| Titel: | Untersuchungen über die Bildung der Farblacke. | 
| Autor: | Carl Otto Weber | 
| Fundstelle: | Band 283, Jahrgang 1892, S. 159 | 
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                        Untersuchungen über die Bildung der
                           								Farblacke.
                        Von Dr. Carl Otto Weber.
                        Untersuchungen über die Bildung der Farblacke.
                        
                     
                        
                           Als Farblacke bezeichnet man eine Klasse von Pigmentfarben, die als wasserunlösliche
                              									Salze einer organischen Farbbase mit einer organischen oder anorganischen Säure oder
                              									Base aufzufassen sind. Diese Definition gilt für alle unzweifelhaften Lacke. Eine
                              									Anzahl organischer Farbstoffe, hauptsächlich die basischen Theerfarbstoffe sind
                              									jedoch im Stande, sich mit indifferenten organischen und mineralischen Substraten zu
                              									Pigmenten zu vereinigen, die auf den ersten Anblick sich von echten Lacken durchaus
                              									nicht unterscheiden lassen. Immer aber ist schon einfaches Waschen solcher Lacke mit
                              									Wasser im Stande, ersterem entweder allen oder doch die Hauptmenge des
                              									organischen Farbstoffes zu entziehen resp. die Farbe des Lackes mehr oder weniger
                              									vollständig zu zerstören, und in allen Fällen zeichnen sich solche nicht unter obige
                              									Definition fallenden Lacke durch so auffallende Unechtheit gegen Licht und Luft aus,
                              									dass dieselben mit wirklichen Lacken nichts gemein haben, als die äussere
                              									Erscheinung und den Namen. Die Bildung der Farblacke findet stets unter genau
                              									denselben Bedingungen statt, die für deren Fixirung auf der thierischen oder
                              									pflanzlichen Faser in der Färberei und Druckerei maassgebend sind, ja man kann
                              									geradezu die Färberei und Druckerei als specielle Fälle der Farblackbildung
                              									bezeichnen und in jedem Falle, wo die Application der Farbstoffe in jenen Industrien
                              									nach einer andern Methode stattfindet, als die Bildung des freien Farblackes, liegt
                              									der Grund lediglich in der durch die Natur der Grundlage, auf der der Lack befestigt
                              									wird, gebotenen Verschiedenheit der Darstellungsbedingungen.
                           Aehnliches gilt von den praktischen Methoden der Lackfarbenfabrikation, da auch in
                              									diesem Falle die Arbeitsmethode nicht selten von der theoretischen
                              									Lackfällungsmethode abweicht, entweder in Folge der Natur der „Grundlage“
                              									(Füllung) oder wenn es sich darum handelt, einen besonderen Farben ton zu erzielen
                              									oder aus praktischen Rücksichten mit Bezug auf die fernere Verwendung des fertigen
                              									Lackes. Solche Fälle sollen weiter unten eingehende Besprechung finden.
                           Chemisch reine Lacke, das heisst solche Lacke, deren Bildung sich ihrer chemischen
                              									Zusammensetzung nach auf eine einfache Umsetzungsformel zurückführen lassen, werden
                              									verhältnissmässig sehr wenig dargestellt. Sie finden beschränkte Anwendung im
                              									Cattundruck, theilweise auch im Rouleauxdruck und in der Spielkartenfabrikation.
                              									Weitaus die Mehrheit der in enormen Quanten dargestellten Lacke enthalten 90 Proc.
                              									oder mehr Füllung. Diese einfach als Verdünnungs- oder gar wie so häufig geschieht,
                              									als Verfälschungsmittel zu bezeichnen, ist im höchsten Grade verkehrt. Im Gegentheil
                              									muss bemerkt werden, dass wo eine Grundlage verwendet wird, dieselbe unbedingt
                              									erforderlich ist, da von der Natur und Menge der verwendeten Grundlage die Nuance
                              									des Lackes abhängig ist und zwar nicht nur in Bezug auf Tiefe oder Helligkeit der
                              									Nuance, sondern auch in hervorragendem Maasse in Bezug auf den Charakter des
                              									Farbtones. Es ist dies nichts als das Analogon der in Bezug auf die Färberei der
                              									Textilfasern jedem geläufige Thatsache, dass ein und. derselbe Farbstoff in
                              									denselben Gewichtsverhältnissen auf Baumwolle, Wolle und Seide gefärbt in jedem
                              									Falle ein anderes Resultat in Bezug auf den Farbton aufweist. In der praktischen
                              									Lackfarbenfabrikation spielt daher die Natur und Menge der verwendeten Grundlage und
                              									die Methode der Vereinigung derselben mit dem Lacke eine mindestens ebenso grosse
                              									Rolle als die Methode der Fällung der Lacke an und für sich.
                           Sämmtliche organischen Farbstoffe mit Ausnahme des Indigo und vielleicht der
                              									Indophenole lassen sich unter Berücksichtigung ihrer lackbildenden Eigenschaften in
                              									zwei Gruppen eintheilen, denen zwei principiell verschiedene Lackbildungsmethoden
                              									entsprechen: basische und saure Farbstoffe. Die eingangs gegebene Definition der
                              									Lacke als Salze als richtig zugegeben, ist diese Eintheilung geradezu
                              									selbstverständlich, da zur Bildung von Farblacken entweder eine Farbstoffbase oder
                              									eine Farbstoffsäure erforderlich ist. Dieser Umstand erklärt auch, warum Indigo
                              									weder an und für sich, noch im Cattundruck oder der Färberei der Lackbildung fähig
                              									ist, da demselben saure oder basische Eigenschaften völlig abgehen.
                           
                        
                           a) Lackbildung aus basischen Farbstoffen.
                           Als basische Farbstoffe bezeichnen wir Farbstoffe, die im Molekül eine oder mehrere
                              									salzbildende Amidogruppen (NH2) oder substituirte
                              									Amidogruppen (Nx'x',) enthalten. Natürlich vorkommende basische Farbstoffe sind nicht
                              									bekannt. Unter den künstlich dargestellten Theerfarbstoffen nehmen aber die
                              									basischen Farbstoffe eine hervorragende Stelle ein und zeichnen sich fast
                              									ausnahmslos durch ihre enorme Farbkraft und Lebhaftigkeit der Nuance aus. In
                              									Lichtechtheit stehen sie aber im Allgemeinen den sauren Farbstoffen sehr nach, so
                              									dass sie vielfach da, wo Lichtechtheit erste Bedingung ist, nicht zu verwenden sind.
                              									Die Lackbildung aus diesen Farbstoffen beruht auf der Bildung unlöslicher Salze aus
                              									denselben durch Zersetzung des wasserlöslichen Farbstoffsalzes mit geeigneten Säuren
                              									oder Salzen derselben. Als solches Fällungsmittel muss Tannin an erster Stelle
                              									genannt werden, obgleich dasselbe in der Fabrikation von Farblacken sehr wenig
                              									angewandt wird, während es fast ohne Rivalen in der Färberei und Cattundruckerei
                              									ist. Diese auffallende Thatsache lässt sich theilweise erklären durch die grosse
                              									Empfindlichkeit des Tannins und folglich auch der Tanninlacke gegen Eisen, das
                              									besonders in den für die Lacke verwendeten Grundlagen nicht leicht zu vermeiden ist.
                              									Andererseits bin ich aber zu dem Resultat gekommen, dass die Nichtverwendung des
                              									Tannins in der Fabrikation der Farblacke hauptsächlich dem crassen Empirismus
                              									zuzuschreiben ist, mit dem diese Fabrikation in den meisten Fällen ausgeübt wird.
                              									Die Principien der Lackfällung mit Tannin, die hierbei zu beobachtenden Verhältnisse
                              									und hauptsächlich die Natur der Tannin-Antimonlacke, die in der Färberei und
                              									Druckerei von so eminenter Wichtigkeit sind, wurden niemals unter specieller
                              									Berücksichtigung der Lackfarbenfabrikation untersucht. In Folge dessen werden
                              									gegenwärtig Lackfallungsverfahren benutzt, die frei sind von den Schwierigkeiten der
                              									Tanninfällung. Dies aber geschieht auf Kosten der Lichtechtheit der erzielten Lacke,
                              									da die Erfahrungen der Färberei und Druckerei keinen Zweifel bestehen lassen, dass
                              									die basischen Farbstoffe nur mit Tanninfixirung Producte von zufriedenstellender
                              									Lichtechtheit liefern. In Folge dieser Zustände ist die Verwendung der basischen
                              									Farbstoffe in der Lackfarbenfabrikation bei weitem nicht so gross, als man erwarten
                              									sollte in Anbetracht der grossen Zahl prachtvoller Producte, welche die
                              									Theerfarbenfabriken liefern.
                           Wo der Lackfarbenfabrikant die Tanninfixirung anwendet, besteht die ganze Methode
                              									einfach darin, die Farbstofflösung zu der in Wasser aufgeschlämmten Grundlage zu
                              									fügen und darauf so viel Tanninlösung zuzufügen, bis eine auf Filtrirpapier
                              									getropfte Probe den Farbstoff nicht mehr ausbluten lässt. Die Fällung oder Fixirung
                              									gilt dann als vollkommen und der Lack wird auf die gewöhnliche Weise durch
                              									Auswaschen und so fort auf einen Lack in Teig oder Pulver verarbeitet. Dass diese
                              									Methode schliesslich fast völlig aufgegeben wurde, ist nicht zu verwundern, da eine
                              									schlechtere wohl kaum aufzufinden wäre. In erster Linie ist auf diese Weise nie
                              									eine vollständige Fällung zu erzielen, ausgenommen in dem Falle, dass der angewandte
                              									Farbstoff ein Acetat ist, ein Fall, der nur bei einer gewissen Sorte von Fuchsin
                              									zutrifft, da die basischen Farbstoffe sonst stets als Chlorhydrate, Sulfate,
                              									Chlorzinkdoppelsalze, Oxalate, selten Nitrate in den Handel gelangen. Wird ein
                              									solcher Farbstoff mit Tannin gefällt, so wird die mit dem Farbstoff verbundene Säure
                              									frei und löst den bereits gefällten Lack ganz oder theilweise wieder auf, was
                              									wesentlich von der Concentration des Reactionsgemisches abhängig ist. Essigsäure in
                              									solcher Concentration, wie sie unter praktischen Verhältnissen möglich ist, vermag
                              									den gefällten Tanninlack nicht zu lösen, basische Farbstoffe werden daher in der
                              									Form ihrer Acetate durch eine Lösung von Tannin vollständig gefällt. Wie bereits
                              									bemerkt, ist aber eine bestimmte Sorte von Fuchsin der einzige basische Farbstoff,
                              									der gegenwärtig als Acetat in geringen Mengen in den Handel kommt, alle
                              									krystallisirten Fuchsine sind Chlorhydrate.
                           Die unvermeidliche Folge der unvollständigen Fällbarkeit der basischen Farbstoffe
                              									durch Tannin oder vielmehr der theilweisen Wiederauflösung des gefällten
                              									Tanninlackes ist ein sehr erheblicher Verlust an Farbstoff, und die erzielte Nuance
                              									ist ausserdem sehr trübe und unecht. Dieser Wirkung der bei der Fällung frei
                              									werdenden Säure lässt sich natürlich mit Leichtigkeit vorbeugen dadurch, dass man
                              									anstatt mit Tannin mit einer Lösung von gerbsaurem Natron fällt, oder dass die
                              									Fällung bei Gegenwart einer schwachen Base mit Tannin vorgenommen wird, oder dass
                              									man mit Tannin in Gegenwart eines Ueberschusses von Natriumacetat fällt. In
                              									sämmtlichen Fällen ist die Fällung stets eine absolut vollständige.
                           Die Nuance der mit gerbsaurem Natron gefällten Lacke ist eine höchst unschöne. Auf
                              									die Ursache dieser ungünstigen Wirkung des Natriumtannats soll später zurückgekommen
                              									werden. Ebenso vollständig als mit Natriumtannat gelingt die Fällung der basischen
                              									Farbstoffe mit Tannin in Gegenwart schwacher Basen, am besten Thonerdehydrat;
                              									ähnlich wirken die Carbonate der alkalischen Erden, doch empfiehlt sich deren
                              									Anwendung für trockene Lacke nicht, da die Tanninlacke vieler basischer Farbstoffe
                              									besonders von Bariumcarbonat bei Temperaturen, wie sie beim Trocknen von
                              									Pigmentfarben unvermeidlich sind, Zersetzung erleiden. Unstreitig am besten bewährt
                              									sich die Fällung der basischen Farbstoffe durch Tannin in Gegenwart überschüssigen
                              									Natriumacetats. Die geringe Menge hierbei frei werdender Essigsäure ist von äusserst
                              									vortheilhaftem Einfluss auf die Schönheit der Nuance. Es ist dies in völliger
                              									Uebereinstimmung mit der Thatsache, dass die meisten der basischen Theerfarbstoffe
                              									egalere und klarere Färbungen geben, wenn in schwach saurem Bade ausgefärbt
                              									wird.
                           Diese Fällung der basischen Farbstoffe beruht also wesentlich auf einer Umwandlung
                              									derselben in Tannate unter Ausscheidung der mit dem Farbstoff ursprünglich
                              									verbundenen Säure. Die nächstliegende Frage ist nun natürlich die nach den hierbei
                              									einzuhaltenden Gewichtsverhältnissen. Es erscheint von vornherein sehr
                              									wahrscheinlich, dass wir für jede salzbildende Amidogruppe oder substituirte
                              									Amidogruppe im Farbstoffmolekül ein Molekül der einbasischen Digallussäure (Tannin)
                              									brauchen. Das würde
                              									also heissen, dass für ein Molekül Rosanilin drei Moleküle Tannin erforderlich sind,
                              									da das Rosanilin unzweifelhaft eine dreisäurige Base ist. Andererseits wissen wir
                              									aber, dass die dreisäurigen Salze des Rosanilins farblos und ausserdem so
                              									unbeständig sind, dass sie schon durch Wasser Zersetzung erleiden in einsäurige oder
                              									zweibasische Salze, und dass in der That das Fuchsin des Handels nur ein Molekül
                              									Chlorwasserstoff für ein Molekül Rosanilin enthält. Die Annahme liegt nun nahe, dass
                              									wir bei der Tanninlackbildung einfach die im Molekül des wasserlöslichen Farbstoffes
                              									enthaltenen Säuremoleküle durch eine äquivalente Menge von Tanninmolekülen zu
                              									ersetzen haben. In diesem Falle würde ein Molekül Fuchsin ein Molekül Tannin
                              									erfordern, aber dieser Annahme entsprechend würde Bismarckbraun vier Moleküle Tannin
                              									erfordern oder beinahe das Dreifache seines Gewichtes; noch grösser aber wird die
                              									Schwierigkeit bei den Bittermandelölgrünen. Es entspricht das Chlorhydrat des
                              									Malachitgrünes der Formel
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 283, S. 160
                              
                           und wir hätten daher für ein Molekül des Grünes ein Molekül
                              									Tannin nothwendig. Das Oxalat des Malachitgrünes ist aber
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 283, S. 160
                              
                           würde also ein Molekül Farbbase zwei Moleküle Tannin
                              									erfordern. Diese Beispiele zeigen zur Genüge, dass es unmöglich ist, das für jeden
                              									einzelnen Farbstoff erforderliche Verhältniss von Farbstoff und Tannin auf
                              									theoretischem Wege zu bestimmen. Aber selbst wenn dies möglich wäre, so wäre doch
                              									damit nicht viel gewonnen, da die Farbstoffe des Handels mit sehr wenigen Ausnahmen
                              									nicht im Zustande der Reinheit in den Handel kommen, sondern in der Mehrzahl von
                              									Fällen mit erheblichen Quantitäten von Nichtfarbstoff (Dextrin, Zucker, Kochsalz,
                              									Glaubersalz, Soda) vermengt sind. Nur die krystallisirten Farben können im
                              									Allgemeinen für praktische Zwecke als rein angesehen werden. In den meisten Fällen
                              									würde es also erforderlich sein, erst den Reinheitsgrad der Farbstoffe analytisch zu
                              									ermitteln; eine höchst umständliche und zeitraubende Arbeit.
                           Der Gedanke ist nun naheliegend, den Tanninbedarf der Farbstoffe analytisch zu
                              									bestimmen, durch titrimetrische Ermittelung der Menge Tannin, die zur vollständigen
                              									Fällung einer abgewogenen Menge Farbstoff nothwendig ist. Dies ist in der That das
                              									von den Fabrikanten benutzte Verfahren. Es wird einfach von Fall zu Fall
                              									festgestellt, wie viel Tannin erforderlich ist, um die mit der in Wasser
                              									suspendirten Grundlage vermischte Farbstofflösung vollständig zu fällen. Das auf
                              									diese Weise gefundene Verhältniss von Farbstoff und Tannin wird dann als für alle
                              									Fälle richtig betrachtet. Thatsächlich aber verdient diese unwissenschaftliche
                              									Methode strengste Verurtheilung und ist gewiss zum grossen Theil verantwortlich für
                              									den schlechten Ruf, dessen sich die Lacke aus basischen Theerfarbstoffen erfreuen.
                              									Dieselben enthalten selbst unter den besten Umständen nur einen Bruchtheil der zur
                              									vollständigen Fixirung des Farbstoffes erforderlichen Menge Tannin, der grösste
                              									Theil des Farbstoffes ist einfach mechanisch an den Lack und die in demselben
                              									enthaltene Grundlage gebunden und nicht im Stande dem zerstörenden Einflüsse des
                              									Lichtes und der Luft zu widerstehen. Es genügt, einen solchen Lack dem directen
                              									Sonnenlichte während weniger Stunden, auszusetzen um dessen Schönheit zum grossen
                              									Theile zu zerstören.
                           Ich habe eingangs die wohlbekannte Thatsache erwähnt, dass indifferente organische
                              									oder anorganische Substanzen im Stande sind, erhebliche Quantitäten basischer
                              									Farbstoffe mechanisch, das heisst ohne chemische Hilfsmittel, wie der Ausdruck
                              									lautet durch „Flächenanziehung“ zu fixiren. Auf diese Art hergestellte Lacke,
                              									deren Grundlage zumeist Stärke, Thonerdehydrat oder Caolin ist, kommen häufig im
                              									Handel vor und wenn dieselben sich durch etwas auszeichnen, so ist es ihre geradezu
                              									phänomenale Unechtheit. In noch grösserem Maasse als die vorstehend genannten
                              									Grundlagen besitzen aber Tanninlacke die Fähigkeit, basische Farbstoffe mechanisch
                              									zu binden, so dass bei der auf obige Weise ausgeführten empirischen Methode der
                              									Lackfällung zunächst ein grösseres oder kleineres Quantum des Farbstoffes von der
                              									Grundlage mechanisch gebunden wird. Wird nun mit Tannin gefällt, so reisst der
                              									ausfallende Tanninlack eine grosse Menge Farbstoff mechanisch mit sich nieder, und
                              									wenn anscheinend vollständige Fällung erreicht ist, befindet sich die grösste Menge
                              									des verwendeten Farbstoffes in freiem Zustande in dem Lacke, welchem sich derselbe
                              									durch Auswaschen nur spurenweise entziehen lässt. Es ist aber bemerkenswerth, dass
                              									solche Lacke beim Auswaschen ihre Schönheit häufig völlig einbüssen, unter Annahme
                              									eines eigenthümlichen trüben Tones. Fuchsin-, Methylviolett- und
                              									Bittermandelölgrünlacke zeigen diese Erscheinung in höchst auffallendem Grade.
                           Die Farbstoffmengen, welche von den für Lacke verwendeten Grundlagen mechanisch
                              									gebunden werden, hängen zunächst von der Natur der Grundlage selbst ab, besonders
                              									auch von dem Zustande der Vertheilung, in dem sich dieselbe befindet. Von ebenso
                              									grossein Einflüsse ist aber auch die Natur des verwendeten Farbstoffes und scheint
                              									es, dass der stärksten Base ein Minimum, der schwächsten Base ein Maximum
                              									mechanischer Bindung entspricht. Andererseits ist aber auch ein erheblicher Einfluss
                              									der mit der Farbbase verbundenen Säure unverkennbar und scheint für Farbstoffe mit
                              									derselben Farbbase der schwächeren Säure eine grössere Absorption zu entsprechen.
                              									Dies lässt sich kurz dahin ausdrücken, dass der Betrag der Fixirung von basischen
                              									Farbstoffen durch Flächenanziehung auf indifferenten Medien, im umgekehrten
                              									Verhältniss steht zur Stärke der Farbbase und der mit derselben verbundenen
                              									Säure.
                           Diese Verhältnisse kommen auf deutliche Weise zum Ausdruck in der folgenden Tabelle.
                              									Die darin gegebenen Zahlen wurden auf die Weise gewonnen, dass je 2 g Thonerde in
                              									der Form von Thonerdehydrat in 500 cc Wasser suspendirt wurden und darauf aus einer
                              									Bürette halbprocentige Lösungen der Farbstoffe hinzugefügt wurden, bis ein Tropfen auf
                              									Filtrirpapier Spuren von der Thonerde abblutenden Farbstoffes erkennen liess.
                           
                              
                                 100 Theile Al2O3
                                    											absorbiren:
                                 
                              
                                 
                                    Farbstoff
                                    
                                 Theile
                                 
                                    Fabrikant
                                    
                                 
                              
                                 Bismarckbraun G.
                                 8,30
                                 Hampson Bros., Manchester.
                                 
                              
                                 Rosanilinacetat
                                 7,13
                                 Dan. Dawson Bros., Huddersfield.
                                 
                              
                                 Methylviolett B extra
                                 4,87
                                 
                                    Bad. Anilin- und Sodafabrik.
                                    
                                 
                              
                                 Brillantgrün crist.
                                 3,85
                                 Küchler und Buff, Crefeld.
                                 
                              
                                 Fuchsin la crist.
                                 3,53
                                 Dan. Dawson Bros. Ld., Hudders-    field.
                                 
                              
                                 Indazin M
                                 1,96
                                 L. Cassella und Co., Frankfurt a. M.
                                 
                              
                                 Methylenblau B conc.
                                 1,62
                                 Meister, Lucius und
                                       											Brüning,    Höchst.
                                 
                              
                                 Thioflavine T
                                 1,43
                                 L. Cassella und Co., Frankfurt a. M.
                                 
                              
                                 Malachitgrün crist.
                                 1,21
                                 Küchler und Buff, Crefeld.
                                 
                              
                                 Safranin GGS
                                 0,83
                                 L. Cassella und Co., Frankfurt a. M.
                                 
                              
                           Diese merkwürdige Beziehung zwischen der Absorption der Farbstoffe und der Stärke der
                              									Farbbasen und der mit diesen verbundenen Säuren lassen diese ganze Erscheinung der
                              									Lackbildung durch „Flächenanziehung“ einfach als eine
                              									Dissociationserscheinung erkennen, die in ihren sämmtlichen Einzelheiten die grösste
                              									Analogie zeigt mit der Dissociation der als Mordants benutzten Antimon-, Zinn-,
                              									Eisenoxyd-, Chromoxyd- und Thonerdesalze. Wie in obiger Tabelle für die basischen
                              									Theerfarbstoffe gezeigt wurde, entspricht der schwächsten Base die stärkste
                              									Absorption, genau wie von obigen anorganischen Salzen das die schwächste Base
                              									enthaltende am dissociationsfähigsten ist. In genau derselben Weise, wie für die
                              									basischen Farbstoffe gezeigt wurde, steigt die Dissociationsfähigkeit der
                              									anorganischen Salze einer und derselben Base mit der schwächer werdenden Säure.
                           Im Widerspruch mit dieser Auffassung der „Flächenanziehung“ als einer
                              									Dissociationserscheinung scheint die Thatsache zu stehen, dass die Farbbasen sehr
                              									vieler basischer Theerfarbstoffe farblos sind, während die durch Flächenanziehung
                              									gebildeten sogen. Lacke kräftige Färbung zeigen, was mit der Annahme freier Farbbase
                              									unverträglich ist. Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar; es ist im Gegentheil
                              									durchaus unwahrscheinlich, dass die Dissociation in einer quantitativen Trennung von
                              									Farbbase und Säure verläuft und gerade der Umstand, dass die Dissociationslacke noch
                              									farbige Producte sind, beweist, dass die Dissociation der basischen Farbstoffe in
                              									genau derselben Weise verläuft, wie die der anorganischen Salze, das heisst unter
                              									Bildung hochbasischer wasserunlöslicher Salze.
                           Dass die basischen Theerfarbstoffe im Stande sind, basische Salze zu bilden, bedarf
                              									keines Beweises, ebenso ist es bekannt, dass diese basischen Salze entweder ganz
                              									unlöslich oder sehr schwer löslich in Wasser sind, sowie dass dieselben stets noch
                              									ziemlich kräftig gefärbt sind. Am leichtesten lassen sich diese Punkte am
                              									Malachitgrün beobachten, das in nicht zu verdünnter Lösung durch Glaubersalzlösung
                              									als stark basisches Salz gefällt wird, in Form eines dunkelgrünen harzigen
                              									Niederschlages, der in kohlensäurefreiem Wasser fast unlöslich ist. Dass bei dieser
                              									Bildung basischer Farbsalze der Farbenton eine erhebliche Schwächung zeigen muss,
                              									ist einleuchtend und in der That lässt sich leicht nachweisen, dass die durch
                              									Flächenanziehung entstandenen Lacke einen grossen Theil des Farbstoffes in farbloser
                              									Form enthalten, entsprechend dem Betrage der abgespaltenen Säure. Ein aus einem
                              									basischen Farbstoff auf Caolin hergestellter Dissociationslack zeigt stets eine
                              									Nuance, die von der des normalen Tanninlackes in auffallender Weise abweicht. Man
                              									wird im Allgemeinen finden, dass die rothen Dissociationslacke gelber, die violetten
                              									und blauen röther und die grünen blauer sind als die entsprechenden Tanninlacke.
                              									Fügt man zu einem solchen Dissociationslack Tannin oder irgend eine andere, am
                              									besten organische Säure, so wird die Nuance des Lackes sofort in ganz auffallendem
                              									Grade verstärkt, was in unumstösslicher Weise den Beweis erbringt, dass der durch
                              									Flächenanziehung gebildete Lack einen grossen Theil des Farbstoffes in unwirksamster
                              									Form, das heisst dissociirt enthält. Noch schlagender lässt sich dieser Beweis durch
                              									Auswaschen eines solchen Lackes mit kohlensäurefreiem Wasser erbringen. Höchst
                              									minimale Quantitäten von Farbstoff gehen hierbei in Lösung, während der Lack in den
                              									meisten Fällen fast völlig farblos wird. Suspendirt man nun den so anscheinend
                              									völlig von Farbstoff befreiten Lack in Wasser und fügt eine geringe Menge Tannin
                              									hinzu, so tritt sofort die volle Farbe des Lackes, fast in seiner ursprünglichen
                              									Stärke hervor. Nach diesem allem kann die Dissociation basischer Farbstoffe unter
                              									dem Einflüsse der Flächenanziehung als völlig erwiesen gelten.
                           Dass in noch höherem Grade als die in der Fabrikation der Lackfarben benutzten
                              									indifferenten Grundlagen die Tanninlacke selbst basische Farbstoffe in dieser Weise
                              									zu binden vermögen, ist bereits erwähnt worden. In höchst auffallendem Grade
                              									beobachtete ich diese Erscheinung bei dem Versuche, den Tanninbedarf der basischen
                              									Farbstoffe durch Titration einer Lösung derselben in 10 procentiger
                              										NatriumacetatlösungIn wässeriger
                                    											Lösung ist aus bereits angegebenen Gründen keine vollständige Fällung, ja
                                    											mit manchen Farbstoffen überhaupt keine Fällung erreichbar. In letzterer
                                    											Beziehung sind besonders Auramin, Rhodamin B und S
                                    										bemerkenswerth. zu bestimmen. Das beobachtete Verfahren war
                              									folgendes: 1 g der weiter unten erwähnten und mit grösster Sorgfalt aus den
                              									Handelsproducten in chemischer Reinheit dargestellten Farbstoffe wurde in 200 cc
                              									Wasser gelöst. 5 cc (= 0,025 g) dieser Lösung wurden in einer Porzellanschale mit
                              									100 cc einer 10 procentigen Lösung von Natriumacetat verdünnt und sodann mit einer 1
                              									procentigen Tanninlösung bis zur vollständigen Fällung titrirt. Das heisst, bis ein
                              									Tropfen der titrirten Flüssigkeit auf Filterpapier keinen gelösten Farbstoff mehr
                              									erkennen liess.
                           
                              
                                 
                                    
                                    Farbstoff
                                    
                                 Molekular-gewicht
                                 Tanninberechnet
                                 Tanningef.
                                 
                              
                                 Fuchsin
                                   409,5
                                   644
                                 178
                                 
                              
                                 Methylviolett
                                   393,5
                                    510
                                 138
                                 
                              
                                 MalachitgrünOxalat, Doppelmolekül der Farbbfl.
                                 926
                                 1324
                                 456
                                 
                              
                                 Methylenblau
                                   319,5
                                   520
                                 198
                                 
                              
                                 Auramin
                                   321,5
                                   480
                                 209
                                 
                              
                                 Chrysoidin
                                   248,5
                                   322
                                 194
                                 
                              
                           Es zeigt sich hier, dass in manchen Fällen für ein Molekül der Farbbase noch nicht
                              									ein halbes Molekül Tannin erforderlich ist. Da nun aus theoretischen Gründen das
                              									Molekül eines basischen Farbstoffes mindestens ein Molekül Tannin erfordert, so geht
                              									aus obigen Ziffern hervor, dass obgleich durchschnittlich nur die Hälfte des
                              									Farbstoffes als Tanninlack gefällt sein konnte, doch vollständige Fallung des
                              									sämmtlichen Farbstoffes stattgefunden hatte, indem
                              									der Tanninlack fast ebenso viel Farbstoff als er selbst enthält zur
                              									Dissociation brachte und so mit niederriss. Mit anderen Worten heisst das, dass ein
                              									mit so viel Tannin gefällter Farbstoff, als zur Ueberführung desselben in den
                              									unlöslichen Zustand nöthig ist, hierbei durchaus nicht als reiner Lack erhalten
                              									wird, sondern im Gegentheil ein Gemenge von Tanninlack und mehr oder weniger
                              									säurefreier Farbbase in wechselnden Verhältnissen darstellt. Es zeigt dies auf das
                              									schlagendste, wie verwerflich die empirische Fällung der basischen Farbstoffe mit
                              									Tannin ist, da dabei einmal durch Dissociation unter dem Einfluss der Grundlage,
                              									andererseits durch Dissociation unter dem Einfluss des ausfallenden Lackes grosse
                              									Mengen des Farbstoffes sich der Fixirung gänzlich entziehen und in einer Form in dem
                              									Lack enthalten sind, in welcher sie dem zerstörenden Einflüsse des Lichtes und der
                              									Atmosphärilien den denkbar geringsten Widerstand zu leisten vermögen.
                           Es ist nun klar, dass die ganzen im Vorstehenden dargelegten Schwierigkeiten und
                              									Mängel zunächst dem Umstände zuzuschreiben sind, dass dem Fabrikanten von
                              									Lackfarben, aber in gleichem Maasse dem Färber, es durchaus noch nicht in der
                              									erforderlichen Weise klar geworden ist, dass die Bildung der Farblacke, gleichgültig
                              									ob auf einem mineralischen Substrat oder auf der Textilfaser, ein chemischer Process
                              									ist, dessen Resultat wesentlich von der Einwirkung der reagirenden Agentien in
                              									Molekularverhältnissen auf einander abhängt. Wir haben den Lackbildungsvorgang aus
                              									basischen Farbstoffen als eine einfache Salzbildung erkannt, aus einer mindestens
                              									einatomigen Farbbase und Tannin einer einatomigen Säure, so dass also zur
                              									Lackfällung oder Ausfärbung von einem Molekül eines basischen Theerfarbstoffes
                              									mindestens ein Molekül Tannin erforderlich ist, während in vielen Fällen wenigstens
                              									die Möglichkeit vorhanden ist, dass ein Molekül des Farbstoffes, zwei, drei oder gar
                              									vier Moleküle Tannin erfordert. Diesen Punkt theoretisch zu entscheiden ist ganz
                              									unmöglich und wie oben gezeigt wurde, gibt die Titrirung einer Farbstofflösung mit
                              									Tannin durchaus irreführende Resultate, wofür die Gründe bereits angegeben wurden.
                              									Eine verlässliche Methode zur Bestimmung der thatsächlich erforderlichen Mengen von
                              									Tannin, welche die verschiedenen basischen Farbstoffe erfordern, ist daher von
                              									erheblicher Wichtigkeit.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)