| Titel: | Elektrische Locomotiven für Eisenbahnen. | 
| Fundstelle: | Band 285, Jahrgang 1892, S. 66 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Elektrische Locomotiven für
                           								Eisenbahnen.
                        Elektrische Locomotiven für Eisenbahnen.
                        
                     
                        
                           Die Frage des Ersatzes der Dampflocomotiven der Eisenbahnen durch elektrische
                              									Locomotiven ist neuerdings in der Revue industrielle
                                 									vom 23. April 1892 * S. 163 erörtert worden. Unter Hinweis auf einen früher (1891)
                              									in derselben Zeitschrift besprochenen Vorschlag von Heilmann, welcher die einzelnen Wagen mit der nöthigen Zugkraft versorgen
                              									und so das eigentliche „Ziehen“ umgehen will, indem er die Dampflocomotive
                              									durch einen Wagen mit einem Motor nebst Stromerzeuger ersetzt, welcher den Motoren
                              									der anderen Wagen den Strom liefert, wird erwähnt, dass 1893 auf der Ausstellung zu
                              									Chicago eine elektrische Eisenbahn gebaut werden soll, auf der die
                              									Fahrgeschwindigkeit 150 bis 200 km in der Stunde beträgt. Diesseits des Oceans sind
                              									der Unterbetriebsleiter der Paris-Lyon-Mittelmeerbahn, Bonneau, und der Elektriker Desroziers mit
                              									einem neuen Plane für die elektrische Beförderung der Züge auf den Eisenbahnen
                              									hervorgetreten. Dieselben wollen durchaus nicht ganz allgemein die Dampflocomotiven
                              									beseitigen, sondern nur in einzelnen Fällen durch elektrische ersetzen. Letztere
                              									sind besonders von Werth für unterirdische Stadtbahnen und für lange Tunnel, wo die
                              									Mischung des Rauches und Dampfes mit der Luft die Reisenden sehr belästigt. Ferner
                              									würden elektrische Locomotiven auf den vorhandenen Eisenbahnen eine merklich
                              									grössere Geschwindigkeit erreichen lassen, weil sie die Schienen weniger angreifen
                              									und bei gleichem Gewichte mit den Dampflocomotiven bei grösseren Geschwindigkeiten
                              									leistungsfähiger sind. Die elektrischen Locomotiven mit unmittelbarer Wirkung von
                              										Bonneau und Desroziers
                              									würden auf die Schienen sanfter wirken: 1) weil die Bewegung der Triebachsen
                              									durch eine mechanische Wirkung hervorgebracht wird, welche sich mehr der eines
                              									Kräftepaares nähert, während die hin und her gehende Bewegung der Kolben,
                              									Kolbenstangen und Triebstangen schlingernde, rückläufige, hüpfende und schaukelnde
                              									Bewegungen veranlassen, welche die Schienen stark beanspruchen; 2) weil der
                              									Schwerpunkt viel tiefer liegt als bei den Dampflocomotiven; 3) weil sie seltener
                              									nicht senkrecht stehen; 4) weil bei ihnen die durch die Triebräder auf die Schienen
                              									ausgeübten senkrechten Bewegungen fühlbar gleich stark sind, während sie bei den
                              									Maschinen mit Triebstangen während einer Umdrehung von der Mittelstärke nach oben
                              									und unten schwanken. Zudem wirkt jedes der am Ende derselben Achse sitzenden
                              									Triebräder zu gleicher Zeit in gleicher Weise auf die Schienen, was nicht der Fall
                              									ist bei nicht paralleler Stellung der Krummzapfen derselben Achse.
                           Aus diesen Gründen ist bei den elektrischen Locomotiven weniger ein Entgleisen zu
                              									befürchten; ferner gestatten sie auf gegebener Bahn gefahrlos Geschwindigkeiten,
                              									welche diejenigen übersteigen, die man bei Dampflocomotiven nicht ohne
                              									Schwierigkeiten übersteigt. Bei gleichem Gewichte gibt die (35 t schwere) später
                              									erwähnte elektrische Locomotive folgende Geschwindigkeiten und Leistungen: 40, 60,
                              									80, 100, 120, 140, 150 km und bezieh. 380, 585, 725, 975, 1250, 1550, 1700 
                              									und zwar am Umfange der Räder, d.h. nach Abzug der elektrischen und mechanischen
                              									Widerstände. Bei 120 km 1250  ist etwa das Doppelte von dem von gleich
                              									schweren Dampflocomotiven (ohne Tender) bei ihrer normalen Laufgeschwindigkeit
                              									Geleisteten.
                           Die Erhöhung der jetzigen, seit längerer Zeit nur wenig gestiegenen Geschwindigkeit
                              									um 50 Proc. lässt eine Zunahme der Fahrenden erhoffen, welche die beträchtlichen
                              									Ausgaben für die erste Einrichtung für elektrischen Zug und die höheren
                              									Betriebsausgaben zu decken und noch eine Erhöhung des Reingewinnes zu gewähren
                              									vermöchte.
                           Die von Bonneau und Desroziers geplanten Schnellzugslocomotiven würden sammt dem Schutzstande
                              									des Locomotivführers vorn so zu gestalten sein, dass sie die Luft mit dem geringsten
                              									Widerstände durchdringen könnten; hinten würden sie sich an die gleichgestalteten
                              									Wagen des Zuges anschmiegen, wobei die Zwischenräume durch Verlängerung der Seiten
                              									wände und Dächer verdeckt würden, ohne dass die Wirkung der Buffer beeinträchtigt
                              									würde, der letzte Wagen aber erhielte schief zur Längsachse gestellte Wände, zur
                              									Verminderung des von der Luftverdünnung herrührenden Widerstandes. Diese Locomotive
                              									würde zwei von einander unabhängige Triebachsen mit Triebrädern von 2,30 m
                              									Durchmesser erhalten und jede würde durch eine Desroziers-Dynamo getrieben, deren
                              									Anker besonders leicht ist und die Achse umgibt. Die Dynamo würden zur Abschwächung
                              									der Stösse auf lothrechten und. wagerechten Federn am Gestell befestigt. Das die
                              									Elektromagnete tragende Gestell trägt zugleich die Lager für die hohle Welle, auf
                              									welche der Anker aufgekeilt ist; zwischen Achse und Welle ist einige Centimeter
                              									Spielraum, ähnlich wie bei den Dampflocomotiven. Die Verbindung zwischen der hohlen
                              									Welle und den Triebrädern würde mittels Raffard'scher
                              									Scheiben hergestellt, wobei die Verbindungsfedern aus Kautschuk oder aus Metall
                              									hergestellt würden. Bei Zuführung des Stromes würden die Anker sich zu drehen
                              									beginnen, die Scheiben am Ende der hohlen 
                              									Welle mitnehmen, die Federn mehr und mehr spannen und schliesslich den Zug in
                              									Bewegung setzen. Fürs Anhalten des Zuges könnten die jetzt üblichen Mittel
                              									beibehalten werden.
                           Weil die Züge nicht mit todtem Gewichte belastet werden sollen, empfehlen Bonneau und Desroziers die
                              									Zuführung der Elektricität auf Leitungen von Centralstellen, die mit Dampf- oder
                              									Wasserkraft betrieben werden. Dabei könnte die Elektricität zugleich noch für andere
                              									Zwecke mit benutzt werden, z.B. für Sicherheitszwecke, Verschiebdienst in den
                              									Stationen, Beleuchtung u.s.w. Für die Leitungen könnten die vorhandenen Schienen
                              									benutzt werden.
                           Speicherbatterien sind noch zu schwer; sie würden für 1  200 k und sammt
                              									zugehörigem Wagen 300 k wiegen. Würden leichtere erfunden, so liessen sie sich mit
                              									Vortheil benutzen.
                           In besonderen Fällen könnte man, wie Heilmann
                              									vorgeschlagen hat, die Elektricität auf dem Zuge durch Dampfmaschinen und
                              									Dynamomaschinen erzeugen.