| Titel: | Ueber Cycloidenverzeichnung. | 
| Autor: | H. Kracht | 
| Fundstelle: | Band 289, Jahrgang 1893, S. 108 | 
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                        Ueber Cycloidenverzeichnung.
                        Mit Abbildung.
                        Ueber Cycloidenverzeichnung.
                        
                     
                        
                           In seinem Constructeur (4. Aufl. S. 526 f.) gibt
                              									Professor Reuleaux für die verkürzte und verlängerte
                              									Cycloide zwei Constructionen, die beide gegenüber der vom Verfasser gegebenen
                              									Construction der gemeinen Cycloide ganz neuartig sind, wobei noch die erste
                              									derselben für die Praxis zu complicirt erscheint (vorherige Bestimmung eines Punktes
                              									der gemeinen Radlinie!). Das nachstehend mitgetheilte Verfahren hat die
                              									Annehmlichkeit, dass es genau dasselbe ist, wie es Reuleaux für alle Cycloiden angibt.
                           Textabbildung Bd. 289, S. 108 Ist nämlich in beistehender Figur G der
                              									Grundkreis, W der Wälzungskreis, Punkt B der beschreibende und sind a und a1
                              									entsprechende Punkte, so schlägt man um O durch B den Kreis und überträgt a1 mittels Radius auf diesen Kreis (Punkt
                              										a2). Dieser Punkt
                              										a2 vertritt nun bei
                              									der Construction der verkürzten oder verlängerten Cycloide die Stelle, die der Punkt
                              										a1 bei derjenigen
                              									der gemeinen Cycloide hatte. Also (siehe Reuleaux a. a.
                              									O. unter I.): „Beschreibe aus A mit dem Abstande aa2 einen Bogen und
                                 										aus a mit der Strecke Aa2 auch einen Bogen, so schneidet
                                 										letzterer den ersteren in einem Punkte P der
                                 										gesuchten Curve.“
                           Im Anschlusse hieran mögen folgende vorläufige Ergebnisse einer Untersuchung
                              									mitgetheilt werden, mit Vorbehalt einer vollständigen analytischen Durchführung.
                           Jede Cycloidenconstruction schliesst eigentlich eine Zweideutigkeit in sich. Jeden Punkt der Curve findet man nämlich als den
                              									Durchschnittspunkt eines Kreises mit einem anderen oder mit einer Geraden. Solcher
                              									Schnittpunkte erhält man aber nach bekannter Regel immer zwei (oder keinen);
                              									einschliesslich etwaiger Berührungspunkte. Natürlich ist bei der
                              									Cycloidenverzeichnung nur der eine Punkt richtig. Interessant ist es nun, die
                              									Gesammtheit der anderen Punkte zu untersuchen, was zeichnerisch leicht auszuführen
                              									ist. Man erhält vollständige Curven, und zwar wiederum Cycloiden irgend welcher Art.
                              									Doch ergeben dabei die gewöhnliche Kreisconstruction und die Reuleaux'sche Punktconstruction verschiedene Resultate. Bei der letzteren
                              									Art ergibt sich z.B. Folgendes (wobei hier nur auf Epi- und Hypocycloide eingegangen
                              										werde)Eine
                                    											analytisch-geometrische Betrachtung ergibt Nachstehendes:Die Gleichung für beide Curven bei der
                                    											Epicycloide, welche bei der Reuleaux'schen
                                    											Construction entstehen, ist, wenn man den Mittelpunkt des Grundkreises als
                                    											Nullpunkt, die Centrale als die Y-Achse annimmt und wenn r der Radius des Wälzungskreises, R derjenige des Grundkreises, φ der Winkel der Drehung ist:x=R\,.\,sin\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,cos\,\left(\frac{R+r\,\pm\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)y=R\,.\,cos\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)\,\pm\,2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,sin\,\left(\frac{R+r\,\pm\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)IDaraus folgt mit dem oberen Zeichen für die eigentliche Curve:x=R\,.\,sin\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,cos\,\left(\frac{R+2\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)y=R\,.\,cos\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,sin\,\left(\frac{R+2\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)IIdagegen mit dem unteren Zeichen für die
                                    											Nebencurve:x_1=R\,.\,sin\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-r\,sin\,\varphiy_1=R\,.\,cos\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin^2\,\frac{\varphi}{2}IIIDieselben Gleichungen sind für die Hypocycloide:x=R\,.\,sin\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,cos\,\left(\frac{R-r\,\mp\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)y=R\,.\,cos\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)\,\mp\,2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,sin\,\left(\frac{R-r\,\mp\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)IVworaus für die Hypocycloide selbst folgt:x=R\,.\,sin\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,cos\,\left(\frac{R-2\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)y=R\,.\,cos\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-2\,r\,sin\,\frac{\varphi}{2}\,.\,sin\,\left(\frac{R-2\,r}{R}\,.\,\frac{\varphi}{2}\right)Vund für die Nebencurve:x_1=R\,.\,sin\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)-r\,sin\,\varphiy_1=R\,.\,cos\,\left(\frac{r}{R}\,.\,\varphi\right)+2\,r\,sin^2\,\frac{\varphi}{2}VISetzt man jetzt in den Gleichungen unter III: r'=r,\ R'=R+r,\
                                       												\varphi'=\varphi\,.\,\frac{R+r}{R} (da bei dem grösseren
                                    											Grundkreise die Drehung im selben Verhältnisse zunehmen muss), also
                                    												r=r',\ R=R'-r',\
                                       												\varphi=\varphi'\,.\,\frac{R'-r'}{R'}, so erhält man nach
                                    											einigen Umformungen:x'=R'\,.\,sin\,\left(\frac{r'}{R'}\,.\,\varphi'\right)-2\,r'\,sin\,\frac{\varphi'}{2}\,.\,cos\,\left(\frac{R'-2\,r'}{R'}\,.\,\frac{\varphi'}{2}\right).y'=r'+R'\,.\,cos\,\left(\frac{r'}{R'}\,.\,\varphi'\right)-2\,r'\,sin\,\frac{\varphi'}{2}\,.\,sin\,\left(\frac{R'-2\,r'}{R'}\,.\,\frac{\varphi'}{2}\right).Dies sind aber die oben abgeleiteten Gleichungen einer Hypocycloide (V), nur
                                    											dass der Nullpunkt um r auf der Y-Achse nach
                                    											der positiven Seite verschoben ist (der Nullpunkt ist noch derjenige der
                                    											Epicycloide). – Ebenso werden bis auf eine Nullpunktverschiebung auf der
                                    											Y-Achse (um – r) die Gleichungen unter VI zu
                                    											denen unter II durch Einsetzen der Werthe:r'=r,\ R'=R-r\,
                                       										\varphi'=\varphi\,.\,\frac{R-r}{R}.: Neben der Epicycloide entsteht eine Hypocycloide mit grösserer Bogenzahl. Die Spitzen derselben liegen auf der
                              									Epicycloide, diejenigen der letzteren auf der Hypocycloide. Der Radkreis der
                              									Nebencurve ist derselbe, nur mit entgegengesetzter Lage; der Erzeugungspunkt
                              									(Berührungspunkt) bleibt auch derselbe. Der Radius des Grundkreises aber, dessen
                              									Mittelpunkt auf derselben Centralen liegt, wird gleich der Summe der Radien von
                              									Grund- und Wälzungskreis der Epicycloide.
                           Bei der Hypocycloide ist die Sache umgekehrt: Die Nebencurven sind Epicycloiden mit
                              									kleinerer Bogenzahl; Erzeugungspunkt, Centrale, Radius des Wälzungskreises wie bei
                              									der Hauptcurve; Lage des Wälzungskreises wieder entgegengesetzt; Radius des
                              									Grundkreises aber gleich der Differenz der gegebenen Radien. –
                           Bei der Kreisconstruction ist die Nebencurve der
                              									Epicycloide merkwürdiger Weise eine verkürzte
                              									Hypocycloide, deren Grundkreis concentrisch mit dem der Epicycloide ist, aber einen
                              									Radius von \left(R+2\,r\,.\,\frac{1}{1-p}\right) hat, wenn R der Radius des Grundkreises, r der des Wälzungskreises der Epicycloide, und p gleich \frac{r}{R} ist. Der Abstand des
                              									Erzeugungspunktes vom Mittelpunkte des Wälzungskreises ist gleich r, der Radius des Wälzungskreises gleich
                              										r\,.\,\frac{1+p}{1-p}.
                           Die Nebencurve der Hypocycloide ist eine verlängerte
                              										Epicycloide;
                              									Grundkreisradius R-2\,r\,.\,\frac{1}{1+p}, Radkreisradius
                              										r\,.\,\frac{1-p}{1+p}, Abstand des Erzeugungspunktes gleich
                              										r.
                           Es mag Vorstehendes genügen, um die Mannigfaltigkeit und Merkwürdigkeit der hierher
                              									gehörigen Fälle darzuthun. Zunächst kam es dabei nur darauf an, auf die Zweideutigkeit der Methoden zur Verzeichnung der
                                 										Cycloiden hinzuweisen, was meines Wissens bisher in keinem Lehrbuche ausdrücklich geschehen ist.
                           H. Kracht,Dortmund.