| Titel: | Weitere Fortschritte in der Nutzbarmachung des Sauerstoffes der Luft; von Dr. Georg Kassner, Breslau. | 
| Autor: | Georg Kassner | 
| Fundstelle: | Band 278, Jahrgang 1890, S. 469 | 
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                        Weitere Fortschritte in der Nutzbarmachung des
                           								Sauerstoffes der Luft; von Dr. Georg Kassner, Breslau.
                        Fortschritte in der Nutzbarmachung des Sauerstoffes der
                           								Luft.
                        
                     
                        
                           Seit meiner im 274. Band von Dingler's polytechnischem
                                 										Journal erfolgten Publication: Ein neues Verfahren
                                 										zur Nutzbarmachung des Sauerstoffes der Luft und die demselben zu Grunde
                                 										liegenden Verbindungen, hat sowohl das weitere Studium der Orthoplumbate
                              									der Erdalkalien verschiedene neue wissenschaftliche Resultate, als ihre Anwendung
                              									mehrere interessante Gesichtspunkte ergeben, so daſs ich im Interesse der Sache und
                              									der sich mit ihr beschäftigenden technischen Kreise nicht zögern will, sie bekannt
                              									zu geben.
                           
                        
                           I. Kunstgriffe für die Darstellung der
                                 										Orthoplumbate.
                           Was zunächst die Bereitung des wichtigsten der drei neuen Körper, nämlich des
                              									bleisauren Kalkes, anbelangt, so hat es sich als zweckmäſsig erwiesen, nicht genau das
                              									Aequivalent-Verhältniſs beider Bestandtheile innezuhalten, sondern von dem
                              									kohlensauren Kalk einen geringen, etwa 5 Proc. seiner Masse betragenden Ueberschuſs
                              									zu nehmen. Man erreicht dadurch eine gröſsere Lockerheit des Präparates und die
                              									Möglichkeit, nahezu alles Bleioxyd in die Bleisäure überzuführen, zumal wenn man für
                              									eine sehr innige Mischung Sorge getragen hat. Es hat
                              									sich ferner gezeigt, daſs die Darstellung des bleisauren Kalks mit Hilfe von Schlemm
                              									kreide mehr Schwierigkeiten verursacht, als wenn man Kalkspathmehl verwendet.
                           Der Grund hierfür liegt einmal in dem in jeder Schlemmkreide vorhandenen
                              									Feuchtigkeitsgehalt, durch welchen kleine Klümpchen oder Knöllchen gebildet werden,
                              									welche eine innige Vermischung mit dem Bleioxyd nicht zulassen, auch wenn man die
                              									Masse mehrmals durch ein Sieb schlägt, dessen Maschen sich hierbei auſserdem leicht
                              									verstopfen. Ist nun aber keine ganz homogene Mischung erzielt worden, so daſs sich
                              									schon beim Streichen mit dem Finger verschiedenfarbige Streifen zeigen, so darf man
                              									nicht erwarten, bei dem darauffolgenden Glühen ein vollkommenes Präparat zu erhalten
                              									5 es wird bei der Prüfung mit Salpetersäure stets noch Kohlensäure wahrzunehmen sein
                              									und im Filtrat wird Schwefelwasserstoff einen dicken schwarzen Niederschlag
                              									hervorrufen.
                           Der andere Uebelstand, den die Anwendung der Schlemmkreide mit sich bringt, liegt in
                              									ihrer äuſserst feinen Structur. Dadurch, daſs ihre Partikelchen sich im Gemisch mit
                              									der schweren Bleiglätte dicht über einander und zusammen lagern, hindern sie sehr
                              									den Zutritt des Sauerstoffes der Luft in die Tiefe des Pulvers, durch welchen ja
                              									lediglich und in Combination mit dem Bleioxyd die Kohlensäure des Calciumcarbonats
                              									ausgetrieben wird; die Folge davon ist eine Verlangsamung des Oxydationsprozesses,
                              									welchen man unter diesen Umständen nur durch eine verstärkte Rührbewegung
                              									beschleunigen kann.
                           Zu diesen beiden Nachtheilen der Schlemmkreide kommt noch der hinzu, daſs letztere
                              									immer mehrere Procent Verunreinigungen (Kieselsäure, Thonerde oder organische
                              									Substanzen) enthält, während es nicht schwer hält, ein Kalkspathmehl von 99,6 Proc.
                              									Gehalt im Handel zu bekommen.
                           Es ist also rationeller, den kohlensauren Kalk in Form von Kalkspathmehl oder in
                              									gefälltem Zustande anzuwenden.
                           Als ferneres sehr wichtiges Ergebniſs der Beschäftigung
                              									mit dem bleisauren Kalk ist der Umstand zu erwähnen, daſs es nicht mehr nothwendig ist, die erreichte pulverförmige Mischung auch während
                                 										der Glüh-Operation in pulverförmigem Zustande zu erhalten; die Bereitung
                              									des Präparates unterliegt keinerlei Schwierigkeit, wenn man es in gekörntem Zustande oder selbst in gröſseren Stücken herstellen will. Im Gegentheil,
                              									dadurch, daſs man die Mischung vor dem Glühen in Stücke formt und sie dann in den Ofen bringt,
                              									erreicht man eine viel lockerere Lagerung, welche bewirkt, daſs jetzt die Luft
                              									bequem in die zwischen den Stücken vorhandenen Kanäle dringen und von hier aus in
                              									die Massen selbst diffundiren kann. Auf diese Weise ist es auch möglich, in einem
                              									Ofen und in einer Operation weit mehr von dem Präparate
                                 										fertig zu machen, als wenn man dasselbe nur in Pulverform herstellte, wobei
                              									man die zu erhitzende Schicht nicht viel mehr als 1 bis 2cm hoch sein lassen darf, wenn nicht der Austausch
                              									der Gase ungebührlich lange hingehalten werden soll.
                           Man erreicht die erwähnte Granulirung der Masse sehr leicht dadurch, daſs man
                              									dieselbe nach inniger Mischung der Bestandtheile mit Wasser benetzt und die
                              									hierdurch entstandenen Klümpchen wieder trocken werden läſst, worauf sie ihre Form
                              									ziemlich gut beibehalten. Andernfalls kann man auch ein Bindemittel, wie z.B.
                              									Stärkekleister, Zucker oder Kalkmilch, Theer u. dgl. anwenden. Man trennt dann die
                              									erhaltenen Stücke nach der Korngröſse mit Hilfe eines Siebes. Man kann auch auf
                              									dieselbe Weise die zu glühende Mischung in die Form von Platten oder Ziegeln
                              									bringen, welche selbst wieder von Kanälen durchzogen sein können.
                           Will man aber eine ganz poröse und lockere Masse erhalten, deren Umwandelung in
                              									bleisauren Kalk besonders rasch vor sich geht und
                              									welche namentlich für die Anwendung des Präparates zur Darstellung von Sauerstoff in
                              									groſsem Maſsstabe erwünscht ist, so muſs man der angefeuchteten und zu formenden
                              									Masse solche Zusätze machen, welche bei dem Trocknen oder Glühen wieder verschwinden
                              									oder verzehrt werden, so daſs an ihrer Stelle kleine Hohlräume, Blasen oder Kanäle
                              									entstehen.
                           Es leuchtet ein, daſs man in der Wahl derartiger Mittel ziemlich viel freie Hand hat,
                              									da sich je nach Umständen verschiedene Stoffe dazu eignen.
                           Um nur ein Beispiel anzuführen, so eignet sich nach meinen Versuchen zu dem gedachten
                              									Zweck sehr gut feines Holzpulver, Holzkohle, Ammoniumcarbonat, von welch ersterem
                              									ein Zusatz von 5 bis 10 Proc. der zu glühenden Masse vollauf genügt, um sowohl ein
                              									recht poröses Präparat zu erzielen, als auch die Bildung desselben in kürzester
                              									Frist zu bewirken. Desgleichen wird auch eine Beimengung von klein geschnittenem
                              									Stroh und anderer voluminöser Substanzen eine recht poröse Masse liefern müssen.
                           Der geringe Aschengehalt der Holzkohle oder des Holzpulvers, Sägespäne, spielt bei
                              									der geringen Menge des Zusatzes keine Rolle; will man aber ein von fremden Körpern
                              									absolut freies Präparat erhalten, so ist auſser dem kohlensauren Ammon noch der
                              									Gebrauch von Zucker zu empfehlen.
                           Bei der Anwendung der erwähnten brennbaren Körper, z.B. der Holzkohle oder der
                              									Sägespäne, beobachtet man während des Glühens eine Steigerung der Temperatur, weshalb man die Masse
                              									zunächst nur gelinde erwärmt, damit kein Verlust an Material stattfindet, da bei zu
                              									hoher Temperatur das Bleioxyd flüchtig ist.
                           Im zweiten Stadium nimmt man wahr, daſs das Bleioxyd theilweise oder bei gröſserem
                              									Zusatz brennbarer Substanzen gänzlich zu metallischem Blei reducirt wird, weshalb
                              									eine jetzt aus dem Ofen herausgezogene Probe ein gleichmäſsig graues Aussehen
                              									besitzt.
                           Im dritten Stadium endlich findet die totale Oxydation und Hyperoxydation statt,
                              									welche der nunmehr vorhandenen Zwischenräume, Blasen und Kanäle wegen mit groſser Leichtigkeit erfolgt und ein sehr lockeres,
                              									reactionsfähiges Product liefert.
                           Der gröſste Vorzug, den die Vertauschung des pulverförmigen mit dem gekörnten
                              									(granulirten) Zustande der Mischung besitzt, liegt in der Ersparung der mechanischen Bewegung und des Durchrührens der Masse.
                           Während ich in meiner ersten Abhandlung in D. p. J. 1889
                              										274 186 diese Arbeit noch als eine durchaus
                              									nothwendige bezeichnete, muſs ich sie nach dem heutigen Stande meiner Kenntniſs und
                              									praktischen Erfahrung als überflüssig bezeichnen, da das Vorhandensein der
                              									Luftkanäle innerhalb der zu glühenden Mischung, wie ich schon angeführt habe, ein
                              									weiteres „An die Luftbringen“ erübrigt.
                           
                        
                           II. Oefen für die Darstellung der
                                 										Orthoplumbate.
                           Aber nicht genug mit den bereits erwähnten Verbesserungen, es ist noch ein weiterer
                              									Schritt zur Vervollkommnung der Sache gethan worden. Dieser liegt in der äuſserst
                              									wichtigen Beobachtung, daſs es nicht durchaus erforderlich ist, die Orthoplumbate
                              									der alkalischen Erden in einem Muffelofen darzustellen, sondern daſs es auch möglich ist, sie in einem Flammen-, ja selbst
                                 										in einem Schachtofen darzustellen, sobald man nur einen Ueberschuſs von
                              									Luft, bezieh. Sauerstoff in den über und durch die Masse streichenden Feuergasen
                              									zutreten läſst.
                           Es liegt auf der Hand, daſs man auf diese Weise mit Hilfe der strahlenden und von den
                              									Flammengasen fortgeführten Wärme eine ungleich kräftigere Oxydation erzielen wird,
                              									vor Allem aber, daſs man hierbei die im Ofen erzeugte Wärme am besten ausnutzen
                              									kann.
                           In Verbindung mit der bereits früher hervorgehobenen Thatsache, daſs die Kohlensäure
                              									der Erdalkalicarbonate bei Gegenwart von Bleioxyd und Luft leichter, d.h. bei niedrigeren Hitzegraden ausgetrieben werden kann,
                              									als ohne Mitwirkung des Bleioxydes, gewinnt die Möglichkeit der Anwendung eines
                              									Flammen- oder Schachtofens eine um so gröſsere Bedeutung. Auf diese Weise wird die
                              									Behauptung, welche ich früher gelegentlich äuſserte, daſs der im bleisauren Kalk
                              									enthaltene AetzkalkMan kann sich
                                    											zweckmäſsig den bleisauren Kalk als ein Gemenge von Aetzkalk mit
                                    											Bleisuperoxyd vorstellen. für chemische Zwecke billiger zu stehen komme, als der auf gewöhnliche Weise gebrannte,
                              									erst vollends zur Wahrheit. Auſserdem aber ist die Fixirung des Sauerstoffes der
                              									Luft in einer losen, chemisch wirksamen und zu den verschiedensten Zwecken
                              									anwendbaren Verbindung ein noch ganz besonderer Vortheil des Verfahrens.
                           Daſs man in der That von dem im bleisauren Kalk gebundenen Kalk als von chemisch
                              									wirksamem Kalk reden kann, ergibt sich ohne weiteres, wenn man erwägt, daſs der
                              									bleisaure Kalk Sodalösung in Natronhydrat und in kohlensauren Kalk, Chlorammonium in
                              									Chlorcalcium und in freies Ammoniak zu verwandeln vermag. Gerade für den
                              									Ammoniaksodaprozeſs dürfte die Darstellung und Verwendung des bleisauren Kalkes in
                              									mancherlei Combinationen von besonderem Werthe sein.
                           Man könnte sich unter Benutzung der vorher erwähnten Momente die Darstellung des
                              									bleisauren Kalkes für technische Zwecke folgendermaſsen denken. Das in dem richtigen
                              									Verhältnisse hergestellte Pulvergemisch von Bleioxyd und kohlensaurem Kalk wird mit
                              									noch 5 Proc. Sägespänen, Holzkohlenklein o. dgl. vermengt und nach Begieſsen mit
                              									wenig Wasser eventuell unter Zusatz von einem Bindemittel in Ziegel (Hohlziegel)
                              									geformt. Man läſst dieselben trocken werden und bringt sie in einen Schachtofen,
                              									welcher durch Generatorgasfeuerung geheizt wird. Der
                              									Ofen steht oben mit einer Luftpumpe in Verbindung, durch welche die lediglich aus
                              									Kohlensäure und Stickstoff bestehenden Ofengase abgesaugt und zu Saturationszwecken,
                              									zur Umwandelung von Ammoniak in Ammoniumbicarbonat (Sodafabrikation) u.s.w.
                              									verwendet werden. Das Präparat muſs in dieser Weise rasch und gut fertig werden,
                              									sobald man für den Zutritt eines hinreichenden Ueberschusses von sauerstoffhaltiger Luft und genügende Hitze Sorge trägt.
                              									Der Betrieb kann auf diese Weise stetig sein.
                           Es muſs betont werden, daſs ein derartiger Ofen bisher für die Fabrikation der
                              									orthobleisauren Salze noch nicht versucht worden ist, aber aus den mit gutem Erfolge
                              									im Kleinen angestellten Laboratoriumsversuchen ergibt sich mit gröſster Gewiſsheit,
                              									daſs die Fabrikation genannter Präparate in jener Weise sicher vor sich gehen muſs.
                              									Versuche lassen sich ja mit den in der Technik bereits vorhandenen Oefen leicht im
                              									Groſsen und ohne besondere Umstände und Kosten anstellen.Während des Druckes dieser Arbeit erhielt
                                    											Verfasser die Nachricht, daſs der bleisaure Kalk jetzt bereits im Groſsen
                                    											auf diese Weise gewonnen wird. Bei solch groſsartiger und
                              									wahrhaft billiger Herstellungsweise bestehen dann die weitesten Chancen für die
                              									technische Verwendung der drei Orthoplumbate, vornehmlich aber für die Gewinnung von
                              									Sauerstoff im groſsen Maſsstabe.
                           
                        
                           III. Darstellung von Sauerstoff aus
                                 										bleisaurem Kalk.
                           Auch hierzu ist noch manches zu bemerken, was in meiner ersten Abhandlung in diesem
                              									Journal unerwähnt geblieben ist.
                           
                           Ich zeigte daselbst, daſs man Sauerstoff nur dann aus dem bleisauren Kalk gewinnen
                              									könne, wenn man letzteren zuvor in seine Componenten, Bleisuperoxyd und kohlensauren
                              									Kalk, gespalten hat. Das Gemisch dieser beiden Körper braucht dann nur stark erhitzt
                              									zu werden, entweder für sich oder mit Hilfe überhitzten Wasserdampfes oder unter
                              									Anwendung eines Vacuums, um alsbald das zweite Atom Sauerstoff im Bleisuperoxyd frei
                              									zu machen. Nun glaubte ich bisher, die vortheilhafteste Art, den bleisauren Kalk in
                              									seine Componenten zu zerlegen, sei diejenige, bei welcher Monocarbonate der Alkalien
                              									mit dem bleisauren Kalk gekocht werden, da man hierbei werthvolle kaustische Laugen
                              									als Nebenproduct gewinnt.
                           Wenn diese Ansicht auch für sehr viele Fälle, namentlich bei der Anwendung meines
                              									Verfahrens in der chemischen Industrie, eine richtige ist, so ist doch andererseits
                              									nicht zu vergessen, daſs man durch diese, schon 1889 274
                              									189 erwähnte Zersetzungsreaction eine Menge nothwendiger Arbeiten zu erledigen hat,
                              									welche einem Betriebe im Groſsen, wie er gerade bei der zu technischen, metallurgischen u.a. Zwecken dienenden Fabrikation von
                              									Sauerstoff stattzufinden hat, im Wege stehen. Dazu kommt, daſs die Mengen der
                              									nebenher gewonnenen Aetzlaugen so bedeutende werden müſsten, daſs für dieselbe keine
                              									Verwendung mehr vorhanden wäre und man genöthigt sein würde, sie durch Ofengase
                              									wieder in Monocarbonate oder auch in Bicarbonate überzuführen.
                           Es war daher eine mir sehr willkommene und ergänzende
                                 										Beobachtung, daſs auch die Kohlensäure den bleisauren Kalk in glühendem Zustande
                                 										zu zerlegen vermag und ihn in Sauerstoff und kohlensauren Kalk überführt,
                              									gemäſs folgender Gleichung: Ca2PbO4 + 2CO2 = O +
                              										2CaCO3 + PbO. Hier haben wir zwar dieselben
                              									Zersetzungsproducte, welche auch die Bicarbonate, Monocarbonate und freie
                              									Kohlensäure bei gewöhnlicher Temperatur liefern, aber der Vorzug der Anwendung der
                              									Glühhitze liegt darin, daſs man sofort und in einer
                                 										Operation Sauerstoff erhält, während man nach der von mir zuerst
                              									beschriebenen Methode dazu mehrere Arbeiten, freilich unter Gewinnung von
                              									werthvollen Nebenproducten, nothwendig hatte.
                           Man wird jetzt also das grobgekörnte und recht porös dargestellte Gemisch in einem
                              									geeigneten Glühofen, als welcher meiner Ansicht nach ein gewöhnlicher Schachtofen
                              									dienen kann, ruhig liegen lassen und zuerst durch diese Füllung gewöhnliche, stark
                              									erhitzte, eventuell mit Flammengasen vermischte Luft und dann reines Kohlensäuregas
                              									streichen lassen. Das immer in letzterem Falle entwickelte Sauerstoffgas wird in
                              									einem Gasometer aufgefangen oder man leitet es alsbald, wenn die Ansammlung in
                              									besonderen Behältern zu umständlich ist, in die Feuerungsanlagen, Schmelzöfen, in
                              									denen es gerade gebraucht wird. Auf diese Weise kann ein und
                                 										dasselbe Material zur Darstellung nahezu unbegrenzter Mengen Sauerstoff
                              									dienen.
                           
                           Es liegt auf der Hand, daſs wegen der leichten, unter günstigen Umständen nur wenige Minuten
                              									dauernden Bildung des bleisauren Kalkes, seiner exacten Zerlegung durch Kohlensäure,
                              									seines geringen Materialwerthes, des Entbehrens kostspieliger Apparate und Oefen,
                              										die Fabrikation des Sauerstoffgases nach meiner
                              									Methode in ganz riesigem Umfange erfolgen kann, wodurch
                              									erst der Werth desselben für Industrie und Technik bedingt wird. Wenn ich daher
                              									schon früher (1889 274 271) mein Verfahren als
                              									vortheilhafter bezeichnete als dasjenige Brins bezieh.
                              										Boussingault's, so ist jetzt gar kein Zweifel mehr
                              									an der Richtigkeit dieser meiner Behauptung möglich, nachdem in Folge neuerer
                              									Beobachtungen das Arrangement der Darstellung und Zerlegung des bleisauren Kalkes
                              									eine so praktische Form angenommen hat.
                           Das Einzige, was vielleicht noch einige Schwierigkeit verursachen könnte, ist die
                              									Beantwortung der Frage: Woher nehmen wir die groſse, zur raschen Zerlegung des
                              									Calciumplumbates erforderliche Menge Kohlensäure?
                           Hier sei nun zunächst daran erinnert, daſs bei der Verbrennung von Koks, Kohle und
                              									Holz mittels reinen Sauerstoffgases neben Wasser nichts anderes als reine,
                              									stickstofffreie Kohlensäure gewonnen wird. Man wird dieselbe also nicht aus den
                              									Oefen entweichen lassen, sondern als wichtigen Factor des ganzen, hier geschilderten
                              									Prozesses in Gasometern auffangen, oder sie aus dem Ofen, in welchem sie erzeugt
                              									worden ist, direkt in einen zweiten leiten, um dort die Zerlegung neuer Portionen
                              									bleisauren Kalkes vorzunehmen. Indessen beträgt die durch Verbrennen des gewonnenen
                              									Sauerstoffgases erzeugte Kohlensäure nur einen Bruchtheil (im günstigsten Falle etwa
                              									ein Viertel) der zur Gewinnung der äquivalenten Menge Sauerstoff (in Bezug auf den
                              									bleisauren Kalk) erforderlichen Quantität. Um nun das noch verlangte Mehr beschaffen
                              									zu können, wird man besondere Absorptionsvorrichtungen anzubringen haben, welche die
                              									Kohlensäure aus den Ofengasen, welche höchstens 20 Proc. dieses Gases enthalten, in
                              									concentrirtem Zustande abscheiden. Man könnte hierbei an die Verwendung der
                              									Monocarbonate der Alkalien und des Ammoniums denken, welche bekanntlich unter
                              									Verwandlung in Sesqui- bezieh. Bicarbonate Kohlensäure auch in solch stark
                              									verdünntem Zustande leicht aufnehmen. Doch sind auch bereits besondere
                              									Condensationspumpen mit Vorrichtungen gebaut worden, welche den Stickstoff und
                              									Sauerstoff von der Kohlensäure trennen, und letztere in reinem Zustande
                              									abscheiden.
                           Wichtiger aber erscheint mir folgendes Verfahren, welches auf einer ebenfalls von mir
                              									herrührenden Beobachtung beruht. Da ich nämlich wahrnahm, daſs granulirter und
                              									poröser bleisaurer Kalk, sobald man ihn schwach befeuchtet (was eventuell durch
                              									ungespannten Wasserdampf geschehen könnte), die Kohlensäure schwachprocentiger
                              									Ofengase, wenn solche in mit Wasserdampf gesättigtem
                              									Zustande von etwa 50 bis 95° C. übergeleitet werden, ziemlich vollkommen absorbirt, bin
                              									ich der Meinung, diese wichtige Reaction dadurch praktisch verwerthen zu können,
                              									daſs man mehrere Schachtöfen zu einem System verbindet, von
                                 										denen immer mehrere alternirend durch feuchtwarme Ofengase durchstrichen
                                 										werden. Derjenige Ofen, welcher dieser Einwirkung am längsten ausgesetzt
                              									gewesen ist, enthält dann zerlegten bleisauren Kalk in Gestalt compacter, aber immer
                              									noch poröser brauner Stücke, welche bis in die Mitte
                              									hinein aus einem Gemisch von Bleisuperoxyd und kohlensaurem Kalk bestehen. Dieser
                              									letzte Ofen ist dann schlieſslich noch zur Glut zu bringen und mit reinem
                              									Kohlensäuregas zu behandeln, von welchem man natürlich jetzt nur eine sehr geringe
                              									Menge zur Austreibung des ganzen Sauerstoffes bedarf; zum Austreiben eignet sich
                              									wohl am besten überhitzter Wasserdampf.
                           Heiſser als 95° C. dürfen die Gase nicht gut sein, da sie in diesem Falle die Stücke
                              									des bleisauren Kalkes leicht austrocknen würden, wodurch die Absorption der
                              									Kohlensäure unmöglich gemacht oder wenigstens sehr erschwert wird.
                           So kann also auch die Kohlensäure in verdünntem
                                 										Zustande, so wie sie von unseren Feuerungsanlagen geliefert wird, dazu
                              									dienen, Sauerstoff zu erzeugen, bezieh. dessen Erzeugung vorzubereiten. Da nun diese Form der Kohlensäure geradezu kostenlos und in
                              									enormen Mengen producirt wird, ist die Möglichkeit ihrer Verwendung jedenfalls ein
                              									der Sache sehr günstiger Umstand. Uebrigens können auch die Gase, welche aus jenen
                              									Oefen entweichen, in welchen gerade bleisaurer Kalk durch Einleiten von stark
                              									erhitzter Luft und von Flammengasen erzeugt wird, zu der besprochenen vorbereitenden
                              									Zerlegung dienen, wodurch immer dieselbe Kohlensäure zur Anwendung gelangen würde,
                              									was ja ganz selbstverständlich ist.
                           
                        
                           IV. Gesetzmäſsigkeiten bei der Bildung
                                 										und Zerlegung der Orthoplumbate.
                           Was nun die Wechselwirkung zwischen Kohlensäure und bleisaurem Kalk bezieh. die
                              									Entstehung desselben aus einem Gemenge von Bleioxyd, Calciumcarbonat und Luft unter
                              									Abscheidung von Kohlensäure anbelangt, kann ich nicht umhin, bei dieser Gelegenheit
                              									die in vorstehenden Zeilen scheinbar enthaltenen Widersprüche zu beleuchten.
                           Ich zeigte früher, daſs das Bleioxyd in mit Sauerstoff beladenem Zustande, wie
                              									letzterer durch Erhitzen desselben an der Luft erhalten wird, fähig ist, die Kohlensäure des kohlensauren Kalkes, Baryts und
                                 										Strontians auszutreiben, so daſs sich die Bildung der betreffenden
                              									Orthoplumbate bei niedrigerer Temperatur vollzieht, als
                              									sie die Entstehung der Oxyde der Erdalkalien aus den Carbonaten allein erfordert;
                              									aber eben sahen wir auch, daſs Kohlensäure in glühendem Zustande wieder den
                              									Sauerstoff auszutreiben und Carbonate zu bilden vermag.
                           Nun, dieser Widerspruch löst sich sehr einfach, wenn man die Bildung und Zersetzung der Plumbate
                              									lediglich als eine Funktion der Massenwirkung
                              									betrachtet, welche ja in der Chemie bei vielen Prozessen eine so wichtige Rolle
                              									spielt.
                           Diese Wirkung tritt gerade bei der Darstellung des bleisauren Kalkes so eclatant zu
                              									Tage, derart, daſs sie für die Höhe der erforderlichen
                                 										Temperatur von gröſstem Einfluſs ist. Haben wir z.B. einen Ueberschuſs von
                              									Luft mit 20 Proc. Sauerstoff und halten wir von dem Gemisch von Bleioxyd und
                              									kohlensaurem Kalk jede Annäherung von Kohlensäure in Gestalt von Heizgasen ab,
                              									sorgen wir auſserdem für rasche Abführung der durch den chemischen Prozeſs aus dem
                              									Calciumcarbonat selbst erzeugten Kohlensäure, so vollzieht sich die Bildung des
                              									bleisauren Kalkes bereits bei beginnender (gerade
                              									sichtbarer) Rothglut, immer vorausgesetzt, daſs die
                              									ganze Mischung diese Temperatur angenommen hat und nicht bloſs die Wandung des
                              									betreffenden Gefäſses, In dieser Beziehung werden gewöhnlich recht viele Fehler
                              									gemacht und es ist oft nicht zu glauben, wie wissenschaftlich und technisch
                              									gebildete Leute sich darüber wundern können, wenn sie bei ihren Versuchen keinen
                              									oder nur wenig bleisauren Kalk im Tiegel erhalten hatten, da sie denselben zu
                              									reichlich mit dem Pulvergemisch angefüllt hatten und doch hätten wissen müssen, daſs
                              									nur in der unteren Hälfte des Gefäſses die gewünschte Temperatur herrschen kann,
                              									während sie bis zu der oberen Hälfte nicht dringt, vielmehr dort noch durch
                              									Ausstrahlung vermindert wird. –
                           Zur Beleuchtung des anderen Extremes der für die Bildung des bleisauren Kalkes
                              									erforderlichen Temperaturbedingungen erwähne ich folgenden Versuch. Um zu ermitteln,
                              									welchen Einfluſs recht kohlensäurereiche und nur wenig Sauerstoff führende Gase auf
                              									die Entstehung des Präparates haben, mischte ich 1 Vol. gewöhnliche Luft mit 3 Vol.
                              									Kohlensäuregas und lieſs dieses Gemenge, welches also nur 5 Proc. Sauerstoff
                              									enthielt, über die in einem schwer schmelzbaren Glasrohr befindliche Mischung von
                              									Bleioxyd mit kohlensaurem Kalk treten, nachdem das Rohr mit Hilfe mehrerer
                              									Bunsenbrenner zur Rothglut gebracht worden war. Hier zeigte sich nun die überraschende Thatsache, daſs auch ein so
                                 										sauerstoffarmes Luftgemenge die Bildung von bleisaurem Kalk herbeiführt.
                              									Aber während in dem oben erwähnten Falle bereits beginnende Rothglut hinreichte, ist
                              									hier der Ueberschuſs der Kohlensäure die Veranlassung, daſs sich nur an den heiſsesten, direkt über den Flammen befindlichen
                              									Stellen des Glasrohres bleisaurer Kalk bildete, woselbst bereits wegen der hohen
                              									Temperatur ein Erweichen der Glasmasse stattgefunden hatte. Man kann somit sehen,
                              									daſs die Höhe der erforderlichen Temperatur wesentlich durch den Umstand bestimmt
                              									wird, ob die zugeführte sauerstoffhaltige Luft viel oder wenig Kohlensäure
                              									enthält.
                           Bei Anwesenheit von viel Sauerstoff und wenig Kohlensäure wird also die Bildung des
                              									bleisauren Kalkes bei der niedrigsten Temperatur, welche möglich ist, vor sich
                              									gehen, umgekehrt dagegen die hellste Rothglut
                              									verlangen, sobald nur wenig Sauerstoff, aber viel Kohlensäure in der über die zu
                              									erhitzende Mischung geführten Luft enthalten ist. Dasselbe gilt natürlich auch von
                              									der Darstellung der anderen beiden Verbindungen (Ba2PbO4 und Sr2PbO4). Man erkennt daraus auch, daſs die
                              									Bildung der drei Orthoplumbate nicht bloſs in einem Muffelofen, sondern, was viel
                              									vortheilhafter ist, auch in einem Flammenofen, ja sogar
                              									auch in einem Schachtofen möglich ist.
                           Jetzt wird es wohl einem jeden Leser klar geworden sein, besonders denen, welche sich
                              									aus technischen Kreisen heraus mit Fragen an mich gewendet hatten, warum man bei
                              									Laboratoriumsversuchen einen Tiegel nicht zu voll mit
                              									der betreffenden Mischung machen darf, wenn nicht ein unvollkommenes Präparat
                              									erhalten werden soll. Während die oberen Schichten des Inhaltes im Vergleich mit den
                              									unteren nur schwach erhitzt werden, empfangen sie im Gegentheil die von jenen
                              									abgegebene Kohlensäure, welche bei der oben herrschenden niedrigeren Temperatur
                              									bereits wieder zerlegend auf den bleisauren Kalk wirkt; dieser Umstand allein ist
                              									die Ursache des Miſsglückens mancher mir bekannt gewordener Versuche.
                           Jetzt ist es ferner auch möglich, die bereits früher aufgeworfene Frage zu
                              									beantworten, weshalb der bleisaure Kalk an den höchsten Stellen des Tiegels öfters
                              									einen Stich ins Hochrothe zeigt (vgl. 1889 274 187).
                              									Diese Farbe rührt lediglich von einem kohlensäurehaltigen Zwischenproduct her,
                              									welches durch Einwirkung gasförmiger Kohlensäure auf bereits gebildeten bleisauren
                              									Kalk bei verhältniſsmäſsig niedriger Glühtemperatur entsteht.
                           
                        
                           V. Anwendungen der
                                 									Orthoplumbate.
                           Wie schon früher (1889 274 187) hervorgehoben, lassen die interessanten Eigenschaften
                              									und Reactionen der drei Orthoplumbate die mannigfaltigsten Anwendungen zu. Sie
                              									können sowohl dazu dienen, als Oxydationsmittel den Sauerstoff der Luft an
                              									oxydirbare Körper, sei es in feuchtem oder sei es in trockenem und erhitztem
                              									Zustande zu übertragen, als auch verschiedene andere
                                 										Producte zu erzeugen. Zu diesen gehören vorzüglich Sauerstoff,
                              									Bleisuperoxyd, Baryt- und Strontiumhydrat, alkalische Laugen, Ferricyansalze
                              									u.s.w.
                           Auch eignen sie sich in unzerlegtem Zustande, direkt angewendet, zur Herstellung von
                              									wohlfeilen Zündmischungen in der Zündwarenindustrie, nach meinen Versuchen auch zur
                              									Darstellung von Firnissen u.s.w.
                           Die imposanteste Anwendung aber dürfte wohl immer der
                                 										bleisaure Kalk erfahren, da er das billigste und
                                 										beste Material zur Darstellung von Sauerstoff darstellt. Wir haben oben
                              									gesehen, in welcher Weise die Fabrikation dieses so werthvollen Gases zu geschehen
                              									hat.
                           
                           Ich kann hierbei nicht unterlassen, der Freude und Genugthuung Ausdruck zu geben,
                              									welche ich empfand, als sich bis jetzt bereits zwei bedeutende deutsche Firmen an
                              									mich wandten, die eine, nämlich die Staſsfurter chemische
                                 										Fabrik (vormals Vorster und Grüneberg)
                              									Actiengesellschaft, um zunächst die Fabrikation und den Verkauf der drei
                              									Orthoplumbate für technische Zwecke zu übernehmen, die andere, um mit Hilfe des
                              									bleisauren Kalkes Sauerstoff in groſsem Maſsstabe für ihren eigenen Bedarf und
                              									Betrieb zu erzeugen. Die letzterwähnte Firma ist nun keine geringere als die
                              									Guſsstahlfabrik von Friedrich Krupp in Essen, welche
                              									sich auch bereits in der Förderung meines Verfahrens ein groſses Verdienst erworben
                              									und eine der oben erwähnten, für die Praxis wichtigen Beobachtungen gemacht hat.
                           Es ist deshalb mit Sicherheit zu erwarten, daſs mein Verfahren der Darstellung von
                              									Sauerstoff in groſsem Maſsstabe die gehofften Resultate auch in der Praxis geben und
                              									der Preis dieses Gases in Zukunft ein so niedriger wird, daſs dasselbe zu allgemeiner Anwendung gelangt.
                           Welche Fortschritte dann überall in Verkehr, Industrie und Gewerbe eingeleitet
                              									würden, läſst sich kaum überblicken; nur soviel sei gesagt, daſs ein groſsartiger Umschwung auf allen Gebieten des
                              									praktischen Lebens die Folge sein würde. Man denke sich nur, welche Wärme erzeugt wird, wenn Sauerstoff in unsere
                              									Heizanlagen geleitet, welche intensiven
                                 										LichtquellenVgl. den wichtigen
                                    											Aufsatz von W. Kochs über die praktische
                                    											Verwendbarkeit der Zirkonerde-Leuchtkörper, 1890 278 235. die mit Sauerstoff gespeisten Gasflammen
                              									geben, sobald man hellleuchtende Körper, Kalk- bezieh. Zirkoncylinder in ihnen
                              									anbringt, ein Licht, welches dem elektrischen nicht nachsteht; daſs ferner eine
                              									Abscheidung von Rufs und Rauch in den Feuerungen nicht mehr eintreten dürfte, da alle Kohle total verbrennt und ausgenutzt wird, und
                              									daſs schlieſslich auch in sanitärer und therapeutischer Hinsicht der Sauerstoff eine hohe
                              									Bedeutung besitzt, wird dieses Gas doch immer und mit Recht nur als eigentliche
                              											„Lebensluft“ bezeichnet; sie ist es aber
                              									nicht bloſs für Menschen und Thiere, sondern auch für Industrie und Technik.