| Titel: | Der Erdölbrand zu Harburg a. d. E. | 
| Autor: | M. Albrecht | 
| Fundstelle: | Band 297, Jahrgang 1895, S. 18 | 
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                        Der Erdölbrand zu Harburg a. d. E.
                        Von Dr. M.
                                 Albrecht.
                        Mit Abbildungen.
                        Der Erdölbrand zu Harburg a. d. E.
                        
                     
                        
                           Die in der Flur Lauenbruch bei Harburg an der Süder-Elbe belegene
                              Erdölreservoiranlage der Bremen Trading Company zu
                              London ist am 31. Mai a. c. Abends kurz vor 6 Uhr von einem Blitzstrahl getroffen
                              und sammt den bedeutenden Vorräthen an Erdöl und Fässern ein Raub der Flammen
                              geworden. Die Anlage bestand aus einem Kessel- und Maschinenhaus, einem grossen
                              Schuppen von 100 m Länge bei 25 m Breite – diese Baulichkeiten waren in
                              Ziegelmauerwerk aufgeführt und mit flachen Holzdächern unter Dachpappe gedeckt – und
                              aus vier eisernen Reservoiren, welche neben einander standen und von einem Erdwalle
                              von 2,5 m Höhe, 6 m unterer und 1 m Kronenbreite umgeben waren. Der Abstand zwischen
                              den einzelnen Reservoiren, zwischen den Reservoiren und dem Erd walle und endlich
                              zwischen letzterem und dem grossen Schuppen betrug je etwa 4 m. Der freie Platz
                              ausserhalb der Gebäude und des Erdwalles war mit hohen Stapeln leerer Fässer belegt.
                              Dieses Fasslager betrug 40439 Stück, welche 19 Reihen hoch gelagert waren, während
                              in dem steinernen Abfüllschuppen 1443 gefüllte Fässer versandtbereit lagen.
                           Die eisernen Reservoire waren cylindrisch gebaut bei 21,35 m Durchmesser und 8,45 m
                              Höhe, hatten demnach jedes einen Inhalt von 3025 cbm oder 2420 t Erdöl von 0,8 spec.
                              Gew. (etwa 16000 Barrels). Nr. 1 und Nr. 2 waren zur Zeit der Katastrophe mit
                              amerikanischem „Standard White“-Erdöl beinahe voll angefüllt, Nr. 3 enthielt etwa
                              1 m Höhe amerikanisches „Water White“- und Nr. 4 etwa 4 m Höhe russisches
                              Erdöl. Es verbrannten bei der Vernichtung der Anlage 4690414 k Standard White-,
                              851345 k Water White- und 1211932 k russisches Erdöl, insgesammt 6753691 k Erdöl,
                              sowie etwa 39500 leere Fässer. Nur etwa 1000 leere und 100 volle Fässer konnten
                              gerettet werden. Der Werth der verbrannten Vorräthe beläuft sich, ohne
                              Berücksichtigung des Eingangszolles auf das unter Zollcontrole gelagerte Oel, auf
                              annähernd 1 Million Mark, derjenige der vollständig zerstörten Anlage auf etwa
                              400000 M.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 18
                              a
                                 Comptoir; b Zollcomptoir; c Kesselhaus; d Bauernhäuser mit Stroh
                                 gedeckt; e Eingangsthor; f Elb-Deich; g Erdwall um die Reservoire;
                                 h1 bis h4 Erdölreservoire;
                                 (Die Nebenfigur zeigt den vorgeschlagenen Wasserverschluss.)
                              
                           Der Blitz traf zuerst das Reservoir Nr. 3, verursachte dort eine Explosion, welche
                              mit lautem Knall den grössten Theil des gewölbten Blechdaches abhob, es in mehrere
                              Stücke zerriss und dieselben nach verschiedenen Richtungen hin auf Entfernungen von
                              50 bis 325 m fortschleuderte. Der in der Mitte des Daches angebracht gewesene
                              Mannlochstutzen nebst Deckel lag 325 m weit von dem Reservoir entfernt. Das Erdöl
                              brannte in hellen Flammen unter starker Russentwickelung auf. Kurz darauf explodirte
                              und brannte Tank 2, dessen Dachtheile über Tank 1 in östlicher Richtung
                              fortgeschleudert wurden. Darauf folgte Tank 4, von welchem ein Theil des Daches etwa
                              50 m weit geschleudert wurde, und zuletzt wurde Tank 1 in Brand gesetzt. Von
                              letzterem Tank ausgehend, schlugen die Flammen nach dem Dache des grossen
                              Abfüllschuppens und den Fasstapeln, so dass bald der ganze Platz in ein Feuermeer
                              verwandelt war, welches seine lodernden Flammen und dicken schwarzen Rauchwolken bis
                              zum anderen Morgen gen Himmel sandte.
                           Es ist aus den Tanks nur wenig Erdöl durch das Zusammenstürzen der nicht
                              fortgeschleuderten Dachtheile – die Eisenblechdächer der Reservoire ruhten auf
                              Holzsäulen – übergespritzt oder aus den Tanks 1 und 2 durch bei der Explosion
                              erfolgtes Abreissen einzelner Theile des obersten Ringes der Seitenwand
                              übergeschleudert worden, da ausserhalb der Tanks nur wenig Erdöl brannte.
                              Unrichtiger Weise waren in dem Erdwalle Drainagen für das Regenwasser angelegt
                              gewesen, welche mit hölzernen Schiebern verschlossen waren. Diese Schieber brannten
                              auf und gaben dem brennenden Oele freien Durchgang nach aussen. Sonst haben die
                              Dämme vorzüglich gehalten und sind vollständig unbeschädigt geblieben, so dass ein
                              Erdwall als zuverlässiger Schutz für das ausserhalb desselben liegende Terrain
                              anzusehen ist; nur darf er nicht, wie hier, irgend welche Durchgangsöffnungen haben.
                              Die Wände der Reservoire sind bei keinem derselben geplatzt, was der Laie für den
                              Fall des Brandes eines Reservoirs in der Regel erwartet, sondern mit dem ruhig
                              herunterbrennenden Erdöl nach innen abgeschmolzen. Auf einige Meter Höhe, etwa bis
                              auf die Höhe des Dammes, sind die Wände stehen geblieben, während das Oel innerhalb
                              derselben vollständig ausgebrannt ist. Wahrscheinlich hat das letzte Oel, bei
                              geringerem Luftzuge unterhalb der Wallkrone, ruhiger gebrannt und keine so intensive
                              Hitze mehr entwickelt, wie beim Abbrennen der oberen Schichten. Ausserhalb der
                              Umwallung ist alles niedergebrannt, die dünne, nur ein Stein starke Mauer des
                              Schuppens zusammengestürzt, Maschinen und Rohrleitungen vollständig zerstört, das
                              Gusseisen der Ventile und die Metalltheile derselben geschmolzen u.s.f. In aller
                              Regelmässigkeit und Ruhe sind die Fassstapel ausgebrannt; die Bänder der Fässer
                              bedeckten in regelmässigen Lagen über einander gelegt den Erdboden. Wo einzelne
                              Fässer im Freien auf dem Kopfe gestanden hatten, lagen die sechs Bänder eines jeden
                              Fasses fein säuberlich über einander und die einzelnen Häufchen geordnet neben
                              einander, als wären die Bänder sorgfältig von den Fässern abgestreift worden. Die
                              grösste Hitze hatte sich im Innern des Schuppens durch die daselbst aufgebrannten
                              1443 Fass Erdöl entwickelt.
                           Als die Explosion mit lautem Knall stattfand, eilte der Betriebsführer aus dem in
                              einer Ecke des Abfüllschuppens befindlichen Comptoir und rief die Arbeiter von ihrer
                              Arbeit im Abfüllschuppen, da er die Flammen zu allen Seiten des Reservoirs 3
                              herausschlagen sah. Es folgte ihm der erschreckte Zollbeamte, welcher in einem
                              anderen Verschlage des Abfüllschuppens seinen Arbeitsplatz innehatte. Der
                              Dampfkessel wurde abgeblasen und dessen Sicherheitsventil geöffnet. Nach Verlauf von
                              etwa ¼ Stunde standen der Schuppen und die Fasstapel in Brand. Die herbeigeeilten
                              Pioniere und Löschmannschaften mussten sich, nachdem sie das oben erwähnte kleine
                              Quantum leerer und voller Fässer bei Seite geschafft hatten, darauf beschränken, die
                              benachbarten, am Deich stehenden Bauernhäuser durch Bespritzen mit Wasser zu
                              schützen.
                           Trotz der enormen Masse gleichzeitig brennenden Brennstoffes entwickelten sich die
                              Flammen so ruhig und ihre Glut war durch die sie umhüllenden Rauchwolken so sehr
                              gemildert, dass die Strohdächer der in 40 bis 50 m Entfernung liegenden Bauernhäuser
                              vollständig unversehrt erhalten werden konnten, obgleich der Wind ihnen die Flammen
                              zutrieb, und dass das Feuer demnach auf den Lagerplatz selbst beschränkt werden
                              konnte. Auch schwebte Keiner des Personals und der Mannschaften der Anlage in irgend
                              welcher Lebensgefahr.
                           Die Ursache der Explosion ist nicht aufgeklärt und lassen sich darüber nur
                              Vermuthungen anstellen. Die Reservoire waren mit einer guten und vollständigen
                              Blitzableiteranlage versehen, welche in dem einen Betriebsjahre, in dem die Anlage
                              vor Ausbruch des Brandes erst gearbeitet hatte, zweimal controlirt worden ist, sich
                              also zur Zeit des Blitzschlages in guter Ordnung befunden haben soll. Jedes
                              Reservoir hatte am oberen Rande vier gleichmässig über den Umfang vertheilte
                              Auffangestangen von 4 m Höhe mit kupferner, platinirter Spitze, die ohne Isolirung
                              auf das Reservoir aufgeschraubt waren und von denen kupferne Kabel nach unten
                              führten. Am unteren Rande des Reservoirs waren diese vier Kabel durch ein dem
                              Umfange des Reservoirs folgendes Kabel mit einander verbunden, in welches noch eine
                              Ableitung aus der Reservoirwand einmündete und welches danach in den Erdboden
                              abgeleitet war, 2 m unter der Oberfläche im Grundwasser in einer Kupferplatte
                              endigend. Die Blitzableiter waren also nach dem bei Erdölreservoiren fast
                              ausschliesslich angewandten System, durch Ausstrahlung die Spannung
                              auszugleichen, angelegt worden. Sie haben offenbar diese Aufgabe nicht vollständig
                              erfüllt, denn es ist eine Entladung der Spannung durch den Blitz eingetreten. Wie
                              hat dieser aber die im Innern des Reservoirs befindlichen Gase zur Explosion
                              gebracht?
                           Wilh. A. Riedemann gibt darauf in einer Besprechung des
                              Brandes im Hamburgischen Correspondent vom 5. Juni 1895
                              eine Erklärung, welcher ich mich in allen Haupttheilen nur anschliessen kann. Er
                              nimmt an, dass die über dem Deckel des Reservoirs lagernden Gase durch den Blitz
                              entzündet worden sind, dass die Flamme durch die nicht mit Drahtgaze verschlossene
                              Mannlochöffnung in das Innere des Tanks gedrungen sei und die Explosion des hier
                              vorhandenen Gemisches von Luft und Erdölgasen veranlasst habe. Der Brand des erst
                              getroffenen Reservoirs Nr. 3 entzündete die Gase über den Deckeln der Tanks 2 und 4,
                              bei denen auf gleiche Weise durch Eindringen der Flamme in das Innere der Tanks die
                              Explosion erfolgte, und von dem brennenden Tank 2 wurden endlich die Gase über Tank
                              1 und damit letzterer selbst in Brand gesetzt. Die sehr hohe Luftwärme am 30. und
                              31. Mai, welche am 31. bis auf 28° C. im Schatten gestiegen war, und die absolute
                              Windstille vor Ausbruch des Gewitters hatten einerseits die Entwickelung von Gasen
                              aus dem Erdöle befördert, andererseits dem Liegenbleiben derselben über den Dächern
                              der Reservoire Vorschub geleistet, was bei der specifischen Schwere der Erdölgase
                              leicht erklärlich erscheint.
                           Eine andere Ursache für die in kurzen Zwischenräumen auf einander folgenden
                              Explosionen der einzelnen Tanks konnte auch ich nicht ermitteln, trotz
                              eingehendster, auf der Brandstätte eingezogener Erkundigungen. Jedes Reservoir hatte
                              fünf Oeffnungen auf dem leicht gewölbten, dünnen Eisenblechdach: in der Mitte eine
                              Mannlochöffnung von 60 cm Weite und zwischen Mitte und Peripherie in gleichmässigen
                              Abständen von einander vier Rohrstutzen von 15 cm Weite. Das weite Mannloch war zum
                              Entweichen der Gase aus dem Tank angebracht; der durch Hängen an den Stutzen
                              befestigte, lose aufliegende Deckel öffnete sich nach aussen. Die vier engen
                              Rohrstutzen dienten zum Messen des Oelbestandes (sounding holes) und waren mit lose
                              aufsitzenden Blechkappen zugedeckt. Keine dieser Oeffnungen war mit Drahtgaze
                              verschlossen. Es ist also wahrscheinlich, dass zur Zeit der Katastrophe unter dem
                              lose aufliegenden Mannlochdeckel die Entzündung der inneren Gase an der Flamme über
                              dem Deckel stattfand, wenn man nicht annehmen will, dass die eine oder die andere
                              der Messöffnungen unbedeckt war oder unter deren Kappen die Flamme Zutritt zu den
                              Gasen im Innern des Reservoirs fand. Jede andere Erklärung des Verlaufes des Brandes
                              hält bei näherer Erwägung der beschriebenen Umstände nicht Stand.
                           Denn mit der nahe liegenden Annahme, die Blitzableiter hätten nicht genügend
                              functionirt und der Blitz habe durch die Decke des Reservoirs geschlagen, könnte man
                              wohl die Explosion des getroffenen Reservoirs Nr. 3 erklären, nicht aber die
                              sprungweise Fortpflanzung der Explosionen auf die übrigen Reservoire, da man doch
                              nicht glauben kann, dass der Blitz hinter einander im Verlaufe von wenigen Minuten
                              in jedes der vier neben einander stehenden Reservoire eingeschlagen haben könne.
                              Bleibt aber für die explosionsartig verlaufene
                              Inbrandsetzung der Reservoire Nr. 2, 4 und 1 keine andere Erklärung wie die
                              oben gegebene, so muss solche auch für die Wirkung des Blitzstrahles auf Tank 3 als
                              die wahrscheinlichere angesehen werden.
                           Es gehen aus der geschilderten Katastrophe die folgenden Lehren hervor:
                           1) Ein Erdwall um eiserne Erdölreservoire, der so gross ist, dass der freie Raum
                              innerhalb des Walles die Hälfte des Inhaltes sämmtlicher Reservoire aufnehmen kann,
                              ist ein vollkommener Schutz gegen die Ausbreitung des Brandes brennender
                              Erdölreservoire nach aussen, da die Reservoire durch den Brand nicht bersten,
                              sondern ihren Inhalt ruhig ausbrennen lassen. Nur darf der Damm durch keinerlei
                              Oeffnungen unterbrochen sein.
                           2) Die Dächer von Erdölreservoiren dürfen nicht, wie dies der Billigkeit wegen jetzt
                              fast allgemein geschieht, gewölbt und auf hölzernen Säulen ruhend construirt werden,
                              sondern flach tellerförmig über eisernem Sprengwerk, so dass sie stets mit Wasser
                              gefüllt gehalten werden können, um durch Kühlung die Gasentwickelung im Innern zu
                              verhindern. Eine Wasserleitung soll auf das tellerförmige Dach führen zur Füllung
                              desselben und um das Wasser im Falle des Brandes eines benachbarten Reservoirs
                              ständig heraufleiten und an den Wandungen herabrieseln lassen zu können. Die
                              Mannlochöffnungen sollen doppelten Wasserverschluss haben, wie auf der Abbildung in
                              der Nebenfigur skizzirt. Ein in der Mitte des Daches anzubringendes Gasabzugsrohr,
                              welches mit 4 Zoll Durchmesser genügend weit ist, muss stets unter der Schutzhaube
                              mit Drahtgaze verschlossen sein.
                           3) Fässerstapel, Lager- und Abfüllschuppen sollten in genügender Entfernung von den
                              Erdölreservoiren stehen und die Schuppen mit freitragenden Wellblechdächern anstatt
                              mit Holzdächern gedeckt sein.
                           Bei Einhaltung vorstehender Vorsichtsmaassregeln und sachgemässer Armirung der
                              Reservoire mit Blitzableitern muss jegliche Gefahr einer Erdölreservoirniederlage
                              für die Nachbarschaft als ausgeschlossen gelten. Hamburg, 15. Juni 1895.