| Titel: | Rechtsfragen. | 
| Autor: | F. H. Haase | 
| Fundstelle: | Band 286, Jahrgang 1892, S. 95 | 
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                        Rechtsfragen.
                        Von F. H. Haase, gepr. Ingenieur, Patentanwalt
                           								in Berlin.
                        Rechtsfragen.
                        
                     
                        
                           I.
                           Wenn man die Eintragungen in der Rolle für Gebrauchsmuster im Patentamte
                              									durchblättert und sich dann zu einzelnen, ihres Titels wegen besonders zu
                              									beachtenden Eintragungen die Schutzunterlagen geben lässt, so findet man, dass von
                              									diesen wenigstens 60 Proc. einen ganz anderen Gegenstand kennzeichnen, als man dem
                              									Titel nach erwartet hatte, und wenn man sich die Unterlagen von Gegenständen geben
                              									lässt, deren Titel den Eindruck erwecken, dass die betreffenden Eintragungen von
                              									Rechts wegen gar nicht unter die Gebrauchsmuster gehören, so findet man seine
                              									Vermuthung in 10 Fällen wenigstens 9mal bestätigt.
                           Wenn man endlich veranlasst ist, Eintragungen von Gebrauchsmustern auf ihren Rechts-
                              									und Schutzwerth zu prüfen, so findet man, dass wenigstens 70 Proc. der zur Prüfung
                              									vorgenommenen Schutzeintragungen absolut werthlos sind, während 10 weitere Procent
                              									derselben zu Rechtsstreitigkeiten direct herausfordern.
                           Dass Rechtsstreitigkeiten in solchen Fällen einen sehr gefährlichen Charakter für
                              									beide Parteien besitzen, wenn man in drohenden pecuniären Verlusten von mehreren
                              									Tausend Thalern eine Gefährdung erblickt, das habe ich während der kurzen Zeit des
                              									Bestehens der Gebrauchsmusterschutzeinrichtung nun schon in 3 Fällen kennen gelernt.
                              									Man braucht nur zu bedenken, dass die eingetragenen Gebrauchsmuster sich sehr oft
                              									nur wenig von allgemein gebräuchlichen Objecten unterscheiden und nicht selten die
                              									Folgen von Bedürfnissfragen sind, welche vielleicht jeder Industrielle eines ganzen
                              									Fachgebietes gleichzeitig zu lösen bestrebt ist, um zu verstehen, dass der
                              									Schutzinhaber nicht selten alsbald nach Eintragung seines Gebrauchsmusters ein schon
                              									in weiten Kreisen verbreitetes Fabrikat von seiner Concurrenz vorfindet, welches
                              									seinem Gebrauchsmuster sehr ähnlich ist. Rechnet man zu diesem Vorkommniss noch
                              									hinzu, dass die Unterlagen der Gebrauchsmuster meistens so
                                 										nichtssagend als möglich abgefasst sind, so kann man sich nicht wundern,
                              									wenn im Handumdrehen manchem Schutzinhaber eine grosse Menge Gegner erwächst oder er
                              									eine grosse Anzahl Industrielle anzugreifen sich berechtigt fühlt.
                           Betrachten wir einen Fall.
                           Die Unterlagen eines Gebrauchsgegenstandes bestehen in einem Gummibandstreifen und in
                              									einer Anmeldeschrift, in welcher nichts weiter steht als die Bitte, das beigefügte
                              									Modell unter der Bezeichnung so und so einzutragen, und in einem zweiten Satze,
                              									welcher lautet:
                           
                              „Für den Gebrauchszweck neu ist die Anordnung der Falten in dem Gummibande,
                                 										welche durch ein eigenartiges Webeverfahren in dasselbe eingewebt werden.“
                              
                           Dies ist die ganze Unterlage des Schutzgegenstandes.
                           Der Umfang der Unterlagen eines Gebrauchsmusterschutzes für sich allein bedingt
                              									natürlich ganz und gar nicht den Werth dieses Schutzes, wiewohl nähere Ausführungen
                              									immer sehr empfehlenswerth sind. Es liesse sich daher gegen die Kürze an und für
                              									sich nicht viel einwenden, wenn dieselbe eine zweckmässige Kennzeichnung des
                              									Schutzgegenstandes gäbe, wie sie nur bei reiflicher Ueberlegung nach
                              									vorausgegangener Vorprüfung unter Beachtung der einschlägigen gesetzlichen
                              									Bestimmungen gewonnen wird – aber: „was geht denn das Webeverfahren den
                                 										Gebrauchsmusterschutz an?“ und ferner: „wodurch unterscheidet sich denn
                                 										die Anordnung der Falten in dem Gummibande von den Falten in anderen
                                 										Gummibändern?“ An dem Modell sieht der Richter im Streitfalle ganz und gar
                              									nicht, dass die Faltenanordnung etwas Neues ist gegenüber der Faltenanordnung in
                              									alten Strumpfbändern.
                           Dies ist nun nur eines von Tausenden von Beispielen, aber doch eines von der
                              									schlimmsten Sorte; denn die Richter der unteren Instanzen würden – in Ermangelung
                              									genügender Praxis in Streitfragen, welche den Schutz geistigen gewerblichen
                              									Eigenthums betreffen – (nach meiner Erfahrung) sich um die eigenthümliche
                              									Kennzeichnung des Gebrauchsmusters nicht viel bekümmern, weil sie ihnen nicht
                              									verständlich erscheint, sondern das eingereichte Modell selbst mit älteren
                              									Gummibandstreifen vergleichen und dabei allerdings finden, dass das Modell denn doch
                              									ganz anders aussieht als jene. Das Reichsgericht dagegen, welchem die Gesetze
                              									betreffend den Schutz geistigen gewerblichen Eigenthums, sowie auch technische
                              									Fragen ein weniger ungewohntes Urtheilsgebiet sind und welches in zahlreichen viel
                              									schwierigeren Streitfragen bezüglich des Schutzes geistigen gewerblichen Eigenthums
                              									gleichen Sinnes entschieden hat, würde nur die in der Anmeldeschrift gegebene
                              									Kennzeichnung der Neuheit beachten und erkennen, dass nicht nur das Webeverfahren
                              									mit dem Gebrauchsmusterschutz nichts zu thun hat und zudem auch schon allbekannt
                              									ist, sondern auch dass die Anordnung der Falten gegenüber den Falten in alten
                              									Strumpfbändern nicht neu ist und dass deshalb die Gebrauchsmusterschutzeintragung zu
                              									löschen ist.
                           Stellt man sich nun vor, dass bei einem Process in solcher Sache durch vorläufige
                              									Verfügung des Gerichts zahlreiche Industrielle und Grossisten Jahr und Tag
                              									verhindert werden können, Aufträge auf das streitige Object auszuführen und etwaige
                              									grosse Vorräthe an solchen abzusetzen und dazu noch durch den Process andere
                              									Verluste erleiden, und dass der bisherige Inhaber der auf Grund des Urtheils des
                              									obersten Gerichtshofes gelöschten Schutzeintragung für alle durch den Process
                              									verursachten Schäden der Gegenpartei aufkommen und zuzüglich seine eigenen
                              									Processkosten bezahlen muss, so wird man eine so leichtfertige Ausfertigung der
                              									Schutzunterlagen doch wohl etwas kostspielig finden.
                           In der That steht der erwähnte Fall keineswegs vereinzelt da, man kann vielmehr mit
                              									Sicherheit annehmen, dass mindestens 30 Proc. aller eingetragenen Gebrauchsmuster
                              									dermassen in ihren Unterlagen gekennzeichnet sind, dass sie wegen Mangels der Neuheit in ihrer Kennzeichnung als zu Unrecht geschützt
                              									zu erachten sind.
                           Eine andere grosse Abtheilung der eingetragenen Gebrauchsmuster ist wegen der Art ihres Gegenstandes zu Unrecht geschützt
                              									und bei wenigstens 25 Proc. aller Eintragungen ist dies dem Sachverständigen ohne eingehende Prüfung sofort aus den Unterlagen
                              									ersichtlich. Freilich ist es deshalb noch keineswegs gewiss, dass auch die Richter
                              									der unteren Instanzen immer zu dieser Erkenntniss gelangen; denn die meisten
                              									Juristen sind der Meinung, dass jeder Gegenstand, den man irgendwie gebrauchen kann,
                              									rechtswirksam als Gebrauchsmuster geschützt werden könne, wenn er nur die
                              									Eigenschaft der Neuheit besitzt. Allerdings ist der Mangel an Verständniss, den man
                              									bei der grossen Mehrzahl der Juristen für das Gesetz betreffend den Schutz von
                              									Gebrauchsmustern findet, sehr begreiflich, da dieses Gesetz ausserordentlich
                              									lückenhaft ist und seine Auslegung in vielen Fällen überhaupt so schwierig ist, dass
                              									es auch den Mitgliedern des Patentamtes und den wenigen ausserhalb desselben
                              									stehenden sachkundigen Juristen oft sehr schwer fallen wird, sich ein sicheres
                              									Urtheil über eine streitige Sachlage zu bilden.
                           Die Beamten des Patentamts, welchen die Gebrauchsmusteranmeldungen durch die Hand
                              									gehen, sind der Meinung, dass mehr als die Hälfte der
                              									eingetragenen Gebrauchsmuster der Art ihres Gegenstandes
                                 										wegen zu Unrecht beantragt und deshalb
                              									werthlos sei. Ich schliesse mich dieser Ansicht nicht vollständig an und zwar schon
                              									deshalb nicht, weil die Herren Beamten des Patentamts bei der sehr geringen Zeit,
                              									die ihnen zur Durchsicht der Gebrauchsmusterunterlagen zur Verfügung steht, nur in
                              									wenigen Fällen ein sicheres Urtheil gewinnen kennen; aber nach den Nachforschungen,
                              									die ich selbst bisher im Patentamte vorzunehmen veranlasst war, muss ich doch
                              									schliessen, dass wenigstens 40 Proc. aller Eintragungen im Streitfälle als der Art ihres Gegenstandes wegen zu Unrecht beansprucht
                              									erkannt werden müssen und dass wegen mangelhafter Ausführung der Unterlagen
                              									ausserdem, wie schon erwähnt, wenigstens 30 Proc. der Eintragungen als absolut
                              									werthlos bezeichnet werden müssen.
                           
                           Von den noch restirenden 30 Proc. aber erweist sich bei näherer Prüfung sicher
                              									mehr als die Hälfte als relativ werthlos, so dass
                                 										allerhöchstem 10 bis 15 Proc. aller Gebrauchsmustereintragungen ihren
                                 										Eigenthümern ein mit Erfolg verfechtbares ausnutzbares Recht gewähren.
                           Die meisten Gebrauchsmusteranmelder sind der Meinung, es sei vollständig genügend;
                              									von dem zu schützenden Gegenstand ein Modell mit einem Begleitschreiben
                              									einzureichen, in welch letzterem sie ausser einem ziemlich willkürlichen und zumeist
                              									möglichst allgemeinen Titel nur eine ungefähre kurze Andeutung über das geben, was
                              									sie gerne als geschützt bezeichnen möchten, ohne dass sie sich irgendwie darum
                              									bekümmern, ob sie diesen Schutz zu beanspruchen berechtigt sind oder nicht.
                           Bei solcher Art der Gebrauchsmusterschutzanmeldung ist es natürlich auch in vielen
                              									Fällen dem Concurrenten leicht möglich, einen ihm unbequemen Gebrauchsmusterschutz
                              									zu umgehen und sich gegen Anfechtungen des Inhabers desselben praktisch dadurch zu
                              									sichern, dass er – nach vorgenommener Prüfung der Unterlagen des eingetragenen
                              									Gebrauchsmusters (durch einen Sachverständigen) – auch seinerseits ein
                              									Gebrauchsmuster anmeldet, welches sich von dem bereits eingetragenen im Allgemeinen
                              									nur um eine ganz geringe Kleinigkeit zu unterscheiden braucht.
                           Wenn ein dritter, vierter, ...nter Concurrent in gleichem Sinne verfährt, so kommt
                              									bald eine hübsche Anzahl Gebrauchsmustereintragungen zusammen, von denen keine ihrem
                              									Inhaber einen besonderen Erfolg seinen Concurrenten gegenüber gewährt; alle Inhaber
                              									bezahlen nur eine freiwillige Steuer im Betrage der Schutzgebühr, ohne einen anderen
                              									Nutzen dafür zu haben, als dass jeder seinen eingetragenen Fabrikationsgegenstand
                              									als gesetzlich geschützt bezeichnen darf.
                           Mitunter ist es aber auch schwierig, eine an sich völlig werthlose Schutzeintragung
                              									in der erwähnten Weise durch eine etwas geänderte Gebrauchsmusteranmeldung zu
                              									umgehen. Ist in solchem Falle der Inhaber des werthlosen Schutzes ein energischer
                              									Verfechter seiner vermeintlichen Vorrechte, so erwächst aus der
                              									Gebrauchsmustereintragung ein sehr kostspieliges Processobject, welches nur etwa den
                              									Rechtsvertretern zum Nutzen, der Industrie aber unter Umständen zum Nachtheil
                              									gereicht.
                           Unter solchen Umständen wird natürlich der Nutzen, den das Gesetz betreffend den
                              									Schutz von Gebrauchsmustern thatsächlich gewähren kann,
                              									für die Wohlfahrt der deutschen Industrie sehr zweifelhaft. Vor allem aber
                              									unterliegen dabei Tausende einem, unter Umständen sehr kostspieligen Selbstbetrug,
                              									und wenn nicht Reklamezwecke dabei maassgebend sind, so ist zum wenigsten die
                              									Geldaufwendung Tausender für Gebrauchsmustereintragungen zwecklose Vergeudung, wenn
                              									diese in Zukunft bei den Gebrauchsmusteranmeldungen nicht etwas weniger leichtfertig
                              									zu Werke gehen.
                           Dem Patentamte ist durch das Gesetz die Möglichkeit benommen, den
                              									Gebrauchsmusteranmelder gegen seinen Willen vor dem Verlust seines Geldes zu
                              									bewahren, aber der gute Wille, das Publikum so weit als es möglich ist, ohne
                              									Vornahme einer eingehenden sachlichen Prüfung, auf augenscheinliche Mängel der
                              									Anmeldungen aufmerksam zu machen, ist bereits in Folge des überaus geringen
                              									Procentsatzes rechtswirksamer Gebrauchsmustereintragungen zu Tage getreten. Es ist
                              									dies im Interesse des Publikums wie auch im Interesse des Ansehens des Gesetzes sehr
                              									hoch anzuerkennen und möchte ich aus diesem Grunde meinen heutigen Bericht nicht
                              									schliessen, ohne die Herren Leser zu warnen, dem Amte, im Falle des Empfangs dahin
                              									zielender Zuschriften, durch allzu hartnäckige Entgegnungen die gute Absicht zu
                              									erschweren.