| Titel: | Die Entwickelung des deutschen Patentwesens und dessen Einwirkung auf die Industrie. | 
| Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 463 | 
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                        Die Entwickelung des deutschen Patentwesens und
                           								dessen Einwirkung auf die Industrie.
                        Die Entwickelung des deutschen Patentwesens.
                        
                     
                        
                           So ungemein viel in letzter Zeit namentlich über das Patentwesen und unser deutsches
                              									Patentgesetz insbesondere geschrieben worden ist, so kann doch von einer
                              									erschöpfenden Behandlung der Sache bisher nicht die Rede sein. Eine geschlossene
                              									Würdigung der Gesetzgebung oder gar der Versuch einer Kritik ihrer Einwirkung auf
                              									die Industrie war noch nicht vorhanden, trotzdem gewiſs das Thema ein hohes
                              									Interesse für Techniker und Juristen, für Volkswirthe und Politiker hätte bieten
                              									müssen.
                           Nun liegen uns über das Patentwesen zwei bedeutungsvolle Werke vor, welche die
                              									allgemeinste Beachtung verdienen. Das eine hat den jetzigen Präsidenten des
                              									Kaiserlichen Patentamts, Herrn Wirklichen Geheimen Legationsrath von Bojanowski, zum Verfasser und betitelt sich: Ueber die Entwickelung des deutschen Patentwesens in der
                                 										Zeit von 1877 bis 1889, während das zweite, vom Geheimen Regierungsrath
                              									Professor Hartig in Dresden herrührende Werk Studien in der Praxis des Kaiserlichen Patentamts
                              									benannt ist. Wenn auch beide Werke auf verschiedenem Boden stehen und keineswegs in
                              									einander übergreifen, so können sie doch wohl eine gemeinsame Besprechung erfahren,
                              									weil sie gesunde Anschauungen über unser Patentwesen entwickeln und sich eins sind
                              									in dessen groſsem Einfluſs auf die industrielle Entwickelung.
                           In dem erstgenannten Werke legt der Verfasser zunächst in einer klaren Uebersicht die
                              									Schwierigkeiten dar, welche sich im Jahr 1877 dem neuen Gesetze gegenüber stellten,
                              									und erinnert daran, daſs damals das Patentgesetz nur als ein Versuch angesehen wurde
                              									und seine Entstehung nur der derzeitigen wirthschaftlichen Nothlage verdankte. Die
                              									maſsgebenden Körperschaften, aber auch die Industrie standen dem Patentgesetz
                              									wenigstens sehr kühl gegenüber, enthält doch der Kommissionsbericht des Reichstages
                              									die Bemerkung: „daſs eine Gewerbe und Industrie treibende Nation, wie die
                                 										deutsche, den gesetzlichen Schutz neuer gewerblicher Erfindungen wenigstens zur Zeit nicht entbehren könne, und daſs
                                 										die Vortheile eines guten Patentgesetzes die Nachtheile der damit verbundenen
                                 										Beschränkungen der gewerblichen Freiheit überwiegen.“ Auch das damalige
                              									Reichskanzleramt gab sich nicht besonders hohen Erwartungen hin, und die Begründung,
                              									mit der es den Gesetzentwurf dem Reichstage vorlegte, enthielt den Satz: „Die
                                 										Frage, ob der Patentschutz für die Entwickelung des Gewerbefleiſses wirklich von
                                 										so erheblicher Bedeutung ist, wie heutzutage vielfach angenommen wird, kann auf
                                 										sich beruhen bleiben.“
                           Wenn das deutsche Patentgesetz sein Leben fast nur dem Umstände verdankt, daſs
                              									Deutschland betreffs des industriellen Schutzes nicht hinter seinen Nachbarstaaten
                              									zurückstehen dürfe, so ist fast zu bewundern, daſs die damaligen Gesetzgeber das Patentgesetz auf
                              									wesentlich anderer Grundlage aufbauten, als sie seitens der übrigen Industriestaaten
                              									geboten wurde. Gerade aus dieser Gestaltung und Ausbildung des Gesetzes hat sich
                              									aber der günstige Einfluſs auf die Industrie entwickeln können. Das deutsche
                              									Patentgesetz ist auf der Grundlage des Vorprüfungsverfahrens geordnet und ist zwar
                              									der Form nach einengend, aber wegen des Ausschlusses von Willkürlichkeiten zur
                              									Wahrung des betheiligten Interesses besser dienlich. In der Formgebung wie in der
                              									Handhabung war das Patentgesetz geeignet, die deutschen Gewerbetreibenden mit den
                              									besten Hoffnungen zu erfüllen. Trotzdem war gerade die Jugend des Patentgesetzes
                              									wenig friedvoll. Vielfache Erwartungen auf die Wirkung des Gesetzes wurden
                              									enttäuscht, und führte eine starke Bewegung gegen das Wesen des Gesetzes im Jahre
                              									1886 zur Veranstaltung einer Enquete, deren Ergebniss die Grundlage zu dem demnächst
                              									vom Reichsamte des Innern zu veröffentlichenden Revisionsentwurf abgegeben hat.
                           Zur Vermeidung von irrigen Ansichten sei besonders betont, daſs die Gegnerschaft
                              									gegen das Patentgesetz niemals ihren Ausdruck in dem Wunsche fand, die Erfindungen
                              									möchten nicht mehr geschützt werden, oder vor dem Schütze nicht mehr geprüft werden,
                              									sondern daſs ausschlieſslieh einzelne Bestimmungen des Gesetzes, sowie besonders die
                              									Art des Prüfungs- und Ertheilungsverfahrens sowie die Gestaltung des Amtes selbst
                              									angegriffen wurden. Die Grundzüge des Patentgesetzes sind stets unberührt gelassen,
                              									so daſs man deren allgemeine Anerkennung wohl feststellen darf.
                           Der Verfasser gibt rückhaltlos zu, daſs der gröſste Theil dieser Angriffe wohl
                              									begründet sei und daſs eine Abhilfe in dieser Beziehung zur vollen segensreichen
                              									Entwickelung des Gesetzes durchaus nothwendig sich erweise. Namentlich ist
                              									interessant und wird auch der Grund hierfür nachzuweisen versucht, daſs die vor und
                              									kurz nach dem Erlaſs des Patentgesetzes sehr kräftige Gegnerschaft gegen das sogen.
                              									Prüfungsverfahren der zur Patentirung vorgelegten Erfindungen völlig verstummt ist,
                              									daſs gerade in der scharfen Prüfung der Neuheit einer Erfindung ein besonders
                              									segensreicher Einfluſs auf die Entwickelung der Industrie und den Werth der Patente
                              									selbst fühlbar geworden ist.
                           Der Verfasser gliedert seinen Versuch der Darlegung der Wirkungen des Patentgesetzes
                              									in drei Theile: 1) die wirthschaftliche Bedeutung des Patentgesetzes; 2) der
                              									Einfluſs des Patentwesens auf die Technik und Industrie; 3) die Entwickelung des
                              									Patentrechts.
                           
                        
                           I. Die wirthschaftliche Bedeutung des
                                 										Patentwesens.
                              								
                           Für die wirthschaftliche Entwickelung eines Gemeinwesens ist die Gewinnung neuer oder
                              									verbesserter Gebrauchswerthe und die Anwendung neuer oder verbesserter
                              									Arbeitsverfahren und Werkzeuge in den Gewerben als wünschenswerth und nothwendig
                              									anzuerkennen. Demgemäſs ist auch die Fürsorge für Gewinnung solcher Gebrauchswerte
                              									oder die Förderung der Anwendung von Arbeitsverfahren und Werkzeugen der gedachten
                              									Art nothwendig. Die Zuführung neuer oder verbesserter Arten des Arbeitsverfahrens
                              									und dergl. entspringt der Anregung seitens des Erfinders. Da nun aber die praktische
                              									Ausgestaltung einer Erfindung meistens langwierige, mit Opfern an Zeit und Geld
                              									verbundene Versuche, Herrichtung von Anlagen, Ausbildung eines Arbeiterstammes,
                              									Einführung in den Verkehr u.a.m. erfordert, anderseits bei augenscheinlichem
                              									praktischem Werthe der Erfindung sofort Gefahr durch Wettbewerb entsteht, so ergibt
                              									sich ohne Weiteres, daſs der Erfinder nur angeregt werden kann, sich diesem Risiko
                              									zu unterwerfen und dadurch die Erfindung auch der Allgemeinheit zugänglich zu
                              									machen, wenn ihm gegenüber Anderen ein Ausschlieſsungsrecht gewährt wird. Das
                              									heiſst: Er wird sich zur Ausführung seiner Erfindung nur dann entschlieſsen, wenn er
                              									durch Verleihung eines Patentes allein für befugt
                              									erklärt wird, innerhalb eines längeren Zeitraumes den geschützten Gegenstand
                              									gewerbsmäſsig herzustellen, in Verkehr zu bringen und feil zu halten.
                           Im Gegensatz zu der früheren Anschauung über das Wesen eines Patents, als sei
                              									dasselbe eine Belohnung für den Erfinder, ist in Folge des durch das Gesetz
                              									bestimmten und vom Patentamte geübten Prüfungsverfahrens jetzt ein wesentlich
                              									anderer Standpunkt festgehalten. Die Gefahr einer Ueberschwemmung von Industrie und
                              									Handel mit werthlosen Patenten ist durch den Grundsatz vermieden, daſs ein gutes
                              									Patentgesetz nicht die Patentirung jeder Erfindung zulassen dürfe. Es hat sich das
                              									Verlangen als gerechtfertigt erwiesen, daſs seitens des Patentamts vor Ertheilung
                              									des Patentes ein Urtheil über die Neuheit der Erfindung zu erwerben sei. Je strenger
                              									die Prüfung ist, desto werthvoller erscheint das Patent und desto mehr wird die
                              									Gefahr abgewendet, daſs die Gewerbetreibenden irgend eine Behinderung erfahren.
                           Besonders wird darauf hingewiesen, daſs trotz der vom Patentgesetz verlangten
                              									gewerblichen „Verwerthbarkeit“ der Erfindung mit dem Patente kein Beweis eines
                              									wirklichen fassbaren Werthes der Erfindung gegeben sei.
                              									Der eigentliche, überhaupt erst später mit Sicherheit festzustellende „Werth“
                              									einer Erfindung unterliegt nicht der Prüfung und kann auch nicht der Prüfung
                              									unterliegen. Es ist ebensowohl denkbar, daſs auch die meistversprechende Erfindung
                              									aus lediglich äuſseren Gründen: Ungunst der Conjunctur, fehlerhafte Geschäftsleitung
                              									und dgl. mehr ohne praktische Erfolge bleibt, als daſs scheinbar Unbedeutendes
                              									später erhebliche Bedeutung erlangt.
                           Wenn der Gewerbefreiheit die Absicht zu Grunde liegt, die Thätigkeit des Einzelnen
                              									nicht zu hemmen, so ergibt sich als weitere Folge auch die Zulässigkeit
                              									unmittelbarer Förderung mittels rechtlicher Anerkennung der Leistungsfähigkeit da, wo
                              									das immaterielle Gut ohne begleitende Einwirkung der Staatsgewalt zum Vortheil des
                              									Einzelnen und der Gesammtheit gar nicht nutzbar gemacht werden kann. Hier gewährt
                              									der Erfindungsschutz Hilfe. Das Patentgesetz hat seinen Zweck: den Erfindungsgeist
                              									in nutzbringender Weise anzureizen, erfüllt, ohne daſs um seinetwillen das höhere
                              									Interesse Schmälerung erfahren hätte.
                           Man sagt: zum Entdecken gehört Glück, zum Erfinden Geist, und beide können beides
                              									nicht entbehren. Dem Erfinder fällt also mit Recht ein Mehr an Geist zu, weil eben
                              									die Erfindung keine Folge eines glücklichen Ungefährs ist. Das volle Verständniſs
                              									für die Erfindung ist abhängig von dem vollen Verständniſs des wirthschaftlichen
                              									Bedürfnisses, das zuerst als vorhanden erkannt und als ein vermöge bestimmter Mittel
                              									paſslich zu stillendes geistig erfaſst zu haben, das Verdienst des Erfinders
                              									bildet.
                           Bei dem Patentamte sind in den 12 Jahren seiner Thätigkeit über 100000 Erfindungen
                              									angemeldet, welche sämmtlich als Fortschritte gelten sollten. Von diesen Anmeldungen
                              									ist etwa die Hälfte nach dem Ergebnisse der Prüfung als neu und gewerblich
                              									verwerthbar gehalten. Drei Viertheile dieser Patente sind wieder gelöscht, während
                              									nur ein Viertheil, noch in Kraft stehend, als lebensfähig sich erweist.
                           Die Handhabung des Patentwesens ist insofern bemängelt worden, als sie zu einer
                              									Ueberfluthung des Reichs mit einer Fülle von Patenten führe, welche der freien
                              									Entwickelung der Industrie hinderlich wäre. Dasselbe wurde in der Enquête von 1886
                              									wiederholt. Andererseits wurde die Prüfungseinrichtung wegen der mit derselben für
                              									die Patentsucher verbundenen Belästigungen abfällig beurtheilt und die Erlangung von
                              									Patenten als übermäſsig erschwert bezeichnet.
                           So wenig dem Patentamte die Pflicht zufällt, einer solchen thatsächlichen
                              									Ueberfluthung vorzubeugen, so wenig läſst sich der wirkliche Werth einer Erfindung
                              									bestimmen.
                           Wirthschaftlich erscheinen naturgemäſs diejenigen am werthvollsten, welche die
                              									Gewerbe fördern. Welche Verhältnisse für den Einzelnen dahin bestimmend wirken, daſs
                              									er auf das Patentrecht verzichtet, entzieht sich der Forschung.
                           Thatsächlich verdient zur Beleuchtung dieser Frage der Umstand vollste Beachtung,
                              									daſs seitens der Ausländer in vielen Fällen nur ein deutsches Patent nachgesucht
                              									wird, um durch den Ausfall des Prüfungsverfahrens einen Gradmesser für den Werth der
                              									Erfindungen zu erhalten. Es ist eine Thatsache, daſs die Finanziirung gröſserer, auf
                              									Patentausnutzung beruhender Unternehmungen im Auslande sich weitaus mehr Gewinn
                              									bringend in den Fällen durchführen läſst, in denen ein deutsches Patent vorliegt,
                              									als nach stattgehabter Versagung eines solchen. Der Ausländer sucht also ein Patent
                              									in Deutschland nach, ohne an die Ausführung hier zu denken, nur um seine Erfindung
                              									im Auslande als unanfechtbarer hinzustellen, weil sie in Deutschland das
                              									Prüfungsverfahren durchgemacht und bestanden habe!
                           Einem Gebiete entsprungen, auf dem die Bereiche zweier Wissenschaften in einander
                              									übergreifen, derjenige der Technologie und der der Rechtskunde, sucht und findet das
                              									Patentwesen Wirkung in der Volkswirthschaft. Daſs die Technik der deutschen
                              									Industrie sich in den letzten zehn Zähren in hohem Maſse vervollkommnet hat, ist
                              									eine Thatsache, welche mit der Wirkung des Patentgesetzes wohl in Zusammenhang
                              									gebracht werden kann.
                           
                        
                           II. Der Einfluſs des Patentwesens auf
                                 										die Technik und Industrie.
                              								
                           Aus dem Umstände, daſs ein groſser Theil der Erfinder nicht geschulte Techniker und
                              									Industrielle sind, ist unmittelbar zu schlieſsen, daſs die groſse Zahl der von
                              									diesen gemachten Erfindungen für die Industrie unbedingt verloren sein würden, wenn
                              									nicht in den Patentschriften eine Vermittelung geschaffen wäre. Auch eine Ausführung
                              									solcher Erfindungen seitens Gewerbetreibender ist in Folge der Bekanntwerdung
                              									leichter herbeizuführen. Jedenfalls ist die Bekanntgabe der gemachten Erfindungen
                              									eine Sache von der gröſsten Wichtigkeit, denn selbst wenn die Ausführung einer
                              									Erfindung durch irgend welche Umstände dem Erfinder unmöglich ist, so bleibt die
                              									Erfindung selbst Gemeingut und als solche ein bekanntes, nicht noch zu erforschendes
                              									Glied der Kette unserer industriellen Entwickelung.
                           Die vorhandenen 50000 Patentschriften bilden eine im besten Sinne des Wortes
                              									popularisirte Darstellung technischer Erfindungen. Sie tragen sinnreiche Ideen in
                              									alle betheiligten Kreise, vermitteln die Kenntniſs der die Gegenwart erfüllenden
                              									technischen Bestrebungen und klären andererseits bestehende Irrthümer. Ein Blick in
                              									unsere Literatur gibt schon den Beweis des Einflusses der Patentschriften.
                           Der Verfasser geht nun auf die einzelnen Industriezweige ein und erörtert die
                              									Erfindungsthätigkeit, gleichzeitig hier und da ein treffendes Streiflicht auf die
                              									seitens der Patentwirthschaft hervorgerufene Entwickelung werfend.
                           In der Zeit vom 1. Juli 1877 bis 31. December 1888 sind 1486
                              									Patente auf Verbesserungen der Dampfmaschinen und Geschwindigkeitsregulatoren
                              									nachgesucht, 1035 Patente thatsächlich ertheilt worden. In der Mehrzahl betreffen
                              									die bezüglichen Erfindungen die Steuerung der Dampfmaschine, d. i. die Organe,
                              									welche die Vertheilung des treibenden Dampfes auf die beiden Kolbenseiten, den
                              									Eintritt des Dampfes in den Cylinder, die Absperrung und den Auslaſs des Dampfes
                              									bezwecken. Von diesen Patenten sind in dem nämlichen Zeitraum etwa 72 Proc. wegen
                              									Versäumniſs der Gebührenzahlung erloschen. Der finanzielle Erfolg mag nicht
                              									befriedigt haben; die Ursachen des Fehlschlagens mögen technischer oder
                              									geschäftlicher oder persönlicher Natur gewesen sein. Immerhin ändert dies nichts an
                              									dem Werthe der Thatsache, daſs jede dieser Erfindungen die Lösung eines Problems
                              									enthält, geeignet, den Gesichtskreis des Dampfmaschinenbauers zu erweitern. Dieser
                              									Erfolg ist auch nicht ausgeblieben. In Wirklichkeit haben die Dampfmaschinen in
                              									Bezug auf Dampfersparniſs, hohe Geschwindigkeit, Gleichförmigkeit der Bewegung und
                              									zur Anpassung fähigen,
                              									handlichen Aufbau sich in hohem Maſse der Vollkommenheit genähert, welche auf den
                              									einzelnen Gebieten der Industrie begehrt wird.
                           Das Bedürfniſs nach einer von den örtlichen Umständen in jeder
                              									Beziehung möglichst unabhängigen Kraftmaschine hat längst bestanden und u.a. auch zu
                              									dem Versuch geführt, den Kohlenwasserstoff bezieh. das Leuchtgas mit dem Wasserdampf
                              									in Concurrenz treten zu lassen. Es ist hier nicht am Orte, in den Streit über den
                              									zeitlichen Vorrang der Erfindung der ersten Gaskraftmaschine einzutreten;
                              									unbestritten ist, daſs z. Z. die deutschen Gaskraftmaschinen für die vollkommensten
                              									ihrer Art gelten. Welches Geschäftshaus auf diesem Gebiete die erste Stelle
                              									einnimmt, ist bekannt; nicht minder bekannt ist, daſs dieses Haus bereits vor
                              									Einführung des Patentgesetzes seine Construction im Wesentlichen ausgebildet hatte.
                              									Die Landespatente der Firma wurden aber in Reichspatente umgewandelt, und erst unter
                              									dem Schütze des Gesetzes hat die Fabrikation die ihr heute beigemessene hohe
                              									Bedeutung erlangt. Nach Maſsgabe der Vorschriften eben desselben Gesetzes hat jedoch
                              									auch die technische Welt erst rückhaltlos Einsicht in die durch die fraglichen
                              									Gasmaschinen verkörperte geistige Arbeit gewonnen. Die Zahl derer, welche diese
                              									Arbeit aufnahmen und weiter verfolgten, um auf anderem Wege und mit anderen Mitteln
                              									dieselben oder noch höhere Erfolge zu erzielen, ist seitdem stetig gewachsen. Die
                              									Patentschriften einerseits, die gerichtlichen Verhandlungen mit den von den Parteien
                              									beigebrachten Gutachten andererseits legten die Vorgänge in der Gasmaschine und die
                              									hierauf bezüglichen Wahrnehmungen unparteiischer Sachverständigen soweit klar, als
                              									es nach dem dermaligen Stande der Wissenschaft möglich war. – Auch dieser Fall
                              									dürfte wohl geeignet sein als Belag für den Nachweis zu dienen, daſs der
                              									Erfindungsschutz den Wettbewerb nur anregt. Die Schranke des Patents nicht vorhanden
                              									gedacht, würde voraussichtlich höchstens eine wenig ehrenhafte Concurrenz bemüht
                              									gewesen sein, dieselbe Maschine nachzuahmen und, um überhaupt Absatz zu erzielen,
                              									billiger, muthmaſslich daher auch schlechter zu bauen. Nun schützte das Patent die
                              									ältere Firma gegen Nachahmung ihrer Erzeugnisse; das Patentgesetz aber sicherte
                              									gleichzeitig auch der selbständigen geistigen Arbeit des Concurrenten den
                              									gebührenden Schutz und gab Aufschluſs darüber, wo Mängel zu beseitigen und die
                              									Aufnahme des Wettbewerbes mit Aussicht auf Erfolg möglich sei. Aus Anlaſs dieser
                              									Verhältnisse hat der Bau von Gaskraftmaschinen im Laufe der zwölf Jahre eine vordem
                              									ganz unwahrscheinliche Ausdehnung gewonnen. Sie muſs jetzt fast noch mehr im
                              									Hinblick auf die mannigfachen, gegenwärtig concurrirenden Systeme von Kraftmaschinen
                              									überhaupt überraschen.
                           Das Bedürfniſs nach Kraftmaschinen für gewerbliche Betriebe
                              									geringen Umfanges hat nämlich zur Vervollkommnung der Heiſsluftmaschinen und der
                              									kleinen Kesseldampfmaschinen geführt. Diese sind bestimmt, als Ersatz der
                              									Gasmaschinen da einzutreten, wo geeignetes Gas zu niederem Preise nicht zu
                              									beschaffen ist. Welche Bedeutung der Bau solcher Kleinkraftmaschinen zu erlangen
                              									vermocht hat, zeigen die statistischen Erhebungen. Ihnen zufolge sollen im Reiche
                              									28000 Kleinmotoren, d.h. Gas-, Benzin- und Heiſsluft-Kraftmaschinen, neben etwa
                              									45000 Dampfmaschinen (einschlieſslich Locomobilen) in Betrieb stehen.
                           Im Hinblick auf die den Verkehrsmitteln in jedem Falle zukommende
                              									groſse Bedeutung wird es nicht überraschen zu erfahren, daſs Erfindungen, welche
                              									Personen- und Lastenbeförderung betreffen (Eisenbahnen, Seilbahnen, Wagenbau, Reit-
                              									und Zuggeschirr, Schiffbau) in verhältniſsmäſsig groſser Zahl eingehen. Bis zum
                              									Ablauf des Jahres 1888 sind über 7000 Patente nachgesucht, mehr als 3000 Patente
                              									ertheilt worden.
                           Von besonderer Wichtigkeit für das Eisenbahnwesen sind die
                              									Patentschriften, deren Inhalt Signal- und Weichenstell-Vorrichtungen, Kuppelungen,
                              									Bremsen, Beleuchtung und Heizung, sowie sämmtliche inneren Einrichtungen der Wagen
                              									betrifft, ferner diejenigen, welche die Entwicklung der Secundärbahnen, der
                              									Straſsenbahnen, der fliegenden Bahnen mit Dampf-, Luft-, elektrischem, Seil und
                              									Pferde-Betriebe zum Gegenstande haben. Die fliegenden Bahnen sind geeignet, ohne
                              									Vorbereitung des Erdkörpers, in kürzester Zeit gelegt, aufgenommen und an anderer
                              									Stelle wieder benutzt zu werden. Sie haben bekanntlich schon früher in dem Bergbau, in neuerer
                              									Zeit aber auch für militärische Zwecke, sowie im land- und forstwirthschaftlichen,
                              									dann im Fabrikbetriebe ausgedehnte Anwendung gefunden; ohne die sogen. Feldbahnen
                              									würde z.B. die für die deutsche Landwirthschaft heute so bedeutungsvolle Moorkultur
                              									gar nicht denkbar sein.
                           Von hervorragend praktischer Bedeutung sind gewisse unter
                              									Patentschutz gestellte Verbesserungen im Wagenbau und in der Einrichtung der
                              									Zuggeschirre. Es spricht doch nicht dafür, daſs, wie Zweifler an dem Nutzen des
                              									Erfindungsschutzes behaupten, Erfindungen sich jeder Zeit auch ohne Patent dem
                              									Bedürfniſs darbieten, wenn eine einfache Einrichtung gleich derjenigen, welche
                              									gestattet, ein Kummet der Brust jeden Pferdes anzupassen, thatsächlich dem Gebrauche
                              									erst nach Gewährung des Patentschutzes dargeboten worden ist. Die Dringlichkeit des
                              									Bedürfnisses wird wohl stets empfunden worden sein und ist jedem Laien verständlich,
                              									auch ohne den Beweis, der darin zu erblicken sein dürfte, daſs ein bereits im Jahre
                              									1878 patentirtes stellbares Kummet für sämmtliche Zugpferde der Heeresverwaltung
                              									beschafft worden ist. Noch nach jenem Patente sind Erfindungen von Stellkummeten in
                              									gröſserer Zahl patentirt worden; zum Theil stehen die bezüglichen Patente noch heute
                              									in Geltung.
                           Die Bedeutung der in ihrer jetzigen Gestalt vom Auslande her
                              									eingeführten Fahrräder mag zweifelhaft sein. Nicht zweifelhaft aber ist der aus der
                              									Herstellung derartiger Fahrzeuge erzielte wirthschaftliche und technische Gewinn.
                              									Deutschland beschäftigt bereits mehr als 1500 Arbeiter mit der Anfertigung von
                              									Fahrrädern; nicht unerwähnt mag sein, daſs diese eigenthümliche Industrie zu
                              									Herstellung besonderer Constructionsdetails und von Werkzeugen geführt hat, welche
                              									eine über den augenblicklichen Zweck hinausgehende Anwendung gestatten.
                           Der Rolle, welche gegenwärtig die Elektricität auf allen Gebieten
                              									des Verkehrs und der Gewerbe spielt, entspricht die Lebhaftigkeit der erfinderischen
                              									Thätigkeit. Bis zum Schlusse des Jahres 1888 sind allein in der die elektrischen
                              									Apparate betreffenden Patentklasse (21) 3186 Erfindungen angemeldet, 1569 Patente
                              									ertheilt worden. Wohl aber ebenso viele, wenn nicht noch zahlreichere Anmeldungen
                              									bezieh. Patente, welche Anwendungen des elektrischen Stromes zum Gegenstande haben,
                              									entfallen noch auf die übrigen Patentklassen; kaum dürfte es ein Gebiet der
                              									gewerblichen Technik geben, auf dem Elektricität nicht Anwendung findet, oder nicht
                              									versuchsweise Anwendung gefunden hat. Von der Vermittelung des mündlichen oder
                              									schriftlichen Verkehrs zu reden, heiſst Bekanntes wiederholen; ebenso bedarf die
                              									elektrische Beleuchtung nicht weiter Worte der Würdigung. Auf so enge Gebiete läſst
                              									sich aber die Kraftentfaltung der Elektricität nicht mehr beschränken. Hier dient
                              									sie zur Trennung von Zucker und Aetzkali, dort zur Förderung des Gerbprocesses, dann
                              									übernimmt sie die Verhüttung von Erzen, täuscht in angenehmer Weise mittelst der
                              									Plattirung von Metallwaaren, erzeugt plastische Kunstwerke und Druckformen,
                              									befördert Lasten, treibt einen mehrscharigen Pflug oder eine Uhr, entzündet Lampen
                              									oder eine vernichtende Sprengladung, kontrolirt die Ehrlichkeit und den Fleiſs,
                              									setzt Maschinen in und auſser Betrieb, benachrichtigt an beliebigen Stellen den
                              									Besitzer von den Vorgängen an seinem Dampfkessel oder in seiner Fabrik, regulirt
                              									Temperaturen bis auf Bruchtheile eines Grades u.s.w. Wohin das Auge sich wendet,
                              									findet es die Elektricität geschäftig eingreifend. In neuester Zeit hat sie sich
                              									dazu hergegeben, Metalle zu schweiſsen oder zu löthen, ein Dienst, der dann
                              									besonders werthvoll erscheint, wenn Ausbesserungen nothwendig sind; wird doch in den
                              									meisten Fällen die Schweiſsung an Ort und Stelle und ohne Zerlegung des
                              									reparaturbedürftigen Stückes möglich.
                           Bei der groſsen Ausdehnung der Anwendung von Elektricität ist der
                              									Verzicht darauf angezeigt, die Erfolge im Einzelnen nachzuweisen. Nur beiläufig sei
                              									erwähnt, daſs bereits vor drei Jahren 3427 elektrische Maschinen, 11485 Bogenlampen
                              									und 164438 Glühlampen im Reiche nachgewiesen worden sind und daſs im vergangenen
                              									Jahre 174 Städte Fernsprechanlagen mit 31325 Sprechstellen besaſsen. In 1888 waren
                              									im Deutschen Reiche vorhanden: etwa 5000 Dynamomaschinen, 15000 Bogenlampen, 170000
                              									Glühlichtlampen (davon in Berlin allein 23363 = 2 Proc. der Gasbeleuchtung), ferner
                              									im Bereiche der Reichs-Telegraphen-Verwaltung 1889: 176 Städte-Fernsprech-Einrichtungen, 33460
                              									Fernsprechstellen (davon in Berlin allein 10000 mit täglich 196691 Gesprächen),
                              										48829km Leitungen.
                           Auf Erfindungen, welche sich mit der Vervielfältigung von Schrift-
                              									und Bildwerken (Typographie, Lithographie, Zinkographie, Hoch- und Tiefdruck,
                              									Photographie u.s.w.) beschäftigen, sind nahezu 1000 Patente ertheilt worden. In den
                              									einzelnen Zweigen dieser Technik mit besonderem Eifer verfolgte Ziele sind:
                              									Typen-Setz- und Ablegemaschinen, Matrizenprägemaschinen, Numerir-, Stempel-,
                              									Perforirmaschinen, Schreibmaschinen, Lichtdruck.
                           Die Bedeutung der Papierfabrikation für Deutschland ergibt sich
                              									u.a. aus den Werthbeträgen der Ausfuhr, welche sich in 1885 auf 79400000 M.
                              									bezifferten und bereits damals von keinem anderen Lande erreicht wurden;
                              									Groſsbritannien vermochte nur 67200000 M. zu erreichen. Auch die Zunahme der Ausfuhr
                              									ist für Deutschland in dem Zeitraume 1881 bis 1885 die gröſste, nämlich 22 Millionen
                              									M.; für Groſsbritannien betrug sie nur 8600000 M., Frankreich und Belgien haben
                              									sogar einen Rückgang um 6800000 M. bezieh. 400000 M. zu verzeichnen. In 1888
                              									bezifferte sich der Werth der Ausfuhr auf etwa 100 Millionen Mark. Diese Erfolge
                              									verdankt Deutschland vornehmlich der Erfindung und der Weiterentwickelung der
                              									Holzschleiferei sowie dem hohen Stande der Technik in der Herstellung von Holzstoff,
                              									welcher ebenfalls hauptsächlich auf die Bemühungen deutscher Industriellen
                              									zurückzuführen ist; 500 Holzschleifereien erzeugen jährlich etwa 85 000 Tonnen
                              									Holzschliff. Sie verarbeiten zusammen mit den Holzzellstoff-Fabriken – Gewinnung der
                              									Faser nicht auf mechanischem Wege, sondern mittels Einwirkung chemischer Agentien –
                              									schätzungsweise 900000 Festmeter Nadelholz, d. i. den Ertrag von 200000ha forstwirthschaftlich benutzter Bodenfläche.
                              									Ungefähr 10½ Millionen der oben genannten Ausfuhrwerthsumme entfallen auf chemisch
                              									erzeugten Holzzellstoff. Die wesentlichsten technischen Fortschritte auf diesem
                              									Gebiete gehören den letzten zehn Jahren an; etwa 400 Patentschriften bieten
                              									werthvollstes Material der Belehrung.
                           Der Buchbinderei und Cartonagenfabrikation werden Draht- und
                              									Fadenheftmaschinen in gröſserer Zahl geboten. Ein Geschäftshaus besitzt seit 1885 24
                              									deutsche Patente zur Herstellung von Pappschachteln mit Blechkanten. Von 1700
                              									verkauften Maschinen solcher Art befinden sich zwei Drittheile in Deutschland und
                              									Oesterreich-Ungarn. In beiden genannten Ländern sind 5 bis 6000 Menschen mit der
                              									Herstellung von jährlich 100 Millionen Schachteln, davon allein zu
                              									Munitionsverpackung mehr als 150000 Stück täglich, beschäftigt. Briefordner oder
                              									Sammelmappen für Schriftstucke u.s.w. scheinen einem in weiteren Kreisen fühlbaren
                              									Bedürfnisse zu genügen. Ein Geschäftshaus hat von dem ihm patentirten Geräthe
                              									solcher Art seit 1884 etwa 200000 Stück überhaupt, in Deutschland allein 120000
                              									Stück abgesetzt. Die Copirmaschinen sind derart verbessert worden, daſs angeblich in
                              									einer Minute 30 bis 35 Briefe copirt werden können. Zahlreiche der kleinen
                              									Handgeräthe, so auch Bleistifthalter, wurden ehedem vom Auslande her bezogen.
                           Etwa 1600 Patentschriften geben Aufschluſs über die auf
                              									Beleuchtung vermittels Gases und tropfbar flüssiger oder fester Leuchtmaterialien
                              									bezüglichen Erfindungen.
                           Die Summe der Patente auf Feuerung, Heizung und Lüftung dürfte
                              									mindestens 3000 betragen. In den statistischen Klassennach Weisungen mit den
                              									bezüglichen Bezeichnungen sind allerdings nur 1534 Patente aufgeführt: zu
                              									berücksichtigen ist jedoch, daſs hierin diejenigen Erfindungen nicht enthalten sind,
                              									welche für besondere Gebrauchszwecke wie Dampfkesselfeuerungen, hüttenmännische und
                              									andere Spezialbetriebe dienen sollen. Charakteristisch ist für die die Feuerung und
                              									Heizung betreffenden Erfindungen das Bestreben nach Brennmaterialersparniſs mittels
                              									Theilung des Verbrennungsprocesses derart, daſs das Brennmaterial zunächst ganz oder
                              									theilweise vergast wird, die Gase unter Zuführung vorgewärmter Luft verbrannt
                              									werden. Hiezu gehört auch die Regulirung der Menge der eintretenden Luft, da in den
                              									meisten Fällen eine möglichst hohe Temperatur beabsichtigt wird; die Gewinnung der
                              									gesammten Wärme, welche das Brennmaterial zu entwickeln vermag, kommt dagegen erst
                              										in zweiter Linie in
                              									Betracht. Das Bestreben, für Sonderzwecke besonders hohe Temperaturen zu erzeugen,
                              									hat auch zur Vervollkommnung der für die Metallbearbeitung so wichtigen Löthlampen
                              									Anregung gegeben; zur Erreichung gleicher Zwecke wird der elektrische Strom
                              									benutzt.
                           Wenn auch von geringer Ausdehnung in der Anwendung, haben doch die
                              									technischen Einrichtungen zur Benutzung flüssiger Brennstoffe als Heizmaterialien
                              									hohe Bedeutung, da in Ländern des Ostens, für welche die deutsche Industrie in
                              									ausgedehntem Maſse arbeitet, andere Feuerungsmaterialien als rohe Erdöle, Naphta
                              									u.s.w. kaum zu beschaffen sind; unter Umständen muſs zu den nämlichen Materialien
                              									auch zwecks der Heizung von Schiffskesseln gegriffen werden.
                           Nach dem Patentgesetze (§ 1 Nr. 2) sind Ausschluſsrechte auf
                              									Nahrungs- und Genuſsmittel nicht zu gewähren, es sei denn, daſs die Erfindungen ein
                              									bestimmtes Verfahren zur Herstellung der Gegenstände betreffen. Nun, auf Erfindungen
                              									von Verfahren und Geräthen zur Herstellung von Nahrungs- und Genuſsmitteln sind über
                              									4300 Patente ertheilt worden, ungerechnet diejenigen, welche in der Haushaltung
                              									Anwendung finden sollen, oder Heizung betreffen oder für den Landwirthschaftsbetrieb
                              									bestimmt sind. Im Hinblick auf die Bedeutung des Gegenstandes für das öffentliche
                              									Wohl, Fragen der Volksernährung u.s.w. wird die oben angeführte Zahl vielleicht
                              									sogar mäſsig erscheinen.
                           Deutschland ist das Land der Kartoffelspiritusbrennereien, der
                              									Bierbrauereien, der Rübenzuckerfabriken. Hiernach ist zu erwarten, daſs ein Zeitraum
                              									von zwölf Jahren nicht ohne Fortschritte auf wirthschaftlich so wichtigen Gebieten
                              									dahin gegangen sein wird, auch daſs man das gebotene Ausschlieſsungsrecht zur
                              									Verwerthung der betreffenden Erfindungen nicht wird unbenutzt gelassen haben.
                           Das ehedem übliche Verfahren, die Kartoffeln ohne Druck in offenen
                              									Gefäſsen zu kochen und zu zerkleinern, ist gänzlich verlassen; die Kartoffeln werden
                              									einem hohen Dampfdruck ausgesetzt und die Zerkleinerung wird in dem Dampfgefäſse
                              									selbst oder durch Ausblasen und Auspressen bewirkt. Die belangreichsten Erfindungen
                              									in der Brennerei betreffen derartige Dämpfer; daneben finden auch die
                              									Nachzerkleinerung, die Vormaischeinrichtungen, die Destillirapparate, sowie die
                              									Reinigung des Rohspiritus gebührende Beachtung.
                           Für die Bierbrauereien lassen die mechanisch-pneumatischen
                              									Mälzereien, bestimmt zum Ersatz ebenso lästiger als im Ergebnisse Ungewisser
                              									Handarbeit, einen wesentlichen und erfolgreichen Aufschwung des Betriebs
                              									erhoffen.
                           Die Trocknung der Traber und der Schlempe mittels eigenthümlicher
                              									Apparate und Maschinen gestattet eine vielleicht nicht bessere, jedenfalls aber eine
                              									stets mögliche Verwerthung jener Nebenprodukte der Brauerei und Brennerei.
                           Der Hinweis auf Nahrungs- und Genuſsmittel bietet Anlaſs, auf
                              									einen Zweig der Industrie aufmerksam zu machen, auf den Techniker mit hoher
                              									Befriedigung hinzublicken wohl Ursache haben: auf die künstliche Erzeugung von Kälte
                              									und Eis. Nicht nur für die Brauerei, sondern auch für die Herstellung oder
                              									Aufbewahrung zahlloser Lebensmittel ist die Kühlung und Kühlhaltung bestimmter Räume
                              									unentbehrlich; schon fängt die Versorgung mit Eis an, eines der dringend empfundenen
                              									Bedürfnisse in der Haushaltung, in Krankenhäusern u.s.w. abzugeben. Wie durch die
                              									Kälteerzeugung im Gebirge die Herstellung von Schächten sich ermöglichen läſst, ist
                              									weitesten Kreisen soeben bekannt geworden. Die Hervorbringung niederer Temperaturen,
                              									oder, richtiger gesagt, die Entziehung von Wärme, ist auf verschiedenen Wegen
                              									versucht und erreicht worden; die meisten der hierauf abzielenden Vorschläge haben
                              									in den Patentschriften Darstellung gefunden.
                           In der Zuckerfabrikation war das gegenwärtig in Deutschland
                              									allgemein übliche Diffusionsverfahren bereits vor dem Erlaſs des Gesetzes vom 25.
                              									Mai 1877 angebahnt; die groſse Verbreitung desselben hat sich indessen erst auf
                              									Grund der Vervollkommnungen vollzogen, welche durch den Erfindungsschutz angeregt
                              									worden sind, Erfolge, denen wiederum beizumessen ist, daſs das an sich einfachere,
                              									zuverlässigere und wohlfeilere Diffusions-Verfahren auch in den Nachbarländern mehr
                              									und mehr zur Verbreitung gelangt. –
                           
                           Es sind wenige, recht wenige Zweige der technischen
                              									Wissenschaften, die hier der nur oberflächlichsten Musterung zu unterziehen der
                              									Versuch gemacht ward. Vermöchte es allgemeineres Interesse zu erregen, so lieſse
                              									sich Gleiches auch gründlich, wissenschaftlich für sämmtliche Gebiete des Verkehres
                              									und der Gewerbthätigkeit, für die groſsen Felder der chemischen Industrien, der
                              									Faserstoff-, Waffen-Industrien u.s.w. bis herunter zu den bescheidenen
                              									Erfordernissen durchführen, welche der Herstellung menschlicher
                              									Bekleidungsgegenstände, dem Haus- und Küchengebrauch u.s.w. dienen. Doch sei es an
                              									dem Beigebrachten genug. Die dem Erfindungsschutze zu dankenden Erfolge sind die
                              									gleichen überall, die Ausführungen aber würden ermüden; stets müſsten sie
                              									bruchstückartig, zusammenhanglos bleiben. Ob einst und wann der Zeitpunkt eintreten
                              									wird, zu welchem Forscher sich des in den Archiven des Patentamts überhaupt
                              									niedergelegten, umfangreichen Materials, also auch des nicht zur Veröffentlichung
                              									gelangten, würden bemächtigen können für die Herstellung einer Geschichte der
                              									neuzeitlichen gewerblichen Technik Deutschlands, steht dahin und ist im Augenblicke
                              									eine müſsige Frage.
                           
                        
                           III. Die Entwickelung des
                                 										Patentrechts.
                              								
                           Dieser Abschnitt führt den Verfasser zur Besprechung verschiedener allgemein
                              									bestehender Irrthümer, so namentlich des unrichtigen Glaubens, als sei mit der
                              									Auslegung einer Anmeldung schon deren Patentirung gewährleistet. Namentlich klagt
                              									der Verfasser über die geringe Bekanntschaft des Publikums mit den gesetzlichen
                              									Vorschriften und die daraus entstehenden Unbequemlichkeiten. Es wird die Thatsache
                              									erwähnt, daſs die auf das Patentamt beschränkte Auslegung der Anmeldungen und das
                              									Verbot deren Abdrucks in der Presse die Zahl der Einsprüche recht geringfügig
                              									mache.
                           Endlich wird auch die Fassung der Vorlagen und namentlich der Patentansprüche
                              									eingehend besprochen. Naturgemäſs sind die hier weiter zu erörternden Fragen, wie
                              									Abhängigkeitspatente, Nichtigkeitsverfahren, Beschwerde u.s.w., mit scharfen
                              									Umrissen gezeichnet.
                           Der Verfasser schlieſst seine hochwichtige Arbeit mit dem Bedauern, daſs die
                              									Rechtswissenschaft sich der Pflege und Weiterbildung des Gewerberechts so wenig
                              									annehme, trotzdem gerade auf diesem Gebiete noch viele Fragen der gründlichen
                              									Untersuchung und Erledigung harrten. Ebenso wird mit Bedauern vermerkt, daſs mit
                              									Ausnahme des Dresdener Polytechnikums keine Hochschule Vorlesungen über das
                              									Patentrecht und die wichtigen Fragen der Patentübertragung, Ausführungslicenz u.s.w.
                              									veranstalte.
                           Das Werk wird zweifellos nicht nur als hochinteressante Literaturerscheinung einen
                              									dauernden Werth zeigen, sondern bestimmt sein, weitgreifende Anregungen zum Ausbau
                              									der erörterten Fragen zu verursachen.
                           Die Hartig'schen Studien in der
                                 										Praxis des Kaiserlichen Patentamts gehen von einer anderen Grundlage aus
                              									als die Bojanowski'schen Darlegungen. Haben letztere
                              									den Werth des Patentgesetzes erweisen wollen, so sind erstere bestimmt, den Umfang
                              									der Patente selbst in gewisse Regeln zu zwängen. Dieses Buch will im Allgemeinen
                              									eine schärfere logische Denk- und Ausdrucksweise in der Technik einführen, im
                              									Besonderen aber eine klare unzweideutige Fassung der Patentansprüche anbahnen. Mit Recht wird darauf
                              									hingewiesen, wie ungemein wichtig gerade auf dem Gebiete des Patentwesens die streng
                              									logische Definition der Erfindung, also ihres Umfanges sich darstellt.
                           Hartig gibt hierfür sehr beachtenswerthe Fingerzeige und
                              									gute brauchbare Regeln für die allgemeinere Praxis, so daſs wohl sicher ein thätiger
                              									Einfluſs dieser Darlegungen bald bemerkbar sein wird.
                           Der Verfasser geht davon aus, zunächst die Anwendung gewisser Grundsätze der formalen
                              									Logik klarzustellen und ihre Anwendungsfähigkeit zur Definition mechanischer Gebilde
                              									zu erweisen. Er definirt dann die Grundbegriffe unserer Technik, Werkzeug und
                              									Triebzeug, Mechanismus und Maschine. Hartig definirt
                              									die Maschine als einen Mechanismus im Arbeitsgang, so daſs die Maschine zum Getriebe
                              									wird, wenn die auf sie übertragene mechanische Arbeit durch die inneren
                              									Bewegungswiderstände aufgezehrt wird. Das hervorragende Kennzeichen der Maschine ist
                              									also der Arbeitsgang, und verlangt Hartig demzufolge
                              									auch eine Definition der Maschine stets in deren Arbeitsgang. Die Bedeutung einer
                              									Maschine ist nur durch Beobachtung des Arbeitsprocesses und des in der Zeit
                              									verlaufenden Leerganges zu erkennen.
                           Nachdem Hartig den Gebrauchswechsel der Werkzeuge bei
                              									der Entwickelung gewisser Werkzeugformen dargelegt und das Verfahren definirt hat,
                              									als dessen Glieder sich in der mechanischen Technologie Rohstoff, Einrichtung und
                              									Erzeugniſs hinstellen, geht er auf eine knappe geschichtliche Darlegung des
                              									Erfindungsschutzes ein, um nun darauf hinzuweisen, daſs eine widerspruchslose
                              									Verwaltung von Patentrechten nur dann möglich sei, und mit der gröſstmöglichen
                              									Tragweite derselben nur dann vereinigt werden könne, wenn jedes solche Rechte
                              									bestimmt. Ein solches Recht soll einen Gattungsbegriff mittels der für wesentlich
                              									erachteten neuen Merkmale feststellen. Hartig weist nun
                              									darauf hin, daſs jenes Recht um so weiter greife, je weniger solche der Natur der
                              									Sache nach nur einschränkende Merkmale angegeben werden.
                           Hartig nennt den Ursprung jeder grundlegenden Erfindung
                              									ein Problem und will dieses schützen, nicht aber nur eine Ausführungsform desselben.
                              									Dieser Gedanke wird in sehr interessanter Weise an der Pötsch'schen Gefriermethode klar gelegt.
                           Die Arbeitsverfahren werden, trotzdem sie eine gröſsere Ausdehnung gestatten, oft zu
                              									gering geachtet gegenüber den Maschinen, den Arbeitsmitteln, wenn auch letztere
                              									stets in den Bereich der ersteren fallen. Hierbei wendet sich Hartig gegen die sogen. Constructionspatente, welche
                              									nur den Schutz einer bestimmten Ausführung bezwecken, die sich auf einem bekannten
                              									Arbeitsverfahren aufbaut. Hier ist scharf zu unterscheiden, daſs Construiren und
                              									Erfinden nicht gleichbedeutend ist.
                           Die scharfsinnigen Bemerkungen über die Gestaltung der Patentansprüche selbst, welche
                              									den Hauptinhalt des Buches ausmachen, können auszüglich nicht wiedergegeben
                              									werden.