| Titel: | Bemerkungen über die heutigen Kriegswaffen. | 
| Fundstelle: | Band 281, Jahrgang 1891, S. 97 | 
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                        Bemerkungen über die heutigen
                           								Kriegswaffen.
                        Mit Abbildungen.
                        Bemerkungen über die heutigen Kriegswaffen.
                        
                     
                        
                           Die Herstellung und Aenderung der Kriegswaffen, ihrer Munition und ihres Zubehörs
                              									ruft zeitweise eine grosse industrielle Thätigkeit hervor. Ein Aufsatz in der Revue d'artillerie vom October vorigen Jahres bespricht
                              									diese Angelegenheit und kommt zu bemerkenswerthen Schlussfolgerungen, welche sich
                              									etwa folgendermassen zusammenfassen lassen:
                           Das gegenwärtige System der unbedingten Einheitlichkeit in der Bewaffnung des ganzen
                              									Heeres zwingt dazu, etwaige Erneuerungen und Verbesserungen in kürzester Zeit
                              									auszuführen; es legt dadurch dem Staatshaushalte zeitweise schwere Lasten auf. Um
                              									häufigen Aenderungen vorzubeugen, zögert man oft, sich zur Annahme einer
                              									durchgreifenden Verbesserung zu entschliessen und hält häufig zu lange an veralteten
                              									Constructionen fest. Da die Herstellung keine regelmässige ist, so kann man sich
                              									nicht mit Sicherheit an die Privatindustrie wenden, weil sie für eine derartige
                              									Befriedigung der Bedürfnisse des Staates nicht eingerichtet ist. Letzterer muss
                              									deshalb selbst fabriciren und für eine nur zeitweise erfolgende grosse Beschäftigung
                              									ein kostspieliges Personal und Material auch in der stillen Zeit unterhalten. Es
                              									erscheint vortheilhaft, die Einheitlichkeit der Bewaffnung auf bestimmte grössere
                              									Heerestheile so zu beschränken, dass sich eine Neubewaffnung des ganzen Heeres nach
                              									und nach in regelmässiger Weise mit Hilfe von gleichmässigen jährlichen
                              									Ausgabebewilligungen in einer bestimmten Zeitperiode vollzieht; die Dauer einer
                              									solchen wird auf acht Jahre höchstens bemessen. Diese Anordnung würde es der
                              									Heeresverwaltung möglich machen, dass sie sich aller Fortschritte bemächtigen kann,
                              									woher sie auch kommen mögen, und dass sie der Privatindustrie eine regelmässig
                              									fortlaufende Arbeit verschafft, welche die Anlage und Unterhaltung der nöthigen
                              									Herstellungsmaschinen herbeiführen und die Ablieferung eines genau gearbeiteten
                              									Materials sichern wird; es würde dadurch der Mitbewerb angeregt und der
                              									Lieferungspreis her abgedrückt werden.
                           Die Ausführbarkeit des Vorschlags erscheint zunächst etwas fraglich, denn die
                              									Volksvertretungen werden vielleicht Schwierigkeiten machen, grosse Summen für die
                              									Neubeschaffung oder die Aenderung von Waffen aus den ausserordentlichen in die
                              									laufenden Ausgaben übergehen zu lassen, und ausserdem kann Niemand vorhersagen, ob
                              									sich Erfindungen und Verbesserungen der Zukunft auf Zeitabschnitte von etwa acht
                              									Jahren gleichmässig werden vertheilen lassen. Bezeichnend ist die Aeusserung
                              									jedenfalls, besonders deshalb, weil sie nicht von einem jüngeren Officier, sondern
                              									von einem Abtheilungscommandeur der französischen Artillerie herrührt; ausserdem
                              									deutet sie die Vermuthung an, dass die Waffentechnik auch in Zukunft grosse
                              									Beschäftigung finden wird.
                           Ein Ueberblick über die Einrichtung der neuesten Waffen und über die Gesichtspunkte,
                              									welche für Aenderungen und Verbesserungen in Betracht kommen, erscheint deshalb
                              									zeitgemäss; von der Beschreibung von Einzelheiten, welche für weitere Kreise kein
                              									Interesse haben oder von veralteten Einrichtungen wird hierbei abgesehen, aber
                              									andererseits auf den Gebrauch der Waffen hingewiesen, wenn er die Beschaffung
                              									besonderer Werkzeuge und Apparate erfordert, deren Herstellung die Privatindustrie
                              									übernehmen könnte.
                           
                        
                           1. Gewehre.
                           Einen gewissen Abschluss scheinen augenblicklich die Handfeuerwaffen erreicht zu
                              									haben. Zur Beurtheilung desselben ist die Tabelle S. 98 und 99 zusammengestellt. Aus
                              									dieser Tabelle ergibt sich zunächst, dass keine der neuen Gewehrconstructionen einen
                              									Bohrungsdurchmesser (Kaliber) von mehr als 8 mm hat; vor zehn Jahren war der
                              									kleinste noch über 10 mm gross; auch bei den neuesten Constructionen zeigt sich
                              									schon wieder das Bestreben nach einer noch stärkeren Verkleinerung. Denn während das
                              									französische. Lebel-Gewehr von 1886 und das österreichische von 1888 ein Kaliber von
                              									8 mm haben, wird dasselbe beim deutschen, englischen, russischen immer kleiner, die
                              									Schweiz hat schon das von 7,5 mm eingeführt und in Italien soll eins von 6,5 mm
                              									angenommen worden sein. Die Ursachen dieser Erscheinung lassen sich folgendermassen
                              									zusammenfassen: Um den Luftwiderstand so zu überwinden, dass auf grösseren
                              									Entfernungen (2000 m und mehr) noch lebende Wesen ausser Gefecht gesetzt werden,
                              									muss die vor jedem Quadratmillimeter des Geschossbodens liegende Metallmasse
                              									(Querschnittsbelastung) eine gewisse Grösse haben, wenn angenommen wird, dass die
                              									Geschwindigkeit, welche dem Geschosse im Gewehrlaufe durch die Pulvergase ertheilt
                              									wird, eine bestimmte Begrenzung hat. Da das Eigengewicht des zu Gewehrgeschossen
                              									verwendeten Metalles (Hartblei, Weichblei mit oder ohne dünnen Stahl- oder
                              									Kupfermantel) nur wenig Verschiedenheit zeigt, drückt sich diese
                              									Querschnittsbelastung annähernd durch die Geschosslänge aus. Aus Fig. 1 S. 100 ist demgemäss ersichtlich, dass bis zur
                              									Einführung des kleinen Kalibers eine Geschosslänge von weniger als 30 mm für
                              									genügend gehalten wurde (wenn man von dem alleinstehenden englischen Geschosse
                              									absieht) und dass jetzt wieder eine Vermehrung der Querschnittsbelastung
                              									stattgefunden hat. Selbst wenn die frühere Anfangsgeschwindigkeit (von 400 bis 450
                              									m) nicht erhöht worden wäre, würde durch eine derartige Verlängerung die
                              									Durchschlagskraft der Geschosse und ihre Schussweite gesteigert worden sein. Es
                              									lässt sich deshalb sehr wohl denken, dass ein Staat im Hinblick auf die
                           
                           Repetirgewehre im Juni 1891.
                           (Angaben über die im J. 1880 gebrauchten Gewehre sind in Klammern
                              									und in besonderer Schrift gesetzt, noch vorkommende Ladungen von altem (Schwarz-)
                              									Pulver sind nicht angegeben, noch im Gebrauch befindliche Einzellader nur
                              									angedeutet.)
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 281, S. 98–99
                              Staat; Officielle Benenung;
                                 										Kaliber; Drall in Kaliber; Länge des Laufes; Gewicht des Gewehres ohne
                                 										Seitengew.; Gewicht des Seitengewehres; Visireinrichtung; Laufumhüllung oder
                                 										Mittel zum Anfassen des erwärmten Laufes; Bewegung; Widerlager während des
                                 										Schusses; Kasten- oder Röhrenmagazin; Ladeweise, ob Einzellader; besonders
                                 										angegeben; Inhalt des Magazins; Geschoss; Umhüllung und Material; Länge in;
                                 										Gewicht in; Querschnitt-Belastung in; Rauchschwaches Pulver; Sorte;
                                 										Ladungsgewicht; Patrone; Länge; Gewicht; Patronenhülse; Form des Bodenrandes;
                                 										Gewicht in; Proc. des verpackt. Rahmens; Patronenrahm. (Lader) Gewicht in; Der
                                 										Infanterist trägt Patronen; in Rahmen verpackt; frei verpackt; Visirschussweite;
                                 										Anfangsgeschwindigkeit; Belgien; Bulgarien wie Osterr.-Ung.; Deutschland;
                                 										Dänemark; England; Frankreich; Griechenland; Holland; Italien; Montenegro;
                                 										Norwegen; Oesterreich-Ungarn; Portugal; Rumänien; Russland; Schweden; Schweiz;
                                 										Serbien; Spanien; Türkei 200000 ähnlich wie Frankreich 300000 wie Belgien; M. 89
                                 										Mauser; M. 88 Mannlicher; M. 89 Krag-Jörgensen; Lee-Metford (M. 74); Gras;
                                 										Beaumont-Vitall; Vetterli-Vitali?; Konka?; Jarmann?; M. 86 Kropatschek (?);
                                 										Peabody-Martini; Remington Jarmann; Mauser-Milanowitch; Einzellader; Rahmen;
                                 										Quadrant u. 2 Körn.; Rahmen und 2 Körner; Treppe und Rahmen; Quadrant; Quadrant
                                 										und 2 Körner; Mantelrohr; Filzgriff?; Holzumhüllung hinter dem Visir;
                                 										Holzumhüllung d. ganzen Laufes; Mantelrohr; Schieben u. Drehen; Gragzug;
                                 										symmetrisch 2 Stützwarzen (senkrecht); hinten unten, durch einen Fallriegel;
                                 										symmetrisch 2 Stützwarzen (senkrecht gegenüberstehend); 1 Stützwarze rechts und
                                 										1 unten; an der rechten Gehäusewand; symmetrisch, 2 Stützwarzen (wagerecht
                                 										gegenüberstehend); an der rechten Gehäusewand; ungefähr symmetrisch, 2
                                 										Stützwarzen an der rechten Gehäusewand.; hinten unten, durch einen Fallriegel;
                                 										Kastenmag.; Röhrenmagazin; Einzellader, Patronen ohne Rahmen im Magazin; wie
                                 										Frankreich; 1 auf dem Löffel; wie Frankr.; Stahlmantel Weichblei; Stahlmantel
                                 										Hartblei; Vernickelter Stahlmantel Hartblei; Mantel Hartblei; Kupfernickel oder
                                 										Stahlmantel Hartblei; Mantel aus Kupfernickel Hartblei; Papier Hartblei;
                                 										Kupfermantel Hartblei; Stahlmantel Hartblei; Stahlkappe auf der Spitze, sonst
                                 										Papierumhüllung Hartblei; Papier Hartblei Stahlmantel Weichblei; Kornpulver;
                                 										Blättchenpulver; Kornpulver (Ballistite Nobel); Kerbe; Krempe
                              
                           
                           
                           Steigerung der Anfangsgeschwindigkeit von dieser
                              									Verbesserung keinen Gebrauch macht und die frühere Querschnittsbelastung, also eine
                              									Geschosslänge von 27 bis 28 mm für genügend hält. Da die Geschosslänge
                              									augenblicklich noch nicht mehr als ungefähr das Vierfache des Kalibers betragen
                              									kann, so ergibt sich daraus ein kleinster Geschossdurchmesser von 7 mm. (Das
                              									Geschoss darf nicht länger als vier Kaliber sein, weil sonst die Trefffähigkeit
                              									gefährdet erscheint; denn diese ist abhängig von der möglichst gleichmässigen Lage
                              									der Geschossachse in oder dicht bei der Flugbahn; da diese Achsenlage aber eine
                              									gewisse Umdrehungsgeschwindigkeit bedingt, so wird sie von der Grösse der Windung
                              									der Züge [von dem „Dralle“] bestimmt; da nun die Steilheit des Dralles
                              									vorläufig begrenzt zu sein scheint, so ist es auch das Verhältniss des Geschossdurch
                              									messers zur Geschosslänge.) – Früher wurde für die Begrenzung des Kalibers nach
                              									unten auch das schwierige Reinigen eines engen Laufrohres und die schwierige
                              									Herstellung der Bohrung für maassgebend angesehen; die Annahme eines Kalibers von
                              									6,5 mm würde demnach vermuthen lassen, dass diese Gründe heute schon nicht mehr
                              									stichhaltig sind und dass es ausserdem entweder gelungen ist, das Geschoss bei
                              									grosser Trefffähigkeit länger als vier Kaliber zu machen oder dass man die
                              									Geschosswirkung auf sehr grossen Entfernungen für weniger wichtig hält und deshalb
                              									die Geschosse etwas kürzer macht (auf nahen und vielleicht auch auf mittleren
                              									Entfernungen würde die Flachheit der Flugbahn und die Trefffähigkeit nicht darunter
                              									leiden, da unter Beibehaltung einer bestimmten Kraft der Pulverladung mit der
                              									Abnahme des Geschossgewichts die Anfangsgeschwindigkeit zunimmt, wie es die Aptirung
                              									des Zündnadelgeschosses nach 1871 bewies). Die Einführung eines 6,5 mm-Gewehres,
                              									welche Zeitungsnachrichten zufolge für Italien beabsichtigt sein soll, erscheint
                              									demnach gar nicht so unmöglich, während die Neueinführung eines Gewehres von einem
                              									7,5 mm übersteigenden Kaliber von jetzt ab einer ganz besonderen Rechtfertigung
                              									bedürfen wird, nachdem das Schweizer Gewehr sich als ein ganz vortreffliches gezeigt
                              									hat.
                           Textabbildung Bd. 281, S. 100Fig. 1.Gewehrgeschosse 1880 Fig. 1 bis
                                    											6; 1891 Fig. 7 bis 13. England Fig. 1 M. 74, Fig. 10 M. 89; Frankreich Fig.
                                    											2 M. 74/80, Fig. 8 M. 86; Deutschland Fig. 3 M. 71, Fig. 9 M. 88;
                                    											Oesterreich Fig. 4 M. 73/77, Fig. 7 M. 87; Russland Fig. 5 M. 71, Fig. 11 M.
                                    											91; Italien Fig. 6 M. 70, Fig. 13 M. 91? Schweiz Fig. 12 M. 89. Das Streben nach einem kleinen Kaliber ergibt sich naturgemäss aus der
                              									Thatsache, dass die Gewichtsverminderung des einzelnen Schusses eine Vermehrung der
                              									Schusszahl, also eine grössere Schiessleistung der Truppe zur Folge haben muss; bei
                              									der Besprechung des Munitionsgewichtes weiter unten wird dies noch näher berührt
                              									werden.
                           Mit der Einführung des kleinen Kalibers ist die Lauflänge durchweg eine kleinere
                              									geworden und das Gewicht des Gewehres bei einigen Staaten vermindert worden;
                              									durch die Einführung kurzer, meist dolchartiger Seitengewehre wird diese
                              									Gewichtsverminderung für die Ausrüstung des Mannes noch fühlbarer gemacht. Die
                              									näheren Einzelheiten ergeben die Zahlen der Tabelle.
                           Die Visireinrichtungen sind, abgesehen von der Eintheilung, meist dieselben wie
                              									früher geblieben, nur ist in Oesterreich-Ungarn und England ein zweites Korn neu
                              									eingeführt worden, welches, seitlich auf dem mittleren Laufringe sitzend, mit Hilfe
                              									einer entsprechend seitlich auf dem Visir angebrachten Kimme zum Nehmen der höheren
                              									Elevationen gebraucht werden soll.
                           Die schnellere Abgabe von Schüssen hinter einander und die durch die grössere
                              									Geschwindigkeit des Geschosses bei jedem einzelnen Schusse erzeugte grössere
                              									Wärmeentwickelung hat besondere Einrichtungen nothwendig gemacht, um das Flimmern
                              									der den erhitzten Lauf umgebenden Lufttheilchen unschädlich zu machen und um
                              									denselben mit der Hand halten zu können. Es ist zu dem Zwecke in Deutschland,
                              									Dänemark, Belgien und der Türkei der Lauf getheilt worden in ein inneres und ein
                              									äusseres Rohr, das Mantelrohr oder den „Laufmantel“. Wie die betreffenden
                              									Zahlen ergeben, ist dadurch das Gewicht der Gewehre durchaus nicht vermehrt worden;
                              									denn der Theil des Laufes, welcher Widerstand gegen die Pulvergase zu leisten hat,
                              									braucht nur eine geringe Wandstärke zu haben; der äussere Theil aber, welcher
                              									Widerstandsfähigkeit gegen Verbiegung haben soll, welche durch Stösse, eine rohe
                              									Behandlung und durch Ziehen des Schaftholzes hervorgerufen wird, bedarf auch keiner
                              									grossen, weil man ihm einen verhältnissmässig grossen Durchmesser geben kann und
                              									weil etwaige kleine Eindrücke den inneren Lauf gar nicht berühren, wenn der
                              									Spielraum zwischen beiden Rohren nicht überschritten wird. Das innere Rohr, der
                              									eigentliche Lauf, ist in den vorderen Theil des
                              									Verschlussgehäuses, das äussere auf denselben
                              									geschraubt. Das vordere Ende des ersteren liegt mit einem kleinen Spielraum in dem
                              									entsprechenden des letzteren; der übrige Spielraum zwischen beiden Rohren ist
                              									erheblich grösser; der eigentliche Lauf kann sich also in seiner Längenrichtung sehr
                              									stark ausdehnen, die Mündung sich senkrecht zu dieser Richtung etwas bewegen. Der
                              									Laufmantel ist mit dem Schafte durch Ringe befestigt. Für. die Einführung dieser
                              									Construction war auch ein ballistischer Grund maassgebend: Durch rasche Abgabe einer
                              									Anzahl von Schüssen hintereinander erhitzt sich das Laufrohr so, dass es sich in der
                              									Längenrichtung beträchtlich ausdehnt, während das Holz des Schaftes nicht folgen
                              									kann; es ist nun erwiesen worden, dass der Lauf beim Schusse, während das Geschoss
                              									sich hindurchbewegt, ein Stück einer Schwingung senkrecht zur Längenachse vollzieht;
                              									diese Schwingung nun wird durch die sich ändernde Festigkeit der Verbindung zwischen
                              									dem seine Form behaltenden Schaft und dem sich dehnenden Lauf so beeinflusst, dass
                              									sie die Abgangsrichtung des Geschosses in unberechenbarer Weise ändert (eine
                              										„Deviation“ hervorruft). Diese althergebrachte Lauf- und
                              									Schaftconstruction würde also bei einem schnellen Repetirfeuer die Trefffähigkeit
                              									beeinflusst haben, sie ist deshalb verlassen worden.
                           Beim Schweizer Gewehr ist letzterem Umstände dadurch Rechnung getragen worden, dass
                              									vorne auf den Lauf zum Festlegen im Schaft ein Röhrchen geschoben ist, sein ganzer
                              									übriger Theil bis zur Verschlusshülse liegt mit Spielraum im Schaftholze. Auf dem
                              									oberen, früher freiliegenden Rohrtheil ist noch eine besondere Holzumhüllung
                              									befestigt.
                           Bei diesem Gewehre, sowie bei dem österreichischungarischen und englischen ist die
                              									Widerstandsfähigkeit des Laufes gegen Verbiegung durch eine grössere Wandstärke
                              									erzielt worden. Zur Handhabung bei erhitztem Laufe hat das englische Gewehr eine
                              									Holzumhüllung hinter dem Visir; beim österreichisch-ungarischen wird wahrscheinlich
                              									ein Filzgriff zu demselben Zwecke verwandt.
                           Die vor zehn Jahren noch erscheinenden Fallblock-, Walzen- und Klappenverschlüsse
                              									sind bei den neueren Gewehren verschwunden, es kommt nur noch der Cylinderverschluss
                              									vor. Seine Bewegungen zeigen zwei Modificationen; er wird entweder nur vor und
                              									zurück geschoben oder es tritt zu diesem Schieben noch ein Drehen zum vollständigen
                              									Schliessen des Rohres nach hinten oder als Anfang des Oeffnens. Die Zeit, welche zu
                              									letzteren Bewegungen gebraucht wird, ist vielleicht etwas grösser als die zu
                              									ersterer, aber jedenfalls ist der Unterschied nicht gross, da der Uebergang von der
                              									schiebenden zur drehenden Bewegung keine Pause bedingt und, wenn man so sagen darf,
                              									als ein „Tempo“ ausgeführt wird. Vielleicht hat der „Gradzug“ einen
                              									kleinen Nachtheil für die Trefffähigkeit gezeigt, weil er nicht gestattete, die
                              									während des Schusses nothwendige feste Verbindung zwischen Lauf und Verschluss in
                              									den vorderen Theil des letzteren, in oder dicht hinter den ersteren zu legen. Es
                              									sollen Versuche stattgefunden haben, welche darthun, dass eine derartige Verbindung
                              									bessere Treffresultate ergibt, als eine weit nach hinten zurückgelegte.
                           Nach den Versuchen von Mieg und Thiel hängt die Treff Fähigkeit des Gewehres auch insofern von dieser
                              									Verbindung ab, als es nicht gleichgültig ist, ob dieses „Widerlager“ ein
                              									symmetrisches ist, welches den Rückstoss in die Richtung der verlängerten
                              									Seelenachse leitet; oder ein einseitiges, welches die Stellung der Achse des Laufes
                              									bei seiner Schwingung vor dem Austritte des Geschosses stark beeinflusst. Natürlich
                              									würde die Ablenkung (Deviation), welche ein solches, nur an einer Seite des Laufes
                              									befindliches Widerlager erzeugt, unschädlich sein, wenn sie bei allen Schüssen
                              									gleich bliebe. Dies ist aber wahrscheinlich nicht der Fall, da auch der Anschlag des
                              									Schützen, stehend oder liegend, freihändig oder das Gewehr an einen Baum, einen
                              									Pfahl oder auf eine andere Unterlage stützend, auf diese Laufbewegung grossen
                              									Einfluss haben wird. Eine unsymmetrische Verbindung zwischen Lauf und
                              									Verschluss würde also für jede Anschlagsweise auf derselben Entfernung einen
                              									besonderen Haltepunkt nothwendig machen.
                           Nach Vorstehendem wird es erklärlich erscheinen, dass die beiden Spalten der Tabelle,
                              									welche den Cylinderverschluss betreffen, nicht angeführt sind, um Verschlussdetails
                              									zu geben, sondern um Anhaltspunkte zur Beurtheilung der Trefffähigkeit der Gewehre
                              									zu liefern.
                           Die Angabe, ob ein Gewehr ein Kasten- oder Röhrenmagazin hat, war nur mit Rücksicht
                              									auf veraltete Constructionen, wie sie z.B. das französische Lebel-Gewehr aufweist,
                              									nothwendig. Das sogen. Kastenmagazin scheint so viele Vortheile zu gewähren, dass es
                              									für alle neueren Gewehre angenommen ist und wird. Der Kasten liegt bei den meisten
                              									Constructionen unterhalb der Stelle der Schlosshülse, auf welche früher die Patrone
                              									gelegt wurde; er soll 4 bis 12 Patronen aufnehmen, welche auf einander liegend durch
                              									eine von unten wirkende Feder nach oben geschoben und einzeln vom zurückgezogenen
                              									und vorzuführenden Verschlusscylinder gefasst und in den Lauf geführt werden. Nur
                              									das dänische Gewehr hat eine besondere Einrichtung des Kastens. Derselbe ist wie ein
                              									liegendes  geformt, die einzuladenden Patronen liegen dementsprechend neben
                              									und über einander, sie werden durch eine Feder, welche an einer seitlich zu
                              									öffnenden thürartigen Klappe sich befindet, nach seitwärts bezieh. aufwärts in die
                              										„Patroneneinlage“ geschoben. Das ganze Magazin des englischen Gewehres
                              									kann abgenommen werden. Die Magazine des österreichisch-ungarischen und des
                              									deutschen Gewehres sind unten offen, damit der sogen. Patronenrahmen (-Lader), mit
                              									welchem die Patronen eingeladen werden, nach dem Einführen der letzten in den Lauf
                              									nach unten herausgleiten kann.
                           Bei den letztgenannten Gewehren ist zwar auch Einzelladung möglich, indess sind alle
                              									Patronen so verpackt, dass sie durchweg als Packetladung mit den sie umschliessenden
                              									Rahmen (Ladern) in den Magazinkasten geladen werden können. Diese Rahmen bestehen
                              									aus Stahlblech und gleichen der Einbanddecke eines Buches; die Patronen stehen neben
                              									einander mit dem Boden gegen den Rücken, die Deckel halten durch eine gewisse
                              									Federkraft die Hülsen fest. In Deutschland haben die „Deckel“ einen grossen
                              									kreisförmigen Ausschnitt zur Gewichtsverminderung, während in Oesterreich-Ungarn
                              									rippenartige Vorsprünge wahrscheinlich eingeführt sind, um das leichte Einschieben
                              									in ein verschmutztes Magazin zu sichern. Eine derartige Verschmutzung kann leicht
                              									beim Gebrauch dieser Gewehre eintreten, wenn der Schütze auf der Erde liegt.
                           Bei allen anderen Gewehren sind die Magazine unten geschlossen, es können daher
                              									etwaige Patronenrahmen (-Lader) oder sonstige Verpackungsvorrichtungen nicht mit in
                              									den Kasten geschoben werden; entweder müssen die Patronen beim Laden aus ihnen
                              									hinausgeschoben (abgestreift) werden, oder es muss Einzelladung stattfinden. Beim
                              									englischen Gewehre sind keine besonderen Rahmen zum Verpacken der Patronen
                              									vorgesehen, statt dessen führt jeder Mann ein gefülltes zweites Gewehrmagazin mit
                              									sich. Das Wechseln des Magazins bei diesem Gewehre und das Füllen der übrigen unten
                              									geschlossenen Magazin arten erfordert natürlich etwas längere Zeit als das
                              									Patroneneinladen beim österreichischen und deutschen Gewehre; es soll dafür meist
                              									den Vortheil gewähren, dass nur für einen Theil der Patronen die Last eines
                              									besonderen Verpackungsmaterials mitzuführen nöthig ist, hat aber wieder den
                              									Nachtheil, dass der Munitionsersatz sich complicirter gestaltet und dass der Soldat,
                              									wenn er in gefährliche Lagen kommen sollte, nachdem der Inhalt der Rahmen
                              									verschossen ist, nur langsames Einzelfeuer abgeben kann.
                           Das in Belgien (der Türkei und Argentinien) eingeführte Mauser-Gewehr gehört zwar
                              									auch zu denen mit unten geschlossenem Magazin, es muss indess wegen seiner durchaus
                              									sinnreichen Ladevorrichtungen besonders hervorgehoben werden. Der Patronenrahmen
                              									gleicht nicht dem „Einbanddeckel“ eines Buches, sondern gewissermassen nur
                              									dem „Einbandrücken“. Durch Umbiegen der langen Ränder eines rechteckigen
                              									Blechstreifens ist eine Rinne gebildet, in welchen die Patronenböden mit ihren
                              									Kerben eingesteckt werden. Eine Blattfeder ist auf der Innenseite dieses
                              										„Blechrückens“ so angebracht, dass sie gegen die Patronenböden drückt,
                              									dadurch werden deren Ränder mit der Vorderseite fest gegen die umgebogenen
                              									Blechkanten gepresst. Das Gewicht eines solchen „Blechrückens“ beträgt nur 6
                              									g, d. i. ⅓ des Gewichts der sonstigen Patronenrahmen. Zum leichteren Laden haben die
                              									Hülse und das Schloss des belgischen Gewehres eine besondere Vorrichtung, welche ein
                              									leichtes Einstecken des Patronenpackets und die Entfernung des Blechrückens durch
                              									Zuschieben des Verschlusses erlaubt, nachdem die Patronen mit dem Daumen
                              									heruntergedrückt worden sind. Es hält hierbei das Laden kaum länger auf als bei den
                              									Gewehrmagazinen, in welche die Rahmen ganz eingeschoben werden.
                           Die noch gebrauchten Repetirgewehre mit Röhrenmagazin, wie z.B. das französische,
                              									stehen natürlich bei längerem Feuer an Feuergeschwindigkeit gegen die
                              									Kastenmagazingewehre zurück, weil jede Patrone einzeln eingeschoben werden muss. Zu
                              									Anfang des Schiessens stehen beide Gewehrarten beinahe gleich; bei den ersten
                              									Schüssen, nach dem Verschiessen des ersten Rahmeninhalts, steht das
                              									Kastenmagazingewehr einen Augenblick etwas zurück, ist dann aber, nachdem das
                              									Magazinrohr seinen Inhalt verschossen hat, bedeutend überlegen.
                           Die älteren Gewehre in Italien und Holland, welche nur für Repetirladung aptirt sind,
                              									haben Kasten zu 4 Patronen, die meisten anderen Gewehre solche zu 5, das des
                              									Schweizer Gewehres fasst 12 (den Inhalt zweier Packete). Ob die Magazine des
                              									englischen Gewehres für 10 oder 12 Patronen, eingerichtet werden, scheint noch nicht
                              									fest bestimmt zu sein; es dürfte aber wohl rationell erscheinen, wenn eine
                              									Verpackung der Patronen in Rahmen nicht eingeführt wird.
                           Eine Uebersicht über die Einzelheiten der Schlosstheile, der Einfachheit ihrer
                              									Zusammensetzung und über andere Gewehrtheile würde hier zu weit führen. Es sei nur
                              									noch erwähnt, dass bei dem neuen Schweizer Gewehr die schon beim alten preussischen
                              									Zündnadelgewehr vorhandene Abzugsvorrichtung eingeführt ist; dies ist wohl das beste
                              									Zeugniss für die Vortrefflichkeit dieses Schlosstheils des deutschen Gewehres.
                           Bei der Beurtheilung eines Gewehres und seiner Theile spielt die Fertigstellung des
                              									Modelles eine grosse Rolle. Wenn die Commission eines Staates zur Prüfung einer
                              									neuen Gewehrconstruction gewissenhaft und geschickt gearbeitet hat, so muss das
                              									neueste Gewehr das beste sein, weil die Erfahrungen bei den vorhergehenden
                              									Constructionen ausgenutzt werden konnten. Je älter ein Gewehrmodell wird, desto mehr
                              									Unvollkommenheiten müssen sich zeigen. Das Verschweigen derselben erscheint nutzlos,
                              									während ihre Erkennung vielleicht nützlich ist, weil sie zu Verbesserungen führen
                              									kann, welche verhindern, dass riesige Waffen- und Munitionsbestände werthlos
                              									werden.
                           Wie schwierig und eigenthümlich sich oft die Arbeiten einer solchen Commission
                              									gestalten, zeigt die Einführung des österreichischen Gewehres. Zuerst (1885) wurde
                              									ein neues Kastenmagazingewehr für das 11mm-Kaliber construirt und in erheblicher
                              									Zahl schon fertig gestellt; dann wurde es wahrscheinlich in Folge der Einführung des
                              									französischen Lebel-Gewehres nothwendig, Versuche zur Erprobung eines kleinen
                              									Kalibers anzustellen und kaum waren diese zu einem gewissen Abschluss gelangt, als
                              									auch schon das neue sogen. „rauchschwache“ Pulver in Betracht gezogen werden
                              									musste, von dessen Beschaffenheit und Eigenschaften man nur mangelhafte Kenntnisse
                              									haben konnte.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)