| Titel: | Allgemeine Fragen der Technik. | 
| Autor: | P. K. von Engelmeyer | 
| Fundstelle: | Band 311, Jahrgang 1899, S. 133 | 
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                        Allgemeine Fragen der Technik.
                        Von Ingenieur P. K. von
                                 									Engelmeyer, Moskau.
                        (Fortsetzung von S. 101 d. Bd.)
                        [Allgemeine Fragen der Technik.]
                        
                     
                        
                           Eng verbunden mit der allgemeinen technischen Präge steht die Frage über die
                              									Bedeutung des technischen Standes in der modernen Gesellschaft. Diese Frage ist uns
                              									allen näher, als die erstere, und derweil sie nur auf Grund der ersteren, d. i. der
                              									richtigen Schätzung der Technik selber, gelöst werden kann, so schlägt sie die
                              									Brücke zu dieser auch für solche Techniker, welche dieselbe sonst viel zu abstrakt
                              									und entfernt zu halten geneigt sind. Die Standesfrage hat sich bereits zu einer
                              									ganzen Litteratur entfaltet. Ich will jedoch jetzt nur den kleinsten Teil der
                              									Veröffentlichungen in Betracht ziehen: erstens scheint es mir für den Anfang genug,
                              									nur die hauptsächlichsten der betretenen Wege zu überblicken, und zweitens stelle
                              									ich mir durchaus nicht die Aufgabe, die berührten Fragen erschöpfend zu behandeln.
                              									Ich werde im Gegenteil erfreut sein, wenn mir Berichtigungen entgegengehalten und
                              									etwaige Lücken blossgelegt werden, denn solche grundlegenden, das ganze Leben
                              									umspinnenden Fragen können nur gemeinschaftlich gelöst werden. Nach dieser
                              									Erörterung wende ich mich meiner flüchtigen Uebersicht wieder zu.
                           In seiner interessanten Schrift: „Die Bedeutung der Technik und des technischen
                                 										Standes in der Kultur“ (1884) bemüht sich Egon
                                 										Zöller, die Standesfrage auf der allgemeinen technischen Frage zu
                              									begründen. „Unter die eine höhere Stellung im Leben einnehmenden Stände hat sich
                                 										als jüngster Genosse mit diesem Jahrhundert der technische Stand gereiht.... Wir
                                 										Techniker müssen uns selbst im Leben die Stellung erkämpfen, die uns nach
                                 										unserer Bildung und nach der Bedeutung der uns gestellten Aufgabe zukommt.
                                 										Hierzu ist es erforderlich, dass der Stand sich mehr als bisher in sich
                                 										konsolidiert, dass er in höherem Masse sich dem gesamten Leben erschliesst,
                                 										sowie dass er vor allem die Bedeutung der Technik im heutigen Kulturleben
                                 										vollkommen erfasst“ (S. 5). „Es sind zwei grosse Ziele, die sich unsere
                                 										Thätigkeit gesteckt hat, zwei Ziele, die uns anfangs scheinbar als getrennte
                                 										entgegentreten. Das eine Ziel ist die Erkenntnis alles Seins, die Erkenntnis der
                                 										sinnlichen und geistigen Welt; das andere Ziel ist die Umgestaltung unserer Welt
                                 										und die Entwickelung unserer geistigen Anlagen“ (S. 6). „Während der
                                 										Gelehrte dahin strebt, die Welt und das Endziel des Lebens zu erkennen, richten
                                 										Seelsorger und Lehrer ihr Augenmerk auf das geistige Leben des Menschen und
                                 										suchen dieses in vernünftiger Weise umzugestalten und schlummernde Anlagen zu
                                 										entwickeln. Dem Juristen liegt es ob, der äusseren Thätigkeit des Menschen die
                                 										Form der Vernunft zu geben und dadurch ein organisches Zusammenwirken der
                                 										Menschen möglich zu machen. Während der Pflege des Arztes der vollkommenste
                                 										Organismus in der Körperwelt, nämlich der menschliche Körper, anvertraut ist,
                                 										und der Land- und Forstwirt die organische Natur den Zwecken des Menschen
                                 										dienstbar machen, ist dem Techniker als Gebiet für seine praktische Thätigkeit
                                 										die gewaltige, grosse, unorganische Natur gegeben. Es ist seine Aufgabe, deren
                                 										Massen in vernünftiger Weise umzugestalten und dieselben somit ebenso wie die
                                 										organische Natur in den Dienst des Menschen hereinzuziehen“ (S. 11).
                              										„Wenn die praktische Thätigkeit eine Umgestaltung der Welt bezweckt, so
                                 										kann die Ursache zu dieser Thätigkeit nur darin liegen, dass die Welt uns nicht
                                 										vollkommen befriedigt, oder dass die Welt uns als eine in gewisser Beziehung
                                 										unvollkommene entgegentritt.... Alle Thätigkeit – sei sie theoretisch oder
                                 										praktisch – hat daher die Verwirklichung dieser in uns liegenden geistigen Welt
                                 										für uns zum Endziel“ (S. 9).
                           „Freilich ist auch kein anderer Stand auszuscheiden, ohne das gesamte Leben zu
                                 										schädigen; aber doch ist kein zweiter Stand so extensiv und intensiv mit unserer
                                 										heutigen Zeit verflochten, wie der technische Stand“ (S. 13).
                              										„Berücksichtigt man, dass die Technik nicht als Praxis, sondern als eine
                                 										Wissenschaft die Welt beherrscht, dass sie nur als Wissenschaft diesen
                                 										gewaltigen Einfluss ausübt, so wird man verstehen, dass erst mit der Ausbildung
                                 										der Technik zu einer Wissenschaft der technische Stand unter die höheren Stände
                                 										einrückte“ (S. 19). „Wegen der Bedeutung unserer Aufgabe dürfen wir in
                                 										allgemeiner Bildung hinter keinem Stande zurückstehen“ (S. 22). „Es ist
                                 										eine aus der Bedeutung der Technik für die Kultur sich ergebende Folgerung, dass
                                 										die technischen Hochschulen auch in Bezug auf Pflege der allgemeinen
                                 										Wissenschaften den Universitäten vollständig ebenbürtig sein müssen“ (S.
                              									23).
                           Das ist aber noch nicht alles, und mit Recht weist Zöller darauf hin, dass auch das ethische Element im technischen Stande
                              									reformiert sein will: nämlich die Solidarität zwischen den Angehörigen desselben.
                              										„Nur wenn wir in jedem Techniker einen wirklichen Mitarbeiter und nicht nur
                                 										einen Nebenarbeiter erblicken, wird auch in unserem deutschen Stande der
                                 										Corpsgeist lebendig werden“ (S. 25). „Erfüllen wir unsere Pflichten, sind
                                 										wir alle wahre Genossen ein und desselben Standes und zugleich wahre Glieder der
                                 										Menschheit, so wird auch uns die Achtung der Mitmenschen nicht fehlen und
                                 										unserem Stande das gebührende Ansehen zu teil werden. Und ebensowenig wie die
                                 										Kultur jemals zurückzuschrauben ist, wird es möglich sein, den von pflichttreuen
                                 										Gliedern getragenen Stand von der Stellung zurückzudrängen, die ihm seiner
                                 										Bedeutung nach zukommt“ (S. 26).
                           Aehnliches lesen wir in der leidenschaftlichen Schrift eines Unbekannten: „Die
                                 										Techniker Oesterreichs“ (1894). Im Techniker erblickt der Verfasser „ein
                                 										wahres Aschenbrödel der Gesellschaft in jeder Beziehung“ (S. 5). Unter
                              									Hinweis darauf, dass in Russland und in Frankreich die Techniker eine bessere
                              									behördliche Anerkennung finden, als in den deutschen Staaten, werden Belege für das
                              									letztere vorgeführt und mit der Bemerkung begleitet: „Beim Techniker aber, bei
                                 										dem absolvierten Hochschüler, wurde die Intelligenz nach dem Steuergulden
                                 										bemessen!“ (S. 6). Ferner werden zwei Schriften genannt, welche die
                              									Standesfrage berühren und die ich hier auch nenne, um auf dieselben die
                              									Aufmerksamkeit der Interessenten zu lenken. Es sind: Hubert
                                 										Petritsch, Ingenieur in Brunn, „Die Stellung der Techniker im
                                 										Staate“ (1892), und K A. Ziffer,
                              									Zivilingenieur, „Ueber die Stellung und Ausbildung der Techniker“ (Org. d. österr. Ingen.- u. Architektentages vom 26.
                              									August 1893).
                           
                           Wir kehren zu den Technikern Oesterreichs zurück. Nach einer Keine von
                              									Beispielen, welche die Solidarität im Stande in ein wenig erfreuliches Licht
                              									stellen, lesen wir: „Bei keinem Stande wird es vorkommen, dass man die eigenen
                                 										Fachkollegen für weniger tauglich hält, als fremde, dem Berufszweige ganz ferne
                                 										gebliebene Personen. Nur dem Techniker blieb und bleibt es vorbehalten, die
                                 										Mitarbeiterschaft von nichttechnischen Elementen für seine Zwecke geeigneter zu
                                 										finden, als die seiner jüngeren Kollegen!“ (S. 12). „Bei allen Ständen
                                 										finden wir den sogen. Corpsgeist und nur beim Techniker ist er absolut nicht
                                 										vorhanden: in unseren Reihen herrscht die vollste Uneinigkeit!“ (S. 15).
                              										„Uns fehlt es ja nicht an Wissen, nicht an Bildung, sondern nur an
                                 										Selbstbewusstsein und eigener Wertschätzung“ (S. 16). „Endlich müsste
                                 										unser Stand unbedingt vor allen fremden Elementen geschützt werden: die Zeit der
                                 										von Privaten, Eisenbahngesellschaften und auch Behörden ernannten Ingenieure
                                 										müsste endgültig vorüber sein“ (S. 18). Aber auch mitten im Stande selbst
                              									will der Verfasser Schranken aufgestellt wissen: „Die Gewerbeschüler dürften aber
                                 										nie Konkurrenten der absolvierten Techniker werden; sie müssten einen streng
                                 										abgegrenzten Wirkungskreis erhalten und sollten nur Hilfskräfte der Techniker
                                 										sein“ (S. 23).
                           Aus einer ganzen Reihe einschlägiger Schriften heben wir nur noch eine hervor: A, Riedler's „Unsere Hochschulen und die
                                 										Anforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts“ (1898). Im vergangenen Jahre hat
                              									diese Arbeit ein grosses Aufsehen erweckt; sie wurde vielfach diskutiert in den
                              									technischen Vereinen und in der Presse. Dabei machte sich aber jene Abneigung gegen
                              									die allgemeinen Tragen der Technik kund, auf die wir im ersten Artikel (Heft 2)
                              									hingewiesen haben: allgemein wurden nur die einzelnen Aeusserungen Riedler's und seine Ratschläge besprochen, die er der
                              									technischen Schule gibt; dagegen wurden die allgemeineren Gesichtspunkte, die er
                              									entwickelt, mit keinem Worte bedacht, als wäre dies alles Geschmackssache, die man
                              									dem Verfasser höchstens verzeihen muss, die aber mit den ernsthaften Sachen durchaus
                              									nicht vermengt werden darf. Gerade diesen Teil seiner geistreichen Schrift wollen
                              									wir nun hervorheben, das zweite Kapitel: „Einfluss und Kulturarbeit der
                                 										Technik“. Es wird darin nachgewiesen, dass die gesellschaftliche Funktion
                              									der Technik und des technischen Standes von den leitenden Kreisen, die ja
                              									bekanntlich den litterarischen Bildungsstätten entspringen, gleich Null geschätzt
                              									wird. Wir lassen den Verfasser reden:
                           „Lange bevor die gewaltigen Leistungen der modernen Technik unseren Gebildeten zum
                                 										Bewusstsein kamen, wurden die wichtigsten Kulturabschnitte nach technischen
                                 										Errungenschaften bezeichnet: „Stein-“, „Bronze-“ und
                                 											„Eisenzeit“ sind für den Kulturfortschritt ebenso bezeichnend wie die
                                 										technischen Leistungen, welche den Uebergang vom Mittelalter in die Neuzeit
                                 										kennzeichnen. Die neueste Zeit mit ihren durch die Technik völlig umgestalteten
                                 										Lebensverhältnissen hat allen Anlass, ihren Beginn von der Dienstbarmachung der
                                 										Naturkräfte durch die Ingenieurarbeit zu rechnen“ (S. 40). „Der hilflos
                                 										geborene Mensch ist durch die Natur auf Waffen und Werkzeuge als unerlässliche
                                 										Mittel seines Daseins angewiesen. Der moderne Mensch ist es in dem Masse mehr,
                                 										als er höhere Bedürfnisse hat“ (S. 41). „Nach dem Untergang der alten
                                 										Kultur, als fast ein Jahrtausend lang kaum ein Mensch selbständig zu denken
                                 										wagte und es eine Naturwissenschaft nicht gab, hat die Technik allein Einsicht
                                 										in Naturvorgänge geschaffen“ (S. 42). „Heute gedeihen Aberglaube und
                                 										unfruchtbare Phantasie nur noch dort, wo die Technik noch nicht zur Blüte
                                 										gelangt ist, wo Verständnis für Naturwissenschaften und Technik fehlt“ (S.
                              									43).
                           „Wenn das Lob der gegenwärtigen Kulturentwickelung ertönt, dann wird die
                                 										Anerkennung immer den theoretischen Naturwissenschaften und nicht der Technik
                                 										gezollt. Von der Technik wird angenommen, sie habe nur die jeweilige
                                 										naturwissenschaftliche Erkenntnis benutzt; das ist aber unrichtig“ (S. 45).
                              										„Die Verdienste der schaffenden Technik werden häufig auch derart für die
                                 										theoretischen Naturwissenschaften in Anspruch genommen, dass irgend ein
                                 										Laboratoriumexperiment als die eigentliche Geistesarbeit, die grössten
                                 										Leistungen der Technik aber als selbstverständliche Vergrösserung des
                                 										ursprünglichen Experiments hingestellt werden“ (S. 47). Hier bemüht sich Riedler, zu beweisen, dass gerade die Technik mit ihren
                              									Errungenschaften die Fortschritte der Naturkunde vorbereitete. Indessen müssen wir
                              									das Bedauern aussprechen, dass seine Belege schwach sind. Nur eines heben wir
                              									hervor: „Die Erkenntnis von der Erhaltung der Energie hat die Technik
                                 										vorbereitet; sie hat die Naturanschauung geschaffen, welche in jedem
                                 										Naturvorgange eine Erscheinungsform der Energie erblickt“ (S. 48).
                           „Während das, was wir Zivilisation nennen, ohne die Technik nimmermehr hätte
                                 										entstehen können, bildet leider die Kenntnis der Technik keinen Bestandteil
                                 										unserer sogen. zivilisierten Erziehung“ (S. 49). Der moderne Kulturmensch
                              										„schläft in einem Bett, wie es vor Jahrhunderten kein König hatte, lebt in
                                 										einer Wohnung, die in allen Teilen der Maschinenarbeit entsprungen ist, ein
                                 										riesiger technischer Apparat ist zu nachtschlafender Zeit thätig, ihm den Tisch
                                 										zu decken, die Zeitung auf den Frühstückstisch zu bringen. Er kennt nicht die
                                 										Arbeit, die ihm den Genuss oder doch den Besitz eines Buches gestattet, das
                                 										früher nur wenige Bevorzugte erschwingen konnten“ (S. 54). „Dass
                                 										gegenwärtig den Wissenschaften für jede Bestrebung alle Hilfsmittel in der Nähe
                                 										und Ferne sofort zur Verfügung stehen, danken sie der Technik, oder vielmehr:
                                 										sollten sie ihr danken“ (S. 56).
                           „Die moderne Scheu vor dem Krieg entspringt durchaus nicht erhöhter ethischer
                                 										Einsicht, sondern der gewaltigen Furcht vor den technisch vollkommenen
                                 										Kriegsmitteln“ (S. 57).
                           Sehr treffend weist noch Riedler darauf hin, dass eine
                              									fertige Ingenieurarbeit dem Urheber nicht nur Geistesarbeit, sondern auch eine
                              									grosse Verantwortlichkeit aufbürdet. „Der Ingenieur kann sich rühmen, dass er für
                                 										seine Werke wie kein anderer Beruf immer die moralische und materielle
                                 										Verantwortung zu tragen hat, weil jeder seiner Fehler an das Tageslicht kommt
                                 										und auch meistens gleich in der ganzen Welt bekannt wird“ (S. 67). Das ist
                              									wirklich eine wichtige ethische Seite der technischen Thätigkeit, die mit allem
                              									Nachdruck betont und der ganzen Welt bekannt gemacht werden soll! Denn die Leistung
                              									jedes technischen Werkes kann jedermann mit Mass und Wage nachprüfen. „Es wäre zu
                                 										wünschen, dass es auch eine Statistik der Schäden durch schlechte juristische
                                 										Vertretung, durch falsche ärztliche Diagnosen u.s.w. gäbe, um sie den
                                 										Ingenieurfehlern, die in alle Welt hinaustelegraphiert werden, gegenüberstellen
                                 										zu können“ (S. 67).
                           Ferner finden wir gar drastische Belege, wie wenig Anerkennung in Deutschland dem
                              									Ingenieurstand behördlicherseits gezollt wird. Im Grunde von dem allen liegt aber
                              									immer die volle Ignoranz der leitenden Kreise in allen technischen Dingen. Darum
                              									auch erleben wir, „dass unsere höchststehenden Juristen, das Reichsgericht,
                                 										Diebstahl von Elektrizität als nicht strafbar ansehen, weil Elektrizität kein
                                 										Gegenstand, sondern ein 'Zustand' sei“ (S. 70).
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)