| Titel: | Ueber die Ursache der sauren Gährung in Gerbebrühen. | 
| Autor: | F. H. Haenlein | 
| Fundstelle: | Band 291, Jahrgang 1894, S. 210 | 
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                        Ueber die Ursache der sauren Gährung in
                           								Gerbebrühen.
                        Von Dr. F. H.
                                 								Haenlein.
                        (Schluss der Abhandlung S. 186 d. Bd.)
                        Ueber die Ursache der sauren Gährung in Gerbebrühen.
                        
                     
                        
                           Eine Beachtung verdient ferner die Frage, ob und in welcher Weise die
                              									Lebensthätigkeit des Rindenbacillus durch die Gegenwart chemischer Substanzen
                              									beeinflusst wird. Hierbei kommen besonders Säuren in Betracht, theils weil der
                              									Fichtenrindenextract in Folge seines Gerbstoffgehaltes von vornherein sauer reagirt,
                              									theils weil sich im Laufe der Zeit in den Gerbebrühen noch andere freie Säuren
                              									bilden. Dass nun der Rindenbacillus gegen Säuren weniger empfindlich ist, als die
                              									meisten anderen Bakterien, ergibt sich schon daraus, dass er nicht nur in dem
                              									ursprünglichen Extract vegetirt, sondern, wie wir weiter unten sehen werden, auch
                              									noch in den eigentlichen Sauerbrühen bei Gegenwart anderer freier Säuren. Die
                              									Concentration der Säure aber, welche der Bacillus corticalis vertragen kann, scheint
                              									eine gar nicht hoch liegende Grenze zu haben. In einem Versuche wurde dem
                              									Fichtenrindenextract gleich anfangs so viel Essigsäure zugesetzt, dass die
                              									Flüssigkeit ½ Proc. freie Essigsäure enthielt. Hierbei stellte der Rindenbacillus
                              									seine Thätigkeit ein; denn nach einem Zeitraum von 3 Wochen war noch keine Spur von
                              									Gas entwickelt worden, während in einem gleichzeitig angestellten Controlversuch
                              									ohne Zusatz von Essigsäure die Gasentwickelung in der gewöhnlichen Weise
                              									verlief.
                           Dieses Verhalten bietet uns eine Erklärung dafür, warum in dem eben erwähnten Versuch
                              									über den Einfluss der Concentration des Fichtenrindenextractes die Intensität der
                              									Gasentwickelung mit der Concentration nicht gleichen Schritt hält, sondern warum
                              									erstere durch zu starke Concentration geschwächt wird. Es ist die stärkere saure
                              									Reaction der gerbstoffreichen Flüssigkeit, welche den Rindenbacillus ausser
                              									Thätigkeit setzt.
                           Als hauptsächlichste oder wenigstens augenfälligste Lebensthätigkeit des Bacillus
                              									corticalis ist uns bisher immer die Entwickelung eines Gases entgegen getreten, das
                              									je nach Umständen in verschiedenen Quantitäten producirt wird. Die abgelesenen
                              									Gasvolumina sind ohne Correction in Bezug auf Druck, Temperatur u.s.w.
                              									wiedergegeben, da genaue quantitative Bestimmungen für den Zweck dieser Untersuchung
                              									zunächst nicht in Betracht kamen.
                           Das Interesse an der Erscheinung der Gasentwickelung erstreckte 4 sich vielmehr vorläufig auf die Beantwortung
                              									folgender drei Fragen: 1) Welches ist die chemische Natur dieses Gases? 2) Welchem
                              									Bestandtheil der Fichtenrinde verdankt es seinen Ursprung? 3) Was wird aus dem Reste
                              									der Substanz, die das Gas liefert, nach dem Entweichen des letzteren?
                           Die Beantwortung der ersten Frage erregte zwar von vornherein das lebhafteste
                              									Interesse; bei der Schwierigkeit aber, mit den einfachsten Mitteln die chemische
                              									Natur eines Gases festzustellen, zumal wenn es nur in geringen Quantitäten zur
                              									Verfügung steht, gelang es mir anfangs nur, zu constatiren, dass das Gas brennbar
                              									ist mit ganz schwach leuchtender Flamme. Der letztere Umstand liess entweder einen
                              									leichten Kohlenwasserstoff (Sumpfgas oder Grubengas) oder auch reinen Wasserstoff
                              									vermuthen.
                           Eine später ausgeführte vollständige Analyse des GasesIch verdanke dieselbe, sowie auch die anderen
                                    											weiterhin noch zu erwähnenden Gasanalysen der Güte des Herrn Dr. A. Schertel, Vorstand des Hüttenlaboratoriums
                                    											in Freiberg. ergab die Gegenwart einer geringen Menge von Kohlensäure, und zwar fanden sich in 44,3 cc der
                              									Gasmenge 2,4 cc oder 5,4 Vol.-Proc. Der ganze Rest, also 94,6 Vol.-Proc., erwies
                              									sich als reiner Wasserstoff.
                           Gestützt auf dieses Resultat, dass es sich hierbei um ein Gemenge von Wasserstoff und
                              									Kohlensäure handelt, habe ich selbst später wiederholt das Verhältniss zwischen
                              									beiden einfach in der Weise bestimmt, dass das Gasgemisch in eine graduirte Röhre
                              									gebracht und die Kohlensäure durch Kalilauge absorbirt wurde. Immer ergab sich neben
                              									Wasserstoff eine gewisse Menge von Kohlensäure; letztere jedoch in keinem
                              									constanten, sondern im schwankenden Verhältniss zum Wasserstoff, meist zwischen 8
                              									und 13 Vol.-Proc. betragend. Dieses Schwanken erklärt sich durch die
                              									Berücksichtigung folgender beiden Umstände:
                           Zunächst wird wegen der in der Kälte grösseren Löslichkeit der Kohlensäure unter
                              									übrigens gleichen Umständen das sich in der Röhre des Apparates ansammelnde
                              									Gasgemisch relativ um so ärmer an Kohlensäure sein, bei je niedrigerer Temperatur
                              									der ganze Process vor sich gegangen ist. Um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie
                              									viel Kohlensäure von dem Fichtenrindenextracte überhaupt gelöst zurückgehalten wird,
                              									habe ich in drei Versuchen den ganzen Apparat im Wasserbade längere Zeit auf 100°
                              									erhitzt, um die gelöste Kohlensäure auszutreiben. Nach raschem Erkalten auf
                              									Zimmertemperatur zeigte sich dabei eine Zunahme des Gasvolumens von 48 cc auf 52,5
                              									cc, im zweiten Versuch von 60 auf 63 cc und im dritten Falle von 48 auf 53 cc.
                           Wenn man daher auch darauf Rücksicht nimmt, dass in der Flüssigkeit selbst noch
                              									Kohlensäure gelöst bleibt, so wird hierdurch an dem Ergebnisse nichts geändert, dass
                              									das producirte Gas zum bei weitem grössten Theil aus reinem Wasserstoff besteht.
                           Auf die Bestimmung der Menge des Wasserstoffes ist die Temperatur, bei welcher er
                              									entwickelt wurde, überhaupt ohne Einfluss, da die absolute lösliche Menge desselben
                              									so gering ist, dass sie ohne weiteres vernachlässigt werden kann.
                           Die Veränderlichkeit des Verhältnisses zwischen Wasserstoff und Kohlensäure könnte aber
                              									vielleicht zum Theil auch darin begründet sein, dass die Entwickelung des
                              									Wasserstoffes und die Bildung der Kohlensäure in gar keinem unmittelbaren
                              									genetischen Zusammenhang stehen, sondern zwei neben einander herlaufende, auf ganz
                              									verschiedenen Ursachen beruhende Erscheinungen darstellen. Einer solchen Annahme
                              									widerspricht aber zunächst die Regelmässigkeit, mit der die Kohlensäure neben dem
                              									Wasserstoff auftritt, ferner das Unterbleiben der Kohlensäurebildung in allen
                              									Fällen, wo die Wasserstoffenwickelung unterdrückt wurde, weiterhin die Analogie mit
                              									bereits bekannten Zersetzungserscheinungen, bei welchen, wie z.B. bei der
                              									Buttersäuregährung, auch Wasserstoff und Kohlensäure gleichzeitig auftreten, und
                              									schliesslich auch die Thatsache, dass unser Bacillus aus gewissen Kohlehydraten dasselbe Gasgemisch producirt, wie aus der
                              									Fichtenrinde, ein Umstand, der weiterhin noch zur Sprache kommen soll.
                           Ein wesentlich höheres Interesse für die Gerberei beansprucht nun aber die zweite der
                              									oben aufgeworfenen Fragen, nämlich die nach der Quelle des Gases. Wenn es sich um
                              									Wasserstoff allein handelte, oder wenn man von der immerhin möglichen Voraussetzung
                              									ausgehen wollte, dass das Auftreten der Kohlensäure eine nebensächliche Erscheinung
                              									sei, so könnte man eventuell an eine Zersetzung des Wassers selbst denken, wobei der
                              									freiwerdende Sauerstoff anderweitige Verbindungen einginge oder zum Theil von dem
                              									Bacillus zur Athmung verbraucht würde. Aber abgesehen davon, dass eine solche
                              									Zersetzung des Wassers aus mehrfachen Gründen eine innere Unwahrscheinlichkeit in
                              									sich trägt, habe ich einen sogen. blinden Versuch in der Weise angestellt, dass ich
                              									in einen Apparat destillirtes Wasser brachte und dasselbe mit frischer Reincultur
                              									des Bacillus corticalis impfte unter Zusatz einer kleinen Menge von Nährgelatine.
                              									Wie zu erwarten, entwickelte sich keine Spur von Gas und der Versuch wurde nach 14
                              									Tagen abgebrochen. Der Lieferant des Gasgemisches muss demnach – worauf ja schon die
                              									regelmässige Gegenwart der Kohlensäure hindeutet – in einer organischen, in der
                              									Fichtenrinde selbst enthaltenen Substanz zu suchen sein.
                           Die Bestandtheile der Fichtenrinde und der vegetabilischen Gerbmaterialien überhaupt,
                              									wie sie uns als Resultat der zum Zwecke der Werthbestimmung ausgeführten chemischen
                              									Analyse entgegentreten, sind wesentlich dreierlei Art, nämlich: 1) Wasser, 2) in
                              									Wasser lösliche Stoffe, 3) Unlösliches. Die wasserlöslichen Stoffe werden dann noch
                              									mit Rücksicht auf Werth und Bedeutung für die Gerberei unterschieden in gerbende
                              									Stoffe, organische Nichtgerbstoffe und Mineralstoffe (Extractasche).
                           Wie die bisher mitgetheilten Versuchsresultate schon klar erkennen lassen, ist der
                              									Ursprung des Gasgemisches in den im Wasser löslichen Stoffen zu suchen, – ob aber
                              									ausschliesslich? – das ist eine Frage, die erst durch besondere Versuche zu
                              									beantworten war. Es wurden daher 12 g Fichtenrinde mit 600 cc Wasser 2 Stunden bei
                              									Zimmertemperatur unter häufigem Umschütteln ausgelaugt. Der erhaltene Extract wurde
                              									abfiltrirt und in einen Gasentwickelungsapparat gebracht. In einen zweiten Apparat
                              									wurde die ausgelaugte Rinde gebracht und der Apparat wieder mit destillirtem Wasser
                              									gefüllt.
                           Das Ergebniss war folgendes:
                           
                              
                                 
                                    
                                    
                                 Extract
                                 AusgelaugteRinde
                                 
                              
                                 Entwickelte Gasmenge    nach 6 Tagen    nach
                                    											weiteren 7 Tagen
                                 cc1021
                                 cc  1,5  9,5
                                 
                              
                                 In Summa
                                 31
                                 11,0
                                 
                              
                           Wenn auch hieraus hervorgeht, dass die Menge der zersetzungsfähigen Substanzen in der
                              									ausgelaugten Rinde eine wesentlich kleinere ist, als die der leichtlöslichen Stoffe,
                              									so lässt sich doch dagegen einwenden, dass die Dauer der Extraction zu kurz war, um
                              									alle löslichen Stoffe zu entfernen, und dass ausserdem ein geringer Theil bereits
                              									gelöster Substanzen mechanisch von der Rinde zurückgehalten wurde und nicht mit in
                              									das Filtrat gelangte. Die letztere Quantität ist indessen ohne Zweifel zu
                              									unbedeutend, um die immerhin noch beträchtliche Menge gasförmiger
                              									Zersetzungsproducte, die sich im zweiten Apparate entwickelte, zu erklären.
                           Es wurden daher nochmals 10 g Fichtenrinde, in einem Leinwandbeutel verwahrt, durch
                              									3tägiges Einhängen in den oberen Theil eines mit Wasser gefüllten hohen Cylinders
                              									unter öfterem Erneuern des Wassers von löslichen Stoffen nahezu erschöpft. Die
                              									Flüssigkeit gab nur noch schwache Spuren von Gerbstoffreaction. Da die Rinde aber
                              									durch die wiederholte Behandlung mit Wasser offenbar auch den grössten Theil der an
                              									ihr haftenden gährungserregenden Bakterien eingebüsst hatte, so wurde sie nach dem
                              									Einbringen in den Gasentwickelungsapparat noch mit frischer Bakterienmasse von einer
                              									Reincultur geimpft. Die entwickelte Gasmenge betrug nach 7 Tagen 0 cc, nach weiteren
                              									7 Tagen 4,5 cc, nach abermals 7 Tagen 3,5 cc und nach wieder 7 Tagen 4 cc; in Summa
                              									also 12 cc in 28 Tagen.
                           Die wesentlich geringere Menge von gasförmigen Zersetzungsproducten, welche hier der
                              									unlösliche Rückstand im Vergleich mit dem ersten Extract geliefert hat und wozu
                              									überdies noch ein relativ langer Zeitraum erforderlich war, beweist einerseits, dass
                              									in der That die leichtlöslichen Stoffe die Hauptquelle für das Gemenge von
                              									Wasserstoff und Kohlensäure bilden, andererseits geht aber auch daraus hervor, dass
                              									der unlösliche Rückstand immer noch zersetzungsfähige Stoffe enthält bezieh. dass
                              									sich aus demselben im Laufe der Zeit noch zersetzungsfähige Substanzen bilden. Zu
                              									einem gleichen bezieh. ähnlichen Ergebniss, aber auf ganz anderem Wege haben auch
                              									Untersuchungen von Prof. v. Schroeder und Bartel„Zur
                                          													Extraction der Gerbmaterialien von Prof. Dr. v. Schroeder und A. Bartel in
                                          													Tharand“, D. p. J. 1893 289 113. geführt, aus denen
                              									sich ergab, dass durch wiederholte Behandlung schon ausgelaugter Gerbmaterialien
                              									immer wieder neue Quantitäten von unlöslichen Stoffen in lösliche übergeführt werden
                              									können.
                           Doch kehren wir zunächst zu den löslichen Stoffen zurück, welche, von dem geringen
                              									Mineralstoffgehalt abgesehen, sich aus gerbenden Stoffen und sogen. Nichtgerbstoffen
                              									zusammensetzen. Welcher von beiden Antheilen wird nun unter Erzeugung von
                              									Wasserstoff und Kohlensäure von dem Rindenbacillus zersetzt? Sind es die Gerbstoffe
                              									oder die Nichtgerbstoffe oder beide?
                           
                           Prof. v. Schroeder und Bartel„Ueber
                                          													Gerbstoffverluste beim Gähren der Gerbebrühen von Prof. Dr. v. Schroeder und A. Bartel“, Deutsche Gerberzeitung, 1890 Nr. 67 ff. hatten
                              									bei einer von ganz anderem Gesichtspunkte aus angestellten Untersuchung über
                              									Gerbstoffverluste beim Gähren der Gerbebrühen nach mehrtägigem Stehen der
                              									Flüssigkeit bereits einen „kahmigen Absatz“ beobachtet und es kann keinem
                              									Zweifel unterliegen, dass dieser kahmige Absatz im Wesentlichen aus Bakterien
                              									bestand, welche höchst wahrscheinlich mit unserem Rindenbacillus identisch waren.
                              									Obgleich daher ihre Gerbebrühen während der Versuchsdauer dem Einflüsse der
                              									Bakterien unterworfen waren, konnten sie doch in mehreren Versuchsreihen, wovon sich
                              									die längste über einen Zeitraum von 16 Tagen erstreckte, durchaus keinen
                              									wesentlichen Verlust an Gerbstoff constatiren.
                           Wenn es auch hiernach schon von vornherein unwahrscheinlich war, die Production des
                              									Gasgemisches auf eine Zersetzung des Gerbstoffes zurückzuführen, so prüfte ich doch
                              									das specielle Verhalten unseres Rindenbacillus in dieser Beziehung noch auf anderem
                              									Wege. Da es nicht möglich ist, die Gerbstoffe aus der Fichtenrinde für sich allein
                              									in Lösung zu erhalten, so wurde diese Frage vorläufig auf einem halb indirecten Wege
                              									zu beantworten gesucht. 16 g Fichtenrinde wurden mit 800 cc Wasser 4 Stunden lang
                              									bei gewöhnlicher Temperatur extrahirt, der Extract filtrirt und das Filtrat zur
                              									Entfernung des Gerbstoffes hierauf durch 2 Stunden mit 10 g Hautpulver unter
                              									häufigem Umschütteln behandelt. Das Filtrat hiervon wurde wieder 4 Stunden hindurch
                              									in gleicher Weise mit Hautpulver behandelt und das neue Filtrat nochmals 1 Stunde
                              									lang mit 5 g Hautpulver geschüttelt. Die Flüssigkeit; welche nun nur noch sehr
                              									schwache Spuren von Gerbstoffreaction zeigte, wurde nun nach abermaligem Filtriren
                              									mit Reincultur des Rindenbacillus geimpft und in den Gasentwickelungsapparat
                              									übergeführt.
                           Nach 2 Wochen hatten sich 20,5 cc Gas angesammelt, die sich nach weiteren 14 Tagen
                              									noch auf 25,5 cc vermehrten.
                           Gleichzeitig wurde ein zweiter Apparat mit einer 1procentigen Lösung von Tannin
                              									beschickt und gleichfalls mit Reincultur von Bacillus corticalis geimpft unter
                              									Zusatz von etwas Nährgelatine. Hier war in dem gleichen Zeitraume, also nach Verlauf
                              									von vollen 4 Wochen noch keine Spur von Gasentwickelung eingetreten.
                           Im ersten Versuche war auch ohne Gerbstoff eine reichliche, im zweiten Versuche aber
                              									trotz Anwesenheit von reinem Gerbstoff gar keine Gasproduction erfolgt.
                           Ein Vergleich beider Versuche drängt daher zu dem Schlusse, dass die gerbenden Stoffe von dem Rindenbacillus nicht angegriffen
                                 										werden, sondern dass die sich zersetzenden Substanzen in der Kategorie der
                                 										organischen Nichtgerbstoffe zu suchen sind.
                           Vorstehender Satz wird überdies in seinem zweiten Theile durch folgenden Versuch noch
                              									direct erwiesen. 40 g Fichtenrinde wurden in gewöhnlicher Weise mit 2 l Wasser
                              									extrahirt und das Filtrat in zwei Portionen getheilt. Die eine Portion wurde zur
                              									sofortigen Analyse verwendet, die andere Portion wurde in einen
                              									Gasentwickelungsapparat gebracht und nach 7 Tagen, als sie 34,5 cc Gas geliefert
                              									hatte, ebenfalls analysirt. Hierbei kam folgendes Resultat zum Vorschein:
                           100 cc des Extractes enthielten:
                           
                              
                                 
                                 Vorder
                                    											Gasent-wickelung
                                 Nachder
                                    											Gasent-wickelung
                                 Differenz
                                 
                              
                                 
                                 g
                                 g
                                 g
                                 
                              
                                 Organische gerbende Sub-    stanzenOrganische
                                    											NichtgerbstoffeExtractasche
                                 0,16550,16700,0125
                                 0,16900,12200,0120
                                 + 0,0035– 0,0450– 0,0005
                                 
                              
                                 Gesammtextract
                                 0,3450
                                 0,3030
                                 – 0,0420
                                 
                              
                                 Unter den Nichtgerbstoffen ist    Zucker
                                 0,0412
                                 0,0036
                                 – 0,0376
                                 
                              
                           Wie die vorstehenden Zahlen zeigen, hat während der Gasentwickelung auch eine Abnahme
                              									der gelösten Stoffe stattgefunden, und zwar betrifft der Verlust die
                              									Nichtgerbstoffe, speciell den Zucker.
                           Die löslichen „Nichtgerbstoffe“ stellen überhaupt ihrerseits wieder ein
                              									Gemenge verschiedenartiger Substanzen dar, welche ihrer näheren chemischen Natur
                              									nach noch wenig bekannt sind und von denen nur so viel feststeht, dass unter ihnen
                              									besonders zuckerartige Stoffe und andere Kohlehydrate eine Hauptrolle spielen. Ihres
                              									unter einander ähnlichen chemischen Verhaltens wegen sind sie schwer zu isoliren und
                              									in quantitativer Weise einzeln nicht zu bestimmen.
                           Wenn es sich also darum handelt, nachzuforschen, welcher specielle Nichtgerbstoff
                              									unter Abgabe von Wasserstoff und Kohlensäure durch die Bakterien zerlegt wird, so
                              									könnte es zunächst zweifelhaft erscheinen, ob der directe Weg, d.h. das Experiment
                              									mit Fichtenrinde oder dem Extract derselben, Aussicht auf Erfolg bietet. Da nun aber
                              									durch anderweitige Untersuchung hinreichend erwiesen ist, dass es vor allen Dingen
                              									die zuckerartigen Stoffe sind, welche aus den Gerbebrühen im Laufe der Zeit
                              									verschwinden und womit auch die obigen Analysenresultate übereinstimmen, so lag es
                              									nahe, auch unseren Bacillus corticalis direct auf Zucker und ähnliche Stoffe
                              									einwirken zu lassen.
                           Eine 2procentige Lösung von Traubenzucker wurde daher
                              									mit etwas Nährgelatine und Reincultur des Rindenbacillus versetzt. Sie entwickelte
                              									im Apparate folgende Gasmengen:
                           
                              
                                 In
                                 der
                                 1.
                                 Woche
                                 15,5
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 2
                                 „
                                 13,5
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 3.
                                 „
                                 10,0
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 4
                                 „
                                 8,0
                                 cc
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 ––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 Summa in 28 Tagen
                                 46,0
                                 cc
                                 
                              
                           Das Gas erwies sich als brennbar.
                           Es wurde nun eine zweite Quantität Gas aus Traubenzuckerlösung in gleicher Weise
                              									erzeugt und zur Gasanalyse verwendet. Das Gas enthielt eine kleine Menge Stickstoff,
                              									welcher offenbar nur aus der zugesetzten Nährgelatine herrühren konnte. Der Rest
                              									erwies sich ganz wie das aus der Fichtenrinde producirte Gas als ein Gemenge von
                              									Wasserstoff und Kohlensäure, und zwar ergab sich die procentische Zusammensetzung in
                              									zwei Versuchen:
                           
                              
                                 
                                 I
                                 II
                                 Mittel
                                 
                              
                                 Wasserstoff
                                 86,13
                                 87,31
                                 86,72
                                 
                              
                                 Kohlensäure
                                 13,87
                                 12,69
                                 13,28
                                 
                              
                           
                           Dieses Resultat bestätigt offenbar in hohem Grade die Zersetzung der
                              									Zuckerstoffe auch in der Fichtenrinde; es beweist aber noch keineswegs, dass es auch
                              									in der Rinde gerade Traubenzucker ist, welcher zerstört wird. Wenigstens braucht es
                              									nicht nothwendiger Weise Traubenzucker zu sein, da unser Rindenbacillus befähigt ist, auch andere Zuckerarten in ähnlicher Weise zu
                                 										zersetzen.
                           So wurde z.B. auch seine Wirksamkeit gegen Milchzucker
                              									geprüft, wozu ich veranlasst wurde durch gewisse Aehnlichkeiten, die der Bacillus
                              									corticalis in seiner äusseren Erscheinung unter dem Mikroskop, sowie in seinem
                              									Verhalten in den Reinculturen mit dem Milchsäurebacillus zeigt. Auch die Lösung von
                              									Milchzucker, welche, um eine Analogie mit der gewöhnlichen Milch herzustellen, in
                              									einer Concentration von 4 Proc. angewandt wurde, entwickelte, nachdem sie durch
                              									¾stündiges Kochen sterilisirt und nach dem Wiedererkalten mit dem Rindenbacillus
                              									geimpft worden war, ein farbloses Gas in folgender Quantität:
                           
                              
                                 Nach
                                 der
                                 1.
                                 Woche
                                 
                                 2,5
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 2.
                                 „
                                 
                                 18,0
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 3.
                                 „
                                 
                                 28,5
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 4.
                                 „
                                 
                                 20,5
                                 cc
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 5
                                 „
                                 
                                 12,0
                                 cc
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 –––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 Summa
                                 81,5
                                 cc
                                 
                              
                           Die Gasanalyse ergab neben etwas aus der Gelatine stammendem Stickstoff auch hier
                              									Wasserstoff und Kohlensäure, und zwar von ersterem 74,3 Vol.-Proc., von letzterem
                              									25,7 Vol.-Proc.
                           Diese merkwürdige Thatsache, dass der Bacillus corticalis auch Milchzucker zersetzen
                              									kann, bewog mich nun, auch umgekehrt den Milchsäurebacillus, welchen ich mir zu
                              									diesem Zweck zuvor aus sauer gewordener Milch in der oben beschriebenen Weise rein
                              									züchtete, in seinem Verhalten gegen die Fichtenrindenbrühe zu untersuchen. Letztere,
                              									in der üblichen Stärke von 20 g auf 1 l hergestellt, sterilisirt und mit Reincultur
                              									von Bacillus acidi lactici geimpft; zeigte selbst nach 3 Wochen noch nicht die
                              									geringste Gasentwickelung. Hierdurch ist zugleich die Verschiedenheit des Bacillus
                              									corticalis von dem Milchsäurebacillus erwiesen.
                           Wie ein anderer (noch nicht beendigter) Versuch erkennen lässt, wird auch Rohrzucker durch den Bacillus corticalis zerlegt unter
                              									Entwickelung eines farblosen Gases, während die Lösung gleichzeitig eine saure
                              									Reaction erhält.
                           Ich liess ferner unseren Rindenbacillus auf Stärkemehl einwirken, erzielte aber trotz
                              									einer 5wöchentlichen Versuchsdauer nur einen negativen Erfolg. Die Stärke, welche ja
                              									auch in der Fichtenrinde in geringer Menge vorhanden ist, wird demnach von dem
                              									Rindenbacillus direct nicht angegriffen. Vielleicht geschieht dies aber bei
                              									gleichzeitiger Gegenwart anderer Fermente, durch welche die Stärke zuvor in
                              									zuckerartige Stoffe umgewandelt wird.
                           Die beiden Thatsachen, dass der Rindenbacillus Zuckerarten unter Entbindung von
                              									Kohlensäure und Wasserstoff zerlegt und dass in der Fichtenrinde das Verschwinden
                              									des Zuckers mit der Entwickelung des Gasgemisches Hand in Hand geht, lassen nun
                              									sicher auf einen ursächlichen Zusammenhang beider Erscheinungen schliessen. Man kann
                              									daher den weiteren Satz aussprechen: Die in den
                                 										Fichtenrindenextracten enthaltenen zuckerartigen Stoffe werden durch die
                                 										Thätigkeit des Bacillus corticalis zersetzt, wobei Wasserstoff und Kohlensäure
                                 										als gasförmige Zersetzungsproducte auftreten.
                           Es ergibt sich nun unmittelbar als dritte Frage: Was wird aus den
                              									Restbestandtheilen der Zuckerstoffe nach Abgabe von Kohlensäure und Wasserstoff?
                           Der mit den Vorgängen in der Gerberei vertraute Leser wird die Antwort darauf bereits
                              									richtig vermuthen. Da nach Verlauf einiger Zeit Stoffe in den Gerbebrühen auftreten,
                              									welche ursprünglich nicht darin vorhanden waren, nämlich Säuren, und da andererseits
                              									ursprünglich vorhandene Stoffe, besonders die zuckerartigen, an Menge abnehmen oder
                              									ganz verschwinden, so drängt sich von selbst der Gedanke auf, dass eben jene
                              									zuckerartigen Stoffe das Material zur Bildung der Säuren liefern. Schon seit
                              									längerer Zeit pflegt man die in der Fichtenrinde und anderen pflanzlichen
                              									Gerbmaterialien enthaltenen zuckerartigen Substanzen geradezu als Säure bildende
                              									Stoffe zu bezeichnen, weil alle darauf gerichteten Untersuchungen das Resultat
                              									ergeben haben, dass das Auftreten von Säure und das Verschwinden des Zuckers Hand in
                              									Hand gehen.
                           Es erübrigt nun aber noch, experimentell zu beweisen, dass die Umbildung der
                              									Zuckerstoffe in Säure in ursächlichem Zusammenhang mit der Gasentwickelung steht und
                              									dass beide Erscheinungen auf die Lebensthätigkeit des Bacillus corticalis als ihre
                              										gemeinsame Ursache zurückzuführen sind.
                           Mehrere hierüber angestellte Versuche sind in folgenden Zusammenstellungen
                              									enthalten:
                           
                              
                                 I. Versuch.
                                 Gehalt des Fichtenrinden-extractes in
                                    											100 cc
                                 
                              
                                 an Zucker
                                 an Säure alsEssigsäure be-rechnet
                                 
                              
                                 
                                 g
                                 g
                                 
                              
                                 Ursprünglich
                                 0,0334
                                 –
                                 
                              
                                 Nach 40 cc Gasentwickelung in    7 Tagen
                                 0,0060
                                 0,0172
                                 
                              
                                 Nach 47 cc Gasentwickelung in    23 Tagen
                                 0,0023
                                 0,0236
                                 
                              
                           
                              
                                 II. Versuch.
                                 Gehalt des Fichtenrinden-extractes in
                                    											100 cc
                                 
                              
                                 an Zucker
                                 an Säure alsEssigsäure be-rechnet
                                 
                              
                                 
                                 g
                                 g
                                 
                              
                                 Ursprünglich
                                 0,0354
                                 –
                                 
                              
                                 Nach 35 cc Gasentwickelung in    7 Tagen
                                 0,0087
                                 0,0193
                                 
                              
                                 Nach 50 cc Gasentwickelung in    9 Tagen
                                 0,0051
                                 0,0204
                                 
                              
                           Wenn nun auch die vorstehenden Zahlen für die Menge des entwickelten Gases, des
                              									verschwindenden Zuckers und der auftretenden Säure keine strenge Proportionalität
                              									aufweisen, was bei der Schwierigkeit der Bestimmung so kleiner Mengen mit den
                              									gegenwärtig vorhandenen Methoden nicht Wunder nehmen kann, so tritt doch eine
                              									gewisse Parallelität aller drei Vorgänge deutlich hervor. Die gegenseitige
                              									Abhängigkeit wird ja für Zucker und Säure überhaupt von Niemand bezweifelt, nachdem
                              									sie durch wiederholte Untersuchungen festgestellt worden ist.Vgl. B. Kohnstein,
                                    											„Beitrag zur Kenntniss der säurebildenden Stoffe in den Gerbebrühen“,
                                    												Der Gerber, 1886 Nr. 293. v. Schroeder,
                                    											„Ueber Gerbung mit Fichtenextract und Quebrachoextract“, Deutsche Gerberzeitung, 1889 Nr. 38.
                              									Sie tritt sehr schön hervor in einer Reihe von Analysen eines ganzen Oberlederbrühenganges,
                              									welche durch Prof. v. Schroeder„Ueber Gerbung mit Fichtenextract und
                                          													Quebrachoextract von Prof. Dr. v.
                                             														Schroeder“, Deutsche
                                          													Gerberzeitung, 1889 Nr. 38. ausgeführt wurden.
                              									Dabei ergaben sich folgende Verhältnisse zwischen Zucker und Säure:
                           
                              
                                 
                                 Zucker
                                 Gesammtsäure
                                 SpecifischesGewicht
                                 
                              
                                 Brühe Nr. 1
                                 0,080
                                 0,161
                                 1,0090
                                 
                              
                                      „     „   2
                                 0,047
                                 0,165
                                 1,0076
                                 
                              
                                      „     „   3
                                 0,031
                                 0,180
                                 1,0062
                                 
                              
                                      „     „   4
                                 0,017
                                 0,226
                                 1,0048
                                 
                              
                                      „     „   5
                                 0,011
                                 0,244
                                 1,0034
                                 
                              
                           Die Abhängigkeit beider Erscheinungen von der Gasentwickelung und mithin von der
                              									Lebensthätigkeit des Rindenbacillus ergibt sich aber zur Evidenz daraus, dass in den Fällen, wo die Gasentwickelung unterbleibt, auch
                                 										keine Säurebildung stattfindet.
                           In zwei Versuchen wurden die Rindenbacillen durch ¾stündiges Kochen getödtet. Nach
                              									Verlauf von 3 Wochen war noch keine Spur von Gasentwickelung aufgetreten und die
                              									chemische Untersuchung ergab auch keine Säure. In einem
                              									weiteren, gleichfalls mit sterilisirter Brühe angesetzten Versuche, in welchem
                              									selbst nach 4 Wochen noch keine Gasentwickelung stattfand, konnte gleichfalls keine
                              									Säure nachgewiesen werden. Dagegen fand sich trotz des langen Zeitraumes noch der
                              									für die angewendete gewöhnliche Concentration von 20 g auf 1 l bei der gebrauchten
                              									Rinde reichliche Zuckergehalt von 0,0617 g in 100 cc Flüssigkeit.
                           In einem ferneren Versuche wurde der Fichtenrindenextract nicht sterilisirt; die
                              									Bakterien wurden also nicht getödtet, wohl aber wurde ihre Lebensthätigkeit durch
                              									eine niedrige Temperatur sistirt. Letztere schwankte 14
                              									Tage lang nur zwischen 2 und 3° und stieg dann während der letzten 6 Tage der
                              									Versuchsdauer (im Winter) langsam auf 4 bis 6°. Nach 20tägiger Dauer des Versuches
                              									war die Flüssigkeit hierbei vollkommen klar geblieben, hatte kein Gas entwickelt und
                              									war nach Ausweis der chemischen Prüfung nicht sauer geworden. Eine andere Portion
                              										desselben Extractes, zur Controle bei
                              									Zimmertemperatur aufgestellt, entwickelte in der gleichen Zeit von 20 Tagen 55 cc
                              									Gas, zeigte in 100 cc 0,0248 g Säure, als Essigsäure berechnet, und war durch die
                              									Vermehrung der Bakterien trübe geworden.
                           Um nun aber die Resultate der Laboratoriums versuche mit vollem Recht auf die Praxis
                              									übertragen zu können, musste noch die Gegenwart des Bacillus corticalis auch in den
                              									sauren Fichtenbrühen der praktischen Betriebe nachgewiesen werden. Zu diesem Zwecke
                              									entnahm ich der Lehrgerberei der Deutschen Gerberschule eine Quantität hinreichend
                              									saurer Fichtenbrühe und trennte die darin enthaltenen Bakterienarten nach dem Koch'schen Plattenculturverfahren. Ich erhielt auf
                              									diese Weise fünf verschiedene Arten, von denen sich indessen zwei schon nach der
                              									äusseren Erscheinung der Colonien und nach der mikroskopischen Untersuchung als
                              									entschieden nicht identisch mit dem Rindenbacillus
                              									erwiesen. Von den drei anderen Arten wurden Reinculturen angelegt und diese zu
                              									weiteren Versuchen benutzt. Es wurden nun wieder 60 g Fichtenrinde auf 3 l kalt
                              									extrahirt und das Filtrat, nachdem es durch ½stündiges Kochen sterilisirt worden
                              									war, in drei Gasentwickelungsapparate vertheilt, welche mit je einer der aus
                              									der Sauerbrühe gewonnenen Bakterienreinculturen geimpft wurden.
                           Das Resultat war in zwei Fällen ein durchaus negatives: Selbst nach 4 Wochen war noch
                              									keine Gasentwickelung eingetreten; die Flüssigkeiten waren vollkommen klar geblieben
                              									und zeigten bei der chemischen Untersuchung auch keine Säure.
                           In dem dritten Versuch dagegen entwickelte sich wieder Gas, dessen Menge nach 14
                              									Tagen 11 cc, nach 3 Wochen 32 cc betrug. Die aus der Sauerbrühe stammende
                              									Bakterienart, welche im letzteren Falle als Impfmaterial gedient hatte, erwies sich
                              									nun auch unter dem Mikroskop und in ihrem weiteren Wachsthum in den Culturen als mit
                              									unserem Bacillus corticalis identisch. Ueberdies trat ganz in derselben Weise, wie
                              									oben erwähnt, auch eine mit der Gasentwickelung fortschreitende Trübung der
                              									Flüssigkeit ein, veranlasst durch die lebhafte Vermehrung der Bakterien. Hiermit ist die Anwesenheit des Bacillus corticalis auch in
                                 										den sauren Fichtenbrühen der praktischen Betriebe erwiesen.
                           Es mögen nun noch einige Versuche mitgetheilt werden, welche zum Zwecke hatten, den
                              									Einfluss äusserer, physikalischer Bedingungen auf den Verlauf des gesammten
                              									Gährungsprocesses zu untersuchen. Zunächst wurde der Einfluss des Lichtes geprüft, indem von zwei Gasentwickelungsapparaten,
                              									welche beide mit demselben Fichtenrindenextract gefüllt worden waren, der eine mit
                              									einer weiten Röhre aus Schwarzblech umgeben wurde, um den Lichtstrahlen den Zutritt
                              									zu verwehren.
                           Beide Apparate standen neben einander an demselben Fenster. Die Gasentwickelung
                              									betrug in Summa:
                           
                              
                                 
                                 Im Licht
                                 Im Dunkeln
                                 
                              
                                 
                                 cc
                                 cc
                                 
                              
                                 Nach 7 Tagen
                                   0,5
                                 –
                                 
                              
                                     „    8    „
                                   3,0
                                 –
                                 
                              
                                     „    9    „
                                   8,0
                                 –
                                 
                              
                                     „  10    „
                                 15,0
                                 –
                                 
                              
                                     „  11    „
                                 20,0
                                 –
                                 
                              
                                     „  12    „
                                 26,0
                                 –
                                 
                              
                                     „  13    „
                                 29,5
                                 –
                                 
                              
                                     „  14    „
                                 31,5
                                   4,5
                                 
                              
                                     „  15    „
                                 34,0
                                   8,0
                                 
                              
                                     „  16    „
                                 36,0
                                 12,5
                                 
                              
                                     „  17    „
                                 38,0
                                 16,5
                                 
                              
                                     „  18    „
                                 40,0
                                 19,0
                                 
                              
                                     „  19    „
                                 42,5
                                 21,5
                                 
                              
                                     „  21    „
                                 46,5
                                 26,0
                                 
                              
                                     „  22    „
                                 48,0
                                 27,5
                                 
                              
                                     „  23    „
                                 abgebrochen
                                 29,0
                                 
                              
                                     „  24    „
                                 –
                                 31,0
                                 
                              
                                     „  25    „
                                 –
                                 32,5
                                 
                              
                                     „  26    „
                                 –
                                 34,0
                                 
                              
                                     „  27    „
                                 –
                                 35,0
                                 
                              
                                     „  29    „
                                 –
                                 36,0
                                 
                              
                                     „  30    „
                                 –
                                 38,0
                                 
                              
                                     „  32    „
                                 –
                                 39,0
                                 
                              
                                     „  36    „
                                 –
                                 42,0
                                 
                              
                           Nachdem der Zusammenhang zwischen der Entwickelung des Gases einerseits und der
                              									Zerstörung der zuckerartigen Stoffe und der Bildung der Säure andererseits einmal
                              									erwiesen ist, darf auch der erstere, bequem zu beobachtende Vorgang als ein
                              									wenigstens annähernd richtiger Maasstab für den Verlauf auch der beiden anderen
                              									Erscheinungen betrachtet werden. Die vorstehende Tabelle lehrt uns daher, dass der
                              									Mangel an Licht die Gährung zwar nicht aufhebt, ihren Eintritt aber erheblich
                              									verzögert und ihren ganzen Verlauf verlangsamt. Während der durch die Gasentwickelung zum
                              									Ausdruck kommende Beginn der Veränderung der Fichtenbrühe im Lichte nach 7 Tagen
                              									eintrat; geschah dies unter übrigens gleichen Umständen im Dunkeln erst nach 14
                              									Tagen. Und während im Dunkeln die Gesammtproduction von 42 cc Gas einen Zeitraum von
                              									23 Tagen in Anspruch nahm, wurde im Lichte dieselbe Menge innerhalb 13 Tagen
                              									producirt. Hierin liegt auch für die Praxis ein Wink, dass das Bedecken der
                              									Gerbereigefässe einen verzögernden Einfluss auf die Gährung der Brühen ausübt.
                           Wesentlich wichtiger aber mit Rücksicht auf die Praxis ist der Einfluss der Temperatur. Hierüber liegen folgende
                              									Versuchsresultate vor, und zwar liegen den in nachstehender Tabelle mit den
                              									Buchstaben A bis E bezeichneten Rubriken folgende Verschiedenheiten in der
                              									Aufstellung der Apparate zu Grunde:
                           A stand in einem Thermostaten, dessen Temperatur durch einen Thermoregulator zwischen
                              									39 und 40° C. gehalten wurde;
                           B stand in einem ebensolchen Thermostaten bei einer Temperatur von 30°;
                           C stand bei Zimmertemperatur, welche während der Versuchsdauer zwischen 14 und 18°
                              									schwankte;
                           D stand in einem kühleren Raum und wurde noch durch fliessendes Wasser abgekühlt; die
                              									Temperatur betrug in der ersten Woche zwischen 8 und 13°, wurde dann aber auf 6,5
                              									bis 9,5° herabgedrückt;
                           E stand in demselben Raum im Winter bei einer Temperatur, welche 14 Tage lang
                              									zwischen 2 und 3° und dann 6 Tage lang zwischen 4 und 6° betrug.
                           
                              
                                 
                                 Gesammtmenge des entwickelten Gases
                                 
                              
                                 A
                                 B
                                 C
                                 D
                                 E
                                 
                              
                                 
                                 cc
                                 cc
                                 cc
                                 cc
                                 
                                 
                              
                                 Nach  2 Tagen
                                 15
                                 –
                                 –
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                     „    3    „
                                 40
                                 30
                                 –
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                     „    4    „
                                 50
                                 45
                                 11
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                     „    5    „
                                 60
                                 60
                                   24,5
                                 –
                                 –
                                 
                              
                                     „    7    „
                                 abg.
                                 abg.
                                 40
                                   7
                                 –
                                 
                              
                                     „  10    „
                                 –
                                 –
                                 abg.
                                 28
                                 –
                                 
                              
                                     „  15    „
                                 –
                                 –
                                 –
                                 40
                                 –
                                 
                              
                                     „  20    „
                                 –
                                 –
                                 –
                                 abg.
                                 –
                                 
                              
                           Wie die vorstehenden Zahlen lehren, wird der in Rede stehende Zersetzungsprocess
                              									zuckerartiger Stoffe durch Mangel an Wärme in ähnlicher Weise verzögernd beeinflusst
                              									wie durch Mangel an Licht, aber in noch stärkerem Grade. Denn während ein
                              									Lichtmangel den Process nur verlangsamt, gibt es für die Temperatur eine untere
                              									Grenze, jenseits welcher der ganze Process überhaupt sistirt wird. Dieselbe liegt in
                              									unserem Falle offenbar bei etwa 5° C.
                           Jedenfalls gibt es hier, wie bei anderen Gährungsvorgängen, auch eine obere
                              									Temperaturgrenze, deren Höhe noch durch weitere Versuche erst festzustellen ist.
                           Wenn nun ein gewisses Minimum von Wärme vorhanden ist (etwa 6°), beginnt die
                              									Zersetzung des Zuckers, die Bildung der Säure und die Entwickelung von Wasserstoff
                              									und Kohlensäure langsam einzutreten, wird dann mit steigender Temperatur immer
                              									energischer und erreicht zwischen 30 und 40° die grösste Intensität. Ueber 40°
                              									hinaus wird der Process, soweit man nach Analogie mit anderen Gährungen
                              									schliessen darf, vermuthlich sehr rasch abnehmen.
                           Zum Verständniss des Ganzen muss hierbei aber unbedingt festgehalten werden, dass die
                              									verschiedenen Temperaturen weniger um ihrer selbstwillen die geschilderten
                              									Erscheinungen verursachen, als vielmehr deshalb, weil sie die unmittelbare Ursache
                              									der Gährung, d.h. die Rindenbakterien, in ihrer Lebensthätigkeit günstig bezieh.
                              									ungünstig beeinflussen.
                           Die Hauptergebnisse der vorstehenden Untersuchung lassen sich kurz in folgende Sätze
                              									zusammenfassen:
                           1) Die Bildung der Säure in den mit Fichtenrinde hergestellten Gerbebrühen beruht auf
                              									einem Gährungsprocess.
                           2) Als Gährungserreger wirkt eine die Fichtenrinde selbst bewohnende Bakterienart,
                              									der Bacillus corticalis.
                           3) Das Gährungsmaterial ist ein in der Fichtenrinde enthaltener zuckerartiger (Fehling'sche Lösung reducirender) Stoff.
                           4) Die gährende Substanz wird durch den Bacillus corticalis zerlegt in Säure, welche
                              									in der Flüssigkeit gelöst bleibt, und in ein Gemenge von viel Wasserstoff und wenig
                              									Kohlensäure, welche entweichen.
                           5) Das für die Gährung nothwendige Temperaturminimum liegt bei etwa 6° C., das
                              									Optimum zwischen 30 und 40°.
                           6) Das Licht übt eine beschleunigende Wirkung auf den Verlauf des Gährungsprocesses
                              									aus.
                           7) Der Bacillus corticalis vermag auch reine Zuckerarten (Traubenzucker, Rohrzucker,
                              									Milchzucker) zu zersetzen in ein Gemenge von wenig Kohlensäure mit viel Wasserstoff
                              									und eine in Wasser lösliche Säure, deren chemische Natur noch festzustellen ist.
                           Anhangsweise möge noch erwähnt werden, dass auch andere Gerbmaterialien ähnliche
                              									Gährungserscheinungen zeigen, wie die oben für die Fichtenrinde geschilderten. So
                              									z.B. entwickelte sich unter den gleichen Umständen wie oben während des Sauerwerdens
                              									der wässerigen Extracte ein mit schwach leuchtender Flamme brennbares Gas aus
                              									Eichenrinde, Mimosenrinde und Sumach. (Dagegen nicht aus Quebrachoholz und
                              									Myrobalanen.)
                           Höchst wahrscheinlich liegt diesen Gährungserscheinungen eine ähnliche oder dieselbe
                              									Ursache zu Grunde, wie denen der Fichtenrinde; die Bestätigung dieser Vermuthung
                              									muss indessen späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.