| Titel: | Neuere Locomotiven. | 
| Fundstelle: | Band 301, Jahrgang 1896, S. 277 | 
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                        Neuere Locomotiven.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 253 d.
                           								Bd.)
                        Mit Abbildungen.
                        Neuere Locomotiven.
                        
                     
                        
                           Zur Zeit besitzen die meisten englischen Eisenbahngesellschaften zwei Typen von
                              									Schnellzuglocomotiven, die eine mit ungekuppelten, die andere mit vier gekuppelten
                              									Rädern. Bei beiden Typen zeigen Kessel und Cylinder nahezu dieselben Abmessungen,
                              									doch haben die Locomotiven mit nur einer Treibachse Räder von etwa 100 bis 300 mm
                              									grösserem Durchmesser als erstere. Das Gleiche gilt von den amerikanischen
                              									Locomotiven der Philadelphia- and Reading-Eisenbahn.
                           Die nachstehende Tabelle gibt eine vergleichende Uebersicht über die
                              									Hauptverhältnisse der Locomotiven mit freien und gekuppelten Rädern.
                           Hiernach haben nur die beiden Locomotivtypen der Great-Eastern-Eisenbahn Treibräder
                              									von gleichem Durchmesser. Beide Locomotivgattungen entwickeln im Uebrigen dieselbe
                              									Leistung, nur befördern die ungekuppelten Locomotiven die Züge etwas schneller und
                              									weniger schwerfällig als diejenigen mit gekuppelten Rädern. In einzelnen Fällen
                              									erhalten die ungekuppelten Locomotiven grössere Cylinderabmessungen als letztere und
                              									sind dann selbstverständlich auch im Stande, grössere Leistungen zu entwickeln;
                              									hierhin gehören die in der Tabelle angegebenen Locomotiven der
                              									Great-Northern-Eisenbahn. Im Allgemeinen gibt man jedoch mit Rücksicht auf das
                              									geringere Adhäsionsgewicht den ungekuppelten Locomotiven ein kleineres
                              									Cylindervolumen als denjenigen mit gekuppelten Rädern und verkürzt zu dem Zwecke in
                              									der Regel den Kolbenhub. Die ungekuppelten Locomotiven der Great-Northern-Eisenbahn
                              									haben nichtsdestoweniger Cylinder von grösserem Volumen als diejenigen mit vier
                              									gekuppelten Rädern.
                           Bei gleichem Adhäsionsgewicht erhalten die Cylinder bekanntlich ein um so grösseres
                              									Volumen, als der Durchmesser der Treibräder anwächst, doch lässt sich bei
                              									aussenliegenden Cylindern der Durchmesser der Treibräder unbedenklich, ohne
                              									eine Vergrösserung der Cylindervolumina vornehmen zu müssen, erhöhen; so haben z.B.
                              									die Treibräder der ungekuppelten Locomotiven der Great-Northern-Eisenbahn
                              									Durchmesser von je 2,48 m. Da, wie bereits am Eingange dieses Berichtes
                              									hervorgehoben, die Lage der Aussencylinder auf die Wirkung der von der Trägheit der
                              									bewegten Massen herrührenden störenden Bewegungen von nachtheiligem Einfluss ist,
                              									hat man sehr häufig die Durchmesser der Räder behufs Verminderung ihrer minutlichen
                              									Umdrehungen vergrössert. Um bei Maschinen mit Innencylindern den Rädern einen
                              									Durchmesser von 2,35 m geben zu können, genügt es, die Achse derselben 2,36 bis 2,40
                              									m hoch zu legen; dies bietet insofern kein Hinderniss, als die Locomotiven auch in
                              									Rücksicht auf andere Verhältnisse heute viel höher gebaut werden als früher.
                           Was die Belastung der Treibachse ungekuppelter Locomotiven betrifft, so variirt
                              									dieselbe nach der Tabelle zwischen 16,2 und 18,5 t in England und steigt bis auf
                              									21,6 t in Amerika. Eine Belastung von 16 bis 17 t erscheint bei dem kräftigen
                              									Oberbau der englischen Eisenbahnen noch zulässig, namentlich wenn man
                              									Lastvertheilungshebel anordnet, doch kann die enorme Belastung der Treibachse der
                              									amerikanischen Locomotive als nachahmenswerth nicht bezeichnet werden. Die Zugkraft
                              									einer ungekuppelten Maschine von 460 mm Cylinderdurchmesser für 610 mm Kolbenhub,
                              									einer Spannung des Kesseldampfes von 11 at und Treibrädern von 2,300 m Durchmesser
                              									würde ungefähr 3800 k betragen; diesem entspricht bei einer Belastung der Treibachse
                              									von 17 t ein Adhäsionscoëfficient von \frac{1}{4,5}; um ein
                              									Gleiten der Treibräder, namentlich beim Anfahren, zu verhüten, genügt die Benutzung
                              									eines Sandstreuers vollständig.
                           Die ungekuppelten Locomotiven der vorstehenden Tabelle dienen zum Befördern sehr
                              									schneller Züge auf langen Strecken mit wenigen Anhaltepunkten, deren Traingewichte
                              									nicht unter 180 oder 200 t betragen, während die Locomotiven mit vier gekuppelten
                              									Rädern schwerere Züge auf Strecken mit häufigeren Anhaltepunkten und oft bedeutenden
                              									Steigungen befördern.
                           Wenn die französischen Crampton-Maschinen an den Enden zu hoch belastet waren, so
                              									sind dies die englischen ungekuppelten Locomotiven in der Mitte, während sie an
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 301, S. 277
                              Great-Western-Eisenbahn;
                                 										Great-Northern-Eisenbahn; Great-Eastern-Eisenbahn;
                                 										North-Eastern-Eisenbahn;Midland-Eisenbahn Caledonian-Eisenbahn; Philadelphia-
                                 										and Reading-Eisenbahn;  Freie Räder; Vier gekuppelte Räder; Rostfläche;
                                 										Heizfläche; Kesselspannung; Durchmesser der Cylinder; Kolbenhub; Durchmesser der
                                 										Treibrader; Gesammter Radstand; Adhäsionsgewicht (betriebsfähig);
                                 										Dienstgewicht
                              
                           
                           den Enden nicht genügend belastet sind; hierdurch entstehen namentlich bei
                              									grossen Geschwindigkeiten schaukelnde Bewegungen, die den Gang der Maschine
                              									ungünstig beeinflussen. Dieselben lassen sich vermeiden, wenn man die Tragfedern der
                              									Treibachse und der hinteren Laufachse durch Längsbalanciers mit einander kuppelt; da
                              									die Locomotive vorn gewöhnlich auf einem zweiachsigen Drehgestell ruht, ist sie
                              									somit in drei Punkten gestützt und es können dann schaukelnde Bewegungen nicht mehr
                              									auftreten.
                           In dieser Weise ist die Maschine der Philadelphia- und Reading-Eisenbahn ausgeführt
                              									und es ist zu verwundern, dass von dieser Einrichtung kein allgemeinerer Gebrauch
                              									gemacht wird.
                           Es dürfte von Interesse sein, obige Angaben durch einige Versuchszahlen zu
                              									vervollständigen, wobei zu bemerken ist, dass in allen Fällen die angeführten
                              									Traingewichte das Gewicht von Maschine und Tender nicht mit einschliessen.
                           Die ungekuppelten Locomotiven der Great-Northern-Eisenbahn mit Treibrädern von 2,48 m
                              									Durchmesser befördern Trains, deren Gewichte häufig 150 bis 175 t betragen, mit
                              									durchschnittlichen Geschwindigkeiten von 85 km in der Stunde auf Strecken mit
                              									zuweilen sehr langen Steigungen vor 1 : 200 bis 1 : 170. Der 9 Uhr 12 Minuten
                              									Vormittags zwischen Petersborough und London verkehrende Schnellzug durchfährt die
                              									117 km lange Strecke mit 130 bis 140 t Traingewicht in 1 Stunde und 20 Minuten (etwa
                              									88 km in der Stunde). Der am Abend von Leeds nach London fahrende Schnellzug, dessen
                              									Traingewicht incl. Speisewagen mindestens 155 t beträgt, durchläuft die 299 km lange
                              									Strecke mit einer längeren Steigung von 1 : 100 und mehreren kürzeren Steigungen von
                              									1 : 140 in 3 Stunden 50 Minuten; er hält auf fünf Zwischenstationen mit einem
                              									Zeitverluste von 14 Minuten. Dieser Zug wird stets durch eine ungekuppelte
                              									Locomotive befördert.
                           Auf der Midland-Eisenbahn werden die Schnellzüge zwischen Leicester und London mit
                              									einem Traingewicht von 130 bis 160 t ebenfalls mittels ungekuppelter Locomotiven von
                              									2,32 m Treibraddurchmesser befördert. Die Fahrt soll auf der 160 km langen Strecke
                              									planmässig in 1 Stunde und 52 Minuten zurückgelegt werden; für die Rückfahrt sind
                              									gewöhnlich nur 1 Stunde 47 Minuten erforderlich. Die Strecke besitzt eine 25 km
                              									lange Steigung von 1 : 200. Mit 170 t Traingewicht durchfahren dieselben Maschinen
                              									die 83 km lange Strecke zwischen Kettering und Nottingham in 58 Minuten.
                           Auf der Great-Eastern-Eisenbahn befördern ungekuppelte Locomotiven mit einer
                              									geringeren Treibachsbelastung als die vorgenannten Maschinen (16 t) den 180 bis 200
                              									t schweren Train mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 76 km. Die Linie
                              									besitzt Steigungen von 1 : 85 auf einer 1200 m langen Strecke, ausserdem an
                              									verschiedenen Stellen Steigungen von 1 : 200 bis 1 : 125. Angestellte
                              									Versuchsfahrten auf dieser Linie ergaben, dass auf den Steigungen die mit
                              									Dampfsandstreuern ausgerüsteten ungekuppelten Locomotiven dieselben Leistungen zu
                              									entwickeln im Stande sind, wie die gleichen Locomotiven mit vier gekuppelten
                              									Rädern.
                           Auf der grossen, sehr günstig gelegenen Strecke der Great-Western-Eisenbahn endlich
                              									befördern ungekuppelte Locomotiven mit 2,33 Treibraddurchmesser Schnellzüge von 150
                              									bis 200 t, zuweilen auch von 250 t Traingewicht.
                           Die ungekuppelte Locomotive der Philadelphia- and Reading-Eisenbahn
                              									schliesslich, deren Treibräder mit nahezu 22 t auf die Schienen drücken, befördert
                              									einen aus 5 bis 7 grossen Pullman-Wagen bestehenden Schnellzug im Gewichte von 210
                              									bis 290 t mit einer mittleren Geschwindigkeit von 77 km in der Stunde.
                           Aus Vorstehendem geht zur Genüge hervor, dass die ungekuppelte Locomotive, sofern die
                              									Belastung der Treibachse den jeweiligen Oberbauverhältnissen angepasst ist, auf
                              									günstig gelegenen Strecken weit schwerere Züge, als man bisher angenommen hat,
                              									event. mit Verwendung von Dampfsandstreuern, zu befördern im Stande ist.
                           Ueber die Höherlegung des Kessels bezieh. des Schwerpunktes von Locomotiven im
                              									Allgemeinen und über die Vortheile, welche dadurch namentlich in Bezug auf
                              									Leistungsfähigkeit der Maschinen bezieh. auf Schonung des Oberbaues erreicht werden,
                              									berichtet Le Génie civil vom 23. November 1895.
                           Das Vorurtheil, welches lange Zeit die Constructeure beherrschte, den Schwerpunkt der
                              									Locomotiven, um einen möglichst ruhigen Gang derselben zu erhalten, so tief als
                              									möglich zu legen, hat nicht wenig dazu beigetragen, die Weiterentwickelung dieser
                              									Maschinen zu verzögern.
                           Der cylindrische, zwischen den Treibrädern eingeschlossene Kessel konnte in Folge
                              									dessen nicht erweitert werden, die Feuerbüchse, wenn sie bei einer Verlängerung nach
                              									hinten über eine Treib- oder Kuppelachse zu liegen kam, keine genügende Tiefe
                              									erhalten, wodurch die bekannten Uebelstände, als unvollkommene Verbrennung,
                              									übermässige Erhitzung der Rohrwände, Lecken der Siederohre u.s.w. hervorgerufen
                              									wurden.
                           Es waren zuerst die Amerikaner, welche zur Beseitigung der genannten Uebelstände,
                              									sowie um die Leistung des Kessels und damit diejenige der Locomotive zu erhöhen, den
                              									ersteren über den Rädern anordneten und in dieser
                              									Richtung immer weiter fortgeschritten sind.
                           Die bedeutenden Höhen der Locomotiven der New York-Central-Eisenbahn mit vier
                              									gekuppelten Rädern, welche einen der schnellsten Züge der Welt, den Empire State
                              									Express, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 82 km in der Stunde von
                              									New York nach Buffalo auf Schienen befördern, wie sie auch in Deutschland in der
                              									Regel Verwendung finden, beweisen, dass die Grenzen der Stabilität bisher noch nicht
                              									erreicht waren.
                           In England drängten die immer erheblicheren Abmessungen der Räder – bis zu 2,35 m
                              									Durchmesser bei den ungekuppelten Locomotiven mit Innencylindern – gebieterisch auf
                              									eine Höherlegung der Locomotivkessel, um damit den nöthigen Platz für die Kurbeln
                              									der Treibachse, sowie die Köpfe der Pleuelstangen und bequeme Zugänglichkeit zu
                              									diesen Theilen zu erhalten.
                           Bei den amerikanischen Locomotiven liegen dagegen die Cylinder stets ausserhalb der
                              									Rahmen, und die Treibräder sind von erheblich kleinerem Durchmesser als bei den
                              									englischen Locomotiven.
                           Bei den französischen Crampton-Maschinen lag die Kesselmitte 1,605 m über
                              									Schienenoberkante; bei den Schnellzuglocomotiven der Paris-Orléans-Eisenbahn mit
                              									Aussencylindern betrug sie 1,96, bei den Maschinen, Type Outrance, der französischen
                              									Nordbahn 2,12 m. Später sind diese Zahlen auf einigen Strecken noch überschritten
                              									worden und bei der Mehrzahl der neueren Schnellzugmaschinen liegen die Mitten der
                              									Kessel auf einer Höhe von 2,20 bis 2,28 m über Schienenoberkante. Man beabsichtigt
                              									sogar beim Neubau von Schnellzuglocomotiven bis auf eine Höhe von 2,45 m zu
                              									gehen.
                           In England liegen die Kesselmitten aller seit etwa 12 Jahren in Dienst gestellten
                              									Schnellzuglocomotiven mindestens 2,27 m hoch; die ungekuppelten Locomotiven
                              									derselben Gattung mit Innencylindern haben dagegen Kessel, deren Mitten am
                              									häufigsten eine Höhe von 2,33 bis 2,40 m über Schienenoberkante erreichen. Eine
                              									Ausnahme machen die Schnellzuglocomotiven der North-Eastern-Eisenbahn, deren Kessel
                              									2,41 m hoch liegen. In Belgien erreichen die Kessel der zur Zeit in Bau begriffenen
                              									Locomotiven eine Höhe von 2,37 m, in Oesterreich eine solche von 2,5 m. In Amerika
                              									liegen die Kesselmitten der neueren Maschinen mindestens 2,50 m über
                              									Schienenoberkante und erreichen sehr häufig eine Höhe von 2,60 bis 2,65 m, zuweilen
                              									bis 2,73 m.
                           Die Kessel der bereits erwähnten Schnellzuglocomotiven der New York-Central-Eisenbahn
                              									liegen 2,70 m über Schienenoberkante.
                           Fig. 6 veranschaulicht schematisch, auf gleichen
                              									Maasstab gebracht, die Schnellzuglocomotive einer hinlänglich bekannten
                              									französischen und die entsprechende Maschine einer grossen amerikanischen
                              									Eisenbahngesellschaft. Die Abbildung lässt besser als Zahlen erkennen, wie weit die
                              									Amerikaner bezüglich der Arbeitsleistung und der Höherlegung des Locomotivkessels
                              									vorangeschritten sind.
                           Fig. 7 lässt die Vorderansichten dreier klassischer
                              									Typen von Locomotiven erkennen: einer französischen alten Crampton-Maschine, einer
                              									Schnellzugmaschine der englischen Midland-, und einer amerikanischen Locomotive der
                              									New York-Central-Eisenbahn.
                           Die englische Maschine hat bereits einen ziemlich hoch liegenden Kessel, doch da ihre
                              									Treibräder von grossem Durchmesser (2,36 m) sind, ist der Durchmesser des
                              									cylindrischen Kessels immerhin noch kleiner, als die Entfernung zwischen den
                              									Bandagen beträgt. Bei der amerikanischen Locomotive dagegen liegt der Kessel über
                              									den Treibrädern, deren Durchmesser je 2,16 m beträgt. Wenn diese Maschine auf
                              									deutschen Strecken Dienst verrichten sollte, müssten Schornstein und auch der Dom
                              									verkürzt werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 301, S. 279
                              Fig. 6.Schnellzuglocomotive.
                              
                           Die Höherlegung des Locomotivkessels, womit die zukünftige Entwickelung der
                              									Locomotive innig verknüpft ist, zieht verschiedene Folgerungen nach sich, deren
                              									Wichtigkeit nicht unbekannt bleiben dürfte. Wir zergliedern die in Betracht
                              									kommenden Fragen nach zwei Richtungen hin, nämlich insofern sie sich auf Vortheile,
                              									welche aus der Höherlegung des Schwerpunktes von Locomotiven allein, und auf solche,
                              									welche aus der Höherlegung des Kessels für sich resultiren.
                           In seinem Werke über Locomotiven vom Jahre 1877 sagt Reynolds bereits, dass von allen zur Zeit im Dienst befindlichen Maschinen
                              									mit grosser Geschwindigkeit die am höchsten gelegenen am ruhigsten laufen. Dieser
                              									Ausspruch ist gewiss kein Axiom, aber er entspricht den Thatsachen. Wenn die
                              									Spurkränze der Räder einer Locomotive gegen die Seite eines Schienenkopfes zu liegen
                              									kommen, führt die betreffende Schiene unter dem Einflüsse der Centrifugalkraft eine
                              									krummlinige oder schlingernde Bewegung aus und erhält ausserdem einen Stoss, dessen
                              									Heftigkeit von der Höhenlage des Schwerpunktes der Locomotive über den Schienen
                              									abhängt. Angenommen, der Schwerpunkt der Locomotive läge in gleicher Höhe mit der
                              									Schiene, so würde die aus der Centrifugalwirkung resultirende Kraft vollständig auf
                              									die letztere übertragen; ist dagegen die Entfernung des Schwerpunktes über den
                              									Schienen eine unendlich grosse, so besitzt die Maschine nicht die geringste
                              									Stabilität und wird unter Wirkung einer unendlich kleinen Centrifugalkraft, ohne
                              									empfindliche Abnutzungen hervorzubringen, um die äussere Schiene herumpendeln. Die
                              									Schwerpunkte sämmtlicher Locomotiven liegen zwischen diesen beiden äussersten
                              									Grenzen, doch ist aus Obigem zu entnehmen, dass je höher eine Maschine liegt, um so
                              									weniger Abnutzungen bezieh. baldige Zerstörungen des Oberbaues zu befürchten
                              									sind.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 301, S. 279
                              Fig. 7.Klassische Typen von Locomotiven.
                              
                           Für den ruhigen Gang der Maschine genügt jedenfalls eine nur geringe Stabilität, doch
                              									muss dieselbe noch gross genug sein, um beim Durchlaufen von Curven mit kleinem
                              									Halbmesser namentlich bei grossen Geschwindigkeiten jede Gefahr des Umkippens der
                              									Locomotive auszuschliessen. Diese Grenze ist nach den gemachten Erfahrungen bei den
                              									sehr hoch liegenden amerikanischen Locomotiven noch nicht überschritten.
                           Da die Verbindungslinie zwischen Schienenachse und dem Schwerpunkt der Maschine mit
                              									der Wagerechten einen um so spitzeren Winkel bildet, je niedriger dieser Schwerpunkt
                              									liegt, wird die Maschine mittels der von den schlingernden Bewegungen oder der
                              									Centrifugalkraft herrührenden Transversalkräfte in um so schrägerer Richtung auf die
                              									Schiene einwirken, je höher ihr Schwerpunkt liegt. Oder auch, was besonders
                              									hervorzuheben, je höher der Schwerpunkt über der auf Federn gestützten Locomotive
                              									liegt und je grosser der von den Aussenrädern aufgenommene Theilbetrag ihres
                              									Dienstgewichtes ist, um so geringer wird einerseits wegen Mehrbelastung der
                              									genannten Räder die Gefahr einer Entgleisung, andererseits in Folge grösserer
                              									Belastung der äusseren Schiene die Gefahr einer Spurerweiterung ausfallen. In Folge
                              									Spielens der Federn übertragen sich die in Rede stehenden Kräfte fortschreitend und ohne Stoss auf
                              									die Schienen, während bei einer Maschine mit sehr grosser Stabilität die aus der
                              									Centrifugalwirkung resultirende Kraft heftig und plötzlich auftritt. Die alten
                              									Crampton-Maschinen nutzten die Schienenköpfe ganz erheblich ab, weniger in Folge
                              									ihres hoch gelegenen, festen Stützpunktes, als in Folge ihrer bedeutenden
                              									Stabilität.
                           Die Locomotive lässt sich in Bezug auf das Vorhergesagte sehr wohl mit einem
                              									Schiffsfahrzeug vergleichen, von dem bekannt, dass je grösser seine Stabilität, um
                              									so heftiger und unangenehmer die in kurzen Intervallen auf einander folgenden
                              									rollenden Bewegungen ausfallen, während bei einem Schiffe mit nur geringer
                              									Stabilität im Gegentheil lange und sehr sanfte Wellenbewegungen auftreten. Im
                              									Uebrigen fährt bekanntlich auch ein Lastwagen auf einem Strassenpflaster viel
                              									ruhiger und sanfter, wenn er recht hoch mit Gepäckstücken beladen ist.
                           Gleichwohl bleibt, wenn man auf dem betrachteten Wege zu weit geht, da das
                              									Durchlaufen von Curven mit grosser Geschwindigkeit eine beträchtliche Entlastung der
                              									Innenräder der Locomotive nach sich zieht, die Gefahr bestehen, dass in Folge einer
                              									heftigen Reaction, durch welche diese Räder nach aussen gedrängt werden,
                              									Entgleisungen stattfinden können. Es darf nämlich nie vergessen werden, dass, wenn
                              									der Schwerpunkt einer Locomotive sehr hoch liegt, die Belastung der äusseren Räder
                              									unter Wirkung der Centrifugalkraft bedeutend anwachsen kann; dies ist besonders dann
                              									der Fall, wenn die Achsbelastungen im Zustande des Gleichgewichtes ohnehin bereits
                              									nahe derjenigen Grenze liegen, welche für ein gewisses Schienenprofil und einen
                              									diesem angepassten Oberbau als höchst zulässig festgesetzt ist. Immerhin kann
                              									behauptet werden, dass genannte Uebelstände durch die in Folge dessen geringeren
                              									Kräfte, welche auf Zerstörung des Oberbaues hinwirken, reichlich aufgewogen
                              									werden.
                           Was nun die Vortheile anbelangt, welche sich aus der Höherlegung des Kessels an und
                              									für sich ergeben, so ist hierüber in Kürze Folgendes anzuführen.
                           Güterzuglocomotiven mit Rädern von kleinem Durchmesser können, was zur Erlangung
                              									grosser Heizflächen und eines genügend grossen Wasserinhaltes nur wünschenswerth
                              									ist, Kessel mit verhältnissmässig bedeutenden Abmessungen erhalten; wenn die
                              									Feuerbüchse dann über die Hinterachse zu liegen kommt, bleibt noch eine genügende
                              									Tiefe, ohne dass es nothwendig erscheint, den gesammten Kessel höher zu legen. Ganz
                              									anders ist es dagegen bei Schnellzuglocomotiven mit Rädern von oft ganz bedeutendem
                              									Durchmesser. Legt man hier den Kessel nicht ganz beträchtlich hoch, so ist die
                              									Grosse seines Durchmessers durch die Entfernung zwischen den Bandagen gegeben;
                              									überdies, wenn die hintere Achse gekuppelt und unter der Feuerbüchse liegt, lässt
                              									sich die letztere auch nur sehr niedrig ausführen.
                           Bei Treibrädern von 2 m Durchmesser z.B. kann, wenn die Kesselachse in einer Höhe von
                              									2,10 m über den Schienen liegt, der äussere Durchmesser des cylindrischen Kessels
                              									nicht grösser als 1,30 m gewählt werden, wobei dann nur noch der eben nothwendige
                              									Spielraum zwischen Spurkränzen und Kesselbekleidung verbleibt.
                           Legt man die Kesselachse auf 2,50 m Höhe, so kann man dem Kessel einen äusseren
                              									Durchmesser von 1,50 m und bei 2,60 m Höhe einen solchen von 1,65 m geben, was
                              									selbst für die stärksten Schnellzugmaschinen genügen dürfte.
                           Fig. 8 lässt die hintere Ansicht einer amerikanischen
                              									Locomotive mit Treibrädern von 2,16 m Durchmesser erkennen, deren Kessel auf einer
                              									solchen Höhe liegt, dass sein Durchmesser grösser als das Spurmaass gewählt werden
                              									konnte. Die Erhöhung des Kessels bietet im Uebrigen auch Vortheile rein praktischer
                              									Natur, als welche namentlich bequeme Zugänglichkeit zu den Einzeltheilen der
                              									Maschine, leichte Wartung, Unterhaltung und Schmierung derselben zu nennen sind.
                           Der Einfluss einer Höherlegung des Kessels in Bezug auf die Schwerpunktslage der
                              									Locomotive lässt sich aus Nachstehendem erkennen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 301, S. 280
                              Fig. 8.Hintere Ansicht einer amerikan. Locomotive.
                              
                           Angenommen, eine Schnellzuglocomotive mit vier gekuppelten Rädern und Drehgestell,
                              									welche im betriebsfähigen Zustande Fig. 8. 48 t
                              									wiegt, habe einen Kessel von 1,24 m und Räder von 2 m Durchmesser. Der Schwerpunkt
                              									der zum Wagen und dem Bewegungsmechanismus gehörigen Einzeltheile im Gewichte von 36
                              									t liege auf einer Höhe von etwa 0,98 m über Schienenoberkante, derjenige des
                              									gefüllten Kessels von 12 t Gewicht (in der Regel ¼ des Dienstgewichtes) 0,30 m unter
                              									seiner Achse. Wenn letztere nun 2,10 m über den Schienen liegt, so ergibt sich der
                              									Schwerpunkt der gesammten Locomotive 1,14 m über Schienenoberkante. Würde man die
                              									Kesselachse auf 2,50 m Höhe bringen, so erreicht der Schwerpunkt der Locomotive nur
                              									eine Höhe von 1,24 m, oder mit anderen Worten: bei einer Höherlegung des Kessels um
                              									0,40 m steigt der Schwerpunkt der Locomotive durchschnittlich nur um den vierten
                              									Theil dieses Betrages, d.h. um 0,1 m. Eine Höhenlage des Schwerpunktes von 1,24 m
                              									über Schienenoberkante besitzen im Uebrigen beladene Güterwagen und gewöhnliche
                              									Personenwagen aller Klassen, insonderheit Luxuswagen mindestens. Es laufen auf den
                              									Linien grosser Eisenbahnverwaltungen Wagen mit Schwerpunktsabständen von 1,50 m und
                              									mehr über Schienenoberkante.
                           Fassen wir das Vorhergesagte nochmals zusammen, so lassen sich nachstehende
                              									Schlussfolgerungen ziehen:
                           1) Innerhalb gewisser Grenzen, welche weder in Europa noch in Amerika bisher
                              									erreicht, ist eine Höherlegung des Schwerpunktes der Locomotiven insofern von
                              									günstigem Einfluss, als damit verminderte Abnutzungen des Oberbaues, sowie der den
                              									Wagen der Locomotive bildenden Einzeltheile, als Räder, Achsen, Rahmen u. dgl., zu
                              									erwarten sind. Die Maschine läuft ruhiger, die Tragfedern können unter dem Einflüsse
                              									der seitlichen Reactionen und beim Durchlaufen von Curven besser spielen und Stösse
                              									aufnehmen. Da beim Durchfahren von Curven mit grossen Geschwindigkeiten eine
                              									theilweise Entlastung der inneren Schiene stattfindet, ist auch die Gefahr einer
                              									Entgleisung vermindert.
                           2) Die Höherlegung des Kessels gestattet, diesem einen grösseren Durchmesser zu
                              									geben, als die Entfernung zwischen den Bandagen beträgt, womit die Leistung der
                              									Maschinen erheblich anwächst.
                           3) Da das Kesselgewicht ungefähr den vierten Theil des gesammten Gewichtes der
                              									Locomotive ausmacht, wird bei einer Höherlegung des Kessels um einen gewissen Betrag
                              									der Schwerpunkt der Locomotive nur um ungefähr den vierten Theil dieses Betrages
                              									höher zu liegen kommen.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)