| Titel: | Mechanisch betriebene Wagen in Frankreich. | 
| Autor: | Peter Climentitsch v. Engelmeyer | 
| Fundstelle: | Band 297, Jahrgang 1895, S. 106 | 
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                        Mechanisch betriebene Wagen in
                           Frankreich.
                        Bericht von Peter
                                 Climentitsch v. Engelmeyer.
                        Mit Abbildungen.
                        Mechanisch betriebene Wagen in Frankreich.
                        
                     
                        
                           Verschiedene Typen.
                           Wir wollen in Nachstehendem die bis zur typischen Form ausgebildeten Wagen
                              schematisch beschreiben, sodann die hauptsächlichsten Theile eingehender betrachten,
                              und am Schluss einige allgemeine Betrachtungen anknüpfen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 105
                              Fig. 1.Wagen mit Benzinmotor.
                              
                           Wagen mit stehendem, vorn befindlichem Benzinmotor.Fig. 1 und 2 stellen
                              eine zweisitzige Victoria von der Fabrik Panhard und
                                 Levassor dar. A ist ein Benzinmotor nach Daimler in Cannstatt, dessen Arbeit durch die
                              Reibungsmuffen B einer Achse übertragen wird, längs
                              deren eine lange Hülse gleitet, die drei (oder vier) Zahnräder C trägt. Diese sind mittels des Hebels D verschiebbar und ertheilen einer Transmissionswelle
                              drei (oder vier) verschiedene Geschwindigkeiten, ferner treiben sie mittels
                              konischer Zahnräder auch eine andere Welle F1, welche im Wagen quer
                              liegt und an den Enden Zahnräder trägt, von denen Galle-Ketten zu den Hinterrädern
                              gehen. Die Achse F1
                              trägt auch eine Bandbremse, verbunden mit dem Pedal F.
                           
                              
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                              Fig. 2.Wagen mit Benzinmotor.
                              
                           
                              
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                              Fig. 3.Wagen mit Benzinmotor.
                              
                           
                              
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                              Motor nach Daimler.
                              
                           Ausserdem ist noch eine Backenbremse G1 mit dem Hebel G angebracht. Zum Lenken des Wagens dient der Hebel E in Verbindung mit einem weiter unten zu
                              beschreibenden Mechanismus E1E2. Der
                              Wagen hat hölzerne Räder mit eisernen Reifen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 106
                              Wagen von Roger mit Benzinmotor.
                              
                           Wagen mit stehendem, hinten befindlichem Benzinmotor.Fig. 3 zeigt die Ansicht des Wagens von Peugeot. Die vordere Achse ist bedeutend weniger
                              belastet als bei der vorigen Type. Derselbe Motor nach Daimler ist hinten bei A angebracht, Fig. 4 und 5, welche den später zu
                              erwähnenden interessanten Rahmen darstellen. Man muss noch den ganzen
                              Uebertragungsmechanismus der ersten Type hinzudenken, nur umgekehrt angebracht.
                              Aehnliche Theile sind mit gleichen Buchstaben bezeichnet. Statt des langen
                              Lenkhebels E ist hier ein Handrad verwendet. Die Räder
                              gleichen denen des Fahrrades.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 106
                              Fig. 8.Zugwagen mit Rohrenkessel von Dion und Bouton.
                              
                           Wagen von Roger mit liegendem Benzinmotor. In Fig. 6 und 7 ist A ein 3pferdiger Motor nach Benz mit einem Schwungrade D dargestellt. C sind zwei Riemen, deren Gebrauch das Eigenthümliche
                              des Systems bildet. Die Transmissionswelle B bringt
                              mittels zweier Galle-Ketten die Bewegung der Räder hervor. E ist der Carburator, der einen Vorrath Benzin für 40 km enthält. Unter
                              dem hinteren Sitz ist ausserdem noch ein Benzinbehälter für 100 km angebracht. Die
                              Steuerung ist der oben beschriebenen ähnlich. Das Bestreben des Constructeurs ist
                              darauf gerichtet, die vordere Achse möglichst zu entlasten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 106
                              Fig. 9.Zugwagen mit Rohrenkessel von Dion und Bouton.
                              
                           Zugwagen mit Röhrenkessel.Fig. 8 und 9 stellen
                              einen solchen Wagen von Dion und Bouton dar, eine Art
                              Locomotive für gewöhnliche Wege. Beide Achsen sind gleich belastet; die vordere
                              trägt den Kessel B und das Brennmaterial (Koks), die
                              hintere den Wasserbehälter E und die Maschine C. Der Schornstein H ist
                              nach unten gerichtet. Jeder Wagen kann von seinem Vordergestell abgenommen und mit
                              dem Zugwagen, wie abgebildet, verbunden und im Drehpunkte A aufgestellt werden. Der Zugwagen ist bestimmt, schwere Lastwagen und
                              Omnibus zu befördern und hat einen 20pferdigen Motor.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 106
                              Fig. 10.Dampfwagen mit einem Serpollet-Kessel.
                              
                           Dampfwagen mit einem Serpollet-Kessel. Hier ist (Fig. 10) die hintere Achse mehr belastet als die
                              vordere. Auf den eigenthümlichen Kessel werden wir noch zurückkommen. Es bezeichnet
                              R Koksvorrath, E
                              Wasserbehälter, DD Kästen für Werkzeuge und Gepäck. Der
                              Motor M wirkt auf die hinteren Triebräder mittels einer
                              Transmissionswelle und zweier Galle-Ketten. Der Hebel Am dient zur Steuerung und auch zum allmählichen Bremsen. E ist eine starke Bremse. L Hebel auf eine Pumpe wirkend, um den Motor in Gang zu setzen, wovon
                              Weiteres unten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 106
                              Fig. 11.Wagen mit Accumulatoren von Jeantaud.
                              
                           Wagen mit elektrischen Accumulatoren von Jeantaud. Die Accumulatoren werden in den Kasten A (Fig. 11) eingestellt.
                              Die Dynamomaschine wirkt mittels einer Zahnübersetzung auf die hintere Achse. Zur
                              Steuerung dient der Hebel E, der die ganze Vorderachse
                              dreht sammt der längs dieser Achse und im Wagen quer angebrachten Feder F. Derselbe Constructeur hat auch eine andere
                              Vorrichtung zur Steuerung hergestellt, welche auf der Fig.
                                 2 durch EE1E2
                              angedeutet und weiter unten beschrieben ist.
                           
                        
                           Der Rahmen.
                           Der Rahmen wird aus ∟-, I-, ⊏- und ⃝-Eisen gebaut. Am
                              wenigsten wiegt ein Rahmen aus Röhreneisen; er ist aber auch am theuersten.
                              Mustergültig als solcher ist der auf den Fig. 4 und 5 dargestellte Rahmen von
                              Peugeot, der aus kaltgezogenen Stahlröhren wie ein
                              Fahrradrahmen hergestellt ist. Es bildet sich somit ein verzweigter Innenraum, der
                              zugleich als Behälter des Kühlwassers dient, wozu die grosse Oberfläche sich gut
                              eignet. Die Röhren sind inwendig sorgfältig lackirt. Die Circulation des Wassers
                              wird mittels einer kleinen Centrifugalpumpe unterhalten. Die Fig. 12 und 13 stellen
                              verschiedene Verbindungen dieser Röhren dar. Der ganze Rahmen ist sehr steif. Die
                              Sitze sind auf den Röhren CC (Fig. 4 und 5) befestigt, die
                              Maschine auf den Röhren DD.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 107
                              Fig. 12.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 107
                              Fig. 13.
                              
                           Oefter sieht man aber flache Rahmen. Da sich solche doch im Wege elastisch biegen, so
                              trachtet man darnach, sämmtliche Maschinentheile in die Ebene des Rahmens zu
                              bringen, damit dieselben durch die Verbiegungen nur geringen Einfluss erfahren. Der
                              Rahmen liegt auf gewöhnlichen Wagenfedern, die auf den Achsen befestigt sind.
                           
                        
                           Die Räder.
                           Die Räder haben meistens hölzerne Speichen und einen eisernen Kranz. Vorder- und
                              Hinterräder sind nicht selten verschiedener Construction (s. z.B. Fig. 8). Die treibenden (hinteren) Räder wurden früher
                              auf der Achse befestigt und diese drehte sich mit denselben. Jetzt aber ist man zur
                              Anordnung unbeweglicher Achsen und sich auf denselben drehender Räder zurückgekehrt,
                              deren jedes für sich durch Galle-Ketten getrieben wird (s. Fig. 3, 6,
                              7 und 10). Die Fig. 3 gibt
                              elegante Räder von der Art des Fahrrades wieder. Die Räder drehen sich auf Kugeln,
                              haben Stahldrahtspeichen und Gummireifen. Diese Räder nebst den Röhrenrahmen (Fig. 3, 4, 5, 12 und 13) bilden die
                              Eigenthümlichkeit der Wagen der Fabrik Peugeot, die
                              bisher Fahrräder fertigte und dieselben Principien auf die Construction mechanischer
                              Wagen übertragen hat. Dass die Reibung beträchtlich vermindert ist, hat der Versuch
                              gelehrt; nur soll die Erfahrung noch nachweisen, ob nicht die Abnutzung eine zu
                              rasche sein wird.
                           Sind die Speichen aus Holz, so vermeidet man es, die Triebkraft von der Nabe durch
                              dieselben zu übertragen und befestigt man den Zahnkranz, der die Galle-Kette
                              aufnimmt und auf den Fig.
                                 6, 7 und 10 sichtbar ist, direct auf den Speichen. Im Zug wagen
                              von Dion und Bouton (Fig.
                                 8) ist die Triebkraft der sich drehenden Achse E unter Vermeidung der Speichen direct auf den Kranz M durch den stählernen elastischen Stern G übertragen.
                           Die Reifen sind aus Eisen, Stahl oder Gummi. Die letzteren bewahren die Maschine und
                              die Reisenden vor den Stössen, sind aber theuer und nicht genügend dauerhaft; zudem
                              gleiten sie manchmal mehr als die eisernen, besonders bei Herbstregen und klebrigem
                              Wege. Die Reifen erstellt jeder Constructeur nach Belieben des Bestellers und man
                              darf sagen, dass die Reifenfrage ihrer technischen Lösung noch harrt. So ist bemerkt
                              worden, dass ein Eisenreifen von gewöhnlicher Dicke und 75 mm Breite leicht bricht.
                              Macht man ihn 45 mm dick, so wird er zerfetzt. Zusammengeschweisst aus weichem
                              Stahl wird er so breitgedrückt, dass er auf der Oberfläche 90 mm misst. Harter Stahl
                              eignet sich zu deren Verfertigung nicht, weil er unschweissbar ist. Somit ist schon
                              die Ansicht ausgesprochen worden, dass man auch für mechanische Wagen ganze Bandagen
                              walzen sollte, was vielleicht mit der Zeit auch geschehen wird.
                           Ausserdem kommt es noch vor, dass bei langsam gehenden Dampfmotoren die Reifen sich
                              an den Stellen mehr abnutzen, die der grössten Wirkung der Kurbeln entsprechen.
                           
                        
                           Die Transmission.
                           Ist der Wagen mit einem langsam gehenden Dampfmotor versehen, so ist die directe
                              Uebersetzung gebräuchlich. Das sind aber die selteneren Fälle; die meisten Wagen
                              haben schnell laufende Motoren, von denen die mit Dampf betriebenen etwa 300 Touren
                              machen, wie z.B. der Benzinmotor Benz. Dagegen macht
                              der Benzinmotor Daimler 600 bis 700 Touren und die
                              Dynamomaschine 1000 bis 1300.
                           Die Galle-Kette ist allgemein im Gebrauch. Sie ist aber immer offen und dem Staube
                              ausgesetzt. Bei der Abnutzung erweitert sich aber der Gang und die ganze Kraft wird
                              auf die Zahnspitze übertragen. Ausserdem muss noch eine Vorrichtung vorgesehen
                              werden, um die Achsen ein wenig verschieben zu können. Um diese Uebelstände
                              thunlichst zu vermindern, versucht jetzt Serpollet die
                              auf der Fig. 14 abgebildete Kette, wo alle sich
                              reibenden Körper, das sind die Glieder A und die Röhren
                              C, aus gehärtetem Stahl, dagegen alle auf Zug
                              arbeitenden Theile, eventuell die Glieder B und die
                              Bolzen D, aus weichem Eisen bestehen. Die Bolzen D stellt man in Entfernungen von etwa 50 cm von
                              einander, zwischen dieselben Nieten E.
                           Manche Fabrikanten versuchen die Uebertragung unter Vermeidung von Ketten nur mit
                              Zahnrädern herzustellen, was bei grösseren Kräften (etwa über 5) geboten erscheint.
                              So im Zugwagen Fig. 8 und 9 mit seinem 20pferdigen Motor. Umgekehrt sucht Roger (Fig. 6
                              und 7) Zahnräder durch
                              Riemen zu ersetzen, was bei einer Achsenentfernung von nur etwa 1 m kaum rationell
                              erscheint, um so mehr als auch noch keine Vorrichtung zum Spannen getroffen werden
                              konnte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 107
                              Fig. 14.Galle-Kette nach Serpollet.
                              
                           Der Benzinmotor soll möglichst gleichförmig mit der vortheilhaftesten Geschwindigkeit
                              laufen. Den Rädern soll aber nach Belieben verschiedene Geschwindigkeit ertheilt
                              werden. Bei Roger (Fig. 6 und 7) macht der Motor 300
                              Touren und die Riemen übertragen auf den Wagen zwei Grenzgeschwindigkeiten von 5 und
                              von 20 km stündlich. Das theilweise Verschieben der Riemen von den losen Scheiben
                              auf die festen und die Regelung des Luftzutrittes im arbeitenden Gasgemisch bewirkt
                              alle mittleren Geschwindigkeiten. Andere Constructeure, die den Daimler-Motor
                              anwenden, der 600 bis 700 Touren macht, gebrauchen eine dreifache oder vierfache
                              Zahnradübersetzung (s. Fig. 2), welche auch drei oder
                              jetzt durchweg vier Geschwindigkeiten dem Wagen zutheilen wie folgt:
                           
                           Die drei Geschwindigkeiten sind:
                           7, 16, 25 km in der Stunde
                           Die vier Geschwindigkeiten sind:
                           
                              
                                 
                                 6,
                                 12,
                                 18,
                                 24
                                 km
                                 in
                                 der
                                 Stunde
                                 
                              
                                 oder
                                 5,
                                 9,
                                 15,
                                 22
                                 „
                                 „
                                 „
                                 „
                                 
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 108
                              Fig. 15.Reibungsmuff.
                              
                           Der Reibungsmuff B (Fig.
                                 2) zwischen Motor und Uebertragungswelle hat zuweilen die auf der Fig. 15 dargestellte Construction: Die Achse E, die ihrer Länge nach mittels der Hebel D (Fig. 2) verschiebbar
                              ist, trägt zwei konische Scheiben A und B, welche in die entsprechenden Hohlscheiben
                              hineingepresst werden und zwar so, dass die gleitende und mit Federn versehene
                              Scheibe B zuerst, sodann die feste A in Berührung kommt und so die Uebertragung eine
                              allmähliche wird. Die konischen Flächen beider Scheiben sind mit Leder bedeckt.
                              Jedoch finde ich in allen jetzt in Construction begriffenen Wagen eine einzelne
                              Scheibe A.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 108
                              Fig. 16.Bremse.
                              
                           Zwei Bremsen gibt man gewöhnlich jedem Wagen bei: eine
                              mit Backen und eine mit Band. Erstere ist auf den Fig.
                                 1, 2 (GG1), 8, 10 sichtbar. Letztere ist in Fig. 2 angedeutet (FF1) und auf der Fig.
                                 16 dargestellt. Auf der Transmissionswelle sitzt eine zweirandige Scheibe
                              A, auf welche das Stahlband BC einmal aufgewunden ist. Das Ende B ist an
                              den Rahmen des Wagens befestigt, das Ende C wird
                              mittels des Pedals F (Fig.
                                 2, 3 und 10)
                              angezogen. Da Gummiräder keine Backenbremse zulassen, so begnügt man sich mit einer
                              einzigen Bandbremse, die dann mit einem Pedal und einem Hebel verbunden wird.
                           
                        
                           Vorrichtung zum Lenken des Wagens.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 108
                              Fig. 17.Vorrichtung zum Lenken des Wagens.
                              
                           Die Vorderachse ist entweder wie in gewöhnlichen Wagen als Vordergestell auf einem
                              Bolzen drehbar, oder man verwendet eine unten zu beschreibende Vorrichtung. Erstere
                              sehen wir in Fig. 10 und 11. Die so einfache Construction der Fig.
                                 11 ist nur bei kleinen sehr leichten Wagen anwendbar, gewöhnlich sehen wir
                              bei ihr die Einwirkung der Hand auf das Vordergestell hergestellt durch die
                              Vermittelung eines Zahnkranzes mit Schnecke.
                           Derselbe Jeantaud, dessen Wagen (Fig. 11) erwähnt wurde, hat auch eine andere
                              Vorrichtung hergestellt, welche von den meisten Constructeuren angenommen und auf
                              den Fig. 17 und 18
                              abgebildet ist. Die Vorderachse A ist mit den
                              Wagenrahmen fest verbunden. Sie trägt zwei bewegliche Zapfen B und C, die in Hülsen F drehbar sind und die Hebel D und E tragen, welche mit der Stange DE verbunden sind. Diese Verbindung ist mit E1E2 auf der Fig. 2 bezeichnet. Man dreht mit dem Lenkhebel den
                              Mittelpunkt dieser Stange nach rechts und nach links, somit auch die auf den Zapfen
                              B und C (Fig. 17 und 18)
                              sitzenden Räder. Der stumpfe Winkel zwischen B und D bewirkt, dass die Räder bei der Wendung nicht mehr
                              parallel bleiben, sondern der Winkel α grösser als β wird. Das Verhältniss zwischen diesen zwei Winkeln
                              soll theoretisch ein solches sein, dass der Schneidepunkt O (Fig. 18) der Achsen auf der Verlängerung
                              der Hinterachse liege. Denken wir uns den momentanen Rotationsmittelpunkt des Wagens
                              im Punkte O, so ist das Gleiten sämmtlicher Räder
                              vermieden. Praktisch wird diese Bedingung nur annäherungsweise erfüllt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 108
                              Fig. 18.Vorrichtung zum Lenken des Wagens.
                              
                           Der Vergleich der Vorrichtung von Jeantaud mit der
                              gewöhnlichen, wo die ganze Vorderachse auf einem Deichselbolzen drehbar ist, gibt
                              Folgendes: Bei der ersten ist der Hebel r (Fig. 17) 12 bis 15 cm lang, wogegen bei der zweiten,
                              gewöhnlichen, die Hälfte der Vorderachse etwa 60 cm beträgt. Also bei Jeantaud ist der Hebel vier- bis fünfmal geringer. Alle
                              Stösse, die das Rad im Wege findet, werden somit gemildert auf die leitende Hand
                              übertragen. Auch wird jede Bewegung der letzteren dementsprechend in grösserem
                              Maasstabe als Ablenkung der Räder sich kundgeben. Dion und
                                 Bouton versuchen jetzt ein Rad, dessen Speichen so gewölbt sind, dass die
                              Nabe auf dem Zapfen B (Fig.
                                 17) sitzt, der Kranz aber in der Verticalen liegt, die durch die Hülse F geht. Somit verringert sich allerdings r bis auf Null, allein bei Gummireifen werden sich
                              diese um so eher abnutzen, als der Drehmittelpunkt immer auf dem Reifen liegt.
                           Die leitende Hand wirkt entweder auf einen langen Hebel (Fig. 1, 2 [E], 10 [Am] und
                              11 [E]), oder auf
                              eine kurze Kurbel (Fig. 3 [E] und 8); die Einen halten es für
                              wünschenswerth, dass auch die geringsten Bewegungen der Hand dem leitenden
                              Mechanismus übertragen wären, die Anderen sind dagegen der Ansicht, die Hand solle
                              immer eine beträchtliche Bewegung zu verrichten haben. Ich glaube, das ist Sache des
                              Geschmackes, der Gewohnheit und der Musculatur des Führers.
                           Jetzt gehen wir zur Hinterachse über. Beim Wenden des Wagens müssen die treibenden
                              Räder auch verschiedene Geschwindigkeiten erhalten, ohne Aufhebung der Verbindung
                              mit dem Motor.
                              Dieses Ziel wird erreicht, indem diese Verbindung durch den Differentialmechanismus
                              von Gaillardet (Fig. 19)
                              hergestellt wird. Die hintere Achse, falls sie sich dreht, häufiger aber die
                              Transmissionsachse ist in der Mitte zerschnitten; auf diesen Enden drehen sich lose
                              zwei mit einander verbolzte Hülsen A und B. Die Triebkraft wirkt auf das Zahnrad F und somit auch auf die Zapfen der konischen Zahnräder
                              E, deren es zwei, drei oder vier gibt. Diese sind
                              in steter Verbindung mit den konischen Rädern C und D, die fest auf den beiden Hälften der Achse sitzen und
                              sie drehen. So lange also die beiden Hinterräder des Wagens einen gleichen
                              Widerstand finden, drehen sie sich auch mit gleicher Geschwindigkeit, dagegen bei
                              Wendungen drehen sie sich verschieden, indem sie ja unbehindert vom Motor getrieben
                              werden. Ich habe aber auch auf geradem Wege den Differentialapparat arbeiten gehört,
                              allerdings zum Nachtheile der Kraftübertragung, und bedingt wird dies offenbar durch
                              ungleichen Widerstand, den die Räder auf dem Boden finden. Ich weiss, dass manche
                              Constructeure eine andere diesbezügliche Vorrichtung suchen, doch ohne Erfolg. Darum
                              ist diese allgemein im Gebrauch.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 109
                              Fig. 19.Differentialmechanismus von Gaillardet.
                              
                           Die Belastung der Achsen betreffend, sehen wir zwei
                              verschiedene Ansichten walten: Die Einen erzielen eine gleiche Belastung, wogegen
                              die Anderen eine möglichste Entlastung der Vorderachse anstreben. Beispiele der
                              ersten Art sehen wir auf den Fig. 1, 2, 8 und 9, die der zweiten auf Fig.
                                 3, 6, 7 und 10. Die Einen sagen, dass nur mit entlasteter
                              Vorderachse die Leitung eine leichte und die Beweglichkeit eine genügende wird. Die
                              Anderen sagen, dass dabei aber leicht das Maass überschritten wird und jede dem
                              hinteren Rade begegnende Erhöhung, etwa eine Eisenbahnschiene, eine schädliche
                              Ablenkung des Wagens hervorbringt.
                           Ein wichtiges Moment für die Leitung und die Stabilität scheint die relative Länge der beiden Achsen zu sein, ein Umstand, der
                              augenscheinlich der richtigen Würdigung noch entbehrt. Fast alle Constructeure
                              halten sich gewohnheitsmässig an die überlieferten Formen der Wagen, ohne den
                              abgeänderten Bedingungen Rechnung zu tragen. So wird auch fast immer der Abstand der
                              Vorderräder kleiner gemacht als der der hinteren. Warum? Weil das Auge daran mehr
                              gewöhnt ist. Allerdings sieht man auch gleiche Abstände, so in den Fig. 5 und 7. Létar ging noch weiter und machte den Abstand der
                              Vorderräder ungefähr doppelt so gross als den der hinteren. Letztere sitzen
                              innerhalb des Rahmens auf zwei selbständigen kurzen Achsen, die von beiden Cylindern
                              einer Woolf'schen Maschine besonders getrieben werden.
                              Ist die Lenkung eine gewöhnliche mit Bolzen, so ist es geboten, die Vorderachse
                              thunlichst zu kürzen. Der Vorrichtung Jeantaud's bedarf
                              es nicht mehr, eher umgekehrt, je weiter die Räder vom Rahmen stehen, desto grösser
                              kann der Ablenkungswinkel genommen werden. Für die Standfestigkeit ist es
                              entschieden um so vortheilhafter, je grösser der Abstand der Vorderräder ist, und
                              ich glaube, dass mit der Zeit in mechanischen Wagen dieser Abstand allgemein grösser
                              als der der Hinterräder gehalten sein wird. Ob das Auge ein solches Verhältniss als
                              hässlich aufnimmt, ist lediglich Sache der Gewohnheit. Der Führer wird aber immer
                              vor den Augen den breitesten Theil seines Wagens haben, und dies ist für die
                              Sicherheit der Fahrt im Gedränge von Belang, wie man sich an den Pariser Omnibus
                              überzeugen kann, von denen die Dreispänner eine geringere Zahl Zwischenfälle
                              aufweisen, was die Kutscher einfach dadurch erklären, dass die drei Pferde einen
                              grösseren Raum in der Breite einnehmen als das Fuhrwerk. Es gibt aber auch noch
                              einen Grund, der den Nutzen eines möglichst grossen Abstandes zwischen den
                              Vorderrädern rechtfertigt:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 109
                              Fig. 20.Wagenbremse.
                              
                           Betrachten wir das Bremsen und die Wendung zugleich. Der
                              Schwerpunkt M (Fig. 20)
                              des Wagens beschreibe eine wagerechte Curve PQ in der
                              angedeuteten Richtung. Es wirken sodann zwei Kräfte: das Gewicht des Wagens R1 und die
                              Centrifugalkraft R2.
                              Wird zu gleicher Zeit gebremst, so tritt noch eine dritte. Kraft R3 hinzu. Bezeichnen
                              wir durch g die Beschleunigung der Schwere, durch m die Masse des Wagens im Schwerpunkte concentrirt,
                              durch r den Radius der Curve PQ, durch v die lineare Geschwindigkeit und
                              somit die Verzögerung durch die Bremse hervorgebracht durch
                              -\frac{d\,v}{d\,t}, so drücken wir aus:
                           
                              R_1=m\,g
                              
                           
                              R_2=m\,\frac{v^2}{r}
                              
                           
                              R_3=m\,\frac{d\,v}{d\,t}
                              
                           
                              R=\sqrt{{R_1}^2+{R_2}^2+{R_3}^2}
                              
                           Da die Stabilität fordert, dass die Resultante R nicht
                              ausserhalb des Viereckes komme, das die Berührungspunkte der Räder mit der Erde
                              umfasst, so sehen wir unmittelbar, dass die Stabilität um so grösser wird, je weiter
                              die vorderen Räder aus einander stehen.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)