| Titel: | Die Raoult'sche Methode der Molekulargewichtsbestimmung; von Constantin Klinge. | 
| Autor: | Constantin Klinge | 
| Fundstelle: | Band 273, Jahrgang 1889, S. 179 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Die Raoult'sche Methode der
                           								Molekulargewichtsbestimmung; von Constantin Klinge.
                        (Mit Abbildungen auf Tafel 11.)
                        Die Raoult'sche Methode der
                           								Molekulargewichtsbestimmung.
                        
                     
                        
                           Dank der Anregung, welche Paterno und NasiniBerichte, XIX, 2530., sowie
                              										Victor MeyerBerichte, XXI, 539. gegeben,
                              									hat die Raoult'sche Methode der
                              									Molekulargewichtsbestimmung im Laufe der letzten zwei Jahre gewaltige Fortschritte
                              									erfahren.
                           Trotzdem die diesbezügliche Literatur leider verschiedene Widersprüche, sowie bis
                              									jetzt noch offen stehende Fragen aufzuweisen hat, so ist doch durch zahlreiche
                              									Forscher, welche sich mit diesem Thema eingehend beschäftigt haben, theils durch
                              									wissenschaftliche Grundlagen, theils durch praktische Verbesserungen bezieh.
                              									Vereinfachungen des Verfahrens, die Methode gegenwärtig auf einen Standpunkt der
                              									Entwickelung gelangt, welcher jedem Chemiker in einer groſsen Anzahl von Fällen
                              									gestattet, sich dieser Methode der Molekulargewichtsbestimmung ohne gröſsere
                              									Schwierigkeiten und mit geringen Hilfsmitteln zu bedienen.
                           Die Fülle von Arbeiten, welche über diesen Gegenstand in den verschiedensten
                              									Zeitschriften veröffentlicht worden sind, haben den Verfasser bewogen, eine
                              									einheitliche Darlegung der Methode, so weit das bis jetzt überhaupt durchführbar
                              									ist, zu geben.
                           Bei Abfassung der nachstehenden Abhandlung ist das Hauptgewicht auf eine eingehende
                              									Besprechung der praktischen Anwendung der Methode gelegt worden, um allen
                              									denjenigen, welche in Zukunft derartige Molekulargewichtsbestimmungen auszuführen
                              									gedenken, einen kurzen Leitfaden an die Hand zu geben, woher denn auch von der
                              									Besprechung einiger theoretischer Fragen, welche in das Bereich der mathematischen
                              									Physik gehören und zur Zeit zum Theil auch noch keine genügende Beantwortung
                              									gefunden haben, Abstand genommen worden ist.
                           Der Abhandlung liegen die. Arbeiten von: F. M. Raoult,
                                 										Paterno, van t'Hoff, Victor Meyer, K. Auwers, Ostwald, Beckmann, Hollemann,
                                 										Hentschell, Fabinyi und Eykmann zu Grunde.
                           
                        
                           I. Theoretischer Theil.
                              								
                           Das Prinzip der Methode beruht auf der Beobachtung, daſs der Erstarrungspunkt irgend
                              									eines lösenden Mediums bei Gegenwart einer in demselben gelösten fremden Substanz
                              									herabgedrückt wird.
                           
                           Umfassende Untersuchungen, welche früher von BladgenPhil. trans., LVIII, 277.,
                                 											RüdorffPogg. Ann., CXIV, 63. CXVI,
                                       										55. und CoppetAnn. chim. phys., [4] XXIII, 366. XXV, 502.
                                       												XXVI, 98. mit wässerigen Lösungen, in neuester Zeit von
                              										RaoultAnn. chim. phys., [5] XX, 217. XXVIII, 133.
                                       												[6] II, 66, 93, 99, 115. IV, 401. VIII,
                                       												289, 317. Compt. rend., CII,
                                       											1307. auch mit einer Reihe von anderen lösenden Medien
                              									angestellt worden waren, hatten zur Erkenntniſs bestimmter Gesetzmäſsigkeiten
                              									bezüglich des Einflusses geführt, welchen die chemische Natur und die Menge eines
                              									gelösten Körpers auf den Erstarrungspunkt des Lösungsmittels ausüben, und auf dieser
                              									Grundlage arbeitete Raoult eine neue Methode der
                              									Molekulargewichtsbestimmung aus.
                           Ueber die Gesetze, durch welche Raoult seine Methode
                              									begründet, hat K. AuwersBerichte, XXI, 701. folgende
                              									kurze Zusammenstellung gegeben:
                           Die Erniedrigung des Erstarrungspunktes (Depression), welche ein Lösungsmittel durch
                              									Auflösen eines festen, flüssigen oder gasförmigen Körpers erfährt, ist innerhalb
                              									gewisser Grenzen und unter gewissen Bedingungen der Menge des gelösten Körpers
                              									direkt, der Menge des Lösungsmittels aber umgekehrt proportional.
                           Bezeichnet man mit C die Depression, welche durch Pg Substanz in Lg Lösungsmittel
                              									hervorgebracht werden, mit A dieselbe Gröſse für 1g Substanz und 100g Lösungsmittel, so gilt die Gleichung:
                           
                              A=\frac{C\,.\,L}{P\,.\,100}
                              
                           Multiplicirt man die Gröſse A, welche Raoult den Depressionscoefficienten (coefficient
                              									d'abaissement) der betreffenden Substanz für das betreffende Lösungsmittel nennt,
                              									mit dem Molekulargewicht der gelösten Substanz M, so
                              									erhält man nach der Gleichung
                           M . A =
                              										T
                           die sogen. molekulare Depression des fraglichen Körpers. Für
                              									jeden Körper ändert sich der Werth von A und folglich
                              									auch von T mit der Natur des Lösungsmittels; dagegen
                              									ergab sich aus den genannten Untersuchungen, besonders denen von Raoult, daſs bei Anwendung desselben Lösungsmittels der
                              									Werth von T für gröſse Klassen chemisch analog
                              									zusammengesetzter Stoffe einen constanten oder doch annähernd constanten Werth
                              									annimmt, mit anderen Worten, daſs Verbindungen von analoger chemischer Constitution
                              									gleiche Molekulardepressionen besitzen.
                           Raoult fand jedoch noch allgemeinere, umfassendere
                              									Gesetzmäſsigkeiten auf. Berechnet man nämlich nicht die Depression, welche 1g Substanz in 100g Lösungsmittel hervorruft, also die Gröſse A, sondern diejenige Depression, welche durch Auflösung von einem Molekül
                              									der betreffenden Substanz in 100 Molekülen des Lösungsmittels bewirkt wird, so erhält man, wenn M, wie früher, das Molekulargewicht des gelösten, M1 dasjenige des
                              									lösenden Körpers ausdrückt, die Gleichung:
                           \frac{M}{M_1}\,.\,A=\frac{T}{M_1}=T_1.
                           Aus derselben ergibt sich zunächst unmittelbar, daſs die neue Gröſse T1 einen constanten
                              									Werth besitzt, so lange T constant bleibt. Führt man
                              									aber diese Rechnungen für eine Anzahl verschiedener Lösungsmittel durch, so gelangt
                              									man zu dem höchst bemerkenswerthen Ergebnisse, daſs, obwohl die Gröſse T, wie erwähnt, von einem Medium zum anderen ihren
                              									Werth ändert, und zwar in erheblichster Weise, die Gröſse T1 dennoch mit groſser Annäherung constant
                              									bleibt. Bezeichnet man mit t1, t2, t3.... die Werthe von
                              										T für eine Anzahl beliebiger Lösungsmittel, mit m1, m2, m3.... die
                              									Molekulargewichte der letzteren, so gilt mithin:
                           
                              \frac{t_1}{m_1}=\frac{t_2}{m_2}=\frac{t_3}{m_3}=T_1=\
                                 										\mbox{Const}.
                              
                           Der Werth der Constanten schwankt nach den Versuchen von Raoult zwischen 0,59° und 0,65° und ist im Mittel
                              									gleich 0,63° zu setzen. In Worten lautet das GesetzAnn. chim. phys., [6] II, 92.: Löst
                              									man 1 Molekül einer beliebigen Substanz in 100 Molekülen eines beliebigen
                              									Lösungsmittels, so wird der Erstarrungspunkt des letzteren um 0,63°
                              									herabgedrückt.
                           Dieses Gesetz bezeichnet Raoult mit dem Namen des
                              										„allgemeinen Gesetzes der Erstarrung“ (loi générale de la congélation).
                              									Dieses Gesetz gilt zunächst für das Temperaturintervall 0 bis 80° C., da der
                              									Schmelzpunkt aller der von Raoult benutzten
                              									Lösungsmittel innerhalb dieser Grenzen lag, während noch zu untersuchen bleibt, ob
                              									das Gesetz seine Gültigkeit behält auch für Medien, welche einen höheren oder
                              									niedrigeren Schmelzpunkt besitzen.
                           Aber auch innerhalb des bezeichneten Intervalls gilt das Gesetz nicht ausnahmslos.
                              									Bei seiner soeben gegebenen Formulirung ist stillschweigend die Voraussetzung
                              									gemacht, daſs der Werth von T bei gleichbleibendem
                              									Lösungsmittel nicht allein innerhalb groſser Körperklassen constant bleibe, wie dies
                              									oben als der Wirklichkeit entsprechend ausgeführt ist, sondern daſs diese Constanz
                              									überhaupt für alle Körper gelte. Zieht man nur die organischen Verbindungen in den
                              									Kreis der Betrachtung, so scheint es in der That eine Reihe von Lösungsmitteln zu
                              									geben, welche letzterer Forderung genügen, d.h. sämmtliche organische Substanzen
                              									zeigen in ihnen die nämliche molekulare Depression. Bei einer Reihe anderer Medien
                              									ist die Bedingung wenigstens für die weitaus überwiegende Mehrzahl der Substanzen
                              									erfüllt, während eine kleine Menge von Körpern – regelmäſsig Alkohole, Phenole und
                              									Säuren – in denselben Depressionen hervorrufen, welche nur halb so groſs sind wie
                              									die „normalen“ der übrigen Substanzen.
                           
                           Ein gänzlich abweichendes Verhalten von allen übrigen untersuchten Lösungsmitteln,
                              									die sämmtlich in der erwähnten mehr oder weniger vollkommenen Weise dem allgemeinen
                              									Gesetz der Erstarrung gehorchen, zeigt jedoch das Wasser, das ja auch in vielen
                              									anderen Beziehungen eine besondere Stellung einnimmt. Allerdings besitzen, nach den
                              									bis jetzt vorliegenden Erfahrungen, alle organischen Substanzen im Wasser eine
                              									annähernd gleiche molekulare Depression T, allein aus
                              									derselben berechnet sich nicht der normale Werth T1 = 0,63, sondern ein Werth, der etwa zwischen 0,92°
                              									und 1,27° schwankt.
                           Noch weniger trifft das allgemeine Gesetz auf wässerige Lösungen anorganischer
                              									Substanzen zu, indem bei diesen T für jede Klasse von
                              									Salzen einen besonderen Werth annimmt. Da es sich jedoch in erster Linie darum
                              									handelt, die Methode zur Molekulargewichtsbestimmung organischer Substanzen, welche
                              									ja, wie gesagt, dem Raoult'schen Gesetze unterworfen
                              									sind, nutzbar zu machen, so soll auf die soeben erwähnten abnormen Verhältnisse
                              									nicht weiter eingegangen werden, zumal dieselben zur Zeit noch keine genügende
                              									Beurtheilung zulassen.
                           Wie schon oben bemerkt, rufen verschiedene organische Substanzen in einigen
                              									Lösungsmitteln Depressionen hervor, welche nur halb so groſs sind wie die normalen
                              									der übrigen Substanzen. – Demgemäſs gibt auch Raoult
                              									für jedes Lösungsmittel stets zwei Werthe der molekularen Depression T an.
                           
                              
                                 
                                 
                                    T
                                    
                                 
                              
                                 
                                 normal
                                 anormal
                                 
                              
                                 Wasser
                                 19
                                   9,5
                                 
                              
                                 Benzol
                                 49
                                 25,0
                                 
                              
                                 Eisessig
                                 39
                                 18,5
                                 
                              
                                 Naphtalin
                                 82
                                 41,0
                                 
                              
                           Die Substanzen, welche anormale Depressionen zeigen, existiren nur in kleiner Zahl,
                              									und meist ist dieselbe nicht gleich für die verschiedenen Lösungsmittel; die
                              									Essigsäure bietet eine sehr kleine Zahl von Ausnahmen dar, während das Benzol die
                              									Hälfte der normalen Depression für die Alkohole, die Säuren und die Phenole nach den
                              									Untersuchungen von Raoult und auch für die Oxime nach
                              									denjenigen von BeckmannBerichte, XXI, 766. ergibt,
                              									und ist es erwähnenswerth, daſs diese Körper, welche in jedem Lösungsmittel normale
                              									und anormale Depression hervorrufen, wohlbestimmten Gruppen angehören.Raoult, Ann. chim. phys., [6] II, 88. Paterno, Berichte, XXII, 465.
                           Das Raoult'sche Gesetz, welches sich lediglich auf eine
                              									experimentelle Grundlage stützt, ist rein empirisch, und seine Gültigkeit, wie es
                              									sich schon am Wasser gezeigt hatte und neuerdings aus den Arbeiten von HentschellZeitschr. für phys. Chem., II,
                                       											306. hervorgeht, keineswegs allgemein.
                           Nach OstwaldZeitschr. für phys. Chem., II,
                                       											311. würde der Satz von Raoult
                              									dann allgemeine Gültigkeit haben, wenn die molekulare latente Schmelzwärme dem
                              									Quadrat der absoluten Schmelztemperatur proportional wäre; dies scheint thatsächlich
                              									in einigen Fällen stattzufinden, aber nicht in allen.
                           Dagegen hat van t'HoffZeitschr. für phys. Chem., I,
                                       											497. der Methode eine sichere wissenschaftliche Grundlage
                              									gegeben.
                           Derselbe beweist durch die homologen Beziehungen, welche das Lösen und Verdampfen der
                              									Körper in Bezug auf ihre molekularen Verhältnisse zeigen, daſs die molekulare
                              									Depression eines Lösungsmittels in einfacher Beziehung zur latenten Schmelzwärme
                              									dieses Lösungsmittels steht.
                           Bezeichnet man mit T die absolute Erstarrungstemperatur
                              									(also Erstarrungstemperatur + 273) des Lösungsmittels und mit W die latente Schmelzwärme desselben, so läſst sich
                              									nach der Formel
                           
                              0,02\,.\,\frac{T^2}{W}=t
                              
                           die molekulare Depression berechnen.
                           Diese Formel ist thermodynamisch begründet und daher allgemein gültigZeitschr. für phys. Chem., II,
                                    									311..
                           Die nach dieser Formel von van t'Hoff berechneten Werthe
                              									stimmen thatsächlich mit denjenigen, welche RaoultAnn. chim. phys., [5] XXVIII. [6]
                                       											XI. durch zahlreiche Versuche festgestellt hatte, vollkommen
                              									überein.
                           
                              
                                 Lösungsmittel
                                 Gefrierpunkt T
                                 Lat. Schmelz-wärme W
                                 
                                    t=\frac{0,02\,.\,T^2}{W}
                                    
                                 Mol.Depression
                                 
                              
                                 Wasser
                                 273
                                         79
                                 18,9
                                 18,5
                                 
                              
                                 Essigsäure
                                 273 + 16,7
                                    43,2 * †
                                 38,8
                                 38,6
                                 
                              
                                 Ameisensäure
                                 273 + 8,5
                                    55,6 * †
                                 28,4
                                 27,7
                                 
                              
                                 Benzol
                                 273 + 4,9
                                 29,1 †
                                 53,0
                                 50,0
                                 
                              
                                 Nitrobenzol
                                 273 + 5,3
                                 22,3 †
                                 69,5
                                 70,7
                                 
                              
                           * Berthelot, Essai de mecanique
                                 										chimique.
                           † Petterson, Journal für praktische
                                 										Chemie (2) XXIV, 129.
                           Für ein bei 38° schmelzendes Phenol berechnete EykmannZeitschrift für phys. Chem., III,
                                       											113. nach der van t'Hoff'schen
                              									Formel die Constante T = 76, während die molekulare
                              									Depression des Phenols, aus der Raoult'schen Formel
                              									(0,62 × Molekulargewicht des Phenols) berechnet, bloſs 58,3 beträgt. Zahlreiche
                              									Versuche, welche Eykmann mit Phenol gemacht hat, um
                              									experimentell die molekulare Depression dieses Körpers festzustellen, haben zu einem
                              									Werthe geführt, der mit dem van t'Hoff'schen
                              									übereinstimmt.
                           Für Naphtalin gibt RaoultCompt. rend., CII. 1307. die
                              									molekulare Depression T = 82 an, während nach der van t'Hoff'schen Formel sich dieser Werth auf 69,4 berechnen läſst. R. FabinyiZeitschr. für phys. Chem., III,
                                       											38. erhält nun für Naphtalin einen Werth T = 70, welcher sich dem Raoult'schen nähert, jedoch erweist sich umgekehrt aus den Untersuchungen
                              										Eykmann'sZeitschr. für phys. Chem., III, 113.,
                              									daſs die molekulare Depression des Naphtalins mit dem aus der van t'Hoff'schen Formel berechneten Werthe
                              									übereinstimmend ist.
                           Diese Widersprüche können zum Theil darin eine Erklärung finden, daſs Raoult mit einer willkürlich gewählten Concentration
                              									des Lösungsmittels arbeitete und seine Werthe für die molekularen Depressionen daher
                              									immer die gleichen bleiben, unabhängig von der Concentration des lösenden
                              									Mediums.
                           Durch die van t'Hoff'sche Relation ändert sich die
                              									molekulare Depression eines Lösungsmittels stetig mit der Concentration desselben,
                              									da der Erstarrungspunkt, welcher ja mit der Concentration immer wechselt, ein
                              									Hauptfactor der Formel ist.
                           Ueberhaupt spielt die Concentration des Lösungsmittels bei der praktischen
                              									Durchführung der Methode eine äuſserst wichtige Rolle. Die Raoult sehen Gleichungen gelten nur für sehr verdünnte Lösungen.
                           Bei zunehmender Concentration des Lösungsmittels ergibt sich meist ein gleichmäſsiges
                              									Ansteigen der Molekulargewichte. Diese Verhältnisse hat BeckmannZeitschr. für phys. Chem., II,
                                       											719. durch Curventafeln veranschaulicht, in welchen die
                              									beobachteten Depressionen als Abscissen, die Molekulargewichte als Ordinaten
                              									eingetragen sind (Fig. A und B Taf. 11).
                           Dieses Ansteigen der Werthe erklärt BeckmannZeitschr. für phys. Chem., II
                                       											740. aus der Veränderlichkeit der molekularen Depressionen
                              									mit der Erstarrungstemperatur, auf welchen Umstand vorhin schon aufmerksam gemacht
                              									wurde.
                           Andererseits aber darf die Verdünnung auch nicht unter ein gewisses Maaſs
                              										herabsinkenAuwers, Berichte, XXI, 705., wenn man
                              									zu normalen Werthen gelangen will.
                           So gibt beispielsweise RaoultAnn. chim. phys., [6] VIII,
                                       										259. als Grenzen für die regelmäſsigen Werthe, bei Anwendung von
                              									Benzol als Lösungsmittel, Depressionen an, welche zwischen 0,5° und 2,5° liegen,
                              									doch hat neuerdings BeckmannZeitschr. für phys. Chem., II,
                                       											718. bei Depressionen von 0,2° und weniger schon brauchbare
                              									Werthe erhalten.
                           Eine Hauptbedingung für die Anwendbarkeit der Raoult'schen Methode ist, daſs zwischen der gelösten Substanz und dem lösenden
                              									Medium keine chemische Wirkung stattfindet.Auwers, Berichte, XXI, 705.
                              									Ausgenommen sind hierbei die Fälle, in denen die gedachte Wirkung sich auf ein
                              									einfaches Zusammentreten der beiden Körper nach bekannten Gewichtsverhältnissen beschränkt, wie z.B. bei
                              									der Auflösung eines der Hydratbildung fähigen Körpers in Wasser oder einer
                              									organischen Base in Eisessig u.s.w. Man hat in diesen Fällen nur die Menge l des Lösungsmittels, welche von den Pg gelöster Substanz
                              									fixirt werden, entsprechend in Rechnung zu tragen, wodurch die Gleichung
                           
                              A=\frac{C\,.\,L}{P\,.\,100}
                              
                           in die Form
                           
                              A=\frac{C\,.\,(L-l)}{(P+l)\,.\,100}
                              
                           übergeht.
                           Hiermit mögen die Gesetzmäſsigkeiten, auf welche sich die Methode stützt, sowie die
                              									Bedingungen, unter welchen dieselben zutreffen, genügend skizzirt sein.
                           Bemerkt sei noch, daſs RaoultAuwers, Berichte, XXI, 704.
                              									bei der Untersuchung von etwa 150 organischen Verbindungen nur zweimal zu
                              									Ergebnissen gelangte, die mit der gebräuchlichen Formulirung der Körper in
                              									Widerspruch standen; für Jodoform und Morphin fand er nämlich die Molekulargewichte
                              									doppelt so groſs, als dieselben allgemein angenommen werden.
                           Aus den neueren Untersuchungen von PaternoBerichte, XXII, 465. ergibt
                              									sich jedoch, daſs die durch das Jodoform bewirkte Depression des Benzols als normal
                              									angesehen werden muſs und daſs, wenn sie sich wirklich von der Norm entfernt, dies
                              									im entgegengesetzten Sinne erfolgt, um eine höhere molekulare Complexität
                              									anzunehmen, und sie würde höchstens beweisen, daſs das Jodoform eine theilweise
                              									Zersetzung erleidet, was auch thatsächlich der Fall zu sein scheint. Ueberhaupt sind
                              									alle Abnormitäten höchst wahrscheinlich auf Dissociationserscheinungen
                              									zurückzuführen.
                           
                        
                           II. Praktischer Theil.
                              								
                           Will man das Molekulargewicht eines beliebigen Körpers mittels der Raoult'schen Methode bestimmen, so wird es sich
                              									empfehlen, die molekulare Depression T des gewählten
                              									Lösungsmittels zuerst theoretisch, mit Hilfe der van
                                 										t'Hoff'schen Formel, zu berechnen, und dann dieselbe Gröſse durch Versuche
                              									mit Substanzen von bekanntem Molekulargewichte experimentell festzustellen.
                           Ist dies geschehen, so findet man das Molekulargewicht jeder Substanz, indem man
                              									durch eine Reihe von Versuchen den Depressionscoefficienten A bestimmt und mit dem gefundenen Werthe in T
                              										dividirtAuwers, Berichte, XXI, 704.:
                           
                              M=\frac{T}{A}
                              
                           Mit der Raoult'schen Methode erhält man im Allgemeinen
                              									keine absolut genauen
                              									Werthe für die Molekulargewichte, sondern nur Näherungswerthe.
                           Was die Schärfe der Resultate anlangt, die man mit der Methode zu erreichen vermag,
                              									so bemerkt K. AuwersBerichte, XXI, 708., daſs
                              									dieselbe wesentlich durch zwei Punkte bestimmt wird: erstens durch die Strenge, in
                              									der das Raoult'sche Gesetz überhaupt gültig ist, und
                              									zweitens durch den Grad der Genauigkeit, mit dem man den Erstarrungspunkt der
                              									Lösungen zu bestimmen vermag.
                           Der erste Punkt braucht nach dem, was im theoretischen Theile gesagt worden ist,
                              									nicht näher erörtert zu werden; was jedoch den zweiten Punkt anbelangt, so ist die
                              									Genauigkeit der Resultate einerseits von der Wahl des Apparates, andererseits aber
                              									von der Wahl und Concentration des Lösungsmittels abhängig.
                           
                        
                           
                              Die Apparate.
                              
                           Das von Raoult ursprünglich angewandte Verfahren hat auf
                              									Grund neuerer Untersuchungen über diesen Gegenstand mannigfache Abänderungen
                              									erlitten, und sind namentlich in der letzten Zeit verschiedene Apparate zur
                              									Bestimmung des Molekulargewichtes aus der Gefrierpunktserniedrigung in Vorschlag
                              									gebracht worden, deren Einrichtung und Handhabung jetzt näher besprochen werden
                              									soll.
                           Apparat von AuwersBerichte, XXI, 711. (Fig. 1 Taf.
                              									11). Der untere Theil eines Glasmantels, wie er zur Umhüllung von
                              									Dampfdichteapparaten dient, wird abgesprengt, und dieses Gefäſs, etwa 4,5 bis 5cm weit und 13 bis 16cm hoch, durch einen vierfach durchbohrten Korkstopfen verschlossen. In
                              									die mittlere Bohrung wird das Thermometer eingesetzt, und zwar so tief, daſs seine
                              									Kugel sich in der Mitte der Flüssigkeit befindet. Hinter dem Thermometer befindet
                              									sich eine Röhre mit Chlorcalcium, um die bei der Abkühlung des Apparates
                              									einströmende Luft zu trocknen. In der Bohrung A steckt
                              									eine kurze, weite Glasröhre, die ihrerseits durch einen kleinen Kork verschlossen
                              									ist; diese Röhre wird nur geöffnet, wenn durch sie ein Krystall von Eisessig in die
                              									Flüssigkeit geworfen wird, um die Erstarrung einzuleiten. In die Bohrung B ist gleichfalls eine kurze Glasröhre eingesetzt, in
                              									der sich der Stab der Rührvorrichtung aus Glas auf und ab bewegt. Um den kleinen
                              									Zwischenraum zwischen Röhre und Stab – in der Skizze der Deutlichkeit halber weiter
                              									gezeichnet als in Wirklichkeit – von der Luft abzuschlieſsen, was durchaus
                              									nothwendig ist, wenn man eine Reihe von Versuchen mit derselben Lösung anstellen
                              									will, wird ein kleiner Ballon aus sehr dünnem Gummi mit Ansatzstück, wie sie
                              									gelegentlich zu Vorlesungszwecken benutzt werden, in den man oben ein Loch
                              									geschnitten hat – oder ein sehr dünnwandiger, weiter Gummischlauch – über Röhre und
                              									Glasstab gezogen und an denselben so befestigt, daſs er den Bewegungen des Rührers
                              									folgen kann, ohne dieselben zu hindern oder selbst gespannt zu werden. Zur sicheren
                              									Befestigung werden über Röhre und Glasstab kurze, dicke, eng anliegende Stückchen
                              									Gummischlauch gezogen und an ihnen der Ballon mit Seide festgebunden. Der ganze
                              									Apparat wird in eine Klammer an einem Stativ eingespannt. In eine zweite, höher
                              									befindliche Klammer ist ein Stückchen Holz eingespannt, an welchem um ein Paar Nägel
                              									zwei Rollen drehbar sind, die man sich aus eingekerbten Korkstückchen herstellen
                              									kann. Ueber die Rollen läuft ein seidener Faden, der mittels eines Platinöhres an
                              									dem Stab des Rührwerkes befestigt ist; durch eine passende Uebertragung kann man das
                              									Rührwerk mit einer kleinen Turbine in Verbindung setzen, oder man bewegt dasselbe
                              									während des Versuches mit der Hand, was die Beobachtung in keiner Weise stört.
                           Zur Messung der Temperatur wird ein gewöhnliches Thermometer benutzt, welches von 0
                              									bis 50° in 1/10
                              									Grade getheilt ist. Die Ablesung geschieht mit einer Lupe, die in passender
                              									Entfernung vor der Scala an einem kleinen Stativ eingespannt wird.
                           Mittels einiger Uebung gelingt es, Auge, Lupe und Theilung stets in die gleiche Lage
                              									zu einander zu bringen; nötigenfalls kann die Ablesung auch mit einem Fernrohre
                              									geschehend was anfangs zur Controle der direkten Ablesungen empfehlenswerth ist. –
                              									Die Körperwärme des in groſser Nähe befindlichen Beobachters kann keinen merklichen
                              									Einfluſs auf die Angaben des Thermometers ausüben, da nach den Beobachtungen von Raoult, selbst wenn die Temperatur der Gesammtumgebung
                              									des Apparates während des Erstarrungsprozesses um 20° geändert wird, die Differenzen
                              									in den Angaben nie mehr als 0,01° betragen. Der mögliche Fehler der Ablesung beträgt
                              									etwa 0,005 bis 0,01°; hierzu kann noch ein möglicher Fehler der Theilung treten,
                              									dessen Betrag etwa eben so hoch geschätzt werden darf. Die Bestimmung des
                              									Erstarrungspunktes kann also, was die beiden erwähnten Fehlerquellen anlangt, im
                              									ungünstigsten Falle bis zu ± 0,02° fehlerhaft ausfallen. Jedoch darf angenommen
                              									werden, daſs diese extremen Fälle nur äuſserst selten vorkommen; der
                              									durchschnittliche Fehler würde vielmehr ± 0,01° nicht übersteigen. Auch müssen
                              									jedesmal eine Reihe von Controlbestimmungen angestellt werden, um etwaige Fehler der
                              									Einzelbestimmungen möglichst auszugleichen.
                           Jedenfalls ist aber, falls man nicht in der Lage ist, geprüfte Thermometer mit
                              									feinerer und weiterer Theilung zu benutzen, auf eine möglichst genaue Ablesung des
                              									Thermometers das gröſste Gewicht zu legen, da schon eine verhältniſsmäſsig kleine
                              									Ungenauigkeit hierbei den Werth einer Bestimmung gänzlich illusorisch machen kann.
                              									Die Versuche wurden von Auwers in folgender Weise
                              									angestellt: In das Gefäſs wurden etwa 100g EisessigAuwers hat mit Eisessig die besten Resultate
                                    											erzielt und daher denselben ausschlieſslich als Lösungsmittel
                                    										angewandt. abgewogen – es genügt, bis auf zehntel Gramme zu wägen –
                              									und darauf der Apparat in ein groſses Becherglas mit Wasser gesenkt, dessen
                              									Temperatur sich etwa 1 bis 2° unter der jedesmaligen Erstarrungstemperatur befand,
                              									also im Mittel etwa 14° betrug. Unter beständigem Rühren wurde der Eisessig langsam
                              									bis etwa ¼ bis ½° unter seinen Erstarrungspunkt abgekühlt und darauf durch einen
                              									eingeworfenen Krystall die Erstarrung eingeleitet. Zunächst sank der
                              									Quecksilberfaden noch um 2 bis 3 zehntel Grade, darauf stieg er erst rasch, dann
                              									langsamer, um nach kurzer Zeit seinen höchsten Stand zu erreichen, auf dem er lange
                              									Zeit unbeweglich verharrte; danach begann er äuſserst langsam zu sinken. Während der
                              									ganzen Operation wurde das Rührwerk bewegt. Man braucht das Sinken des Quecksilbers
                              									nicht abzuwarten, sondern kann den Versuch unterbrechen, sobald man sicher ist, daſs
                              									sich die Kuppe des Quecksilbers fest eingestellt hat. Dieser höchste Stand des
                              									Thermometers wurde nach Raoult als der wahre
                              									Erstarrungspunkt angenommen. – Nach Beendigung des Versuches wurde der Apparat auf
                              									ein Wasserbad gesetzt, doch so, daſs er nicht von den Dämpfen umspült werden konnte;
                              									der Eisessig, von dem nur ein kleiner Theil erstarrt war, wieder völlig aufgethaut
                              									und nun sofort die zweite Bestimmung des Erstarrungspunktes des Eisessigs in der
                              									nämlichen Weise wie die erste vorgenommen u.s.f. Hierbei zeigte es sich, daſs der
                              									fragliche Punkt in der Regel bei der zweiten Bestimmung gegenüber der ersten um
                              									0,01°, 0,02°, auch 0,03° herabgedrückt war; in einigen Fällen zeigte sich auch bei
                              									der dritten Bestimmung eine nochmalige kleine Depression gegenüber der zweiten, die
                              									jedoch nie mehr als 0,005° betrug. In anderen Fällen ergaben die beiden ersten
                              									Bestimmungen denselben oder fast denselben Werth für den Erstarrungspunkt, alsdann
                              									trat die stärkere Depression bei der dritten Bestimmung auf.
                           In allen Fällen ergab jedoch meist die dritte, spätestens die vierte Bestimmung einen
                              									Werth, der nun bei allen weiteren zur Controle unternommenen Bestimmungen sich als
                              									völlig constant erwies.
                           Es mag dahin gestellt bleiben, wie diese anfänglichen Unregelmäſsigkeiten zu erklären
                              									sind, bei denen jedenfalls die Feuchtigkeit, die zu Anfang jeder Versuchsreihe an
                              									den Wänden des Apparates und im Inneren des Ballons haftet, eine wesentliche Rolle
                              									spielt: aus der Thatsache ergab, sich die praktische Regel, nie früher Substanz in
                              									den Apparat zu bringen, bevor nicht der Eisessig einen constanten Erstarrungspunkt
                              									zeigte. Sobald dies der Fall war, wurde eine abgewogene Menge Substanz – es genügt,
                              									bis auf Milligramme zu wägen – in den Apparat gebracht, durch Rühren aufgelöst,
                              									nöthigenfalls unter gleichzeitigem, gelindem Erwärmen, und darauf wie beim reinen
                              									Eisessig in der Regel dreimal hinter einander der Erstarrungspunkt des Gemisches bestimmt. – Die
                              									erhaltenen Werthe zeigten zwischen der ersten und dritten Bestimmung eine Differenz
                              									von höchstens 0,01°. Hierauf wurde eine neue Menge. Substanz zugegeben und abermals
                              									in der Regel drei Versuche angestellt, die mit derselben Annäherung unter einander
                              									übereinstimmten. Bei dieser zweiten Reihe von Versuchen wurden sämmtliche
                              									Depressionen auf den Erstarrungspunkt bezogen, der sich bei der letzten Bestimmung
                              									der ersten Reihe ergeben hatte. Was die Zeit anlangt, die diese Versuche in Anspruch
                              									nahmen, so erforderte eine einzelne Bestimmung etwa 10 Minuten; eine ganze Reihe von
                              									gewöhnlich 11 zusammengehörigen Bestimmungen lieſs sich mit den dazu nöthigen
                              									Vorbereitungen und Wägungen bequem in 3 bis 4 Stunden ausführen.
                           Die Schärfe der Resultate, welche Auwers mit seinem
                              									Verfahren erzielt hat, sind aus folgendem VersuchsbeispieleBerichte, XXI, 715. ersichtlich. In
                              									der Tabelle bedeutet:
                           E den Erstarrungspunkt der Lösungen,
                           C die beobachtete Depression,
                           A die für 1g Substanz
                              									und 100g Eisessig berechnete Depression,
                           M das daraus berechnete Molekulargewicht.
                           Die Zahlen sind mit Hilfe des von Raoult für die
                              									molekulare Depression des Eisessigs aufgestellten Werthes T = 39 berechnet.
                           Naphtalin, C10H8, M = 128.
                           Erstarrungspunkt des Eisessigs: 16,100°.
                           Angewandt: 1g,7865 Naphtalin in 101g,0 Eisessig. Gefunden:
                           
                              
                                 
                                    E
                                    
                                 
                                    C
                                    
                                 
                                    A
                                    
                                 
                                    M
                                    
                                 
                              
                                 15,595°
                                 0,505°
                                 0,286°
                                 136
                                 
                              
                                 15,595°
                                 0,505°
                                 0,286°
                                 136
                                 
                              
                                 15,595°
                                 0,505°
                                 0,286°
                                 136
                                 
                              
                                 
                                 
                                 –––––
                                 ––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 0,286°
                                 136.
                                 
                              
                           Zugesetzt: 0g,7937 Naphtalin. Gefunden:
                           
                              
                                 
                                    E
                                    
                                 
                                    C
                                    
                                 
                                    A
                                    
                                 
                                    M
                                    
                                 
                              
                                 15,380°
                                 0,215°
                                 0,247°
                                 142
                                 
                              
                                 15,380°
                                 0,215°
                                 0,247°
                                 142
                                 
                              
                                 15,380°
                                 0,215°
                                 0,247°
                                 142
                                 
                              
                                 
                                 
                                 –––––
                                 ––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 0,247°
                                 142.
                                 
                              
                           
                              
                                 Theorie
                                 Mittel der Versuche
                                 
                              
                                 M = 128
                                 M = 139.
                                 
                              
                           
                              (Schluſs folgt.)
                              
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
