| Titel: | Altägyptische Weberei. | 
| Autor: | Aug. Braulik | 
| Fundstelle: | Band 311, Jahrgang 1899, S. 189 | 
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                        Altägyptische Weberei.
                        Eine Studie von Ingenieur Aug. Braulik.
                        (Schluss des Berichtes S. 175 d. Bd.)
                        Altägyptische Weberei.
                        
                     
                        
                           Wollen wir nun nach diesen Betrachtungen uns die Gewebe Nr. 90 und Nr. 91 der
                              									Sammlung, die in Fig. 30 und 31 gezeichnet erscheinen, näher ansehen. Zeichnet man sich das Gewebe aus
                              										Fig. 30 so, wie es auf der Oberseite wirklich
                              									aussieht, vergrössert auf, so bekommt man ein Bild, das der Fig. 54 nahe kommt. Aus diesem Bilde ist aber auch sofort ersichtlich,
                              									dass das ganze Muster aus vier verschiedenen Schuss im Rapporte besteht, die sich
                              									nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. immer wiederholen.
                           Die ausgefüllten Flächen ( für Gelb,  für Schwarz,  für Rot)
                              									bezeichnen diejenigen Kettenfäden, welche bei dem diesbezüglichen Schusse über dem Schussfaden liegen müssen ( bedeutet
                              									Schussfaden oben).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 189
                              Fig. 54.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 189
                              Fig. 55.
                              
                           Halten wir an dem früher angegebenen Prinzipe fest, das wir für die Webe Vorrichtung
                              									entworfen haben, so kann dieses Band- mit Vorrichtung Fig. 51 erzeugt werden,
                              									wenn man die vier Stäbe nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w.
                              										aushebtNatürlich ist die
                                    											Reihenfolge der Faden eine andere und eine ganz bestimmte.. Um
                              									die richtige Ordnung zu finden, nach welcher die Kettenfäden in der Gewebebreite
                              									folgen müssen, braucht man sich bloss die Farbenfolge festzustellen, z.B. Gelb, Schwarz, Rot.
                              									Zeichnet man sich in Fig. 55 die vier Schaftstäbe für
                              										jede Farbe einzeln untereinander und darauf aus
                              										Fig. 54 die für jeden Schuss oben liegenden Kettenfäden auf die Stäbe, so erhalten wir,
                              									stets von oben nach unten auf demselben Streifen weiter
                              									gehend, die richtige Farbenfolge, wie dieselbe beim Einzug in die Schäfte beobachtet werden muss. Wir finden: 6 gelb; 4
                              									schwarz; 8 gelb; 6 schwarz (1 gelb, 2 schwarz, 1 gelb, 1 schwarz); 4mal 1 gelb, 1
                              									schwarz; 1 schwarz, 1 rot; 1 gelb, 1 schwarz; 1 gelb, 1 rot u.s.w.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 190
                              Fig. 56.
                              
                           Dies ist die Fadenfolge von Streifen I bis X auf Fig.
                                 										55. Jetzt kommt: 1 schwarz, 1 rot u.s.w. Nach dieser aufgestellten Methode
                              									habe ich mit vier Stäben (wie in Fig. 51) aus
                              									Baumwollgarn 50 2 ein Band gewebt, welches infolge der
                              									guten Farben wähl mit dem Original vollkommen
                                 										übereinstimmend war. Auf die Stäbe befestigte ich halbe Helfen, was dasselbe bedeutet, als wenn ich eine Schnur genommen und
                              									dieselbe nach Fig.
                                 										41, 44 und 46 geschlungen hätte.
                           Man sieht aus den letzten Zeichnungen, dass ein und derselbe Kettenfaden in mehrere
                              									Schäfte eingezogen werden muss; die Aushebung des einen Schaftes wird durch die
                              									anderen Schäfte (oder Stäbe) nicht gehindert, da jeder Kettenfaden in einer hohen
                              									Schlinge frei beweglich ist, gerade so, wie bei der modernen Weberei in einer
                              									Fachhelfe des Vorderzeuges oder in einer Helfe für
                                 										Aufzug.
                           Wollte man dieses ägyptische Bändchen mit modernen
                              									Schaftstühlen erzeugen, so müsste man sich nach der Patrone in Fig. 56 richten. In dieser bedeutet A das Gewebebild, B
                              									den Einzug in die Schäfte, D sind die Tritte nach der
                              									Ordnung 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. getreten, und C ist die
                              									Schnürung der Schäfte mit den Tritten. Indem der Einzug B sehr unregelmässig wird, wenn man die
                              									Anwendung der minimalen Schäftezahl anstrebt, ist es
                              									lohnender, dieses Band mit mehreren Schäften und Schaftmaschine oder mit
                              									Jacquard-Maschine zu arbeiten.
                           Gewebe Nr. 91 erscheint in Fig. 31 gezeichnet. Bei
                              									seiner näheren Untersuchung findet man die Fadenordnung in der Kette wie folgt: 6
                              									gelb, 4 schwarz, 2 gelb (1 schwarz, 1 gelb, 1 schwarz) 4mal; (1 gelb, 1 schwarz)
                              									6mal; (2 gelb, 1 schwarz) 3mal; 4 schwarz, 6 gelb, 4 schwarz, 6 gelb. Nach diesen
                              									kommen noch etliche 20 Fäden gelb, die zum einfarbigen Grund zu zählen sind.
                           Gleichartig wie bei Nr. 90 ist aus Fig. 57 die obere
                              									Gewebeseite zu sehen. Es ist einleuchtend, dass das ganze Muster aus vier Schuss besteht, die sich in der Ordnung: 1, 2, 3,
                              									4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. im Gewebe wiederholen.
                           Man kann daher zur Erzeugung wieder dieselbe Vorrichtung wie früher benutzen.
                           In Fig. 58 ist wieder die Patrone für moderne
                              									Webstühle zur Benutzung. Die Bezeichnungen sind da dieselben wie bei Fig. 56.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 190
                              Fig. 57.
                              
                           Wie ich bereits schon früher bemerkt habe, enthält die Westwand des Ptah-hotep-Grabes
                              									(aus der Zeit der 5. Dynastie, minimal 2850 v. Chr., nach Brugsch 3566 v. Ohr.) eine Anzahl polychromischer Ornamente, die uns an
                              										Fig. 30
                              									(Gewebe der Sammlung Nr. 90) lebhaft erinnern müssen. Die öfters gemachte
                              										AnnahmeSiehe in Perrot und Chipiez
                                    											„Anhang von Pitschmann“ S. 883,
                                    											Anmerkung 2., dass diese bemalten Streifen (in natürlicher Grösse
                              									etwa 70 mm breit) uns gestickte oder gewirkte Muster darstellen sollen, wird durch
                              									die ThatsacheNach der
                                    											aufgestellten Methode habe ich 1896 und einigemal später aus Ramiegarnen Nr.
                                    											60/2 (es kommt dem Leinengarn am ehesten nah, da die Farben in Flachsgarn
                                    											ich nicht hatte) ein ca. 12 cm breites Band gewebt, wobei von einer Farbe
                                    											etliche 10 Fäden auf 1 cm eingestellt gewesen, und jeder Kettenfaden aus
                                    											60/2 3fach behufs besserer Deckung genommen wurde. Als Schuss (3½ Faden per
                                    											1 cm) benutzte ich einen mitteldicken Teppichfaden schwarz. Das fertige Band
                                    											hatte denselben Eindruck gemacht wie das Wandgemälde. Eine Photographie
                                    											dieses Bandes von 70 mm Breite und mit den angegebenen Farben gemalt, ist
                                    											mit den Abbildungen in Perrot und Chipiez auffallend, ja nahezu überraschend
                                    											identisch. Indem ich die Originalgrösse des Gemäldes (70 mm breit) auch für
                                    											ein „Claustra“-Fenster für zu gering halte, habe ich, um die
                                    											Ueberzeugung zu gewinnen, dass dieses Gewebe in beliebigen Breiten erzeugt
                                    											werden konnte, mit 16 Schäften einen 0,5 m breiten Teppich, das gleiche
                                    											Dessin enthaltend, gewebt. Ich kann nicht behaupten, dass die Aegypter mit
                                    											so viel Schäften gearbeitet hätten, da ich mir vorstelle, gewisse Weberfamilien haben gewisse Dessins nur aus dem Gedächtnis stets
                                    											mit gleicher Vorrichtung erzeugt, eine Erscheinung, die ja im Oriente bei
                                    											dem Teppichknüpfen beobachtet werden kann. Bemerken will ich jedoch, dass
                                    											nach alten Ueberlieferungen der Tempelvorhang in Jerusalem mit 72! Schäften
                                    											gewebt worden sein soll. etwas abgeschwächt, indem man mit der
                              									früher besprochenen Methode und Webevorrichtung dieses Dessin erzeugen kann. Nehmen
                              									wir ein beliebiges Muster aus der Wandmalerei, z.B. das in Fig. 59 gezeichnete. Hierin bedeutet:
                           
                           
                              
                                 ⊠
                                 indischrot hell.
                                 
                              
                                 ⊡
                                 zinnobergrün mittel.
                                 
                              
                                 ■
                                 schwarz.
                                 
                              
                                 
                                    
                                    
                                 ultramarinblau mittel.
                                 
                              
                                 ⌼
                                 chromgelb I.
                                 
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 191
                              Fig. 58.
                              
                           Man kann leicht finden, dass dieses Muster aus sechs
                              									verschiedenen Schuss besteht, die sich in der Ordnung: 1, 2; 3, 4, 5, 6, 5, 4, 3, 2;
                              									1, 2, 3, 4, 5, 6, 5, 4, 3, 2 u.s.w. im Gewebe wiederholen.
                           Man kann dieses Muster, um die natürliche Breite von 70 mm zu bekommen, anstandslos
                              									mit 6 Schäften und der früher angegebenen ägyptischen
                              									Vorrichtung erzeugen, nur müssen diese Schäfte nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 5, 6, 5,
                              									4, 3, 2 u.s.w. ausgehoben werden. Um das Band in beiläufiger Breite der
                              									Originalabbildung zu erhalten, nehme man an, wie beim Gewebe Nr. 90, ein ausgefülltes Quadratchen der Zeichnung Fig. 59 bedeutet drei Kettenfäden, und wir können dann
                              									nach den früher gemachten Erfahrungen das Gewebebild, den Einzug in die Schäfte, so
                              									auch die Fadenfolge genau angeben.
                           In Fig. 60 bedeutet die oberste Figur das Gewebebild,
                              									wie es auf der oberen Seite aussieht, a sind die 6
                              									Schuss und darunter für jede Farbe dieselben angegeben (d.h. welcher Faden auf den
                              									oder jenen Schaft zu reihen ist). Wir finden leicht, dass dieses Gewebe aus 297
                              									Fäden besteht, welche bestehen aus: 27 rot, 75 grün, 87 schwarz, 72 blau und 36
                              									gelb.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 191
                              Fig. 59.
                              
                           Zum Schlusse will ich bemerken, dass nicht nur dieses Dessin, sondern ein jedes
                              									andere nach der Methode, die in Fig. 48 gezeichnet
                              									erscheint, also durch eine Kombination der Webstuhlvorrichtung für Leinwandbindung
                              									und Nadel mit Schlingfaden, erzeugt werden kann. Nehmen wir als Beispiel das Dessin
                              										Fig. 59 und zwar das Stückchen vom Mittelfaden I
                              									bis IX und vom Schlingschuss 6 bis 7. Das Arbeiten am Stuhle von „unten nach
                                 										oben“ und gleichartig wie geschrieben und gelesen wurde – von „rechts
                                 										nach links“. Nehmen wir ferner an, dass ein Faden oder Quadrat in Fig. 59 aber vier
                              									Kettenfäden und bei starkem Schlingschuss bloss 2 Schlingschuss bedeutet, so
                              									erhalten wir ein Bild, wie es die Fig. 61 bietetMit einer Kette 20/2 Baumwolle schwarz 2fach,
                                    											Grundschuss 1fach und starkes Teppichgarn, Kettendichte 10 Fäden, habe ich
                                    											nach dieser Methode das Dessin ca. 40 cm breit erzeugt und einen Stoff
                                    											erhalten, der auf den ersten Anblick vollkommen einem Knüpfteppiche ohne
                                    											Flor gleicht. Die untere Gewebeseite ist ripsähnlich. Trotz der Stärke hat
                                    											dieser Stoff einen schönen Faltenwurf.. Im vorhinein bemerke ich,
                              									dass durch den Grundschuss a und Anschlagen mit dem
                              									Rietblatt die Schlingschussreihe sich als ein breiterer Querstreifen senkrecht zur
                              									Kettenrichtung legt, und die Kettenfäden so auch der Grundschuss durch den
                              									Schlingfaden vollständig wie bei der „Knüpfarbeit“ gedeckt sind.
                           Der Vorgang bei der Arbeit ist der folgende: Nachdem man mit der Leinwandvorrichtung
                              									einige Grundschuss a gemacht hatte, nimmt man die Nadel
                              									mit dem schwarzen Schlingfaden, geht über Faden 1 bis 4, sticht zwischen Faden 4 bis
                              									5, geht zurück unter Faden 4 bis 1, wieder über 1 bis 4, sticht zwischen 4 bis 5,
                              									zieht den Faden an und lässt die Nadel frei unter dem Gewebe hängen. Nimmt nun die
                              									Nadel mit dem blauen Schlingfaden, sticht von unten zwischen Faden 4 bis 5, geht
                              									über Faden 5 bis 8, sticht zwischen 8 bis 9 nach unten, geht zurück unter Faden 8
                              									bis 5, sticht von unten zwischen 4 bis 5, geht über die Fäden 5 bis 12, sticht nach
                              									unten zwischen Faden 12 bis 13, geht zurück unter Faden 12 bis 9, sticht zwischen 8
                              									bis 9 von unten, geht über Faden 9 bis 12 und sticht zwischen 12 bis 13 nach unten
                              									und lässt die Nadel frei hängen u.s.w. Nimmt man in der Reihe b1 für jede Farbe eine
                              									andere Nadel (damit die untere Gewebeseite rein sein wird), so arbeitet man
                              									schliesslich mit 17 Nadeln, bis der ganze Querstrich b
                              									über die Gewebebreite fertig ist. Jetzt macht man den Grundschuss x und schlägt alles kräftig an den Geweberand an.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 191
                              Fig. 60.
                              
                           Alle Nadeln hängen unter dem Gewebe frei herunter oder man kann sie, um die
                              									Saumleiste gehend, auf dem Stoff oben liegen lassen. Nun kann man die Arbeit auf
                              									zweierlei Art fortsetzen: man geht mit dem Schlingfaden von links nach rechts, in
                              									gleicher Weise zurück, mit a) der letzten Nadel links oder b) der ersten Nadel
                              									rechts beginnend. Nehmen wir den Fall b): Man sticht mit der Nadel, unter
                              									Grundschuss x gehend, zwischen Faden 5 bis 4 nach oben,
                              									geht über Faden 4 bis 1, sticht nach unten, geht unter die Fäden 1 bis 4 zurück,
                              									sticht wieder zwischen 5 bis 4 nach oben und geht jetzt über Faden 4 bis 1 und lässt die Nadel
                              									hängen. Nimmt jetzt die Nadel mit dem blauen Faden, sticht, unter x gehend, zwischen Faden 12 bis 13 herauf, geht über
                              									Faden 12 bis 9, sticht nach unten, geht zurück unter Faden 9 bis 12, sticht zwischen
                              									12 bis 13 herauf, geht über die Fäden 12 bis 5, sticht nach unten, geht zurück unter
                              									Faden 5 bis 9, sticht zwischen 8 bis 9 nach oben, geht über Faden 8 bis 5 und sticht
                              									nach unten. So geht man mit jeder Nadel weiter, bis Querstrich b2 gemacht ist. Nun
                              									schiesst man den Grundschuss a2, schlägt alles kräftigst an und befolgt die
                              									gesagte Ordnung durch die ganze folgende Arbeit.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 311, S. 192
                              Fig. 61.
                              
                           Fassen wir nun kurz die Resultate der Untersuchungen zusammen, so kommen wir zu den
                              									folgenden Endschlüssen:
                           Im alten Aegypten wurde bereits früher als 3000 Jahre v.
                              									Chr. die Leinpflanze kultiviert, die Flachsfaser
                              									gewonnen, versponnen und verwoben. Bereits zur Zeit der 6. DynastieDie Erbauer der Pyramiden bei Kairo sind
                                    											Könige der 4. Dynastie (3100 bis 5000 v. Chr.). war die
                              									Flachskultur auf hoher Stufe, indem diese, auf die Faserfeinheit einwirkend,
                              									verursachte, dass man in sehr vielen Fällen eine noch
                                 										feinere Faser (unter 10 mm) findet, als man gegenwärtig beim feinsten
                              									belgischen Flachs gewohnt ist. Bereits zur selben Zeit wurden aus der Flachsfaser
                              									ausserordentlich feine Garne gesponnen und zwar in dem Grade, dass 1 kg Garn eine
                              									Fadenlänge von mehr als 200 km enthältFäden,
                                    											die noch mit einer Feinheitsnummer verglichen werden konnten, entsprachen
                                    											240 km. und der Durchmesser des jetzt als feinst bezeichneten marktfähigen Leinengarns immer noch doppelt so gross ist, als dies bei dem feinen
                              									ägyptischen Garn der Fall gewesen.
                           Aus diesen ganz feinen Garnen fertigte man bereits in den frühesten Zeiten äusserst
                              									feine, vorzüglich schleierartige Gewebe, die jeden Vergleich mit dem feinsten
                              									indischen Musseline aushalten und die damals übliche Bezeichnung „gewebte
                                 										Luft“ rechtfertigen. Wie wir wissen, hat sich die Erzeugung dieser feinen
                              									Gewebe in Aegypten mindestens durch 2600 Jahre auf gleicher Stufe der Vollkommenheit
                              									erhalten.
                           Die Annahme ist gerechtfertigt, dass man mit ByssusUntersuchungen an Geweben, die als Byssus uns
                                    											überliefert worden von F. Bock in Aachen, haben
                                    											das gleiche Resultat geliefert. höchst wahrscheinlich diese
                              									feinen Leinengewebe verstanden hat, beinahe gewiss, wenn man ein ägyptisches
                              									Erzeugnis hiermit meinte.
                           Aber nicht nur schleierartige Gewebe wurden aus den feinsten Garnen erzeugt, sondern
                              									auch sehr dichteGewebe Nr. 886 hat bei einer Garndicke Nr. 160
                                    											– 180 engl. eine Kettendichte von 84 Fäden, ist sehr regelmässig erzeugt und
                                    											schön. Schussdichte 28 – 30 Fäden., so dass man erstaunt
                              									fragen muss, wie es wohl möglich gewesen, dass ein Weber zur Zeit Seti I., also vor etwa 3200 Jahren, eine so feine und
                              									regelmässig dichte Leinwand erzeugen konnte, die der beste schlesische Leinwandweber
                              									heute unmöglich zu stände bringen würdeAus dem
                                    											feinsten Baumwollgarn 240/2, also etwa 200 km auf 1 kg Gewicht, habe ich das
                                    											Gewebe Nr. 62 der Sammlung kopiert. Das Resultat ist sehr schön gewesen,
                                    											doch das Original noch weit nicht erreicht worden..
                           Es erscheint die Annahme begründet, dass nicht nur das Totenkleid, sondern auch das
                              									Kleid der Lebenden im alten Aegypten ausschliesslich Leinengewebe gewesenNach Ueberlieferungen hat auch Pharao den Juden das Tragen der Leinenkleider
                                    											verboten – eben damit sie sich von den Aegyptern auch in der Kleidung
                                    											unterscheiden.. Nach den verschiedenen Abbildungen an
                              									Gräberwänden waren die Webstühle und Web Vorrichtungen im alten Aegypten sehr
                              									einfach. Es scheint, dass ursprünglich die Webvorrichtungen horizontalAus der Zeit der 12. Dynastie, etwa 2400 v.
                                    											Chr., hatten sich die Ermahnungen eines gewissen Dũaũ an seinen Sohn erhalten, in denen auch folgender Satz
                                    											vorkommt: Der Weber ist unglücklicher als ein Weib, er hat die Kniee stets
                                    											bis zum Kinn langend... u.s.w. Hieraus ist ersichtlich, dass der Weber ein
                                    											Mann gewesen und nicht gesessen, sondern beim Weben hocken musste.Die
                                    											Wandbilder aus den Gräbern bei Beni-Hassan (frühestens aus der Zeit der 11.
                                    											Dynastie) zeigen spinnende und webende Frauen (vgl. Fig. 40). Auch
                                    											da ist noch der Webstuhl horizontal. angeordnet gewesen und erst
                              									später, etwa im mittleren und neuen Reiche (von der 11. Dynastie angefangen), der
                              									aufrecht stehende WebstuhlFig. 42, einen
                                    											aufrecht stehenden Stuhl mit arbeitendem Manne darstellend, stammt aus der
                                    											Zeit des neuen Reiches aus Theben, daher frühestens 1700 v. Chr.
                              									in Benutzung kam. Das Spinnen und Weben war in frühesten Zeiten allgemein eine
                              										FrauenarbeitAus alten
                                    											ägyptischen Texten ist ersichtlich, dass die Frauen in frühesten Zeiten das
                                    											Spinnen und Weben allgemein besorgt haben. Hatten schon die grossen
                                    											Göttinnen Iri und Neith für ihren Bruder und Gatten Osiris gesponnen und gewebt; das bildliche Zeichen für Neith war ein Webeschützen. gewesen,
                              									erst später wird allgemein vom WeberNach „Erman“ findet man aus der Zeit der 20.
                                    											Dynastie, etwa 1250 v. Chr., zu Abydos Totenstelen von Leuten, die direkt
                                    											die Weberei als ihren Stand angeben; ihre Frauen waren Sängerinnen des Osiris gewesen. Es ist hieraus auch
                                    											ersichtlich, dass die Weber im neuen Reiche keine Leibeigene, sondern freie
                                    											Männer gewesen.Herodotus spricht ja auch
                                    											verwundert aus, dass in Aegypten die Männer zu Hause arbeiten und weben, die
                                    											Frauen dagegen auf den Markt gehen. Wenn Herodotus etwa 487 v. Chr. geboren wurde, so ist er frühestens 454
                                    											v. Chr., also zur Zeit der persischen Herrschaft in Aegypten
                                    										gewesen. und nicht von der Weberin gesprochen.
                           Mit diesen einfachen Webevorrichtungen wurden auch nahtlose Kleider – doch gewiss
                              									Schläuche erzeugt, die nichts anderes als eine Spezies dieser Gewebegattung sind. Es
                              									wird durch dieses interessante Gewebe der Sammlung die bisherige Annahme geschwächt,
                              									dass man den Hebräern in Palästina die Priorität in der Erzeugung der nahtlosen
                              									Kleider einräumen muss. Wenn auch dieses Gewebe aus der Zeit der 22. Dynastie (um
                              									950 v. Chr.) und der Exodus der Juden in der Zeit der 19. Dynastie (etwa 1300 v.
                              									Chr.) erfolgte, so hat man keine Anhaltspunkte, die beweisen würden, dass die
                              									Aegypter diese Erzeugungsart von den Juden gelernt hätten. Dieses Gewebe ist das
                              									erste Exemplar überhaupt, welches auf die Erzeugung der Hohlgewebe in Aegypten
                              									direkt hindeutet.
                           Aus den Abbindungen bei den Fransengeweben, die sich selten bei zwei Geweben in
                              									gleicher Art wiederholen, kann auch darauf geschlossen werden, was früher schon
                              									bewiesen erscheint, nämlich, dass die Weber im neuen Reiche (von der 18. Dynastie
                              									an) einen Stand bildeten, die Weberei vom Vater auf den Sohn sich vererbte, und
                              									dadurch eine Individualität, ein hoher Grad von Verständnis bei der Stellung der
                              									Erzeugungsdaten ausgebildet werden konnte.
                           Die Gewebereste Nr. 214 und 215 der Sammlung (siehe Fig. 33 und 34) sind bedruckte
                              									Stoffe. Wenn auch diese Gewebe in Gräbern aus der Zeit der griechisch-römischen
                              									Herrschaft gefunden wurden, so hat es doch den Anschein, dass das Bedrucken der
                              									Stoffe in Aegypten früher schon bekannt gewesen und die genannten Proben des
                              									Zeugdruckes Wenig gelungen genannt werden dürfen und von einer wenig geschickten
                              									Hand herrühren.
                           Dagegen findet man gelungene bemalte Stoffe in der Sammlung. Von der Mumie des Königs
                              										Thutmes III. aus der Zeit der 18. Dynastie hat sich
                              									eine lichtrot gefärbte Leinwand erhalten, von der ein Stück auf lichtblauem Grunde
                              									gelbe Sterne zeigtNr. 61 der Sammlung.
                                    											Höchstwahrscheinlich ein Leichentuch, mit dem man Mumien zu bedecken
                                    											pflegte. Auch der Baldachin der Prinzessin Isemchebt ist blau in der Grundfarbe Und die beiden Seitenteile
                                    											sind mit gelben Sternen besät.. Die bemalte Stelle wurde zuerst
                              									mit Gipsmasse behandelt, die die Zwischenräume des Gewebes vollends ausfüllte, und
                              									darauf kam die lichtblaue Farbe und auf diese die gelben Sterne. Die Farben sind
                              									sehr gut erhalten, doch das bemalte Gewebestück hat stark gelitten.
                           Ein anderes Gewebe, Nr. 95 der Sammlung, ist eine gut erhaltene und feste Leinwand
                              									aus der Zeit der 22. Dynastie, die höchst wahrscheinlich Texte mit Zeichnungen der
                              										TotenbücherDie Decke eines
                                    											Zimmers in der Stufenpyramide von Sakkara hatte dieselbe Dekoration, blauen
                                    											Grund mit fünfzackigen Sternen besät. enthält. Ueber dem Texte
                              									(in der Kettenrichtung) sieht man auf einem tischartigen Geräte (Totenbett?) einen
                              									Schakal (Gott Anubis?) und zu beiden Seiten aufrecht stehende Mumien. Es ist alles
                              									mit schwarzer Farbe sehr sicher und elegant gezeichnet, die Konturen sehr scharf.
                              									Die einzelnen Beispiele, die ich von den Farbmustern bei den Fransengeweben erwähnt
                              									habe, deuten sehr oft auf einen feinen Geschmack für Farbenzusammenstellungen, und
                              									in vielen Fällen ist die erhaltene Frische der Farbtöne nahezu überraschend.
                           Nebst bemalten und bedruckten Stoffen wurden auch wirkliche Kunstwebereien oder,
                              									besser gesagt, Muster-Webereien in Aegypten erzeugt und zwar schon zu einer Zeit
                              									ganz gewissDie Gewebe Nr. 90
                                    											und 91 der Sammlung stammen aus Gräbern der 22. Dynastie, also mindestens um
                                    											950 v. Chr. Der trojanische Krieg wird gewöhnlich in den Jahren 1193 bis
                                    											1184 v. Chr. angenommen., wo es erst an Stelle der vollen
                              									Finsternis der neolithischen Nacht Europas zu tagen begann. Und gewiss noch viel
                              									früher, als die Reste der Sammlung bestätigen, wurden in Aegypten Musterwebereien
                              									gemacht. Wenn wir die Anzeichen unberücksichtigt lassen, die den Einfluss der
                              									ägyptischen Zivilisation in manche Gebiete der Kunst erkennen lassen, so müssen wir
                              									uns doch gestehen, dass die Textilkunst der alten Aegypter Weit über die Grenzen des
                              									Nilthales hinaus ihren Einfluss ausgeübt hatteNach
                                    												Sir George Birdwood in seiner Monographie:
                                    												„Alter und Ursprung der Manufaktur orientalischer
                                       											Prachtteppiche“, Worin Memphis, Theben, Babylon und Ninive die ersten
                                    											vier Erzeugungsorte gewesen. Von da verbreitete sich die Erzeugung nach Orten,
                                    											woselbst sich der primitive Nil-Typus diese Textilprodukte sehr lange
                                    											erhielt..
                           Wenn wir überhaupt den auf verschiedene Art erzeugten Stoffen, die zur
                              									Wandbekleidung, als Vorhang an Thüren und Fenstern oder als Fussbodenbelag
                              									Verwendung fanden, den Namen TeppicheDie
                                    											Völker des Altertums machten keinen strengen Unterschied zwischen wirklichen
                                    											Teppichen und anderen Tapisserien, also Tischtüchern, Bettdecken, Vorhängen
                                    											und hängenden Stoffen aller Art. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts
                                    											verstand man unter dem Wort Teppich irgend eine Art Decke gestickt oder
                                    											gewebt, die die verschiedenste Verwendungsart hatte. Erst im gegenwärtigen
                                    											Jahrhundert bedeutet das Wort „Teppich“ ausschliesslich einen
                                    											Bodenbelag. belassen, so wurden diese bereits in den frühesten
                              									Zeiten in Aegypten angefertigtDie
                                    											altägyptische Ornamentik verleugnet niemals, wie schon Semper in seinem Werk „Der Stil“ (I.
                                    											Band: Die Textile Kunst) hervorgehoben hat, ganz ihren Ursprung. Dieser ist
                                    											in der Nachahmung von Flechtwerken und solchen Stoffen, die nach dem früher
                                    											Gesagten den Namen Teppiche im Altertum führten.So sind auch die
                                    											Ornamente im Ptah-hotep-Grabe aus der Zeit der
                                    											5. Dynastie, nun 4750 bis 5650 Jahre alt, nach Fig.
                                       												59 nichts anderes als gelungene Abbildungen von Teppichen, die im
                                    											Haushalte des reichen Grabeigentümers Verwendung gefunden haben.Ob
                                    											nun diese Teppiche nach Fig. 60 wirklich gewebte Stoffe sind oder nach der Art in Fig. 61 verfertigt wurden, kann an dieser
                                    											Thatsache nichts ändern..
                           Diese Teppiche waren dem HomerNach den
                                    											glaubwürdigsten Angäben des Herodotus blühte
                                    												Homer in der Mitte des 9. Jahrhunderts v.
                                    											Chr. und den Homeriden bestens bekannt.
                           Die geradezu einzige geographische Lage Aegyptens war die Ursache der raschen und
                              									seltenen Entwicklung der Zivilisation. An einem schmalen Isthmus gelegen, der zwei
                              									mächtige Kontinente verbindet und zwei Meere trennt, ist der grösste Teil des
                              									Handels zwischen Asien und Afrika und zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen
                              									Ozean stets durch Aegypten gegangen und bildete das Nilthal den Mittelpunkt der
                              									Erde. So konnte auch Aegypten die damals bekannte Welt mit seinen Erzeugnissen
                              									überfluten, wie es heute englische Industriezentren thun.
                           Endlich aus der Erzeugungsart nach Fig. 29 und Fig. 61 kann man auch annehmen, dass die Knüpfarbeit der heutigen Orientalen ihren Ursprung in
                              									einer Technik hatte, die an Geweben der 22. Dynastie, also 950 v. Chr., sich
                              									erhalten und gewiss schon viel früher in Aegypten bekannt gewesen.
                           Und so schliesse ich mit dem aufrichtigen Wunsche, dass die Resultate meiner
                              									bescheidenen Arbeit das Interesse wecken, in dieser bisher wenig beobachteten
                              									Richtung weitere Beiträge zu sammeln, indem ich die feste Ueberzeugung habe, dass es
                              									für einen Fachmann genug Material geben wird, das gesammelt und fachlich geordnet
                              									uns wertvolle Aufschlüsse über die Kunstweberei im alten Aegypten und über die
                              									Webereivorrichtungen dortselbst liefern könnte.