| Titel: | Ueber das Türkischrothöl und über die sauere Seife; von Peter Lochtin, technischer Chemiker. | 
| Autor: | Peter Lochtin | 
| Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 594 | 
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                        Ueber das Türkischrothöl und über die sauere
                           								Seife; von Peter Lochtin, technischer Chemiker.
                        Lochtin, über das Türkischrothöl und über die sauere
                           								Seife.
                        
                     
                        
                           Da die Zusammensetzung des Türkischrothöles und dessen Wirkungsweise in der Färberei
                              									bis jetzt nicht genügend aufgeklärt sind, so scheint es mir von Interesse, die
                              									Resultate meiner Arbeiten in dieser Färbereibranche mitzutheilen.
                           Alle Vorschriften zur Darstellung des Türkischrothöles stimmen darin überein, daſs
                              									die Schwefelsäure zu dem Oele sehr langsam, unter Abkühlung und unter beständigem
                              									Umrühren der Masse zugesetzt werden soll, wodurch angeblich „die Erwärmung der
                                 										Masse und die Entwickelung gröſserer Mengen schwefliger Säure“ vermieden
                              										werden.Benedict, Analyse der Fette und Wachsarten,
                                    											1886, S. 147.
                           Dem entsprechend werden zur Darstellung des Türkischrothöles nur nichttrocknende Oele
                              									genommen. In Ruſsland wird fast ausschlieſslich Ricinusöl gebraucht und ich werde im
                              									weiteren vorwiegend von diesem Oele sprechen.
                           Um zu ermitteln, bis zu welchen Grenzen die erwähnten Vorsichtsmaſsregeln nothwendig
                              									sind, wurden folgende Versuche gemacht:
                           1000g Ricinusöl wurden auf einmal mit 100g concentrirter Schwefelsäure (Spec. Gew. 1,827)
                              									versetzt und gut durchgerührt, Es stieg die Temperatur der Reactionsmasse von 13°
                              									auf 35° und es war nur schwacher Geruch nach schwefliger Säure zu bemerken. Dann
                              									habe ich das Gemisch noch bis 115° erwärmt, ohne daſs sich schweflige Säure
                              									entwickelte.
                           1000g Ricinusöl wurden auf einmal mit 200g concentrirter Schwefelsäure vermischt. Es stieg
                              									die Temperatur des Gemisches auf 49° wobei ebenfalls nur ein schwacher Geruch nach
                              									schwefliger Säure bemerkt wurde. Bei weiterem Erhitzen der Reactionsmasse bis 95°
                              									trat keine Schwefligsäureentwickelung ein, bei etwa 95 bis 100° begann eine geringe
                              									Schwefligsäureentwickelung, die sogleich aufhörte, als die Erwärmung unterbrochen
                              									wurde.
                           1000g Ricinusöl wurden auf einmal mit 300g Schwefelsäure versetzt. Es stieg die Temperatur
                              									des Gemisches auf 58° ohne Schwefligsäureentwickelung. Beim Erwärmen der
                              									Reactionsmasse, bei etwa 75° begann eine ziemlich reichliche Entwicklung der
                              									schwefligen Säure. Die Temperatur des Gemisches stieg von selbst bis 110° unter etwa ½ Stunde andauernder
                              									Entwicklung von schwefliger Säure, worauf die Temperatur der Reactionsmasse
                              									allmählich zurückging.
                           Es folgt aus diesen Versuchen, daſs man beim Sulfiren des Ricinusöles gar nicht so
                              									ängstlich verfahren soll, wie es gewöhnlich angegeben wird. Gieſst man z.B. die
                              									Säure langsam zu dem Oele, so ist ein Abkühlen des Gemisches überflüssig. Ein
                              									Probestück, welches ich mit dem bei 100° dargestellten Türkischrothöle präparirt
                              									habe, zeigte nach dem Färben wenig Unterschied von dem normalen Stück, welches mit
                              									dem bei niedriger Temperatur dargestellten Türkischrothöle präparirt war.
                           Man kam zu der erwähnten vorsichtigen Arbeitsweise wahrscheinlich deswegen, weil beim
                              									Vermischen des Ricinusöles mit concentrirter Schwefelsäure immer ein Geruch nach
                              									schwefliger Säure bemerkt wird, den man der beginnenden Reduction des
                              									Schwefelsäureanhydrides zuschrieb. Es war nöthig, sich auch hierüber Klarheit zu
                              									verschaffen, und es ergab sich, daſs die geringe Menge schwefliger Säure, die sich
                              									beim Sulfiren des Ricinusöles entwickelt, aus den Eiweiſskörpern entsteht, die jedes
                              									technische (auch das gereinigte) Ricinusöl enthält. Bestimmt man die Menge SO3, die sich nach dem Auswaschen der Reactionsmasse
                              									in dem saueren Oele und in dem Waschwasser befindet, so wird man keinen Verlust an
                              									Schwefelsäure bemerken. Setzt man zu dem Ricinusöle absichtlich mehr Eiweiſsstoffe
                              									(aus den Ricinussamenpreſslingen durch Natron extrahirt), so kann man den Geruch
                              									nach schwefliger Säure beim Sulfiren fast unerträglich machen, ebenso wie beim
                              									Sulfiren der zerquetschten Ricinussamen selbst. Umgekehrt bildet sich beim Sulfiren
                              									der reinen Ricinusölfettsäuren keine schweflige Säure. Diesen letzten Versuch mit
                              									den freien Fettsäuren, habe ich angestellt um sicher zu sein, daſs keine
                              									Eiweiſsstoffe im Spiele sind: Ricinusöl selbst ist sehr schwer von denselben zu
                              									reinigen.
                           Aus dem Gesagten muſs der Schluſs gezogen werden, daſs beim vermischen des
                              									Ricinusöles mit concentrirter Schwefelsäure (30 Proc. von dem Oelgewichte) bei
                              									Temperaturen bis etwa 70° die schweflige Säure nur aus den Eiweiſskörpern entwickelt
                              									wird; erwärmt sich das Gemisch weiter oder wird es künstlich erwärmt, so beginnt die
                              									Reduction des Schwefelsäureanhydrids.
                           Die erwähnte zu vorsichtige Arbeitsweise bei der Darstellung des Türkischrothöles
                              									hatte für die Frage über die Zusammensetzung dieser Oelbeize eine gewisse fatale
                              									Bedeutung. Man fürchtete sich irrthümlich vor der Schwefligsäureentwickelung, kühlte
                              									die Reactionsmasse stark ab und konnte natürlich auf solche Weise das vollständige
                              									Zersetzen des Glycerides nicht herbeiführen. So kam man zu der Behauptung, daſs das
                              									unzersetzte Glycerid ein nothwendiger Bestandtheil des Türkischrothöles sei, und so
                              									wurde der wichtigste (wenn nicht der einzige) Zweck des Sulfirens – das vollständige
                              									Zersetzen des Glycerides unter Glycerinausscheidung und Hydratisirung der Fettsäuren
                              									fast gänzlich übersehen.
                           Das Sulfiren des Ricinusöles (wie auch jedes anderen Oeles) muſs so geleitet werden,
                              									daſs sich das Glycerid vollständig zerlegt, ohne daſs die Temperatur zu hoch steigt
                              									(um die Schwefligsäureentwickelung zu vermeiden) und ohne daſs das Oel zu kurz oder
                              									zu lange der Einwirkung der Schwefelsäure unterliegt. Eine zu kurze Einwirkung hat
                              									zur Folge, daſs das Glycerid nicht vollständig zersetzt wird; eine zu lange – daſs
                              									das Oel, wie man sich ausdrücken kann, übersulfirt
                              									wird. Es vermischt sich in solchem Falle schwer mit Wasser, gibt nur trübe
                              									alkalische Auflösungen und man erhält mit einem solchen Oele nach dem Färben eine
                              									matte Nuance.
                           Entsprechend diesen Umständen, bei der Arbeit im Groſsen (1000 bis 1200k Ricinusöl in einer Charge) führe ich das
                              									Sulfiren auf folgende Weise aus:
                           Es werden im Winter 20 bis 30 Proc., im Sommer 15 bis 20 Proc. von dem Oelgewichte an
                              									concentrirter Schwefelsäure genommen. Das Oel und die Säure werden nicht abgekühlt
                              									(im Winter werden sie sogar bis zur Zimmertemperatur erwärmt). Von 11 Uhr Morgens
                              									bis 8 Uhr Abends (es findet hier keine Nachtarbeit statt) werden allmählich etwa 10
                              									bis 18 Proc. Schwefelsäure unter Umrühren zugesetzt. Am anderen Morgen wird das
                              									letzte Schwefelsäurequantum bis gegen 12 Uhr hinzugefügt. Dann wird die
                              									Reactionsmasse sich selbst überlassen und dabei öfters Proben genommen. Diese
                              									bestehen darin, daſs man die Auflösbarkeit der saueren Reactionsmasse im Wasser ohne
                              									Alkalien versucht (5 bis 10 Tropfen der Masse in ein Probirgläschen mit destillirtem
                              									Wasser). Löst sich die Probe im Wasser klar auf, so muſs die Reactionsmasse sogleich
                              									ausgewaschen werden. Läſst man sie längere Zeit stehen, so wird man bemerken, daſs
                              									die Proben wieder trübe wässerige Lösungen geben. Da auch bei nicht genügend langer
                              									Einwirkung der Schwefelsäure die Proben trübe ausfallen, so kann der richtige Punkt
                              									ohne öftere Probenahme leicht übersehen werden.
                           Hat man keine Nachtarbeit, so ist es nicht rathsam die Operation des Sulfirens in
                              									einem Tage auszuführen. Man läuft dabei immer Gefahr die Reactionsmasse zu früh (am
                              									Abend) oder zu spät (am anderen Morgen) auszuwaschen.
                           Bei solcher Arbeitsweise steigt die Temperatur des Gemisches sogar im Sommer nie über
                              									40° und das Oel wird fast vollständig zersetzt, ohne daſs sich schweflige Säure
                              									entwickelt.
                           Nach dem Sulfiren wird die Reactionsmasse mit dem ungefähr gleichen Gewichte Wasser
                              									ausgewaschen. Will man in dem Türkischrothöle mehr freie Fettsäuren haben, so wäscht
                              									man mit heiſsem Wasser aus oder bringt sogar das saure Oel mit dem Waschwasser zum
                              									Kochen. Das zweite Auswaschen oder das Aussalzen scheint mir keine Vortheile zu haben. Beim Aussalzen
                              									wird das Kochsalz durch die freie Schwefelsäure (und vielleicht durch die
                              									Sulfofettsäuren) unter Bildung freier Salzsäure zersetzt. Da die Salzsäure
                              									theilweise in dem saueren Oele zuzückbleibt, so bekommt man nach dem Neutralisiren
                              									ein mit Salmiak oder Kochsalz verunreinigtes Türkischrothöl. Deswegen gebraucht man
                              									nach dem Aussalzen zum Neutralisiren nur unbedeutend weniger Alkali., als nach einem
                              									einmaligen Auswaschen, da die genannten Salze das Neutralisiren (das Klarwerden des
                              									Oeles) erschweren. Nimmt man zu dem ersten Auswaschen das doppelte Gewicht Wasser, so wird man doch nur die gleiche Menge
                              									Schwefelsäure entfernen, da die obenaufschwimmende Oelschicht in diesem Falle
                              									voluminöser ist und man ein relativ weniger saures Waschwasser erhält.
                           Nach dem Auswaschen wird das saure Oel theilweise neutralisirt. Will man auch hier
                              									den Gehalt des Türkischrothöles an freien Fettsäuren vergröſsern, so neutralisirt
                              									man mit Ricinusölseife.
                           Betrachten wir nun die Zusammensetzung und die Wirkungsweise des
                              									Türkischrothöles.
                           Was den schwefelhaltigen TheilFettsäure-Glycerin-Schwefelsäureester nach Liechti und Suida; Sulfofettsäuren
                                    											nach Müller-Jacobs und Ssabanezen; Ricinölschwefelsäure nach Benedict und Ulzer. des
                              									Türkischrothöles betrifft, so ist vor allem hervorzuheben, daſs es viele
                              									ausgezeichnete Oele gibt, die nur 2 bis 5 SO3 auf
                              									100 Fettsäuren enthalten, während die Formeln z.B. für die Ricinölschwefelsäure etwa
                              									6 bis 15 Mal mehr SO3 erfordern. Aus dieser
                              									Thatsache kann man schlieſsen, daſs die Sulfoverbindungen in dem Türkischrothöle nur
                              									eine untergeordnete Bedeutung haben. In der That ist es möglich, ohne Schwefelsäure
                              									Türkischrothöl darzustellenDie Bedeutung der freien Fettsäuren für die Türkischrothfärberei hat schon
                                    											früher H. Schmid gezeigt (D. p. J. 1884 254
                                    											346)., welches in der Färberei ebensolche und sogar noch
                              									hübschere Resultate liefert und in fast allen seinen Eigenschaften dem gewöhnlichen
                              									Türkischrothöle ähnlich ist.
                           Es ist schon oben angedeutet, wie man den Gehalt an freien Fettsäuren in dem
                              									Türkischrothöle vergröſsern kann. Auf diesem Wege kann man schon Oel beizen mit
                              									minimalem Schwefelsäuregehalt darstellen. Da aber solche Oele doch immer
                              									Schwefelsäure enthalten, so habe ich ein schwefelsäurefreies Türkischrothöl aus
                              									Ricinusölseife auf folgende Weise dargestellt:
                           Ricinusöl wird mit 15 Proc. Natronhydrat in 15procentiger Lösung allmählich vermischt
                              									und 24 Stunden sich selbst überlassen; dann wird die Seifenlösung bis zum Sieden
                              									erhitzt und etwa 1 Stunde darin erhalten. Nach dem Abstellen des Dampfes wird die
                              									Seife durch verdünnte Schwefelsäure zersetzt und wieder gekocht, bis die
                              									ausgeschiedenen Fettsäuren oben klar aufschwimmen. Nach dem Ablassen des Waschwassers werden die
                              									Fettsäuren mit zur Neutralisation ungenügender Menge Aetznatron oder Aetzammoniak
                              									behandelt.
                           Wenn das saure ausgewaschene Reactionsproduct der Schwefelsäure auf Ricinusöl
                              									neutralisirt wird, so bemerkt man, daſs die Masse zuerst undurchsichtig und weiſs
                              									wird und dann sich plötzlich aufklärt. Man bekommt so das bekannte durchsichtige
                              									braungelbe syrupdicke Türkischrothöl.
                           Dieselben Erscheinungen bemerkt man auch beim allmählichen Vermischen der freien
                              									Ricinusölfettsäuren mit Alkali und man bekommt dem Aussehen nach dasselbe Product.
                              									Ganz ähnlich dem Türkischrothöle gibt es mit Wasser eine Emulsion, die mit Ammoniak
                              									eine dünne wasserklare Lösung liefert.
                           Untersucht man in diesem Producte die Menge Alkali im Verhälthältniſs zu den
                              									Fettsäuren, so wird man finden, daſs man eine saure
                                 										Seife vor sich hat, eine Seife, die im Vergleich zur Neutralseife nur etwa
                              									¼ Alkali enthält.
                           Bereitet man aus diesem Producte durch Verdünnen mit Wasser und weiteren Alkalizusatz
                              									die zum Oelen geeignete klare Flüssigkeit und berechnet dann die Gesammtmenge des
                              									verbrauchten Alkali, so wird man finden, daſs auch hier eine saure Seife vorliegt,
                              									nämlich eine solche, die etwa die Hälfte Alkali im Vergleich zur Neutralseife
                              									enthält.
                           So wurden in einem Falle 1000g Ricinusölfettsäuren
                              									genommen. Sie erforderten für die erste Neutralisation 17g,1 NH3 in einer
                              									10procentigen Lösung. Dies entspricht 1,71 NH3 auf
                              									100 Fettsäuren. Nach dem Verdünnen mit 5 Volumen gewöhnlichen Wassers waren noch
                              										14g,2 NH3
                              									nöthig, um eine klare Lösung zu erhalten. (Die Flüssigkeit war dabei auf die beim
                              									Oelen übliche Temperatur erwärmt.) Im Ganzen waren zur Neutralisation 3,14 NH3 auf 100 Fettsäuren nöthig, während die
                              									Neutralseife der Ricinölsäure 5,6 erfordert.
                           In einem anderen Falle wurden 1000g
                              									Ricinusölfettsäuren zuerst mit 36g NaOH in
                              									10procentiger Lösung neutralisirt (3,6NaHO auf 100 Fettsäuren) und für das Oelbad
                              									waren noch 19g NH3
                              									nöthig. Dies entspricht, NH3 auf NaHO berechnet,
                              									8NaHO auf 100 Fettsäuren gegen 13,3 in der Neutralseife.
                           Noch entschiedener trat dieser Umstand bei den Versuchen im Groſsen hervor. 245k Ricinusöl wurden verseift und die durch
                              									Schwefelsäure ausgeschiedenen Fettsäuren mit 43k
                              									15procentiger NaHO-Lösung neutralisirt (2,6NaHO auf 100 Fettsäuren). In der Färberei
                              									waren noch, auf NaHO berechnet, 3,2 Proc. NH3
                              									verbraucht, so daſs im Ganzen 5,8NaHO nöthig waren.
                           Theoretisch genaue Zahlen können hier nicht erhalten werden, da die Menge des zur
                              									ersten und zweiten Neutralisation nöthigen Alkalis je nach dem Gehalte der
                              									Fettsäuren an schwefelsaurem Natron oder Schwefelsäure, nach dem Kalkgehalte des
                              									Wassers, nach der Temperatur, bei welcher die Neutralisation (besonders die zweite)
                              									vorgenommen wird u.s.w., variirt. Auch treten die Kennzeichen der genügenden
                              									Neutralisation nicht so scharf und plötzlich ein, daſs keine Schwankungen in dem
                              									Alkalizusatze möglich wären.
                           Zieht man diese Umstände in Betracht, so wird der Schluſs berechtigt erscheinen, daſs
                              									das erste Neutralisationsproduct der freien Ricinusölfettsäuren annähernd eine ¼
                              									Neutralseife und das zweite annähernd eine ½ Neutralseife vorstellt.
                           Zum Probefärben (abgesehen von einigen kleineren Versuchen mit etwa 20m Stoff) wurden 3 gröſsere Partien der sauren
                              									Seife dargestellt und damit jedes Mal etwa 10000m
                              									Stoff geölt. In allen 3 Fällen wurden Resultate erhalten, die das gewöhnliche
                              									Türkischrothöl noch übertreffen, indem die erzielte Nuance gleichmäſsiger, satter
                              									und reiner war. Es zeigte sich aber auch ein Uebelstand. Die zum Oelen präparirte
                              									Flüssigkeit schäumte nämlich stärker, als gewöhnliches Türkischrothöl, und deswegen
                              									fielen die letzten Stücke jeder Partie etwas ungleichmäſsig gefärbt aus. Es muſs
                              									aber hier bemerkt werden, daſs das neue Product beim Oelen auf dieselbe Weise
                              									behandelt wurde als das Türkischrothöl. Verändert man entsprechend seinen
                              									Eigenschaften die Concentration des Oelbades (bei den obenerwähnten Versuchen wurden
                              									sehr starke Oelbäder verwendet), die Geschwindigkeit der Passage des Stoffes durch
                              									das Oelbad, die Temperatur u.s.w., so wird man auch mit der sauren Seife arbeiten
                              									können. Es ist zu erwähnen, daſs alle diese Versuchspartien mit Gypswasser avivirt
                              									waren.
                           Um an Alkali zu sparen, kann man auch die saure Seife auf folgende Weise darstellen.
                              									Es wird neutrale Ricinusölseife bereitet und bei etwa 70° mit so viel verdünnter
                              									Schwefelsäure allmählich und unter starkem Umrühren versetzt, bis nur etwa 3NaHO auf
                              									100 Fettsäuren ungebunden zurückbleiben. Nach einiger Zeit Ruhe scheidet sich die
                              									saure Seife von der schwefelsaures Natron haltigen Lauge oben ab.
                           Man kann natürlich nicht behaupten, daſs auch das gewöhnliche Türkischrothöl saure
                              									Seife enthält: es hat vielmehr eine saure Reaction, während jede saure Seife
                              									alkalisch reagirt. Das Türkischrothöl ist, abgesehen von den zufälligen
                              									Bestandtheilen wie Glycerid, Glycerin, schwefelsaures Natron u.s.w., ein Gemisch aus
                              									ungenügend neutralisirten Sulfofettsäuren (oder Oleofettsäuren) mit freien
                              									Fettsäuren, wobei die letzteren den Hauptbestandtheil ausmachen. Anders verhält es
                              									sich mit dem aus dem Türkischrothöle in der Färberei vorbereiteten alkalischen
                              									Oelbade. Berechnet man für dieses die Alkalimenge, so wird man finden, daſs die
                              									freien Fettsäuren auch hier eine saure Seife bilden. Da man bei der Oelbadbereitung
                              									nur so viel Alkali nimmt, als nöthig ist, um die Emulsion durchsichtig zu machen,
                              									und da dieser Punkt bei den Ricinusölsäuren schon eintritt, wenn die
                              									Halbneutralseife entsteht, so wird wohl thatsächlich in den Färbereien immer saure
                              									Seife gebildet.
                           
                           Nach dem Trocknen der auf verschiedene Weise geölten Stoffe ergibt sich, daſs der mit
                              									dem ammoniakalischen Türkischrothöle präparirte Stoff sauer reagirt, indem
                              									sulfofettsaures Ammoniak in der Trockenstube zersetzt wird und die einbasischen
                              									Sulfofettsäuren die zwei basische Schwefelsäure liefern. Der mit der
                              									ammoniakalischen sauren Seife geölte Stoff reagirt neutral oder schwachalkalisch;
                              									die saure oder neutrale Natronseife hinterläſst eine stark alkalische Reaction.
                           Hier sind wir zu einem Punkte gekommen, der auch die Wirkungsweise des
                              									Türkischrothöles und dessen schnelle Verbreitung in der Färberei erklärt.
                           Es gibt kaum einen anderen Farblack, dessen Nuance so leicht durch Hunderte scheinbar
                              									unbedeutende Umstände verändert oder verdorben werden kann, als der
                              									Türkischrothlack. Dementsprechend kann man keine zwei Türkischrothfärbereien finden,
                              									die Waaren von derselben Nuance liefern; die Nuancen verändern sich sogar oft bei
                              									einem und demselben Färber, in einer und derselben Färberei.
                           Diesen Umstand habe ich näher untersucht, indem ich die einzelnen Operationen: das
                              									Reinigen des rohen Stoffes, das Oelen, Alaunen u. s. w, auf verschiedene Weise
                              									modificirte. So habe ich z.B. viele Probefarben ausgeführt unter Zugabe
                              									verschiedener Substanzen, wie Alkalien, alkalische Erden, Salze, Säuren u.s.w., zu
                              									dem aus destillirtem Wasser und Alizarin bestehenden Farbbade.
                           Als Resultat dieser Untersuchungen habe ich den Schluſs gezogen, daſs die
                              									Hauptaufgabe in der Türkischrothfärberei darin besteht, daſs die vier Bestandtheile
                              									des Rothlackes: Alizarin, Fettsäuren, Thonerde und Kalk in
                                 										reinem Zustande und selbstverständlich in richtigem Verhältniſs auf die
                              									Waare aufgetragen werden.
                           Was die Fettsäuren betrifft, so ist das keine leichte Aufgabe. Wenn wir von solchen
                              									unpraktischen Verfahren absehen, wie das alte mit den Emulsionen, das Steinert'sche, das Auftragen der Fettsäuren in
                              									weingeistiger oder ätherischer Auflösung und dergleichen, so wird uns nur die
                              									Seifenlösung übrig bleiben.
                           Es ist bekannt, daſs die Ricinusölseife jetzt ziemlich oft anstatt des
                              									Türkischrothöles angewendet wird. Vor allen anderen Seifen zeichnet sie sich
                              									vortheilhaft durch die Dünnflüssigkeit ihrer Lösungen aus, und macht man an die
                              									Reinheit der Nuance keine zu strengen Ansprüche, so kann sie sehr gut angewendet
                              									werden. Die Ursachen, warum sie geringere Resultate als das Türkischrothöl gibt,
                              									sind folgende:
                           Erstens ist deren Lösung bei der nöthigen Concentration viel schäumender, als die
                              									Lösung des Türkischrothöles. Zweitens, und das ist wichtiger, bekommt man in der
                              									gefärbten Waare die unangenehme matte und schmutzige Nuance des
                              									Alkalializarates.
                           Der letzte Umstand kann so erklärt werden, daſs sich beim Alaunen auf der Faser
                              									äuſserlich eine wasserdichte Hülle der fettsauren Thonerde bildet, die cfen alkalischen
                              									Seifenkern umschlieſst. Diese Alkalializaratnüance kann die alkalische Avivage (mit
                              									der Seifenlösung) nur theilweise verbessern.
                           Diese Uebelstände treten so stark bei allen anderen Seifen, auſser Ricinusölseife,
                              									hervor, daſs es geradezu unmöglich ist, mit diesen Seifen zu arbeiten.
                              									Ricinusölseife macht hier wieder eine Ausnahme.
                           Wendet man Türkischrothöl an, so treten die erwähnten Uebelstände nicht ein. Dasselbe
                              									gibt eine dünnflüssige, wenig schäumende alkalische Auflösung, und wie oben erwähnt,
                              									reagiert der damit geölte und getrocknete Stoff sauer: Alkalializarat kann sich hier
                              									nicht bilden oder bildet sich in nur geringer Menge.
                           Als Beweis der Richtigkeit dieser Erklärung kann ich anführen, daſs ich mit der
                              									Seifenlösung ebenso schöne Resultate als mit dem Türkischrothöl erhielt, indem ich
                              									die Arbeitsweise entsprechend den angeführten Umständen veränderte.
                           Vor allem war es nöthig die Avivagemethode zu verändern. Nach einigen Versuchen bin
                              									ich bei dem Abkochen unter Druck mit schwachen Lösungen der Kalksalze (Gyps,
                              									Chlorcalcium, salpetersauren Kalk u.s.w.) stehen geblieben. Entsprechend der
                              									Beschaffenheit des gefärbten Stoffes, kann man die Avivageflüssigkeit stärker oder
                              									schwächer machen, wenn man z.B. Chlorcalcium in verschiedenen Quantitäten anwendet.
                              									Gewöhnlich kommt man aber mit fast gesättigtem Gypswasser aus. Das Avivagebad wird
                              									so bereitet, daſs auch der kohlensaure Kalk im Wasser in die entsprechende
                              									Verbindung übergeführt wird; deswegen ist es besser, nicht die Kalksalze selbst,
                              									sondern Kreide oder Aetzkalk und Säuren in berechneter Menge zu nehmen.
                           Diese Avivagemethode liefert sehr gute Resultate auch bei Anwendung des
                              									Türkischrothöles. Man kann deren Wirkung so erklären, daſs sie erstens die für den
                              									Rothlack schädlichen Bestandtheile (Alkalien, Eisen) entfernt, wobei anstatt
                              									derselben Kalk eingeführt wird. Und zweitens, können bei dieser Methode die
                              									nützlichen Bestandtheile (Alizarin, Fettsäuren) bei der hohen Temperatur des
                              									Avivagebades viel weniger entzogen werden, als bei der alkalischen Avivage.
                           Um bei der Arbeit mit der Seifenlösung den schädlichen Alkalieinfluſs möglichst zu
                              									beschränken, habe ich zuerst versucht, den durch die Seifenlösung geölten und
                              									getrockneten Stoff durch schwache Schwefelsäure passiren zu lassen. Die Resultate
                              									waren befriedigend, für die Praxis war aber der Gang der Arbeit zu complicirt.
                           Später fand ich, daſs derselbe Zweck erreicht wird, wenn man die Schwefelsäure zu der
                              									Ricinusölseife zugibt: je nach der Concentration der Seifenlösung kann man ½ bis ¾
                              									des Alkaligehaltes binden, ohne daſs sich die Fettsäuren ausscheiden. Und endlich
                              									kam ich auf die Darstellung der ammoniakalischen sauren Seife aus freien
                              									Ricinusölfettsäuren oder aus natronhaltiger saurer Seife durch Umsetzen mit Ammoniaksalzen. Der mit
                              									dieser Seife geölte Stoff enthält nach dem Trocknen wenig Alkali und ich erhielt mit
                              									diesem Präparate auch bei der alkalischen Avivage dem Türkischrothöle nicht
                              									nachstehende Resultate. Wendet man die Avivage mit Gypswasser an, so liefert schon
                              									die natronhaltige saure Ricinusölseife dieselben Resultate wie das
                              									Türkischrothöl.
                           Hier wird es am Platze sein, einige Worte über die Anwendbarkeit der sauren Seife für
                              									verschiedene Zwecke zu sagen. Vor dem Türkischrothöle hat die ammoniakalische saure
                              									Seife den Vortheil, daſs sie nach dem Trocknen oder Dämpfen reine Fettsäuren hinterläſst (ohne Schwefelsäure, schwefelsaures Natron
                              									u.s.w.). Deswegen eignet sie sich besser für Zwecke der Appretur, zur Darstellung
                              									der Dampffarben u.s.w. Sie ist ein ausgezeichnetes Auflösungsmittel für Harze, Oele,
                              									andere Fettsäuren aus Lein- Hanföl u.s.w.) und viele Farbstoffe. Die Auflösungen der
                              									sauren natronhaltigen Seifen aus Ricinusöl, Olëin, Olivenöl u.s.w. sind weniger
                              									alkalisch als die Neutralseife und eignen sich deswegen zum Aviviren oder Reinigen
                              									zarter Farben, seidener Stoffe u.s.w.
                           Vergleicht man Ricinusölfettsäuren mit anderen Fettsäuren (aus Olein, Leinöl, Hanföl,
                              									Olivenöl u, s. w.) in Beziehung auf die Fähigkeit die saure Seife zu bilden, so wird
                              									man einen groſsen Unterschied finden. Nur Ricinusölfettsäuren geben eine vollkommene
                              									klare Lösung der sauren Seife, sogar der ¼ Neutralseife, und hier finden wir wieder
                              									einen Umstand der die schnelle Verbreitung des Ricinustürkischrothöles erklärt. Jede
                              									Seifenlösung kann durch vorsichtigen Säurezusatz (bei etwa 70 bis 80° und unter
                              									starkem Umrühren) mehr oder weniger sauer gemacht werden, ohne daſs sich die
                              									Fettsäuren ausscheiden (nur Harzseife kann keine saure Seife geben).
                           Es sind aber die Lösungen dieser sauren Seifen emulsionsartig und sie enthalten
                              									überhaupt mehr Alkali als die saure Ricinusölseife. Versucht man die freien
                              									Fettsäuren aus Olëin, Leinöl, Hanföl, Olivenöl u.s.w. durch eine zur Neutralisation
                              									ungenügende Alkalimenge in ein dem Türkischrothöle ähnliches, mit Wasser leicht
                              									emulsionirendes Product zu verwandeln, so wird man keinen Erfolg haben, weil sich
                              									Klumpen bilden, die sich schwer im Wasser vertheilen. Um eine gleichmäſsige Emulsion
                              									aus diesen Fettsäuren zu erhalten, muſs man schon von Anfang an viel Wasser nehmen,
                              									indem man die verdünnte Lösung der Neutralseife mit Schwefelsäure oder Salzsäure
                              									weniger alkalisch macht, oder die Fettsäuren in alkalisches Wasser unter starkem
                              									Umrühren gieſst.
                           Die erwähnten Oele können wie das Ricinusöl sulfirt werden und liefern dann Producte,
                              									die leicht mit Wasser emulsioniren und mit Ammoniak neutralisirt emulsionsartige
                              									Auflösungen geben. In der Färberei habe ich mit diesen Oelen niemals so schöne
                              									Resultate erhalten, als mit dem Ricinusöl. Obwohl meine Arbeiten in dieser Richtung
                              									noch nicht abgeschlossen sind, werde ich einige hierher bezügliche Umstände erwähnen, um die
                              									eigenartigen Eigenschaften des Ricinusöles besser zu beleuchten.
                           Daſs die käufliche Olëinsäure, in das Türkischrothöl verwandelt, in der Färberei
                              									brauchbare, obwohl dem Ricinusöl sehr nachstehende Resultate liefert, erklärt sich
                              									dadurch, daſs man hier mit einer freien Fettsäure zu
                              									thun hat, was, wie oben erörtert, für die Färberei der wichtigste Punkt ist.
                              									Behandelt man Olein, Hanf-, Lein-, Sonnenblumenöl (ich habe vorwiegend mit diesen
                              									Oelen gearbeitet) mit concentrirter Schwefelsäure, so wird man bemerken, daſs die
                              									Zersetzung dieser Oele anders verläuft, wie beim Ricinusöl: die Reactionsmasse
                              									erwärmt sich viel stärker und kommt leicht zur schwefligen Säureentwickelung.
                              									Arbeitet man vorsichtig und bei gehöriger Abkühlung, so wird das Gemisch so dick,
                              									daſs man die Arbeit kaum zu Ende bringen kann. Als Resultat erhält man jedenfalls
                              									Producte, die viel unzersetztes Glycerid enthalten. Beim längeren Stehen so
                              									dargestellter Türkischrothöle trennen sie sich in 2 Schichten, wobei die obere
                              									gröſstentheils aus unzersetztem Glyceride besteht. Wie gesagt, geben solche
                              									Türkischrothöle nur emulsionsartige alkalische Auflösungen und in der Färberei keine
                              									befriedigenden Nuancen.
                           Unzersetztes Glycerid kann auch zu dem Ricinus-Türkischrothöle nur in geringer Menge
                              									zugesetzt werden, wenn nicht die Farbresultate verdorben werden sollen, und dieser
                              									Glyceridzusatz ist mit keinen Vortheilen verbunden. Hier können nur die
                              									physikalischen Eigenschaften in Betracht kommen, und diese sind bei Ricinusöl und
                              									bei den Ricinusölfettsäuren fast die gleichen. Die Echtheit und der Glanz des
                              									Rothlackes können ebenso gut durch die letzteren, als durch das erste bedingt
                              									werden. Dazu ist noch zweifelhaft, ob das Glycerid wirklich auf der gefärbten Waare
                              									zurückbleibt und nicht schon während des Arbeitsganges oder kurz darauf zersetzt
                              									wird.
                           Fassen wir das über das Türkischrothöl Gesagte kurz zusammen, so werden wir vor allem
                              									hervorheben müssen, daſs die Hauptsache bei der Darstellung des Türkischrothöles in
                              									dem vollständigen Zersetzen des Glycerides unter Glycerinausscheidung und
                              									Hydratisirung der Fettsäuren besteht. Die Sulfoverbindungen sind von geringerer
                              									Bedeutung, aber sie machen das Oelbad dünnflüssiger und weniger schäumend und sie
                              									verhindern die Bildung des Alkalializarates, was besonders bei der unrationellen
                              									alkalischen Avivage von Wichtigkeit ist.
                           Das Ricinusöl verdankt seine Verbreitung in der Färberei hauptsächlich zwei
                              									Umständen: der leichten Verseifbarkeit und Zersetzbarkeit durch Schwefelsäure, und
                              									der leichten Löslichkeit der sauren (und auch wohl der neutralen) Seife.
                           Die vorliegende Arbeit ist auf der Sokolow'schen
                              									Manufactur von Herrn Assaff Baranoff bei Alexandraw
                              									(Ruſsland) ausgeführt.
                           Alexandrow, Januar 1890.