| Titel: | Bemerkungen über neue Kriegswaffen. | 
| Fundstelle: | Band 288, Jahrgang 1893, S. 50 | 
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                        Bemerkungen über neue
                           								Kriegswaffen.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 25 d.
                           								Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Bemerkungen über neue Kriegswaffen.
                        
                     
                        
                           Nach einer Veröffentlichung des Archiv für Artillerie- und
                                 										Ingenieurofficiere des deutschen Heeres von October/November 1892 ist die
                              									Frage aufgeklärt, wie sich der Flug eines geschossförmigen Körpers mit kleiner
                              									Umdrehungsgeschwindigkeit gestaltet. Der Körper zeigt ganz eigenthümliche
                              									Schwankungen seiner Achse, die sich nach einer gewissen Anzahl von Einzelumdrehungen
                              									zu wiederholen scheinen; hierbei gelangt dafür einzelne Augenblicke die
                              									Geschosspitze stark unter die Flugbahn. Es ergibt sich mit Sicherheit daraus, dass
                              									ein fliegender geschossförmiger Körper mit einer kleinen Umdrehungsgeschwindigkeit
                              									seine Lage nicht so fest hält, wie mit einer grossen. (Der eben berührte Versuch
                              									wird weiter unten etwas genauer beschrieben werden. Unter günstigen Umständen lassen
                              									sich ähnliche Erscheinungen mit geworfenen, schwach rotirenden Körpern zeigen.)
                           Wie sich ein geschossartiger Körper ohne Rotation in der
                              									Luft verhält und unberechenbare Schwankungen macht, ist 1891 281 207 dargelegt.
                           Wenn man annehmen darf, dass die zuerst erwähnten Erscheinungen geschossartiger
                              									Körper bei den Geschossen mit grossen
                              									Umdrehungsgeschwindigkeiten auch stattfinden, so erklärt sich die Einwirkung des
                              									Luftwiderstandes gegen das Fallen bei den Flugbahnen der österreichischen 12 cm- und
                              									Feldkanonen (mit 442 m v0) in einfacher Weise. Beim Verlassen der Mündung bildet die Projection
                              									des Geschosses auf die zur Bahntangente senkrechte Ebene einen Kreis – der
                              									Luftwiderstand braucht nur mit dem Durchmesser des Geschosses zu rechnen. Nach
                              									kurzer Zeit hört genannte Projection auf, ein Kreis zu sein, sie verlängert sich in
                              									senkrechter Richtung; der Luftwiderstand gegen die Vorwärtsbewegung wird ein
                              									grösserer, aber durch seine schräge Richtung gegen den unteren Geschosstheil
                              									vermindert er die Fallkraft und gleichzeitig wirkt er gegen die Drehung des
                              									Geschosses, die Winkelgeschwindigkeit verringernd. Durch letztere Einwirkung wird
                              									möglicher Weise die Fähigkeit des Geschosses, seine Lage bei einem wahrscheinlich
                              									sehr grossen Winkel zwischen Achse und Flugbahn beizubehalten, so schwach, dass die
                              									mit einer kleinen Winkelgeschwindigkeit verbundenen
                              									schwankenden Bewegungen der Geschossachse bis weit unter die Flugbahn eintreten.
                              									Hierbei wird wahrscheinlich ein Luftwiderstand erzeugt, der viel geringer ist als
                              									bei einem Geschoss mit starrerer Achslage (und grosser Umdrehungsgeschwindigkeit).
                              									Damit wäre eine Wiedervermehrung der Fallkraft erklärt. (Einfache Vergleiche von
                              									Geschwindigkeitsmessungen aus Schiessversuchen mit Geschützen verschiedenen Dralles
                              									würden darüber Gewissheit verschaffen.)
                           Wenn nun aber bei kleinen Winkelgeschwindigkeiten eine schwankende Geschossachse
                              									mit geringem Luftwiderstand vorhanden ist, bei grossen aber eine starrere mit
                              									bedeutend vermehrtem, so lässt sich daraus in einfacher Weise das wunderbare Wachsen
                              									des letzteren erklären, wenn die Geschwindigkeiten von 300 auf 400 m steigen (Fig. 9
                              									BC). Bei den Geschützen geht nämlich dicht vor der
                              									Mündung die Vergrösserung der Umdrehungsgeschwindigkeiten gleichzeitig mit der der
                              									Vorwärtsbewegung vor sich. Der Knick BC der Fig. 9 würde dann also nicht einem neu auftretenden
                              									Zusammenpressen von Lufttheilchen, sondern einem starreren Verhalten der
                              									Geschossachse in Folge einer grösseren Umdrehungsgeschwindigkeit zuzuschreiben sein.
                              									(Mit anderen Worten würde danach das auffallende Verhalten des Luftwiderstandes
                              									zunächst eine Function der Umdrehungsgeschwindigkeit und diese dann eine Function
                              									der Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegung sein.)
                           Aus den festgestellten Schwankungen bei Geschossen mit kleiner oder mit fehlender
                              									Drehgeschwindigkeit ergibt sich noch ein wichtiger Schluss auf Treffähigkeit. Bei
                              									den Versuchen zur Ermittelung des Fluges rotationsloser Geschosse (Archiv für die Artillerie- und Ingenieurofficiere, 1890
                              									S. 428) wurde festgestellt, dass mit der Richtungsänderung der Geschosspitze auch
                              									eine Veränderung der Geschossbahn eintritt. Mit wenig berechenbaren Schwankungen
                              									müssen auch wenig berechenbare Abweichungen in Verbindung stehen. Wenn nun die
                              									geringe Abnahme oder die Wiedervermehrung der Fallkraft eines Geschosses
                              									(österreichisches Feldgeschütz 6375 m) mit solchen Schwankungen verbunden ist, so
                              									kann aus diesen Thatsachen unmittelbar auf das Eintreten einer grossen
                              									Treffunsicherheit geschlossen werden. (Da für die Berechnung der Fallhöhen die
                              									Flugzeiten maassgebend sind, so darf vielleicht auch aus der Art der Zunahme der
                              									letzteren die Treffähigkeit beurtheilt werden.)
                           Vielleicht hängt die auffallende Annäherung der Treffähigkeit des österreichischen
                              									Gewehrs auf grossen Entfernungen an die des Gras-Gewehrs zusammen mit einem grossen
                              									Verbrauch an Umdrehungsgeschwindigkeit. Das fliegende österreichische Geschoss ist
                              									sicher 5 mm, d.h. um ⅕ länger als das Gras-Geschoss; schon hieraus (ganz abgesehen
                              									von den Trägheitsmomenten) würde sich der grosse Verlust an Winkelgeschwindigkeit
                              									mit seinen Folgen erklären lassen.
                           Die schwankenden Bewegungen bei Geschossen mit kleiner Drehgeschwindigkeit machen
                              									sich wahrscheinlich auch bei der Kaliberverminderung der Gewehre bemerklich; denn
                              									die Abnahme der Kraft der Geschosse, sich zu drehen, hängt sicherlich mit der Grösse
                              									ihres Durchmessers zusammen. Die auffallende Abnahme der Trefffähigkeit auf 1800 m
                              									beim 8 mm-Gewehr (verglichen mit der vom 11 mm-Gewehr), auf welche eingangs aufmerksam
                              									gemacht wurde, wäre demnach lediglich der Verkleinerung des Kalibers, nicht etwa
                              									einer fehlerhaften Construction zuzuschreiben. Der Gedankengang: sehr kleines
                              									Kaliber – grosser Verlust an Drehgeschwindigkeit – unberechenbar schwankende
                              									Bewegungen – keine Treffähigkeit auf grösseren Entfernungen bewog zu der Vermuthung,
                              									dass die Verkleinerung des Kalibers unter 6,5 mm nicht unbegrenzt fortgesetzt werden
                              									könne.
                           Die Wirkung der neuesten langen Geschütze mit 1000 m Anfangsgeschwindigkeit wird
                              									wahrscheinlich recht erheblich mit der Verminderung der Drehgeschwindigkeit der
                              									Geschosse durch den Luftwiderstand zu rechnen haben. Man mag noch so sehr Gegner des
                              
                              									weiten (Bombardements-) Schiessens gewesen sein, die Möglichkeit wird man in
                              									Betracht nehmen müssen, dass ein Schiessen selbst mit geringer Treffähigkeit auf
                              									Entfernungen über 20 km eine grosse, nicht unwichtige Neuerung in der Kriegführung
                              									bedeutet. Nach der obigen Entwickelung kann der Fall gedacht werden, dass ein
                              									Artilleriegeschoss unter grosser Erhöhung (z.B. 35°) mit einer Geschwindigkeit von
                              									1000 m verschossen worden ist und im absteigenden Ast auf 25 km 1 km hoch eine so
                              									geringe Umdrehungsgeschwindigkeit besitzt, dass jede Regelmässigkeit der
                              
                              									Achsenbewegung aufgehört hat. Damit ist nicht nur jede Treffähigkeit, sondern auch
                              									die sichere Erreichung einer grösseren Schussweite abgeschnitten; soll diese
                              									eintreten, so muss das Verhalten des Geschosses ein anderes werden. Also ist
                              									vielleicht hier nicht so sehr die Erhöhung der Geschwindigkeit als ein Studium und
                              									eine Verbesserung der Geschossbewegung Vorbedingung.
                           Die schwankenden Bewegungen eines fliegenden rotirenden geschossartigen Körpers sind,
                              									wie schon erwähnt, durch einen Versuch des Prof. Neesen
                              									gezeigt worden (Archiv für die Artillerie- und
                                 										Ingenieurofficiere des deutschen Heeres, October/November 1892). In einem
                              									solchen Körper waren diametral gegenüber stehend kleine Oeffnungen angebracht, in
                              									seiner Mitte, senkrecht zur Verbindungslinie derselben, lichtempfindliche Platten,
                              									welche mit der Rückseite gegen einander lagen. Wurde der Körper während des
                              									Sonnenscheins verschossen, so musste einfallendes Sonnenlicht Streifen auf den
                              									Platten erzeugen und zwar bei jeder Umdrehung auf jeder Platte einen; nach dem
                              									Niederfallen und Aufnehmen des Geschosses wurden dann die Linien, welche
                              									zusammenzupassen schienen, zusammengelegt und als Ergebniss einer Umdrehung
                              									betrachtet. Da jede Platte eine grosse Menge von Linien enthielt, denn es geschahen
                              									vermuthlich bis zu 100 Umdrehungen in der Sonne, so scheinen die Zusammenstellungen
                              									Schwierigkeiten gemacht zu haben. Nichtsdestoweniger wurde es möglich,
                              									festzustellen:
                           1) dass die Längenachse des geschossförmigen Körpers durchaus nicht in der Flugbahn
                              									lag, sondern lebhaft Ausschläge machte und sich die Spitze bisweilen tief unter die
                              									Flugbahn senkte;
                           2) dass sich annähernd dieselben Bewegungen innerhalb einer gewissen Reihe von
                              									Umdrehungen (10 bis 12) wiederholen.
                           Letztere Erscheinung zeigt eine auffallende Aehnlichkeit mit einer Thatsache, die mit
                              									einfachen Mitteln anderweitig dargestellt werden kann. Lässt man einen rotirenden
                              									geschossähnlichen Körper von Holz frei fallen, so drehtsich bei einer Umdrehung jeder Punkt um eine gewisse Linie;
                              									diese dreht sich wieder um eine andere, sowie der Luftwiderstand eine bestimmte
                              									Stärke erreicht hat (z.B. von 10 m Falltiefe ab). In beiden Fällen setzen also
                              									Reihen von Einzeldrehungen wieder eine andere Drehung zusammen.
                           Der Versuch des Prof. Neesen gibt noch einen anderen
                              									wichtigen Fingerzeig. Die grossen Ausschläge der Achsen seiner fliegenden
                              									geschossartigen Körper beweisen, dass sich die Lagen eines wirklichen fliegenden
                              									Geschosses durch Durchschläge durch Papier ermitteln lassen, wie das bei 18
                              									mm-Versuchsgeschossen bei Geschwindigkeiten bis 400 m gezeigt worden ist (1891 281 207; oben genanntes Archiv von 1890 S. 427 u. ff.). Daraus würde sich der besondere Vortheil
                              									ergeben, dass man mit wirklichen Geschossen, auch bei grösseren Geschwindigkeiten
                              									Achslagen bestimmen kann (die Geschwindigkeiten des photographirenden Körpers waren
                              									dem Anscheine nach nur klein). Dann aber würde es möglich sein, einzelne Punkte der
                              									Geschosse aus den Durchschlägen so festzulegen, dass man die Lage derselben in Bezug
                              									auf ein Coordinatensystem im Raume so bestimmen könnte, wie es für mathematische
                              									Betrachtungen erforderlich ist. Es würden dann also nicht nur die Drehbewegungen,
                              									sondern auch die durch den Luftwiderstand und die Achsenschwankungen hervorgerufenen
                              									Verschiebungen sichtbar gemacht. Wahrscheinlich würde es dann auch durch
                              									Gewichtsvertheilung in den Geschossen möglich, den Einfluss einer unsymmetrischen
                              									Belastung und endlich die Bewegungen eines Geschosses während einer einzigen
                              									Umdrehung darzustellen und damit den nothwendigsten Ausgangspunkt aller
                              									Flugbahnbetrachtungen zu gewinnen.
                           Der Versuch des Prof. Neesen hat in theoretischer
                              									Beziehung noch einen recht bemerkenswerthen Einfluss. Bei der Erörterung der Wirkung
                              									der Luft gegen das Geschoss wurde bisher der Gedanke festgehalten, dass die
                              									Längsachse stets in der Flugbahn läge, darauf hin wurde dann mathematisch bestimmt,
                              									welche Geschosspitzenform die beste sein müsse. Mit der Thatsache, dass die
                              									Geschossachse die vermuthete feste Lage nicht hat, werden diese Rechnungen werthlos
                              									und die Frage der besten Spitzenform, welche vielfach als gelöst betrachtet wurde,
                              									wird wieder eine unbeantwortete.
                           Um durch die weiter oben gegebene Berechnung des Fallens bei Geschossen keinen
                              									Irrthum zu erregen, sei hervorgehoben, dass die Angaben der Schusstafeln, welche
                              									benutzt wurden, Flugzeiten und Abgangswinkel, recht dunkle Grössen sind. Die
                              									Flugzeiten sind meist nicht unmittelbar ermittelt, sondern errechnet, sie sind also
                              									mit einem zwar nothwendigen, aber nicht natürlichen
                              										„Ausgleichungscoefficienten“ des Rechners behaftet. Der Abgangswinkel
                              									wird durch das Geschoss im Anfange des Fluges mit der Wagerechten gebildet. Er
                              									unterscheidet sich von dem Winkel, den die Waffe vor dem Schusse hatte (der
                              										„Erhöhung“) durch den Abgangsfehlerwinkel (= Vibrationswinkel, =
                              									Erhebungswinkel, = angle de relèvement). Der letztere entsteht während der Bewegung
                              									des Geschosses im Rohre und zwar bei Geschützen der Landarmee durch ein Nachgeben
                              									der Schildzapfenlager (wobei der hintere Auflagepunkt der Rohre dieselbe Höhe
                              									behalten kann) und dann durch Drehen des ganzen Geschützes um den Laffetenschwanz
                              										(Archiv für die Artillerie- und Ingenieurofficiere,
                              									1890 S. 433 und 1892 S. 513). Bei geringen Erhöhungen pflegt dieser Winkel ermittelt zu
                              									werden; er wird dann als maassgebend für die ganze Schusstafel, also für alle
                              									Erhöhungen, häufig auch für alle Ladungen angeführt. Dies ist unbedingt anfechtbar;
                              									wahrscheinlich ändern sich diese Abgangsfehlerwinkel recht bedeutend und ihre genaue
                              									Feststellung wird auch die Zahlen für das Fallen der Geschosse beträchtlich
                              									beeinflussen.
                           (Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hervorgehoben, dass die Schusstafeln der
                              									österreichischen Waffen hier mit Vorliebe benutzt wurden, weil sie von den
                              									zugänglichen vielleicht am gewissenhaftesten und zuverlässigsten ausgeführt sind,
                              									und wenn Bemerkungen zu machen waren, so sind dieselben durch die Neuheit des
                              									Zusammenbringens von Flugzeit und Abgangswinkel hervorgerufen und dürfen nicht als
                              									Tadel betrachtet werden; mit manchen Schusstafeln ist überhaupt solche Rechnung gar
                              									nicht aufzustellen, weil sie zu fehlerhaft angefertigt sind, – was aus der zweiten
                              									Differenzenreihe der Flugzeiten zu entnehmen ist.)
                           
                        
                           Verbesserung der Rotationsbewegungen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 288, S. 51
                              Fig. 10.Offenes und geschlossenes Lager zum Ankreiseln unsymmetrischer
                                 										Kreisel und zur Untersuchung unsymmetrischer Körper.
                              
                           Die Rotation ist ein Thema, welches in der letzten Zeit mehr und mehr in den
                              									Vordergrund getreten ist. Die Verbesserung dieser Bewegungen wird nicht nur bei
                              									Geschossen, sondern auch bei allen anderen rotirenden Körpern, wie z.B. bei
                              									Eisenbahnrädern, Schwungrädern, Schiffsschrauben, Armaturen für elektrodynamische
                              									Maschinen erstrebt und zwar sowohl in der technischen Literatur, wie durch besondere
                              									Einrichtungen. So sind ein D. R. P. Nr. 68959, ein franz. Pat. Nr. 223923 ertheilt,
                              									welche das Auswuchten rotirender Körper aller Art zum Zwecke haben (unter
                              										„Auswuchten“, „Ausbalanciren“ wird das Beseitigen einer
                              									unsymmetrisch zur Achse liegenden Massenvertheilung verstanden). In den Apparat ist
                              									die Achse des in Drehung versetzten Körpers so gelegt, dass sie mit einem Ende sich
                              									frei bewegen kann; ein besonderer Stift bezeichnet auf dem Umfange des Körpers die
                              									Stelle, welche bei der Rotation die grössten Kreise beschreibt, und durch Wegnahme
                              									von Material an diesem Punkte oder Hinzufügen von Material an einem diametral
                              									gegenüberliegenden soll dann die Symmetrie hergestellt werden. Der Apparat
                              									ermöglicht es, mit wagerechter, beliebig geneigter und senkrechter Achse zu
                              
                              									arbeiten. In letzterer Stellung soll nicht eine grosse, sondern eine kleine Umdrehungsgeschwindigkeit, also gewissermaassen
                              									das Widerstreben der Achse eines rotirenden Körpers gegen Umfallen ausgenutzt
                              									werden, um die kleinste unsymmetrische Belastung aufzufinden. Die Einrichtungen der
                              									Lager des Apparates ergeben sich offenes und geschlossenes aus Fig. 10; diese stellt eine Vereinfachung dar, welche
                              									benutzt werden kann, um sehr stark unsymmetrische Kreisel für wissenschaftliche
                              									Zwecke in Rotation zu versetzen (1892 285 121). (Man muss
                              									sich die Schraubenzwinge Fig. 10 auf den Kopf
                              									gestellt oder auf den Rücken gelegt denken, um die Stellungen der Lager beim vorhin
                              									beschriebenen Apparat zu haben. Eine umgewickelte Schnur hält den Kreisel
                              									ineiner bestimmten Lage fest während des Abziehens; wenn das geschehen, sinkt
                              									der Körper und zeigt die durch seine Unsymmetrie hervorgerufenen Ausschläge).
                           Die obige Einrichtung bietet einen Ersatz für ein amerikanisches Patent Nr. 216228
                              									von 1879, welches nicht auf freier Kreiselbewegung,
                              									sondern auf Ermittelung der Ausschläge basirt, welche ein in einem Rahmen rotirender
                              									Körper mit der Einschliessung zugleich ausführt (Princip der
                              									Bohnenberger-Ringe).
                           Nach dem Engineer, 16. December S. 529, letzter Absatz,
                              									wird in England eine Achse mit Eisenbahnrädern in zwei offenen Lagern
                              									ausgewuchtet.
                           Die Wichtigkeit des Gegenstandes entschuldigt vielleicht, einige Bemerkungen darüber
                              									anzugeben, weshalb in der neueren Zeit ziemlich plötzlich die Nothwendigkeit
                              									hervorgetreten ist, die Körper in Bezug auf Symmetrie zur Achse, um welche sie sich
                              									drehen, zu untersuchen. Die Zunahme der Drehgeschwindigkeiten dürfte eine
                              									Hauptursache sein. Die Peripheriegeschwindigkeiten von Eisenbahnrädern und von
                              									Maschinentheilen steigen bis auf 27, vielleicht auf 45 m; bei den Geschossen kommen
                              									jetzt ganz ungeheuere Zahlen vor. Wenn die französische Regierung ihr 90 Kaliber
                              									langes 16 cm-Geschütz mit 25 Kaliber Enddrall versehen lässt, so ergeben sich
                              									peripherische Geschwindigkeiten beim Geschosse von weit über 100 m. Dass bei solchen
                              									Geschwindigkeiten kleine Uebergewichte ganz bedeutende Wirkungen erzeugen müssen,
                              									ergibt sich aus einer Berechnung. Aus obiger Betrachtung bei fliegenden Geschossen
                              									mit gering gewordener Winkelgeschwindigkeit lässt sich aber auch vermuthen, dass ein
                              									kleines einseitiges Uebergewicht bedeutenden Einfluss auf die Achsenschwankungen
                              									ausüben muss. Eine Verbesserung des Funktionirens der Zeitzünder in Geschossen mit
                              									grossen Flugzeiten würde sicher durch eine Verbesserung der bisher zu wenig
                              									beachteten unsymmetrischen Geschossverhältnisse zu erzielen sein und damit eine
                              									erhebliche Steigerung der Geschützwirkung herbeigeführt werden. Bei den rotirenden
                              									Körpern der Technik wird die „kinetisch-unsymmetrische“ Beschaffenheit
                              									vielleicht eine ähnliche Wichtigkeit haben, wie sie vor 70 Jahren Bessel der zur Bestimmung der Zahl „g“ benutzten Pendelkugel zuschrieb. Vielleicht
                              									lediglich dieser Einsicht des berühmten Astronomen verdanken wir ein genaues
                              									Ergebniss. Leider scheint nicht immer der natürlichen Unsymmetrie dieselbe
                              									Wichtigkeit beigelegt worden zu sein.
                           Von den daraus entstandenen Missverständnissen mag Folgendes hervorgehoben
                              									werden:
                           Die Euler-Lagrange'schen Bewegungsgleichungen lassen
                              									sich auf Kreisel anwenden, die zur Achse symmetrisch sind; sie machen es möglich,
                              									ganz eigenthümliche Bewegungen dieser Achse zu errechnen (danach beschreibt z.B. die
                              									freie Spitze guirlandenartige Linien auf einer gedachten Kugelfläche). Bei Berührung
                              									dieses Gegenstandes beziehen sich nun Physik werke und zwar auch neue, sowie die Mathematischen Annalen, Bd. 19 S. 150, auf Versuche,
                              									welche in Programmen des Gymnasiums zu Seehausen i. A. von 1874 angeführt sind, und
                              									es wird behauptet, dass diese praktischen Versuche die Richtigkeit der Berechnungen
                              									für symmetrische Kreisel dargelegt hätten. Das ist bei genauerem Zusehen gar nicht
                              									der Fall. Der Versuchskörper war ein Kreisel, in dem die Achse drehbar war
                              									(wissenschaftlich auch „Gyrostat“ genannt; die „choral singing
                                 										tops“ genannten Spielzeuge gehören zur selben Klasse). Da der äussere
                              									Kreiselkörper 150 Umdrehungen erzielte, so muss er einen Spielraum mit der Achse
                              									gehabt haben; aus letzterem und einer grossen Gewichtsmasse im äussersten Rand
                              									ergibt sich, dass der Körper schon constructiv
                              									unsymmetrisch war. Ihn als symmetrisch ohne weiteres anzunehmen, war schon nicht
                              									einwandfrei. Nun erzeugte dieser frei rotirende Kreisel tiefe, nicht genau
                              									bestimmbare Töne, und es wird behauptet, diese bewiesen das Vorhandensein der
                              									berechneten feinen Achsenbewegungen. Diese Behauptung kann aber gar nicht aufrecht
                              									erhalten werden, weil eine Kreiselscheibe mit Leichtigkeit durch eine kleine
                              									Unsymmetrie auf Töne von der Höhe des Stimmgabel-A gebracht werden kann. Es ist
                              									schade, dass der Kreisel vor dem Versuche nicht gewogen worden ist, sonst würde
                              									vielleicht der Spielraum und die Unsymmetrie gefunden und andere störende Rechen-
                              									und Druckfehler vermieden worden sein; vielleicht wäre dann der Versuch ganz
                              									ausgefallen und die Betrachtung über die Bewegungen des symmetrischen Kreisels auf
                              									die Mathematik beschränkt geblieben, für die sie wohl immer einen Werth behalten
                              									wird.
                           Die Wiederholung eines derartigen Irrthums ist wohl von jetzt ab ausgeschlossen. Die
                              									Untersuchung eines Kreisels auf Unsymmetrie bei schwacher Umdrehungsgeschwindigkeit
                              									in senkrechter Stellung ist eine so einfache geworden, dass derjenige, welcher
                              									wissenschaftliche Versuche mit rotirenden Körpern machen will, sich zuerst selbst
                              									davon überzeugen wird, welchen Grad der Unsymmetrie dieselben haben.
                           Für die Beurtheilung der heutigen Kenntnisse über die Rotation gibt der Engineer vom Mai bis 5. August und vom 30. September
                              									1892 einen erwähnenswerthen Aufschluss in Briefen an den Herausgeber über das
                              									Gyroskop. Von dem regen Interesse und Verständniss, welches die Engländer für alle
                              									physikalischen Fragen hegen, geben diese Briefe ein Bild, aber zugleich auch eine
                              									Andeutung von dem Dunkel, welches über den Gegenstand noch gebreitet ist.
                           Zieht man nun das Endergebniss aus diesen Ansichten über die Rotation und aus
                              									denjenigen, welche im letzten Jahre anderweitig veröffentlicht worden sind, so darf
                              									man vielleicht schliessen:
                           der Rotation symmetrischer Körper ist man bis jetzt nachgewiesenermaassen physikalisch noch nicht näher getreten;
                           der Rotation der Körper ist man analytisch noch nicht
                              									nahe getreten, wenn Reibung oder Unsymmetrie vorausgesetzt wurde.
                           Während hierin vielleicht Physik und analytische Mechanik neue Aufgaben finden, hat
                              									die Technik durch die Kreiselbewegung in irgend einer Form die Mittel in der Hand,
                              									die Unsymmetrie der vorkommenden rotirenden Körper zu untersuchen und
                              									abzustellen.
                           
                        
                           Panzerplatten.
                           Am 1. November 1892 hat die englische Regierung einen Panzerschiessversuch bei
                              									Portsmouth ausführen lassen, welcher durch die Widerstandsfähigkeit der Platte
                              									grosses Aufsehen erregte. An diesen Versuch und an einigen anderen in Frankreich,
                              									Russland und Nordamerika ausgeführten knüpft sich die Aussicht auf eine grosse
                              									Umwälzungin der Panzerung der Schiffe und vielleicht auch der
                              									Landbefestigungswerke.
                           Nachdem während des Krimkrieges die Franzosen Panzerplatten als Schutz für die Seiten
                              									ihrer Schiffe angewandt und nachdem die Unionsstaaten von Nordamerika den Werth
                              									einer Panzerung bei ihrem „Monitor“ kennen gelernt hatten, wurden allgemein
                              									die Wände der Schlachtschiffe gepanzert. Die Fabrik Gruson in Buckau bei Magdeburg stellte einige Jahre nach dem
                              									deutsch-französischen Kriege Panzerkuppelthürme für Landbefestigungen aus
                              									Hartgusseisen her. Diese Kuppeln ragten über ihre Umgebung wie ein liegendes 
                              									hervor, sie bestanden aus schweren segmentartigen Blöcken, welche neben einander
                              									lagen und einfach durch ihr Gewicht zusammenhielten (etwas phantastisch könnte man
                              									diese Kuppeln als „nach Art der Cyclopenbauten zusammengesetzte Dächer von
                                 										Jahrmarktscarrousels“ bezeichnen). Wenn auch ein feindlicher Schuss zufällig
                              									nicht durch die Form der Kuppel abprallen, sondern Risse verursachen sollte, so
                              									würden die Stücke doch liegen bleiben und weiter Widerstandskraft entwickeln, nahm
                              									man an. Durch die Härte des Materials (in Schalen gegossenes, gekühltes Eisen)
                              									sollte eine Wirkung des Geschosses aufgehoben werden. Ihres Gewichtes wegen wurden
                              
                              									diese Thürme nur bei Landbefestigungen angewandt. Wie bei der belgischen
                              									Maasbefestigung gezeigt wurde (1892 285 76), werden seit
                              									einigen Jahren auch Panzerthürme mit flach gewölbten Decken aus gewalztem Eisen oder
                              									Stahl gebaut. Bei Schiffen ging man zur Panzerung mit sogen. Compound-(Verbund-)
                              									Platten über, welche in zwei Arten (1876 und 1880) hergestellt wurden. Das Princip
                              									dieser Platten besteht darin, auf eine angewärmte Platte von Schmiedeeisen eine
                              									Gusstahlschicht zu giessen. Die Hitze des Gussstahls und sein Gehalt an Kohlenstoff
                              									bringen die nächstgelegene Schicht Schmiedeeisen zum Schmelzen und zur Verbindung
                              									mit dem Stahl. Der Stahl sollte dann die Aussenseite bilden, um durch seine Härte
                              									ein Eindringen des Geschosses in die Oberfläche (also ein Anritzen) zu verhindern
                              									und ein Zerschellen des letzteren herbeizuführen. Das weiche Eisen sollte durch
                              									seine Zähigkeit das weitere Spalten durch ein mit der Spitze schon eingedrungenes
                              									Geschoss und die Bildung von Rissen verhüten. Besonders in England herrschte
                              									Vorliebe für Compoundplatten, während in Frankreich reine Stahlplatten mehr versucht
                              									wurden. Versuche in Ochta (bei St. Petersburg) und in Annapolis (Nordamerika) 1890
                              									brachten eine wichtige Entscheidung über den Werth der Compoundplatten. Es wurden
                              									letztere zum Vergleich mit reinen Stahlplatten und mit Nickelstahlplatten gestellt.
                              									Diese, bezogen von Schneider in Creuzot, ergaben eine
                              									grosse Ueberlegenheit über eine Compoundplatte (von Cammell
                                 										und Co. in Sheffield) und ein besseres Verhalten als eine reine Stahlplatte
                              									(auch von Schneider geliefert). Der Stahlbelag der
                              									Compoundplatte brach vollständig herunter. Auf Grund dieser Resultate wurden nun
                              									Nickelstahlplatten in Nordamerika angefertigt von den Eisenwerken zu Bethlehem
                              									(Pennsylvanien) und von Carnegie-Phipps und Co. zu
                              									Pittsburg, und es fand am 14. November 1891 ein grosser Versuch der Marineverwaltung
                              									in Indian-Head (Maryland) statt, wobei sechs Platten zur Untersuchung kamen, solche
                              									von reinem Stahl, von Nickelstahl mit verschiedenem Kohlenstoffgehalt und von
                              									verschiedener Härte der Oberfläche.
                           
                           Zur Herstellung der Nickelstahlplatte scheint das nordamerikanische Patent Nr.
                              									415655 von Schneider in Creuzot benutzt worden zu sein.
                              									Nach demselben wird zuerst durch Zusammenschmelzen eine nickelreiche
                              									Gusseisenlegirung gebildet (z.B. 30 Proc. Nickel, 63 Proc. Eisen, 3 Proc. Kohle, 2
                              									Proc. Mangan und Silicium), dann gekleint, mit Eisen und den zur Stahlbereitung noch
                              									nöthigen Stoffen gemischt und diese Masse endlich eingeschmolzen. Die Platten von
                              									Indian-Head hatten einen Nickelgehalt von 2,5 bis 2,67 Proc. (es wurden indessen
                              									auch anderwärts Legirungen mit 3 und selbst 5 Proc. dargestellt). Das Härten der
                              									Vorderseite der Platte (d.h. der Auftreffseite des Geschosses) geschah nach einem
                              									von dem Amerikaner Harvey erfundenen Verfahren
                              									(Nordamerikanische Patente Nr. 376194 und Nr. 460262). Es besteht zunächst in einer
                              									Vermehrung des Kohlegehaltes der Oberfläche. Zu dem Zwecke wird in einem Herde auf
                              									die zu härtende Seite der Platte kohlehaltiges Material und darauf feuerfeste
                              									Ziegelsteine zur Erzeugung eines Druckes gelegt, der Herd geschlossen und erhitzt,
                              									bis das Metall nächst der Oberfläche Kohle in der gewünschten Weise aufgenommen hat.
                              									Es scheinen dazu bei den verwandten Platten (von etwas über ¼ m Dicke) mindestens 5,
                              									vielleicht aber auch 14 Tage nöthig gewesen zu sein; der Gehalt an Kohle wurde dann
                              									bei einer sonst 0,35 Proc. kohlehaltigen Platte auf 1 Proc. bis zu einer Tiefe von
                              									7,5 cm gebracht. Nach dieser Arbeit soll sich die Platte bis auf Dunkelrothglühhitze
                              									langsam abkühlen unter dem aufliegenden Material, dann aber wird letzteres schnell
                              									entfernt und nun die Platte mit Strömen kalter Flüssigkeit besprengt oder in solche
                              									(wahrscheinlich Oel) getaucht und in Bewegung gehalten, bis sie kalt ist. (Dem
                              									umständlichen Verfahren entsprechen die Preise. Der mittlere Preis pro Tonne
                              									(englisch) der Nickelstahlplatten ist 2412 M., das Härten (nach Harvey) kostet pro Tonne noch 224 M.)
                           Bei dem Versuche wurden die vor einer Holzhinterlage befestigten Platten von 25,5 cm
                              									Dicke, 2,44 m Höhe und 1,83 m Breite (Fig. 11 und
                              										12) mit je 4 bis 15,2 cm-Chromstahlpanzergranaten
                              									von Holtzer in Junieux, Loire, und einer 20,3
                              									cm-Panzergranate entweder von Firth in Sheffield oder
                              									von Carpenter in Reading, Pennsylvanien, beschossen,
                              									von letzterer als mittelstem Schuss (vgl. Fig. 12).
                              									Die ersteren vier Geschosse hatten 633 m Auftreffgeschwindigkeit und ungefähr 50 k
                              									Gewicht, die entsprechenden Zahlen bei letzterem waren entweder 549 m und 99 k oder
                              									518 m und 123 k. (Die Chromstahlgranaten zeichnen sich durch besondere Härte und
                              									Haltbarkeit aus. Chromstahl scheint in ähnlicher Weise wie Nickelstahl durch
                              									Herstellung einer stark chromhaltigen Eisenlegirung [z.B. von 49 bis 60 Proc. Cr]
                              									und Verschmelzen dieser mit dem nöthigen Zuschlag hergestellt zu werden; die
                              									Geschosse selbst haben 1¼ bis 2 Proc. Cr; Iron vom 2.
                              									December 1892, sowie vorhergehende Nummern bringen Näheres über die
                              									Fabrikation.)
                           Durch den Schiessversuch wurde als beste Platte eine von Nickelstahl mit hohem
                              									Kohlenstoffgehalt erwiesen, deren Aussenfläche nach dem Harvey-Verfahren gehärtet
                              									war. Die zweitbeste Platte war von derselben Zusammensetzung, aber nicht besonders
                              									gehärtet; beide Platten waren von den Bethlehemwerken geliefert. Die beste
                              									Widerstandsfähigkeit wurde darin gefunden, dass die Spitze einer 15 cm-Granate nur
                              									18 cm tief eindrang, während derübrige Geschosstheil in Splittern zurückflog;
                              									die Spitze schien dabei vollständig mit dem Plattenmetall verschmolzen zu sein (Fig.
                              									11c). Beide Geschosse der rechten Seite der besten Platte (vgl. Fig. 12) zeigten diese Eigenschaft. Als geringer wurde
                              									die Widerstandsfähigkeit betrachtet, wenn die Granate tief eindrang und dann
                              									zurückprallte (Fig. 11b), für zu gering natürlich, wenn die Platte durchschlagen
                              									wurde (Fig. 11a, Stahlplatte von geringem Kohlegehalt). Durchgehende Risse schlimmer
                              									Art wurden in zwei Platten erzeugt, die der Fig. 12
                              									wurden nicht für gefährlich erachtet. Die 20,3 cm-Granaten vermochten auch nicht die
                              									besten Platten zu durchschlagen. Die amerikanische Commission erklärte die beiden
                              									besten Platten für überlegen der 1890 in Annapolis beschossenen Nickelstahlplatte
                              									der Creuzotwerke.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 288, S. 53
                              Fig. 11.Panzerschiessversuche.
                              a Vollständig durchgeschlagenes
                                 										Geschloss; b Einschlag eines zurückprallenden Geschosses; c Bestes Ergebniss.
                                 										Geschosspitze in dem Panzer eingeschmolzen; rückwärtiger Geschosstheil in
                                 										Splitter zerstreut.
                              
                           Diesen Platten ertheilte vielleicht der Stahl Elasticität, der Nickelzusatz die
                              									Zähigkeit; merkwürdig ist, dass sie durch das Harvey-Verfahren eine grosse Härte
                              									bekamen, ohne Neigung zur Rissebildung zu zeigen. Man kann vielleicht sagen, dass
                              									die beste Platte eine verbesserte Ausführung des den Compoundplatten zu Grunde
                              									gelegten Gedankens ist: vorn hart, um das Anritzen zu erschweren, hinten weich und
                              									zähe, um das Spalten bezieh. Weiterreissen zu verhüten; die Elasticität ist dabei
                              									noch eine besonders günstige Zugabe.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 288, S. 53
                              Fig. 12.Vorder- und Rückseite der besten Panzerplatte des Versuchs in
                                 										Indian Head (hochkohlenstoffhaltige Nickelplatte nach dem Harvey-Verfahren
                                 										gehärtet.)
                              
                           In Portsmouth wurde am 1. November 1892 eine den besten gleiche (von Brown und Co. in Sheffield gelieferte) Platte in
                              									ähnlicher Weise von 3 bis 15 cm-Holtzer-Chromstahlpanzergranaten und von 2 bis 15
                              									cm-Palliser-Panzergranaten beschossen (letzteres sind Granaten mit Hartgussspitzen).
                              									Letztere zerschellten vollständig; erstere drangen mit den Spitzen ein, verschmolzen
                              									diese mit dem Plattenmaterial und zerschellten mit dem Hintertheile (s. Fig. 11c);
                              									kein Riss wurde bemerkbar.
                           Mitte November 1892 fanden Schiessversuche in Ochta bei St. Petersburg statt,
                              									in welchen eine von Brown und Co. gelieferte, durch ein
                              									besonderes Tresidder-Kühlverfahren gehärtete Compoundplatte vollständig unterlag.
                              									Die Platte hielt die vorgeschriebenen sechs Schuss nicht aus, sondern scheint schon
                              									durch fünf zerstört worden zu sein; was das Schlimmste war, sie zeigte Blasen und
                              									eine ungleichartige Beschaffenheit; hieraus und aus dem Verhalten der
                              									Annapolis-Compoundplatte musste der Schluss gezogen werden, dass eine zuverlässige,
                              									einwandfreie Herstellung der Compoundplatten nicht möglich ist und dass dieselben in
                              									der Zukunft kaum noch in Betracht gezogen werden dürfen. (Es wurden bei diesem
                              									Versuche noch andere Platten beschossen, von Cammell in
                              
                              									Sheffield und von den Werken in St. Chamond; die Ergebnisse waren besser, haben aber
                              									jetzt kein Interesse mehr.)
                           Am 13. December 1892 wurde in Ochta eine dritte Nickelstahlplatte mit gehärteter
                              									Aussenseite und 25 cm Dicke versucht (also gewissermaassen eine Wiederholung der
                              									Versuche von Indian Head und Portsmouth vorgenommen). Mit 4 bis 15
                              									cm-Holtzer-Chromstahlgranaten ergab sich ein gleich günstiges Ergebniss wie früher
                              										(Fig. 11 und 12,
                              									Schuss c), kein Riss entstand, Um weiteren Aufschluss
                              									zu gewinnen, wurde die Platte noch mit 2 bis 22,9 cm-Granaten von 183 k Gewicht
                              									beschossen. Die erste derselben mit 505 m Auftreffgeschwindigkeit erzeugte
                              									ernstliche Risse in der Platte, aber kein Stück fiel herunter, kein
                              									Befestigungsbolzen brach. Der zweite Schuss geschah mit gleichem Geschoss, aber mit
                              									576 m Auftreffgeschwindigkeit; hierbei brach das ganze Ziel, Platte nebst
                              									Hinterlage, zusammen; es wurde indess festgestellt, dass das Geschoss das Innere des
                              									Schiffes nicht beschädigt haben würde.
                           Nachdem so der Werth der Nickelstahlplatte mit gehärteter Aussenseite von 25 cm Dicke
                              									endgültig festgestellt ist, soll demnächst (nach Iron)
                              									ein Versuch in Deutschland mit einer solchen von 31 cm Dicke stattfinden.
                           Ein ungemein interessanter Versuch hat bei Portsmouth am 17. Jan. d. J. gegen eine
                              									nach Harvey gehärtete Stahlplatte (Dicke 26 cm)
                              									stattgefunden, um festzustellen, ob die Steigerung der Auftreffgeschwindigkeit der
                              									Geschosse erheblich die Durchschlagskraft vergrössert. Es zeigte sich, dass ein 15
                              									cm-Holtzer-Geschoss mit 553 m Auftreffgeschwindigkeit nicht durchschlug, wohl aber
                              									dann, wenn es 598 m hatte. In Folge dieses Ergebnisses müssen alle Formeln für das
                              									Durchschlagen von Panzerungen erheblich verändert werden.
                           Ein ähnlicher Versuch fand in Nordamerika am 2. Febr. gegen eine nach Harvey gehärtete Nickelstahlplatte von grösserer Dicke
                              									(35,6 cm) mit 25,3 cm-Chromstahlgranaten von 247 kg Gewicht statt. Es geschahen 4
                              									Schuss mit 449, 567, 598 und 628 m Auftreffgeschwindigkeit, Durch die letzten
                              									Schüsse wurden Risse erzeugt und frühere erweitert, die Platte in Stücke geschlagen,
                              									ein vollständiger Durchschlag aber nicht erzielt.
                           In Nordamerika und in Frankreich sind auch dünnere Platten von 7,6 bezieh. 7,2 cm
                              									Dicke versucht worden, die wahrscheinlich meist dazu dienen sollen, das Deck der
                              									Schiffe gegen die fürchterliche Wirkung der Schnellfeuerkanonen zu schützen. Leider
                              									sind die Schiessversuche so verschieden ausgeführt worden, dass sie keine Schlüsse
                              									gestatten. Die amerikanischen Platten hatten feste Holzhinterlage, die französischen
                              									waren in einem Holzrahmen befestigt, ohne Hinterlage. Diese Befestigungsweisen
                              									hatten jedenfalls Einfluss auf die Widerstandsfähigkeit; man kannindessen noch
                              									gar nicht bestimmt sagen, welchen. Wahrscheinlich aber waren die etwas elastisch
                              									befestigten französischen leichter zu durchschlagen (Versuche mit Handfeuerwaffen
                              									gegen Blechplatten und andere zurückweichende Gegenstände haben das bewiesen,
                              									vielleicht auch die Thatsache, dass man einen Nagel in die hohlliegende [federnde]
                              									Stelle eines Brettes nicht einschlagen kann, während er ganz leicht hineingetrieben
                              									wird, wenn die Auftreffstelle feste Hinterlage hat). Versuche darüber würden
                              									werthvollen Aufschluss geben und vielleicht dazu führen, diese Art von Schutzplatten
                              									so zu befestigen, dass sie beim Auftreffen eines Schusses etwas federnd
                              									nachgeben.
                           (Zur Besprechung der „Panzerplatten“ wurden benutzt: Stahl und Eisen, Engineer und Engineering,
                                 										Iron und besonders ein Aufsatz von Garrison im
                              										Journal of the Franklin Institution vom Juni und
                              									Juli 1892.)
                           Wenn ein Nickelzusatz wirklich eine ungeahnte Verbesserung der Zähigkeit des Stahls
                              									herbeiführen sollte, so drängt sich nach diesen Panzerergebnissen die Frage auf,
                              									sollte nicht der Nickelstahl ein Material sein, was das unelastische Gelbmetall für
                              									die Patronenhülse der Gewehre ersetzen könnte? Vielleicht dürfte die Verminderung
                              									einer solchen Patronenhülse um 3 g in ihren Folgen ebenso wichtig für die Kriegführung sein, wie die Neupanzerung einiger
                              
                              									Schlachtschiffe, für die gesammte Eisenindustrie würde
                              									sie wahrscheinlich dauernd von grösserer Bedeutung sein.