| Titel: | Ein neues Cellulosederivat und seine technische Verwendbarkeit. | 
| Autor: | Haber | 
| Fundstelle: | Band 294, Jahrgang 1894, S. 211 | 
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                        Ein neues Cellulosederivat und seine technische
                           								Verwendbarkeit.
                        Ein neues Cellulosederivat und seine technische
                           								Verwendbarkeit.
                        
                     
                        
                           Clayton Beadle hat das in Gemeinschaft mit C. F. Cross und E. J.
                                    										Bevan begonnene Studium der „mercerisirten“ Cellulose (Chem. Soc., 1893 S. 837; Soc.
                                 											Chem. Ind., 30. Juni 1893) mit Arthur D.
                                    										Little gemeinsam fortgesetzt und beschreibt die gefundenen Ergebnisse in
                              										The Journal of the Franklin Inst., August 1894. Das
                              									Hauptergebniss der Arbeit ist die Auffindung einer sehr interessanten
                              									Celluloseverbindung, des cellulosexanthogensauren Natrons, das in seinen
                              									Eigenschaften ebenso sehr von wissenschaftlichem Interesse als von technischem
                              									Werthe ist.
                           Beadle erörtert zunächst die Constitution der
                              									mercerisirten Cellulose und neigt der Ansicht zu, dass nicht nur eine mechanische,
                              									sondern eine chemische Vereinigung des Alkalis mit der Cellulose statthat, wie dies
                              									durch die frühere Gladstone'sche Formel C12H20O10 NaOH ausgedrückt wird. Diese Alkaliverbindung,
                              									wenn sie wirklich besteht, wird indessen durch Wasser zerlegt unter Bildung eines
                              									Cellulosehydrats C12H20O10, H2O, welches die blaue Jodreaction der Stärke gibt. Diese Reaction dient zur
                              									Erkennung der eingetretenen Mercerisation. Durch Behandeln der
                              										„Alkalicellulose“, d. i. des Einwirkungsproductes von Natronlauge auf
                              									Cellulose, mit Schwefelkohlenstoffdampf erhält man Cellulosexanthogenat in Gestalt
                              									einer tief goldgelben Lösung. Diese Lösung, deren Farbe in der Nebenreaction
                              									gebildetem Natriumthiocarbonat zuzuschreiben ist, coagulirt – um so leichter, je
                              									verdünnter und je wärmer sie ist – unter Rückbildung von Cellulose, Natronlauge und
                              									Schwefelkohlenstoff. Mineralsäuren fällen die Lösung unter
                              									Schwefelwasserstoffentwickelung; Essigsäure und ähnliche schwache organische Säuren
                              									entfärben sie unter Schwefelwasserstoffentwickelung, ohne Cellulose zu fällen;
                              									Natriumbisulfit und schweflige Säure entfärben sie ohne Fällung und Gasentwickelung.
                              									Chlorzink und Zinksulfat fällen hornige Flocken des Zinksalzes, das gewaschen und
                              									von Neuem in Alkali gelöst werden kann. Alkohol oder Kochsalzlösung scheiden die
                              									Cellulose als Natriumxanthogenatverbindung aus, die ausgewaschen und in Wasser
                              									wieder gelöst werden kann. Die so erhaltene reinere Lösung hat eine grosse
                              									Viscosität und coagulirt sehr leicht. Die Viscosität der ursprünglichen Lösung ist
                              									verschieden, je nachdem die Einwirkung des Alkalis auf die Cellulose von längerer
                              									oder kürzerer Dauer war. Eine mehrere Wochen mit Alkali behandelte Cellulose
                              									gibt mit Schwefelkohlenstoff eine sehr wenig viscose Flüssigkeit. Mit der Viscosität
                              									wächst und fällt anscheinend das specifische Gewicht. Die Tendenz zur Coagulation
                              									wächst mit zunehmender Temperatur und mit abnehmendem Quantum. Kleine Mengen
                              									coaguliren wesentlich rascher als grosse.
                           Die Luft begünstigt die Coagulation, indem ihre Kohlensäure die Bildung von Soda
                              									unter Zerfall des Cellulosethiocarbonats veranlasst. Das abgeschiedene Coagulum
                              									zeigt die Eigenthümlichkeit, unter Wasser, je nachdem es mehr oder weniger als 10
                              									Proc. Cellulose enthält, aufzuquellen oder einzuschrumpfen, bis es 90 Proc. Wasser
                              									und 10 Proc. Cellulose enthält. Diese Masse wird durch Alkohol nicht entwässert; an
                              									der Luft trocknet sie unter Schrumpfung allmählich gänzlich aus und liefert dann
                              									einen harten, festen, hornigen Körper vom spec. Gew. 1,53. Die rohe
                              									Thiocarbonatlösung, mit Essigsäure bis genau zur sauren Reaction versetzt, zeigt
                              									beim Stehen eine Zunahme der Viscosität und alkalische Reaction, entsprechend dem
                              									Zerfall des neutralen Cellulosexanthogenats in Aetznatron, Cellulose und
                              									Schwefelkohlenstoff.
                           Solche mit Essigsäure behandelten Lösungen coaguliren binnen wenigen Stunden und
                              									zwar, im Gegensatz zu der Rohlösung, um so rascher, je concentrirter sie sind.
                           Ein frisches, aus einer concentrirten, mit Essigsäure behandelten Lösung erhaltenes
                              									Coagulum kann in Wasser durch Schütteln wieder gelöst werden. Systematischer
                              									Wasserzusatz unter Schütteln verlängert dementsprechend die Lebensdauer dieser
                              									Lösungen. Dieselbe Wirkung wie die Essigsäure hat der Alaun. Dagegen erhält man
                              									stabilere Lösungen mit schwefliger Säure oder Natriumbisulfit. Hier ist wiederum die
                              									verdünnte Lösung beständiger als die concentrirte. Abweichend von der Einwirkung der
                              									Essigsäure und des Alauns ist bei den letzterwähnten Reagentien, dass die mit ihnen
                              									versetzten Lösungen in ihrer Coagulationsfähigkeit enorm abhängig von der
                              									Substanzmenge sind. Dieselbe Lösung coagulirt bei derselben Temperatur in 30 Stunden
                              									bei kleinen Mengen, in 6 Tagen bei grossen Mengen. Das erhaltene Coagulum ist in
                              									Ammoniak leicht löslich.
                           Behandelt man die Rohlösung mit Alkohol oder Salzwasser, löst das erhaltene Coagulum
                              									in Wasser und wiederholt diese Behandlung mehrmals, so nimmt der Gehalt an Schwefel
                              									und an Natrium bis auf ein Zehntel seines ursprünglichen Betrages ab. Das
                              									Mengenverhältniss beider aber bleibt das nämliche. Die Lösungen werden dabei immer
                              									viscoser und unstabiler. Es scheint danach, dass der in Reaction tretende Rest der
                              									Cellulose nicht immer der gleiche ist. Das kleinste Molekül, das nach Beadle's Ansicht angenommen werden kann, ist C48H80O40. Die Thatsache, dass eine Lösung von 2 Th.
                              									Cellulose in 1000 Th. Wasser bei der Coagulation ihr Volumen nicht ändert, führt zu
                              									der Vermuthung eines sehr hohen Molekulargewichtes.
                           Mit den mitgetheilten Reactionen der Verbindung ist die Formel
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 294, S. 210
                              
                           in gutem Einklänge. Da aber die Lösung mit BenzoylchloridCellulosebenzoat
                              									liefert, so ersetzt Beadle dieselbe durch
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 294, S. 211
                              
                           worin X einen Celluloserest bezeichnet, dessen
                              									Molekulargewicht ein verschiedenes in verschiedenen Fällen sein kann, und der den
                              									chemischen Charakter einer Alkalicellulose besitzt.
                           Die aus dem Xanthogenat gewonnene Cellulose enthält 10 bis 15 Proc. Feuchtigkeit, die
                              									nach Beadle's Ansicht nicht einem hygroskopischen
                              									Charakter der Verbindung zuzuschreiben sind, sondern zur Constitution gehören. Er
                              									nimmt an, dass die ursprüngliche Cellulose, deren Hydroxylgruppen innere
                              									Anhydridbildung erlitten haben, unter dem Einflüsse des Alkalis bei der
                              									Mercerisation Wasser aufnimmt und Hydroxyle zurückbildet. Diese Hydroxyle bleiben
                              									sowohl bei der Bildung wie beim Zerfall des Xanthogenats intact. Die bei der
                              									Zerlegung des Xanthogenats gewonnene Cellulose ist aber überaus leicht geneigt,
                              									unter Wasserabspaltung wieder innere Anhydride zu bilden. Für diese Ansicht führt
                              										Beadle an, dass Nitrocellulosen um so mehr
                              									Feuchtigkeit im lufttrockenen Zustande zurückhalten, je geringer die Anzahl der
                              									durch den Salpetersäurerest esterificirten Hydroxylgruppen ist.
                           Zur Gewinnung grosser Quantitäten dieser überaus verwendungsfähigen Celluloselösungen
                              									benutzt Beadle eine feuchte, desintegrirte Cellulose,
                              									die er unter Druck mit starker Aetzkalilösung imprägnirt und durcharbeitet. Die
                              									Cellulose absorbirt alle Flüssigkeit, schwillt dabei auf und gewinnt ein flockiges
                              									Ansehen. Zur Erzielung vollständiger Gleichförmigkeit der Masse wird sie durch ein
                              									Sieb gepresst. Der Process dauert 30 Minuten und liefert jedesmal etwa 60 k (150
                              									Pfund engl.) mercerisirte Cellulose. Ein Cubikfuss (28,3 l) wiegt etwa 6,8 k. In
                              									diese Masse wird, nachdem sie auf 27° C. erwärmt worden, Schwefelkohlenstoffdampf
                              									eingeblasen, wobei die Temperatur durch Selbsterwärmung auf 40° C. steigt. Nach
                              									einer Stunde ist die Reaction beendet. Die Masse zeigt jetzt unveränderte Structur,
                              									aber goldgelbe Färbung. Sie wird mit dem gleichen Volumen Wasser sorgsam
                              									durchgerührt und der entstehende steife Teig nach 7 Stunden nochmals mit seinem
                              									eigenen Volumen Wasser verdünnt, darauf mit der Centrifuge ausgeschleudert und durch
                              									Filterpressen gedrückt. Die günstigsten Bedingungen für den Process bieten die
                              									Mengenverhältnisse
                           C12H20O10 : 2NaOH : 2CS2 : 35H2O.
                           Aus der von der Filterpresse ablaufenden Lösung stellt Beadle continuirliche Filmsbänder dar, indem er die Lösung, nachdem sie
                              									eine Zeitlang gestanden und eine Zähigkeit gewonnen hat, die baldige spontane
                              									Coagulation erwarten lässt, mittels einer Walze, von welcher sie ein Abstreichmesser
                              									in der gewünschten Dicke abstreicht, durch eine Kochsalzlösung führt, wobei sie zu
                              									einer Haut erstarrt, die durch Wasch-, Bleich-, Färbe- und Trockenapparate
                              									weitergeleitet und schliesslich auf Haspeln aufgewickelt wird. Vor dem Trocknen, das
                              									durch Ueberführen über Dampfcylinder erfolgt, können Muster u.s.w. eingepresst
                              									werden. Die feuchten Films färben sich mit zahlreichen sonst adjectiven Farbstoffen
                              									Substantiv an und besitzen ein Absorptionsvermögen für eine Reihe anderer
                              									Substanzen, das nutzbringend verwendet werden kann. Dicke Films werden aus der
                              									mit schwefliger Säure entfärbten Lösung gewonnen. Man lässt diese coaguliren und
                              									unterwirft die aus der ausgeschiedenen Gallerte geschnittenen Stücke von passenden
                              									Dimensionen der Einwirkung heisser Kalander, wodurch Wasser und Verunreinigungen
                              									entfernt, Textur und Festigkeit des Materials verbessert werden. Sehr eigenthümlich
                              									und werthvoll ist die Eigenschaft des festen entfärbten Coagulums, dass disgregirte
                              									Theile davon unter Druck sich zu einer homogenen Masse vereinigen. Es können so
                              									mehrere dünne Schichten zu einer dicken vereinigt oder aus gepulverter Masse
                              									beliebige Formstücke hergestellt werden. Schliesslich können sogar aus dem
                              									Cellulosecoagulum unmittelbar Büchsen u.s.w. gefertigt werden, indem Formen und
                              									Trocknen in einer Operation erfolgt.
                           Andere Seiten der technischen Verwerthbarkeit des Materials haben Arthur D. Little besonders beschäftigt. Nach ihm ist
                              									eine einprocentige, mit schwefliger Säure entfärbte Celluloselösung ein
                              									ausgezeichneter Ersatz für Leim und als solcher zum Kleben von Papier und Stroh
                              									bereits mit Erfolg benutzt. Im Tischlereigewerbe sind grössere Versuche damit noch
                              									nicht angestellt worden. Nach seinen Versuchen ist die Lösung aber auch dort
                              									geeignet, den theureren Leim völlig zu ersetzen.
                           Sehr eigenartig ist der Effect, den das Passiren leinener oder baumwollener Gewebe
                              									durch Celluloselösungen hat. Die Fasern der Gewebe, die eine Lösung passirt haben,
                              									danach ausgequetscht, getrocknet, gewaschen und gebleicht werden, sind mit einer
                              									überaus dünnen Cellulosehaut umgeben, die bewirkt, dass sie beim Waschen zwar weich
                              									und biegsam sind, beim Bügeln aber sofort jede gewünschte Glätte und Steifheit
                              									annehmen. Stärke, Pfeifenthon und ähnliche Füllsubstanzen können mit der Lösung auf
                              									die Faser gebracht werden und haften vermöge des Celluloseüberzuges dauernd darauf
                              									fest.
                           In derselben Richtung liegt die Verwendbarkeit der Celluloselösung als
                              									Verdickungsmittel für den Zeugdruck und in der Papierfabrikation. Nach der
                              									gewöhnlichen Leimung wird das Papier in eine dünne Celluloselösung gebracht. Durch
                              									den Alaungehalt des Papiers wird auf seiner Oberfläche eine dünne Cellulosehaut
                              									niedergeschlagen, welche auf der einen Seite für die Glätte und Festigkeit des
                              									Papiers, auf der anderen Seite für die Verhütung des Herauswaschens von Thon und
                              									anderen Füllstoffen bedeutungsvoll ist.
                           Die aus der Celluloselösung durch spontane Zersetzung abgeschiedene Gallerte bildet
                              									nach dem Waschen und Trocknen eine harte, sehr gleichförmige und politurfähige Masse
                              									vom Charakter des Ebonits, die als Isolirmaterial und für die Drechslerei verwendet
                              									werden soll.
                           Auf die zahllosen Verwendungen, zu welchen die fast glasklaren Films aus Cellulose,
                              									deren Darstellung entweder continuirlich nach Beadle
                              									oder in einzelnen Stücken zwischen zwei ebenen Glasplatten erfolgen kann und die in
                              									allen Dicken, Farben und Mustern hergestellt werden können, sich eignen, sei hier
                              									nur hingedeutet.
                           Interessant ist, dass die Herstellung poröser Gegenstände aus dieser Cellulose leicht
                              									gelingt; und dass ausser zahlreichen Galanteriewaaren, die so hergestellt werden,
                              									auch die Erzeugung künstlicher Schwämme in Angriff genommen ist.
                           
                           Ein überaus grosses Verwendungsfeld ist schliesslich für diese Cellulose in
                              									Mengungen mit anderen Körpern, Faserstoffen, Sägemehl, Thon u.s.w. gegeben. Es
                              									lassen sich Gemenge von der Weichheit und Biegsamkeit des Linoleums oder des
                              									Oeltuches ebenso wie solche von der Festigkeit des Backsteins herstellen. Auch
                              									Isolirmaterialien, Täfelungen, Paneele, Schmirgelräder und zahlreiche andere
                              									Specialartikel könnten aus solchen Cellulosegemischen hergestellt werden.
                           Die Herstellung von Cellulosehäuten gelingt leicht, wenn man etwas gut zerkleinerte
                              									Cellulose mit starkem Alkali kocht, bis ein gleichmässiger Brei gebildet ist, darauf
                              									auf etwa 40° abkühlt, mit Schwefelkohlenstoff durchschüttelt, mit Alkohol fällt, den
                              									Niederschlag in wenig Wasser löst, mit Essigsäure neutralisirt und die Lösung auf
                              									einer Glasplatte erhitzt. Sie erstarrt dann zu einer dünnen durchsichtigen Haut,
                              									welche leicht abgelöst werden kann.
                           (Es ist nicht zu bezweifeln, dass, wenn sich die Angaben betreffend die technische
                              									Verwerthbarkeit des Xanthogenats bestätigen, ein erheblicher Aufschwung der
                              									Celluloseindustrie zu erwarten steht.)
                           
                              Haber.