| Titel: | Mechanisch betriebene Wagen in Frankreich. | 
| Autor: | Peter Climentitsch v. Engelmeyer | 
| Fundstelle: | Band 297, Jahrgang 1895, S. 125 | 
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                        Mechanisch betriebene Wagen in
                           Frankreich.
                        Bericht von Peter
                                 Climentitsch v. Engelmeyer.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 105 d.
                           Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Mechanisch betriebene Wagen in Frankreich.
                        
                     
                        
                           Die treibende Kraft.
                           Ich habe die Bemerkung machen können, dass die Dampfmotoren durchweg stärker genommen
                              werden, als die Benzinmotoren: so werden die zwei- und viersitzigen Wagen mit 4- und
                              5pferdigen Motoren versehen, wogegen man für folgende Daimler'sche Benzinmotoren nimmt: für zweisitzige Wagen mit 600 bis 700 k
                              Gewicht (ohne Menschen) einen Motor von 240 mk, für viersitzige Wagen mit 800 bis
                              900 k Eigengewicht einen Motor von 280 mk. Diese Kraft reicht aus; nur bei starken
                              Steigungen von etwa 0,10 fühlt man, besonders bei schlechtem Weg, die Schwäche oder,
                              besser gesagt, die schwache Ausgiebigkeit des Benzinmotors, verglichen mit dem
                              Dampfmotor, da ersterer mit beinahe constanter Kraft läuft und nicht forcirt werden
                              kann. Darum kann als allgemeine Regel formulirt werden, dass bei dem heutigen Stand
                              der Sache Benzinmotoren nur bis zu 4  verwendet werden dürfen, darüber
                              hinaus aber Dampfmotoren angezeigt sind.
                           Brabant (Le Génie Civil vom
                              25. August 1894) schlägt vor, die nöthige Motorkraft folgendermaassen auszurechnen.
                              Angenommen, es soll auf der Wagerechten mit 20 km in der Stunde gefahren werden. Als
                              Widerstandscoefficient nehme man 6,5 Proc., den Morin
                              auf gutem aber kothigem Chausseewege fand. Die Kraft des Motors auf 100 k
                              Gesammtgewicht ergibt sich:
                           \frac{100\,.\,0,065,.\,20000}{3600\,.\,75}=0,48.
                           Bei Steigungen wird sich die Geschwindigkeit verhältnissmässig vermindern. So ist es
                              leicht auszurechnen, dass bei einer Steigung von 0,10 die Geschwindigkeit nur noch
                              7,877 km betragen wird.
                           Man kann auch anders rechnen. Die Aufgabe sei, 15 km in der Stunde bei einer Steigung
                              von 0,10 zurückzulegen. Dann ist die Kraft des Motors auf 100 k Gesammtgewicht:
                           \frac{100\,(0,064+0,1)\,.\,15000}{3600\,.\,75}=0,91.
                           Diese Formeln geben: für einen zweisitzigen Wagen von 800 bis 900 k Gesammtgewicht
                              (mit Menschen) einen Motor von rund 4 bis 4½ bezieh. 7 bis 8 , und für einen
                              viersitzigen Motor mit 1000 bis 1200 k Gesammtgewicht 5 bis 6 bezieh. 9 bis 10
                              . Diese Zahlen sind in der That nur wenig grösser, als die Praxis
                              darbietet.
                           Eine fernere Eigenthümlichkeit der Benzinmotoren ist, dass man sie bei kurzem
                              Stillstande sich frei drehen lässt, um sie nicht zu oft wieder in Gang setzen zu
                              müssen. Dabei zittert der Wagen stark und dieses Zittern ist unangenehm. Es
                              verschwindet aber vollständig bei vollem Gange. Die Dampfmotoren sind von
                              diesem Uebelstande frei, dagegen brauchen sie eine längere Zeit, um in
                              Arbeitszustand gebracht zu werden, die bei Benzinmotoren erfahrungsgemäss nicht mehr
                              als 5 Minuten beträgt. Zudem ist auch noch die Bedienung des Benzinmotors, selbst
                              das Nachfüllen unterwegs, leichter verrichtbar, als bei Dampfmotoren.
                           
                        
                           Benzinmotoren.
                           Praktisch haben sich in Frankreich zwei Motorensysteme erwiesen: das von Daimler und von Benz.
                              Letztere arbeiten im Viertakt mit einem wagerechten Cylinder (s. Fig. 6 und 7). Da sie nur selten
                              gebraucht werden, wollen wir sie nicht näher beschreiben.
                           Der oft verwendete Daimler'sche Benzinmotor darf aber in
                              seiner letzten, vereinfachten Ausführungsform (Fig. 21 und 22) unsere
                              Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Die Pleuelstangen der beiden Kolben wirken auf
                              einen Zapfen, der zwei massive Scheiben p und p1 vereinigt, welche
                              zugleich auch als Schwungrad dienen. Beide Cylinder sind unten offen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 125
                              Daimler's Benzinmotor.
                              1
                                 Zufluss. 2 Ablass. 3
                                 Regulator.
                              
                           Beim Senken des Kolbens entsteht eine Verdünnung, welche das Ventil b öffnet und das Gasgemisch einsaugt. Dieses wird
                              gebildet, indem die äussere Luft, bei ihrem Durchgange durch eine über dem Brenner
                              befindliche Messingröhre erwärmt, durch einen Carburator hindurchströmt, wo sie eine
                              entsprechende Menge Benzin dampf aufnimmt. Der hier nicht abgebildete Carburator
                              besteht aus einem senkrecht mit Benzin gefüllten Cylinder, dessen Füllung für 40 km
                              ausreicht. Ein trichterförmiger Schwimmer scheidet aus dem Benzin eine Säule von
                              etwa 5 cm Höhe, durch welche die vorgewärmte Luft in Blasen hindurchströmt. Beim
                              Steigen des Kolbens wird das Gasgemisch im Cylinder zusammengepresst, wobei es in
                              die Platinröhre a hineindringt, die ein mit Benzindampf
                              gespeister Brenner in glühendem Zustande erhält. Der Kolben wird hinuntergejagt, und
                              beim folgenden Steigen desselben öffnet sich mechanisch das Auslassventil C. Hernach wiederholt sich der beschriebene viertaktige
                              Umlauf. Das Ventil C wird durch die Stange d gehoben. Diese trägt einen Führer e, der in einem spiralförmigen Schlitz ss der Scheibe p geführt
                              wird, und zwar so, dass d eine volle Schwingung während
                              zweier Umdrehungen der Scheibe macht. Die Stange d trägt auf ihrem
                              Ende einen Kniehebel f mit Feder. Dieser öffnet das
                              Auslassventil C, solange er nicht abgelenkt ist. Doch
                              wird er von dem Hebel u dann abgelenkt, wenn diesen der
                              Centrifugalregulator entsprechend neigt. Dann wird das Ventil C nicht gehoben, die Gase, die bereits ihre Arbeit
                              abgegeben, bleiben im Cylinder, und es entsteht in ihm kein Saugen frischer Gase.
                              Während ein Cylinderinhalt explodirt, vollzieht sich in dem anderen das Saugen.
                              Beide Cylinder werden durch Wasser gekühlt.
                           Die Normalgeschwindigkeit ist 600 bis 700 Umgänge in der Minute. Der 2pferdige Motor
                              wiegt 150 k, der 4pferdige 280 k und der 5pferdige 300 k. Gewöhnlich wird ein
                              zweisitziger Wagen mit einem Motor von 240 mk, ein viersitziger mit 280 mk versehen,
                              jedoch wünschen manche Besteller mit Recht einen 4pferdigen Motor auf einem
                              viersitzigen Wagen, besonders da, wo schwierige Wege sind.
                           Das in Frankreich gebrauchte Benzin heisst „essence de pétrole“ und ist 0,700
                              bis 0,750 schwer. Da dort kleine Handlampen ohne Glas sehr verbreitet sind, ist
                              diese Erdölsorte in Frankreich überall zu haben, und kostet das Hektoliter 29 bis 32
                              Francs. Der stündliche Verbrauch an Benzin beträgt durchschnittlich für einen 1½
                              pferdigen Motor 1 l, für einen 2½ pferdigen 1½ l, für einen 3pferdigen 1¾ l. Auf
                              guter Chaussee bei trockenem Wetter reicht 1 l Benzin auf 10 km. Die viersitzigen
                              Wagen fassen gewöhnlich einen Vorrath von 20 bis 25 l Benzin und 30 bis 40 l
                              Kühlwasser.
                           
                        
                           Dampfmotoren.
                           Die Motoren im eigentlichen Sinne bieten nichts Aussergewöhnliches, jedoch sind
                              einige Kessel bemerkenswerth.
                           Dampfkessel von Dion und Bouton. Der Zugwagen Fig. 9 wird mit einer 20 -Verbundmaschine
                              betrieben, deren Hub 180 mm, deren Cylinderdurchmesser 120 und 180 mm beträgt. Sie
                              macht 330 Umdrehungen und legt stündlich 20 km zurück.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 126
                              Fig. 23.Dampfkessel von Dion und Bouton.
                              
                           Der Kessel, der auch auf Torpedobooten angewendet wird, ist auf der Fig. 23 abgebildet. A und
                              D sind zwei doppelwandige Cylinder, deren Deckel
                              (ringförmige Stirnplatten) aus Gusstahl mit Bolzen zusammengehalten werden. Die
                              Innenräume dieser Cylinder sind durch eine Anzahl kurzer kupferner Röhren mit
                              einander verbunden. Der Kessel ist auf 14 at concessionirt, arbeitet aber gewöhnlich
                              mit 9 at. Als Brennmaterial wird Nusskoks gebraucht, der durch die Oeffnung M eingefüllt wird und auf dem Rost L verbrennt. Der Rauch wird durch das Rohr HH1 abwärts geführt,
                              wobei der Abdampf den Zug verstärkt. Der Kessel hat 21 Reihen Röhren: eine Reihe hat
                              16, die übrigen 40, der ganze Kessel 816 Röhren. Die Röhren haben 10 mm inneren und
                              13 mm äusseren Durchmesser und 112 mm Länge. Heizfläche 2,116 qm, Rostfläche 0,1735
                              qm. Rauminhalt des Kessels 55,778 l, Wassergehalt 36,5 l. Das Rauchrohr H hat 130 mm Durchmesser. Das Gewicht des Kessels
                              beträgt 240 k. Er erzeugt stündlich 170 k Dampf und wird mit Koks geheizt. Der
                              Koksvorrath im Wagen reicht im Durchschnitte auf 100 km, der des Wassers (190 l) auf
                              30 bis 40 km. Der Zugwagen wiegt 1,8 t, mit Vorrath 2,5 t.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 297, S. 126
                              Fig. 24.Dampferzeuger Serpollet.
                              a
                                 Dampf; b Wasser; c
                                 Luft.
                              
                           Der neue Dampferzeuger Serpollet. Der frühere
                              Dampferzeuger dieser Art dürfte wohl bekannt sein (vgl. 275 * 404, 277 * 437, 280 248), es sei nur in einigen Worten der Grundgedanke des Systemes
                              erwähnt. Der Dampferzeuger ist aus einem Schlangenrohr gebildet, welches so
                              zusammengedrückt ist, dass der innere Raum nur eine enge Spalte bildet. Das Rohr ist
                              stark erhitzt und ist wasserleer. Je nach dem Dampfverbrauch im Motor pumpt dieser
                              eine entsprechende Menge Wasser in das Schlangenrohr, wo sich sofort Dampf bildet,
                              dessen Temperatur häufig auf 200° und dessen Druck auf 30 at steigt. Der Regulator
                              wirkt auf einen Hahn mit drei Oeffnungen in der Art, dass entweder die ganze von der
                              Pumpe gelieferte Wassermenge in das Schlangenrohr tritt, oder ein veränderlicher
                              Theil derselben in den Wasserbehälter zurückkehrt. Das Anlassen des Motors geschieht
                              durch Pumpen mittels einer Handpumpe (s. Fig.
                                 10).
                           Fig. 24 stellt den neuen Generator dieses Systems dar.
                              Das Rohr ist nicht mehr spiralförmig, sondern geht hin und her und besteht aus U-förmig umgebogenen und halbmondförmig
                              zusammengedrückten dickwandigen Stahlröhren. Der halbkreisförmige spaltenartige
                              Innenraum hat 2 bis 6 mm Weite. Die Rohre sind von drei Grössen:
                           
                              
                                 1)
                                 Aeusserer
                                 Durchmesser
                                 63 mm,
                                 Wanddicke
                                 10 mm
                                 
                              
                                 2)
                                 „
                                 „
                                 73 mm,
                                 „
                                 12 mm
                                 
                              
                                 3)
                                 „
                                 „
                                 83 mm,
                                 „
                                 13 mm.
                                 
                              
                           Gewicht des laufenden Meters: 1) 13,32 k, 2) 18,4 k, 3) 22,28 k.
                           Die Rohre werden bis auf 96 at Druck erprobt. Die Wanddicke übersteigt weit die für
                              den Widerstand erforderliche Stärke, und ist bestimmt, einen Vorrath an Wärme fertig zu halten
                              und so den Vorrath erwärmten Wassers zu ersetzen. Der Flammenraum ist inwendig mit
                              feuerfesten Platten ausgelegt. Im Rost bilden die lichten Räume die Hälfte der
                              Fläche.
                           In Fig. 10 ist dargestellt, wie Kessel, Motor und
                              Behälter für Wasser und Koks auf dem Wagen angebracht sind. Die Stösse während der
                              Fahrt bewirken eine selbständige regelmässige Beschickung des Rostes. Der
                              Schornstein ist nach unten gerichtet und der Zug ist durch Abdampf hergestellt; die
                              Feuerung ist also der Arbeit angepasst. Zum Anlassen des Motors genügen einige Hübe
                              der Handpumpe, welche mittels des Hebels L betrieben
                              wird.
                           
                        
                           Elektrische Accumulatoren.
                           Die elektrischen Accumulatoren geben in ihrem gegenwärtigen Zustande keine praktische
                              Lösung der mechanischen Strassenfahrt. Jedoch wollen wir der Vollständigkeit wegen
                              diejenigen näher betrachten, die den in Fig. 11
                              abgebildeten Wagen treiben. Es sind Accumulatoren des Systems Tommasi,
                              „Fulmen“ genannt. Jede Zelle enthält drei dreifache Gruppen und wiegt 13,3 k.
                              Die Batterie besteht aus 21 solcher Zellen. Die Kästen sind aus Holz mit
                              Celluloidfutter. Als Platten dienen Gitter aus antimonhaltigem Hartblei, mit
                              wirkender Masse gefüllt (Schwammblei für die negativen und Bleioxyd für die
                              positiven); das Ganze ist in durchlöcherte Celluloidhüllen eingefasst, welche das
                              Ausfallen der Masse bei Erschütterungen verhüten. Die Capacität beträgt 22
                              Ampère-Stunden bei einem Strom von 1 Ampère für 1 k Platte, 18 Ampère-Stunden bei
                              einem Strom von 3 Ampère für 1 k Platte und 15 Ampère-Stunden bei einem Strom von 6
                              Ampère für 1 k Platte. Bei Reihenschaltung gibt die Batterie 100 Ampère mit 40 Volt
                              während 1½ Stunden, während welcher Zeit man 30 km zurücklegen kann. Dieselbe
                              Batterie gibt 70 Ampère während 3 Stunden, 40 Ampère während 6 Stunden und 30 Ampère
                              während 10 Stunden. Auf gutem ebenen Wege hat man gewöhnlich 50 bis 100 Ampère beim
                              Anlass und auf Bergen steigt man bis 200 Ampère.
                           Die Dynamomaschine gibt bei 1200 Touren 2,6 , mit einem Wirkungsgrad von 0,74
                              bei der Reihenschaltung der Magnetwickelungen. Bei deren Parallelschaltung steigt
                              die Arbeit auf 4,4  bei 1300 Touren, doch sinkt der Wirkungsgrad auf
                              0,70.
                           Ein mit Accumulatoren getriebener Wagen bietet wesentliche Vortheile: immer
                              arbeitsfertig, lässt er auch häufige Stillstände zu und arbeitet ohne Ausscheidung
                              von Dampf- und Geruch, ohne Zittern und Geräusch. Dem praktischen Gebrauch stehen
                              aber gewichtige Nachtheile im Wege: neben den erheblichen Kosten steht auch die
                              Nothwendigkeit, jede 1½ Stunden die Accumulatoren zu wechseln und diese zu laden. Ob
                              diese Wagen, wie Jeantaud glaubt, als Fiaker in
                              Grosstädten Gebrauch finden werden, wird erst die Zukunft entscheiden.
                           Natürlich ist auch das Gewicht des mit Accumulatoren getriebenen Wagens beträchtlich.
                              So wiegt der in Fig. 11 dargestellte zweisitzige
                              Wagen:
                           
                              
                                 Der Wagen selbst und die Transmission
                                   490 k
                                 
                              
                                 Die Dynamomaschine
                                   110 k
                                 
                              
                                 Accumulatoren
                                 die Plattender Kasten sammt Flüssigkeiten
                                   280 k  140 k
                                 
                              
                                 
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 Summa
                                 1020 k.
                                 
                              
                           
                        
                           Allgemeine technische Betrachtungen.
                           Sobald der erste fahrende Motor erzeugt war, bemühte man sich, mit denselben Wagen zu
                              treiben. Schon 1769, als die Dampfmaschine noch ganz in ihrer Kindheit war, hatte
                              Cugnot diesen Versuch gemacht, und seinen Wagen
                              kann man noch heute im Pariser Conservatoire des Arts et Métiers sehen. Gleiche
                              Bemühungen machten auch die Engländer (1784 Watt und
                              Murdoch). Jedoch mussten sie aus doppeltem Grunde
                              erfolglos bleiben: erstens musste die Dampferzeugung entsprechend ausgebildet worden
                              sein, und dies kam erst mit Stephenson's Raquet (1825),
                              d.h. mit dem Röhrenkessel zu Stande; zweitens waren die Wege in solch einem
                              Zustande, dass sie das mechanische Fahren unmöglich machten. Ich glaube ohne
                              Uebertreibung behaupten zu dürfen, dass der schlechte Zustand der Wege zu jener
                              Zeit, wo die Dampfmaschine entstand, mehr als alle anderen Einflüsse dahin gewirkt
                              hatte, dass alle Erfinder und Techniker die Idee fallen liessen, mechanisch auf gewöhnlichen Wegen zu fahren, und dass eben dieser
                              Umstand das meiste beigetragen hat, auf künstlichen (Eisen-) Bahnen zu fahren.
                              Jedenfalls lag darin auch der Grund, warum das Radfahren – ungeachtet der vielen
                              Bemühungen von Drais und Anderen – zu jener Zeit eine
                              Zukunftsfrage bleiben sollte.
                           Das heutige mechanische Fahren ist auch eng durch den Zustand der Wege bedingt.
                              Natürlich kann der Liebhaber mit seinem Wagen auch auf den schlechtesten Wegen
                              hindurchkommen, was meines Wissens in Frankreich auch Viele thun, einen
                              eigenthümlichen Sport treibend. Handelt es sich aber um einen regelmässigen
                              industriellen Verkehr, so kann die Möglichkeit des mechanischen Fahrens nur da
                              bejaht werden, wo Chausseestrassen gut unterhalten werden und wo entsprechende
                              Brücken sind.
                           Ein mechanischer Wagen mit vier Personen wiegt 1000 bis 1200 k. Der ganze Bau ist ein
                              bedeutend stärkerer als bei gewöhnlichen Wagen. Doch ist diese Verstärkung nicht nur
                              durch die Belastung mit der Maschine bedingt, sondern auch, und das ist sehr
                              maassgebend, durch die grössere Fahrgeschwindigkeit. Solange der Mensch auf die
                              Kraft des Pferdes angewiesen ist, begnügt er sich mit Geschwindigkeiten von 6 bis 10
                              km in der Stunde. Von dieser Begrenzung befreit, steigt unaufhaltsam die Forderung
                              nach Fahrgeschwindigkeit. So ist jetzt in Frankreich die Norm für mechanische
                              Locomotion 15 bis 20 km in der Stunde. Solche Steigerung der Ansprüche macht sich
                              bei jeder technischen Neuerung geltend. Eine ähnliche Erscheinung konnte man bei
                              Einführung einer neuen Art Beleuchtung, sei es Gas an die Stelle von Oel oder
                              Elektricität anstatt Gas, beobachten, dass zuerst die Brenner nur an jenen Stellen
                              angebracht wurden, wo die alten hingen, und dass sofort nachdem – obwohl somit die
                              Beleuchtung schon beträchtlich zugenommen hatte – immer wieder neue Lampen
                              aufgehängt wurden.
                           Was die Geschwindigkeit von 15 bis 20 km in der Stunde betrifft, so muss ich aus
                              eigener Erfahrung gestehen, dass man sich an dieselbe gewöhnen muss, um nicht
                              beunruhigt zu werden. Ganz anders fühlt man sich auf Eisenschienen. Auf gewöhnlichem
                              Wege aber, wo man öfters ausweichen und die Geschwindigkeit wechseln muss, muss man
                              sich gut einüben und die Augen und die Hände entsprechend der neuen Geschwindigkeit
                              ausbilden, um mit voller Sicherheit zu fahren.
                           
                           Als praktisch haben sich bis jetzt nur die Wagen mit Dampf- und Erdölmotoren
                              erwiesen, letztere für geringe Personenzahl (bis vier). Diese sind sehr handlich,
                              und allgemein darf man sagen, dass sie nur weniger Fortschritte bedürfen, um den
                              praktischen Anforderungen in vollem Maasse zu genügen: es bleiben nur zwei zu
                              beseitigende Momente übrig – der Erdölgeruch und das Zittern beim Stillstand. Dass
                              diese Ziele erreicht werden, daran ist nicht zu zweifeln. Dann werden die Erdölwagen
                              für eine kleine Zahl Personen ein entschiedenes Uebergewicht gegenüber den Dampf
                              wagen erlangen. Diese werden aber wahrscheinlich doch mehr am Platze sein bei einem
                              regelmässigen, industriell betriebenen mechanischen Verkehr auf gewöhnlichen
                              Wegen.
                           
                        
                           Commercielle Betrachtungen.
                           Denken wir uns, die mechanischen Wagen entsprächen den verschiedenen Anforderungen
                              der Praxis, und sofort sehen wir, welch ein Aufschwung dem Localverkehr zu Theil wird. Die langen Eisenbahnlinien werden bestehen und
                              deren Netz sich noch ausbreiten, aber anstatt eine Localbahn zu bauen, die den
                              Strassenverkehr hindert und theuer ist, gebraucht man dieselbe Chaussee, die zur
                              Eisenbahn führt, und der neue Verkehr hindert keineswegs den alten, im Gegentheil,
                              er fördert ihn, weil die Chaussee nun noch verbessert werden soll. Aus diesem Grunde
                              harren viele Gemeinden in Frankreich auf die endgültige technische Ausarbeitung
                              mechanischer Wagen, um den Localverkehr einzurichten.
                           Schon jetzt gestalten sich die commerciellen Verhältnisse sehr günstig für den
                              Betrieb mechanischer Wagen, wie folgende Zusammenstellung erweist, die wir dem oben
                              genannten Ingenieur Brabant (Génie Civil vom 15. September 1894) verdanken.
                           Vom industriellen Verkehr redend, nehmen wir nur Dampfwagen. Die Ankaufspreise sind
                              sehr verschieden und halten sich zwischen 5 und 10 Francs das Kilogramm. Die Höhe
                              der Preise ist offenbar durch die noch immer fortdauernden Versuche bedingt. Halten
                              wir uns jedoch an dieselben. Was die Amortisation anbetrifft, so werden
                              Dampfmaschinen gewöhnlich in 15 Jahren amortisirt, dagegen die Wagen und besonders
                              die Räder in bedeutend kürzerer Zeit. Als diese nehmen wir 10 Jahre. Rechnen wir im
                              Jahre 300 Arbeitstage, wo der Wagen täglich 100 km zurücklegt, so erhalten wir als
                              Lebensweg des Wagens 300000 km.
                           Nehmen wir einen industriellen Dampf wagen, der im Stande ist, 1 t Fracht (Menschen
                              oder Waaren) zu tragen. Ein solcher wiegt ungefähr 21 und kostet etwa 7500 Francs.
                              (Viersitzige Wagen mit Dampf- oder Erdölbetrieb kosten 5000 bis 6000 Francs.) Den
                              Verbrauch an Koks als Brennmaterial kann man erfahrungsmässig auf 0,8 k auf 1 t
                              Gesammtgewicht und 1 km Weg rechnen. Koks kostet in Frankreich 30 Francs. Wir
                              erhalten dann folgende Kosten für 100 km leer und voll geladen:
                           Kosten (im Tag):
                           
                              
                                 
                                 LeerFrancs
                                 GeladenFrancs
                                 
                              
                                 Der Führer
                                   6,00
                                   6,00
                                 
                              
                                 Brennmaterial
                                   4,80
                                   7,20
                                 
                              
                                 Schmiermittel
                                   1,00
                                   1,00
                                 
                              
                                 Bedienung und Remont
                                   1,50
                                   1,50
                                 
                              
                                 Amortisation
                                   2,50
                                   2,50
                                 
                              
                                 Procent auf Kapital
                                   1,25
                                   1,25
                                 
                              
                                 Diverse
                                   1,50
                                   1,50
                                 
                              
                                 
                                 ––––
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 18,55
                                 20,95
                                 
                              
                           Vor allem macht sich der geringe Unterschied kund, der zwischen den Kosten des
                              Leerlaufes und der Arbeit besteht. Sodann erweisen sich die letzteren auch als sehr
                              gering. Die Einnahmen berechnen wir unter der Voraussetzung, dass im Durchschnitt 6
                              Menschen und 300 k Fracht befördert werden; der Passagier zahle für 1 k 5 Centimes
                              und die Fracht betrage für 1 km und 1 k 0,1 Centime:
                           Einnahmen (im Tag):
                           
                              
                                 Passagiere
                                     6 × 100 × 0,05  =
                                 30
                                 Francs
                                 
                              
                                 Fracht
                                 300 × 100 × 0,001 =
                                 30
                                 „
                                 
                              
                                 
                                 
                                 –––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 60
                                 Francs.
                                 
                              
                           Wir erhalten rund auf 21 Francs Auslagen 39 Francs Reingewinn. Anders gerechnet, ist
                              es leicht einzusehen, dass sich die Auslagen schon decken bei 3 Passagieren und 100
                              k Fracht im Durchschnitt.
                           In diese Calculation von Brabant sollte eigentlich eine
                              Correction eingeführt werden, nämlich die Kosten der Chaussee und deren Unterhalt.
                              Allein, da die Strasse nicht, wie bei Eisenbahnen, ausschliesslich nur dem einen
                              Verkehr dient, erwachsen daraus nur schwache Zahlen, die das Verhältniss gar nicht
                              ändern.
                           Sobald also die mechanischen Wagen einen entsprechenden Grad technischer
                              Vollkommenheit erlangen, und das kann nicht mehr lange ausbleiben, gewinnt die
                              Menschheit ein neues Verkehrsmittel, und darum ist es kaum übertrieben, zu sagen,
                              dass wir jetzt in dieser Hinsicht einen historischen Wendepunkt erleben, dessen
                              Bedeutung – wie die der zwanziger Jahre für den Eisenbahnverkehr – nur die
                              Nachkommenschaft in vollem Maasse zu würdigen im Stande sein wird.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)