kosten Fracht (1,50 Fr. die 1000k) 150 Fr., dazu Bezahlung an die Stadt 15 Fr.,
                              									macht zusammen 165 Fr.
                           Nach Petermann enthalten 1000k Brüsseler Straſsenkoth:
                           
                              
                                 Wasser
                                 41,96
                                 
                                 
                              
                                 Organische Stoffe
                                 228,78
                                 mit 3k,92 Stickstoff
                                 
                              
                                 Kalk
                                 51,70
                                 
                                 
                              
                                 Magnesia
                                 7,44
                                 
                                 
                              
                                 Kali
                                 3,00
                                 
                                 
                              
                                 Natron
                                 3,34
                                 
                                 
                              
                                 Eisenoxyd, Thonerde
                                 23,28
                                 
                                 
                              
                                 Phosphorsäure
                                 6,02
                                 
                                 
                              
                                 Schwefelsäure
                                 8,15
                                 
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 4,90
                                 
                                 
                              
                                 Chlor
                                 0,53
                                 
                                 
                              
                                 Unlösliches
                                 640,81
                                 
                                 
                              
                           Hieraus ergibt sich ein theoretischer Werth von 3,92 Fr. Der praktische kann
                              									natürlich nur durch die Erfahrung festgestellt werden, es ist aber wohl anzunehmen,
                              									daſs derselbe jenen um 1,65 bis 1,75 Fr. für 1000k
                              									übertrifft.
                           Bei den städtischen Straſsenabfällen kann man im Allgemeinen viererlei Bestandtheile
                              									unterscheiden, die etwa folgende Zusammensetzung haben:
                           
                              
                                 
                                 IAbfälle der Haus-haltungen u.s.w.
                                 IIStraſsen-kehricht
                                 IIIAbfälle desFischmarktes
                                 IVAbfälle der Ab-deckerei
                                 
                              
                                 Organisches
                                   270
                                   312
                                   820
                                   850
                                 
                              
                                 Asche
                                   730
                                   688
                                   180
                                   150
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 –––––
                                 –––––
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 1000
                                 1000
                                 1000
                                 1000
                                 
                              
                           Es würde also die Landwirthschaft Vortheil davon haben, wenn sie III und IV getrennt
                              									erhalten könnte, allein dies würde es noch schwerer machen, I und II los zu
                              									werden.
                           Ebenso weisen die Analysen für die Unrathhaufen nach längerer Zeit einen viel höheren
                              									Düngerwerth nach, als die der frischen Abfälle, wie dies auch schon der äuſsere
                              									Anschein erkennen läſst. Man würde durch längeres Liegenlassen offenbar eine sehr
                              									fruchtbare Erde erhalten können, welche viel eher die Kosten des Verfahrens tragen
                              									würde. Für jetzt aber kann die Stadt Brüssel ihren Unrath nicht fortschaffen, da die
                              									Gemeinden sich der Ausbreitung widersetzen und es wird wohl nichts übrig bleiben,
                              									als diese Stoffe ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Landwirthschaft wirklich zu
                              									zerstören, wie dies in einigen Städten Englands, z.B. in Leeds, geschieht.
                           In dieser Stadt ist das Freyer'sche System angenommen
                              									worden, da sie sonst jährlich 150000 Fr. für die Abfuhr der Straſsenabfälle ausgeben
                              									müſste. Der Vortheil dieses Systemes besteht nicht allein darin, daſs die Stadt von
                              									den Abfallstoffen in kurzer Frist befreit wird, sondern auch in der Gewinnung eines
                              									stets benöthigten Productes. Der landwirthschaftliche Standpunkt findet allerdings
                              									dabei keine Berücksichtigung. Es werden die Straſsenabfälle entweder durch
                              									Verbrennung oder durch Verkohlung vernichtet.
                           1) Verbrennung. Der „Zerstörer“ besteht aus sechs
                              									oder mehr in einem Gebäude concentrisch aufgestellten Oefen, welche durch einen unterirdischen Fuchs
                              									mit einer mehr oder weniger, mindestens aber mehrere Meter hohen Esse in Verbindung
                              									stehen. Ueber eine geneigte Eisenbahn werden die Abfälle mittels Karren zugeführt
                              									und durch einen Trichter in einen der Oefen geschüttet. In dem Ofen brennt ein
                              									Feuer, auf welches die Stoffe niederfallen und binnen einer Stunde zerstört werden.
                              									Das Feuer wird, einmal angezündet, durch die zugeführten Massen selbst unterhalten
                              									und verlöscht selbst bei gröſster Nässe derselben nicht. Man liest meist die
                              									Metallstücke aus, doch werden auch diese bei der hohen Hitze des Feuers in wenigen
                              									Stunden verbrannt. Die entwickelten Gase müssen, um in die Esse zu gelangen, durch
                              									das Feuer hindurchgehen und sind also beim Austritte vollkommen desinficirt.
                           Das Volumen der eingeschütteten Masse wird auf ¼ vermindert, man erhält als
                              									Verbrennungsproduct Schlacken oder Sintermasse, welche in einer mit Dampf
                              									getriebenen Mühle zerkleinert werden. Das erhaltene Pulver liefert, mit Kalkmilch
                              									gemischt, einen vortrefflichen Mörtel, auch kann die Asche zur Besserung der Wege
                              									Anwendung finden. Die Hitze der Oefen reicht zum Betriebe der Zerkleinerungsmühle
                              									aus.
                           Diese Einrichtung befriedigt sehr und es werden über die entweichenden Gase keinerlei
                              									Klage geführt. Da die Oefen in der Gemeinde selbst aufzustellen sind, so werden die
                              									Abfuhrkosten sehr merklich vermindert, und bei eintretender Epidemie können auch
                              									Thierkörper in kürzester Zeit unschädlich gemacht und zerstört werden.
                           2) Verkohlung. Der Freyer'sche „Verkohler“ befindet sich in einem Gebäude mit mehreren
                              									Fülltrichtern, und dient dazu, die Abfälle organischer Natur in Kohle zu verwandeln,
                              									wobei sie etwa auf 5 Proc. des ursprünglichen Volumens kommen. (? d. Ref.) Die
                              									Fülltrichter sind gemauerte viereckige Räume, an deren Seiten und Ecken eiserne
                              									Platten nach abwärts geneigt befestigt sind, so daſs die Feuergase des Ofens durch
                              									die aufgeschichteten Abfälle hindurchstreichen müssen. Der mit Koks geheizte Ofen
                              									wird so geführt, daſs stets eine 8cm hohe Schichte
                              									glühenden Koks vorhanden ist, damit die entweichenden Gase keinen freien Sauerstoff
                              									enthalten und die Stoffe also in den Kammern nicht verbrennen können.
                           Die Feuergase stoſsen vorzugsweise gegen die untere Fläche der ersten Eisenplatten
                              									und diese werden zur Weiſsglut, die oberen weniger stark erhitzt. Die Abfallstoffe
                              									fallen von oben nach und kommen so nach und nach in die heiſseren Kammern, wo sie
                              									schlieſslich vollkommen verkohlt werden. Von den letzten Platten fallen die
                              									glühenden Kohlen in einen gemauerten Raum und dann in einen untergestellten Wagen.
                              									In dem 4m hohen Raume beginnt die Abkühlung,
                              									welche in einem eisernen, von Wasser umgebenen und sich drehenden Cylinder vollendet
                              									wird. Letzterer ist so eingerichtet, daſs er die verkohlten Stoffe auch aussiebt;
                              									die Kohle wird vorzugsweise zum Desinficiren benutzt.
                           Auch diese Einrichtung befriedigt vollkommen; doch muſs man nicht glauben, daſs
                              									hierdurch ein geschäftlicher Nutzen erreicht würde; das groſse Ziel der öffentlichen
                              									Ordnung und Reinlichkeit wird in allen Fällen Opfer von Seiten der Städte
                              									erheischen.
                           Nach einem Vortrage van Bueren's in dem belgischen
                              									landwirthschaftlichen Institute (Journal de la société
                                       										agricole des Brabant-Heinaut, 1888 Nr. 13).
                           
                              
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