| Titel: | Die Webstuhlfabrikation. | 
| Autor: | H-n. | 
| Fundstelle: | Band 279, Jahrgang 1891, S. 83 | 
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                        Die Webstuhlfabrikation.
                        Die Webstuhlfabrikation.
                        
                     
                        
                           Der geschäftliche Aufschwung der letzten Jahrzehnte ist ganz besonders auch in der
                              									Webstuhlfabrikation fühlbar gewesen und hat denjenigen Fabriken, welche in der Lage
                              									waren, diese Zeit auszunutzen, zu hoher Blüthe verholfen. Insbesondere hat sich dies
                              									bei den Chemnitzer Fabriken, der Sächsischen
                                 										Webstuhlfabrik vorm. Louis Schönherr und der
                              										Sächsischen Maschinenfabrik vorm. Richard Hartmann gezeigt, von welchen vorzüglich die
                              									erstere Fabrik, deren Specialartikel mechanische Buckskinwebstühle sind, in der Lage
                              									war, ihre Thätigkeit mit jedem Jahre zu vergrössern, ohne doch dabei der
                              									gesteigerten Nachfrage gerecht werden zu können. – In den ersten zehn Jahren ihres
                              									Bestehens lieferte die Schönherr'sche Fabrik 5000
                              									Webstühle, in den zweiten zehn Jahren 10000, in den dritten zehn Jahren 15000,
                              									während die jetzige Jahresleistung sich auf über 2000 Stühle beläuft. Mit dieser
                              									Zunahme der Production stiegen auch die Dividenden, welche, Anfang der 70er Jahre
                              									nur 2 bis 3 Proc. betragend, bald bis auf 10 Proc. in die Höhe gingen, welcher
                              									Betrag mehrere Jahre nach einander vertheilt werden konnte, dann aber auf 13, 15 und
                              									schliesslich 18 Proc. stieg, welch letzteren Procentsatz die Fabrik trotz einer
                              									eingetretenen stillen Geschäftszeit auch im vorigen Jahre vertheilen konnte. Vor
                              									etwa zehn Jahren führte Ingenieur Keller in der
                              									genannten Fabrik die Herstellung des Kurbelbuckskinstuhles ein, welcher durch seine
                              									grössere Leistungsfähigkeit sehr bald begann, dem Schönherr'schen Stuhle mit Excenterladenbewegung Concurrenz zu machen, und
                              									bildet heute die Hauptproduction der Schönherr'schen
                              									Fabrik. Auch die Sächsische Maschinenfabrik verlegte
                              									sich in ihrer Webstuhlabtheilung hauptsächlich auf Kurbelbuckskinstühle, und bald
                              									folgte die Grossenhainer Webstuhl- und Maschinenfabrik
                              									vorm. Anton Zschille diesem Beispiele nach. Letztere
                              									Anlage vereinigte sich vor einem Jahre mit einem in Chemnitz seit einer Reihe von
                              									Jahren bestehenden, den Bau leichterer, für Kleiderstoffe, Barchent, Zanellas und
                              									dergleichen dienenden Webstühle betreibenden Geschäfte, Firma May und Kühling, und erzielten auch diese bereits im
                              									ersten Jahre ihrer Zusammenlegung ein ganz vorzügliches Ergebniss.
                           Unter Leitung des Ingenieurs Hallensleben hatte vor etwa
                              									sechs Jahren die Schönherr'sche Fabrik auch den Bau
                              									mechanischer Ruthenstühle für Plüschfabrikation begonnen. Die Benennung dieser
                              									Stühle kommt daher, weil dieselben flach gewalzte Drähte, an deren Ende sich Messer
                              									befinden und für welche in der Plüschfabrikation die Bezeichnung Ruthen gebräuchlich
                              									ist, einweben und wieder herausziehen, wobei das am Draht befindliche
                              									Messerchen die über demselben liegenden Fäden zerschneidet und so den Plüsch bildet.
                              									Derartige Webstühle fanden besonders für die Fabrikation der Kameeltaschen
                              									Verwendung, doch wurden auch solche zur Herstellung einer Imitation der
                              									Smyrnateppiche gebaut, darunter ein Stuhl von aussergewöhnlichen Abmessungen, dessen
                              									äussere Breite über 10 m betrug. Der Apparat, welcher die 4 m langen Drähte zwischen
                              									die Kettfäden hineinschob und nach dem Festweben erfasste und wieder herauszog, war
                              									von sinnreicher Construction.
                           Trotzdem ist diese Branche wieder fallen gelassen worden, nachdem der Leiter
                              									derselben ausgetreten war und sich nach der Rheinprovinz gewandt hatte, um daselbst
                              									den Webstuhlbau in einer grösseren Maschinenfabrik einzuführen. Statt der
                              									Ruthenstühle wurden nunmehr Versuche mit sogen. Doppelsammetstühlen gemacht,
                              									Webstühle, auf welchen zwei Stücke Sammet oder Plüsch derartig gleichzeitig gewebt
                              									werden, dass dieselbe Pohl- oder Florkette mit dem Grundstoff beider Gewebe verwebt
                              									wird, worauf ein dazwischen hin und her fahrendes Messer dieselben von einander
                              									trennt und so ohne Ruthen den Plüsch bildet.
                           Die Patente auf Webstühle zur mechanischen Herstellung von Knüpfteppichen, sogen.
                              									Smyrnateppiche, welche lange Zeit auf der Tagesordnung standen, beginnen jetzt etwas
                              									nachzulassen. Auch die Sächsische Maschinenfabrik vorm.
                              										Rich. Hartmann hat sich lange Zeit mit der
                              									Herstellung eines derartigen Webstuhls befasst, hat es aber ebenso wenig wie die
                              									sämmtlichen Erfinder auf diesem Gebiete zu einem nennenswerthen Resultate bringen
                              									können.
                           In der gleichen Weise, wie bis vor Kurzem die Smyrnawebstühle, sind jetzt die
                              									Vorrichtungen zur Verhinderung des Herausfliegens der Schütze bei allen Webstuhl-
                              									und Webwarenfabrikanten an der Tagesordnung. Auch fast sämmtliche hierauf
                              									bezüglichen Erfindungen sind von mehr oder weniger zweifelhaftem Werthe und werden
                              									es auch wohl bleiben. Der beste Schutz wird stets ein an beiden Seiten neben dem
                              									Stuhl angebrachtes Drahtgeflecht sein; jeder Apparat, welcher über der Schützenbahn
                              									angebracht wird, ist dem Arbeiter hinderlich und lästig. – Mag er noch so leicht
                              									handlich zum Aufklappen eingerichtet sein, so ist doch dieses beständige Aufklappen
                              									eine Mühe mehr und beim Fadeneinziehen ist der Apparat immer im Wege, mag er auf der
                              									Ware liegen oder zurückgeschlagen sein. Dass man bemüht ist, nach Möglichkeit
                              									vorzügliche Vorrichtungen für den Schutz der Arbeiter zu ersinnen, ist gewiss
                              									anzuerkennen, aber dieses Bestreben darf nicht dahin ausarten, dass dem Arbeiter
                              									schliesslich die ihm überall im Wege befindlichen Schutzvorrichtungen verhasst
                              									werden, weil sie ihn beim Arbeiten stören und damit sein Verdienst schmälern.
                           Die neu eingerichtete Webstuhlfabrik der Firma Moritz Tigler
                                 										und Co. in Meiderich, unter Leitung des Ingenieurs O. Hallensleben stehend, befasst sich mit der Herstellung von Webstühlen
                              									für Tuch, Buckskin, Möbelstoffe, Teppiche und Flanelle und zeichnen sich diese
                              									Webstühle durch mehrere Vervollkommnungen aus. Zunächst ist zu erwähnen: dass der
                              									Stuhl ohne Aenderung der Transmissionsscheiben für die verschiedensten
                              									Geschwindigkeiten verstellbar ist, indem ein Stirnräderpaar, welches die
                              									Antriebriemenscheibe mit dem Getriebe des Stuhles verbindet, durch andere von beliebiger
                              									Grosse ausgewechselt werden kann. Sodann ist der Antrieb mit einem Handrad versehen,
                              									so dass der Arbeiter nicht in die Speichen der Antriebvorrichtung greifen muss, um
                              									den Stuhl zurückzudrehen, was gefährlich und zugleich aus dem Grunde umständlich
                              									ist, da sich die Antriebscheibe an der hinteren Seite des Stuhles befindet. Das
                              									Handrad ist glatt mit vollem Boden ohne Speichen und mit zum Anfassen gerundetem,
                              									abgedrehtem Rand, so dass durch dasselbe kein Unfall hervorgerufen werden kann. Es
                              									befindet sich an der Vorderseite des Stuhles und ist dadurch vom Arbeiter bequem zu
                              									erreichen. Der Schützenschlag ist mit einer Ausrückvorrichtung versehen, welche
                              									Bruch verhütet, sobald durch unrichtige Einstellung der Schützenzellen die
                              									Zwischenwand der letzteren ein Hinderniss für den Treiber bildet. Diese
                              									Ausrückvorrichtung befand sich bisher in der Regel zwischen den bewegenden Theilen
                              									des Schlagzeugs eingeschaltet, wodurch letzteres erheblich erschwert wurde und
                              									dadurch die Stösse beim Schützenschlag vergrössert wurden. Bei der neuen Ausrückung
                              										(Fig. 2 und 3) ist dieser Uebelstand
                              									fortgefallen, indem der vom Holzschlaghebel nach dem auf der Schlagwelle
                              									befindlichen Hebel führende Riemen nicht an letzterem direct befestigt, sondern über
                              									eine an dem Endpunkt dieses Hebels befindliche Rolle geleitet und an einem unten auf
                              									dem Holzrahmen gelagerten Hebel befestigt ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 279, S. 84
                              Fig. 1.Mit Hand verstellbare Antriebvorrichtung von M. Tigler und
                                 										Co.
                              
                           Letzterer Hebel ist durch eine federnde Kerbe in seiner
                              									Stellung für gewöhnlich fest gehalten, und nur ein allzu starker Stoss, wie er eben
                              									entstehen muss, wenn der Treiber nicht gegen den Schützen trifft, sondern durch
                              									irgend ein Hinderniss festgehalten wird, veranlasst den Hebel aus der Kerbe
                              									auszuspringen und damit durch das Nachlassen des Riemens den Stoss des
                              									Schützenschlages zu brechen. – Der siebenfache Schützenwechsel ist ausserordentlich
                              									vereinfacht, alle Zwischenhebel und Schieber beseitigt, so dass einestheils weit
                              									weniger Reibung vorhanden ist, wie bei den seitherigen Systemen, andererseits die
                              									Einstellung des Wechsels die denkbar einfachste und handlichste ist (Fig. 4). – Auch auf die Bauart des Gestelles ist
                              									besondere Sorgfalt verwendet und besonders dahin gewirkt, dass die beim
                              									Schützenschlag entstehenden Stösse nach einem, dem Stuhl als Unterlage dienenden
                              									starken Holzrahmen geleitet sind.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 279, S. 84
                              Tigler's selbsthätige Schlagausrückvorrichtung.
                              
                           In letzter Zeit tauchen wieder einige Versuche auf, die Doppelsammetstühle zur
                              									Herstellung von Plüschen, in welchen die einzelnen den Flor bildenden Fadenbündel im
                              									Versatz stehen (sogen. Diagonalbindung), in Anwendung zu bringen. Während nämlich
                              									diese Stühle sich für einpohlige Sammetgewebe, in welchen die ganze Kette eine Reihe
                              									Florbüschel bildet, vorzüglich eignen, will es nicht gelingen, einen guten Plüsch,
                              									bei welchem nur jedesmal die Hälfte der Fäden die einzelne Florbüschelreihe bildete,
                              									mit denselben zu erzielen. Es liegt dies darin, dass der einzelne Florfaden bei der
                              									letzteren Bindung nicht doppelt liegt und so ein Büschel bildet, sondern abwechselnd
                              									in das obere ödere untere Gewebe tritt, dadurch vereinzelt und nach
                              									entgegengesetzter Richtung stehend erscheint und demgemäss einen Flor bildet,
                              									welcher eine ungleiche Oberfläche hat (sperrt).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 279, S. 84
                              Fig. 4.Schützenwechsel von M. Tigler und Co.
                              
                           Ein letzthin erschienenes Patent scheint einigen Erfolg bezüglich Beseitigung dieses
                              									Nachtheils zu bieten, indem die Florkette hierbei für das Ober- und Untergewebe für
                              									sich genommen und beide Theile zwischen den Geweben durch eine Dreherbindung um
                              									einander geschlungen werden. Das richtige Functioniren der das Drehergewebe
                              									bildenden Schafte ist aber bei der erforderlichen dichten Einstellung sehr fraglich,
                              									auch wird eine weitere Schwierigkeit entstehen, das zwischen den Geweben schneidende
                              									Messer so zu stellen, dass der Schnitt genau zwischen die obere und untere Schlinge
                              									trifft. Ein Haarbreit zu hoch oder niedrig wird zur Folge haben, dass sich im
                              									unteren oder oberen Gewebe nicht aufgeschnittene Schlingen vorfinden. Von denselben
                              									Erfindern wird ein Verfahren gebracht, mittels sogen. Verriegelungsschlussfäden die
                              									Bindung derartig zu gestalten, dass die Florfäden gleichmässig stehende Büschel
                              									bilden; doch hat auch dieses Verfahren manches Bedenkenerregende. Die Bindung der
                              									Florfäden liegt dabei unterhalb des Grundgewebes, wodurch letzteres verdickt und ein
                              									bedeutender Mehrverbrauch an Garn der Lohnersparniss durch die mechanische
                              									Herstellung ziemlich stark die Wagschale halten wird.
                           
                           Interessant ist es, dass eine Firma in Worcester mit einem Stuhl auftritt,
                              									welcher von der bisherigen Bauart englischer Kraftstühle bedeutend abweicht, weil er
                              									– in seinen neu sein sollenden Theilen den deutschen Kurbelstühlen nachgebildet ist.
                              									Während die Vorzüge der deutschen Buckskinstühle im ganzen Auslande in wohl
                              									verdienter Weise gewürdigt und diese Stühle in namhafter Anzahl nach Russland,
                              									Oesterreich, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und Dänemark exportirt werden,
                              									galt in England nur der englische Stuhl als brauchbar und kommen erst neuerdings
                              									durch obige Nachbildung auch dort die Vorzüge des deutschen Fabrikates, freilich in
                              									einer etwas wunderlichen, aber echt englischen Weise, zur Geltung. Im Gegensatz dazu
                              									findet man in Deutschland noch immer zahlreiche Webwarenfabrikanten, welche nur
                              									englische Maschinen beziehen.
                           Die augenblickliche Lage der Webstuhlfabrikation ist keineswegs als eine günstige zu
                              									bezeichnen; das im grösseren Theile von Deutschland sehr ungünstige Sommerwetter,
                              									die Kinley-Bill und die Ueberproduction der letzteren
                              									Jahre haben in der Tuchfabrikation einen so flauen Geschäftsgang eintreten lassen,
                              									wie derselbe seit langer Zeit nicht dagewesen ist. Damit ist selbstredend auch ein
                              									fast vollständiger Stillstand in der Nachfrage nach Webstühlen eingetreten, doch
                              									hofft man in Fachkreisen, dass diese Krisis bald dem regen und erfreulichen
                              									Geschäftsgange des letzten Jahrzehntes Platz machen wird.
                           
                              
                                 H-n.