| Titel: | Untersuchungen über die Bildung der Farblacke. | 
| Autor: | Carl Otto Weber | 
| Fundstelle: | Band 289, Jahrgang 1893, S. 187 | 
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                        Untersuchungen über die Bildung der
                           								Farblacke.
                        Von Dr. Carl Otto
                                 								Weber.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 160 d.
                           								Bd.)
                        Untersuchungen über die Bildung der Farblacke.
                        
                     
                        
                           II. Lackbildung in der Carboxylgruppe.
                           Wie bereits erwähnt, kann die Carboxylgruppe CO.OH in Farbstoffen nur in Gegenwart
                              									einer oder mehrerer Hydroxyl- oder Amidogruppen vorkommen. Sie ist also, wie die
                              									weiter unten zu besprechende Sulfogruppe, kein Chromogen, wohl aber in Folge ihrer
                              									hervorragenden salzbildenden Eigenschaften eine lackbildende Gruppe von
                              									erheblicher Bedeutung. In gewisser Beziehung besitzt sie noch den Charakter einer
                              									organischen Hydroxylgruppe, die vom Kern der Farbstoffe durch Carbonyl CO getrennt
                              									ist. Die Carboxylgruppe besitzt daher eine Doppelfunction, erstens, indem sie als
                              									unabhängige lackbildende Gruppe von erheblicher Energie auftritt, und zweitens,
                              									indem sie ausserdem in Gegenwart anderer Hydroxylgruppen deren Lackbildungsfähigkeit
                              									unter gewissen Umständen wie eine Hydroxylgruppe beeinflusst, so dass, wo eine
                              									Carboxylgruppe sich in einem Farbstoff in Orthostellung zu einer Hydroxylgruppe
                              									befindet, ein solcher Farbstoff lackbildende Eigenschaften desselben Grades wie die
                              									vorbesprochenen Orthodihydroxylfarbstoffe besitzt. Wir haben daher folgende
                              									Combinationen lackbildender Gruppen in einem Farbstoffmolekül in Betracht zu
                              									ziehen:
                           
                              
                                 1) \mbox{M}\left<{{\mbox{OH}_{[3]\mbox{ oder
                                       												}[4]}}\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}\ \ \ \ \ }
                                 2) \mbox{M}\left<{{\mbox{OH}_{[2]}\ \ \ \ \
                                       												}\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}}
                                 
                              
                                 1) \mbox{M}\left<{{\mbox{NH}_2\ \ \
                                       												}\atop{\mbox{CO.OH}}}
                                 4) 
                                 
                              
                           Befindet sich wie in 1) die Hydroxylgruppe in Meta- oder
                              									Parastellung zur Carboxylgruppe, so ist nur die letztere lackbildungsfähig. Doch
                              									lassen sich aus solchen Farbstoffen nur sehr schwierig brauchbare Lacke erzielen,
                              									dieselben sind gewöhnlich sehr stumpf. Es muss übrigens bemerkt werden, dass
                              									Farbstoffe dieser Constitution im Handel nicht vorkommen. Ich habe einen derartigen
                              									Farbstoff hergestellt durch Combination von Diazobenzolcblorid (Anilin diazotirt)
                              									mit m-Oxybenzoesäure
                           
                              \mbox{C}_6\mbox{H}_5\,.\,\mbox{N}=\mbox{N}\,.\,\mbox{C}_6\mbox{H}_3\left<{{\mbox{OH}_{[3]}\
                                 										\ \ \ \ }\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}}
                              
                           Der Farbstoff (gelb) ist sehr schwer löslich in verdünnten
                              									Alkalien und liefert auf Wolle im schwach sauren Bade oder auf chromgebeizter Wolle
                              									nur sehr schwache und trübe Ausfärbungen, die schon durch massiges Seifen fast
                              									vollständig abgezogen werden. Wird zur Bildung des Farbstoffes anstatt Anilin
                              									Nitranilin verwendet, so gewinnt der Farbstoff, wie zu erwarten, an Glanz und
                              									Löslichkeit, ohne dass sich im Uebrigen seine Färbe- bezieh.
                              									Lackbildungseigenschaften verbesserten. Combiniren wir dagegen das diazotirte Anilin
                              									oder besser Paranitranilin mit o-Oxybenzoesäure (Salicylsäure)
                           
                              \mbox{C}_6\mbox{H}_5\,.\,\mbox{N}=\mbox{N}\,.\,\mbox{C}_6\mbox{H}_3\left<{{\mbox{OH}_{[2]}\
                                 										\ \ \ \ }\atop{\mbox{CO.OH}_{[1]}}}
                              
                           so erhalten wir einen Farbstoff, der sich von dem
                              									vorhergehenden lediglich durch die Orthostellung der Carboxyl- und Hydroxylgruppe
                              									unterscheidet. Aber dieser unbedeutende Unterschied in der Constitution ist von
                              									grösstem Einfluss auf die lackbildenden oder färbenden Eigenschaften dieses
                              									Farbstoffes. Derselbe bildet nun Thonerde- und Chromlacke, die an Echtheit denen der
                              									Alizaringruppe gleichkommen. Er ist, wie vorauszusehen, nicht im Stande, ungeheizte
                              									Wolle brauchbar zu färben, liefert aber auf chromgebeizter Wolle Färbungen von
                              									hervorragender Echtheit. Genau so verhalten sich alle Farbstoffe, welche die
                              									Carboxyl- und Hydroxylgruppe in Orthostellung enthalten, und ich habe gefunden, dass
                              									die zahlreichen direct färbenden Baumwollfarbstoffe, welche Salicylsäure als einen
                              									Componenten erhalten, ausnahmslos auf chromgebeizter Wolle Färbungen von ganz
                              									ausgezeichneter Echtheit liefern. Für die Darstellung von Lacken aus diesen
                              									Farbstoffen ist das Chromoxyd weitaus am geeignetsten, und werden die besten Resultate in
                              									Gegenwart geringer Mengen Kalk, also durch Bildung von Doppellacken erhalten.
                           Farbstoffe, welche neben der Carboxylgruppe nur eine oder mehrere Amidogruppen
                              									enthalten, sind nicht sehr zahlreich und sie verhalten sich immer zunächst als
                              									schwache Säurefarbstoffe, d.h. ihre Carboxylgruppe ist immer lackbildungsfähig,
                              									während die Amidogruppe diese Eigenschaft zumeist gänzlich eingebüsst hat. Bei
                              									Gegenwart mehrerer Amidogruppen ist aber eine derselben fast immer
                              									lackbildungsfähig. Derartige Farbstoffe müssen daher zu Doppellacken einer Art
                              									führen, wie wir sie bisher noch nicht angetroffen haben. Dasselbe ist natürlich der
                              									Fall bei Farbstoffen, welche dem vierten der oben angegebenen Constitutionsschemen
                              									entsprechen, die also neben der Carboxyl- und Amidogruppe auch noch Hydroxylgruppen
                              									enthalten. Befindet sich keine der anwesenden Hydroxylgruppen in Orthostellung zur
                              									Carboxylgruppe oder zu einer zweiten Hydroxydgruppe, so verhält sich der Farbstoff
                              									bezüglich seiner Lackbildungsfähigkeit genau wie die dem dritten Constitutionsschema
                              									entsprechenden Farbstoffe. Sind aber Orthostellungen der soeben genannten Art
                              									vorhanden, so geben sich dieselben sofort wie bei den Alizarinfarbstoffen zu
                              									erkennen, und häufig ist auch die Amidogruppe noch lackbildungsfähig, obgleich es im
                              									Allgemeinen scheint, dass es zur Darstellung eines echten Lackes aus solchen
                              									Farbstoffen nicht nöthig ist, die beiden verschiedenen Lackbildungstendenzen
                              									derartiger Farbstoffe zu befriedigen. Charakteristisch für diese Art von Farbstoffen
                              									ist das Gallocyanin
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 187
                              
                           Die Dimethylamidogruppe im linken Ende dieser Formel besitzt
                              									ausgesprochenen Basencharakter. Wie ersichtlich, ist dieselbe salzbildungsfähig und
                              									deshalb auch lackbildungsfähig wie ein basischer Farbstoff. Die Carboxylgruppe im
                              									rechten Ende der Formel steht zu keiner der vorhandenen Hydroxylgruppen in
                              									Orthostellung, wohl aber existirt eine solche zwischen den beiden Hydroxylgruppen.
                              									Der Farbstoff ist daher ein Orthodihydroxylfarbstoff und besitzt die hohe
                              									Lackbildungsfähigkeit eines solchen. Ein anderer Farbstoff dieser Ordnung, das
                              									Azogrün
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 187
                              
                           besitzt auf der rechten Seite eine Carboxyl- und eine
                              									Hydroxylgruppe in Orthostellung, und ist deshalb im Stande, besonders mit Chromoxyd
                              									Lacke von grosser Echtheit zu bilden. Dagegen besitzt die in diesem Farbstoff im
                              									Triphenylmethanrest befindliche Amidogruppe nur in ganz, geringem Grade salzbildende
                              									und gar keine lackbildenden Eigenschaften. Es muss daher hier noch unentschieden
                              									bleiben, in wie weit lackbildende Gruppen von secundärer Bedeutung neben der
                              									Hauptgruppe mit zur Lackbildung herangezogen werden können oder müssen, um die
                              									bestmöglichen, d.h. echtesten und schönsten Lacke zu erzielen.
                           
                        
                           III. Lackbildung in der Sulfogruppe.
                           Die Sulfogruppe ist wie die Carboxylgruppe kein Chromogen und ihre Anwesenheit in
                              									Farbstoffen ist nur möglich in Gegenwart von Amido- oder Hydroxylgruppen. Durch
                              									den Eintritt der Sulfogruppe in das Molekül werden alle Farbstoffe in sehr starke
                              									Säuren verwandelt und in ihrem Lackbildungs- bezieh. Färbevermögen ganz erheblich
                              									modificirt. Wie aus dem Nachstehenden hervorgeht, muss bei Sulfofarbstoffen
                              									unbedingt der Lack- bezieh. Salzbildungsfähigkeit der Sulfogruppe Rechnung getragen
                              									werden; ob und inwieweit auch noch die specinsche Lackbildungsfähigkeit anderer im
                              									Molekül vorhandener lackbildender Gruppen zu berücksichtigen ist, wird sich
                              									fernerhin ergeben. Dementsprechend haben wir bei den Sulfofarbstoffen folgende
                              									Combinationen lackbildender Gruppen ins Auge zu fassen:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 187
                              
                           Sobald wir die Lackbildung in der Sulfogruppe näher
                              									untersuchen, zeigt sich sofort, dass trotz ihrer ausserordentlich kräftigen
                              									Säurenatur, dieselbe eher ein Hinderniss als ein Hilfsmittel für die Erzielung
                              									echter Lacke bildet. Es ist dies ganz analog dem Verhalten der Nitrofarbstoffe (s.
                              									oben) bei der Lackfällung, deren starke und mit zunehmender Zahl der Nitrogruppen
                              									wachsende Säurenatur im umgekehrten Verhältniss zu ihrer Lackbildungsfähigkeit
                              									steht. In gleicher Weise bemerken wir, dass mit der zunehmenden Zahl von
                              									Sulfogruppen im Molekül eines Farbstoffes dessen Lackbildungsfähigkeit mehr und mehr
                              									abnimmt und schliesslich überhaupt ganz aufhört. Es ist indessen nicht zu verkennen,
                              									dass die Constitution dieser Sulfosäuren ebenfalls von grossem Einfluss ist auf
                              									deren Lackbildungsfähigkeit. Es zeigt sich dies in besonders auffallender Weise bei
                              									den Azofarbstoffen aus Naphtolsulfosäuren. Von den beiden β-Naphtolmonosulfosäuren
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 187
                              β-Naphtol-α-Monosulfosäure;
                                 										β-Naphtol-β-Monosulfosäure
                              
                           bildet die erstere Farbstoffe, die nur ziemlich schwierig sich
                              									aus ihren Lösungen vollständig als Lacke niederschlagen lassen, während die
                              									Farbstoffe aus der zweiten (Schäffer'schen) Säure mit
                              									grösster Leichtigkeit sich vollständig aus ihren Lösungen fällen lassen. Ebenso
                              									verhalten sich die β-Naphtoldisulfosäuren
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 187
                              β-Naphtoldisulfosäure G;
                                 										β-Naphtoldisulfosäure R
                              
                           Die erste dieser Säuren bildet mit α-Diazonapbtalin Krystallponceau 6 R, ein Farbstoff, der sich auf keine
                              									Weise in einen Lack überführen lässt. Die zweite Säure bildet mit demselben
                              									Diazokörper den als Bordeaux B bekannten Farbstoff, der sich mit grösster
                              									Leichtigkeit in einen Lack überführen lässt. Beispiele dieser Art liessen sich noch
                              									in grosser Zahl anführen, um die Abhängigkeit der Lackbildung in der Sulfogruppe von
                              									der Constitution der Sulfosäuren weiter zu bestätigen, doch dürften obige Beispiele
                              									genügen.
                           
                           Für die Lackbildung in der Sulfogruppe werden so gut wie ausschliesslich die
                              									Bariumsalze angewandt, da dieselben die besten Resultate liefern. Zwar lässt sich
                              									mit Hilfe der Bleisalze noch leichter vollkommene Fällung erzielen, aber es ist
                              									weder die Nuance noch die Luftechtheit dieser Lacke so gut wie die der Bariumlacke.
                              									Vielfach wird basisch essigsaures Blei als Lackfällungsmittel empfohlen, und es gibt
                              									thatsächlich keinen Sulfofarbstoff, der sich nicht mit Hilfe dieses Prokrustesbettes
                              									dienstbar machen liesse, aber mit ganz vereinzelten Ausnahmen sind diese basischen
                              									Bleilacke ungefähr die schlechtesten Lacke, die sich aus den Sulfofarbstoffen
                              									darstellen lassen. Wir können daher die Bariumsalze als die typischen Fällungsmittel
                              									der Sulfofarbstoffe oder besser gesagt das Bariumoxyd als den typischen Lackbildner
                              									der Sulfogruppe bezeichnen. Es entsteht nun die Frage, wie verhalten sich bei der
                              									Lackbildung in der Sulfogruppe eines Farbstoffes andere im Molekül vorhandene
                              									lackbildende Gruppen. Wir wollen in dieser Beziehung zuerst die Farbstoffe, die dem
                              									ersten unserer obigen Constitutionsschemen entsprechen, also neben der Sulfogruppe
                              									nur eine oder mehrere, unter sich nicht in Orthosteilung befindliche Hydroxylgruppen
                              									enthalten, in Betracht ziehen. Wie wir früher gesehen Laben, sind solche
                              									Hydroxylfarbstoffe nur in sehr geringem Grade lackbildungsfähig und ihre Lacke
                              									werden schon durch ganz schwache Säuren mit Leichtigkeit zersetzt. Unter diesen
                              									Umständen ist es auch nicht überraschend zu finden, dass bei Gegenwart einer so
                              									stark sauren Gruppe im Molekül, wie der Sulfogruppe, die Hydroxylgruppe ihr schon so
                              									geringes Lackbildungsvermögen vollends verliert, so dass in solchen Farbstoffen
                              									überhaupt Lackbildung nur in der Sulfogruppe möglich ist. Die so zahlreiche Gruppe
                              									der sulfonirten Oxyazofarbstoffe illustrirt dieses Verhalten in genügender Weise.
                              									Der Erwähnung werth ist hierbei die Thatsache, dass bei Darstellung eines Lackes aus
                              									diesen Farbstoffen gute Resultate nur dann zu erzielen sind, wenn die Fällung des
                              									Farbstoffes mit dem Barytsalz (Chlorbarium) in heisser und vor allem saurer Lösung
                              									vorgenommen wird. Zu diesem Zwecke kann man der Lösung des Farbstoffes entweder eine
                              									geringe Menge einer, am besten organischen Säure (Essigsäure) zufügen oder aber noch
                              									vortheilhafter eine Lösung eines stark sauer reagirenden, aber keine freie Säure
                              									enthaltenden Salzes, wie Thonerdesulfat oder Chloraluminium. In Folge der sauren
                              									Reaction des Bades bleibt bei der Fällung zunächst ein erheblicher Theil des
                              									Farbstoffes bezieh. Barytlackes gelöst, fällt aber bei darauf folgender vorsichtiger
                              									Neutralisirung mit Soda vollständig aus. Die auf diese Weise erhaltenen Lacke; die
                              									bei Gegenwart von Thonerdesalzen während der Fällung und in Folge der darauf
                              									folgenden Behandlung mit Soda stets Thonerdehydrat erhalten, zeichnen sich durch
                              									grosse Schönheit, aber nur geringe Echtheit aus. Wird die Fällung dagegen in
                              									neutralen oder alkalischen Bädern vorgenommen, so besitzen die Lacke einen trüben,
                              									stumpfen Ton.
                           Farbstoffe, die dem zweiten unserer Constitutionsschemen entsprechen
                           
                              \mbox{M}\left<{{\mbox{NH}_2\ \ \ \
                                 										}\atop{\mbox{SO}_2.\mbox{OH}}}
                              
                           sind ebenfalls sehr zahlreich und gehören hauptsächlich der
                              									Gruppe der sulfonirten Amidoazafarbstoffe und der sulfonirten basischen
                              									Triphenylmethanfarbstoffe an. Bei diesen Farbstoffen ist die Schwierigkeit,
                              									gute Barytlacke zu erhalten, häufig erheblich grösser als bei den Farbstoffen, die
                              									wir vorstehend erwähnten, und zwar zeigt sich ausnahmslos, dass, je stärker die dem
                              									Sulfofarbstoffe zu Grunde liegende Base ist, desto schwieriger es ist, den Farbstoff
                              									als Barytlack, also durch Lackbildung in der Sulfogruppe zu fällen. Dementsprechend
                              									sehen wir, dass die sulfonirten Amidoazofarbstoffe, die mit ganz wenigen Ausnahmen
                              									so schwache Basen sind, dass sie zumeist an und für sich unfähig sind, Tanninlacke
                              									zu bilden, mit grösster Leichtigkeit sich vollständig als Barytlacke fällen lassen,
                              									während andererseits die sulfonirten Triphenylmethanbasen der Barytfällung entweder
                              									ganz unfähig sind oder sich doch nur in unbefriedigender Weise als Barytlacke fällen
                              									lassen. Es ist hiernach sehr wahrscheinlich, dass bei diesem Verhalten die Salz-
                              									bezieh. Lackbildungsfähigkeit der Amidogruppe in diesen Farben ein Factor ist, der
                              									bei der Barytfällung dieser Farbstoffe in Betracht gezogen werden muss.
                           In höchst bemerkenswerther Weise werden diese Verhältnisse illustrirt durch das
                              									Verhalten von Cassella's Thiocarmin gegen
                              									Fällungsmittel. Dieses Blau wird erhalten aus Aethylbenzylanilinsulfosäure, durch
                              									Anwendung der für die Darstellung von Methylenblau bekannten Verfahren. Die
                              									Constitution dieses Farbstoffes ist daher ohne Zweifel
                           Textabbildung Bd. 289, S. 188 Dieser Farbstoff ist daher die Disulfosäure eines Methylenblaues, also
                              									eines basischen Farbstoffes. Als Disulfosäure ist der Farbstoff aber, wie
                              									selbstverständlich, ein Säurefarbstoff. Dieser Farbstoff besitzt aber die
                              									auffallende Eigenschaft, sowohl von Bariumsalzen, dem Fällungsmittel für
                              									Sulfofarbstoffe, als auch von Tannin, dem Fällungsmittel für basische Farbstoffe,
                              									gefällt zu werden; in jedem Falle ist aber die Fällung nur eine partielle. Stellt
                              									man sich nun eine Lösung her, die 1 Mol. Chlorbarium neben 1 Mol. Tannin enthält, so
                              									erhält man ein Fällungsgemisch, welches das Thiocarmin quantitativ zu fällen im
                              									Stande ist, was einzeln für sich keines der Fällungsmittel auch nur annähernd zu
                              									thun vermag. Obgleich also die Sulfonirung des dem Thiocarmin entsprechenden
                              									Methylen- oder vielmehr Benzyläthylenblaus einen Farbstoff liefert, der in der
                              									Färberei wie alle sulfonirten Farbstoffe nur als saurer Farbstoff auf Wolle oder
                              									Seide fixirbar ist, so ist doch die Sulfogruppe nicht im Stande, die basische Natur
                              									des Farbstoffes völlig zu unterdrücken, indem derselbe sich genau wie eine schwache
                              									organische Amidosäure verhält, d.h. mit Tannin Salze bezieh. Lacke zu bilden vermag,
                              									obgleich starke organische und die anorganischen Säuren nicht mehr assimilirt
                              									werden.
                           Es erschien mir interessant, diese Beobachtung auf deren Anwendbarkeit für die Zwecke
                              									der Baumwollfärberei zu prüfen, und bemerke ich hier gleich, dass das Resultat
                              									meiner Versuche ein höchst überraschendes war und obige Beobachtung in
                              									nachdrücklichster Weise bestätigt. Obiger Versuch zeigt uns zunächst, dass die
                              									salzbildende Fähigkeit der Amidogruppe der basischen Farbstoffe durch den Eintritt
                              									der Sulfogruppe, also einer im entgegengesetzten Sinne der Amidogruppe salzbildenden
                              									Gruppe, zwar sehr vermindert, aber durchaus nicht gänzlich aufgehoben wird. Dies ist in
                              									völliger Uebereinstimmung mit der wohlbekannten Thatsache, dass in den Amidosäuren,
                              									sowohl der fetten wie der aromatischen Säuren, deren saure Function stets wesentlich
                              									die der Base überwiegt, ohne indessen die letztere völlig zu unterdrücken. Wir
                              									sollten also erwarten, dass, sobald ein Farbstoff, dessen Constitution wie die des
                              									Thiocarmins die einer Amidosulfosäure ist, eine solche Behandlung erfahren hat, dass
                              									seine Säurenatur latent geworden ist, dessen basische Natur unverhüllt hervortritt
                              									und sich der Farbstoff nunmehr genau wie ein basischer Farbstoff verhält. Die
                              									Möglichkeit einer solchen Doppelfunction der sulfonirten Farbstoffe ist bisher
                              									vollständig übersehen worden, von welchem Interesse dieselbe aber für die Theorie
                              									und Praxis der Färberei, wie der Lackfarbenfabrikation überhaupt ist, werden wir
                              									inder Folge sehen.
                           Wird ein Strang tannirter Baumwolle in einem neutralen oder schwach sauren Bade von
                              									Thiocarmin ausgefärbt, so nimmt derselbe eine sehr blasse blaue Färbung an. Das Bad
                              									wird nicht bemerkbar schwächer oder ausgezogen und schon beim Waschen in reinem
                              									Wasser, noch schneller beim Seifen verliert der Strang seine Färbung wieder
                              									vollständig. Es ist dies nicht anders zu erwarten, da die Säurenatur des
                              									Farbstoffes, wie in allen sulfonirten basischen Farbstoffen, die Function der Base
                              									fast völlig unterdrückt. Diese Säurenatur des Farbstoffes lässt sich andererseits
                              									aber durch Ueberführung desselben in sein Barytsalz so gut wie vollständig aufheben
                              									und tritt hierbei die Wirkung der Base des sulfonirten Farbstoffes in kräftigster
                              									Weise wieder hervor. Dies zeigt sich in schlagender Weise, wenn man einem
                              									Thiocarminfarbbade eine äquivalente Menge Chlorbarium hinzufügt; das Bad bleibt
                              									hierbei völlig klar, d.h. der gebildete Barytlack bleibt in Lösung. Die so
                              									vorbereitete Färbeflotte färbt nun tannirte Baumwolle genau wie ein basischer
                              									Farbstoff und das Bad wird vollständig ausgezogen. Der Strang besitzt eine feurige
                              									volle Färbung, und was mehr ist, dieselbe ist völlig echt und wird durch Seifen nur
                              									klarer, aber nicht schwächer.
                           Die Vermuthung, dass sich alle sulfosauren Farbbasen in dieser Weise verhalten
                              									werden, geht aus obigen theoretischen Erörterungen und deren experimenteller
                              									Bestätigung unmittelbar hervor. Dabei müssen wir aber nicht ausser Acht lassen, dass
                              									bei der Salzbildung der Farbbasen der Triphenylmethangruppe das tertiäre
                              									Kohlenstoffatom oder vielmehr die HO.C⋮-Gruppe ganz wesentlich mitbetheiligt ist,
                              									während bei den Farbstoffen der Thiazingruppe (Methylenblau) der Vorgang der
                              									Salzbildung lediglich die basischen Stickstoffatome betrifft. In Berücksichtigung
                              									dieses Umstandes können wir wohl verstehen, dass die oben angegebene Methode der
                              									Fixirung des Thiocarmins auf der Baumwollfaser auf die Sulfosauren der basischen
                              									Farbstoffe angewandt nicht ganz denselben günstigen Verlauf nehmen. Damit soll
                              									durchaus nicht gesagt sein, dass jene Farbstoffe in ihrem Verhalten zur
                              									Baumwollfaser die für das Thiocarmin bewiesene Reactionsfähigkeit der Amidogruppe in
                              									Folge der Gegenwart der Sulfogruppe nicht erkennen lassen. In der That gelingt es
                              									auf die für Thiocarmin angegebene Weise Säurefuchsin, Säureviolett und Säuregrün,
                              									besonders die beiden letztgenannten, in sehr befriedigender Weise auf Baumwolle zu
                              										färben.Es empfiehlt
                                    											sich bei Anwendung des Verfahrens für Säureviolett und Säuregrün, mit dem
                                    											Garn in das Farbebad kalt einzugehen, die Temperatur des Bades langsam
                                    											auf 80° C. zu bringen und sodann in kleinen Portionen das Chlorbarium
                                    											zuzusetzen. Auf diese Weise ist es möglich, die Flotte von Anfang bis zu
                                    											Ende der Operation völlig klar zu erhalten und dieselbe gänzlich
                                    											auszuziehen.
                           Mässig concentrirte Lösungen von Säureviolett und Säuregrün lassen sich durch
                              									Chlorbarium fast vollständig als Barytlacke fällen. Vergleicht man die Nuance dieser
                              									Lacke mit der Nuance der mit diesen Farbstoffen wie oben vorgeschrieben erzeugten
                              									Baumwollfärbungen oder auch der Wollfärbungen, so macht man sofort die auffallende
                              									Wahrnehmung, dass der Säureviolettbarytlack viel röther, der Säuregrünbarytlack viel
                              									blauer ist als jene Textilfärbungen. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus,
                              									dass die erwähnten Nuancenunterschiede dieselben sind, wie zwischen den im ersten
                              									Theil dieser Untersuchungen beschriebenen „Disassociationslacken“ und den
                              									entsprechenden normalen Tanninlacken. Fügt man nun zu jenen Barytlacken Tannin, so
                              									ändert sich die Farbe des stumpf rothstichigen Violettbarytlackes sofort in ein
                              									feuriges Blauviolett, die des stumpf blaustichigen Grünbarytlackes in ein äusserst
                              									intensives und feuriges Reingrün. Das heisst also, dass der Barytlack einer
                              									sulfosauren Farbbase sich genau wie ein nur mechanisch fixirter basischer Farbstoff
                              									verhält und nicht als ein normaler Lack, in welchen er thatsächlich erst in
                              									Gegenwart von Tannin und unter Bindung desselben übergeht. In klarster Weise zeigt
                              									uns diese Beobachtung zusammen mit den vorhergehenden, warum die sulfosauren Salze
                              									basischer Farbstoffe trotz ihrer in so unzweideutiger Weise fortexistirenden
                              									Basennatur von tannirter Baumwolle nicht ohne weiteres fixirt werden. Der Grund
                              									liegt in der merkwürdigen Doppelnatur der Lacke dieser Farbstoffe, deren Erzeugung
                              									auf der Faser nur möglich ist, wenn die beiden im antagonistischen Sinne
                              									lackbildenden Gruppen dieser Farbstoffe gleichzeitig der Lackbildung unterliegen,
                              									eine Bedingung, der wir genügen, indem wir die tannirte Baumwolle in einer Lösung
                              									des Barytsalzes (Barytlack) ausfärben. Oberflächlich betrachtet, scheint diese
                              									Auslegung des in Frage stehenden Färbe- bezieh. Lackbildungsprocesses durchaus im
                              									Widerspruch zu stehen mit dem Process der Färberei dieser Farbstoffe auf Wolle. Hier
                              									scheint die Fixirung des Farbstoffes lediglich auf einer Lackbildung zu beruhen, die
                              									chemisch als eine Salzbildung der sulfosauren Farbbase mit der Amidogruppe der Knecht'schen Lanuginsäure zu betrachten ist. Zur
                              									Entscheidung dieses wichtigen Punktes wurden zwei Wollstränge gleichzeitig in einem
                              									sauren Bade von Säureviolett ausgefärbt und nach dem Waschen wurde einer der beiden
                              									Stränge während 15 Minuten in einer 70° C. heissen 1procentigen Tanninlösung
                              									behandelt. Nach sorgfältigem Waschen wurden die beiden Stränge zusammen getrocknet.
                              									Es zeigt sich, dass bei dieser Behandlung Tannin von dem Farbstoffe aufgenommen
                              									wird, dies ist indessen mit einer nicht unwesentlichen Schwächung der Nuance
                              									verknüpft, die gleichzeitig einen etwas blaueren, aber auch trüberen Ton aufweist
                              									als der nicht mit Tannin behandelte Strang. Die tannirte Färbung hat ferner nicht
                              									unwesentlich an Lichtechtheit eingebüsst. Dies zeigt uns, dass ein
                              									Lanuginsäuretanninlack durchaus ungünstige Eigenschaften hat. Eine experimentelle
                              									Erklärung hierfür zu finden, ist mir noch nicht gelungen; von einer rein
                              									speculativen Erläuterung obiger Beobachtung nehme ich Abstand, da eine solche zu keinen irgendwie
                              									wesentlichen Schlüssen führt. Ich will aber nicht unterlassen, wenigstens die
                              									Richtung anzudeuten, in der eine Erklärung zu suchen sein wird. Knecht's Lanuginsäure ist eine Amidosäure, die oben
                              									genannten Farbstoffe können wir passend als Sulfoamidosäuren bezeichnen, und nach
                              									dem über die Theorie der Baumwollfärberei mit jenen Säurefarbstoffen Gesagten ist es
                              									sehr wahrscheinlich, dass zunächst die Sulfogruppe des Farbstoffes mit der
                              									Amidogruppe der Lanuginsäure sich zu einem Farblack verbindet, wodurch, wie an
                              									erwähnter Stelle gezeigt wurde, die basische Natur der Amidogruppe des
                              									Säurefarbstoffes wieder stark hervortritt, so dass es als höchst wahrscheinlich
                              									betrachtet werden muss, dass diese Amidogruppe mit der Carboxylgruppe der
                              									Lanuginsäure ebenfalls der Lackbildung unterliegt, so dass auch in diesem Falle ein
                              									unzweifelhafter Doppellack vorliegt.
                           Ich glaube, dass es mir in Vorstehendem gelungen ist, eine erschöpfende Erklärung des
                              									Vorganges der Lackbildung aus den sulfonirten Farbbasen zu geben, die vortheilhafter
                              									Nutzanwendung sowohl in der Farblackfabrikation, als auch in gewissen Fällen der
                              									Baumwollfärberei fähig ist. Es muss indessen hervorgehoben werden, dass die bisher
                              									betrachteten Farbstoffe Sulfosäuren solcher Farbbasen sind, welche mit Salzsäure
                              									leicht wasserlösliche Salze bilden. Wir haben aber unter den Azofarbstoffen eine
                              									Anzahl von Producten, die als Sulfosäuren der ebenfalls basischen Amidoazokörper zu
                              									betrachten sind. Nur sehr wenige Amidoazofarbstoffe sind im Stande, genügend
                              									wasserlösliche Salze zu bilden, so dass sie direct als basische Farbstoffe gefärbt
                              									werden können. Bismarckbraun, Chrysoidin und Catechubraun sind die einzigen
                              									Farbstoffe dieser Art, alle übrigen sind nur dann praktisch anwendbar, wenn sie die
                              									wasserlöslich machende Sulfogruppe ein oder mehrere Male enthalten. Durch den
                              									Eintritt dieser Gruppe verlieren aber die Amidoazofarbstoffe ihren basischen
                              									Charakter fast gänzlich und sind dann wesentlich Säurefarbstoffe. Zwar lässt sich
                              									durch Lackbildung in der Sulfogruppe solcher Farbstoffe die Basennatur der
                              									Amidoazoverbindung wieder zum Vorschein bringen und zur Lackbildung mit Tannin
                              									befähigen, aber doch nur in unverkennbar geringerem Grade, als ich oben für die
                              									sulfonirten Triphenylmethan- und Thiazinbasen gezeigt habe. Der Grund dieser
                              									Erscheinung ist sicherlich in dem Umstände zu suchen, dass die in Frage kommenden
                              									Amidoazoverbindungen an und für sich schon sehr schwache Basen sind. Trotzdem aber
                              									zeigt sich, dass auch die Sulfosäuren dieser sehr schwachen Basen auf die früher
                              									gezeigte Weise sich auf tannirte Baumwolle färben lassen, wie sich bei
                              									Färbeversuchen mit Bayer's Wollschwarz (Natronsalz des
                              										Amidoazobenzoldisulfosäureazo-p-Tolyl-β-Naphtylamin) und Cassella's Naphtylaminschwarz
                              									D (Natronsalz des Naphtylamindisulfosäureazo-α-Naphtylaminazo-α Naphtylamin) in
                              									deutlichster Weise zeigte. Die Demonstration der Integrität der Amidogruppe in
                              									diesen Säurefarbstoffen durch Ausfärbung derselben auf tannirte Baumwolle wird ganz
                              									wesentlich erschwert durch den Umstand, dass die Barytlacke dieser Farbstoffe selbst
                              									in kochendem Wasser nur spuren weise löslich sind, wodurch deren Aufgeben auf die
                              									tannirte Baumwolle in hohem Grade erschwert wird. In Anbetracht des grossen
                              									technischen Interesses dieses Gegenstandes besonders für die Baumwollfärberei
                              									bemühte ich mich, obengenannte schwarze Säurefarbstoffe in solche Lacke
                              									überzuführen, welche in verdünnten kochenden Bädern löslich genug sind, um mit
                              									Aussicht auf Erfolg auf tannirte Baumwolle gefärbt zu werden. Leider ist mir aber
                              									bis jetzt nicht gelungen, eine geeignete Base ausfindig zu machen, da zwar mehrere
                              									organische BasenBesonders
                                    											Tolidin. mit den vorgenannten Farbstoffen Lacke bilden, die in
                              									kochendem Wasser mehr oder weniger vollkommen löslich sind, jedoch unter keinen
                              									Umständen tannirte Baumwolle mehr als tiefgrau anfärben. Der Ton der so erzielbaren
                              									Graue ist sehr schön, die Echtheit aber kaum genügend.
                           Aus den vorstehenden Auseinandersetzungen ergibt sich die für alle
                              									Amidosulfofarbstoffe geltende Regel, dass zur Erzielung der besten Resultate mit
                              									diesen Farbstoffen sowohl die Sulfo- als auch die lackbildungsfähige basische
                              									Amidogruppe der Lackbildung unterliegen müssen, um die bestmöglichen Lacke aus den
                              									betreffenden Farbstoffen zu erzielen, d.h. Lacke, die sowohl das Maximum der
                              									erreichbaren Farbstärke, als auch Lichtechtheit darstellen. Es kann keinem Zweifel
                              									unterliegen, dass im Allgemeinen die Lackfällung in der Sulfogruppe am besten mit
                              									Hilfe der Bariumsalze bewirkt wird, und diese sind auch das zu diesem Zwecke fast
                              									ausschliesslich angewandte Fällungsmittel. Es ist aber wohlbekannt, dass die Fällung
                              									der Amidosulfofarbstoffe mit Bariumsalzen häufig sehr viel zu wünschen übrig lässt,
                              									und es steht deren Unvollständigkeit in directem Verhältniss zu der Stärke der
                              									sulfonirten Farbbasen und ist eine directe Folge der nach Lackbildung in der
                              									Sulfogruppe wieder hervortretenden basischen Natur des Farbstoffes, wie oben gezeigt
                              									wurde. Sobald nach erfolgter Barytfällung, ohne Rücksicht auf den Grad der
                              									Vollständigkeit derselben, zur Lackbildung in der Amidogruppe mit Hilfe von Tannin
                              									geschritten wird, findet man in jedem Falle zunächst, dass aller Farbstoff nunmehr
                              									vollständig fixirt ist, und man bemerkt stets ausnahmslos, dass der Lack nicht nur
                              									unvergleichlich in Schönheit; sondern auch in Farbstärke zugenommen hat. In welcher
                              									Weise sich diese Verhältnisse für das Färben der Säurefarbstoffe auf Baumwolle
                              									verwenden lassen, habe ich ebenfalls oben ausführlich gezeigt. Ob und inwieweit
                              									diese Beobachtung praktischer Anwendung fähig ist, lasse ich vorläufig
                              									dahingestellt.
                           Das oben Gesagte ist auch für die sulfonirten Amidoazofarbstoffe gültig, obgleich bei
                              									diesen die vortheilhafte Wirkung der geschilderten doppelten Lackbildung bei weitem
                              									nicht so auffällig ist, als beispielsweise bei den sulfonirten Farbstoffen der
                              									Triphenylmethangruppe. Der Grund hiervon ist, wie bereits früher bemerkt, in der so
                              									sehr schwachen Basennatur der meisten Sulfoamidoazofarbstoffe zu suchen.
                           Ungenügend oder vielmehr nicht zu einem befriedigenden Lack führend ist dieses
                              									Princip der doppelten Lackfällung in den, übrigens seltenen Fällen, wo der
                              									Sulfofarbstoff ausser der Amidogruppe auch noch Phenolhydroxyle enthält. Ein solcher
                              									Farbstoff ist Patentblau extra BN von Meister, Lucius und
                                 										Brüning. Dessen Constitutionsformel ist:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 190
                              
                           
                           Von diesem Farbstoff unterscheidet sich das
                              									Helvetiagrün
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 191
                              
                           wesentlich nur durch die Abwesenheit des Phenolhydroxyls. Fügt
                              									man zur Lösung von 1 Mol. Helvetiagrün Chlorbarium, so tritt in der Kälte partielle
                              									Fällung ein, bei darauffolgendem Erhitzen aber löst sich alles wieder auf; fügt man
                              									nun zu der heissen klaren Lösung des Barytlackes 1 Mol. Tannin, so tritt sofort
                              									absolut vollständige Fällung ein. Wendet man genau dasselbe Verfahren auf Patentblau
                              									an, so erhält man zunächst, selbst bei Fällung in der Kälte, keine Ausscheidung von
                              									Barytlack, auf Zusatz des Tannins tritt eine sehr geringe Fällung ein, noch nicht 5
                              									Proc. der zu erwartenden Totalfällung, der Farbstoff ist also unter diesen Umständen
                              									praktisch unfällbar, und der Grund der Erscheinung muss offenbar in der
                              									Phenylhydroxylgruppe liegen, die nicht im Stande ist, dem Chlorbarium Baryt unter
                              									Bildung eines Lackes zu entziehen und Tannin überhaupt nicht zu binden vermag. Um
                              									diesen Farbstoff zu fällen, muss auch dem Phenolhydroxyl, der dritten lackbildenden
                              									Gruppe des Farbstoffmoleküls, Rechnung getragen werden. Dies geschieht, indem wir 1
                              									Mol. des Farbstoffes mit 1 Mol. Chlorbarium, 1 Mol. Tannin und ½ Mol. Barythydrat
                              									fällen. Letzteres bewirkt dann die Lackbildung in der Phenolhydroxylgruppe. An
                              									Stelle von Barythydrat kann auch eine Lösung von Bleioxyd in Glycerin oder basisch
                              									essigsaurem Blei angewendet werden. Diese Art von Farbstoffen ist also die einzige,
                              									bei der die weiter oben als im Allgemeinen unrichtig bezeichnete Lackfällung mit
                              									basisch essigsaurem Blei legitime Anwendung findet.
                           Es ist selbstverständlich, dass der Versuch, diese beiden Farbstoffe auf tannirte
                              									Baumwolle zu färben, genau dieselben Erscheinungen aufweist. Helvetiagrün färbt
                              									unter Zusatz von Chlorbarium tannirte Baumwolle feurig grün, das Farbbad wird völlig
                              									ausgezogen. Unter denselben Bedingungen färbt Patentblau die Baumwolle matt blau,
                              									und die Färbung ist so unecht, dass sie nicht das Trocknen des Stranges aushält.
                              									Fügt man dem Farbbade aber ausser Chlorbarium auch noch Barythydrat im
                              									erforderlichen Verhältniss zu, so färbt sich die tannirte Baumwolle tief dunkelblau,
                              									das Bad wird zum grössten Theil ausgezogen und die Färbung ist von massig guter
                              									Echtheit. Es ist aber wohl kaum nöthig zu sagen, dass, so interessant ein solcher
                              									Tripellack vom theoretischen Standpunkte aus erscheinen mag, dessen praktische
                              									Darstellung durchaus nichts Verlockendes bietet. Ganz allgemein müssen wir aus den
                              									vorstehenden Auseinandersetzungen über die Lackfällung amidosulfosaurer Farbstoffe
                              									zu dem Resultat kommen, dass dieselben sich nur sehr selten vortheilhaft auf Lacke
                              									verarbeiten lassen, obgleich ich nicht unerwähnt lassen will, dass diese Lacke fast
                              									ausnahmslos keinen Farbstoff an Alkohol abgeben, in Folge dessen sie sich für Zwecke
                              									des feinen lithographischen Farbendruckes gut eignen, besonders auch, da sie sich
                              									meistens durch grosse Schönheit der Nuance auszeichnen.
                           Die im Vorstehenden unzeifelhaft festgestellte Thatsache, dass, wo in einem Farbstoff
                              									neben der Sulfogruppe eine zweite salz- bezieh. lackbildende Gruppe zugegen ist, wir
                              									den lackbildenden Eigenschaften beider Gruppen Rechnung zu tragen haben, finden wir
                              									weiter bei Untersuchung der Farbstoffe, welche der Gruppe der
                              									Orthodihydroxylsulfosäuren angehören,
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 191
                              
                           bestätigt. Als typischen Farbstoff dieser Klasse können wir
                              									das Alizarin S (Alizarinsulfosäure)
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 191
                              
                           betrachten. Dasselbe enthält die Sulfo- und die
                              									Orthodihydroxylgruppe. Beide Gruppen haben wir bereits als hervorragende Lackbildner
                              									kennen gelernt, und dementsprechend finden wir, dass sich dieser Farbstoff ganz
                              									analog dem Thiocarmin und ähnlichen sulfonirten basischen Farbstoffen verhält. Fügen
                              									wir zu einer massig verdünnten Lösung von Alizarin S Chlorbarium, so erhalten wir
                              									einen schmutzig orangebraunen Niederschlag, den Barytlack des Farbstoffes. Beim
                              									Erhitzen löst sich derselbe vollständig auf und ist derselbe als Lack deshalb und
                              									wegen seiner hässlichen Nuance ganz werthlos. Fügen wir zu einer Lösung von Alizarin
                              									S eine Lösung eines Thonerdesalzes und neutralisiren wir sodann mit Ammoniak, so
                              									erhalten wir einen feurig carminrothen Niederschlag, den Thonerdelack des
                              									Farbstoffes, durch Lackbildung in der Hydroxylgruppe. Die Sulfogruppe bleibt bei
                              									dieser Lackfällung unbetheiligt, was aus dem Umstände hervorgeht, dass der Lack
                              									stets noch erhebliche Mengen von Natrium enthält. Fügen wir aber zu dem Farbstoffe
                              									eine Lösung von Chlorbarium und essigsaurer Thonerde, so erhalten wir sofort einen
                              									lebhaft scharlachrothen Niederschlag, der in Wasser und verdünnten organischen
                              									Säuren, ebenso in verdünnten Alkalien weder im geringsten löslich ist, noch blutet,
                              									und der in Echtheit hinter den Alizarinlacken nur wenig zurücksteht. Es kann keinem
                              									Zweifel unterliegen, dass dieses günstige Resultat dem Umstände zugeschrieben werden
                              									muss, dass beide lackbildende Gruppen im Alizarin S zur Lackbildung herangezogen
                              									wurden.
                           Das Verhalten der sulfonirten Chinoximfarbstoffe
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 289, S. 191
                              
                           von denen nur ein einziger, das Naphtolgrün,
                           
                              
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                           im Handel vorkommt, ist in seinem Verhalten ganz analog den
                              									soeben behandelten Farbstoffen. Die sulfonirten Chinoximfarbstoffe enthalten zwei
                              									kräftige lackbildende Gruppen, die Chinoximgruppe und die Sulfogruppe. Lackbildung
                              									in der Sulfogruppe allein führt nur zu ganz werthlosen braunen Lacken und ein Grün
                              									lässt sich nur durch Lackbildung mit Eisenoxydul in der Chinoximgruppe erhalten. Der
                              									Lack bildet sich, sobald wir zu einer Lösung des obigen Farbstoffes ein
                              									Eisenoxydulsalz fügen. Es bildet sich sofort die Verbindung
                           
                              
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                           dieselbe ist aber mit grösster Leichtigkeit in Wasser
                              									löslich, es erfolgt daher kein Niederschlag, sondern die braune Lösung färbt sich
                              									nur prachtvoll dunkelgrün. Thatsächlich wird der Farbstoff in dieser Form eines
                              									partiellen Lackes in den Handel gebracht,Cassella's Naphtolgrün B. und es ist dies das einzige Beispiel eines als
                              									Textilfarbstoff in Lackform verkauften Productes. Das Beispiel dieses interessanten
                              									Farbstoffes gibt aber auch zugleich eine gute Illustration der Unbeständigkeit
                              									dieser Halblacke, ein Punkt, auf den ich bereits oben aufmerksam machte. Schon bei
                              									der Aufbewahrung im trockenen Zustande tritt nach und nach Zersetzung dieses
                              									Halblackes in den eigentlichen Farbstoff und Eisenoxyd ein. Ob die Ursache dieser
                              									Zersetzung ursprünglich in der Unvollständigkeit der Lackbildung oder in der
                              									Oxydation des Eisenoxyduls zu suchen ist, bleibt nebensächlich. Sobald die
                              									Lackbildung nämlich vervollständigt wird, sei es durch Ausfärbung des Halblackes auf
                              									Wolle (Lanuginsäureeisenlack) oder durch Lackfällung in der Sulfogruppe, am besten
                              									mit basisch essigsaurem Blei,In diesem
                                    											Falle ist bas. essigs. Blei das einzige Mittel zur vollständigen Fällung des
                                    											Farbstoffes, Chlorbarium ist ganz unzureichend. scheidet sich der
                              									gesammte Farbstoff als absolut unlöslicher Doppellack ab, dessen enorme Luft- und
                              									Lichtechtheit nur von wenigen Alizarinfarbstoffen übertroffen wird.
                           Farbstoffe, welche neben der Sulfogruppe noch die Carboxylgruppe enthalten, müssen
                              									aus wiederholt angegebenen Gründen auch noch Hydroxyl- oder Amidogruppen, oder die
                              									Chinoximgruppe enthalten. Derartige Farbstoffe gibt es nur sehr wenige und gehören
                              									dieselben meistens der Gruppe der gemischten Tetrazofarbstoffe an, wie
                              									beispielsweise Diaminechtroth
                           
                              
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                           Nach dem oben Gesagten kann über die Anzahl der in die
                              									Lackbildung einzubeziehenden Gruppen in diesem Farbstoff kein Zweifel mehr sein. Wir
                              									wissen zunächst sicher, dass die Sulfogruppe, die Orthooxycarboxylgruppe
                              										\left\{{{\mbox{CO.OH}}\atop{\mbox{OH}\ \ \ \ \ }} Lackbildung
                              									verlangen. Ebenso bestimmt wissen wir, dass die im Amidonaphtolsulfosäurerest
                              									vorhandene Hydroxylgruppe keine lackbildenden Eigenschaften mehr besitzen kann. Wir
                              									haben demnach nur noch bezüglich der Amidogruppe zu entscheiden. Beim Vergleich des
                              									Farbstoffes mit Amidoazofarbstoffen von ähnlicher Molekulargrösse finden wir, dass
                              									in solchen die Amidogruppe ihre Salz- bezieh. Lackbildungsfähigkeit vollständig
                              									verloren hat, so dass wir die Amidogruppe des obigen Farbstoffes als ebenfalls nicht
                              									lackbildungsfähig betrachten müssen, eine Voraussetzung, die durch ein Experiment in
                              									dieser Richtung vollauf bestätigt wird.
                           Im Vorstehenden haben wir das ganze Gebiet der lackbildenden Farbstoffe behandelt und
                              									ich glaube, dass verschiedene der eröffneten neuen Gesichtspunkte Mittel an die Hand
                              									geben, die Verfahren zur Darstellung der Farblacke in rationeller Weise zu
                              									gestalten. Auf Nutzanwendungen im Gebiete der Färberei hinzuweisen, habe ich
                              									unterlassen, vor allem, um die Arbeit nicht ungebührlich auszudehnen. Da aber die
                              									Färberei nur ein specieller Fall der Lackbildung ist, so muss es einleuchten; dass
                              									die Resultate, zu denen wir gelangten, auch auf dem Gebiete der Färberei direct
                              									anwendbar sein müssen. In diesem Bestreben wird auch der etwas phantastischen Witt'schen „Lösungshypothese“ der ihr
                              									gebührende, sehr eng begrenzte Standpunkt angewiesen werden.