| Titel: | Kriegswaffen auf der Ausstellung in Antwerpen und dazu Gehöriges. | 
| Fundstelle: | Band 294, Jahrgang 1894, S. 218 | 
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                        Kriegswaffen auf der Ausstellung in
                           								Antwerpen und dazu Gehöriges.
                        (Schluss des Berichtes S. 193 d. Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Kriegswaffen auf der Ausstellung in Antwerpen und dazu
                           								Gehöriges.
                        
                     
                        
                           Das 6,5-mm-Daudeteau-Gewehr von 725 m
                              									Anfangsgeschwindigkeit.
                           Von neuen Militärgewehren war auf der Antwerpener Ausstellung von der Société française des armes portatives das eben
                              									genannte ausgestellt. Es ist dies eine Waffe, die jedenfalls Beachtung verdient. Ihr
                              										Repetirmechanismus zeigt innige Verwandtschaft mit
                              									dem des belgischen Mauser-Gewehres. Fünf Patronen werden aus einem oben in die Hülse
                              									des geöffneten Verschlusses gesetzten Patronenhalter hinunter in ein tiefes, aus dem
                              									Schafte herausragendes Magazin geschoben, auf dessen Boden eine nach oben drückende
                              									Federvorrichtung liegt; sie sind hier über einander
                              									gelagert. Der ursprüngliche belgische Patronenhalter scheint etwas zu leicht
                              									construirt gewesen zu sein (beim spanischen Gewehr ist der Fehler abgestellt) und
                              									deshalb bringt Daudeteau zwei andere Halter in
                              									Vorschlag, einen, der dem des russischen Gewehres Fig. 1E (S. 194)
                              									entspricht, und einen besonderen, dessen Beschreibung sich nicht lohnt, weil seine
                              									Handhabung zu umständlich und sein Gewicht zu gross ist. Ueber dem Magazinkasten ist
                              									oben rechts und links in der Verschlusshülse je eine Längsfeder mit Ansatz
                              									angebracht; beide sollen mit Hilfe der Verschlussbewegung die Lage der obersten
                              									Patrone so regeln, dass sie nicht eher vorgeschoben werden kann, bis der Lauf leer
                              									ist. Als Verbesserung eines alten Repetirgewehres (mit Mannlicher-Mechanismus z.B.)
                              									kann diese Einrichtung Werth haben, zur Einführung bei einem neuen Gewehre eignet
                              									sie sich wohl weniger. Der ganze Repetirmechanismus Daudeteau's scheint durch den des spanischen Mauser-Gewehres überholt
                              									worden zu sein.
                           Die sonstigen Verschlusseinrichtungen des Daudeteau-Gewehres entsprechen sehr dem des
                              									französischen Gewehres; mit Rücksicht auf die im vorigen Hefte gegebenen Zeichnungen
                              									heisst das: sie gleichen eher dem deutschen, als dem spanischen Repetirgewehr. Der
                              									Verschluss ist klein, handlich, wahrscheinlich sehr haltbar und seine Construction
                              									recht durchdacht. Als nebensächlich muss erwähnt werden, dass der Verschlusscylinder
                              									in zwei Formen construirt ist: mit einem besonderen, festgeschraubten Kopf und mit
                              									einem (nicht besonders eingesetzten) aus einem Stück; da in beiden Fällen der
                              									Auszieher sich mit dem Verschlusse (also um den Patronenrand) bewegt, so ist der Unterschied
                              									nicht sehr wesentlich. Der „dreieckige Ansatz mit der schiefen Fläche“ und
                              										„der dazu gehörige Ausschnitt“ (coin d'arrêt und rampe héliçoïdale)
                              									treten wie beim ersten Mauser-Systeme auf. Eigenthümlich sind die Abzugs- und
                              									Auswerfevorrichtung; besonders hervorzuheben aber ist ein kleines Schienenstück
                              									vorn auf dem Verschlusscylinder, welches mit einem Zwischenraum vor dem Fuss des
                              									Knopfes steht. Die Vorderkante desselben lehnt sich beim Aufdrehen gegen eine
                              									schräge Fläche hinten am Hülsenkopf, bewegt dadurch den Verschlusscylinder etwas
                              									nach hinten und lockert die Patrone, sie versieht also auch die Thätigkeit, welche
                              									beim deutschen Gewehr die vorderen Kanten der Klauen in
                              									den schraubenartigen Ausschnitten der Hülse hatten. Das Zurückschieben während der
                              									Drehung beginnt aber bei dem Daudeteau-Gewehr erst lange, nachdem das Aufdrehen
                              									begonnen hat; die zur Rohrachse senkrechten Stützflächen der Klauen sind mithin sehr
                              									breit und das Stützen ist sehr sicher. Ueberhaupt geht aus der in der Ausstellung
                              									ausgelegten Beschreibung des Gewehres hervor, dass man auf Festigkeit und
                              									Haltbarkeit des Verschlusses grossen Werth gelegt hat.
                           
                        
                           Fabrikation von Kriegswaffen.
                           Von den ausstellenden Firmen verdient eine namhaft
                              									gemacht zu werden, weil sie in ganz besonderer Beziehung zur Geschichte der
                              									Waffenfabrikation steht; es ist dies die Fabrique nationale
                                 										d'armes de guerre à Herstal (Lüttich). Die Herstellung der Gewehre hatte
                              									früher in ganz anderer Weise stattgefunden, als sie jetzt stattfindet. Einzelne
                              									geschickte Arbeiter erhielten die zu einem Gewehre gehörigen, mehr oder weniger
                              									vorgearbeiteten Materialien und stellten daraus, oft unter starker Veränderung
                              									einzelner Theile, die einzelnen Waffen zusammen. Die Theile zweier Waffen waren
                              									durch diese Bearbeitung so verschieden geworden, dass sie fast nie umgetauscht
                              									werden konnten. Die Massenfabrikation der Kriegswaffen in anderen Staaten hatte nun
                              									zur Erkenntniss geführt, dass die Einführung eines neuen Herstellungsverfahrens
                              									dringende Nothwendigkeit sei, wenn der Industriezweig der Waffenfabrikation nicht
                              									untergehen sollte. Nach demselben sollten die Gewehre aus möglichst mit Maschinen
                              									hergestellten, austauschbaren Theilen zusammengesetzt werden. Um diesen Gedanken
                              									auszuführen, verbanden sich die hervorragendsten Waffenfabriken Belgiens und
                              									gründeten die genannte Fabrique nationale d'armes de
                                 										guerre, deren erster grösserer Auftrag in der Lieferung einer
                              									beträchtlichen Anzahl von Gewehren M./89 für den belgischen Staat bestand. Ob ohne
                              									die Verbindung der Fabriken diese Lieferung in Belgien in gewünschter Weise hätte
                              									ausgeführt werden können, erscheint fraglich.
                           Die Herstellung der nichtdeutschen Mauser-Gewehre liefert überhaupt treffliche
                              									Beispiele für die Nothwendigkeit der Vereinigung einer Anzahl leistungsfähiger
                              									Fabriken bei Herstellung neuer Kriegswaffen. Diese erfordern zu ihrer Construction,
                              									ihrer Erprobung Einrichtungen von einer solchen Vielseitigkeit, dass sie nicht bei
                              									einem Einzelunternehmer vorkommen können. Auf der anderen Seite ergibt die
                              									Ausfuhrstatistik, welchen Nutzen Deutschlandvon der Vereinigung einer Anzahl von Gewehr-,
                              									Patronenhülsen- und Pulverfabriken zur Herstellung der Mauser-Waffen gehabt hat. Da
                              									alle Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass eine kräftige Weiterentwickelung der
                              									Handfeuerwaffen folgen wird, so ist zu erwarten, dass ähnliche Vereinigungen
                              									beibehalten oder neu geschaffen werden.
                           Ueber die Weiterentwickelung der Handfeuerwaffen wird in nächster Zeit ein
                              									Versuchsschiessen der nordamerikanischen Marine mit 5,9-mm-Gewehren von mindestens
                              									750 m Anfangsgeschwindigkeit aufklären; vielleicht führen auch die Bestrebungen der
                              										Société française mit ihrem Daudeteau-Gewehr ein
                              									hervorragendes Ergebniss in Bezug auf Anfangsgeschwindigkeiten herbei; es wird
                              									behauptet, dass ein derartiges Gewehr jetzt schon 800 m Anfangsgeschwindigkeit
                              									erreicht hat und auf 1000 m gebracht werden könne.
                           
                        
                           Verwerthung alter Kriegsgewehre.
                           Die Antwerpener Ausstellung gab eine kleine Andeutung von dem geringen Werthe, weiche
                              									ausgeschiedene Kriegswaffen haben, in der für einzelne Liebhaber bestimmten
                              									Preistabelle einer belgischen Waffenhandlung. (Für Händler werden diese Preise um
                              									ein Vielfaches niedriger stehen.) Es kostete danach ein Zündnadelgewehr (Souvenir de
                              									Sadowa) 6 Francs, Chassepot-Gewehr 8 Francs, Hahnschlossgewehr 9 Francs,
                              									Steinschlossgewehr 12 Francs, Mauser-Repetirgewehr 1871/84 25 Francs.
                           Vielleicht sehr praktisch wird es sein, alte, ausrangirte, gezogene Gewehrläufe zu
                              									Mitrailleusen gegen wilde Völker zu verwenden. Die Waffenfabrik Santon (Lüttich) hatte eine solche aus alten belgischen
                              									Albini-Brändlin-Läufen ausgestellt.
                           
                        
                           Einige Leistungen der Gewehre sonst und jetzt.
                           Die Antwerpener Ausstellung brachte Darstellungen und Angaben über Durchschlagskraft,
                              									Geschwindigkeit und Treffähigkeit alter und neuer Gewehre, von denen vielleicht
                              									folgende bemerkenswerth sind:
                           
                              
                                 
                                 Von belgischen Militärgewehren hatten
                                    											das
                                 
                              
                                 Steinschloss-gewehr1777 (A)
                                 Percussions-gewehr1841 (B)
                                 gezogeneGewehr1853 (C)
                                 Albini-Brandlin-Gewehr1853/67 (D)
                                 Mauser-Gewehr1889 (E)
                                 
                              
                                 Durchmesser der Laufbohrung
                                 17,2 bis 17,5 mm
                                 11 mm
                                 7,65 mm
                                 
                              
                                 Geschoss
                                 Kugel von 27 g
                                 Langgeschossvon 32 g
                                 Langgeschossvon 25 g
                                 Langgeschossvon 14,1 g
                                 
                              
                                 Anfangsgeschwindigkeit
                                 450 m
                                 450 m
                                 320 m
                                 440 m
                                 600 m
                                 
                              
                                 Höhenstreuung auf 100 m Entfernung
                                    15 cm
                                     13 cm
                                 13,5 cm
                                     4 cm
                                   2,0 cm
                                 
                              
                                 Breitenstreuung auf 100 m Entfernung
                                      7 cm
                                       8 cm
                                      9 cm
                                     3 cm
                                   0,7 cm
                                 
                              
                           (Vgl. für letztere Angaben Fig.
                                 										3. Die Berechnung ist nach der deutschen Schiessvorschrift
                              									ausgeführt.)
                           Auffallend ist der Rückschritt der Leistungen bei Einführung der ersten gezogenen
                              									Gewehre. Die in Belgien zuerst eingeführten besassen indess eine bedeutend geringere
                              									Treffähigkeit als die ähnlichen Gewehre anderer Staaten, weil sie ein schlechteres
                              									Geschoss hatten (Minié-Geschoss ohne culot). Die
                              									Leistung des heutigen spanischen Mauser-Gewehres mit 725 m Anfangsgeschwindigkeit
                              									muss natürlich die des belgischen (mit 600 m) bedeutend übertreffen. Die
                              									Weiterführung des Vergleiches würde aber den hier gestatteten Raum überschreiten und
                              									muss daher unterbleiben.
                           Es ist übrigens schade, dass die obigen Versuche mit einer zu geringen Anzahl
                              									von Schüssen ausgeführt worden sind, mindestens die doppelten Zahlen würden für ein
                              									einigermaassen genügendes Ergebniss nothwendig gewesen sein.
                           Textabbildung Bd. 294, S. 218Fig. 3.Treffähigkeit von belgischen Gewehren (1777 bis 1889). Doppelt schade ist es aber vielleicht, dass kein Vergleichsschiessen mit
                              									Bogen und Pfeilen stattgefunden hat; einmal, weil Belgien durch seine
                              									Bogenschützenvereine leicht im Stande gewesen wäre, ein solches zu veranstalten, und
                              									zum anderen, weil sonderbarer Weise die Treffähigkeit dieser alten Waffen,
                              									Beobachtungen zufolge, sehr wohl in Vergleich mit den Schiesspulvergewehren vor 100,
                              									ja sogar mit denen vor 40 Jahren gestellt werden kann. (Natürlich ist ein Vergleich
                              									der Durchschlags Wirkungen, der Geschwindigkeiten sowie der Treffähigkeit über 100 m gänzlich ausgeschlossen.)
                           
                        
                           Bogen und Pfeile im heutigen Belgien.
                           Es würde eine grosse Unterlassungssünde sein, wenn bei einer Besprechung belgischer
                              									Waffen die Bogen und Pfeile unerwähnt blieben. Ein kurzer Hinweis auf diese
                              									Ueberbleibsel des Mittelalters, welche bis auf den heutigen Tag bei den Vlamen als
                              									sehr beliebtes, nützliches Spielzeug in Benutzung geblieben sind, ist vielleicht
                              									deshalb nicht ganz werthlos, weil er nicht nur eine Bedeutung für die Geschichte der
                              									Waffen, sondern auch für die Völkerkunde und für den Unterricht in der Ballistik und
                              									Physik hat.
                           Heutzutage bestehen in Belgien drei Arten von Gesellschaften, welche das Schleudern
                              									von Geschossen durch die Federkraft von Bogen und Sehne als Sport betreiben.Die Vereine, welche
                              									mit der Armbrust schiessen, sind am wenigsten
                              									beachtenswerth, weil deren Geschosse nicht mehr Bolzen oder Pfeile sind, sondern mit
                              									Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit eine Kugelform bekommen haben. Die Bogen
                              									werden entweder zum Schuss in senkrechter oder zum Schuss in wagerechter Richtung
                              									verwandt; nach dieser Schussart trennen sich die Vereine für das Bogenschiessen in zwei Arten (welche wenig Verkehr mit
                              									einander pflegen); am zahlreichsten sind wohl die für den senkrechten Schuss gegen
                              									eine Stange (tir à la perche). Die Bogen derselben sind
                              									ungefähr 2 m (6 engl. Fuss) lang; würde in der Mitte der Sehne eine Zuglast von 40 k
                              									angebracht, so hätte man die Grösse der Spannkraft, welche nöthig ist, um einen
                              									Pfeil von 82 cm Länge in üblicher Weise fortzuschleudern. Diese Pfeile sind von
                              									leichtem Holz, 6 bis 10 mm dick, haben statt der Spitze einen runden, nach vorn
                              									breiter werdenden Ansatz von Hörn, dessen vorderste Fläche ein Kreis von 25 mm
                              									Durchmesser ist. Hinten haben sie Federn, welche ähnlich schräg zur Achse stehen,
                              									wie die Züge einer modernen Feuerwaffe zur Laufachse. Die Federn setzen die
                              									geradlinig vorwärts getriebenen Pfeile in Rotation, indem sie die Luft in ähnlicher
                              									Weise einwirken machen, wie die Flügel der nicht gehemmten Schraube eines
                              									verankerten Schiffes das Wasser eines stark fliessenden Stromes. (Bei den mit einer
                              									brisanten Sprengmasse gefüllten sehr langen Geschossen der Druckluftkanonen
                              									[pneumatic dynamite guns], sowie bei den vor 40 Jahren versuchten Langgeschossen für
                              									glatte Geschütze erzeugt der Luftwiderstand in gleicher Weise die Drehung.) –
                              									Besonders hübsch ist es, den fliegenden Pfeil während der Augenblicke zu beobachten,
                              									in welchen er seine Vorwärtsbewegung und seine Rotation ändert. Der Schwerpunkt
                              									dieser Pfeile liegt auf ein Drittel der Länge, von vorn gerechnet. Zum Aufsetzen auf
                              									die Sehne ist in der Abschlussfläche des Bodens des Pfeiles eine Rille angebracht,
                              									die eine ganz bestimmte Richtung zur Stellung der Federn hat. Die Stangen, gegen
                              									welche geschossen wird, sind 18 bis 20 m hoch; die Pfeile erreichen indess 60 bis 80
                              									m Höhe.
                           Die Bogen der anderen Vereine, welche den wagerechten Schuss (tir au berceau) pflegen, sind leichter; sie schiessen auch leichtere,
                              									kürzere Pfeile, welche nicht mit einer stumpfen Spitze, sondern mit einer
                              									zugespitzten versehen sind. Einige Mitglieder dieser Vereine lassen die Federn so
                              									schräg stellen, dass sie eine Drehung ergeben müssen, die grösser ist als die
                              									mancher Feuerwaffen (sie haben also mehr als 30 Kaliber oder 6° Drall). Die
                              									laubengangartigen Schussbahnen (berceaux) für diese Schiessen sind höchstens 33 m
                              									lang; auf grössere wagerechte Entfernungen wird also zur Zeit nicht geschossen. –
                              									Die Schuss weiten der für das Hochschiessen gebrauchten Bogen sind unter Benutzung
                              									langer, spitzer Pfeile bei entsprechender Erhöhung ganz andere. Mit den jetzigen
                              									stumpfen Pfeilen lässt sich schon eine Schuss weite von 200 m erreichen.
                           Neben Gründen der öffentlichen Sicherheit sind vielleicht auch noch andere für die
                              									Ausführung dieser Schiessen maassgebend gewesen. So braucht der senkrecht in die
                              									Höhe schiessende Schütze keine Rücksicht auf eine Krümmung der Flugbahn (also keine
                              										„Erhöhung“) zu nehmen und der in wagerechter Linie schiessende braucht
                              									bei 33 m Schussweite den Zielpunkt nicht weit vom Treffpunkt zu verlegen.
                           (Es ist eigenthümlich, dass amerikanische Naturvölker, selbst solche, welche nie
                              									mit Europäern zusammengekommen sein können, wie die Schingu-Indianer in
                              									Centralbrasilien, Pfeile mit schräg stehenden, Rotation erzeugenden Federn
                              									gebrauchen. Aus der sorgsamen Ausführung dieser Pfeile [im Völkerkunde-Museum in
                              									Berlin] ergibt sich, dass diese Völker eine Ahnung davon haben, dass durch die
                              									Rotation die Flugbahn eines Pfeiles verbessert wird. Wenn dies der Fall ist, und
                              									wenn ausserdem diese von der Cultur ganz unberührten Völker ausserdem noch andere
                              									Kenntnisse von einer Flugbahn besitzen, wie z.B. über die Wahl des Haltepunktes,
                              									über den Vortheil, den das Schiessen in die Höhe gewährt, so würde das ein Beweis
                              									für die Intelligenz sein, wie ihn schlagender die Beschreibung der Ornamente, der
                              									Töpfergebilde, der Webereierzeugnisse nicht liefern könnte. Da in Bezug auf
                              									Erforschung der geistigen Entwickelung wilder Völker in neuerer Zeit deutsche
                              									Forscher, wie Dr. von den Steinen [Brasilien] und Dr.
                              										Baumann [Mondgebirge in Centralafrika], ein ganz
                              									merkwürdiges Geschick entwickelt haben, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
                              									dass wir über die Schiesskunst und die rohen ballistischen Kenntnisse wilder Völker
                              									durch Expeditionen der Zukunft neue Aufschlüsse erlangen werden. [Jetzt steht
                              									übrigens schon fest, dass die Schiesskunst der afrikanischen Naturvölker viel
                              									geringer sein muss als die der amerikanischen, weil sie Einrichtungen zur Erzeugung
                              									der Rotation nicht zu kennen scheinen.])
                           Die Einführung der in Belgien sehr beliebten, das „Kegeln“ oft ersetzenden
                              										„Spiele mit Bogen und Pfeil“ würde bei uns nicht nur ein neues Vergnügen
                              									schaffen, sondern, wie schon erwähnt, auch einen besonderen wissenschaftlichen
                              									Nutzen gewähren. Mit Hilfe dieser sehr hübsch eingerichteten Instrumente kann man
                              									die recht complicirten Erscheinungen einer Flugbahn deutlich sichtbar darstellen,
                              									z.B. die fortschreitenden und drehenden Bewegungen in ihren steten Aenderungen der
                              									Geschwindigkeiten, den Einfluss der letzteren, den der Erhöhungswinkel und des
                              									Luftwiderstandes auf die Gestaltung dieser Bahn u.s.w. – Der Preis eines neuen,
                              									starken Bogens ist etwa 22½ M., der eines Pfeiles 65 bis 100 Pf. Es dürfte sehr zu
                              									bezweifeln sein, ob Hochschulen, Kriegsschulen oder Lehrerseminarien zur Zeit
                              									nützlichere und vielseitigere Instrumente besitzen, als diese belgischen Bogen und
                              									Pfeile sind.
                           
                        
                           Feldartillerie.
                           
                              
                                 Belgisches Material.
                                 
                              Die belgische Regierung hatte auf der Antwerpener Ausstellung das zur Zeit bei
                                 										ihrem Heere eingeführte Feldartilleriematerial zur Darstellung gebracht. Dadurch
                                 										wurde die deutsche Industrie auch in Bezug auf Kanonen auf eine glänzende Weise
                                 										vertreten; waren doch die ausgestellten vier Feldgeschütze im offiziellen
                                 										Katalog durch eine staatliche Artilleriedirection als „bouches à feu du
                                    											système Krupp“ bezeichnet.
                              Da dies Material aber schon vor vielen Jahren eingeführt wurde, so kann es bei
                                 										einer Besprechung neuer Kriegswaffen nur wenig in
                                 										Betracht kommen, und zwar nur insoweit, als es Veränderungen erlitten hat. Von
                                 										diesen werden die der Geschosse hauptsächlich zu erwähnen sein. Während
                                 										dieselben früher vorspringende Kupferringe vorn und
                                 										hinten hatten, haben sie jetzt nur noch hinten
                                 										vorspringende, in die Züge sich pressende, die Drehungverursachende Ringe,
                                 										vorn aber solche, die nicht vorspringen, sondern lediglich centriren.
                              
                           
                              
                                 Schnellfeuerkanonen der
                                    											Feldartillerie.
                                 
                              Vor einigen Jahren hatte sich eine grosse schriftstellerische Bewegung erhoben,
                                 										welche die Behauptung aufstellte, es sei nöthig und möglich, die Leistungen der
                                 										Feldgeschütze beträchtlich zu steigern. Die Bewegung hatte solche Bedeutung
                                 										gewonnen, dass sich fast alle Geschützfabriken bewogen fühlten, mit einem oder
                                 										mehreren Modellen neuer Feldgeschütze an die Oeffentlichkeit zu treten. In
                                 										Antwerpen waren indess nur drei von diesen Neuconstructionen ausgestellt. Diese
                                 										und auch die meisten der nicht ausgestellten zeigen eine Neuerung, welche den
                                 										sogen. schweren Schnellfeuerkanonen der Marine entnommen ist; sie lagern das
                                 										Rohr so in seinem Schiessgerüst (Laffete), dass die rückwärts wirkende
                                 										Pulverkraft nicht stossweise wirkt, sondern mit Hilfe einer nassen
                                 										(hydraulischen) oder trockenen (Feder- und Scheiben-) Bremse einen kleinen
                                 										Rücklauf und dann mit Hilfe einer Feder einen kleinen Vorlauf erzeugt. Damit die
                                 										Laffete an der Stelle des Bodens bleibt, wo sie
                                 										aufgestellt ist, hat man entweder an ihrem hinteren
                                 										Ende (Laffetenschwanz) ein winkelförmiges, wie eine Pflugschar sich in den
                                 										Erdboden eingrabendes Eisenstück oder vorn an der
                                 										Achse eine Art Verankerung mit dem Erdboden angebracht. Bei dem von der Compagnie des hautes fourneaux St. Chamond
                                 										ausgestellten Geschütze sollte diese Verbindung zwischen Achse und Erdboden
                                 										ausserdem eine kleine wagerechte Drehbewegung der Laffete mittels einer Schraube
                                 										ermöglichen; bei einem von Cockerill (Seraing)
                                 										vorgeführten konnte das Rohr in der Laffete eine
                                 										derartige Bewegung machen. Bei diesen beiden Geschützen wollte man erreichen,
                                 										dass das Rohr nach jedem Schusse so genau wieder in seine frühere Stellung
                                 										zurückging, dass es beim nächsten wieder das Ziel traf, ohne aufs Neue gerichtet
                                 										worden zu sein. Da bei derartigen Geschützen die ganze Munition – Geschoss,
                                 										Pulver und Zündung – ähnlich wie bei den Gewehren in einer Messinghülse steckte
                                 										und durch einen Entzündungsmechanismus im Verschluss abgefeuert wurde, so
                                 										konnten sie unter günstigen Umständen so schnell hinter einander schiessen, dass
                                 										man ihnen die Bezeichnung „Schnellfeuergeschütze der Feldartillerie“
                                 										beilegte. Das „Schnellschiessen ohne Richten“ scheint indess nicht immer
                                 										günstige Ergebnisse gehabt zu haben; häufig nimmt die Kanone nach dem Schusse
                                 										die Stellung nicht wieder ein, welche sie vorher inne hatte. Wenn der Vor- und
                                 										Rücklaufmechanismus gut arbeiten soll, wird er sehr schwer und er vermehrt dann
                                 										das Gewicht des Geschützes so, dass entweder die Kräfte der Kanoniere und der
                                 										Zugpferde zur Bedienung und zum Transport nicht mehr ausreichen, oder dass die
                                 										Geschossleistungen so vermindert werden müssen, dass eine für genügend erachtete
                                 										Wirkung nicht mehr möglich ist. (Letzteres scheint bei dem erwähnten Cockerill'schen 7,5-cm-Geschütz mit nur 470 m Anfangsgeschwindigkeit bei nur 5 k Geschossgewicht der Fall gewesen zu
                                 										sein.)
                              Den neuesten Zeitungsnachrichten zufolge sind in Frankreich die Versuche mit
                                 										einem neuen Feldgeschütz beinahe oder gänzlich abgeschlossen und steht die
                                 										Einführung dieser kostspieligen Neuerung bevor. Entgegen der früheren Angabe
                                 										soll dieses Geschütz ein Schnellfeuergeschütz sein (also auch Metallhülsen für
                                 										die Pulverladung haben). Sollte letztere Angabe wahr sein, so werden sich
                                 										sämmtliche Grossmächte binnen Kurzem gezwungen fühlen, den grössten Theil ihres
                                 										bisherigen Feldartillerie-Materials als werthlos zu betrachten und ein neues,
                                 										dem französischen ähnliches anzuschaffen.
                              
                           
                              
                                 Massivrohr für 470 m
                                    											Anfangsgeschwindigkeit aus Martin-Siemens-Stahl.
                                 
                              Das von Cockerill ausgestellte Feldgeschütz dürfte
                                 										indess auch das Interesse weiterer Kreise erweckt haben, und zwar deshalb, weil
                                 										das Rohr aus einem Stück Martin-Siemens-Stahl
                                 										bestand, während das gleichkalibrige Geschütz des belgischen Staates mit viel
                                 										geringerer Geschwindigkeit (und Leistung) ein Rohr künstlicher
                                 										Metallconstruction (aus Tiegelgusstahl?) war. Aus dieser Thatsache kann man
                                 										unter anderen Schlüssen den ziehen, dass es doch
                                 										vielleicht seiner Zeit nicht unbedingt nothwendig
                                 										gewesen ist, für Feldgeschütze unter 500 m Anfangsgeschwindigkeit von der
                                 										einfachen, billigen Construction der Massivrohre abzugehen. (Für die
                                 										wahrscheinlich ungeheuer stark angestrengten Rohre der Zukunftsgeschütze hat
                                 										wahrscheinlich die künstliche Metallconstruction ihre Bedeutung nicht verloren.)
                                 										Stellt man neben diese beiden Constructionen noch die jetzt in England bei der
                                 										Feldartillerie (versuchsweise?) eingeführte Construction der Rohre mit
                                 										Drahtumwickelung (nach Longridge), so kommt man zu dem Schlusse, dass man über die
                                 										Festigkeit des Stahles, über seine Verwendung in Geschützrohren noch recht viele
                                 										Erfahrungen sammeln muss, und dass die jetzt herrschenden Ansichten noch lange
                                 										keine allgemein und ewig gültigen Grundsätze sind.
                              
                           
                              
                                 Munitionskasten aus
                                    											Aluminium.
                                 
                              Bei dem Cockerill'schen Feldgeschütze war die
                                 										Munition (wie oben beschrieben mit Messinghülsen)
                                 										in Kasten (à 6 Stück) aus Aluminium verpackt. Diese Kasten waren auf einem
                                 										Rahmen des Vorderfahrzeuges (der Protze) befestigt, über demselben befand sich
                                 										ein Gerüst, um Bedienungsmannschaften, Gepäck u.s.w. aufzunehmen. Die
                                 										Construction des Gerüstes und die Verwendung des Aluminiums als
                                 										Verpackungsmaterial an Stelle des Eisen- oder Stahlbleches sind jedenfalls
                                 										Gedanken, die eine Zukunft haben. – Ob aber nun die Munition 6-(oder
                                 										5-)stückweise in besondere Kasten verpackt werden muss, ist die Frage. Bei
                                 										Einführung der Kastenverpackung der bisherigen Feldgeschosse lag die Sache
                                 										anders. Damit ein Mann 6 bis 5 Schuss mit einem oder zwei Griffen an das
                                 										Geschütz bringen konnte, mussten die zugehörigen Theile in 1 bezieh. 2 Stücken
                                 										zusammengefasst sein; die damalige Trennung von Geschoss und Pulver machte das
                                 										nothwendig. Da von der in Messinghülsen verpackten Munition der Zukunft ein Mann
                                 										bequem 3, vielleicht auch 4 Schuss auf einmal ebenso schnell vom Fahrzeug an das
                                 										Geschützrohr schaffen kann, wie einen Kasten mit 6 (oder 5) Geschossen und einen
                                 										Tornister mit Pulver, so erscheint die Beibehaltung besonderer Transportkasten, selbst wenn sie auch aus leichtem
                                 										Aluminium sind, nicht gerade nothwendig.
                              
                           
                        
                           Belagerungs- und Festungsgeschütze.
                           
                              
                                 Belgisches Material.
                                 
                              Die in Antwerpen ausgestellten Geschütze dieser Gattung boten nur wenig Neues.
                                 										Sie gehörten bis auf wenigeAusnahmen zum Kriegsmaterial des belgischen
                                 										Staates, dessen 15- und 12-cm-Geschütze mit grossen Geschwindigkeiten den
                                 										deutschen bezieh. Krupp'schen sehr nahe stehen.
                                 										Eine kurze 15-cm-Stahlkanone entspricht der deutschen von Hartbronze.
                                 										Hervorzuheben ist vielleicht, dass alle Laffeten dieser Geschütze aus Stahlblech
                                 										gestanzt sind; bei der 15-cm-Ringkanone sind die Wandbleche mindestens 17 bis 18
                                 										mm dick und nicht nur deren Aussenränder umgebogen, sondern auch die Innenränder
                                 										besonderer dreieckiger, zur Erleichterung angebrachter Ausschnitte; stellenweise
                                 										sind Verstärkungen durch angenietete Platten hergestellt.
                              Die ausgestellten Mörser hatten nicht wie einige deutsche: Schraubenverschlüsse,
                                 										sondern sämmtlich Keilverschlüsse, und waren von Stahl; die von 15 cm
                                 										entsprachen den deutschen von gleichem Kaliber.
                              Neuartig war eine sogen. 21-cm-Haubitze in niedriger Laffete; das Rohr hatte auf
                                 										seinem äusseren Schildzapfenringe ausgedrehte Reifelungen und war beträchtlich
                                 										länger als das vom deutschen 21-cm-Mörser.
                              Der belgische Staat hatte mehrere Arten kleiner, für den Gebrauch in Festungen
                                 										bestimmter Schnellfeuergeschütze ausgestellt, welche den auf Schiffen
                                 										verwendeten sehr ähnlich sehen. Eine besondere Beschreibung dieser Geschütze
                                 										würde zu weit führen; ihre Einrichtungen sind im Allgemeinen bekannt (die
                                 										Brauchbarkeit der Hohlgeschosse feuernden 3- bis 6-cm-Kanonen für den Krieg zu
                                 										Lande wird vielfach bezweifelt).
                              
                           
                              
                                 12-cm-Belagerungskanone von
                                    											Canet.
                                 
                              Die Société anonyme des Forges et Chantiers de la
                                    											Méditerranée, d.h. die französische Gesellschaft, welcher der Ingenieur
                                 											Canet, Urheber des nach ihm benannten
                                 										Artilleriematerials, angehört, hatte eine 12-cm-Belagerungskanone von 26
                                 										Geschossdurchmesser Länge ausgestellt, welche sehr einfache Räder zeigte; es
                                 										waren dies gewissermaassen nur Radreifen mit Speichen und Nabe ohne alle
                                 										Holztheile. Diese Räder verdienen besonderer Erwähnung, weil sie in der
                                 										französischen Festungsartillerie vielfach gebraucht werden. Die Canet'sche Kanone zeigte ausserdem eine
                                 										eigenthümliche Achsenconstruction; da, leider, jedem Deutschen die nähere
                                 										Besichtigung derselben untersagt war, so ist es unmöglich, zur Zeit Genaueres
                                 										darüber anzugeben. Wahrscheinlich liegen der Construction Bestrebungen zu
                                 										Grunde, der Achse beim Rückstoss eine federnde Bewegung mittels eines
                                 										elastischen Achsfutters zu gewähren. Diese Bewegung würde in Verbindung mit
                                 										einer Erleichterung der Räder immerhin eine erhebliche Gewichtsverminderung der
                                 										Geschütze herbeiführen können.
                              
                           
                              12-cm-Feldmörser von
                                    											Schneider (Creusot).
                              Ein recht interessantes Geschütz war ein von der berühmten alten französischen
                                 										Firma Schneider et Cie. (Creusot) ausgestellter 12-cm-Mörser. Mittels einer hydraulischen
                                 										Brems- und einer Federvorrichtung hatte das Rohr Rück- und Vorlauf in der
                                 										Laffete; an dem hinteren Ende der letzteren war zum Festhalten der Stellung ein
                                 										schippen- oder pflugscharartig wirkendes Eisenstück angebracht, welches sich
                                 										beim Schiessen in den Boden eingraben soll. Das Geschütz ist eigentlich für die
                                 										Feldarmee bestimmt, und zwar wahrscheinlich zu denselben Zwecken, wie die
                                 										15-cm-Feldmörser anderer Armeen; die grosse Länge des Rohres (12½
                                 										Geschossdurchmesser), die grosse Anfangsgeschwindigkeit und das ziemlich grosse
                                 										Gewicht des Geschosses (300 m bezieh. 20 k) befähigen es dazu. Da das
                                 										ausgestellte Rohr die Nr. 318 trug, so sind vielleicht manche dieser Art im
                                 										Gebrauch, und vielleicht steht dieses Geschütz denen der französischen Feldarmee nicht ganz fern, welche vor 2 Jahren
                                 										bei den Manövern versucht worden sind.
                              Der sehr handliche Verschluss dieses Rohres zeigte ein zweimal unterbrochenes
                                 										Schraubengewinde, wie es der Amerikaner Gerdom
                                 										(1893 288 5) vorgeschlagen hat. Da ein Festschiessen
                                 										jedes Schraubenverschlusses leicht vorkommen und die Bedienung stören kann, so
                                 										dürfte zu überlegen sein, ob es bei Mörsern, deren
                                 										Munition in Messinghülsen liegt (wie es hier der
                                 										Fall war), nicht ausführbar und zweckmässig sein würde, diesen Verschluss durch
                                 										einen zu ersetzen, der dem der Mauser-Gewehre ähnlich ist, der also in zwei an
                                 										der Aussenwand eines Cylinders sitzenden Klauen besteht, welche sich mit der
                                 										rückwärtigen Kante auf die senkrecht zur Achse
                                 										stehenden Flächen zweier reifenartigen Vorsprünge in der Rohrwand stützen.
                              
                           
                        
                           Schiffs- und Küstengeschütze.
                           
                              
                                 Lange Kanonen mit geringer
                                    											Gasspannung oder kurze mit grosser?
                                 
                              Gebrauchsfähige schwere Schiffsgeschütze sind nur von der Firma Canet's ausgestellt worden, und zwar eine 80
                                 										Geschossdurchmesser lange 10,5-cm-Kanone und eine 48 lange von 15 cm.
                                 										Augenscheinlich wollte die Firma durch die Länge ihrer Geschütze auf das
                                 										grössere Publikum einen Eindruck machen. Indess demjenigen, der einigermaassen
                                 										die Entwickelung langer Kanonen verfolgt hat, besagen diese ausgestellten
                                 										Geschütze wenig, weil sowohl von Seiten der englischen und der französischen
                                 										Regierung und Armstrong's solche von viel grösseren
                                 										Längen und Leistungen hergestellt worden sind, nämlich 15-cm-Kanonen von 100 und
                                 										mehr Geschossdurchmessern.
                              Vielleicht ist es indess lehrreich für manchen Ausstellungsbesucher gewesen, zu
                                 										sehen, welche Nachtheile eine grosse Rohrlänge hat. Die 10,5-cm-Kanone ist vor
                                 										dem Schwerpunkte des Rohres etwa 6 m, hinter demselben ungefähr 4 m lang. Bei
                                 										einem ähnlich langen 15-cm-Rohr werden diese Zahlen 9 und 6 m sein. Denkt man
                                 										sich ein derartiges Rohr im Mittelpunkt einer Laffete liegend, deren Drehpunkt
                                 										sich senkrecht unter diesem Punkte befindet, so verlangt der hintere Rohrtheil
                                 										allein einen kreisförmigen Bewegungsraum von 12 m Durchmesser. Bei
                                 										Inbetrachtnahme des Vordertheiles erscheint diese Beanspruchung des
                                 										Schiffsraumes natürlich noch viel ungünstiger. Wenn die Lagerachse des Rohres
                                 										und gleichzeitig der Drehpunkt der Laffete nach vorn verlegt worden wären, wie
                                 										es beispielsweise bei schweren französischen Schiffsgeschützen geschehen ist, so
                                 										würde mit einer Drehung des Geschützes der Schwerpunkt des Schiffes in einer
                                 										recht störenden Weise verlegt werden. Da grössere Anfangsgeschwindigkeiten ohne Vermehrung der Rohrlängen sich durch grössere
                                 										Gasspannungen, d.h., durch Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Rohrwände gegen
                                 										den Druck der Pulvergase mittels Drahtumwickelung erzielen lassen, sohaben die englische
                                 										Regierung und Armstrong mehrere solcher Rohre (nach
                                 											Longridge) anfertigen lassen. (Diese Rohre sollen einem Drucke von 5000 at widerstehen,
                                 										während die bisher gebräuchlichen möglicher Meise
                                 										nur einen solchen von 3000 at ertragen können.) Die Fragen: Lange Kanonen mit
                                 										geringen Gasspannungen oder kürzere mit grossen? werden wohl in kürzester Zeit
                                 										zur Entscheidung kommen müssen; denn da die neuesten Ergebnisse der Treffen in
                                 										den ostasiatischen Gewässern gezeigt haben, dass die Artilleriewirkung
                                 										ausschlaggebend ist, so wird eine Erhöhung derselben durch Vergrösserung der
                                 										Anfangsgeschwindigkeiten die nächste Aufgabe der Artillerieconstructeure
                                 										sein.
                              Die Firma Canet's hatte ferner das Holzmodell einer
                                 										40 Rohrdurchmesser langen 32-cm-Kanone ausgestellt. (Dasselbe stand aufrecht in
                                 										der entferntesten, am wenigsten zugänglichen Ecke der betreffenden Abtheilung).
                                 										Dieses Rohr hat einige Bedeutung, weil ähnliche Rohre zur Bewaffnung der
                                 										japanischen Schiffe dienten, welche in der Schlacht am Yalu-Flusse theilgenommen
                                 										haben. Die in einer Ausstellungsschrift aufgestellte Behauptung der Firma, das
                                 										Rohr entwickele dieselbe Kraft, wie die gleichzeitig fertig gestellten
                                 										englischen und deutschen „40-cm-Geschützrohre von 100 und 120 t Gewicht“,
                                 										ist indess unrichtig. Es entwickelt
                              
                                 
                                    das Krupp'sche
                                       												42-cm-(Riesen-)Geschütz
                                    19370
                                    mt
                                    
                                 
                                        und durchschlägt 127 mm Schmiedeeisen,
                                    
                                    
                                    
                                 
                                    das englische 41,25-cm-(Armstrong-) Geschütz
                                    17560
                                    mt
                                    
                                 
                                        und durchschlägt 119,5 mm Schmiedeeisen,
                                    
                                    
                                    
                                 
                                    das Canet'sche
                                       												32-cm-Geschütz
                                    11238
                                    mt
                                    
                                 
                                        und durchschlägt 119,5 mm Schmiedeeisen.
                                    
                                    
                                    
                                 
                              Mit mehr Berechtigung hätten die Krupp'schen 30,5-cm-Kanonen mit diesen Canet'schen von 32 cm verglichen werden können.
                              Die Firma Canet's war bekanntlich bei der ersten
                                 										Construction von schnellfeuernden Schiffsgeschützen, deren Rohr in der Laffete
                                 										einen Rück- und Vorlauf hat, stark betheiligt, und vielleicht gerade dadurch hat
                                 										sie sich in der Pariser Ausstellung von 1889 einen grossen Namen in der
                                 										französischen Waffenindustrie erworben. Von schnellfeuernden Laffeten waren in
                                 										Antwerpen zwei ausgestellt, eine ältere von 1888/89
                                 										und eine neuere (à chàssis oscillant, letztere ist
                                 										1892 285 52 skizzirt). Eine Beschreibung derselben
                                 										kann hier nicht gegeben werden, weil sie zu weit führen oder Bekanntes
                                 										wiederholen würde.
                              Von grösseren Küstengeschützen war noch ein sogen. Verschwindungsgeschütz
                                 										ausgestellt, d.h. ein solches, bei welchem das Rohr auf Trägern gelagert ist,
                                 										die beim Schusse zurückklappen und dabei eine Feder- oder Luftdruckkraft
                                 										aufspeichern, wodurch das Rohr später in einem gewollten Zeitpunkte wieder
                                 										aufgerichtet werden kann. Diese Laffete wird mit ihrem Untersatz hinter hohen
                                 										Wällen aufgestellt, und nötigenfalls mit einer Stahlplatte gegen Shrapnelfeuer
                                 										noch überdeckt. Für eine Küstenvertheidigung, die kein Mörserfeuer zu erwarten
                                 										hat, mag ein derartiges Geschütz Werth haben, für den reinen Landkrieg wohl
                                 										nicht.
                              
                           
                        
                           Verschlüsse.
                           Fasst man das zusammen, was die Ausstellung an Verschlüssen für schwere Rohre zeigte,
                              									so ergibt sich nicht viel Neues. Der Keilverschluss für Schiffs- und Küstengeschütze
                              									mit grossen Anfangsgeschwindigkeiten war deshalb nicht vertreten, weil Krupp nicht ausgestellt hatte. Die Firma Canet's hatte ausser den Schraubenverschlüssen der
                              									beiden oben erwähnten langen Kanonen noch einige Modelle von derartigen Verschlüssen
                              									ausgestellt. Die meisten derselben hatten (die bekannten) Einrichtungen, um durch
                              									eine einzige Bewegung eines gelenkartig gebrochenen Hebels den Verschlusscylinder
                              									zunächst aus dem Gewinde zu drehen, dann rückwärts zu bewegen und mit seinem
                              									Thürrahmen aus dem Rohre herauszuschwenken. Die Verschlüsse werden meist mit
                              									Einrichtungen zum elektrischen Abfeuern und zum Abfeuern mit der Hand versehen;
                              									ausserdem sind Sicherheitsvorrichtungen angebracht, welche ein unbeabsichtigtes
                              									Losgehen eines Schusses ausschliessen. Die Verschlüsse der Geschütze, welche
                              									Metallhülsen für die Pulverladung haben, sind natürlich mit Auszieher versehen.
                           Armstrong hatte ein kleines Verschlussmodell für schwere
                              									Geschütze ausgestellt, welches zwar nicht neu war, da es schon vor 3 Jahren auf der
                              									Londoner Naval Exhibition vorgeführt wurde, das aber doch vielleicht eine Erwähnung
                              									verdient. Hier hat der Verschlusscylinder vorn eine konische, hinten eine
                              									cylindrische Form und die Gewinde sind so ausgeschnitten, dass die Gewindesegmente
                              									des konischen Theiles vor den weggenommenen des cylindrischen liegen. Der Verschluss
                              									lässt sich auch mit einem Griff wie der Canet'sche
                              									öffnen und die Einrichtung basirt auf ähnlichen Grundsätzen wie dieser, nur ist die
                              									Ausführung eine etwas andere.
                           Armstrong scheint bei einigen Rohren die Verschlüsse so
                              									eingerichtet zu haben, dass sie durch den Rücklauf, der durch die Wirkung der
                              									Pulvergase nach hinten erzeugt wird, zuerst geöffnet und dann geschlossen werden;
                              									die letztere Bewegung wird durch eine Feder bewirkt, welche durch die erste Bewegung
                              									gespannt und dann festgehalten wird; das Freimachen der Feder wird später durch
                              									Einführung der Munition hervorgerufen. Die erste derartige Einrichtung hatte Maxim im J. 1891 auf der Londoner Naval Exhibition
                              									vorgeführt. Die Ausführung dieses Gedankens scheint sich indess bis jetzt noch nicht
                              									bewährt zu haben.
                           Die Verschlüsse für die Schiffskanonen von 8 cm abwärts bieten eine wahre Musterkarte
                              									von Constructionen dar; die meisten bis zu 3,7 cm Durchmesser abwärts, sind
                              									Keilverschlüsse der verschiedensten Art. Die von diesem Kaliber abwärts bis zu dem
                              									der Gewehrgeschosse bringen ihre Munition zum Laden selbsthätig heran (automatische
                              									Geschütze oder automatische Gewehre von Maxim oder von Skoda).
                           Eine Beschreibung aller Verschlüsse, welche in Antwerpen ausgestellt waren, würde
                              									wenig allgemeines Interesse gewähren.
                           
                        
                           Geschosse und Hülsen.
                           Geschosse und Hülsen für Marinegeschütze füllten einen grossen Theil des Antwerpener
                              									Ausstellungsraumes. Von ersteren waren die mit dünnen (Stahl-) Wänden sehr
                              									bemerkenswerth, welche Schneider (Creusot) ausgestellt hatte. Einige derselben waren
                              									künstlich plattgedrückt oder verbeult, um die geringe Dicke und die Güte des
                              									Materials zu zeigen.
                           Hülsen waren für Geschütze von 15 cm Kaliber bis zum kleinsten vorhanden; die meisten
                              									bestanden aus Messingoder einem anderen Gelbmetall, Cockerill und
                              									auch andere Fabriken hatten einige aus Aluminium ausgestellt; die Brauchbarkeit der
                              									letzteren „soll noch nicht vollständig ausgeschlossen sein“.
                           
                        
                           Verbesserung der Geschwindigkeitsmessung.
                           Bekanntlich ist die Entwickelung der heutigen Schusswaffen hauptsächlich dem
                              									Geschwindigkeitsmesser (Chronograph, Chronoskop) von le
                                 										Boulengé zu verdanken (1893 288 26); da dieses
                              									Messinstrument aus Belgien stammt, so war anzunehmen, dass es ein hervorragender
                              									Gegenstand der Antwerpener Ausstellung bilden würde. Diese Hoffnung wurde etwas
                              									enttäuscht. Belgien selbst hatte zwei gebrauchte Apparate ausgestellt und die Fabrik
                              										Canet's einen dritten mit Verbesserungen des
                              									französischen, durch ballistische Untersuchungen bekannten Generals Sébert. Ausserdem war ein besonderer Apparat
                              									(comparateur régulateur) nebst einer Ausarbeitung von A. und
                                 										V. Flamache ausgestellt, durch welche die Fehler der Chronographen regulirt
                              									werden sollen. Leider war die Besichtigung der Einrichtungen des Generals Sébert den Deutschen verboten und sie können aus diesem
                              									Grunde hier noch nicht besprochen werden; die ziemlich ausgedehnte Arbeit der Herren
                              										Flamarche, in einem Aktenstück des
                              									Artillerie-Commandos von Antwerpen enthalten, musste in einer halben Stunde
                              									durchgelesen werden; eine genaue Kenntnissnahme derselben war später unmöglich, weil
                              									sie aus der Ausstellung für eine lange Zeit entfernt wurde. Das Nachstehende kann
                              									deshalb vielleicht Lücken und kleine Irrthümer enthalten (für die um Nachsicht
                              									gebeten wird).
                           Der Geschwindigkeitsmesser von le Boulengé beruht
                              									bekanntlich auf der Messung der Zeitdauer von einer Stromunterbrechung zu einer
                              									anderen; man lässt zu dem Zwecke ein Geschoss durch einen Draht schlagen und eine
                              									Stromunterbrechung erzeugen, welche einen Stab fallen macht; weiterfliegend schlägt
                              									dann das Geschoss durch einen zweiten Draht und unterbricht einen anderen Strom,
                              									dadurch den Anschlag eines federnden Messers gegen den fallenden Stab verursachend.
                              									Aus dessen Fallhöhe lässt sich nun mit Leichtigkeit die Zeit berechnen, welche der
                              									Geschossflug zwischen beiden Drähten gebraucht hat, wenn der Widerstand im Apparat bekannt ist. Ein besonderes Verfahren, die gleichzeitige
                              									Trennung (Disjunction) beider Ströme im Apparat, zeigt
                              									ihn durch Markiren der Zeit an, welche der Stab durchläuft, bis das Messer ihn
                              									trifft.
                           Den Angaben auf der Ausstellung zufolge scheint man die Stromunterbrechungen in
                              									Belgien bei Gewehren auf m 0 und m 50 vor der Waffe für kleinere Geschwindigkeiten,
                              									auf m 0 und m 100 für grössere zu legen. Um die Geschwindigkeiten verschiedener
                              									Geschosse zu vergleichen, braucht man dann eigentlich nur die Flugzeiten für ein und
                              									dieselbe Unterbrechungsstrecke in Betracht zu ziehen (also z.B., um einen bequemen
                              									Rechnungsausdruck zu gebrauchen, die für t(0 bis 50)). Augenblicklich noch scheinen die
                              									Messungen der Flugzeiten durch die le Boulengé'schen
                              									Apparate ziemlich ungenau zu sein. Es soll dies z.B. auf den elektrischen
                              									Ausstellungen in Paris 1881, in München 1882 und in Wien 1888 gezeigt worden sein.
                              									Oft soll eine Messung auf einer längeren Unterbrechungsstrecke bei ein und derselben
                              									Geschwindigkeit eine kleinere Flugzeit ergeben wie auf einer kürzeren. Die Herren
                              										Flamarche geben dann zum Vergleich Ergebnisse eines
                              									dänischen Messapparates à roue phonétique mit einem von le Boulengé. Danach hat bei denselben Schüssen gemessen der Apparat
                           
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 Im Mittel
                                 
                              
                                 à roue phonétique
                                 1420
                                    1408,8
                                    1408,8
                                 1420
                                 1404,4
                                 Fuss
                                 
                              
                                 
                                    le Boulengé
                                    
                                 1402
                                 1389
                                 1396
                                 1404
                                   1397,75
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 –––––––––––––
                                 
                              
                                 Der erstere hat also mehr
                                    											gemessen
                                      16,75
                                 Fuss.
                                 
                              
                           Aus den Zahlenreihen ergibt sich, dass die Differenzen der Einzelmessungen von ihrem
                              									Mittel abweichen
                           
                              
                                 bei
                                 ersterem
                                 Apparat
                                 um
                                 + 5,6
                                 – 5,6
                                 – 5,6
                                 + 5,6
                                 Fuss,
                                 
                              
                                 „
                                 letzterem
                                 „
                                 „
                                 + 4,25
                                 – 8,75
                                 – 1,75
                                 + 6,25
                                 „
                                 
                              
                           Aus diesen Angaben, besonders aus den letzten beiden Zeilen wird nicht jeder Leser
                              									auf die Ueberlegenheit des dänischen Apparates schliessen; im Gegentheil, Jemand,
                              									der viel gemessen hat, wird sagen: die dänischen Angaben sind entweder das Ergebniss
                              									eines ganz aussergewöhnlichen Zufalles (von vier Messungen je ein Paar + 5,6 und ein
                              									Paar – 5,6) oder aber sie sind nicht einwandfrei; in jedem Falle werden sie erst
                              									durch eine Wiederholung glaubhaft gemacht werden müssen. (Ein Mathematiker, dem die
                              									dänischen Versuche zur Verfügung stehen, wird wahrscheinlich die
                              									Unwahrscheinlichkeit derselben rechnerisch beweisen können. Trotzdem die obigen
                              									Zahlen gar keine Beweiskraft haben, dürften die Folgerungen der Herren Flamarche, dass versucht werden muss, die Messungen der
                              									Apparate von le Boulengé zu verbessern, allgemeinen
                              									Beifall finden.)
                           Der ausgestellte „comparateur régulateur“ bestand im Wesentlichen aus einer
                              									Stahlkugel, die an einem Elektromagneten hing, durch den derselbe Strom lief, wie
                              									durch den ersten Stab des zu untersuchenden le Boulengé-Apparates. Eine Unterbrechung rief also den Fall der Kugel und den
                              									dieses Stabes hervor. Durch einen luftleeren Raum fiel nun die Kugel auf ein
                              									federndes Lager und erzeugte dort ebenso eine zweite Unterbrechung wie in dem zu
                              									untersuchenden Apparate. Wenn dieser nun dieselbe Fallzeit gehabt hätte, wie der
                              										„comparateur“, dann wäre sein richtiges Arbeiten erwiesen gewesen,
                              									andernfalls eine Berichtigung nothwendig geworden. – Der Gedanke, einen Strom in
                              									zwei Apparaten unterbrechen zu lassen, erscheint recht praktisch. Ob es aber
                              									empfehlenswerth ist, eine Kugel als fallenden Körper zu
                              									wählen, dürfte fraglich sein. – (Vielleicht liesse sich schon ein nützlicher Anhalt
                              									für mehrere zu untersuchende le Boulengé-Apparate gewinnen, wenn in ihnen ein gemeinsamer Strom die erste; ein zweiter die andere
                              									Unterbrechung erzeugen würde: gleiche Messungen würden dann die Güte der Apparate
                              									beweisen.)
                           Es muss hervorgehoben werden, dass manche Rechner die durch die Apparate wirklich
                              									ermittelten Flugzeiten in einer durchaus nicht zu
                              									rechtfertigenden Weise weiter zu Geschwindigkeiten
                              									verarbeiten. Ist z.B. die Flugzeit t zwischen den
                              									Unterbrechungsstellen m 0 und m 50 (mit t0–50) ermittelt, so pflegt man hieraus (ohne Fehler zu begehen) die mittlere Geschwindigkeit zu
                              									berechnen \left(=\frac{50}{t_{0-50}}\right). Dann aber wird meist
                              									der grobe mathematische Fehler begangen, diese mittlere
                              									Geschwindigkeit (während 50 m) als Geschwindigkeit im
                                 										mathematischen Sinne
                              									\left(\frac{d\,s}{d\,t}\right) für den Halbirungspunkt m25 zu bezeichnen (=
                              										v25). Der Fehler
                              									rührt von einer mangelhaften Berücksichtigung des Luftwiderstandes her und macht
                              									sich jetzt schon beim kleinkalibrigenGewehre mit mindestens 600 m Anfangsgeschwindigkeit
                              									bemerklich; er wird beträchtlich mit der Verminderung des Kalibers und der
                              									Vermehrung der Geschwindigkeit wachsen. Es ergibt sich dies beispielsweise aus
                              									folgender Ermittelung aus Versuchsergebnissen mit dem 6,5-mm-Mannlicher-Gewehr. Das
                              									Geschoss desselben hat vor der Mündung auf
                           
                              
                                 
                                 100
                                   75
                                   50
                                   25
                                     0
                                 m
                                 
                              
                                 eine Geschwindigkeit
                                 von
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                 
                                 646
                                 662,5
                                 682
                                 704,5
                                 730
                                 m
                                 
                              
                                 diese nimmt also ab
                                 um
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                 
                                 
                                   16,5
                                   19,5
                                   22,5
                                   25,5
                                 m,
                                 
                              
                           d.h. auf den vierten 25 m 9 m weniger, als auf den ersten.
                              									Berechnet man mit Hilfe zweier Differenzenreihen die Geschwindigkeit für jedes Meter
                              									der ersten 50 und trägt man dann diese Werthe mit gleichen Abständen senkrecht auf
                              									einer geraden Linie ab, so sieht man sofort, dass die Linie, welche die
                              									25-m-Geschwindigkeit vorstellt, gar nicht auf \frac{50}{2}=25\mbox{
                                 										m} liegen kann, sondern dass in diesem Falle die Werthgrösse für
                              											„v25“
                              									zwischen 23 und 24 m liegen muss. – Wer den Weg (s)
                              									eines mit ungleichförmiger Geschwindigkeit sich bewegenden Körpers durch 2 dividirt
                              									und dann annimmt, an diesem Halbirungspunkt sei die mathematische Geschwindigkeit
                              										\left(\frac{d\,s}{d\,t}\right)= der mittleren
                              										\left(\frac{s}{t}\right), macht denselben Fehler, als wenn er
                              									sagt: Der Eisenbahnzug Frankfurt-Livorno hat nahe beim achten Kilometer hinter
                              									Göschenen im Gotthard-Tunnel seine mittlere Geschwindigkeit, weil dort die Mitte des ganzen Weges ist.
                           Eine Zeitlang hat man versucht, die für eine bestimmte Strecke gemessene Flugzeit für
                              									einen Punkt zu berechnen, der dicht vor der Waffe liegt; den sich ergebenden Werth
                              									nannte man „v0“.
                              									Hervorragende Ballistiker, wie der österreichische Oberst v.
                                 										Wuich, haben die Ansicht, dass diese Rechnungen willkürliche, nicht
                              									empfehlenswerthe sind. Es fragt sich nun, ob diese „unsicheren Rechnungen“
                              									nicht durch andere, allgemein als maassgebend anerkannte ersetzt werden können, wenn
                              									genau arbeitende Messapparate zu Gebote stehen. – Theoretisch muss ein solcher
                              									Apparat im Stande sein, den Luftwiderstand auch auf den kleinen Strecken zu
                              									bestimmen, auf welchen die Flugzeiten für die sogen. Anfangsgeschwindigkeiten
                              									gemessen werden. Würde man z.B. durch sorgfältig ausgeführte Reihen von
                              									Schüssen:
                           
                              
                                 
                                    t
                                    150–200
                                    
                                 
                                    t
                                    40–90
                                    
                                 
                              
                                 
                                    t
                                    100–150
                                    
                                 
                                    t
                                    30–80
                                    
                                 
                              
                                 
                                    t
                                    50–100
                                    
                                 
                                    t
                                    20–70
                                    
                                 
                              
                                 
                                    t
                                    0–50
                                    
                                 
                                    t
                                    10–60
                                    
                                 
                              
                           ermitteln, so bekäme man für diese acht Strecken acht Flugzeiten. (Es sind so viele Strecken zu wählen, weil
                              									vielleicht einige unbrauchbar sind, z.B. durch die Wirkung der Pulvergase vor der
                              									Mündung.) Man gewinnt günstigen Falles daraus die Flugzeiten von vier auf einander
                              									folgenden Strecken von je 10 m (ungünstigen Falles die von drei oder vier von je 50
                              									m) und nimmt nun die Wahrscheinlichkeit zu Hilfe, dass sich die gemessenen
                              									Flugzeiten der auf einander folgenden Strecken ähnlich verhalten, wie die der
                              									einzelnen Meter innerhalb einer Strecke. (Je kleiner die Strecke, d.h. je besser die
                              									Messung, desto richtiger gestaltet sich die Behauptung; den Grad der
                              									Richtigkeit zu bestimmen, würde besondere Aufgabe der Mathematik sein). Man gelangt
                              									so zur Flugzeit des ersten Meters und hat damit schon,
                              									wörtlich genommen, die wirkliche
                                 										Anfangsgeschwindigkeit. Da diese aber bei den heutigen Gewehrgeschossen und denen der nächsten
                                 										Zukunft im höchsten Falle 1 m kleiner ist, als der Differentialquotient der
                              									Geschwindigkeit am Anfange (des ersten Meters) der Flugbahn, so braucht man nur zu
                              									der gefundenen Zahl 1 zu addiren, um den grössten Werth zu erhalten, den die
                              									Anfangsgeschwindigkeit haben kann \left(\mbox{also
                                 										}v_0=1+\frac{1}{t_{0-1}}\right). Eine Untersuchung, ob für die erste
                              										„1“ nicht ein genauerer Werth genommen werden muss, erscheint
                              									augenblicklich noch nicht nothwendig; ob es vielleicht rathsam ist, an Stelle der
                              									Flugzeit des ersten Meters die eines weiter rückwärts gelegenen zu wählen, wird sich
                              									ausserdem aus den vorgeschlagenen Messungen ergeben. (Letztere sind natürlich nur
                              									einmal erforderlich zur Aufstellung einer Tabelle, um richtige
                              									Anfangsgeschwindigkeiten in die bisher gemessenen mittleren [für 50 bezieh. 100 m]
                              									überzuführen. In Zukunft würden dann die Messungen
                              									genau so ausgeführt wie bisher, aber die Geschwindigkeitsangaben dieser Tabelle entnommen [nicht mehr
                              									berechnet].)
                           Eine derartige einwandfreie Bezeichnung der Anfangsgeschwindigkeit hat nicht nur
                              									einen theoretischen Werth, sondern auch einen praktischen. Die nordamerikanische
                              									Marine scheint z.B. die Flugzeit des Geschosses ihres neuen 5,9-mm-Versuchsgewehres
                              									auf einer Strecke von nur 36,8 m zu messen. Der
                              									gefundene (etwa 750 m Geschwindigkeit entsprechende) Werth würde nach belgischem
                              									Verfahren, auf 100 m Unterbrechungsstrecke gemessen, viel kleiner werden. (Es ergibt
                              									sich dies aus den obigen Zahlen für das Mannlicher-Gewehr.) Um hohe Werthe zu
                              									erhalten, die der amerikanischen Messweise entsprechen, müsste eine für die
                              									nordamerikanische Waffenlieferung arbeitende Fabrik entweder einen der in jenem
                              									Lande gebrauchten Geschwindigkeitsmesser sich beschaffen und die damit verbundene
                              									Berechnungsweise anwenden, oder aber, wie oben angegeben, den Maximalwerth der
                              									Anfangsgeschwindigkeit (v0) bestimmen.
                           Die angestrebte Bestimmung der Flugzeit des ersten Meters der Flugbahn und das
                              									Ueberführen derselben in den Differentialquotienten der Geschwindigkeit zu Anfang
                              									der Flugbahn erscheint zwar schon bei jetzigen guten
                              									Geschwindigkeitsmessinstrumenten möglich; ob das aber der Fall ist, wenn die
                              									Geschwindigkeiten der Waffen sehr vermehrt werden, bleibt fraglich. Aus diesem
                              									Grunde dürfte die Anregung der Antwerpener Ausstellung zur Verbesserung der le Boulengé'schen Apparate recht zeitgemäss
                              									erscheinen.
                           Vielleicht erscheint es nicht ganz überflüssig, beiläufig noch eine besondere
                              									Bemerkung über Hauptirrthümer der bisherigen Messungen zu machen. Die in Antwerpen
                              									ausgelegte Arbeit der Herren Flamarche spricht von der
                              									Benutzung des eben erwähnten Halbirungspunktes der gemessenen Flugstrecke, als wenn
                              									das eine ganz selbstverständliche Sache wäre. Andere Werke drücken recht bestimmt
                              									dasselbe aus. Indessen der bekannte Ballistiker Siacci
                              									und sein Uebersetzer (der Ingenieur bei der Firma Canet's) Laurent bemerken bei der
                              										„mittleren Geschwindigkeit“ der gemessenen Strecke: „on l'affecte au point moyen“ –„che si attribuisce al punto di mezzo“. Aus diesen
                              									diplomatischen Worten ist wohl zu entnehmen, dass ein Heranziehen des
                              									Halbirungspunktes stattfindet, aber nicht, dass es gutgeheissen wird oder begründet
                              									ist. – Bei der Suche nach einer Begründung der Bezeichnung der Geschwindigkeit für
                              									einen derartigen Punkt drängt sich die Ueberzeugung auf, dass es noch manche Leute
                              									gibt, die glauben, man dürfe eine Geschossbahn so betrachten, als wenn sie eine gleichförmige Geschwindigkeit habe. Hoffentlich wird
                              									dieser Aberglaube als ein naturwidriges, ganz überflüssiges Phantasiegebilde recht
                              									bald ausgerottet werden.
                           
                        
                           Gasdruckmesser von Nagant.
                           Textabbildung Bd. 294, S. 225Fig. 4.Gasdruckmessung nach Nagant. Das Messen von Gasspannungen in Gewehren war früher recht ungenau (1893
                              										288 27). Die Firma Nagant (Lüttich) hatte in Antwerpen einen diesen Zweck in verbesserter
                              									Weise erfüllenden Stauchapparat ausgestellt, der sehr erwähnenswerth ist. Derselbe
                              									unterscheidet sich von früher gebrauchten Apparaten dadurch, dass der durch die
                              									Pulvergase zusammenzudrückende Kupfercylinder (-stollen) nicht vor oder hinter der
                              									Pulverladung angebracht ist, sondern seitwärts, und zwar in einem „Lager“,
                              									das in den wagerecht liegenden Lauf eingeschraubt ist (Fig.
                                 										4). (Bei Kriegsgewehren liegt die Achse des senkrechten Lagers ungefähr 20 mm vor dem Verschlusskopf, bei Jagdgewehren
                              									nur ungefähr 15 mm.) Die Wand der Patronenhülse, welche das Pulver enthält, dessen
                              									Spannung ermittelt werden soll, ist mittels eines besonderen Apparates so
                              									ausgebohrt, dass die Pulvergase in die Mitte des „Lagers“ einströmen können,
                              									wenn die Patrone in den Lauf geschoben ist. Im „Lager“ liegt ein loser
                              									Stahlstempel mit Kopf, auf diesem steht der Stauchcylinder. Letzterer hat einen
                              									Durchmesser von nur 3 mm, während die Innenfläche des Stempels, also die Fläche,
                              									gegen welche die Pulvergase wirken sollen, beinahe 5 mm Durchmesser hat. Durch diese
                              									Anordnung wird natürlich das Maass des Stauchens vergrössert und damit der Apparat
                              									befähigt, sehr kleine Drucke zu messen. Der Stauchcylinder wird mit einem besonders
                              									ausgearbeiteten Röhrchen an seine Stelle gebracht und dort durch eine von oben in
                              									das „Lager“ eingeführte Widerlageschraube festgehalten. Beim Schusse sollen
                              									die Pulvergase fast nur gegen den Stempel wirken und der Innenraum des
                              										„Lagers“ eine kaum merkliche Verschmutzung zeigen, so dass ihre
                              									Absperrung durch eine besondere Dichtung ganz überflüssig geworden ist.
                           Nach dem Schusse wird der Stauchcylinder aus dem Lager genommen, gemessen und die
                              									gefundene Stauchung umgerechnet. Eine Umrechnung ist nöthig, weil die Grösse der
                              									Stauchung natürlich nicht unmittelbar proportional der Grösse der Druckwirkung ist
                              									und schwerlich einfache Vergleiche der Gasspannungen liefern würde. Am besten würde
                              									die (in Frankreich vorwiegend gebrauchte) Umrechnung in Kilo auf 1 qc sein (1,033 k
                              									auf 1 qc = 1 at); und zwar deshalb, weil die Strecken, um welche die Stauchcylinder
                              									zusammengedrückt worden sind, mit solchen verglichen werden, die durch den
                              									Druck eines ruhenden Gewichtes gemessen wurden. (Eine Umrechnung in Atmosphären gibt
                              									manchmal zu Irrthümern Veranlassung, indem sie einige Leser zu dem Glauben führen
                              									kann, als ob hier ähnliche Drucke [d.h. solche ohne
                              									begleitende Bewegungserscheinungen] vorhanden wären, wie z.B. bei Gasometern und
                              									Barometern.)
                           Der Gasdruckmesser von Nagant wird in verschiedenen
                              									Staaten gebraucht, so z.B. in Belgien, Russland und Frankreich, und muss schon aus
                              									diesem Grunde den besseren Präcisionsinstrumenten beigezählt werden; für die
                              									Untersuchung schwacher Spannungen, wie solche bei Mörsern (und Jagdgewehren)
                              									vorkommen, scheint er zur Zeit ganz unentbehrlich zu sein. Es müssen seine
                              									Gasspannungsmessungen bei einem bestimmten Gewehrlaufe, der eine ziemlich
                              									gleichmässige Munition verschiesst, werthvolle Aufschlüsse über Rohranstrengungen
                              									liefern. Freilich darf man vielleicht jetzt noch nicht so weit gehen, die
                              									Messungszahlen sehr verschiedenartiger Rohre, z.B. die eines 8- und eines
                              									5-mm-Gewehres, zu vergleichen. Um das zu können, müssten erst noch besondere
                              									Aufschlüsse über die Verbrennungsvorgänge innerhalb einer Patrone gegeben und der
                              									genaue Beweis geführt werden, dass bei jedem Schuss die Maximalspannung gemessen
                              									wird.
                           Es kann erwartet werden, dass der Apparat die wichtige Frage entscheiden wird, ob ein
                              									kleiner Fremdkörper (Papierstückchen, Sandkorn) im Rohre eines neueren Gewehres im
                              									Stande ist, die Waffe aufzubauchen oder sogar zu sprengen, indem er das Geschoss
                              									aufhält und ein Zusammenballen der Gase hinter demselben veranlasst. Wird ein Nagant'scher Apparat einige Millimeter hinter der
                              									beabsichtigten Lagerstelle eines solchen Körpers angebracht und ein Schuss ohne, einer mit
                              									demselben abgegeben, so wird ein etwa sich zeigender grosser Unterschied der
                              									Spannungszahlen eine endgültige Antwort liefern, deren Folgen recht schwerwiegende
                              									sein können.
                           Zur Beurtheilung des Nagant'schen Apparates trägt ein im
                              									D. R. P. Nr. 73015 beschriebener in ganz anderer Weise ausgeführter Stauchapparat
                              									bei. In demselben wird eine Patrone, deren Boden ausgeschnitten ist, durch ein
                              									Rohrstück fest umschlossen, das gleichzeitig das Lager für einen Stempel bildet, der
                              									durch die Gase der Patrone nach hinten gedrückt wird und aus zwei Theilen besteht;
                              									der Vordertheil desselben wird in den Ausschnitt der Patrone geschoben, um deren
                              									Boden mit der Zündmasse und ihrem Lager zu ersetzen; der Hintertheil ist axial
                              									durchbohrt und stösst gegen ein zu stauchendes röhrenförmiges Metallstück; zum
                              									Entzünden kann sich ein Schlagbolzen durch diese Theile nach der vorne befindlichen
                              									Zündmasse bewegen. Der Hintertheil des Stempels soll sich gasdicht in seinem Lager
                              									bewegen, was durch geringen Spielraum und durch einen Abdichtungsring bewerkstelligt
                              									wird. Sein Widerstand gegen die Rückwärtsbewegung, welche durch die Verbrennungsgase
                              									erzeugt wird, ist also gross. Letztere werden eine Einwirkung auf den Kopf des
                              									Stempels haben, die sehr von der Verbrennung der starken Zündmasse, weniger von der
                              									des Pulvers abhängig ist. Aus diesen Gründen schon müssen die Messungen des
                              									letzteren Apparates ganz andere, als die des Nagant'schen sein. Da die beträchtliche Grösse des ganzen Stempels ausserdem
                              									in ungünstiger Weise die Uebertragung des Gasdruckes auf den (röhrenförmigen)Kupferstollen
                              									beeinflusst, so können die Angaben des deutschen Apparates nur geringe Sicherheit
                              									besitzen. (Hervorragende Sachverständige haben in der diesjährigen Versammlung der
                              									British Association in Oxford [Sitzung der Mechanical Section, G, vom 11. August]
                              									die Schädlichkeit eines grossen Druckstempels hervorgehoben.)
                           Wenn auch der Nagant'sche Apparat der beste
                              									Stauchapparat ist, so darf er vielleicht noch lange nicht als das beste Instrument
                              									zur Ermittelung von Gasspannungen in Gewehren betrachtet werden. – Die
                              									Stauchapparate beruhen auf der Gasspannungsmessung während eines Augenblickes. Eine andere Klasse von Messungen bestimmt die
                              									Gasdrucke an verschiedenen Punkten im Laufe und liefert dadurch ein lebendiges Bild
                              									ihrer Schwankungen; eine dritte Klasse liefert gewissermaassen eine Summirung der
                              									Kräfte und Widerstände, welche auf ein Geschoss im Laufe wirken, indem es die
                              									Geschwindigkeit desselben an der Mündung ermittelt (und mit Hilfe des Gewichts die
                              									ihm ertheilte lebendige Kraft). Gibt man gleichartige Schüsse aus gleichartigen
                              									Läufen von verschiedener Länge ab, so erhält man Kraftgrössen, die sich zu ganz
                              									brauchbaren Ergebnissen zusammenstellen lassen. Es ist nicht unmöglich, dass eine
                              									der beiden letzteren Klassen von Messungen die Angaben liefern wird, welche für die
                              									Ballistik am brauchbarsten sind. (Vgl. 1893 288 27 und
                              									1894 291 50.)
                           
                        
                           Ausstellung von Schiesspulver.
                           Die belgische Pulverfabrik zu Wetteren hatte eine schöne Sammlung der verschiedensten
                              									Arten von Schiesspulver ausgestellt. Es wurde dadurch gezeigt, dass die Fabrik
                              									schönes schwarzes, graues, braunes, gelbes, – würfel-, kieselsteinförmiges, mehr
                              									oder weniger kugelförmiges, grobkörniges, feinkörniges, – röhrenförmiges,
                              									blättchenförmiges Pulver fabricirt. Es wird viele Ausstellungsbesucher gegeben
                              									haben, denen diese Thatsachen sehr gleichgültig gewesen
                              									sind, die aber trotzdem ein grosses Interesse an Schiesspulver hatten, aber nicht an
                              									dessen Aeusserlichkeiten, sondern an dessen Kraftäusserungen. Diese Besucher hätten
                              									leicht befriedigt werden können durch eine rasch verständliche, bildliche
                              									Darstellung dieser Aeusserungen, welche, eine Vergleichung von
                              									Geschossgeschwindigkeiten, von Treffähigkeiten unter anderem enthaltend, ebenso gut
                              									hätten vorgeführt werden können, wie das Wachsen der Leistungen der Gewehre.
                           Die jetzt kaum beachtete Pulversammlung wäre dadurch in einen Gegenstand von ganz
                              									besonderer Anziehungskraft verwandelt worden.
                           
                        
                           Panzerplatten.
                           In Antwerpen waren nur Panzerplatten veralteter Art ausgestellt. Am
                              									beachtenswerthesten war wohl eine Nachbildung der ersten Nickelstahlplatte, welche
                              									1890 in Annapolis (Nordamerika) Aufsehen erregt und gewissermaassen den Nickelstahl
                              									in Aufschwung gebracht hatte; sie war von dem Erwerber des Patentes für Nordamerika,
                              									der Firma Schneider (Creusot, Frankreich), ausgestellt.
                              									Neuere, nach Harvey gehärtete Platten waren
                              									unvertreten.
                           Es waren ferner ausgestellt von den Hüttenwerken zu St.
                                 										Chamond (Frankreich) eine 15 cm-Platte von „Specialstahl“, welche
                              									15-cm-Schüssen sehr gut widerstanden hatte, und eine Menge von dünneren Platten von
                              									72 mm bis zu sehr kleinen Durchmessern herab (einige von Chromstahl), für
                              									Schilde von Geschützen, Mannschaften und für Schiffsdeckplatten bestimmt, zum Theil
                              									schon beschossen, und zwar meistens nur so, dass kein Durchschlag erfolgte, z.B.
                              									eine von 72 mm durch 65-mm-Geschosse von 4 k Gewicht und 435 m
                              									Anfangsgeschwindigkeit.
                           Eigenthümlich war bei den Stahlplatten die Bartbildung an der Frontseite der
                              									Geschosslöcher, wenn diese mit grosser Geschwindigkeit
                              									aufgetroffen hatten. Eine von den obigen Hüttenwerken ausgestellte 4 bis 5 cm dicke
                              									Platte aus „Specialstahl“ war von einer Anzahl von 12-cm-Granaten mit kleinen Auftreffgeschwindigkeiten von 148 bis 210 m
                              									beschossen worden; die Eindringungstiefen betrugen 40, 48, 54, 60 mm und zeigten
                              									platte Eindrücke, welche ziemlich genau den Formen der Geschossköpfe entsprachen;
                              									bei den grösseren dieser kleinen Geschwindigkeiten waren hinten deutlich sichtbare
                              									Beulen herausgetreten. Eine Bartbildung, d.h. ein Heraustreten des Plattenmetalls
                              									nach vorn, dem Geschosse entgegen, hatte hier nicht stattgefunden. Bei den kleinsten
                              									Geschwindigkeiten war die Beulenbildung sehr schwach, es scheint hier fast nur eine
                              									Zusammenpressung des Plattenmaterials stattgefunden zu haben.
                           Wenn auf der Antwerpener Ausstellung Panzerplatten neuester Anfertigung nicht
                              									vertreten waren, so ist das kaum zu bedauern, denn im Augenblicke weiss wohl Niemand
                              									bestimmt, welche Platten die widerstandsfähigsten sind. Die Versuche der letzten
                              									beide Jahren haben bewiesen, dass man nicht behaupten darf: Nickelstahl ist besser
                              									als einfacher Stahl, oder: das Härten nach Harvey
                              									(Bereicherung des Kohlenstoffgehaltes in der Vorderfläche und rasche Abkühlung
                              									dieser Fläche) ist immer vortheilhaft; in Nordamerika
                              									steht man jetzt (October 1894) auf dem Standpunkte, dass man feine Risse in der
                              									Vorderfläche einer gehärteten Nickelstahlplatte gar nicht mehr als schädlich
                              									ansieht, selbst wenn sie in grosser Zahl vorhanden sind; im Gegentheil, es ist
                              									ausgesprochen worden, dass solche Platten oft haltbarer sind als die nicht rissigen.
                              									Eine berühmte Fabrik liefert gute Platten und auch solche, die geradezu als schlecht
                              									zu bezeichnen sind; einzelne Platten sind an einer Stelle vorzüglich, an einer
                              									anderen mangelhaft. Die Schwierigkeit, die Unerfahrenheit der Fabrikation scheinen
                              									noch nicht überwunden zu sein, und die kostspieligen Versuche, welche bisher
                              									stattgefunden haben, sind vielleicht noch zu wenig zahlreich gewesen, um sichere
                              									Aufschlüsse zu geben.
                           Die Panzerthürme und Panzerthurmstücke der Antwerpener Ausstellung eignen sich nicht
                              									zu einer Betrachtung an dieser Stelle, weil sie Einrichtungen älterer Art haben, die
                              									schon vielfach beschrieben worden sind.