| Titel: | Bemerkungen über neue Kriegswaffen. | 
| Fundstelle: | Band 291, Jahrgang 1894, S. 50 | 
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                        Bemerkungen über neue
                           								Kriegswaffen.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 25 d.
                           								Bd.)
                        Bemerkungen über neue Kriegswaffen.
                        
                     
                        
                           Küsten- und Schiffsgeschütze.
                           
                              
                                 Die schwersten
                                    											Schiffsgeschütze.
                                 
                              Der Untergang des englischen Schlachtschiffes erster Klasse Victoria hat in Europa zur Zeit jeden Gedanken an
                                 										neue Schiffsgeschütze, welche ebenso schwer oder schwerer als die bisherigen
                                 										sind, zum Verstummen gebracht, nachdem schon vorher schlimme Erfahrungen mit
                                 										diesen Geschützen, die sich beim Schiessen verbogen und aufrissen, gemacht
                                 										worden waren. Durch ihre Schwere und ihre hohe Lage über dem Wasser hatten die
                                 										110,5 t-Geschütze (41,25 cm) mit ihren Panzerthürmen den Schwerpunkt des
                                 										Schiffes so hoch gelegt, dass einige Minuten nach dem Aufreissen einer Seite ein
                                 										Umkippen erfolgte, welches bei weniger schweren Geschützen vielleicht nicht
                                 										stattgefunden hätte oder weniger unheilvoll geworden wäre.
                              Als grösstes Gewicht für schwerste Geschütze scheint man jetzt in England 45 bis
                                 										60 t festgesetzt zu haben, mit einem Geschossdurchmesser bis zu 31 cm. In
                                 										Frankreich scheint das 30 cm-Kaliber als das grösste für neue Schiffsgeschütze
                                 										betrachtet zu werden; in Oesterreich das 24 cm-Kaliber mit 35 bis 45
                                 										Kaliber-Länge. Eines der grössten italienischen Panzerschiffe hat seine beiden
                                 										100 t-Geschütze vertauscht mit zwei von 25 t; die schwersten Geschütze, welche
                                 										diese Marine beibehält, haben 86 t Gewicht.
                              Bei diesen Festsetzungen hatte man noch keine Kenntnisse von den Erfolgen der Brown'schen Kanone. Gelangt diese Construction zur
                                 										Einführung, dann ist auf eine weitere Verminderung des Durchmessers zu
                                 										hoffen.
                              
                           
                              
                                 Das Krupp'sche Riesengeschütz in
                                    											Chicago.
                                 
                              Die Firma Krupp hatte auf der Ausstellung in Chicago
                                 										ein Riesengeschütz aufgestellt, welches die englischen 110,5 t-Geschütze an
                                 										Bohrungsdurchmesser, Länge, Gewicht und Leistung übertrifft. Die Haltbarkeit ist
                                 										dadurch bewiesen, dass das Geschütz nach einer ordentlichen Beschiessung mit elf
                                 										Schuss auf die Ausstellung geschickt und den kritischen Untersuchungen von
                                 										Fachmännern zur Verfügung gestellt werden konnte.
                              Aus der nebenstehenden, nach dem Engineer
                                 										wiedergegebenen Tabelle geht die Ueberlegenheit der Krupp'schen Arbeit über die Armstrong's
                                 										hervor.
                              Da das Geschütz nicht, wie Zeitungen berichteten, der Stadt Chicago geschenkt
                                 										wurde, so wird es vielleicht noch zu weiteren Schiessversuchen benutzt werden,
                                 										aus welchen weitere Angaben, z.B. über Leistungen auf grösseren Schussweiten,
                                 										hervorgehen können. Ein kleiner Wermuthstropfen mischt sich aber doch in die
                                 										Freude der deutschen Kanonenfabrik, das grösste und leistungsfähigste
                                 										Geschütz der Welt gebaut zu haben. Es ist auch hier wieder die grosse Länge des
                                 										Theiles unangenehm, den der Verschluss vom Rohre für sich in Anspruch nimmt. Der
                                 										Abstand der Vorderfläche des Verschlusses bis zur hinteren Rohrfläche beträgt
                                 										beim Krupp'schen Geschütz mit Keilverschluss 9,5
                                 										Proc., beim englischen Geschütz mit Schraubenverschluss nur 8,2 Proc. der vor
                                 										dem Verschlusse liegenden Bohrung. Es muss doch vermuthet werden, dass beim Krupp'schen Rohr die vordere Verschlussfläche um
                                 										mindestens 10 cm hätte zurückgerückt werden können, wenn der Verschluss ein
                                 										Schraubenverschluss gewesen wäre, die Ueberlegenheit an lebendiger Kraft des
                                 										Geschosses wäre dadurch eine grössere geworden.
                              
                                 
                                    
                                    Krupp'sches42 cm-Geschütz
                                    Englisches110,5 t-Geschütz(41,25
                                       												cm)
                                    
                                 
                                    Bohrungsdurchmesser (Kaliber), Zoll engl.
                                      16,54
                                    16,25
                                    
                                 
                                    Gewicht, Tonnen engl.
                                    120,46
                                    110,5
                                    
                                 
                                    Ganze Länge des Rohres, Fuss engl.
                                      45,93
                                    43,67
                                    
                                 
                                    Länge der Bohrung vor dem
                                       												Ver-    schluss, Fuss engl.
                                      41,66
                                    44,06
                                    
                                 
                                    Lebendige Kraft des Geschosses an der    Mündung,
                                       												Fuss-Tonnen engl.
                                    60003
                                    54390(mit der
                                       												Ge-brauchsladung)
                                    
                                 
                                    
                                    
                                    57630(mit der Ladung,welche
                                       												Rohrver-letzungen her-beiführte)
                                    
                                 
                                    
                                    
                                    61190(vor dem erstenSchusse
                                       												ge-schätzt, abernicht erreicht)
                                    
                                 
                                    Lebendige Kraft Fuss-Tonnen für 1
                                       												tRohrgewicht
                                    498
                                    492
                                    
                                 
                              
                           
                              
                                 Dynamitgeschütze.
                                 
                              Es ist vielleicht nöthig, ein Geschütz zu erwähnen, welches in Amerika viel von
                                 										sich reden macht, in Europa, ausser in England, aber nicht viel Beachtung
                                 										findet. Es ist das sogen. Dynamitgeschütz (Pneumatische Kanone); es besitzt ein
                                 										langes Rohr, welches durch Einwirkung von zusammengepresster Luft ein mit einer
                                 										sehr grossen Dynamitladung gefülltes, 9 Durchmesser langes, Geschoss vorwärts
                                 										treiben kann. Die neuesten veröffentlichten Treffergebnisse auf 3300 m sind ganz
                                 										gut; das Widerstreben gegen die Einführung dieser Kanone in Europa hängt
                                 										vielleicht mit der Beschaffung der Triebkraft zusammen. Bei der Verwendung von
                                 										Pulver hat man keinen grossen Raum, keine grossen Maschinerien, Röhren und
                                 										Behälter nöthig, um diese Triebkraft zu erzeugen, wie bei der Dynamitkanone mit
                                 										Luftdruck. Da man in neuerer Zeit gelernt hat, durch Pulver auch aus
                                 										gewöhnlichen Geschützen Geschosse zu verschiessen, welche mit grossen Massen von
                                 										Sprengstoff gefüllt sind und dabei mehr Durchschlagskraft besitzen als die
                                 										Geschosse der Dynamitkanonen, so fällt ein Hauptbeweggrund weg, der für die
                                 										Einführung derselben in Amerika maassgebend gewesen war.
                              
                           
                        
                           Ermittelung der Kraftäusserung des Pulvers.
                           
                              
                                 Verschiedene Apparate.
                                 
                              Im 10. Heft der Mittheil. über Gegenst. des Art.- und
                                    											Gen.-Wesens ist eine Zusammenstellung von neueren und älteren Apparaten
                                 										gegeben, welche zur Ermittelung der Wirkung der 'Pulvergase dienen können; mit
                                 										Rücksicht auf die Wichtigkeit solcher Ermittelungen sei hier die Wiedergabe
                                 										eines kurzen Auszuges gestattet.
                              Es gibt besondere Apparate zum Messen der Gasdrücke eines Pulvers. Sie bestehen
                                 										aus einem Hohlraum, der einen mit wenig Spielraum nach aussen verschiebbaren
                                 										Boden (Stempel) hat. Wird eine bestimmte Pulvermenge in dem Raume verbrannt, so
                                 										wird dieser Boden (Stempel) herausgetrieben. Aus der Strecke, die er zurücklegt,
                                 										oder aus dem Drucke, mit welchem er gegen Federn oder gegen Lasten von
                                 										bestimmter Grösse wirkt, lässt sich dann auf die Kraftäusserung der verbrannten
                                 										Pulvermasse schliessen (manometrische Wagen, Accelerometer).
                              Bringt man senkrecht auf der Aussenseite des Stempels eine Tafel an, auf welcher
                                 										ein Stift eine gerade Linie quer zur Bewegungsrichtung andeuten kann, so wird
                                 										letzterer eine berechenbare Curve verzeichnen, wenn er eine gleichförmige
                                 										Bewegung während des Herausfliegens des Stempels ausführt. Aus der gezeichneten
                                 										Curve lässt sich die Beschleunigung berechnen, welche der Stempel an jedem Orte
                                 										hatte (Accelerograph).
                              Es kann auch der bewegliche Stempel gegen einen zu stauchenden Kupfercylinder
                                 										drücken und gleichzeitig mit einer Stimmgabel parallel der Druckrichtung
                                 										versehen werden. Befindet sich an jedem Stimmgabelende ein Schreibstift, der auf
                                 										einer feststehenden Tafel eine Linie verzeichnen kann, so werden sich zwei
                                 										Curven ergeben, wenn die Stimmgabel beim Losbrennen der Pulverladung in Bewegung
                                 										gesetzt war (der Schuss selbst kann das z.B. durch Herausreissen eines zwischen
                                 										die Zinken gesteckten Keiles verursachen). Aus den mikroskopisch
                                 										festzustellenden Curven lassen sich dann wieder die Kraftäusserungen des Pulvers
                                 										für jeden Ort berechnen. Ein ähnlicher Apparat lässt sich auch zu Bestimmungen
                                 										in Waffen verwerthen (Stauchapparat mit Registrirvorrichtung).
                              Der Rücklauf einer ganzen Waffe, eines blossen Geschützrohres oder eines blossen
                                 										Gewehrlaufes wird auch zur Bestimmung der Kraftäusserung des Pulvers gebraucht.
                                 										– Auf einem Rohre, dessen Rücklauf wenig behindert ist, wird ein Blechstreifen
                                 										befestigt, der durch einen Lacküberzug beschreibbar gemacht worden ist;
                                 										gegenüber demselben wird eine Stimmgabel mit den Zinken parallel zur Rohrachse
                                 										angebracht; auf jedem Zinken ist ein Schreibstift befestigt, der den Streifen
                                 										berührt. Wird nun ein Schuss im Rohre losgelassen, während die Stimmgabel
                                 										schwingt, so werden auf dem mit dem Rohre zurückfliegenden Blechstreifen zwei
                                 										Curven gebildet, aus welchen sich dann wieder die Kraftäusserungen des Pulvers
                                 										im Rohre ermitteln lassen (Velocimeter). (Das Ingangsetzen der Stimmgabel durch
                                 										den Schuss oder durch Elektricität, sowie der vollständige Inhalt des
                                 										interessanten Artikels der Mittheilungen können hier leider nicht wiedergegeben
                                 										werden.)
                              
                           
                              
                                 Messen von Gasspannungen in
                                    											Gewehren.
                                 
                              Das sogen. Messen von Gasspannungen in Gewehren ist bereits früher besprochen
                                 										worden (1893 288 27). Die Mittheilungen der deutschen Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen
                                 										bringen October 1893 Angaben über derartige Messungen bei Schrotladungen, aus
                                 										welchen sich die Richtigkeit des früheren absprechenden Urtheils als ganz
                                 										begründet herausstellt. In einem besonderen, einem Flintenlaufe nachgebildeten
                                 										Apparate konnte die stauchende Wirkung des Bodens einer Schrotpatrone gemessen
                                 										werden und gleichzeitig die Kraftäusserung des Pulvers auf einen dicht vor der
                                 										Patrone angebrachten Stauchcylinder (1893 288 27 Fig. 1b und 1a). –
                                 										Bei einer Serie von fünf Bodendrücken schwankte die Grösse der gemessenen (sogen.) Atmosphären zwischen 347 und 567, trotzdem die gleichzeitig vor
                                 										der Mündung gemessene Geschwindigkeit der Schrotladung „ziemlich
                                    											dieselbe“ war. Wenn schon in einem Geschütze Unterschiede der
                                 										Gasspannungen von 200 at bei einem Schusse von einem Gesammtdrucke von 2600 at
                                 										als „gross“ betrachtet wurden, so dürften die obigen Zahlen ein geradezu
                                 										vernichtendes Urtheil über die Messmethode bedeuten.
                              Die Messungen an der Seite des Laufes, vor der
                                 										Patrone, waren schon früher (1893 288 17) als
                                 										gänzlich verfehlt betrachtet worden, nach einer Ansicht waren sie zu gross, nach
                                 										einer anderen zu klein. Die Mittheilungen der Versuchsanstalt beweisen
                                 										schlagend, dass jede der beiden Ansichten eine Berechtigung hat, dass aber eine
                                 										richtige Messung demzufolge ganz undenkbar ist. Die am schnellsten verbrennenden
                                 										Pulver haben in der Patrone einen höheren Druck als
                                 											dicht vor der Patrone, bei den langsam
                                 										verbrennenden ist meist das Umgekehrte der Fall, jedoch nicht immer. Es fehlt
                                 										also jedes Princip in der Messung, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil einmal
                                 										Drücke mit Geschwindigkeiten (dynamische Grössen), das andere Mal eine Zeitlang
                                 										ruhende Spannungen (statische Grössen) sich äussern.
                              Ganz besondere Druckunterschiede ruft die Festigkeit hervor, mit welcher die
                                 										Geschosse durch den vorderen Patronenrand umschlossen werden. Dann scheint die
                                 										Beschaffenheit der Hülse selber die Grösse des Gasdruckes zu beeinflussen. Bei
                                 										einigen Pulversorten hatten Metallhülsen höhere Drücke, bei einer anderen
                                 										Papphülsen.
                              Gerade der Einfluss der Hülsen dürfte deshalb so gross sein, weil die Pulvergase
                                 										die Hülsen wände aus einander dehnen und gegen die Laufwand drücken; je fester
                                 										dieses Andrücken erfolgt, um so mehr wird die Bewegung der Hülse nach hinten,
                                 										also auch der Bodendruck, vermindert.
                              Es ist sehr wohl möglich, dass bei einer sehr
                                    											elastischen Patrone trotz einer sehr
                                    											heftig wirkenden Pulverladung die kleinsten Gasdrücke gemessen werden (wenn man den
                                 											„Bodendruck der Patronenhülse“ überhaupt für identisch mit
                                 											„Gasdruck“ hält).
                              Wenn Jemand in die Patronenhülse auf den Amboss für das Zündhütchen ein Röhrchen
                                 										mit besonderem Pulver setzt und dann die Patronenhülse mit Gebrauchspulver
                                 										füllt, so wird eine ganz eigenartige Verbrennung stattfinden, bei welcher der vordere
                                 										Rand ganz anders gegen den Lauf gedrückt wird als bei einer gewöhnlichen
                                 										Patrone; der Bodendruck wird vielleicht ein viel geringerer werden und der mit
                                 										ihm für identisch gehaltene Gasdruck ebenfalls. – Ueber eine Gewehrpatrone
                                 											„Marga“ wurden im Jahre 1892 ganz geringe Gasspannungen
                                 										veröffentlicht; diese Patrone hatte die erwähnte Röhrcheneinrichtung; vielleicht
                                 										besteht der ganze Erfolg derselben in der durchaus fehlerhaften Messung der
                                 										sogen. Gasdrücke.
                              Um der Erzeugung von Irrthümern vorzubeugen, dürfte es sich empfehlen, den
                                 										Ausdruck „Gasdruck in Atmosphären“ für diese Messungen in Gewehren fallen
                                 										zu lassen und dafür zu setzen: „Druck des Patronenbodens gegen eine
                                    											Hinterlage“. Man bleibt dann der Wahrheit näher und ist gezwungen, zu
                                 										überlegen, was man denn eigentlich in diesem „Bodendruck“ hat. Besonders
                                 										amerikanische und englische Schriftsteller geben mit einer Sicherheit Gasdrücke
                                 										in Atmosphären an, als ob deren Messung mit dem Stauchapparat dasselbe wäre, wie
                                 										etwa das Gewicht eines Beutels mit Aepfeln, welches mit einer richtigen Wage
                                 										ermittelt wurde. Sie scheinen gar nicht zu berücksichtigen, dass die Gasdrücke
                                 										in Gasometern und Dampfkesseln ganz andere sind als die in Gewehren. In
                                 										Gasometern werden eben ruhende Drücke durch die Manometer gemessen, in Gewehren
                                 										hat man gewisse Drücke, die mit ungeheuren Geschwindigkeiten wirken, aber von
                                 										rechtswegen nicht mit den einfachen Worten „Atmosphären“ bezeichnet
                                 										werden dürften; diese „Kraftgrössen“ werden wahrscheinlich durch die oben
                                 										angegebenen Verfahren wissenschaftlicher ermittelt als durch die
                                 										Stauchapparate.
                              
                           
                              
                                 Ermittelungen durch Schiessen aus
                                    											abgeschnittenen Läufen.
                                 
                              Zur Bestimmung der Kraftäusserung des Pulvers dürfte den oben erwähnten Verfahren
                                 										noch eins hinzuzuzählen sein, welches vielleicht in den Mittheil. über Gegenst. des Art.- und Gen.-Wesens deshalb nicht
                                 										erwähnt wurde, weil es eigentlich keiner besonderen Apparate bedarf. Wenn man
                                 										aus einer Waffe mit einer bestimmten Ladung schiesst und die
                                 										Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses misst, dann ein Stück der Waffe
                                 										abschneidet, mit derselben Ladung wieder schiesst und wieder misst und dies
                                 										Verfahren wiederholt, bis die Waffe so kurz geworden ist, dass sie nicht mehr
                                 										abgeschnitten werden kann, dann hat man eine Reihe von Geschossgeschwindigkeiten
                                 										bekommen, aus denen sich die Beschleunigungen der Geschosse bei verschiedenen
                                 										Lauflängen ergeben. Bei einem schnellbrennenden Pulver erscheinen bei kurzen
                                 										Laufstücken grosse Geschwindigkeiten, bei einem langsam brennenden kleine, bei
                                 										dem letzteren werden aber mit Zunahme der Lauflängen die Geschwindigkeiten
                                 										beträchtlich wachsen, und gerade dies Verhalten will man meistens vom Pulver
                                 										haben. Da heutzutage Läufe sehr billig zu haben sind und
                                 										Anfangsgeschwindigkeiten (oder Durchschlagsgrössen) leicht ermittelt werden
                                 										können, so dürfte die Untersuchung der Kraftäusserungen neuer Pulversorten
                                 										leicht zu bewerkstelligen sein, wenn man zu dem Zwecke vier Läufe derselben Art
                                 										verwendete, von denen drei in verschiedener Länge abgeschnitten sind (der
                                 										Rücklaufsgrössen wegen müsste man sie auf das gleiche Gewicht bringen).
                                 										Vielleicht würde es sich aber dann empfehlen, die Originalmessungen anzugeben,
                                 										nicht etwa die Umrechnungen in Atmosphären, und zwar so lange nicht, bis
                                 										erwiesen wird, dass eine derartige Rechnung alle vorkommenden Umstände
                                 										berücksichtigt hat. – Da wahrscheinlich bei Herstellung vieler Waffen dieses
                                 										oder ein ähnlich empfehlenswertes Verfahren zur Bestimmung der Kraftäusserung
                                 										des Pulvers benutzt wurde, so haben diese Waffen meist eine ganz ausreichend
                                 										begründete Construction; es sind also nicht blosse Phantasiegebilde, was der
                                 										Fall sein würde, wenn sie nach den „Zahlen für Gasdrücke in Atmosphären“
                                 										construirt wären, welche mit Vorliebe von Schriftstellern gebracht werden, die
                                 										mit praktischen ballistischen Ermittelungen nicht vertraut sind.
                              
                           
                        
                           Kenntnisse über Rotation.
                           
                              
                                 Kreisel von Newton and Co. in
                                    											London.
                                 
                              Im J. 1893 hat in Nottingham in England die jährliche grosse Versammlung von
                                 										englischen Naturforschern und Technikern stattgefunden; auf derselben wurden die
                                 										Bewegungen eines nicht in der Cardanischen Aufhängung rotirenden Kreisels
                                 										vorgeführt. Der Kreisel ist in Deutschland längst unter dem Namen
                                 											„Curvenkreisel“ bekannt; er ist glockenförmig und seine untere
                                 										Achsenspitze kann deshalb höher als der Schwerpunkt gestellt werden; wird bei
                                 										dieser Stellung der Kreisel in Drehung versetzt, so vermag die obere Spitze
                                 										Namenszüge und Curven zu beschreiben, wenn sie an ein Metallstück rührt, welches
                                 										in geeigneter Weise über dem unteren Lagerpunkte befestigt ist und solche
                                 										Figuren zeigt. Diese Erscheinungen, welche sogar in der Times Erwähnung gefunden haben, sind zur Zeit wohl nur eine
                                 										Spielerei.
                              Mehr Bedeutung hat es, dass der ausstellende Mechaniker, Newton and Co., 3 Fleet Street, London, die Achse verstellbar gemacht
                                 										hat, so dass die untere Achsenspitze unter den Schwerpunkt geschraubt werden
                                 										kann, wodurch ermöglicht wird, dass dieser „Curvenkreisel“ wie ein ganz
                                 										gewöhnlicher Kreisel arbeitet. Man lässt ihn in einem hohlkugelförmigen Lager
                                 										von Achat laufen; es zeigt dann seine Achse die bekannte Drehung um die
                                 										Senkrechte (Präcession); sie würde auch die Bewegungen zu dieser Linie
                                 										(Entfernung und Annäherung, Nutation) dem Auge sichtbar machen können, wenn der
                                 										Kreisel in einem Punkte ausserhalb der Achse beschwert oder erleichtert würde.
                                 										Aus dieser Thatsache ergibt sich, dass in England ein Interesse an dem
                                 										praktischen Studium der Rotation erweckt worden ist und die „Letters to the
                                    											Editor“ in The Engineer vom Mai bis
                                 										September 1892 haben vielleicht zu diesem Erfolge etwas beigetragen.
                              
                           
                              
                                 Drehung der Kreiselachse um einen
                                    											sogen. „festen Punkt“ oder um den Schwerpunkt.
                                 
                              Es ist nur schlimm, dass bei dem Newton'schen
                                 										Kreisel die untere Spitze in einem begrenzten Lager steht, nicht auch sich frei
                                 										auf einer glatten Ebene bewegen kann. Nach der analytischen Mechanik finden die
                                 										Bewegungen der Kreiselachse um die Senkrechte ebenso wohl statt, wenn eine
                                 										Spitze der Achse feststeht, als wenn diese Spitze frei beweglich ist; in
                                 										ersterem Falle macht dann der Schwerpunkt des Kreisels die langsame Drehung um
                                 										die Senkrechte, in letzterem ruht er vollständig
                                 										(wenn der Luftwiderstand nicht zu kräftig wirkt oder wenn die Unsymmetrie nicht
                                 										stört), und es beschreibt dann häufig der sogen. „feste Punkt“ der
                                 										Kreiselachse grössere Wege als irgend ein anderer Punkt der Achse. (Wenn jemals
                                 										ein Wort zu Täuschungen Veranlassung gegeben hat, so ist es das Wort
                                 											„fester Punkt“; der Ersatz desselben durch ein anderes, wie z.B.
                                 											„Stützpunkt“, welches den Formeln der Mechanik entspricht, dürfte
                                 										vielleicht eine Nothwendigkeit sein.)
                              Der Unterschied der Erscheinungen ist nicht unwichtig. Es ergibt sich das aus dem
                                 										berühmten Werke Siacci's: Balistique extérieure,
                                 										Paris 1892, S. 121 und 122. Dort heisst es etwa, um die Rotation zu betrachten,
                                 										könne man den „Schwerpunkt des Geschosses als fest“ (in Bezug auf die
                                 										Flugbahn) ansehen und dieses Geschoss mit einem Kreisel vergleichen; der einen
                                 											festen Punkt habe, welcher dem Schwerpunkte dieses Geschosses entspreche. Es ist ganz
                                 										unbegreiflich, weshalb der feste Schwerpunkt des Geschosses nicht mit dem festen
                                 										Schwerpunkte eines Kreisels verglichen wird; weshalb also Siacci und sein Bearbeiter Laurent beim Leser nur die lückenhaften Kenntnisse über
                                 										Kreiselbewegung voraussetzen, welche der Londoner Kreisel von Newton and Co. hervorrufen kann. Es wird zwar durch
                                 										den unpraktisch gewählten Vergleich der übrige Inhalt des berühmten Werkes von
                                 											Siacci kaum berührt; aber wahrscheinlich wäre
                                 										Einzelnes anders gestaltet worden, wenn die einfache Kreiselbewegung den
                                 										Verfassern besser bekannt gewesen wäre. Vergleicht man den Schwerpunkt des
                                 										Geschosses mit dem eines Kreisels, ein entsprechendes Stück der Flugbahn des
                                 										ersteren mit der Senkrechten bei letzterem, so lässt sich der Stützpunkt (der
                                 										sogen. feste Punkt) des Kreisels mit dem Angriffspunkt des Luftwiderstandes beim
                                 										Geschosse vergleichen, und daraus ergibt sich eine Anschauung über den Flug
                                 										eines Geschosses, die höchst einfach ist, der analytischen Mechanik nicht
                                 										widerspricht und die vielleicht ganz bedeutende praktische Ergebnisse haben
                                 										kann.
                              
                           
                              
                                 Zusammenhang zwischen Geschoss-
                                    											und Kreiseldrehung.
                                 
                              Durch einfache Experimente lässt sich die Aehnlichkeit der Bewegung von Geschoss
                                 										und Kreisel physikalisch beweisen. Lässt man einen schrägstehenden Kreisel mit
                                 										ziemlich schwerer Peripherie auf einer wagerechten Glasplatte rotiren, so bewegt
                                 										sich die wagerechte Projection des Schwerpunktes nicht, der Schwerpunkt ruht; die stützende Spitze beschreibt
                                 										eine Curve, die um so grösser wird, je mehr die Drehgeschwindigkeit der
                                 										Peripherie abnimmt. (Mit dieser Abnahme nimmt die Drehung der Achse um die
                                 										Senkrechte an Geschwindigkeit scheinbar zu.) – Lässt man denselben Kreisel mit
                                 										einer scharfen konischen Spitze von etwa 60° in einem konischen Lager von 120°
                                 										rotiren, dann bleiben die Dreherscheinungen der Achse dieselben, nur dass jetzt
                                 										der Stützpunkt fest steht („ruht“), während
                                 										der Schwerpunkt sich um die Senkrechte dreht.
                              Die Sache lässt sich aber noch weiter verfolgen. Man kann dem Kreisel die Form
                                 										eines Geschosses geben und dessen Achsenbewegung beobachten, wenn es sich auf
                                 										dem Boden stützt oder wenn es sich durch die Luft oder im Wasser bewegt. Lässt
                                 										man ein derartiges rotirendes Geschoss durch die Luft oder in Wasser fallen,
                                 										dann übernimmt der Angriffspunkt des Luftwiderstandes (bei einer Fallhöhe über
                                 										10 m) oder der des Widerstandes im Wasser vollständig die Rolle des Stützpunktes
                                 										bei dem auf dem Boden laufenden Geschosse (Kreisel). Durch eine Umwickelung der
                                 										Peripherie in Höhe des Schwerpunktes lässt sich das „Ruhen“ des letzteren
                                 										sichtbar machen. Aus der Richtung der Achsendrehung, welche in analytisch
                                 										festgestellter Weise stattfindet (von der Lage des Schwerpunktes zum genannten
                                 										Angriffspunkt und von der Drehrichtung der Peripherie abhängig) und aus der
                                 										Zunahme der Achsengeschwindigkeit bei, Abnahme der Peripheriegeschwindigkeit
                                 										ergibt sich physikalisch der Zusammenhang zwischen den Bewegungen des Geschosses
                                 										und des Kreisels. (Für die analytische Bestimmung der Drehrichtung ist
                                 										maassgebend: Hess,
                                 										„Ueber das Gyroskop“, Math. Ann., Bd. 19;
                                 										für die Berechnung der Achsengeschwindigkeit [Präcession]: Programme des
                                 										Gymnasiums zu Seehausen i. A. 1873 und 1874. Streng genommen braucht der
                                 										Angriffspunkt des Luftwiderstandes nicht in der Spitze zu liegen, er kann auch
                                 										seitwärts der Achse angenommen werden, ähnlich wie es mit dem Stützpunkte des
                                 										Kreisels geschieht in Jellett: A Treatise on the theory
                                    											of friction, London 1872, S. 181.)
                              Der Zusammenhang zwischen Kreisel- und Geschossrotation ist in der Mechanik schon
                                 										längst vorausgesetzt worden, indem für beide Bewegungen dieselben
                                 										Bewegungsgleichungen, sogen. Euler'sche
                                 										Gleichungen, verwandt wurden. Leider ist aus den Gleichungen nicht der Nutzen
                                 										gezogen worden, der sich ergeben haben würde, wenn man der Achsenbewegung (den
                                 										Präcessionen) mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Unter Zuhilfenahme der
                                 										Rechnung hätte man beim Kreisel aus der Zunahme dieser Achsengeschwindigkeit auf
                                 										die Abnahme der Drehgeschwindigkeit schliessen, also der Frage der Reibung näher
                                 										treten können. Leider standen diesen Bestrebungen die bisherigen
                                 										Kreiselexperimente der physikalischen Cabinette entgegen, welche fast nur
                                 										Kreisel in schweren Ringen kennen, deren Achsenbewegung der Richtung nach zwar
                                 										angedeutet wird, aber deren Achsengeschwindigkeiten ganz unbestimmbar sind. –
                                 										Bei den Geschossen hat ein russischer Ballistiker Sabudski Folgendes ausgeführt. Nachdem er die willkürliche Behauptung
                                 										aufgestellt hat, die Reibung der Luft an den Seiten des rotirenden Geschosses
                                 										sei gleich Null, setzt er die sogen. drei Euler'schen Gleichungen als gültig für die wirkliche Geschossbewegung in
                                 										der Luft ein. Unter diesen Gleichungen findet sich folgende:
                              
                                 
                                    Das Trägheits-moment für dieGeschossachse
                                    ×
                                    der Beschleu-  nigung um  diese Achse
                                    
                                       =0\,\left(A\,\frac{d\,r}{d\,t}=0\right)
                                       
                                    
                                 
                              Nach diesen Annahmen behauptet Sabudski,
                                 										„dass nach den Euler'schen Gleichungen die
                                    											Winkelgeschwindigkeit um die Längsachse während der ganzen Bewegungsdauer
                                    											sich gleich bleibe“. (Archiv f. Art.- und
                                    											Ing.-Off., 1892.) Diese Behauptung dürfte aber unstatthaft sein, denn
                                 										die angedeutete Gleichung hätte nur dann gebraucht werden dürfen, wenn vorher
                                 										besonders bewiesen worden wäre, dass sie auf die Geschossbewegung passt, d.h.
                                 										dass die Beschleunigung \frac{d\,r}{d\,t} nur = 0 ist; z.B.
                                 										durch eine Reibung darf \frac{d\,r}{d\,t} nicht einen
                                 										wirklichen negativen Werth (d.h. eine Verzögerung) bekommen, oder es muss für
                                 										diesen, der Wirklichkeit entsprechenden Fall eine andere Gleichung eingesetzt
                                 										werden. Da statt dieses Beweises nur eine willkürliche Annahme gemacht worden
                                 										ist, so ist der geschehene Gebrauch der Euler'schen
                                 										Gleichungen anfechtbar und die Sabudski'sche
                                 										Behauptung, dass die Rotationsgeschwindigkeit des Geschosses sich nicht
                                 										verändere, erscheint als eine unmathematische Privatansicht. – Da es einfach ist,
                                 										durch Durchschläge von 37 mm-Geschossen (mit blosser hinterer Führung) eine
                                 										beliebige Anzahl von auf einander folgenden Achsenlagen zu bekommen, so dürfte
                                 										es sehr leicht sein, aus der Schnelligkeit dieser Achsenbewegung (Präcession)
                                 										auf Grund der Seehausener Rechnungen auf die Grösse des Verlustes an
                                 										Rotationsgeschwindigkeit zu schliessen.
                              
                           
                              
                                 Die Geschosspitze und die
                                    											Rotation.
                                 
                              Wenn der eigentlich von Siacci hervorgerufene
                                 										Vergleich eines Geschosses mit einem Kreisel stichhaltig ist, und wenn beim
                                 										Kreisel (nach der Seehausener Rechnung und nach Jellett a. a. O.) die Achsenbewegung von der Lage des Stützpunktes
                                 										abhängig ist, dann muss beim Geschosse auch die Achsenbewegung zur Flugbahn von
                                 										der Lage des Angriffspunktes des Luftwiderstandes und damit von der Form der
                                 										Spitze abhängig sein. Bei einer breiten Spitze wird z.B. bei kleinen
                                 										Schwankungen der Achse der Abstand dieses Angriffspunktes vom Schwerpunkte mehr
                                 										gleichmässig gross bleiben als bei einer schlanken Spitze, bei welcher der
                                 										Angriffspunkt auf der Oberfläche grosse Wege macht, wenn die Achse schwankt.
                                 										Aufklärungen in dieser Richtung können indess nur Versuche und Rechnungen
                                 										geben.
                              Prof. August in Berlin hat vor einigen Jahren
                                 										berechnet, welche Spitzenform am günstigsten sein würde, wenn der Luftwiderstand
                                 										nur in der Richtung der Flugbahntangente gegen die Spitze wirkte; er hat also
                                 										eine seitliche Reibung des Luftwiderstandes, also das, was soeben hier
                                 										vorausgesetzt wurde, vollständig ausgeschlossen. Leider haben viele der heutigen
                                 										Waffenschriftsteller die Voraussetzungen ganz in den Wind geschlagen und die
                                 										Geschossspitze von August als die einzig beste für
                                 										wirkliche Geschosse gepriesen. Dass die Voraussetzungen des Professor August in der Wirklichkeit nicht vorkommen, hat
                                 										zuletzt, wie bekannt, Prof. Neesen in Berlin durch
                                 										photographische Aufnahme der starken Drehung einer Geschossachse um die Flugbahn
                                 										bewiesen; da ausserdem noch andere gewichtige Stimmen schon längst eine Bewegung
                                 										der Geschossachse um die Flugbahn für erwiesen
                                 										halten (vgl. auch die Besprechung des Krnka-Hebler-Geschosses), so dürfte wohl
                                 										die August'sche Spitzenform nur eine mathematische
                                 										Bedeutung haben.
                              
                           
                              
                                 Unsymmetrische
                                    										Geschosse.
                                 
                              Bei den obigen Betrachtungen wurde auf Formeln Bezug genommen, welche nur für
                                 										symmetrische Körper passen. Es ist bewiesen, dass die Art der geschilderten Ausschlagsbewegungen der Achse auch bei anderen
                                 											nicht symmetrischen Körpern vorkommt, für
                                 										welche die Formeln nicht genau passen; die Grössen
                                 										der Bewegungen sind indess andere. So wird durch eine künstliche Unsymmetrie der
                                 										rotirenden Holzgeschosse die Drehung der Achse um die Flugbahn beschleunigt. Mit
                                 										Rücksicht auf diese Erscheinungen dürfte es, wie oben schon erwähnt,
                                 										wünschenswerth sein, eine gleichmässige Lagerung der Theilchen eines Geschosses
                                 										anzustreben; beim Gewehrgeschoss z.B. würde es also wünschenswerth sein, alle
                                 										unsymmetrisch liegenden, lockeren Stellen des Hartblei- oder Bleikernes zu
                                 										vermeiden, und das würde wahrscheinlich herbeigeführt, wenn, wie früher schon
                                 										erwähnt, statt des Einpressens der Kerne in die Geschossmäntel mittels
                                 										Stempel ein Einsaugen und Verdichten der Kerne mit Hilfe einer grossen
                                 										Centrifugalkraft stattfände.
                              
                                 
                                    (Schluss folgt.)