| Titel: | Allgemeines.Universität und technische Hochschule. | 
| Autor: | F. Klein | 
| Fundstelle: | Band 310, Jahrgang 1898, S. 17 | 
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                        Allgemeines.Universität und technische
                           									Hochschule.Es möge hier auf das im
                                 										Buche von A. Riedler
                                 										„Unsere Hochschulen und die Anforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts“
                                 										(1898 308 270) behandelte Kapitel „Technische
                                    											Hochschule und Universität“ und auf die diesbezüglichen Verhandlungen im
                                 										Schosse des Vereines deutscher Ingenieure verwiesen sein. D.
                                 								R.
                        
                           Vortrag von Prof. Dr. F.
                                    									Klein-Göttingen in der 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu
                              								Düsseldorf am 19. September 1898.
                           
                        Universität und technische Hochschule.
                        
                     
                        
                           Nach einer interessanten Uebersicht über die bisherige Entwickelung, welche
                              									Universität und technische Hochschule genommen haben, führt Redner, der nicht als
                              									Vertreter der Universitäten, auch nicht als Anwalt der technischen Hochschulen,
                              									sondern als ein Mann spricht, der nach beiden Seiten Verbindungen hat und sich das
                              									Recht wahren möchte, den Blick auf das Ganze zu richten, Folgendes aus:
                           Die Technik gebraucht zweifellos eine grosse Zahl von praktisch erzogenen Ingenieuren
                              									ohne weitgehende wissenschaftliche Ausbildung. Aber die Candidaten für derartige
                              									Stellungen drängen sich doch gern auf die technische Hochschule, weil es vornehmer
                              									aussieht und nach einer ziemlich verbreiteten Meinung die spätere Carrière
                              									erleichtert. Ihnen kommt das Verhalten zahlreicher Kreise entgegen, die an einer
                              									unterschiedslosen Vermehrung der Frequenz der technischen Hochschule interessirt
                              									sind. Diese Momente wirken dahin oder drohen dahin zu wirken, den
                              									Hochschulunterricht unter Verkennung seiner eigentlichen Aufgaben auf ein niederes
                              									Niveau herab zudrücken. Hier hat eine entschiedene Reform einzusetzen, und es
                              									besteht auch alle Hoffnung, dass es geschieht. Dieselbe darf sich aber nicht darauf
                              									beschränken, dass die Hochschule verschärfte Aufnahmebedingungen stellt, vielmehr
                              									ist die Forderung hinzuzufügen, dass der Staat der Entwickelungmittlerer technischer
                              									Fachschulen (also der Technica, wie sie wohl genannt werden) noch viel mehr
                              									Aufmerksamkeit schenkt als bisher. Es handelt sich hier, wie wohl ohne besondere
                              									Ausführung ersichtlich ist, nicht nur um eine Lebensfrage der Hochschulen als
                              									solcher, sondern ebenso sehr um die gesunde Entwickelung der Industrie selbst.
                           Unter denselben Gesichtspunkten stellen wir dann noch die zweite, sozusagen die
                              									complementäre Forderung, dass nämlich aus dem immer noch grossen Kreise derjenigen,
                              									welche die technische Hochschule mit Fug und Recht besuchen, eine kleinere Zahl
                              									wesentlich weiter zu fördern ist als die Gesammtheit, damit sie Führer auf dem
                              									Gebiete wissenschaftlichen Fortschritts werden. Es ist das sozusagen die
                              									Wiederaufnahme des Pariser Ideals in einer unseren heimischen Verhältnissen
                              									angepassten Form. Beispielsweise wird hier eine weit entwickelte Mathematik am
                              									Platze sein, die sich allerdings nur nach Seiten der Anwendungen, nicht in
                              									abstracter Richtung, erstrecken soll. Wie nothwendig diese ganze Forderung ist, mag
                              									daraus hervorgehen, dass dieselbe, soviel zu sehen, von allen in Betracht kommenden
                              									Ingenieurkreisen erhoben wird. Aber es stellt sich ihr allerdings eine doppelte
                              									Schwierigkeit entgegen. Zunächst müsste eine Reihe neuer Lehrstellen geschaffen und
                              									mit geeigneten Kräften besetzt werden. Denn die jetzt vorhandenen Docenten sind
                              									durch die ausserordentliche quantitative Entwickelung der Hochschule so überlastet,
                              									dass ihnen für einen weitgehenden Specialunterricht thatsächlich keine Zeit bleibt.
                              									Ferner aber wird es möglicher Weise schwer halten, bei den Zuhörern gegenüber dem
                              									mächtig entwickelten Streben ihrer Umgebung nach praktischer Bethätigung für die
                              									stillere und zunächst entsagungsvollere Thätigkeit eingehender wissenschaftlicher
                              									Untersuchungen viel Raum zu gewinnen. Es ist daher die Frage aufgeworfen worden, ob
                              									man diesen Theil der Ingenieurbildung nicht lieber den Universitäten überweisen
                              									solle. Es ist dies dann so verstanden worden, als ob die Universitäten eine
                              									Entwickelung der technischen Hochschulen in dem besagten Sinne mit Missgunst
                              									aufnehmen würden, als wenn sie jede Art der höchsten wissenschaftlichen Ausbildung
                              									sich als Monopol sichern wollten. Da mein Name mit diesen Erörterungen einmal
                              									verbunden ist, so will ich doch hier in unzweideutiger Weise die Erklärung
                              									wiederholen, die ich schon öfters bei anderen Gelegenheiten abgab, dass ich auch bei
                              									dieser Frage für die Entwickelung der technischen Hochschule eintrete. Unbeschadet
                              									aller Verbindungen, die man zwischen Universität und technischer Hochschule in
                              									Zukunft möglicher Weise wird herstellen wollen, empfehle ich den Angehörigen der
                              									Universität fürs erste, dahin zu arbeiten, dass die Wissenschaft überall da, wo sie
                              									hingehört, auch voll zur Geltung kommt, dass der Gegensatz zwischen Theorie und
                              									Praxis, den man ja nie völlig aus der Welt schaffen wird, und die beide einander
                              									doch so nöthig haben, nicht zu einer Zerreissung unseres höheren Unterrichtes führt.
                              									Ein Betonen dieses Grundsatzes von Seiten der Universität erscheint mir viel
                              									wichtiger als die Verteidigung sogen. Vorrechte. Uebrigens gehe ich so weit, mir von
                              									Einrichtungen der geplanten Art an der technischen Hochschule eine wohlthätige
                              									Rückwirkung auf die Universität selbst zu versprechen; pflegt doch in menschlichen
                              									Dingen etwas Concurrenz allemal nützlich zu sein. Die technischen Hochschulen
                              									werden allerdings einige Energie einsetzen müssen, um hier durchzudringen. Denn es
                              									handelt sich um eine Forderung, deren hohe Bedeutung für die Qualität unserer
                              									industriellen Leistung schliesslich nur derjenige voll ermessen kann, dem eine
                              									gewisse Reife des wissenschaftlichen Urtheils zukommt, eine Forderung also, die
                              									nicht eigentlich populär verständlich ist.
                           Indem ich mich nun zur Universität wende, lade ich Sie zunächst ein, den Vergleich
                              									der technischen Hochschule mit der medicinischen Facultät zu machen. Sie haben bei
                              									letzterer alles das, was wir bei der technischen Hochschule vermissten, vor allen
                              									Dingen eine genaue, vielleicht übertriebene strenge Abgrenzung nach aussen hin.
                              									Hierin drückt sich in charakteristischer Weise das höhere Alter der Institution aus.
                              									Im Uebrigen aber ist unverkennbar, dass bei der medicinischen Facultät hinsichtlich
                              									der centralen Aufgabe ein weitgehender Parallelismus mit derjenigen der technischen
                              									Hochschule besteht, hier wie dort soll eine grössere Zahl junger Männer in relativ
                              									kurzer Zeit so weit durchgebildet werden, dass sie später in der Lage sind, einen
                              									verantwortungsvollen Beruf selbständig auszuüben. Es wäre interessant, diesen
                              									Vergleich ins Einzelne zu verfolgen und zu sehen, wie analoge Ursachen bei aller
                              									äusseren Verschiedenheit analoge Wirkungen hervorrufen. Ich rechne dahin den fest
                              									geregelten Studienplan, welcher der Individualität des Studirenden in den ersten
                              									Semestern nur wenig Freiheit lässt, das Zwischenexamen und anderes mehr. Ich meine,
                              									die Gegenüberstellung muss jedem deutlich machen, dass zwischen den Aufgaben der
                              									technischen Hochschule und denjenigen der Universität in keiner Weise eine solche
                              									principielle Verschiedenheit besteht, wie oft gemeint wird. Nicht viel anders wird
                              									das Resultat herauskommen, wenn wir die juristische, die theologische Facultät zum
                              									Vergleich heranziehen. Es ist nicht so, dass die eine Anstalt schlechtweg für die
                              									Praxis vorbereitet und die andere die reine Wissenschaft lehrt, sondern beide haben
                              									ganz allgemein die Aufgabe, durch wissenschaftliche Studien die Grundlage für die
                              									spätere höhere Berufstätigkeit zu schaffen. Einzig die philosophische Facultät
                              									scheint mit dem so formulirten Satze nicht recht übereinzustimmen. Es ist eine
                              									merkwürdige Fügung, dass die technische Hochschule mit keinem anderen Theile der
                              									Universität in unmittelbaren Contact kommt, als gerade mit der philosophischen
                              									Facultät. Ich möchte Sie bitten, mit mir speciell diejenigen Studien der
                              									philosophischen Facultät ins Auge zu fassen, welche am weitesten nach der rein
                              									akademischen Seite verschoben sind, nämlich die Studien unserer
                              									Lehramtscandidaten.
                           Wir haben da zunächst wieder einer wichtigen äusseren Entwickelung der letzten
                              									Decennien zu gedenken, ich meine die Entstehung unserer heutigen Practica und
                              									Seminare. Der traditionelle Bann des geschriebenen und einfach vorzulesenden
                              									Collegheftes ist längst gebrochen und an die Seite des freien Lehrvortrages ist der
                              									persönliche Gedankenaustausch von Docent und Student getreten, durch welche der
                              									letztere zum selbständigen Denken und womöglich zum selbständigen Arbeiten
                              									angeleitet werden soll. Wer längere Jahre hindurch die Universität nicht besucht
                              									hat, wird erstaunt sein zu sehen, wie weit dieser Umwandelungsprocess vorgedrungen
                              									ist. Wir haben jetztan zahlreichen Universitäten z.B. für Mathematik, für klassische Philologie,
                              									für die verschiedenen neueren Sprachen, Geschichte u.s.w. nicht nur
                              									Seminarbibliotheken, sondern Seminararbeitsräume, in welchen den reiferen Studenten
                              									alles für sie wichtige Material in liberalster Weise zur Verfügung gestellt wird
                              									(von der Ausstattung der hier in Betracht kommenden naturwissenschaftlichen
                              									Institute ganz zu schweigen).
                           Die Absicht bei Gründung der Seminare ist ursprünglich jedenfalls gewesen, den
                              									späteren Lehrer unmittelbar für seinen Beruf besser vorzubereiten. Inzwischen hat
                              									die Entwickelung einen anderen Verlauf genommen, sie ist ganz wesentlich der
                              									Steigerung der rein wissenschaftlichen Studien zu gute gekommen. Eine früher
                              									unbekannte Energie des Unterrichtsbetriebes hat Platz gegriffen, verbunden mit
                              									weitgehender Specialisirung und Individualisirung. Es ist fast so, als sollten die
                              									sämmtlichen Studenten zu wissenschaftlichen Forschern von selbständiger Bedeutung
                              									ausgebildet werden!
                           Wollen wir diese Erscheinung richtig beurtheilen, so müssen wir uns über ihre
                              									eigentliche Wurzel klar sein. Nicht das Andrängen irgend welcher äusserer
                              									Forderungen, sondern der wissenschaftliche Enthusiasmus hat dieselbe geschaffen und
                              									hält sie aufrecht. Bemerken Sie, dass die Wirksamkeit des Docenten dabei in keiner
                              									Weise controlirt oder honorirt wird, sondern gänzlich seiner persönlichen Initiative
                              									überlassen ist. In diesem Hervortreten ausschliesslich idealer Momente liegt eine
                              									Stärke und eine Bedeutung der Institution, die nicht überschätzt werden können. Aber
                              									allerdings hat sich die Institution zu einseitig entwickelt. Man muss fragen, ob
                              									nicht das mittlere Unterrichtsbedürfniss der Mehrzahl unserer Studenten zu Gunsten
                              									der höheren Leistung einer Minderzahl zu sehr zurückgedrängt wird, ob die
                              									frühzeitige Specialisirung nicht gelegentlich der allgemeinen Grundlegung, ob die
                              									einseitige Betonung der wissenschaftlichen Forschung nicht der Freude am späteren
                              									Lehrberuf schadet. Sie haben hier, wie ich kaum hervorzuheben brauche, das genaue
                              									Gegenbild zum Betriebe der technischen Hochschule. Während wir bei letzterer die
                              									Einführung eines Specialunterrichts, also, um es prägnant auszudrücken, gerade des
                              									Seminarwesens in einem gewissen Umfange postuliren mussten, handelt es sich hier
                              									darum, dass die Specialcurse nicht andere wichtige Seiten des Unterrichtes ersticken
                              									und damit schliesslich (wegen ungeeigneter Ausbildung zahlreicher Candidaten) ihre
                              									eigene Wirksamkeit in Frage stellen.
                           Wie sollen wir ändern? Vielleicht dass eine bemerkenswerthe Einrichtung, die man in
                              									den letzten Jahren geschaffen hat, von selbst eine gewisse Besserung herbeiführt.
                              									Nach dem Vorbilde der Mediciner und Theologen u.s.w. finden jetzt auch die
                              									Gymnasiallehrer alljährlich Gelegenheit, in geeigneten Feriencursen die Beziehung
                              									zur Universität und zur Wissenschaft wieder aufzufrischen. Die
                              									Universitätsprofessoren sind in diese Entwickelung bereitwillig eingetreten, weil in
                              									ihnen der lebhafte Wunsch besteht, den wissenschaftlichen Gedanken, mit denen sie
                              									sich beschäftigen, nach aussen hin, in das praktische Leben hinein, eine mehr
                              									unmittelbare Wirksamkeit zu verschaffen, als augenblicklich statt hat. Aber die
                              									Einrichtung kann nicht ohne Rückwirkung auf die Docenten selbst bleiben, indem sie
                              									denselben greifbar vor Augen stellt, wie weit sich der Universitätsunterricht,
                              									den die Theilnehmer der Curse genossen haben, bewährt hat, und ob derselbe nicht
                              									vielfach ganz anders gefasst werden muss, wenn er im späteren Berufsleben auf die
                              									Dauer wirksam sein soll, wie wir es doch alle anstreben.
                           Also eine Correctur durch Bezugnahme mit dem Schulbetrieb, wie sich derselbe in
                              									Wirklichkeit gestaltet! Aber allerdings genügt mir derselbe noch nicht, ich wünsche,
                              									dass unsere Docenten weiter blicken und sich die Frage vorlegen, welches die
                              									voraussichtliche Entwickelung unserer höheren Schulen in den kommenden Decennien
                              									sein wird, und ob sie den Studirenden das Rüstzeug, dessen diese im Hinblick hierauf
                              									bedürfen, wirklich in die Hand geben. Ich möchte die Ueberlegungen, die hier
                              									entstehen, sofort sehr verallgemeinern und für die Entwickelung unserer
                              									Universitäten hier um so mehr eine grosse weittragende Forderung aufstellen, als
                              									diese durch den Vergleich mit den technischen Hochschulen, der uns heute
                              									beschäftigt, besonders nahe gelegt wird. Indem die Universitäten den
                              									wissenschaftlichen Betrieb auf den überkommenen Gebieten steigerten, haben sie zu
                              									wenig Ausschau nach neuen Gebieten gehalten, die der Fortschritt unserer allgemeinen
                              									Cultur in den Vordergrund gerückt hat. Ich verlange eine durchgreifende Erweiterung
                              									der Universitäten nach der modernen Seite hin, eine volle wissenschaftliche
                              									Berücksichtigung aller Momente, die in dem hochgesteigerten Leben der Neuzeit als
                              									maassgebend hervortreten.
                           Die so formulirte Forderung kann des Beifalls gerade der Fernerstehenden von
                              									vornherein ziemlich sicher sein, und es wird genügen, dass ich auf ein, zwei
                              									Beispiele exemplificire. Betrachten Sie etwa die Entwickelung des modernen Verkehrs,
                              									durch die uns fremde Völker, fremde Verhältnisse in unmittelbare Nähe gerückt sind,
                              									die uns früher gewissermaassen nur dem Namen nach bekannt waren. Soll das auf unsere
                              									sprachlichen, auf unsere historischen, auf unsere juristischen Studien ohne Einfluss
                              									bleiben? Man sagt, dass unsere Officiere nach dem Krieg von 1870/71 eifrig begonnen
                              									haben, russisch zu lernen. Warum sind die Universitäten nur erst so wenig in die
                              									entsprechende Bahn eingelenkt? Oder nehmen Sie andererseits und ganz besonders den
                              									Aufschwung unserer Technik. Mögen sich die Universitäten immerhin um die Ausbildung
                              									der Ingenieure keine Sorge machen, weil diese den technischen Hochschulen
                              									anheimgegeben ist, sollen aber darum unsere Mathematiker (insbesondere diejenigen,
                              									die berufen sein werden, an technischen Anstalten zu wirken), unsere späteren
                              									Beamten, welche ihre Stellung im öffentlichen Leben doch nach allen Richtungen
                              									ausfüllen sollen, während ihrer Universitätszeit hiervon gar nichts erfahren? Die
                              									Antwort auf diese Fragen liegt in der That auf der Hand, soweit es sich um das
                              									allgemeine Princip handelt. Die Schwierigkeiten beginnen aber in dem Augenblick, wo
                              									man versucht, der Ausführung näher zu treten. Dies eine ist jedenfalls klar, dass es
                              									sich um eine ausserordentliche Erweiterung des Lehrgebietes der Universität und
                              									dementsprechend um eine weitergehende Specialisirung oder Gliederung der
                              									Universitätsstudien handelt. Aber die Anforderungen, welche entstehen, sind so
                              									zahlreich, die Verhältnisse, um die es sich handelt, noch so wenig methodisch
                              									geklärt, der Kreis der Lehrenden wie der Lernenden noch so wenig vorbereitet, dass
                              									es ganz unmöglich scheint, ohne weiteres einen allgemeinen Organisationsplan
                              										aufzustellen.Es
                              									wird darauf ankommen, dass wir in ein Versuchsstadium eintreten, dass wir von vielen
                              									Punkten aus, hier von der einen, dort von der anderen Seite aus, wie gerade die
                              									Gelegenheit gegeben sein mag, die Inangriffnahme des Programms beginnen.
                           Es gereicht mir zu besonderer Befriedigung, hier mittheilen zu können, dass meine
                              									Universität Göttingen seit einigen Jahren in diese Bewegung eingetreten ist. Um nur
                              									eins zu nennen, so ist es uns jetzt gelungen, beim physikalischen Institute
                              									Laboratoriumseinrichtungen zu schaffen, mittels deren unsere Studirenden der
                              									Mathematik und Naturwissenschaft in der Lage sind, die grossartigen physikalischen
                              									Processe, welche sich in unseren Wärmemotoren und unseren Dynamomaschinen abspielen,
                              									eingehend kennen zu lernen und messend zu verfolgen. Ich erwähne dieses Beispiel aus
                              									doppeltem Grunde. Zunächst, weil es ein positiver Schritt ist, durch den wir eine
                              									nähere Beziehung der Universität zum Ingenieurwesen anbahnen, dann aber, weil wir
                              									diesen Fortschritt, wie wir dankbar und rühmend anerkennen müssen, der privaten
                              									Initiative verdanken. Eine Anzahl hervorragendster Ingenieure und Firmen ersten
                              									Ranges hat sich zu einer Gesellschaft vereinigt, die uns nicht nur die
                              									erforderlichen Mittel gewährt, sondern uns auch mit ihrem Rathe unterstützt. Da
                              									haben Sie den gewünschten Contact mit dem heutigen Leben in voller, ich möchte
                              									sagen, in idealer Gestalt. Vielleicht wird Sie noch besonders interessiren, wenn ich
                              									zufüge, dass das Unternehmen ursprünglich von Düsseldorf aus in die Wege geleitet
                              									wurde. Möge dasselbe zahlreiche, glänzende Nachfolge finden! Die höheren
                              									Unterrichtsanstalten sind in Deutschland ja zunächst Staatsanstalten, und wir wissen
                              									den ausserordentlichen Vortheil, der hierin für die Sicherheit und die Ordnung des
                              									Betriebes und die gleichförmige Berücksichtigung aller anerkannten Bedürfnisse
                              									liegt, voll zu schätzen. Aber das schliesst nicht aus, dass auch bei uns für das
                              									opferwillige Eintreten Einzelner Raum genug ist, nämlich überall da, wo es sich, wie
                              									im vorliegenden Falle, um Neubildungen handelt, bei denen der Staat mit einer
                              									endgültigen Beschlussfassung noch zurückhalten muss.
                           Sie haben nun alle die Einzelheiten vor sich, hochgeehrte Anwesende, die ich Ihnen
                              									heute vorlegen wollte, und es erübrigt, dass ich Ihnen einiges Wenige über die
                              									Beziehung der beiden Anstalten, der technischen Hochschule und der Universität, zu
                              									einander sage. Directe Verbindungen haben in vergangenen Jahren nur in sehr geringem
                              									Maasse bestanden, soweit etwa, als sich aus dem Umstande ergab, dass die Professoren
                              									der Mathematik, der Physik und der Chemie zwischen beiden Anstalten gelegentlich
                              									wechselten. Ob die Gesinnungen, welche die Anstalten dabei gegen einander hegten,
                              									besonders freundliche waren, kann bezweifelt werden: die Universität war geneigt, in
                              									der jüngeren Schwester einen Emporkömmling zu erblicken, und diese wieder empfand
                              									mit einiger Erregung die historische Vorrechtsstellung der älteren Anstalt. Es
                              									scheint mir unzweifelhaft, dass es bei einem solchen negativen Verhalten fortan
                              									nicht sein Bewenden haben darf. Ich hoffe. Ihnen nachgewiesen zu haben, dass die
                              									beiden Anstalten nicht nur zusammengehörige Zielpunkte verfolgen, sondern dass sie,
                              									wenn sie ihre Interessen richtig verstehen, sich immer mehr auf einander angewiesen
                              									sehen: sie müssen um ihrer selbst willen daran gehen, Arbeitsmethoden,
                              									Auffassungen, Kenntnisse, schliesslich auch Persönlichkeiten von einander zu
                              									entlehnen. Um noch einmal das Wichtigste zu wiederholen: die technischen Hochschulen
                              									brauchen zur Entwickelung ihres Specialunterrichts Einrichtungen nach Art der
                              									Universitäten, diese letzteren wieder dürfen gegenüber den Fortschritten des
                              									Ingenieurwesens, wie der Neuzeit überhaupt, nicht länger die unbetheiligten
                              									Zuschauer spielen. Als man vor Decennien unternahm, die bis dahin bestehenden
                              									Gewerbeschulen zu technischen Hochschulen zu entwickeln, hat man die letzteren nach
                              									einigem Schwanken nicht an die Universitäten angeschlossen und die technischen
                              									Unterrichtseinrichtungen, welche bis dahin in ziemlich grosser Zahl an den
                              									Universitäten bestanden, verkümmern lassen. Es war ein verhängnissvoller Schritt,
                              									der ja der kräftigeren Entwickelung des technischen Unterrichtswesens zeitweise zu
                              									gute gekommen sein mag, der aber auch ein gut Theil all der Misstände und
                              									Schwierigkeiten zur Folge gehabt hat, unter denen wir heute leiden. Jedenfalls
                              									scheint jetzt, wenn nicht alle Zeichen trügen, die Zeit gekommen, um die Kluft, die
                              									man damals geschaffen, wieder zu überbrücken! Das erste, auf alle Fälle Erwünschte
                              									und auch Erreichbare dürfte sein, dass jede Anstalt bemüht sein soll, unbeschadet
                              									ihrer eigenen Zweckbestimmung sich der anderen anzunähern. Aber man kann fragen, ob
                              									man nicht weiter gehen soll, ob es wirklich auf die Dauer unmöglich sein wird, die
                              									technischen Hochschulen doch noch, wenn auch nur organisatorisch, als technische
                              									Facultäten an die Universitäten anzuschliessen. Es ist auch viel davon die Rede, an
                              									einer Universität, welche von allen bestehenden technischen Hochschulen abgetrennt
                              									liegt und bei der die Vorbedingungen gegeben waren, versuchsweise eine technische
                              									Facultät zu begründen. Ich betrachte es bei der heutigen Gelegenheit nicht als meine
                              									Aufgabe, zu derartigen Vorschlägen, welche neuerdings von sehr bemerkenswerthen
                              									Seiten gemacht werden, Stellung zu nehmen. Mir genügt, den Gedanken von der inneren
                              									Zusammengehörigkeit, von der Solidarität der beiden Anstalten hier vertreten zu
                              									haben. Möge dieser Gedanke in der Oeffentlichkeit seinen Weg machen; dann haben wir
                              									die gesunde Grundlage für alle Organisationen, welche die Zukunft bringen wird,
                              									gewonnen!