| Titel: | Neuerungen an Locomotiven. | 
| Fundstelle: | Band 299, Jahrgang 1896, S. 76 | 
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                        Neuerungen an Locomotiven.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 49 d.
                           								Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Neuerungen an Locomotiven.
                        
                     
                        
                           2) Locomotiven für Haupt- und Nebenbahnen.
                           Die wachsende Zahl der Nebenbahnen mit scharfen Krümmungen und starken Steigungen,
                              									sowie die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Locomotiven auf Haupt- und Nebenbahnen
                              									verleiht der Weiterentwickelung der Gelenklocomotive mit in Bogen einstellbaren
                              									Achsen und Ausnutzung des vollen Gewichtes für die Reibung eine immer grössere
                              									Bedeutung (1891 282 * 25).
                           Die Construction eines drehbaren Treibachsengestelles für Locomotiven wurde Ch. Hagans in Erfurt unter D. R. P. Nr. 58845 vom 11.
                              									Januar 1891 und Zusatzpatent geschützt.
                           Ein mit dieser Anordnung versehenes Modell war 1893 in Chicago und auch auf der
                              									Thüringer Gewerbe- und Industrieausstellung in Erfurt 1894 ausgestellt.
                           Der Antrieb der Drehgestellachsen wird, wie Fig. 19
                              									ersichtlich, dadurch herbeigeführt, dass der gewöhnliche Kreuzkopf mit einer kleinen
                              									Gelenkstange ab an einen vorderen, einarmigen
                              									Treibhebel bd angeschlossen ist, dessen Drehachse d in den am Hauptrahmen befestigten Lagern liegt und
                              									dessen unteres Ende b ausser der Gelenkstange ab noch die Kurbelstange bf für den Antrieb der Treibachse trägt. Die Vorderachse ist durch die
                              									Stange fe gekuppelt.
                           Der vordere Treibhebel bd ist durch eine Kuppelstange
                              										ch mit einem gleich gestalteten hinteren Hebel ig gekuppelt, welcher mit seiner Drehachse g am oberen Ende eines Lenkhebels gk aufgehängt und gegen Verdrehen genügend gesichert
                              									ist.
                           Da die Verhältnisse beider Treibhebel vollständig gleich, müssen die Punkte b und i auch genau gleiche
                              									Bogenbewegungen ausführen. An den Punkt i ist eine
                              									zweite Kurbelstange ip angeschlossen, welche die
                              									Bewegung auf den Kurbelzapfen p der Vorderachse und auf
                              									die Kuppelstange pq der Drehgestellachsen überträgt.
                              									Auf der anderen Locomotivseite sind die Kurbeln um 90° verdreht.
                           Der Lenkhebel gk ist bei n
                              									am Hauptrahmen gelagert und durch die Lenkstange ko mit
                              									einem Punkte o des Drehgestelles verbunden, der bei
                              									mittlerer Höhenlage in der Mitte der dritten Achse liegt. Die Lager bei i, p, k und o gestatten
                              									den Stangen eine begrenzte Seitenverdrehung.
                           
                           Bei Einstellung des Drehgestelles in Bögen verdreht ok den Lenkhebel um n so, dass der Treibhebel
                              										gi um h als Drehpunkt
                              									mit i um ebenso viel und in derselben Richtung
                              									verschoben wird, wie kg in b, so dass die Kuppelung auch nach Verstellung des Gestelles richtig
                              									bleibt, wenn die Punkte o, p, i und k in einer Ebene und o und
                              										p in einer Senkrechten liegen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 299, S. 77
                              Fig. 19.Drehbares Treibachsengestell von Hagans.
                              
                           Die Ebene des Lenkwerkes wird aber in anderem Abstande von der Locomotivlängsachse
                              									liegen, als die Ebene des Treibwerkes. Daher erleiden die Punkte o und k eine Verschiebung
                              										y, welche kleiner oder grösser ist als diejenige
                              									der Punkte p und i. Man
                              									braucht aber nur gn : nk =
                                 										x : y zu machen, um zu veranlassen, dass, wenn
                              										k um y nach einer
                              									Seite geht, sich g um x
                              									nach der anderen und somit i um x nach der ersten bewegt, ohne dass h bewegt
                              									zu werden brauchte.
                           Eine mit diesem Drehgestell versehene vierfach gekuppelte Tenderlocomotive für die
                              									preussischen Gebirgsbahnen ist in dem Organ für die
                                 										Fortschritte des Eisenbahnwesens, 1894, beschrieben.
                           Für den Entwurf dieser Locomotive waren nachstehende Bedingungen maassgebend:
                           1) Die Leistung soll so bemessen werden, dass die Locomotive auf Bahnen mit
                              									Steigungen bis 1 : 40 und in Gleisbögen bis 200 m Halbmesser Züge von 150 t, 125 t,
                              									80 t Zuglast mit 15, 20 bezieh. 30 km/Std. befördern kann. Dabei darf die
                              									Reibungswerthziffer zwischen Rad und Schiene nur zu 0,15 angenommen werden.
                           2) Der Vorrath an Wasser soll 6½ bis 7 cbm und derjenige an Kohlen 2 bis 2½ cbm
                              									betragen, damit er bei voller Leistung der Locomotive für eine Strecke von 20 km
                              									ausreicht.
                           3) Die Locomotive soll Bögen von 200 m Halbmesser auf der Strecke und von 180 m in
                              									den Bahnhöfen ohne grossen Widerstand durchfahren können.
                           Doch nicht nur die preussischen Staatsbahnen, sondern auch die verschiedensten dem
                              										„Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen“ angehörenden grösseren Bahnen
                              									haben es für nothwendig erachtet, vier- und sogar fünfachsige Locomotiven an Stelle
                              									der bisherigen dreiachsigen in Dienst zu stellen, welche, da durch die Vermehrung
                              									der Achsen der Gesammtradstand ein entsprechend grösserer geworden, um das leichte
                              									und gefahrlose Befahren von Bahnkrümmungen sicherzustellen, ebenfalls mit einer
                              									bezieh. mehreren beweglichen Achsen versehen sind.
                           Während die Mehrzahl derjenigen Verwaltungen, welche vierachsige
                              									Personenzuglocomotiven beschafft haben, die Achsen so anordneten, dass die beiden
                              									hinteren als Treib- bezieh. Kuppelachsen dienen, die beiden vorderen als Laufachsen
                              									gelten und zusammen in einem Drehgestell gelagert sind,
                              									haben einige Verwaltungen je eine Laufachse hinten und vorn angenommen. Von diesen
                              									Verwaltungen hat wieder eine (die der pfälzischen Eisenbahnen) die vordere Laufachse zusammen mit der Kuppelachse in ein Drehgestell gelegt, welche Anordnung der
                              									Locomotivfabrik von Krauss und Co. in München patentirt
                              									wurde (vgl. Zeitschrift des Vereins deutscher
                                 										Ingenieure, 1888 S. 357). Diese Anordnung bedingt eine kugelförmige Gestalt
                              									der Kuppelstangenzapfen.
                           Eine andere Verwaltung (die Main-Neckarbahn) hat nach einem auszüglichen Bericht aus
                              									dem vor einiger Zeit herausgegebenen Ergänzungsband zum Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in Stahl und Eisen vom 1. September 1895, dem auch einige weitere Angaben
                              									entnommen sind, die hintere Laufachse, die Treib- und Kuppelachse fest gelagert und
                              									nur die vordere Laufachse mit in Bögen einstellbaren Lagern nach der Bauart Cockerill versehen.
                           Die württembergische Staatsbahn endlich hat an ihren neueren vierachsigen
                              									Schnellzuglocomotiven bei fester Treib- und Kuppelachse die beiden Laufachsen als
                              									gekuppelte Lenkachsen ausgebildet und durch ein Hebelwerk von der Tenderkuppelung
                              									abhängig gemacht, so dass die Einstellung des Tenders auf die der Laufachsen
                              									einwirkt. Die Beweglichkeit der Laufachsen ist auf die Einstellung in Bögen bis zu
                              									150 m Halbmesser herab eingerichtet. Es sind zu dem Zwecke die Achsbüchsen der
                              									Laufachsen nicht in dem Locomotivrahmen selbst gelagert, sondern in beweglichen, in
                              									der Längsrichtung der Locomotive verschiebbaren Gestellen, von denen je die beiden
                              									auf einer Seite der Locomotive liegenden so durch Hebel
                              									und Zugstangen mit einander verbunden sind, wie es Fig.
                                 										20 in einfachen Linien darstellt. Man erkennt aus den Abbildungen, dass,
                              									wenn die Gestelle und mit diesen die Achsbüchsen auf der einen Locomotivseite sich
                              									einander nähern, dieselben auf der anderen Seite sich von einander entfernen und
                              									deshalb die Achsen selbst eine schiefe Stellung zur Längsachse der Locomotive
                              									annehmen müssen, bei welcher deren Mittellinien nach dem Bahnkrümmungsmittelpunkte
                              									zusammenlaufen. Die Achsbüchsen können sich dabei in den sie umfassenden Gestellen
                              									entsprechend verdrehen. Der Kopf des Dreieckshebels A
                              									steht durch einen Mitnehmer mit der Tenderkuppelung so in Verbindung, dass, wenn
                              									beim Einfahren in eine Krümmung der Tender zur Locomotive sich schief stellt, der
                              									Dreieckshebel A und dadurch die Laufachsen entsprechend
                              									gestellt werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 299, S. 77
                              Fig. 20.Locomotivengestell der württembergischen Staatsbahn.
                              
                           Eine entgegen den technischen Vereinbarungen des Vereins deutscher
                              									Eisenbahnverwaltungen belastete Locomotive (Treib- und Kuppelachse sind mit je 15 t
                              									belastet, während die Belastung einer Achse 14 t nicht überschreiten soll) der früheren
                              									Direction Köln (linksrh.) mit einem sogen. ankerlosen Kessel, Bauart Lentz (1890 277 * 441
                              									bezieh. 1894 291 150 * 221) zeigt Fig. 21.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 299, S. 78
                              Fig. 21.Ankerloser Kessel von Lentz.
                              
                           Der Kessel für 14 at Ueberdruck des Arbeitsdampfes ist hinten mit einer hohlen
                              									gusseisernen Platte abgeschlossen, durch welche zur Verhinderung starker
                              									Wärmeausströmung nach dem Führerstande hin kalte Luft streicht, die dann in
                              									angewärmtem Zustande oberhalb der Feuerthür in den Feuerraum eintritt. In der im
                              									Querschnitt kreisförmigen Feuerbüchse aus Wellrohr befindet sich eine Feuerbrücke
                              									und hinter dieser eine Verbrennungskammer, zu welcher auch noch Luft durch die
                              									Feuerbrücke gelangen kann. Um die Feuerbüchsrohrwand möglichst nachgiebig zu
                              									erhalten, gegenüber den Längenausdehnungen des Wellrohres und der Heizröhren, ist
                              									sie nur aus 13 mm starkem Flusseisen hergestellt (die Amerikaner gehen bis auf 9 mm
                              									herunter); die vordere Rohrwand ist 26 mm stark. Störend ist es, dass beim Anheizen
                              									ohne besondere Verhütungsvorrichtungen grössere Wärmeunterschiede in dem Wasser
                              									unter der Feuerbüchse und demjenigen über derselben entstehen, welche wegen der
                              									ungleichmässigen Ausdehnung der Kesseltheile schädlich wirken, müssen. Deshalb sind
                              									um das Wellrohr Wasserumlaufvorrichtungen aus einseitig angeschlossenen Blechtafeln
                              									angeordnet, welche einen schnellen Ausgleich der Wärme im Wasser bewirken sollen.
                              									Das Wellrohr, sowie die wagerechten Kesselnähte sind geschweisst.
                           An diesem Kessel ist im Februar 1894 das Wellrohr während des Betriebes eingedrückt
                              									worden, und zwar höchst wahrscheinlich deswegen, weil die im Verhältniss zur
                              									Ausdehnung des Aussenkessels stärkere Längenausdehnung der Heizröhren mit daran
                              									anschliessendem Wellrohre ein Zusammenstauchen und Unrundwerden des Wellrohres
                              									veranlasst hat. Es ist zu hoffen, dass es durch geeignete Einrichtungen gelingen
                              									wird, den ankerlosen Kessel so zu gestalten, dass er seiner sonstigen Vorzüge wegen
                              									durchweg an die Stelle des bisher üblichen Locomotivkessels treten kann.
                           Unter den nichtpreussischen neueren starken Güterzuglocomotiven für Hauptbahnen sind
                              									eine vierachsige, vierfach gekuppelte der österreichischen Staatsbahnen und eine
                              									fünfachsige, fünffach gekuppelte der württembergischen Staatsbahn
                              									bemerkenswerth.
                           Das Gewicht dieser beiden Locomotiven beträgt 55 bezieh. 68,5 t.
                           Die österreichische Locomotive kann 500 t Zuggewicht auf Steigungen 1 : 100 mit 15 km
                              									Geschwindigkeit, die württembergische dagegen 680 t befördern. Entsprechend den
                              									verlangten hohen Leistungen sind die Kessel der beiden Locomotiven auch sehr gross
                              									gewählt; sie besitzen 165 bezieh. 197,58 qm Heizfläche gegenüber 125 qm bei der
                              									preussischen Normallocomotive.
                           Der Gesammtradstand der österreichischen Locomotive ist durch Dichtaneinanderrücken
                              									der Achsen verhältnissmässig klein gemacht, dessen ungeachtet ist die Hinterachse
                              									noch um 24 mm seitlich verschiebbar.
                           Die württembergische Locomotive mit 6 m Radstand besitzt zur Erleichterung des
                              									Durchfahrens von Bahnkrümmungen eine ähnliche Einstellvorrichtung der Endachsen, wie
                              									sie bei der württembergischen vierachsigen Schnellzuglocomotive besprochen
                              									wurde.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 299, S. 78
                              Fig. 22.Klose's Locomotive.
                              
                           Da alle Achsen gekuppelt sind und sich bei der Einstellvorrichtung die Endachsen auf
                              									einer Seite der Locomotive einander nähern, auf der anderen Seite sich aber von
                              									einander entfernen, kann die Länge der Kuppelstangen nicht fest sein. Deshalb ist
                              									nach Angabe des Oberbauraths Klose zwischen die
                              									Kuppelstangen ein bewegliches Gelenk eingeschaltet, dessen Stellung von der
                              									Achseneinstellvorrichtung in Abhängigkeit gebracht wurde. Dieselbe Anordnung findet
                              									sich in etwas einfacherer Form auch bei den neueren vierachsigen, dreifach
                              									gekuppelten Tenderlocomotiven der sächsischen Staatsbahn für Kleinbahnen von 750 mm
                              									Spurweite. Diese Locomotiven befördern bei einer Geschwindigkeit von 15 km in der
                              									Stunde auf Steigungen von 1 : 100 eine Last von 125 t und durchfahren Bögen bis zu
                              									einem Halbmesser von 50 m. Wie die Kuppelstangenlänge veränderlich gemacht ist und
                              									wie die Stangen sich je nach der Achsenverstellung richtig auf die erforderliche
                              									Länge einstellen, zeigt Fig. 22.
                           Auf dem Kurbelzapfen 1 der Treibachse ist eine
                              									verstellbare Scheibe 2 2 aufgesteckt, an welche die
                              									Kuppelstangen 3 3 angreifen. Die Scheibe selbst steht
                              									durch zwei Lenkerstangen 4 4 mit einem Dreieck 5 5 5 in Verbindung, welches einerseits durch
                              									Lenkerstangen 6 6 mit dem Hebel 7 verbunden ist. Dieser sitzt
                              									mit dem Hebel 8 8 auf einer Welle fest aufgekeilt und
                              									letzterer ist durch die Hebel 10 und 11, sowie die Zugstangen 9 12
                                 										13 14 mit den Kuppelachsbüchsen und durch Zugstange 15 mit der Einstellvorrichtung der Hinterachse verbunden. Die Stellung der
                              									Kurbelzapfenscheibe 2 2 ist mithin von der
                              									Achsenstellung abhängig.
                           Zu erwähnen ist auch eine vierachsige, vierfach gekuppelte Tenderlocomotive für 1 m
                              									Spurweite der württembergischen Staatsbahn. Diese Locomotive mit ebenfalls
                              									verstellbaren Endachsen u.s.w. ist auf einer Bahn in Benutzung, welche 40 m
                              									kleinsten Bogenhalbmesser und Steigungen bis zu 1 : 25 besitzt; sie befördert hier
                              									50 t Nutzlast. Das Gewicht der Locomotive beträgt 29,880 t, dem eine Zugkraft von
                              									4450 k entspricht.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)