| Titel: | Fortschritte und Neuerungen auf dem Gebiete der Fabrikation von Stärke, Dextrin, Traubenzucker u.s.w. | 
| Autor: | J. Brössler | 
| Fundstelle: | Band 287, Jahrgang 1893, S. 232 | 
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                        Fortschritte und Neuerungen auf dem Gebiete der
                           								Fabrikation von Stärke, Dextrin, Traubenzucker u.s.w.
                        Von J. Brössler.
                        Fortschritte und Neuerungen auf dem Gebiete der Fabrikation von
                           								Stärke, Dextrin, Traubenzucker u.s.w.
                        
                     
                        
                           Ueber Stärkezucker und seine Verwendung zur
                              									Weinverbesserung.
                           Seit ungefähr 10 Jahren wurde die Verwendung von Stärkezucker des Handels zur
                              									Weinverbesserurig fast in allen Ländern verboten.
                           Notorisch wird fester Stärkezucker beinahe nur noch für Brauereizwecke in England
                              									verwendet, wohin 9/10 des in Deutschland producirten Quantums exportirt werden.
                           Nachdem der im Handel vorkommende Stärkezucker ein Product von sehr variabler
                              									Zusammensetzung ist und neben (eigentlicher) Dextrose bald mehr, bald weniger, bis zu 30 Proc. sogen.
                              										unvergährbare Bestandteile enthält, deren Natur noch nicht aufgeklärt und deren
                              									Gesundheitsschädlichkeit oder Unschädlichkeit noch bis jetzt keineswegs endgültig zur Entscheidung gebracht wurde, so musste
                              									das Gesetz gegen die Verwendung eines solchen Products zur Herstellung von Nahrungs-
                              									und Genussmitteln entscheiden.
                           Diese grosse Schädigung eines nicht unbedeutenden Industriezweiges musste naturgemäss
                              									die industrielle Technik anspornen, die Herstellungsmethoden des Stärkezuckers zu
                              									verbessern. Wie wir weiter unten sehen werden, haben diese Bestrebungen bereits
                              									Erfolge aufzuweisen.
                           In Rücksicht auf die allgemeine Alimentation hat das sogen. Gallisiren schwacher und
                              									saurer Weine und insbesondere das Gallisiren mit Zusatz von Stärkezucker eine
                              									hervorragende volkswirtschaftliche Bedeutung.
                           Das Ziel des Dr. Gall in Trier 1825 war darauf
                              									gerichtet, den Säuregehalt der Weine durch Zusatz von Wasser zu vermindern und den
                              									Alkoholgehalt durch Zusatz von Stärkezucker zum Moste (vor der Gährung) zu erhöhen.
                           Diese Methode der Weinverbesserung in rationeller Weise gehandhabt, kann unter allen
                              									Umständen nur von grossem Nutzen sein; denn nicht nur der Wein schlechter Jahrgänge,
                              									sondern überhaupt der Wein kälterer Klimate bedarf stets dieser Verbesserung.
                           Der Most aus Trauben, in kälteren Himmelsstrichen gewachsen, enthält zwar alle
                              									constituirenden Bestandtheile des Weines in den entsprechenden Mengenverhältnissen,
                              									mit Ausnahme des Zuckers, welcher darin nur in sehr
                              									geringen Quantitäten enthalten ist. Für solche Weine ist es von hoher Bedeutung, sie
                              									mit einer entsprechenden Menge von Zucker vor der
                              									Gährung zu versetzen, um denselben einen Alkoholgehalt von 10 Proc. zu sichern. Ohne
                              									diese Veredelungs- oder Verbesserungsmaassregel bekommen solche Weine schon nach
                              									kurzer Zeit einen Stich, werden sauer und ungeniessbar
                              									und können dann nur zur Destillation Verwendung finden.
                           Nicht nur dass durch das Gallisiren während der Gährung des Mostes Alkohol in
                              									Gegenwart der constituirenden Bestandtheile des Weines gebildet wird, so entstehen
                              									auch noch in Folge der Einwirkung der Säuren auf den Alkohol während der Gährung
                              									jene Aetherarten, welche den Weinen erster Klasse den so hoch geschätzten angenehmen
                              									Geschmack und Geruch verleihen.
                           Durch das Gallisiren werden ferner die Weine haltbar und liefern ganz vorzügliche
                              									gewöhnliche Tischweine.
                           Dass aber hauptsächlich Stärkezucker zu diesem Zwecke empfohlen und angewendet wurde,
                              									lag nicht allein in der Billigkeit desselben gegenüber dem Rohr- oder Rübenzucker,
                              									sondern weil diese beiden letztgenannten Zuckerarten dem Weine einen unnatürlichen,
                              									süsslichen Geschmack ertheilten und auch dabei ein Product resultirte, welches man
                              									leer nannte, welches keinen Körper, kein Schmalz hatte.
                           Trotz der bekannten Unreinheit des käuflichen Stärkezuckers wurde derselbe daher eine
                              									grosse Reihe von Jahren hindurch in ausserordentlich grossen Quantitäten zum
                              									Gallisiren der Weine verwendet. Wenn somit die ungemein verschieden
                              									zusammengesetzten unreinen Producte eine so bedeutende Anwendung erfuhren, so
                              									spricht dieser Umstand um so mehr für den ausserordentlichen Werth eines wirklich reinen Stärkezuckers für die Zwecke der
                              									Weinveredlung.
                           Bevor wir zur Besprechung der neuesten Verbesserungen in der Erzeugung von
                              									reinem Stärkezucker übergehen, wollen wir zur genaueren Charakterisirung des sogen.
                              									Kartoffelzuckers oder Stärkezuckers des Handels, dessen Haupteigenschaften und
                              									Erzeugungsweisen kurz betrachten. Die mittlere Zusammensetzung der käuflichen
                              									Stärkezucker ist nach vielfachen Untersuchungen:
                           
                              
                                 
                                 Deutsche und österreichischeFabrikate:
                                 AmerikanischeFabrikate:
                                 
                              
                                 Dextrose
                                   64,3 %
                                 73,4 %
                                 
                              
                                 Unvergährbare (?) Stoffe
                                 18,0  „
                                   9,1  „
                                 
                              
                                 Wasser
                                 17,0  „
                                 17,6  „
                                 
                              
                                 Asche
                                   0,7  „
                                   0,7  „
                                 
                              
                           So verschieden wie seine Zusammensetzung sind auch dessen Erzeugungsweisen. Im
                              									Allgemeinen wird Kartoffelstärke (Maisstärke nur in wenigen Fällen) mit Salz- oder
                              									Schwefelsäure in verschiedenen Verdünnungsverhältnissen der Stärke in Wasser und
                              									unter den verschiedensten Dampfdrucken behandelt bis zum Verschwinden der sogen.
                              									Dextrinreaction. Nachdem die angewendete Stärke die verschiedensten Grade der
                              									Reinheit hat und nachdem unter den verschiedensten Verhältnissen verzuckert wird,
                              									müssen auch die verschiedensten fertigen Producte entstehen. Die Natur der bei der
                              									Behandlung der Stärke mit Säuren unter Druck entstehenden Zwischenproducte zwischen
                              									Stärke und Zucker ist bis auf den heutigen Tag noch nicht genau festgestellt.
                           Noch viel eher ist deren chemische Natur erforscht als die physiologische Wirkung
                              									derselben nach dem Genüsse.
                           Wenn man die Unreinheit der angewandten Roh- und Hilfsmaterialien bei der Erzeugung
                              									des Stärkezuckers in Betracht zieht und wenn man ferner bedenkt, dass der
                              									Stärkezucker mit den Alkalien und alkalischen Erden Verbindungen eingeht, welche
                              									selbst bei gewöhnlicher Temperatur wenig beständig sind und bei erhöhter Temperatur
                              									sich fast momentan zersetzen und das fertige Product färben und verunreinigen, und
                              									wenn man ferner in Erwägung zieht, dass bei den verschiedenen Kochmethoden wiederum
                              									ganz verschiedene Verbindungen und Zersetzungen sich vollziehen, so wird man
                              									begreifen, dass die sogen. fremden und bis in die
                              									neueste Zeit als unvergährbar bezeichneten Körper, im
                              									käuflichen Kartoffelzucker enthalten, so schwer studirt werden konnten.
                           C. Neubauer, der sich ungemein viel und in der
                              									gründlichsten Weise mit der Untersuchung solcher Weine beschäftigte, welche mit
                              									Kartoffelzucker versetzt waren, spricht in der Deutschen
                                 										Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 11 S. 7, von
                              									diesen dextrinartigen Körpern, dass sie das polarisirte Licht stark nach rechts drehen und in dem fertigen Weine nach beendeter
                              									Gährung zurückbleiben und ihm den Körper ersetzen, der
                              									durch die Verdünnung der normalen Weinbestandtheile mit Wasser zum Theil verloren
                              									gegangen war.
                           Wenn es nur gestattet sein soll, ganz reinen Stärkezucker zum Gallisiren der Weine zu
                              									verwenden, in welchen dann jene fremden dextrinartigen Körper nicht enthalten sein
                              									werden, so ist die Frage zu beantworten, ob solche Weine auch jenen Körper besitzen können, den man verlangt.
                           Diese Frage hat allerdings weniger die Gesetzgebung und Hygiene zu beschäftigen als
                              									vielmehr die Weintechnik, und es ist zu hoffen, dass die letztere diese Frage in
                              									zufriedenstellender Weise beantworten wird. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen,
                              									dass der reine Stärkezucker dem damit behandelten Weine nur gute Eigenschaften
                              									ertheilen wird.
                           Nach Neubauer zeigen mit Kartoffelzucker behandelte
                              									Weine noch nach Jahren eine starke Rechtsdrehung der Polarisationsebene und sind an
                              									diesem charakteristischen optischen Verhalten stets als kartoffelzuckerhaltige Weine
                              									zu erkennen.
                           Neubauer erklärte die dextrinartigen unvergährbaren
                              									Bestandtheile des käuflichen Stärkezuckers noch nicht direct für
                              									gesundheitsschädlich, sondern begnügte sich damit, zu bemerken, dass es nicht
                              									ausgeschlossen ist, dass bei der Gährung eines kartoffelzuckerhaltigen Mostes Fuselöl sich bildet, und dieses ist thatsächlich
                              									gesundheitsschädlich.
                           Auch das Reichsgesundheitsamt sprach sich in den „Materialien zur technischen
                                 										Begründung des Gesetzes gegen die Verfälschung der Nahrungs- und
                                 										Genussmittel“ wiederholt gegen die Verwendung des im Handel vorkommenden
                              									Traubenzuckers aus.
                           Auf die Versuche von Schmitz (Beiträge zur diätetischen Beurtheilung des gallisirten Weines,
                              									Inauguraldissertation aus dem pharmakologischen Institute der Universität Bonn, Köln
                              									1878) sich stützend, erklärte dieses Amt die Anwendung des käuflichen Stärkezuckers
                              									zur Weinbereitung für bedenklich und bemerkt zugleich,
                              									was entsprechend der Herstellungsmethode des flüssigen Stärkezuckers oder Syrups
                              									nicht in allen Fällen ganz richtig ist, dass diese flüssigen Kartoffelzucker oder
                              									Syrupe weit mehr unvergährbare, gesundheitsschädliche Stoffe enthalten als der feste
                              									Stärkezucker.
                           Allerdings enthalten die Syrupe in den allermeisten Fällen viel mehr unvergährbare
                              									Bestandtheile als die festen Stärkezucker, ob aber dieselben mehr gesundheitsschädliche Stoffe enthalten, ist keineswegs bewiesen
                              									worden.
                           Ja, man kann sogar behaupten, dass es im Handel weit mehr reinere Syrupe gibt als feste StärkezuckerIm Handel
                                    											findet man oft Syrupe mit 80 % Dextrosegehalt, während käuflicher
                                    											Stärkezucker fast nie mehr als 64–65 % Dextrose hat.. Um ganz
                              									wasserhellen sogen. Capillairsyrup zu erzeugen, muss sowohl der Convertirungsprocess
                              									als auch das Abstumpfen der überschüssigen Säure, das Filtriren und Entfärben der
                              									Säfte mit viel mehr Sorgfalt betrieben werden, als wenn es sich darum handelt, festen Stärkezucker zu erzeugen. In dem wasserhellen
                              									Syrup darf weder überschüssige Säure, noch überschüssiger Gyps, noch auch dürfen
                              									färbende Bestandtheile enthalten sein, da in allen diesen Fällen trübe, bitter
                              									schmeckende und farbstichige Producte resultiren.
                           In dem festen Stärkezucker hingegen sind zumeist alle jene Unreinigkeiten vorhanden,
                              									weil er trotz seiner Unreinheit fester Stärkezucker bleibt. Insolange man von einem
                              									technisch reinen Stärkezucker oder von einem festen Stärkezucker schlechtweg nicht
                              									verlangen wird, dass er einen bestimmten Procentgehalt an Dextrose enthalten muss, so lange wird die Fabrikation dieses Zuckers
                              									nicht radical verbessert werden.
                           Was den Gehalt an Fuselöl anlangt, welchen mit Kartoffelzucker behandelte Weine
                              									enthalten sollen, so muss darauf hingewiesen werden, dass, wie auch v. Mering (Deutsche
                                 										Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 14 S. 325), der
                              									sich gegen die von Schmitz gefundenen Resultate und die
                              									daraus gezogenen Folgerungen über die Gesundheitsschädlichkeit der unvergährbaren
                              									Bestandtheile des käuflichen Stärkezuckers wendet, bemerkt, in gährenden
                              									Getreidemaischen in der Regel grössere Mengen von Fuselöl entstehen als in
                              									Kartoffelmaischen. Es hat ja auch dieser Umstand dazu beigetragen, dass die
                              									Verarbeitung von Getreide auf Spiritus, welche man in Deutschland fast überall
                              									betrieb, beinahe völlig durch die von Kartoffeln verdrängt worden ist.
                           Bei jeder geistigen Gährung bilden sich doch neben den anderen bekannten
                              									Gährungsproducten immer kleine Mengen von Fuselöl, welches insbesondere Amylalkohol
                              									enthält.
                           Bei der Gährung des Traubensaftes sowohl wie auch bei jener der Bierwürze tritt also
                              									auch Fuselöl auf, und es wird doch nicht behauptet werden können, dass Wein und Bier
                              									deshalb gesundheitsschädlich seien.
                           v. Mering bezweifelt ganz entschieden, dass die sogen.
                              									fremden und unvergährbaren Bestandtheile des Kartoffelzuckers gesundheitsschädlich
                              									seien.
                           Nessler, der früher die Anwendung des käuflichen
                              									Stärkezuckers nicht für schädlich hielt, änderte später seine Ansicht, indem er auf
                              									Grund seiner in Gemeinschaft mit Dr. Barth angestellten
                              									Versuche die gesundheitsschädlichen Eigenschaften von mit Kartoffelzucker
                              									behandelten Weinen constatirt zu haben glaubte.
                           Auch gegen diese Versuche Nessler's wendete sich v. Mering und behauptete seinerseits ebenso entschieden
                              									das Gegentheil; die Polemik der genannten Forscher hat aber trotzdem keine
                              									endgültige Entscheidung der Frage herbeigeführt.
                           Was nun die chemische Natur der fremden, unvergährbaren Bestandtheile des käuflichen
                              									Kartoffelzuckers anlangt, so hat C. Schmitt (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 1884
                              									Bd. 17 S. 1000 bis 1015) aus denselben einen Körper isolirt, welchen er Gallisin nannte und von dem er behauptet, dass nach den
                              									an der chemisch-physiologischen Abtheilung in Berlin vorgenommenen Versuchen von
                              									einer directen oder indirecten gesundheitsschädlichen Wirkung dieses Körpers nicht
                              									die Rede sein könne.
                           Nach Scheibler und Mittelmeier ist das Kohlehydrat in
                              									dem unvergährbaren Theil des Stärkezuckers kein einheitlicher Körper; es enthält
                              									eine Zuckerart, welche sie für identisch halten mit der von E. Fischer (Berichte der deutschen chemischen
                                 										Gesellschaft, Bd. 23 S. 3687) aus Glucose dargestellten Isomaltose (auch
                              									Bd. 24 S. 301 derselben Berichte).
                           Damit sind aber die Studien über die chemische Natur der fremden Stoffe noch
                              									keineswegs abgeschlossen.
                           In Rücksicht auf die Vergährbarkeit der genannten Stoffe behauptete Soxhlet schon im J. 1884, dass die durch Einwirkung von
                              									Säuren auf Stärkemehl entstehenden Säuredextrine sich von den durch Diastase
                              									erzeugten Malzdextrinen dadurch wesentlich unterscheiden, dass sie vergährbar sind,
                              									allerdings so langsam, dass sie für die Praxis als unvergährbar gelten können.
                           Die Frage über die Vergährbarkeit dieser Dextrine glauben L.
                                 										Medicus und C. Immerheiser (Zeitschrift für analytische Chemie, 1891 Bd. 30 S. 665)
                              									entschieden zu haben. Die genannten Forscher haben Versuche über die Vergährbarkeit
                              									der Dextrine des käuflichen Kartoffelzuckers angestellt und gefunden, dass dieselben
                              									bei Zusatz von stärkefreier Presshefe vollkommen
                              									vergährbar sind.
                           Um festzustellen, ob wirklich die Rechtsdrehung der mit
                              									Kartoffelzucker versetzten Weine durch weitere Gährung unter Hefezusatz zum
                              									Verschwinden gebracht werden könne, wurden mit den Weinproben Gährversuche mit
                              									Zusatz von stärkefreier Presshefe vorgenommen und von Zeit zu Zeit die Polarisation der
                              									weiter vergohrenen Weine beobachtet.
                           Es wurden vier Proben vorgenommen. Bei Probe I war die Rechtsdrehung nach 35 Tagen
                              									verschwunden, bei Probe II, III und IV nach 38 Tagen, nachdem man nach 35 Tagen, wo
                              									noch schwache Drehung vorhanden war, etwas Hefe neuerdings zusetzte. Damit wurde
                              									erwiesen, dass die Rechtsdrehung auf Zusatz von Presshefe, nach Einleiten einer
                              									energischen Gährung, verschwindet.
                           Nach Medicus und Immerheiser liegen hier unzweifelhaft Dextrine vor, die nachträglich in Dextrose verwandelt wurden.
                           Es bleibt nunmehr die Frage nach der bisher räthselhaften Vergährbarkeit der
                              									Kartoffelzuckerdextrine zu beantworten.
                           v. Raumer hatte schon 1890 (Zeitschrift für angewandte Chemie, 1890 S. 421) nachgewiesen, dass sich
                              									die verschiedenen Hefearten, Wein-, Bier- und Presshefe, gegen Dextrine bezüglich
                              									ihrer Gährwirkungen verschieden verhalten und dass die Dextrine des Kartoffelzuckers
                              									durchaus nicht ganz widerstandsfähig gegen Presshefe sind, indem eine theilweise
                              									Vergährung herbeigeführt werden könne.
                           Von Medicus und Immerheiser
                              									wurden zur weiteren Lösung dieser Frage directe
                              									Gährversuche angestellt, um zu ermitteln, ob es unter geeigneten Bedingungen nicht
                              									gelingen könne, den käuflichen rohen Kartoffelzucker und die daraus durch Alkohol
                              									gefällten Dextrine zur völligen Vergährung zu
                              									bringen.
                           Versuch I. Es wurden zwei Proben des ordinärsten rohen
                              									Kartoffelzuckers verwendet, wie sie im Handel zu haben waren. Von jeder Sorte wurden
                              									40 g in Wasser gelöst und auf 250 cc gebracht. Den Lösungen wurden hierauf je 2,5 g
                              									primäres Kaliumphosphat und ebenso viel primäres Ammoniumphosphat zugesetzt. Die
                              									jeweiligen Volumina der Gährlösungen wurden vor und nach den Polarisationen
                              									berücksichtigt. Am 26. Juni wurden jeder Zuckerlösung 2 g stärkefreier Presshefe
                              									zugesetzt.
                           Am 9. August betrug die Rechtsdrehung bei Probe I + 1,1°, bei Probe II 0,94°. Die
                              									Arbeit wurde hier unterbrochen, weil die Lösungen zu weiteren Versuchen nicht mehr
                              									ausreichten.
                           Versuch II. Es wurden dieselben Zuckerproben genommen
                              									wie bei Versuch I. 40 g Zucker wurden mit Wasser auf 250 cc gebracht. Jeder Lösung
                              									wurden am 17. Juli 10 g Presshefe beigemischt ohne jede weitere Nährstofflösung.
                           Die Gährversuche wurden bis 23. Juli bei Zimmertemperatur, von da ab bei 30° C.
                              									vorgenommen.
                           
                              
                                 Polarisation
                                 am
                                 23.
                                 Juli
                                 bei
                                 Probe
                                 I +
                                 3,35°,
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 „
                                 „
                                 II +
                                 3,30°,
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 28.
                                 „
                                 „
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                                 I +
                                 1,9°,
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 „
                                 „
                                 II +
                                 1,9°,
                                 
                              
                           Am 31. Juli wurden die Lösungen filtrirt und mit je 8 g frischer Hefe versetzt.
                           
                              
                                 Polarisation
                                 am
                                 9.
                                 August
                                 bei
                                 I
                                 0,55°,
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 9.
                                 „
                                 „
                                 II
                                 0,25°.
                                 
                              
                           Am 9. August wurde filtrirt und nochmals mit frischer Hefe versetzt.
                           
                              
                                 Polarisation
                                 am
                                 18.
                                 August
                                 bei
                                 I
                                 ± 0°,
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 18.
                                 „
                                 „
                                 II
                                 ± 0°.
                                 
                              
                           Versuch III. Bei diesem Gährversuch wurden die durch
                              									Alkohol aus Kartoffelzuckerlösung abscheidbaren Dextrine verwendet. Dieselben
                              									wurden aus denselben Zuckersorten dargestellt wie bei den ersten beiden
                              									Versuchen.
                           200 g Stärkezucker wurden in 200 g Wasser gelöst, diese Lösung mit Alkohol so lange
                              									versetzt, bis aller Zucker gelöst und alles Ausfällbare ausgeschieden war. Die
                              									Fällung wurde mit 90 Proc. Alkohol vorgenommen. Der Niederschlag wurde mit viel
                              									Alkohol nachgewaschen und der Rückstand in 30 cc Wasser aufgenommen, mit 0,22 g
                              									primärem Kaliumphosphat und 0,35 g primärem Ammoniumphosphat als Nährstofflösung
                              									versetzt.
                           Es wurden wieder zwei Proben genommen.
                           Polarisation der Probe I vor der Gährung
                           
                              
                                 am 30. Juni
                                 = + 2,5°,
                                 
                              
                                 jene der Probe II
                                 = + 1,65°.
                                 
                              
                           Polarisationen am 5. Juli:
                           
                              
                                 Probe
                                 I
                                 = + 1,9°,
                                 
                              
                                 „
                                 II
                                 = + 1,5°.
                                 
                              
                           Beide Proben wurden am 5. Juli mit frischer Hefe versetzt.
                           Am 28. Juli ergaben sich folgende Polarisationen:
                           
                              
                                 Probe
                                 I
                                 = + 1,8°,
                                 
                              
                                 „
                                 II
                                 = + 0,2°.
                                 
                              
                           Beide Proben wurden am 31. Juli filtrirt, nochmals mit 8 g Hefe versetzt und bei 30°
                              									C. stehen gelassen.
                           
                              
                                 Am 9. August ergab
                                 Probe
                                 I
                                 = + 0,2°,
                                 
                              
                                 und
                                 „
                                 II
                                 = ± 0°.
                                 
                              
                           Auf Grund dieser Versuche mussten Medicus und Immerheiser die Annahme der Unvergährbarkeit der
                              									Dextrine des rohen oder gewöhnlichen Kartoffelzuckers als unhaltbar betrachten.
                           In den Mittheilungen aus dem chemischen Laboratorium des
                                 										Prof. Dr. R. Fresenius zu Wiesbaden veröffentlichte W. Fresenius eine Arbeit: Zur Kenntniss der
                                 										kartoffelzuckerhaltigen Weine (Zeitschrift für
                                 										analytische Chemie, 1891 Bd. 30 S. 669), in welcher die Beobachtungen und
                              									Resultate von Medicus und Immerheiser bestätigt werden. Fresenius fasst
                              									seine Beobachtungen in zwei Punkten zusammen:
                           1) Die sogen. unvergährbaren Bestandtheile des käuflichen Kartoffelzuckers sind durch
                              									Presshefe völlig vergährbar, während sie gegen Bierhefe
                              									widerstandsfähig sind.
                           2) Diese „unvergährbaren“ Stoffe können durch die Einwirkung des Kahmpilzes
                              									völlig zerstört werden und somit aus dem Weine verschwinden.
                           Aus den angeführten Beobachtungen und den daraus gezogenen Schlüssen sehen wir nur,
                              									dass die Frage nach der chemischen Natur der sogen. fremden und unvergährbaren
                              									Bestandtheile der Lösung näher geführt wurde. Eine Entscheidung, welche unanfechtbar
                              									genannt werden könnte, ist aber doch noch nicht herbeigeführt, weil es ja nicht
                              									erwiesen ist, ob diese „fremden“ Bestandtheile
                              									des käuflichen Kartoffelzuckers wirklich aus Dextrinen allein bestehen.
                           Es hat denn auch ein ebenfalls namhafter Forscher auf diesen Gebieten, C. J. Lintner (Zeitschrift für
                                 										angewandte Chemie, 1892 S. 328), die von Medicus und Immerheiser constatirte
                              									Vergährbarkeit der „Dextrine“ des Kartoffelzuckers bestritten. Nach Lintner sind diese Versuche nicht beweiskräftig, da die
                              									beiden Forscher nicht mit reinem Dextrin und ebenfalls nicht mit reiner,
                              									bakterienfreier, rein gezüchteter Hefe arbeiteten. Es
                              									wurde vielmehr ordinärster, roher Stärkezucker und aus diesem dargestelltes Dextrin,
                              									sowie Presshefe verwendet. Nach Lintner ist es ferner
                              										noch gar nicht
                              									erwiesen, ob der Nichtzucker des käuflichen Stärkezuckers aus Dextrinen, nämlich Spaltungsproducten des
                              									Stärkemoleküles besteht. Die Presshefe enthält meist eine sehr grosse Anzahl
                              									verschiedener Hefearten und Spaltpilze. Weiter ist das Verschwinden des
                              									dextrinartigen Rückstandes jedenfalls auf das Zusammenwirken von Spaltpilzen und
                              									Hefepilzen zurückzuführen, welchem durch die lange Versuchsdauer von 5 bis 8 Wochen
                              									genügend Spielraum gewährt wurde. Es kann nämlich durch solche symbiotische
                              									Gährungen auch die Stärke vergohren werden.
                           Nach der Ansicht Lintner's sind die Dextrine durch
                              									Saccharomyces cerevisiae nicht vergährbar und seine
                              									Versuche beschränken sich vorläufig auf die aus Stärke durch Diastase entstandenen
                              									Malzdextrine. Nach Lintner dürften sich die aus Stärke
                              									durch Säuren erhaltenen Säuredextrine in gleicher Weise verhalten.
                           Die sich so vielfach widersprechenden Angaben über die Vergährbarkeit der Dextrine
                              									lassen sich nach Lintner damit erklären, dass die Einen
                              									mit isomaltosefreiem, die Anderen mit isomaltosehaltigem Dextrin arbeiteten. Wir
                              									sehen somit, dass sowohl die Frage bezüglich der chemischen Natur wie auch jene
                              									bezüglich der Gesundheitsschädlichkeit der sogen. fremden und unvergährbaren (?)
                              									Bestandtheile des käuflichen Stärkezuckers noch bis heute den Gegenstand
                              									fachmännischer Erörterungen bildet, ohne dass diese Fragen endgültig von Seiten der
                              									Wissenschaft nach der einen oder anderen Seite zur Entscheidung gebracht worden
                              									wären.
                           Dass in ganz vereinzelten Fällen im käuflichen Stärkezucker Arsen gefunden wurde,
                              									kann den Stärkezucker im Allgemeinen nicht treffen, denn in diesen Fällen wurde
                              									unreine Schwefelsäure zur Verzuckerung benutzt, was sehr leicht vermieden werden
                              									kann. Solcher Stärkezucker müsste selbstredend von jedem Verkaufe ausgeschlossen
                              									werden.
                           Bei der Unsicherheit, welche in Bezug auf die Zusammensetzung der dextrinartigen
                              									Bestandtheile des käuflichen Stärkezuckers sowohl, wie auch in Bezug auf deren
                              									chemische und physiologische Natur obwaltet, musste mit vollem Rechte die Verwendung
                              									von Stärkezucker des Handels zur Bereitung von Nahrungs- und Genussmitteln verboten
                              									werden.
                           Dieses fast in allen Ländern erlassene Verbot hat nach längerer Zeit denn auch seine
                              									guten Früchte getragen, indem bereits grössere Quantitäten von fast reinem oder sogen. technisch reinem Stärkezucker
                              									erzeugt werden.
                           Als technisch reinen Stärkezucker bezeichnet das „Gesetz, betreffend den Verkehr
                                 										mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken vom 20. April 1892“ einen
                              									Stärkezucker von nahe an 100 Proc. Zucker. Ein derartiges Erzeugniss ist zwar noch
                              									nicht als chemisch rein, wohl aber als technisch rein
                              									anzusehen.
                           Gegen die Verwendung desselben kann, wie es in dem Gesetze heisst, vom
                              									gesundheitspolizeilichen Standpunkte aus ein Bedenken nicht erhoben werden.
                           Demgemäss heisst es im § 3 des oben genannten Gesetzes: „Als Verfälschung oder
                                 										Nachmachung des Weines im Sinne des § 10 des Gesetzes, betreffend den Verkehr
                                 										mit Nahrungsmitteln, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 14. Mai
                                 										1879“ (auch Reichsgesetzblatt S. 145) ist nicht
                              									anzusehen: .... Punkt 4): der Zusatz von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder
                              									Invertzucker, technisch
                              									reinem Stärkezucker, auch in wässeriger Lösung
                              									u.s.w.
                           Damit ist der Stärkezuckerindustrie der Weg gezeigt, den sie gehen muss, um zu
                              									prosperiren. Die Herstellung von reinem Traubenzucker muss das Ziel aller
                              									Stärkezuckerfabriken sein, da auch diese Waare nach dem Zuckergehalt im Handel
                              									taxirt werden wird und da zur Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln,
                              									insbesondere aber zur Weinverbesserung und für die Zwecke der Bierbrauerei nur
                              									Stärkezucker von höchstem Zuckergehalt zugelassen wird, so muss und darf nur solcher
                              									erzeugt werden.
                           Die sogen. Oenoglycose, ein Stärkezucker von 80 bis 82 Proc. Dextrosegehalt, wird
                              									schon seit längerer Zeit in Frankreich zur Weinbereitung verwendet, welcher aber
                              									auch noch die Mängel des gewöhnlichen Kartoffelzuckers, wenn auch in geringerem
                              									Maasse, besitzt.
                           Einer allgemeineren Anwendung wird aber nur der reine
                              									Stärkezucker fähig sein, da derselbe auch auf manchen Gebieten dem Rübenzucker mit
                              									Erfolg Concurrenz machen kann. Allerdings, und dies ist das wichtigste Moment der
                              									Concurrenzfähigkeit des Stärkezuckers, kann dies nur dann mit Erfolg geschehen, wenn
                              									derselbe zu viel billigeren Preisen erhältlich sein
                              									wird als der Rübenzucker.
                           Zum Versüssen der Speisen, sowie zur Erzeugung der eingemachten Früchte wird der
                              									reine Stärkezucker den Rohr- oder Rübenzucker nie ganz ersetzen können, nicht nur
                              									wegen seiner geringeren Süssigkeit, sondern hauptsächlich wegen der hohen
                              									Krystallisationsfähigkeit des reinen Stärkezuckers. Hingegen kann der reine
                              									Stärkezucker in der Bierbrauerei, in der Weintechnik, Liqueur- und Essigfabrikation
                              									dem Rohr- oder Rübenzucker mit sicherem Erfolge den Rang streitig machen, und auf
                              									diesem Gebiete ist ihm eine bedeutende Anwendung gesichert.
                           Das Gallisiren und Petiotisiren wird dadurch mit grossem Nutzen geübt werden
                              									können.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)