| Titel: | Das Mannesmann'sche Walzverfahren. | 
| Fundstelle: | Band 269, Jahrgang 1888, S. 503 | 
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                        Das Mannesmann'sche Walzverfahren.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 454 d.
                           								Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Das Mannesmann'sche Walzverfahren.
                        
                     
                        
                           Die Fertigstellung jedes gewünschten Profiles in einem Durchgange ist der zweite
                              									wesentliche Punkt des neuen Verfahrens. Es soll auf diese Weise die ganze volle
                              									Dehnbarkeit des weiſswarmen Blockes ausgenutzt werden, indem die von den Scheiben
                              									bezieh. Walzen erfaſste Masse mit groſser Geschwindigkeit zum fertigen Rohre oder
                              									Stabe ausgestreckt wird. Bei dem bisherigen Walzverfahren passirt ein Querschnitt
                              									des Werkstückes nach dem anderen die Walzen und muſs jeder Querschnitt so lange
                              									warten, bis wieder an ihn die Reihe kommt, auch verliert der Stab, je länger und
                              									dünner er wird, Wärme und Dehnbarkeit in höherem Maſse, und erschwert diese
                              									Abkühlung das Walzen. Dieser Uebelstand soll durch das neue Verfahren beseitigt
                              									werden; leider sind der praktischen Verwendung enge Grenzen gezogen. Bei HerstellungHerstellung von Röhren, hohlen Wellen und dickerem Rundeisen kann dieser Vortheil ganz
                              									zur Geltung kommen, nicht aber in all den Fällen, in welchen durch nothwendige
                              									Querschnittsverjüngung eine zu groſse Winkelgeschwindigkeit des Stabes bedingt wird,
                              									und in den Fällen, in welchen der Kraftbedarf wegen der groſsen
                              									Querschnittsverminderung durch Walzen, Walznasen und Druckeisen ein unerreichbar
                              									hoher wird.
                           Röhren können bei geringer Neigung der Arbeitsflächen erzielt werden. Die
                              									Querschnitts Verminderung geschieht durch das Hohlwerden von innen; der äuſsere
                              									Durchmesser und mit ihm die Umfangsgeschwindigkeit werden durch die
                              									Querschnittsverminderung nicht hervorragend geändert.
                           Ein kurzes Beispiel möge dies klarlegen. Es soll, anlehnend an den soeben
                              									vorgeführten Fall, aus einem Rundstabe von 50mm
                              									Durchmesser ein Rohr von 46mm Durchmesser gewalzt
                              									werden. Die Scheiben haben, wie vorhin, 320mm
                              									Durchmesser = 1000mm Umfang und machen eine
                              									Umdrehung in der Secunde. Das theilweise Gleiten soll ebenfalls nicht berücksichtigt
                              									werden. Dann ist
                           
                              
                                 
                                 in Punkt 1
                                 in Punkt 16
                                 
                              
                                 der Durchmesser des Werkstückes
                                   50
                                         46mm
                                 
                              
                                 der Umfang des Werkstückes
                                 157
                                 144
                                 
                              
                                 die Umfangsgeschwindigkeit der Scheiben
                                     62,8
                                 1000
                                 
                              
                                 
                                     62,8
                                 1000
                                 
                              
                                 
                                 ––––
                                 –––––
                                 
                              
                                 die Umdrehungsanzahl des Rohres
                                 157
                                 144
                                 
                              
                                 
                                 = 0,4
                                 = 7
                                 
                              
                           Bei einer Umdrehung des Werkstückes in Punkt 1 hat das austretende Rohr
                              										\frac{7}{0,4}=17,5 Umdrehungen gegen
                              										\frac{100}{0,4}=250 Umdrehungen des Drahtes von 3mm,2 Durchmesser.
                           
                           Ohne Zweifel hat der günstige Umstand, daſs beim Röhren walzen die groſse
                              									Querschnittsverminderung keinen so störenden Einfluſs auf die
                              									Umdrehungsgeschwindigkeit des austretenden Stabes ausübt, den Erfinder veranlaſst,
                              									das direkte Ausstrecken fester Querschnitte bei groſsen Querschnitts Verminderungen
                              									in Vorschlag zu bringen.
                           Der Erfinder spricht von groſsen Umdrehungsgeschwindigkeiten der Scheiben; nehmen wir
                              									bescheiden nur 120, d. i. zwei Umdrehungen in der Secunde; dann hat der austretende
                              									Draht bei oben angeführtem Beispiele in der Secunde 200 Umdrehungen.
                           Was fängt man wohl mit einem hellrothwarmen Drahte an, der mit doch sicher 4 bis 5m Längengeschwindigkeit und 200 Umdrehungen in der
                              									Secunde aus den Walzen tritt? Anfassen, Aufwickeln ist nicht möglich. Jedes
                              									Hinderniſs würde den Draht zu einem unentwirrbaren Knäuel gestalten oder ihn im
                              									Hüttenraume umherschleudern; eine Führung müſste weit über 100m lang sein, der warm nachschieſsende Draht würde
                              									das kältere Ende in der Führung nicht bewältigen. Kurz, es ergeben sich
                              									Unzuträglichkeiten, die vorher überwunden sein müssen, ehe das neue Verfahren zum
                              									Drahtwalzen angewendet werden kann.
                           Auf ebenso groſse Schwierigkeiten stöſst das neue Verfahren durch den groſsen Kraft
                              									verbrauch bei Anwendung von Walznasen und Druckeisen bei groſser
                              									Querschnittsverminderung. Aus der Patentschrift kann man ersehen, daſs beim Walzen
                              									von Façoneisen der in den Walzen runde Block durch sogen. Walznasen hindurchgepreſst
                              									und so dem Druckeisen vorbereitet werden soll, so daſs dem letzteren nur übrig
                              									bleibt, die genaue Form herzustellen. Druckeisen nennt der Erfinder ein
                              									Fertigkaliber (genau wie das gewöhnliche Zieheisen beim Ziehen von Façondraht), aber
                              									drehbar gelagert, mit groſser Widerstandsfähigkeit gegen den zu ertragenden Druck.
                              									Walznasen sind Uebergangsstücke, welche in ihrer äuſseren Form den Querschnitt des
                              									zu erzielenden Façoneisens zu einem gröſsten Querschnittskreise ergänzen, deren
                              									innere Formen aber den runden Block in den Walzen umfassen und am anderen Ende,
                              									dicht vor dem Druckeisen, das verlangte Profil haben. Die Voranbewegung des Blockes
                              									in den Walzen soll nun den Block durch den inneren freien Raum der Walznasen pressen
                              									und ihm die Form geben, welche das Druckeisen zu vollenden hat. Die Walznasen sind
                              									am Druckeisen befestigt und mit diesem drehbar. Die drehende Bewegung des
                              									Werkstückes theilt sich den Walznasen und durch diese dem Druckeisen mit.
                           Ich habe bereits die aus genauen Versuchen erzielten Annahmen in Rechnung gezogen,
                              									daſs zum Fortstrecken von 1cbmm Eisen im warmen
                              									Zustande ein Druck von 10k erforderlich ist. Im
                              									vorliegenden Falle tritt allerdings der Block in weiſswarmem Zustande in die
                              									Walznasen ein; jedoch dürfte die Annahme von 10k
                              									für 1cbmm hier nicht zu hoch sein, weil hier die
                              									gleitende Reibung zwischen Werkstück und Walznasen zu überwinden ist, gegenüber dem
                              									bei weitem vortheilhafteren Ausstrecken zwischen gewöhnlichen Walzen.
                           Nehmen wir nun zur Klarstellung wieder einen bestimmten Fall, und zwar ein ⌶-Eisen von sehr bescheidenen Abmessungen. Es soll ein
                              										⌶-Eisen 200mm hoch
                              									mit 4000qmm Querschnitt gewalzt werden. Die
                              									Ergänzungsstücke (Walznasen) ergeben einen kreisförmigen Querschnitt von 220mm Durchmesser beim Austritte aus den Walzen. Die
                              									radiale Verjüngung des Blockes in den Walzen, durch welche die Kraft der
                              									Voranbewegung, also die Pressung in den Walznasen, bedingt wird, zu nur 40mm angenommen, ergibt einen Blockdurchmesser von
                              										300mm = 70600qmm. Soll in 1 Secunde nur 10mm
                              									Blocklänge verarbeitet werden; wird ferner der Arbeitsweg gleich dem halben Radius =
                              										75mm angenommen, so ist das zur Verarbeitung
                              									bereite Metall 70600 – 4000 = 66600 . 10 = 666000cbmm und die zum Ausstrecken erforderliche Kraft gleich 6660 .
                              									Daſs die groſse Umdrehungsgeschwindigkeit des austretenden Stabes beim geringsten
                              									Widerstände ein Verdrehen desselben zur Folge haben müſste, sei hier nur beiläufig
                              									erwähnt.
                           Ein Hauptübelstand bei dem Verfahren, mit Walznasen und Druckeisen zu arbeiten, ist
                              									folgender: Wenn der Block die Walzen verlassen hat, das letzte Material in die
                              									Walznasen gepreſst ist, dann hat der Stab keine Veranlassung, weiter fortzufahren.
                              									Der Stab bleibt mit dem Putzen zwischen den Walznasen sitzen. Dieser geringfügige
                              									Umstand stürzt den ganzen phantasievollen Aufbau von „allen erdenklichen Arten
                                 										von Profilen“, und es bleibt nur das Rohr von zweifelhafter Dichtigkeit, die
                              									hohle Welle und auſserdem das Rundeisen, welches ebenso leicht hohl wird, wie die
                              									Schraubenbolzen auf den englischen Schrägwalzmaschinen. Da dem bestehenden
                              									Walzwerksbetriebe auf diese Weise kein Umsturz droht, so können wir wohl das
                              									Auswalzen von hohlen Zahnstangen, hohlen Schienen, hohlen Schwellen, hohlen
                              									Zahnrädern, Kugeln und Kugelabschnitten neidlos dem Erfinder überlassen.
                           Die dritte Neuerung: „mit denselben Walzen unter Auswechselung minimaler Theile
                                 										verschiedene Dimensionen aller erdenklichen Arten von Profileisen und Röhren zu
                                 										walzen“, würde ebenfalls von Bedeutung sein, wenn der praktischen Ausführung
                              									nicht ebenfalls so enge Grenzen gezogen wären.
                           Daſs Röhren, hohle und massive Rundstäbe u.s.w. in denselben Walzen hergestellt
                              									werden können, ist auſser Zweifel. Im Laufe der Patentbeschreibung braucht der
                              									Erfinder übrigens so vielerlei Walzen, daſs er den hervorgehobenen Vorzug seines
                              									Verfahrens wieder abschwächt.
                           Ferner sind die auszuwechselnden Theile bei der Herstellung der verschiedenen Profile
                              									durchaus nicht minimal, sondern Walznasen und Druckeisen, deren Befestigung in den
                              									meisten Fällen schwierig herzustellen und welche erheblichem Verschleiſse ausgesetzt
                              									sind, so daſs die Vortheile des geringeren Walzenwechselns mehr als aufgewogen werden. Auſserdem
                              									sind die gesammten Walzeinrichtungen in der Anschaffung, im Vergleiche zu den
                              									bisherigen, sehr kostspielig.
                           Das in der Patentschrift aufgeführte sechste Walzverfahren ist von den vorher
                              									behandelten grundsätzlich verschieden, weshalb ich Abstand genommen habe, es näher
                              									zu beleuchten. Sollte dieses Verfahren der praktischen Verwendung näher rücken, dann
                              									wird noch Zeit genug dafür sein.
                           In einer an die vorstehenden Vorträge anknüpfenden Zuschrift glaubt Herr Lismann einige der entwickelten Anschauungen
                              									richtigstellen zu müssen. Die Zuschrift lautet:
                           Herr Balcke geht von der Voraussetzung aus, daſs das zu
                              									einem nahtlosen Rohre nöthige Rundmetall denselben Aufwand von Wärme, Kraft und
                              									Handarbeit beansprucht, als der zu einem geschweiſsten Rohre nöthige Blechstreifen.
                              									Es fällt aber bei dem Schrägwalzverfahren dieser Aufwand ganz weg, da ein
                              									gegossener, massiver oder hohler Stahlblock direkt vom Gusse mit der Guſshitze in
                              									ein fertiges Rohr verarbeitet werden kann, der etwaige gröſsere Kraftaufwand dürfte
                              									hierdurch bei Weitem überboten werden.
                           Bezüglich der Qualität unterliegt es keiner Frage, daſs ein Rohr, ohne Naht aus
                              									gleichartigem Metalle hergestellt, das bessere ist, insbesondere wenn, wie bei
                              									vorliegendem Walzprozesse, die als tangentiale Streckwirkung auftretende Kraft zum
                              									gröſseren Theile zum Verdichten des Materiales aufgewendet wird; daher auch der
                              									groſse Kraftbedarf.
                           Auf diese Einwendungen des Herrn Lismann erwidert Herr
                              										Balcke, daſs er in seinem Vortrage nur eine
                              									Vergleichung der erforderlichen Kraft beim Auswalzen von Röhren nach dem neuen und
                              									alten Verfahren aufgestellt habe, und gesteht zu, daſs, wenn die Gieſswärme benutzt
                              									werden könne, gewiſs ein groſser Theil der Mehrkosten des neuen Verfahrens
                              									aufgewogen werde; dies dürfte aber nur unter der Voraussetzung geschehen, daſs ein
                              									Martinofen bezieh. Converter so gleichmäſsiges Material liefert, daſs dessen
                              									Verarbeitung zum fertigen Rohre in einer Hitze zulässig ist. In den weitaus meisten
                              									Fällen dürfte das Auswalzen von Rundstäben und das Wiedererwärmen derselben geboten
                              									und dann der Preis des Rundstabes wenig von dem des Streifens verschieden sein; der
                              									unbestrittene groſse Kraftaufwand würde also seine Schluſsbemerkung, daſs mit dem
                              									neuen Verfahren nicht billiger, als mit dem alten, gearbeitet werden könne,
                              									rechtfertigen.
                           Auch stimmt Balcke der Ansicht Lismann's nicht bei, daſs: „die als tangentiale Streckwirkung
                                 										auftretende Kraft zum gröſseren Theile zum Verdichten des Materiales aufgewendet
                                 										wird.“ Dieses Verdichten der Oberfläche findet beim Kaltwalzen durch Gleiten
                              									zwischen Scheiben und massiven Stäben statt, und zwar unter Druck; bei Stahlstäben
                              									kann man sogar dadurch einen ganz bedeutenden Härtegrad der Oberfläche erzielen. Weil aber beim
                              									Auswalzen von Röhren das Gleiten nach Möglichkeit zu vermeiden ist, um die volle
                              									Wirkung der Kraft zu erreichen, so wird nur der unvermeidliche geringe Rest des
                              									Gleitens ein Glätten der Oberfläche des Rohres bewirken. Dieses Glätten ist in
                              									demselben Sinne ein Verdichten des Materiales, wie das Poliren mittels Polirstahles
                              									bei Kleineisen- und Stahlarbeiten, kann aber keinerlei Einwirkung auf das innere
                              									Gefüge des Werkstückes haben, weil der Gegendruck fehlt.
                           Der Berichterstatter ist der Meinung, daſs die der Balcke'schen Berechnung des Kraftbedarfes zu Grunde liegende Annahme, zum
                              									Fortstrecken von 1cbmm Eisen sei 10k Druck erforderlich, im vorliegenden Falle nicht
                              									zulässig ist. Diese Erfahrungszahl mag für das bisher übliche Walzverfahren gelten,
                              									bei dem, wie Hollenberg nachgewiesen hat (Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, 1882 S.
                              									449), eine verwickelte Verschiebung des Materiales, bedingt durch die Reibung an den
                              									Walzen und unter dem Einflüsse des Druckes derselben, also unter zwei die
                              									Beweglichkeit der Theile des auszuwalzenden Stabes erschwerenden Umständen,
                              									stattfindet. Im vorliegenden Falle, wo es sich – auch nach der Anschauung des Herrn
                              										Balcke – vorwiegend um ein Ausziehen des Stabes handelt, werden andere, dem Verfahren gewiſs viel
                              									günstigere Annahmen – einfaches Ausziehen des warmen Materiales in Spiralform –
                              									gemacht werden müssen. Bei den zahlreichen, das Endergebniſs beeinflussenden
                              									Factoren werden sich diese Verhältnisse nur durch sorgfältig angestellte
                              									Beobachtungen und Versuche in der Praxis feststellen lassen. Wir möchten deshalb der
                              										Balcke'schen Berechnung nicht beistimmen, sondern
                              									die etwaigen Versuchsergebnisse abwarten.
                           Wir halten übrigens die Verwendung von Nasen und dergleichen Formgebungsmitteln auch
                              									aus dem Grunde für äuſserst beschränkt, da es sehr schwierig sein wird, die Drehung
                              									des diese Werkzeuge haltenden Theiles mit der Drehung des aus den Walzen tretenden
                              									Stabes in Einklang zu bringen. Dies müſste durch mechanische Bewegungsübertragung
                              									oder durch die Steifheit des Stabes selbst geschehen. Die erstere Art ist wegen der
                              									durch Wärmegrad und Druckverhältnisse sehr veränderlichen Geschwindigkeit mit vielen
                              									Schwierigkeiten verbunden. Bei dem zweiten Verfahren würde die durch nur
                              									einigermaſsen beträchtlichen Widerstand der Walznasen hervorgebrachte Reibung den
                              									noch warmen Stab verdrehen, stauchen und somit jedes Weiterarbeiten
                              									ausschlieſsen.
                           In der vorgenannten Zeitschrift des Vereines deutscher
                                 										Ingenieure wird S. 206 ein Vortrag des Herrn Prof. Ritter, leider nur sehr abgekürzt, wiedergegeben. Wir können wegen des
                              									leitenden Gedankens dieses Vortrages auf die BesprechungBesprchung in Nr. 10 des Centralblattes der
                                 										Bauverwaltung verweisen, in welcher Herr J.
                                 										Hofmann den Inhalt der Balcke'schen und Ritter'schen Erklärungen des Walzvorganges kurz
                              									zusammenfaſst und
                              									erweitert, wie folgt. Eine Erklärung des Walzverfahrens mit Scheiben ist in der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure vom 28.
                              									Januar und 25. Februar 1888 von Herrn Balcke, eine
                              									solche des Walzverfahrens mit Walzen von Herrn Geh. Regierungsrath Ritter in Aachen in derselben Zeitschrift vom 3. März
                              									1888 gegeben. Der ersteren Erklärung liegt der Gedanke zu Grunde, daſs ein Stab, der
                              									zwischen zwei Punkten seiner Achse, von einem zum anderen fortschreitend, mit
                              									beschleunigter Bewegung der Theilchen, schraubenförmig gewunden wird, in seinem
                              									Kerne aufreiſst (d.h. eine Röhre bildet), weil parallele Fasern, die gezogen werden,
                              									sich stets, wie ja Dehnungsversuche zeigen, zu nähern suchen. Da nun einerseits die
                              									Anhaftung des Materiales an den Walzen beliebig groſs gemacht werden kann durch
                              									Aufrauhen oder Riffeln der Walzenoberfläche, andererseits der Kern des
                              									Arbeitsstückes, also einer glühenden Eisenmasse, stets weicher ist als der mit den
                              									kalten Walzen in Berührung tretende Umfang, so läſst sich die von Herrn Balcke aufgestellte Theorie wohl verfechten.
                           Nach der Erklärung des Herrn Prof. Ritter findet
                              									lediglich ein Schälen statt, d.h. es wird durch die von allen Seiten auf das
                              									Arbeitsstück einwirkenden Walzen eine cylindrische Haut von dem weichen Blocke
                              									abgezogen. „Durch conische oder conoidische Walzenformen kann ein stetiger
                                 										Uebergang der weichen cylindrischen Masse in die Röhrenform bewerkstelligt
                                 										werden. Die Mantelschicht wird von den (vier) Walzen gepackt und längs der
                                 										Achsenrichtung fortgezogen, während der Kern einstweilen zurückbleibt und erst
                                 										später langsam nachfolgen kann, in dem Maſse, wie die Dicke der ganzen Masse in
                                 										Folge der fortgesetzten Abschiebung der Mantelschicht allmählig sich vermindert.
                                 										Der Ueberrest der stets sich vermindernden Kernmasse bildet nachher, wenn das
                                 										fertige Rohr die Walzen verläſst, den Boden des am rechtseitigen Ende
                                 										geschlossenen Rohres.“ Diese Theorie ist für die Einleitung der Walzarbeit
                              									jedenfalls zutreffend, aber sie ist nicht erschöpfend; denn damit läſst sich nicht
                              									erklären, wie vorn und hinten offene Röhren ohne Dorn
                              									gewalzt werden können.
                           In Nachstehendem ist versucht, beiden Erklärungsweisen gerecht zu werden. Fig. 5 zeigt in Aufriſs, Grundriſs und Schnitten ein
                              									Schrägwalzwerk. Der Block habe die Lage acefdb; die
                              									Walzen, von denen im Grundrisse nur die oberste gezeichnet ist, berühren denselben
                              									nach Schraubenlinie 1i. Der Block sei vollständig
                              									biegsam (weiſsglühendes Eisen), ein Gleiten finde nicht statt. Dann wird er, wenn er
                              									eine volle Umdrehung gemacht hat, am hinteren Ende um das Stück 01 und am vorderen Ende um das Stück 6k vorgeschoben erscheinen, d.h. der Cylinder cdba ist durch die Walzen verarbeitet worden, und das
                              									Ergebniſs dieser Verarbeitung ist der Cylinder eghf.
                              									Die im Grundrisse vorher als Gerade erscheinende Mantellinie 0146 bildet jetzt die Schraubenlinie 1k.
                           
                           Das Beispiel ist nun so gewählt, daſs der Inhalt des Cylinders eghf gleich ist dem des Cylinders acdb. Es läge also nach der Theorie des Herrn Balcke gerade der Grenzfall vor, bei welchem ein
                              									Aufreiſsen des Kernes noch nicht eintreten würde.
                           
                              
                              Fig. 5., Bd. 269, S. 509
                              
                           In Wirklichkeit findet aber bei den gewählten
                              									Maſsverhältnissen und Neigungen der Walzen wohl sicher eine Röhrenbildung statt, die
                              									also nicht anders als durch ein Herunterschälen einer cylindrischen Haut von dem
                              									weichem Blocke zu erklären ist. Wird der Block, wie Fig.
                                 										6 zeigt, zwischen die Walzen gebracht, so unterliegt er gleichzeitig der
                              									Einwirkung der Walzen, welche ihn drehen und vorschieben wollen, und der Einwirkung
                              									der Unterlage F, d.h. seiner Führung, welche je nach
                              									ihrer Beschaffenheit mit mehr oder weniger Reibung den Block festzuhalten sucht. Der
                              									Block wird daher in seinem hinteren, in der Führung liegenden Theile weder die
                              									fortschreitende, noch die drehende Bewegung annehmen können, welche der Bewegung der
                              									Walzpunkte 1 entspricht, und es werden zwischen den
                              									Berührungspunkten 1 der Walzen nur die äuſseren
                              									Schichten der Bewegung der Walzen folgen, die inneren Schichten dagegen der
                              									verzögerten Bewegung des in der Führung F liegenden
                              									Blocktheiles. Die Fasern
                              									werden sich also schraubenförmig in einer Weise schichten, wie es in der Ebene des
                              									Blockquerschnittes der Fig. 6 angedeutet ist.
                           Je weiter der vom Blocke abgeschälte Kegel G
                              									vorschreitet, desto gröſser wird der Unterschied der Umfangsgeschwindigkeit zwischen
                              									den vorderen und den hinteren bezieh. äuſseren und inneren Theilen; die Ringstärke
                              									des abgeschälten Stückes wird also immer dünner, bis sie schlieſslich als Röhre mit
                              									auſsen glatter, innen unregelmäſsiger Wandung austritt. Ist der Block so weit
                              									zwischen die Walzen eingetreten, daſs er von denselben allein geführt wird, so muſs
                              									er in seinem hinteren Theile die Geschwindigkeit der Walzenpunkte 1 annehmen; die nach dem Kerne zu liegenden Theile des
                              									Blockes aber, welche vorher durch die Führung F
                              									verzögert wurden, werden jetzt durch die Einwirkung der vorderen Walzentheilchen
                              									beschleunigt. Die Fasern nehmen eine Schichtung an, wie sie in Fig. 7 dargestellt ist, so daſs das vorher gerade
                              									Blockende im Kerne nach innen gezogen wird. Bei weiterem Fortschreiten wird durch
                              									die von den vorderen Walzentheilchen beeinfluſsten inneren Fasern die Höhlung L immer gröſser, bis sie sich schlieſslich mit der
                              									vorderen Höhlung zur offenen Röhre, Fig. 8,
                              									vereinigt.
                           Fig. 6., Bd. 269, S. 510Fig. 7., Bd. 269, S. 510Fig. 8., Bd. 269, S. 510Fig. 9., Bd. 269, S. 510Fig. 10., Bd. 269, S. 510Fig. 11., Bd. 269, S. 510Gibt man den Walzen einen stärkeren Anlauf, Fig.
                                 										9, so findet zunächst die Röhrenbildung in der oben geschilderten Weise
                              									statt. Gegen den Schluſs der Arbeit aber werden die von den vorderen Walzentheilchen
                              									beeinfluſsten inneren Fasern die Höhlung L nicht
                              									genügend vertiefen können, weil die gröſsere Masse des von der Seite nachgestauchten
                              									Materiales die Röhre schlieſst. Soll diese Stauchung verhindert werden, so muſs
                              									derselbe Widerstand eingeschaltet werden, den die Führung F ausübte, d.h. es muſs ein Dorn D,
                              									Fig. 10, die inneren Fasern verzögern. Soll der Dorn
                              									nicht nur dazu dienen, eine an beiden Enden offene Röhre zu erzielen, sondern soll
                              									er gleichzeitig die
                              									Innenwand glätten, so muſs demselben ein kegelförmiger Kopf gegeben werden. Die
                              									Dicke und Festigkeit der Rohrwand richtet sich dann auſserdem danach, ob der Dorn
                              									feststeht oder sich in einem Spurlager drehen kann oder unmittelbar durch ein
                              									besonderes Vorgelege angetrieben wird, in welch letzterem Falle er auch geriffelt
                              									sein kann (Nordamerikanisches Patent Nr. 361957).
                           In welcher Weise aus einem Blocke weite glatte Röhren gewalzt werden können, ist aus
                              										Fig. 11 ersichtlich. Hier haben die Walzen Anlauf
                              									nach beiden Seiten. Während die hinteren Hälften den Block schälen, also die rohe
                              									Röhre bilden, weiten, glätten und verdichten die vorderen Walzenhälften über einem
                              									Dorne D die fertige Röhre. Die gleiche Arbeit kann
                              									mittels Scheiben geleistet werden (Nordamerikanische Patente Nr. 361961 und
                              									361963).
                           
                              (Fortsetzung folgt.)