| Titel: | Entwurf einer Eisenbahnbrücke über den Kanal „La Manche“. | 
| Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 557 | 
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                        Entwurf einer Eisenbahnbrücke über den Kanal
                           									„La Manche“.
                        Entwurf einer Eisenbahnbrücke über den Kanal „La
                              								Manche“.
                        
                     
                        
                           Die Absicht, England mit dem Festlande durch eine Brücke zu verbinden, ist nicht neu,
                              									und obgleich sich seit Anfang dieses Jahrhunderts eine groſse Zahl begabter
                              									Fachmänner mit diesem Gedanken beschäftigt hat, so sind doch die Pläne immer auf
                              									bedeutende Schwierigkeiten gestoſsen. In neuerer Zeit haben besonders die Arbeiten
                              									des Ingenieurs Thomas de Gramont dazu beigetragen einen
                              									durchgearbeiteten Plan in die Oeffentlichkeit zu bringen und die Ausführbarkeit den
                              									technischen Autoritäten klar vorzuführen. – Neuerdings haben auch die Ingenieure Hersent, Schneider und Cie. um Fowler und Baker in der Versammlung der „Iron and Steel-Institute“ in Paris einen ausführlichen Bericht
                              									vorgelegt, welcher speciell die Erbauung der Pfeiler und des Ueberbaues behandelt
                              									und eine genaue Kostenangabe des ganzen Unternehmens enthält.
                           Das erforderliche Material an Eisen und Maschinen, welches zur Ausführung
                              									erforderlich sein würde, entspricht einem Totalgewicht von 1 Million Tonnen.
                           Wenn jedem der benachbarten Länder die Hälfte der Lieferung dieses Materiales
                              									zufiele, würde der nationalen Industrie für eine lange Zeit ein mächtiger Aufschwung
                              									verliehen werden. – Ein annähernder Kostenüberschlag ergibt folgende Zahlen. Es sind
                              									erforderlich:
                           380 Millionen Frcs. für die Fundirungs- und Mauerarbeiten und 480 Millionen Frcs. für
                              									die Eisenkonstruktionen, alles in allem 860 Millionen Frcs. oder 680 Millionen Mark.
                              									Die Zeit welche erforderlich ist um das Unternehmen auszuführen ist auf 10 Jahre
                              									festgesetzt.
                           Die vortheilhafteste Lage der Brücke, wie sie von der Natur selbst vorgezeichnet
                              									wurde, ist, wo sich die Küsten am meisten nähern, nämlich zwischen Folkestone und
                              									Cap Grisnez; auſserdem können auf dieser Strecke die beiden Sandbänke Colbart und
                              									Dorne mit groſsem Vortheil benutzt werden, da sie die Arbeiten in groſser Tiefe zu
                              									vermeiden gestatten und die Höhe der zu errichtenden Pfeiler geringer wird. Der
                              									Baugrund, welche auf dieser ganzen Strecke aus Kreidefelsen besteht, ist hinreichend
                              									fest befunden worden, um die ausgebreitetsten Werke auf demselben zu errichten.
                              									Allerdings bildet hier die Brückenachse keine gerade Linie, sondern setzt sich aus
                              									drei Strecken zusammen, welche auf den Bänken Dorne und Colbart ihren Brechpunkt haben,
                              									wenn die Vortheile des Terrains ausgenutzt werden sollen. Die Errichtung des
                              									Mauerwerks soll mittels eiserner Senkschachte bewerkstelligt werden, wie dieselben
                              									bei gewöhnlichen Brückenpfeilern Verwendung finden. Dieselben sind mit eisernen
                              									Kasten umgeben, welche dazu dienen, die Schachte schwimmend zu erhalten, bis
                              									dieselben am Ort ihrer Bestimmung angelangt sind, und auf den Boden gesenkt werden
                              									können.
                           Ein eiserner Dom, welcher die Verlängerung des eigentlichen Senkschachtes bildet, ist
                              									so eingerichtet, daſs er, nachdem das Mauerwerk bis zur erforderlichen Höhe
                              									aufgeführt worden ist, abgenommen und zum Bau der übrigen Pfeiler verwendet werden
                              									kann. Der Boden muſs an der Stelle, wo der Pfeiler errichtet werden soll, vorher
                              									gründlich geebnet und abgeräumt werden, hierzu will man hobelnde und bohrende
                              									Sonderwerkzeuge und Strahlen von hochgepreſster Luft verwenden. Ueber dem
                              									Wasserspiegel will man die Pfeiler bis zu einer Höhe von 14m mit Quadersteinen weiter aufbauen, und der
                              									gröſseren Haltbarkeit wegen, dieselben unter einander verankern. – Um die Pfeiler
                              									mit den eigentlichen Eisensäulen zu verbinden, sind besondere Einrichtungen
                              									vorgesehen worden, welche gestatten, diese Verbindung jederzeit besichtigen zu
                              									können, um sich Gewiſsheit zu verschaffen, daſs sich alles in der gehörigen Ordnung
                              									befindet.
                           Die Brücke wird 37km,65 lang, von annähernd 118
                              									Pfeilern getragen, deren gröſste Entfernung bis 500m und deren geringste Entfernung 100 bis 200m unter einander betragen soll. Bei niedrigem Wasserstand reicht der
                              									Ueberbau 72m hoch über den Wasserspiegel, also für
                              									alle Fälle ausreichend um der Schifffahrt keine Hindernisse in den Weg zu legen. Um
                              									überhaupt den Bedürfnissen der Schifffahrt möglichst entgegen zu kommen als auch um
                              									den geringsten Materialverbrauch zu erzielen sind die verschiedenen Spannweiten, wie
                              									oben angegeben, vorgeschlagen. Die gröſste Spannweite fällt mit der gröſsten Tiefe
                              									zusammen, die schmälste Spannweite mit den seichtesten und den Küsten am nächsten
                              									gelegenen Stellen.
                           Zur Construction des Oberbaues, speciell der Bögen, ist das Ausleger- oder
                              									Cantileversystem gewählt worden, da sich dieses besonders für groſse Spannweiten
                              									eignet und sich schon in mehreren Fällen als Praktisch bewährt hat. – Die eisernen
                              									Pfeilersäulen selbst sind cylinderisch und erreichen eine Höhe von 40 bis 43m, ohne Ueberbau. Bei niedrigem Wasserstand
                              									beträgt die Höhe zwischen Wasserspiegel und Hauptbalken 61 bis 63m bei der Flut 54 bis 56m, also eine Höhe, die vollständig ausreicht, um
                              									die gröſsten Segelschiffe ungehindert durchfahren zu lassen. – Mit Berücksichtigung
                              									des Winddruckes, beträgt die gröſste Breite der Brücke 25m im Untergurt des überhängenden Trägers.
                           Die Fahrbahn ist zweigeleisig und hat eine Breite von 8m; um das Entgleisen zu vermeiden, sind durchlaufend Zwangsschienen
                              									angeordnet. Um die
                              									Brücke auch für Fuſsgänger benutzbar zu machen und um Weichen, Wärterhäuschen u.
                              									dgl. zu errichten, ist die ganze Brücke mit Wellblech bedeckt. Auch sind die Pfeiler
                              									eingerichtet, um auf denselben Leuchthäuschen und Signale anzubringen, um den
                              									Schiffen in nebliger und stürmischer Zeit einen Anhaltspunkt zu gewähren. Allerdings
                              									wird die Ausführung der Brücke noch auf viele Schwierigkeiten stoſsen, denn im
                              									Vergleich zu einem früheren Project, die Verbindung durch einen Tunnel herzustellen,
                              									erfordert dieselbe sowohl an Zeit, Material und Kapitalanlage fast das doppelte,
                              									bietet viel mehr Schwierigkeiten bezüglich der Schifffahrt und wird um 3 bis 4km länger. Auſserdem ist England auch nicht für
                              									dies Unternehmen, sondern sucht alle aus demselben etwa entstehenden Nachtheile
                              									herauszufinden.