| Titel: | Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der Gerberei. | 
| Autor: | Johannes Pässler | 
| Fundstelle: | Band 297, Jahrgang 1895, S. 20 | 
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                        Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der
                           Gerberei.
                        Von Dr. Johannes
                                 Pässler in Freiberg i. S.
                        Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der Gerberei.
                        
                     
                        
                           Die Gerberei gehört zu denjenigen Gewerben, welche in früheren Jahren wenigen
                              Veränderungen unterworfen waren und deren Ausübung von den betreffenden
                              Gewerbtreibenden Jahrhunderte lang fast immer in derselben, zum grossen Theile sehr
                              unrationellen Weise erfolgte, ohne dass wesentliche Verbesserungen getroffen wurden.
                              Erst etwa seit 40 bis 50 Jahren, seitdem sich die Technik und die Verkehrsmittel in
                              so ungeahnter Weise entwickelt haben und seitdem in neuester Zeit die Wissenschaft
                              einen besseren Einblick in das Wesen des Gerbeprocesses verschafft und vor allen
                              Dingen die verschiedenen Rohmaterialien und deren Eigenschaften genau studirt hat,
                              seit dieser Zeit hat sich die Gerberei in grossartiger Weise entwickelt; so stellt
                              dieselbe gegenwärtig z.B. im Deutschen Reiche hinsichtlich des Werthes der
                              Productionsmenge die drittgrösste Industrie dar. Mit diesem Umschwünge ist zugleich
                              aber eine Veränderung in der Art der Gerbereibetriebe erfolgt; während früher der
                              Kleinbetrieb vorherrschte, wird jetzt die Herstellung der verschiedenen Ledersorten zu
                              einem grossen Theile von den kapitalkräftigeren Inhabern der Grossbetriebe
                              ausgeführt und eine beträchtliche Menge der Kleinbetriebe ist dabei eingegangen.
                              Diese Erscheinung, welche in keinem Gewerbe so deutlich zu Tage tritt, wie gerade in
                              der Gerberei, ist nun nicht lediglich eine natürliche
                              Folge der Entwickelung der Grossindustrie und nicht allein darauf zurückzuführen,
                              dass das Kleingewerbe den Grossbetrieben gegenüber absolut
                                 concurrenzunfähig geworden ist. Diese Thatsache ist theilweise auch eine Folge davon, dass sich die Inhaber solcher
                              eingegangener Kleinbetriebe in unserer Zeit des Fortschrittes den Errungenschaften
                              der Technik und der Wissenschaft gegenüber vollständig zurückhaltend gezeigt haben
                              und in Folge dessen von ihren Collegen, die sich den Neuerungen nicht verschlossen
                              haben, überflügelt und zurückgedrängt wurden. Es wäre falsch, zu behaupten, dass der
                              Kleinbetrieb in der Gerberei überhaupt jetzt nicht mehr existenzfähig sei; es ist
                              nur nothwendig, dass der Inhaber vollständig auf der Höhe der Zeit steht und
                              richtigen Gebrauch von den Neuerungen der Technik und den Forschungen der
                              Wissenschaft macht.
                           Den ersten Anlass zu dem Umschwünge in dem Gerbereigewerbe gab die im Anfange und in
                              der Mitte unseres Jahrhunderts sich so grossartig entwickelnde Maschinenindustrie,
                              welche der Gerberei eine grosse Menge von Kraft- und Arbeitsmaschinen lieferte. Eine
                              weitere rege Förderung erfuhr die Gerberei dadurch, dass verschiedene Männer der
                              Wissenschaft begannen, sich mit diesem Gewerbe eingehender zu beschäftigen, und vor
                              allen Dingen die Bohmaterialien, sowie die verschiedenen in der Gerberei
                              auftretenden chemischen und physikalischen Processe näher studirten. Hier ist vor
                              allem Prof. Dr. Knapp zu nennen, welcher die Gerberei
                              vom wissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtete, auf Grund seiner umfassenden
                              Untersuchungen eine Theorie zur Erklärung des Gerbeprocesses aufstellte und
                              interessante Aufklärungen über die Natur und das Wesen der Gerberei gab.„Natur und Wesen der Gerberei und des
                                       Leders“, D. p. J. 1858 149 305 und 378. Nach seiner Ansicht,
                              die im Gegensatz zu allen früher, theilweise auch erst später entstandenen Theorien
                              über das Leder steht, ist Leder keine chemische Verbindung
                                 von Haut und Gerbstoff, für welche MuntzAnn. Chim. Phys.,
                                    [4] 20, 309.
                              dasselbe hält, sondern es besteht aus mehr oder weniger
                                 isolirten Fasern der Bindegewebsubstanz, die durch Zwischenlagerung der
                                 heterogensten Dinge: pflanzliche Gerbstoffe in mehr oder weniger verändertem
                                 Zustande, Fette, Salze, Seifen u. dgl., verhindert werden, beim Trocknen
                                 zusammenzukleben. Diese Knapp'sche Theorie,
                              welche von den meisten Fachleuten jetzt als richtig anerkannt wird, unterscheidet
                              sich von den übrigen Theorien vortheilhaft dadurch, dass sie die verschiedenen
                              Zweige der Gerberei von einem allgemeinen Gesichtspunkte auffasst, während die
                              anderen nur das Wesen der Lohgerberei erklären.
                           Die Knapp'schen Arbeiten sind es entschieden gewesen,
                              welche auch andere Chemiker veranlasst haben, sich auf dem Gebiete der
                              Gerbereichemie zu specialisiren. Es sind auf diese Weise eine Reihe von Laboratorien
                              entstanden, in denen man sich ausschliesslich oder vorzugsweise mit gerberischen
                              Fragen beschäftigt. In derartigen Anstalten wurden z.B. Methoden zur Untersuchung
                              der verschiedenen in der Gerberei verwendeten Rohstoffe ausgearbeitet, um deren
                              Gehalt an wirksamer Substanz, wie z.B. der Gerbmaterialien an Gerbstoff, zu
                              ermitteln. Derartige Anstalten waren in Folge dessen im Stande, den Gerbern Klarheit
                              über den Gerbstoffgehalt der von ihnen verwendeten Gerbmaterialien zu verschaffen;
                              als in Folge der mannigfacheren Verwendung des Leders die bei uns gebräuchlichen
                              Gerbstoffe, Eichen- und Fichtenrinde, nicht mehr ausreichten, suchte die chemische
                              Wissenschaft nach Surrogaten und fand dieselben in einer grossen Anzahl namentlich
                              ausländischer Pflanzen, wie z.B. in der Mimosenrinde, im Quebrachoholz u.s.w. Ferner
                              zeigte die chemische Untersuchung der gebrauchten Gerbmaterialien, dass dieselben
                              viel zu schlecht ausgenutzt werden und dass durch zweckmässige Extractionsanlagen
                              eine bedeutend bessere Auslaugung zu erreichen ist. Wir sehen an diesen wenigen
                              Beispielen, dass das Gerbereigewerbe, seitdem sich die Chemie eingehender mit
                              demselben beschäftigt hat, bereits grosse Vortheile davon getragen hat, dass aber
                              von den Fachleuten auf diesem Gebiete noch viel zu erforschen ist. Zu denjenigen
                              Anstalten und Laboratorien, welche sich fast ausschliesslich mit Arbeiten aus der
                              Gerbereichemie beschäftigen und welche dafür sorgen, dass die dabei erhaltenen
                              Resultate genügend bekannt und in der Praxis nutzbringend verwerthet werden,
                              gehören, nach dem Zeitpunkte ihres Entstehens geordnet: die unter der Direction von
                              Wilhelm Eitner stehende, 1873 gegründete
                              chemischtechnische Versuchsstation für Lederindustrie in Wien, welche zugleich auch
                              Kurse für Gerbereichemiker abhält, das unter Leitung von Prof. Dr. v. Schroeder stehende Gerbereilaboratorium in Tharand,
                              die bis jetzt als einzige bestehende deutsche Gerberschule in Freiberg i. S., an
                              deren Spitze ebenfalls Prof. Dr. v. Schroeder mitsteht,
                              sowie das mit dem Yorkshire College in Leeds verbundene Leather Industries
                              Laboratory mit H. Procter als Leiter. Von französischen
                              Chemikern haben sich namentlich Muntz und Jean mit Gerbereichemie beschäftigt und auf diesem
                              Gebiete werthvolle Arbeiten geliefert. Wir finden aber ausser den genannten
                              Fachleuten noch eine grosse Anzahl Chemiker, welche ebenfalls eifrig an der weiteren
                              Ausbildung der Gerbereichemie arbeiten.
                           In Folgendem sollen in Kürze die Fortschritte, welche im Laufe der letzten Jahrzehnte
                              auf dem Gebiete der Gerberei zu verzeichnen gewesen sind, und die wissenschaftlichen
                              Arbeiten, die nach dieser Richtung hin ausgeführt worden sind, übersichtlich
                              zusammengefasst und kritisch betrachtet werden.
                           
                        
                           A. Rohhaut und Blösse.
                           Die thierische Haut bezieh. der Theil, welcher beim Gerbeprocess in Leder übergeführt
                              wird, also die Lederhaut oder das Corium, sind früher nur sehr wenig untersucht
                              gewesen; RolletD. p. J. 1858 149
                                    298; Wiener Akademie-Berichte, Bd. 30 S. 37 und
                                    Bd. 39 S. 308. fand, dass dieselbe aus Bindegewebsfasern und der
                              sie verbindenden Intercellularsubstanz besteht, welche beide Substanzen, besonders
                              ihre Zusammensetzung und ihr Verhalten gegenüber verschiedenen anderen Substanzen,
                              später von ReimerD. p. J. 1872 205
                                    143. eingehender studirt worden sind. Stohmann und Langbein, ebenso auch Reimer haben Elementaranalysen der
                              Blössentrockensubstanzen ausgeführt; die dabei erhaltenen Resultate stimmen aber nicht
                              vollständig mit denen überein, welche als Ergebnisse von umfangreichen, oftmals
                              wiederholten und mit grosser Sorgfalt ausgeführten Untersuchungen in einer Arbeit
                              v. Schroeder's und des BerichterstattersD. p. J. 1893 287 258 u. 283. niedergelegt sind.
                              Gelegentlich dieser Untersuchung wurde ausser der Zusammensetzung der
                              Blössentrockensubstanz verschiedener Thiere auch die Zusammensetzung der nassen
                              Blössen an Wasser, Fett, Asche und Hautsubstanz ermittelt. Diese Ermittelungen,
                              deren Resultate hier nur in Kürze angegeben werden können, zeigten, dass der
                              Trockensubstanzgehalt der Blösse abnimmt bezieh. der Wassergehalt steigt mit der
                              Abnahme der Stärke und mit Zunahme der schwammigen Textur der Blösse. Die
                              Elementaranalyse wurde namentlich deswegen ausgeführt, um zu prüfen, ob der
                              Stickstoffgehalt in der Blössentrockensubstanz ein und derselben Haut und
                              verschiedener Häute derselben Thiergattung constant ist, weil dann eine Grundlage
                              zur Lederanalyse, wenigstens zur Analyse derjenigen Leder, die mit stickstoffreien
                              Gerbstoffen (lohgare, fettgare, weissgare, sämischgare, mineralgare Leder) gegerbt
                              sind, geschaffen wäre. Die genannten Autoren constatirten, dass der Stickstoffgehalt
                              der wasser-, asche- und fettfreien Blössentrockensubstanz bei ein und demselben
                              Individuum an den verschiedensten Stellen und bei Individuen derselben Thiergattung
                              constant ist; es haben sogar die Blössentrockensubstanzen mehrerer Thiergattungen
                              den gleichen Stickstoffgehalt. Die untersuchten Blössen liessen sich hinsichtlich
                              des Stickstoffgehaltes in drei Klassen theilen, wobei das Nähere aus dem Originale
                              ersehen werden muss. Nachdem von den genannten Verfassern die Constanz des
                              Stickstoffgehaltes festgestellt worden war, kamen sie zu dem Schlusse, dass man im
                              Stande ist, aus dem Stickstoffgehalte der wasser-, asche- und fettfreien
                              Ledersubstanz zu berechnen, wie viel das betreffende Leder Hautsubstanz und gerbende
                              Stoffe enthält: ein Vorschlag, welchen bereits früher MuntzCharles Vincent: La Fabrication et le Commerce des
                                       Cuirs et des Peaux, Paris 1877 bis 1879, Theil II S. 80 bis 108.
                                    M. A. Muntz: Etudes sur la peau.
                              gemacht hat, welcher aber noch nicht spruchreif war, weil man die Constanz des
                              Stickstoffgehaltes zuvor noch nicht nachgewiesen hatte. Diese Methode, welche den
                              Durchgerbungsgrad einer der genannten Lederarten zu bestimmen gestattet, ist von den
                              Autoren bei späteren zahlreichen Analysen stets verwendet worden. Die Resultate der
                              vollständigen Elementaranalysen zeigten, dass die Blössentrockensubstanzen (im
                              asche- und fettfreien Zustande) verschiedener Thiere eine ziemlich gleiche
                              Zusammensetzung besitzen.
                           In einem Artikel der Deutschen Gerberzeitung bespricht
                              v. SchroederDeutsche Gerberzeitung, 1892 Nr. 62 bis
                                    67. die Einwirkung des Kochsalzes auf die Haut beim Salzen und bei
                              der Kochsalzweiche und kommt vor allem zu dem Resultat, dass die von der Salzlösung
                              gelöste Menge an Hautsubstanz gar nicht so bedeutend ist, als meist angenommen wird,
                              und dass dieselbe gegenüber den Vortheilen der Kochsalzweiche nicht in Betracht
                              kommen kann. HaenleinD. p. J. 1893 288 214. studirte den Einfluss des
                              Kochsalzes auf die Fäulnissbakterien der Haut und fand, dass Kochsalz schon in
                              2procentiger Lösung einen hemmenden Einfluss auf die Entwickelung der Hautbakterien
                              ausübt und namentlich die verflüssigenden Stäbchenbakterien vollständig tödtet,
                              dass aber eine Lösung von 2 Proc. nicht hinreicht, um alle Fäulnissbakterien zu
                              vernichten, und mithin auch nicht die Fäulniss auf die Dauer verhindern kann,
                              sondern dass die volle antiseptische Wirkung erst bei stärkeren Concentrationen
                              eintritt.
                           Was die Conservirung der Rohhäute, namentlich derjenigen für den Handel, anbelangt,
                              so ist dieselbe in den letzten Jahren schon eine wesentlich bessere geworden und die
                              Qualitätsverluste durch beginnende Fäulniss in Folge mangelhafter Conservirung sind
                              geringer geworden. Es könnte jedoch hier im Interesse der gesammten Lederindustrie
                              noch viel gebessert werden, wenn der Verkäufer bezieh. der Käufer der Häute sofort
                              nach dem Schlachten die richtige Sorgfalt auf eine rationelle Conservirung verwenden
                              würde; es wäre dies zugleich im Interesse der allgemeinen Hygiene. Vor allem müssten
                              die Häute sofort von allen leicht zersetzlichen Substanzen, wie Blut, Mist, Fleisch,
                              ferner von Hörn und Knochen befreit und dann mit Kochsalz, Carbolsäurelösung o. dgl.
                              hinreichend conservirt werden. Dadurch würden dem Nationalvermögen alljährlich
                              bedeutende Summen erhalten, welche jetzt in Folge Entwerthung der Häute durch
                              beginnende Zersetzung verloren gehen.
                           In den gerberischen Fachschriften ist in den letzten Jahren sehr viel über den Werth
                              und über die Bedeutung der Blössengewichtsbestimmungen gestritten worden, welche
                              jetzt in jeder rationell geleiteten Gerberei zur Controle des Häutelieferanten
                              (Blössenrendement) und zur Bestimmung des Lederrendements (bezogen auf Weissgewicht)
                              ermittelt werden. EitnerDer Gerber, 1884
                                    Nr. 1. zweifelt den Werth dieser Gewichtsbestimmungen für die
                              Praxis stark an; wenn auch zugegeben werden muss, dass die Blössenrendements
                              zuweilen keine zuverlässigen Zahlen liefern, so liegt dies aber in diesen Fällen an
                              der Art der Ausführung. Es ist bei dieser Controle vor allen Dingen nothwendig, dass
                              die Wägungen stets unter ganz gleichen Verhältnissen ausgeführt werden, damit
                              vergleichbare Resultate erhalten werden; darauf ist auch vom Berichterstatter und
                              von anderen SeitenDeutsche Gerberzeitung, 1893 Nr. 88 und 93;
                                    1894 Nr. 46 und 48. wiederholt hingewiesen worden. Am
                              empfehlenswerthesten ist es, wenn die Wägungen nach dem vollständigen Reinmachen und
                              Wässern und nach 2stündigem Hängen vorgenommen werden.
                           
                        
                           B. Gerbmaterialien.
                           
                              a) Lohgerberei.
                              Während früher in Deutschland, ebenso in einigen anderen Ländern, fast
                                 ausschliesslich die Eichenrinde, ausser dieser vielleicht noch die Fichtenlohe,
                                 als Gerbmaterial benutzt wurden, kommen jetzt noch eine Reihe anderer
                                 vegetabilischer Substanzen zum Gerben in Anwendung. In Folge der mannigfacheren
                                 Verwendung des Leders genügte die eigene Production an Gerbmaterial in unseren
                                 Eichenschälwaldungen nicht mehr und man sah sich zur Einfuhr ausländischer
                                 Producte unbedingt genöthigt; ferner suchte man auch nach gerbstoffreicheren
                                 Substanzen, da die Eichen- und Fichtenlohen immer noch verhältnissmässig
                                 gerbstoffarm sind. Durch die rasche Entwickelung der Verkehrsmittel wurde es dem
                                 Lederproducenten ermöglicht, aus allen Erdtheilen Surrogate für die heimischen
                                 Eichen- und Fichtenrinden zu beziehen. Es vergeht jetzt kein Jahr, wo nicht mehrere
                                 neue Gerbmaterialien auf dem Markte angepriesen werden; sehr häufig ist das
                                 Schicksal derselben, dass sie sehr bald wieder vom Markte verschwinden, weil sie
                                 sich nicht für die Praxis eignen. Von einem neuen Gerbmaterial verlangt man vor
                                 allen Dingen, dass es billig zu beschaffen ist, dass es den Gerbstoff möglichst
                                 leicht abgibt und dem Leder keine nachtheiligen Eigenschaften ertheilt. Zu
                                 denjenigen ausländischen Gerbmaterialien, welche sich auf dem Markte zu erhalten
                                 vermochten, gehören vor allen Dingen die Valoneen
                                 oder Ackerdoppen, welche aus Kleinasien und
                                 Griechenland schon seit einer langen Reihe von Jahren zu uns kommen und
                                 namentlich gemischt mit Eichenrinde zur Herstellung von Sohl-, Vache- und
                                 Riemenleder Verwendung finden. Die Knoppern, die
                                 fast ausschliesslich in den Donauländern producirt werden, benutzt man in der
                                 Hauptsache nur in ihrer Heimat zur Herstellung von schweren Lederarten, während
                                 sie sich in Deutschland wenig Eingang verschafft haben; dies hängt mit der
                                 hässlichen Farbe, die dem Leder durch Knoppern ertheilt wird, mit dem
                                 verhältnissmässig hohen und dabei sehr stark wechselnden Preise dieses
                                 Gerbmaterials zusammen. In einzelnen Gegenden wird auch die Weidenrinde, welche im Gerbstoffgehalte der
                                 Eichenrinde mindestens gleichkommt, mit sehr gutem Erfolge als Gerbmaterial
                                 verwendet, und zwar gewinnt man für diesen Zweck sowohl Altholzrinde als auch
                                 die Rinde der jungen Korbweide. Da dieses Material, wenigstens die junge Rinde,
                                 das Leder sehr hell macht und andere günstige Eigenschaften besitzt, so wäre zu
                                 wünschen, dass man der Gewinnung desselben eine grössere Aufmerksamkeit zuwenden
                                 würde, damit dasselbe häufiger und in grösseren Mengen als jetzt auf dem Markte
                                 zu erhalten wäre.
                              Seit einer Reihe von Jahren wird aus Australien, neuerdings auch aus Afrika, ein
                                 sehr gerbstoffreiches Gerbmaterial in der Mimosen-
                                 oder Wattlerinde zu uns importirt, welche etwa 22
                                 bis 40 Proc. Gerbstoff enthält und sich namentlich zur Herstellung von Sohlleder
                                 eignet. In England wird dieses schätzenswerthe Gerbmaterial schon vielfach
                                 verwendet, während es auf dem Continente noch nicht die ihm gebührende genügende
                                 Beachtung gefunden hat und daselbst mehr benutzt werden sollte, als es bis jetzt
                                 geschieht. Vor einigen Jahren wurde von Mexico und Californien aus ein
                                 Gerbmaterial unter dem Namen Cajotarinde oder Taroccarinde zu uns importirt, welches zunächst
                                 grosses Aufsehen erregte, jetzt aber schon vollständig vom Markte verschwunden
                                 ist. Diese Rinde fand bei den Gerbern wenig Anklang, weil der Gerbstoff
                                 derselben ziemlich schwer löslich war, das Leder hässlich roth färbte und sie
                                 trotz dieser schlechten Eigenschaften zu hoch im Preise stand.
                              Von Früchten sind im Laufe der letzten Jahre als Gerbmaterialien die Myrobalanen, Algarobilla und Dividivi empfohlen worden, von welchen namentlich
                                 die ersteren wegen ihres niedrigen Preises sich schnellen Eingang verschafft
                                 haben. Die Myrobalanen, deren Gewinnung in ihrer
                                 Heimat, Indien, von der dortigen Forstverwaltung sehr rationell betrieben wird,
                                 besitzen einen Gerbstoffgehalt von 18 bis 40 Proc. und eignen sich namentlich in
                                 der Unterledergerberei zum theilweisen Ersatz der Eichenlohe bezieh. der
                                 Valonea. Algarobilla (mit 35 bis 52 Proc. Gerbstoff) und Dividivi (mit 25 bis 51
                                 Proc. Gerbstoff) sind sehr schätzenswerthe Gerbmaterialien, welche in
                                 ziemlich grossen Quantitäten aus Südamerika und Westindien nach Europa exportirt
                                 werden, aber bei uns in der Gerberei leider noch zu wenig, sondern zum grossen
                                 Theile in der Färberei Verwendung finden.
                              Von Gallen werden bis jetzt in der Gerberei nur die von einer kleinasiatischen
                                 Eiche abstammenden Rovegallen (Bassoragallen oder
                                 Sodomsäpfel) verwendet; die übrigen Gallen sind für diesen Zweck zu theuer.
                                 Diese Rovegallen, deren Gerbstoffgehalt etwa zwischen 22 bis 36 Proc. schwankt,
                                 eignen sich wegen der Leichtlöslichkeit ihres Gerbstoffes vorzüglich zum
                                 Vermischen mit dem Versetzmaterial, weil sich alsdann im Satz schnell starke
                                 Brühen bilden.
                              Vor 4 bis 5 Jahren brachte Nordamerika ein neues Gerbmaterial unter dem Namen Canaigre zu uns, welches vermuthlich noch eine
                                 grosse Zukunft hat. Dasselbe besteht aus den 2- und 3jährigen Wurzelknollen von
                                 Rumex hymenosepalus, welche in Nordamerika, namentlich in den Flussniederungen,
                                 in grossen Mengen angepflanzt werden; neuerdings werden auch in Afrika und in
                                 Hawai Anbauversuche mit Canaigre gemacht; Culturversuche, welche mit dieser
                                 Pflanze in Bosnien vorgenommen worden sind, gaben keine zufriedenstellenden
                                 Resultate. Die bis jetzt mit der Canaigrewurzel (20 bis 30 Proc. Gerbstoff)
                                 angestellten Gerbeversuche sind sehr günstig ausgefallen und diese würden sicher
                                 viele europäische Gerber veranlasst haben, dieses Material ständig zu verwenden,
                                 wenn der Preis (30 M. für 100 k) vorläufig nicht ein noch zu hoher gewesen wäre.
                                 In den letzten Jahren hat die Regierung der Vereinigten Staaten Nordamerikas
                                 sich der Canaigrecultur sehr angenommen, was auch Erfolg gehabt zu haben
                                 scheint, denn in dem letzten Jahre findet man auf dem Markte Angebote von
                                 Canaigre zu niedrigeren Preisen als früher. Es wäre im Interesse der Gerberei
                                 mit Freuden zu begrüssen, wenn man in Zukunft ein so gutes Gerbmaterial wie
                                 Canaigre für einen massigen Preis erhalten könnte. Eine Monographie über
                                 „Canaigre“ von CallingwoodBulletin Nr. 7 of
                                          the Arizona Agricultural Experiment-Station. enthält
                                 die Geschichte, die botanische Charakteristik, chemische Studien und die
                                 Culturmethoden dieses Gerbmaterials.
                              Eine Anzahl verschiedener Hölzer sind in den letzten Jahrzehnten in die Reihe der
                                 Gerbmaterialien eingetreten; es sind dies das Holz der Eiche und der
                                 Edelkastanie, sowie das Quebrachoholz. Das Kernholz der ersten beiden Bäume
                                 enthält im höheren Alter einen nicht unwesentlichen Gerbstoffgehalt, welcher in
                                 Gegenden, wo diese Hölzer in grossen Mengen vorkommen und nicht vortheilhafter
                                 verwerthet werden können, technisch ausgenutzt werden kann. Dieses Holz wird in
                                 den meisten Fällen nicht direct als Gerbmaterial verwendet, sondern es werden
                                 daraus Extracte gewonnen, weswegen erst weiter unten bei der Betrachtung der
                                 Extracte darauf näher eingegangen wird.
                              Das wichtigste Gerbholz ist entschieden das Quebrachoholz, welches auch in Deutschland innerhalb kurzer Zeit zu
                                 ausserordentlicher Bedeutung gelangt ist. Dieses Gerbmaterial, welches das
                                 Kernholz des namentlich in Argentinien heimischen Loxopterigium Lorentzii
                                 darstellt, kam zuerst Anfang der 70er Jahre nach Europa, und die Einfuhr desselben hat
                                 sich seit etwa 12 Jahren rapid gesteigert. In Deutschland wurden im J. 1882 nur
                                 1200 t, im J. 1888 16600 t und im J. 1893 39000 t importirt. Dieses Gerbmaterial
                                 (der Gerbstoffgehalt schwankt zwischen 16 und 26 Proc.) konnte sich trotz seiner
                                 zum Theil ungünstigen Eigenschaften (rothe
                                 Farbe des damit hergestellten Leders, Schwerlöslichkeit des Gerbstoffes) so
                                 rasch einbürgern, weil der Preis desselben ein sehr niedriger war und die
                                 deutsche Lederindustrie dadurch in Stand gesetzt wurde, der grossen Concurrenz
                                 der nordamerikanischen Hemlockleder und der südamerikanischen Valdivialeder
                                 einigermaassen mit Erfolg zu begegnen und diese Leder, welche in Amerika wegen
                                 der niedrigen Preise der Häute und der Gerbmaterialien (in Nordamerika
                                 Hemlockrinde, in Südamerika Linguerinde) sehr billig hergestellt werden und
                                 früher den europäischen Ledermarkt überschwemmten, einigermaassen
                                 zurückzudrängen. Die Erfolge, die in der ersten Zeit mit Quebrachoholz erzielt
                                 wurden, waren aber recht schlechte, was damit zusammenhing, dass man die
                                 Eigenschaften desselben noch nicht genügend kannte. Vor allen Dingen waren
                                 zuerst die damit hergestellten Sohlleder von so schlechter Qualität, dass
                                 dieselben noch jetzt in einem schlechten Rufe stehen. Erst mit der Zeit erkannte
                                 man, dass das Quebrachoholz ein Gerbstoff ist, welcher, für sich allein
                                 angewandt, sich nur zur Herstellung von Oberleder, namentlich von Rossleder,
                                 eignet, und dass es bei der Herstellung von schwereren Lederarten, wie
                                 Sohlleder, mit anderen Gerbmaterialien, wie besonders Fichtenrinde, combinirt
                                 werden muss, um bessere Qualitäten zu erhalten. Die gerberische Praxis hat es
                                 jetzt unter Benutzung ihrer eigenen Erfahrungen so weit gebracht, dass sie mit
                                 Hilfe des billigen Quebrachogerbstoffes bei richtiger Combination mit anderen
                                 Gerbstoffen gute, marktfähige Qualitäten herstellt, wenn auch zugegeben werden
                                 muss, dass sich dieselben nicht als vollständig gleichwerthig den mit Eichenlohe
                                 gegerbten Sohlledern an die Seite stellen können, aber dafür sind sie auch im
                                 Preise niedriger. Auf die vortheilhafte Combination des Quebrachoholzes mit der
                                 Fichtenlohe hat v. SchroederDeutsche
                                          Gerberzeitung, 1889 Nr. 74 und 75. wiederholt
                                 hingewiesen.
                              Durch die vielfache Verwendung des Quebrachoholzes als Gerbmaterial sah sich in
                                 Deutschland ein Theil der Eichenlohe producirenden Eichenschälwaldbesitzer und
                                 derjenigen Gerber, welche fast ausschliesslich mit Eichenlohe arbeiten, in ihrer
                                 Existenz bedroht und begann eine Agitation gegen dieses Gerbmaterial, welche
                                 darin gipfelte, auf dasselbe einen so hohen Einfuhrzoll zu legen, dass die
                                 Verwendung überhaupt unmöglich werde. Trotz einer lebhaften Gegenagitation hat
                                 daraufhin der Deutsche Reichstag im April 1895 den Beschluss gefasst, auf
                                 Quebrachoholz und alle überseeischen Gerbstoffe, soweit sie nicht in der
                                 Färberei oder einem anderen Zweige der chemischen Industrie Verwendung finden,
                                 einen Einfuhrzoll zu legen. Es bleibt zunächst abzuwarten, ob der Bundesrath
                                 diesem Beschlusse zustimmen wird; sollte dies geschehen, so würde die
                                 Durchführung desselben in der obigen Fassung auf viele Schwierigkeiten stossen,
                                 zugleich würde es eine principielle Aenderung der früheren Handelspolitik sein,
                                 nach welcher alle Rohstoffe für die heimische Industrie zollfrei eingehen
                                 sollen. Diese Maassregel würde sicherlich für diejenigen, die den Zoll angeregt
                                 haben, nicht den gewünschten Erfolg haben, aber auf der anderen Seite dem
                                 grössten Theile der deutschen Lederindustrie empfindlichen Schaden zufügen,
                                 indem demselben dadurch das billigste Gerbmaterial ausserordentlich vertheuert
                                 werden würde und er in Folge dessen mit dem Auslande nicht mehr würde
                                 concurriren können. Der Vorwurf, dass das Quebrachoholz den Preis der Eichenlohe
                                 wesentlich herabgedrückt habe, ist ungerechtfertigt; der Fall des Preises der
                                 Eichenlohe hat bereits vor der Einfuhr des Quebrachoholzes begonnen. Ein Zoll
                                 auf Gerbmaterialien würde sich auch nur dann rechtfertigen lassen, wenn
                                 Deutschland seinen Bedarf an Gerbmaterial selbst produciren könnte, was aber
                                 nicht annähernd der Fall ist; etwa zwei Drittel des Gesammtbedarfes an
                                 Gerbmaterialien muss Deutschland aus dem Auslande beziehen.
                              Die Blätter des Sumachbaumes, welche man früher in der Gerberei fast
                                 ausschliesslich zur Herstellung der feineren Saffianleder verwendete, werden
                                 jetzt vielfach in der Lohgerberei benutzt, um fertig gegerbte Leder, welche
                                 möglichst weich und hell werden sollen, geschmeidiger und heller zu machen. Zu
                                 diesem Zwecke werden die Leder entweder einige Zeit mit Sumachbrühe in einem
                                 Walkfasse gewalkt oder auf einige Tage in eine derartige Brühe eingelegt.
                              
                                 
                                    (Fortsetzung folgt.)