| Titel: | Untersuchungen über den Einfluss der Kälte auf die Festigkeitseigenschaften von Eisen und Stahl. | 
| Fundstelle: | Band 299, Jahrgang 1896, S. 186 | 
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                        Untersuchungen über den Einfluss der Kälte auf
                           								die Festigkeitseigenschaften von Eisen und Stahl.
                        Untersuchungen über den Einfluss der Kälte auf die
                           								Festigkeitseigenschaften von Eisen und Stahl.
                        
                     
                        
                           In der Versuchsanstalt zu Charlottenburg wurden im Auftrage
                              									der kaiserl. Werft zu Wilhelmshafen durch
                              									den Vorsteher der Anstalt, Prof. M. Rudeloff, Versuche angestellt, um
                              									die oft angeregte Frage über den Einfluss der Kälte auf die Festigkeitseigenschaften
                              									von Eisen und Stahl klarzustellen. Die ausführlichen Mittheilungen, die bei
                              									Zimmerwärme, sowie bei – 20° und – 80° in je drei Parallelversuchen angestellt
                              									wurden, finden sich in den Mittheilungen aus den königl.
                                       												technischen Versuchsanstalten, 1895 Heft 5. Als
                              									Probematerial diente:
                           1) Weiches Nieteisen (Schweisseisen), Rundstangen von
                              									25,5 mm Durchmesser;
                           2) Siemens-Martin-Flusseisen, Winkel von 100 + 100 + 14
                              									mm;
                           3) Thomas-Stahl, desgl.;
                           4) gewalztes Schweisseisen, Winkel 100 + 65 + 9 mm;
                           5) Federstahl, Rundstangen von 25 mm
                              									Durchmesser;
                           6) Gusstahl, desgl.;
                           7) geschmiedetes Schweisseisen (Hammereisen), desgl.
                           Die Durchkältung der Proben erfolgte für die Versuche bei – 20° in einer
                              									Kältemischung aus Eis und Salz, bei – 80° in fester Kohlensäure.
                           Die Mittelwerthe für die Ergebnisse sind in nachstehender Tabelle I
                              									zusammengestellt:
                           Die Versuche lassen folgende allgemeine Schlüsse zu:
                           1) Durch die Abkühlung wird sowohl die Spannung an der Streckgrenze als auch die
                              									Bruchspannung gehoben.
                           2) Bei gleichem Wärmegefälle ist im Allgemeinen die Veränderung der Streckgrenze in
                              									Folge Abkühlung bis zu – 20° verhältnissmässig gering gegenüber derjenigen zwischen
                              									– 20° und – 80°, während die Bruchspannung durch geringe Abkühlung (bis – 20°)
                              									verhältnissmässig mehr beeinflusst wird, als durch stärkere Kälte (bis – 80°)
                           3) Die Bruchdehnung nimmt mit steigender Abkühlung ab und nur beim Hammereisen zu.
                              									Dieser Einfluss ist dem Wärmegefälle theils proportional, theils tritt er besonders
                              									stark erst zwischen – 20° und – 80° hervor.
                           Vergleicht man die verschiedenen Eisensorten unter einander, so zeigt sich, dass das
                              									Siemens-Martin-Flusseisen dem Einflüsse der Abkühlung bis auf – 80° beim
                              									Zerreissversuch am meisten unterlag, die Veränderungen betrugen für die Streckgrenze
                              									+ 23,8 Proc. für die Bruchspannung + 11,9 Proc. und für die Dehnung auf 90 mm Länge
                              									etwa – 30 Proc. Dem Siemens-Martin-Flusseisen am nächsten steht der Federstahl (+
                              									14,7, + 9,3 und – 32 Proc.); dann folgen Hammereisen (+ 17,6, + 8,6 und + 9,4
                              									Proc.), Thomas-Stahl (+ 11,5, + 6,5 und – 13,2 Proc.), Gusstahl (+ 6,8, + 6,1 und –
                              									18,7 Proc.), weiches Nieteisen (+ 5,9, + 7,5 und – 14,1 Proc.) und gewalztes
                              									Schweisseisen (+ 3,2, + 7,5 und – 5,2 Proc.).
                           Tabelle I.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 299, S. 186
                              Material; Versuchswärme;
                                 										Beobachtungswerthe; Verhältnisszahlen; Spannungen in k/qmm an der Streckgrenze,
                                 										Bruchgrenze; Bruchdehnung in Proc. gemessen auf je 30 mm vom Bruch, 90 mm; 1)
                                 										Weiches Nieteisen (Schweisseisen), gezeichnet „N“; 2) Gewalzter
                                 										Schiffbaustahl (Siemens-Martin-Flusseisen), gezeichnet „Krupp“; 3)
                                 										Gewalzter Schiffbaustahl (Thomas-Stahl von Rothe Erde), gezeichnet „Rothe
                                    											Erde“; 4) Gewalztes Schweisseisen für Bauconstruction, gezeichnet
                                 											„W“; 5) Federstahl, gezeichnet „FS“; 6) Gusstahl
                                 										(Tiegelstahl), gezeichnet „TS“; 7) Geschmiedetes Schwewseisen
                                 										(Hammereisen), gezeichnet „H“
                              
                           
                           Es ist ferner hervorzuheben, dass das Fliessvermögen unter der Belastung an der
                              									Streckgrenze ⊥ bei allen untersuchten Eisen- und
                              									Stahlsorten mit zunehmender Abkühlung bis 80° gesteigert wurde. Dabei zeigte sich,
                              									dass die Zunahme des Fliessvermögens unter der Belastung an der Streckgrenze durch
                              									die Abkühlung eine ganz allgemeine war und sich auch sogar bei den Materialien 4)
                              									und 5), dem gewalzten Schweisseisen und dem Federstahle, zeigte, welche es bei
                              									Zimmerwärme nicht besassen.
                           Die Ergebnisse der Stauversuche lassen sich bei der angewendeten Art der
                              									Versuchsausführung am besten übersehen, wenn man betrachtet, welche Höhen
                              									Verminderung die Proben nach Aufnahme gleicher Schlagarbeit bei den drei
                              									verschiedenen Wärmegraden erlitten. Dieser Vergleich wurde für die Schlagarbeit von
                              									10, 20, 30 und 40 mk/cc angestellt. Zu diesem Zwecke wurden aus den einzelnen
                              									Beobachtungswerthen durch Auftragung der Schlagarbeiten als Abscissen und der
                              									zugehörigen Höhenverminderung als Ordinaten Schaulinien dargestellt und aus
                              									letzteren die Höhenverminderungen für die vier Schlagarbeiten entnommen. Die hierbei
                              									erhaltenen Werthe sind in Tab. II zusammengestellt unter Anfügung von
                              									Verhältnisszahlen für die Höhenverminderungen bei niederen Wärmegraden zu denen bei
                              									Zimmerwärme.
                           Tabelle II.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 299, S. 187
                              Material; Wärmezustand bei der
                                 										Prüfung; Aus den Schaulinien entnommene Höhenverminderungen nach den
                                 										Schlagarbeiten; Verhältniss der Höhenverminderungen bei niederen Wärmegraden zu
                                 										derjenigen bei Zimmerwärme, letztere gleich 100 gesetzt bei den Schlagarbeiten;
                                 										1) Weiches Nieteisen Schweisseisen) gezeichnet „N“; 2) Gewalzter Schiffbaustahl
                                 										(Siemens-Martin-Flusseisen); 3) Desgl. Thomas-Stahl von „Rothe“; 4) Gewalztes
                                 										Schweisseisen für Bauconstructionen; 5) Federstahl; 6) Gusstahl; 7)
                                 										Geschmiedetes Schweisseisen (Hammereisen)
                              
                           Aus den Mittelwerthen für diese Verhältnisszahlen ergibt sich, dass:
                           1) die untersuchten Materialien ihre Form unter gleichen Schlagarbeiten um so weniger
                              									änderten, je mehr sie abgekühlt waren. Das Material hatte also durch die Kälte beim
                              									Stauchen an Formänderungsfähigkeit eingebüsst, ebenso wie an Dehnung beim
                              									Zerreissversuch, wenngleich dieser Einfluss auf die Stauchfähigkeit mit dem auf die
                              									Dehnbarkeit nicht vollständig parallel verlief.
                           2) Die Grösse der Einbusse an Stauchfähigkeit beläuft sich bei – 20° bis zu 8
                              									Proc. und bei – 80° bis zu 23 Proc.
                           3) Ordnet man die untersuchten Materialien nach steigendem Einfluss der Abkühlung bis
                              									auf – 80°, so erhält man folgende Reihenfolge: Hammereisen, gewalztes Schweisseisen,
                              									Thomas-Stahl, Federstahl, Gusstahl, Siemens-Martin-Eisen und weiches Nieteisen.
                           Die Biegeproben, beurtheilt nach der Biegegrösse
                              										Bg=50\,\frac{\delta}{\sigma}, wenn δ die Dicke oder den Durchmesser der Probe und σ den Krümmungshalbmesser bedeuten, und nach dem Biegungswinkel w ergeben:
                           1) dass die Abkühlung auf – 20° im Allgemeinen nur einen geringen Einfluss auf die
                              									Biegsamkeit der untersuchten Eisensorten ausübte;
                           2) die Abkühlung auf – 80° blieb bei dem weichen Nieteisen und bei dem gewalzten
                              									Schweisseisen ebenfalls ohne erhebliche Nachtheile auf die Biegsamkeit der
                              									Probestreifen, bei allen übrigen Materialien litt die Biegsamkeit jedoch durch die
                              									tiefere Kälte.
                           3) Am grössten war der Einfluss beim Gusstahl und beim Federstahl, dann folgen
                              									Siemens-Martin-Flusseisen und Thomas-Stahl mit etwa gleichem Einfluss, und am
                              									widerstandsfähigsten erwiesen sich die drei Sorten Schweisseisen. Zu beachten ist
                              									hierbei indessen, dass das Siemens-Martin-Eisen und der Thomas-Stahl trotz des
                              									bemerkbaren Einflusses der Kälte auch bei – 80° noch durchweg eine grössere
                              									Biegsamkeit zeigten als das gewalzte und das geschmiedete Schweisseisen, und auch
                              									von dem weichen Nieteisen (Schweisseisen) wurden sie an Biegsamkeit nicht
                              									übertroffen. (Durch Stahl und Eisen vom 1. Januar
                              									1896.)