| Titel: | Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin 1899. | 
| Fundstelle: | Band 314, Jahrgang 1899, S. 161 | 
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                        Die Internationale Motorwagenausstellung zu
                           								Berlin 1899.
                        (Fortsetzung des Berichtes S. 145 d.
                           								Bd.)
                        Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin
                           								1899.
                        
                     
                        
                           Justus Waldthausen, München, hatte einen
                              									Benzinmotorwagen „Viktoria-Sun“ Nr. 1 nebst Motordrei- und -vierrädern,
                              									Automobilvoituretten u.s.w. ausgestellt.
                           Der „Viktoria-Sun”-Motorwagen bietet Platz für zwei Personen. Das Gefährt ist
                              									mit einem stark gebauten Motor montiert, der 1¾ bis 2  leistet.
                           Der Motor ist auf die vordere Wagenachse eingebaut; hieraus resultiert: eine
                              									vorzügliche Kühlung des Motors, der Sitz ist frei von jeder Erschütterung, durch die
                              									gleichmässige Belastung beider Achsen ist der Gang ein ruhiger und bleibt der Motor
                              									vollständig staubfrei.
                           Durch direkte Einwirkung der Lenkvorrichtung auf die Bewegung der Vorderräder ist
                              									eine absolut sichere und vorteilhafte Steuerung ermöglicht. Durch die auswechselbare
                              									Uebersetzung besitzt der Wagen alle Geschwindigkeiten bis zu 35 km, die nach
                              									Belieben durch die bequem vor dem Fahrer auf der Lenkstange angebrachten Hebel
                              									reguliert werden können.
                           Der „Viktoria-Sun“-Motorwagen nimmt alle Steigungen von 8 bis 10%; er nimmt
                              									ferner höhere Steigungen, wenn – wie dies ja auch mit Fuhrwerk mit besonders steilen
                              									Kämpen geschieht – ausgestiegen wird und man den Wagen lediglich hinauflenkt. Die
                              									bequeme Anbringung der Lenkstange ermöglicht dies ohne Schwierigkeit.
                           Die Zündung erfolgt durch elektrische Induktionszündung, zu deren Speisung
                              									Trokkenelemente dienen.
                           Der Motor wird durch Benzin in Thätigkeit gesetzt und zwar erfolgt rationellster
                              									Betrieb durch minimalen Benzinverbrauch, und reichen 5 l für 200 km reichlich aus,
                              									was auf die Stunde 25 bis 30 Pf. ausmacht. Der Motor arbeitet vollständig geruchlos,
                              									auch ist Explosionsgefahr vollständig ausgeschlossen.
                           Dadurch, dass alle mechanischen Teile auf die Vorderräder eingebaut sind, bleiben die
                              									Hinteren Räder frei, so dass ein höchst angenehmes Fahren in dem gut gefederten
                              									Wagen ermöglicht ist.
                           Das Gewicht des Motorwagens „Viktoria-Sun“, welcher in allen Staaten
                              									patentamtlich geschützt ist, beträgt nur 120 kg.
                           Die übrigen Erzeugnisse der Firma Justus Waldthausen,
                              									vor allem die Motordrei- und -vierräder, zeichneten sich ebenfalls durch gediegene
                              									und doch elegante Konstruktion vorteilhaft aus, während die Automobilvoituretten
                              									allgemein einen vorteilhaften Eindruck hervorbrachten.
                           Die Motorfahrzeugfabrik Heinle und Wegelin in
                              									Oberhausen-Augsburg hatte sich mit Motordreirädern mit Anhängewagen für Lasten und
                              									Personentransport an der Ausstellung beteiligt.
                           Die Ausführungsform ihrer Fahrzeuge (vgl. D. p. J. 1899
                              										311 * 154) weicht in ihren Hauptzügen wesentlich
                              									von den zahlreichen in der Ausstellung vertretenen Motordreirädern ab, die im
                              									allgemeinen nach dem französischen System de Dion et
                                 										Bouton gebaut wurden (Cudell u.s.w.). Die
                              									Versuche der Motorfahrzeugfabrik reichen übrigens in eine Zeit zurück, wo in
                              									Deutschland noch keine Firma sich mit derartigen leichten Motoren befasste. Dies
                              									gibt für die Funktion dieser Fahrzeuge schon im vorherein die Garantie einer grossen
                              									Sicherheit. Es ist der Gesellschaft weniger um zierliche Erscheinung zu thun
                              									gewesen, obwohl den Fahrzeugen eine gewisse Eleganz nicht abgesprochen werden darf,
                              									sondern unbedingte Zuverlässigkeit bei praktischer Verwendung ist der Grundsatz der
                              									Konstrukteure dieses Motors gewesen, und sie haben darum lieber der Zierlichkeit ein
                              									Opfer gebracht, um ein Motorrad zu liefern, das jedem Geschäftsmann jederzeit
                              									unbedingt zur Verfügung steht, mag er es nun mit tafelförmigem Anhängewagen als
                              									Lastentransportmittel (Fig. 90) oder als
                              									Personenanhängewagen für seine Familie benutzen. Die Fahrzeuge sind in allen Teilen
                              									gediegen konstruiert und machen einen gefälligen Eindruck.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 161
                              Fig. 90.Transportwegen von Heinle und Wegelin.
                              
                           Bei Verwendung der Personenanhängewagen bietet sich hier ausserdem eine
                              									Annehmlichkeit, wie sie kein anderes Motordreirad aufwies. Da nämlich alle Teile des
                              									Motors sich innerhalb des Rahmenrhomboides befinden, ist die Hinterradachse fast
                              									völlig frei, so dass sich hinter dem Sattel des Motorlenkers bequem noch ein kleiner
                              									Sitz für ein Kind oder für eine leichte Person in der Weise anbringen lässt, dass
                              									bei Benutzung des Anhängewagens das ganze Gefährt als ein fünfrädriger
                              										„Viktoriawagen“ mit Vorspann erscheint. Ein Personenwagen dieser Art kann
                              										überdies mit
                              									Zeltverdachung versehen werden und bildet auf diese Weise einen zierlichen leichten
                              									Sportwagen, der alle Steigungen auf Heerstrassen bis zu 12% nimmt. Mit Tafelwagen
                              									verbunden, zieht der Motor Gepäckstücke bis zum Gewicht von 12 Zentner auf
                              									leidlichen Strassen. Die Zweckmässigkeit dieses Transportwagens ist durch
                              									verschiedene Versuche bewiesen worden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 162
                              Fig. 91.Elektrisch betriebener Omnibus der Gesellschaft für
                                 										Verkehrsunternehmungen.
                              
                           Die Gesellschaft für Verkehrsunternehmungen in Berlin
                              									hatte sich mit zahlreichen elektrisch betriebenen Motorfahr zeugen an der
                              									Ausstellung beteiligt. Die Firma befasst sich vornehmlich mit der Herstellung von
                              									offenen und geschlossenen Omnibussen, offenen und geschlossenen Droschken, Sport-
                              									und Jagdkutschen, Gepäck- und Pakettransportwagen, Gesellschafts- und Hotelwagen
                              									sowie Motorbooten für 2 bis 100 Personen.
                           Der elektrische Omnibus dieser Gesellschaft (Fig. 91)
                              									bietet Platz für 18 Personen, und zwar finden 12 Personen im Innern des
                              									geschlossenen Wagens Unterkunft, während die übrigen 6 Personen auf der Plattform
                              									untergebracht werden können.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 162
                              Fig. 92.Erste Ladestation für elektrisch betriebene Omnibusse.
                              
                           Das Ladegewicht des elektrischen Omnibusses beträgt 3000 kg; der Akkumulator reicht
                              									mit einer Ladung nur für 20 km aus und ist auch nicht für Zurücklegung grösserer
                              									Entfernungen bestimmt, da im Stadtverkehr eine eigene Ladestation für ihn vorgesehen
                              									ist. Dieselbe befindet sich als erste in Berlin, in einem kleinen Holzkiosk am
                              									Anhalter Bahnhof (Fig. 92) und beherbergt zudem
                              									Sicherungen, Schalt- und Kühlapparate; der Strom wird dem Omnibus aus dem
                              									städtischen Kabel zugeführt. Bemerkenswert ist auch bei diesem elektrischen Omnibus
                              									die Einrichtung, dass die vordere Plattform nur für den Kutscher reserviert
                              
                              									ist. Die Vorderachse ist zum Befahren schiefer Ebenen durch eine pendelnde
                              									Aufhängungsart eingerichtet und mit je einem Gelenk an den Enden zur Lenkung der
                              									Wagenräder versehen.
                           Auf- der Hinterachse befindet sich der federnd aufgehängte Hauptschlussmotor zum
                              									Antrieb je eines Hinterrades. Die übrigen Lenkungs-, Steuerungs- und Schaltapparate
                              									befinden sich auf dem Vorderperron.
                           Die Ladung der Batterie vermitteln vier Kontaktbügel, welche sich auf dem Wagen
                              									befinden und sich selbstthätig an die Ladeschienen anlegen. Die Erzielung der
                              									verschiedenen Geschwindigkeiten wird durch vier Schaltungsarten der Batterie mit dem
                              									Motor ermöglicht, indem die Batteriehälften bald parallel und bald in Serie
                              									geschaltet werden. Acht dieser Omnibusse vermitteln für die Allgemeine Berliner Omnibusgesellschaft zur Zeit den Betrieb zwischen dem
                              									Anhalter und dem Stettiner Bahnhof, und zwar zur allgemeinen Zufriedenheit.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 162
                              Fig. 93.Gesellschaftswagen (Motorequipage) der Gesellschaft für
                                 										Verkehrsunternehmungen.
                              
                           Die Gesellschaft für Verkehrsunternehmungen, welche von
                              									den Akkumulatorenwerken System Pollak, der Deutschen Gesellschaft für elektrische Unternehmungen,
                              									der Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vorm. W. Lahmeyer
                              									in Frankfurt a. M., der Gesellschaft für elektrische
                                 										Unternehmungen in Berlin, der Motorfahrzeug- und
                                 										Motorenfabrik in Marienfelde, der Aktiengesellschaft Siemens und Halske in Berlin, der Union Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin, der Wagenbauanstalt und Waggonfabrik für elektrische Bahnen
                                 										vorm. W. C. F. Busch in Hamburg und Bautzen und einer Finanzgruppe in
                              									Frankfurt a. M. und Berlin gegründet wurde, ist im Besitze der wichtigsten Patente
                              									und Gebrauchsmustern und ausserdem Mitinhaberin der Licenz für Deutschland und
                              									Oesterreich-Ungarn, der Columbia-Company in Hartford
                              									(Amerika) für elektrische Motorfahrzeuge. Infolgedessen umfasst die Firma in ihrem
                              									Verwendungsgebiet der Konstruktionen eine Vielseitigkeit, wie kaum eine andere
                              									Gesellschaft des elektrischen Motorwagenbaues. Offene und geschlossene Equipagen
                              										(Fig. 93), Jagd- und Sportwagen für 2 bis 4
                              									Personen (Fig. 94), Breaks und Gesellschaftswagen für
                              									10 bis 12 Personen, Hotelwagen für 10 bis 20 Personen (Fig.
                                 										95), Gepäckwagen für 300 bis 1500 kg Nutzlast (Fig. 96) und die elektrischen Boote sind durchweg solide gearbeitet und
                              									wirklich vornehm ausgestattet. Diese elektrischen Fahrzeuge sind sämtlich vorzüglich
                              									durchgebildet und sozusagen wie aus einem Guss hergestellt. Jedes Detail ist für
                              									sich und in Verbindung mit den anderen erwogen und abgemessen. So ist ein Ganzes
                              									entstanden, das den höchsten Anforderungen an solide und dauerhafte Konstruktion,
                              									einfache Handhabung, sicheres Fahren und Lenken, leichte Instandhaltung und billigen
                              									Betrieb gerecht wird.
                           Allgemein interessierte das ausgestellte Motorboot der Gesellschaft für Verkehrsunternehmungen (Fig.
                                 										97). Das Motorboot, „Nixe“ getauft, bietet genügend Baum für 30 Personen und
                              									zeichnet sich durch gleichmässig ruhige Gangart sowie grosse Geräuschlosigkeit
                              									vorteilhaft aus. Der den Petroleummotorbooten anhaftende lästige Geruch entfällt bei
                              									diesen Booten vollständig.
                           Im Vergleich zu den Petroleumbooten ist ferner hervorzuheben, dass das elektrische
                              									Motorboot mit Belastung anläuft, und dass seine Tourenzahl in den weitesten Grenzen
                              									regulierbar ist, während die Geschwindigkeit des Petroleummotors nicht verändert
                              									werden kann, noch derselbe belastet anläuft, weswegen eine Kuppelung zum Ausrücken
                              									des Petroleummotors notwendig und zur Erzeugung verschiedener Geschwindigkeiten ein
                              									kompliziertes Uebersetzungsgetriebe notwendig ist. Durch diesen Umstand allein schon
                              									wird die Manipulation bei dem elektrischen Boote eine ungemein einfachere und
                              									insbesondere auch saubere, weil das bei Petroleummotoren erforderliche Anwärmen der
                              									Glührohre bezw. Petroleumbehälter bei den elektrischen Motoren wegfällt. Eine
                              									Hebelbewegung genügt und die in den Batterien aufgespeicherte Kraft dreht auch
                              									bereits die Schiffsschraube. Die Kapazität der 88 Zellen starken Batterie treibt das
                              									Boot mit einer Geschwindigkeit von 12 km pro Stunde durch das Wasser und reicht für
                              									eine Spazierfahrt von ungefähr 55 km, also rund 5 Stunden, vollständig aus.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 163
                              Fig. 94.Viersitziger Jagdwagen der Gesellschaft für
                                 										Verkehrsunternehmungen.
                              
                           Die Steuerung ist leicht und sicher zu bewerkstelligen und von jedem Laien
                              									auszuführen. Auch die Bedienung des elektrischen Motorbootes ist eine einfache und
                              									leichte.
                           Uebrigens hat die Gesellschaft für
                                 										Verkehrsunternehmungen auf Grund der erfolgreichen Versuche den Bau von
                              									grösseren Typen in Angriff genommen, welche 75 bis 80 km Fahrt mit einer Ladung der
                              									Akkumulatoren machen können. Als Verkehrsboote in Häfen, auf Seen und Flüssen Listen
                              									diese elektrischen Motorboote gute Dienste; aber auch zum Vergnügen für Vereine und
                              									Private, zum Sport beim Jagen und Fischen, wobei die Geräuschlosigkeit ganz
                              									besonders wertvoll ist, dürften die elektrischen Boote Beifall finden.
                           Die Gesellschaft hatte auch einen grossen elektrisch angetriebenen Paketbestellwagen
                              										(Fig. 98) zur Ausstellung gebracht. Das Aeussere
                              									des elektrischen Postwagens der genannten Gesellschaft war den bei der
                              									Reichspostverwaltung in Gebrauch befindlichen Paketbestellwagen nachgeredet. Das
                              									Gewicht des gesamten Wagens beläuft sich auf 80 kg, die Nutzlast beträgt 1000 kg und
                              									das Gewicht der Akkumulatorenbatterie 800 kg. Der Wagen entwickelt eine
                              									Geschwindigkeit von 14 bis 16 km pro Stunde, je nach dem Grade der Belastung. Die
                              									Kapazität der Akkumulatoren reicht aus für eine Fahrt von 30 km. Die Ladung der
                              									Akkumulatorenbatterie erfolgt in einfacher Weise durch Steckkontakt.
                           Der Antrieb des Wagens erfolgt durch zwei Elektromotoren von je 2½ , von
                              									denen jeder je ein Hinterrad mittels einfacher Zahnradübertragung in Bewegung
                              									setzt. Diese Anordnung der Motoren ermöglicht es bei dem Durchfahren von Kurven, dem
                              									aussen laufenden Rade selbstthätig eine grössere Geschwindigkeit zu geben, da der
                              									Motor des Aussenrades infolge der geringeren Belastung von selbst schneller läuft
                              									als der Motor des stärker beanspruchten Innenrades.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 163
                              Fig. 95.Hotelwagen der Gesellschaft für Verkehrsunternehmungen.
                              
                           Steuerung und Fahrschalter sind an der Steuersäule vereinigt. Für die Vorwärtsfahrt
                              									sind vier Geschwindigkeiten vorgesehen, ausserdem sind zwei, elektrische
                              									Bremsstellungen und eine Rückwärtsstellung vorhanden. Alle diese Schaltungen werden
                              									mit nur einem Hebel bethätigt, so dass dem Wagen eine ausserordentlich grosse
                              									Manövrierfähigkeit innewohnt. Ausser der elektrischen Bremsvorrichtung besitzt der
                              									Wagen eine sehr wirksame mechanische Fussbremse, die ebenfalls von dem Führersitz
                              									aus bequem in Thätigkeit gesetzt werden kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 163
                              Fig. 96.Elektrisch betriebener Pakettransportwagen für 1000 kg Nutzlast
                                 										der Gesellschaft für Verkehrsunternehmungen.
                              
                           Die Beleuchtung des elektrischen Postwagens erfolgt durch elektrische Glühlampen; das
                              									Warnungssignal gibt der Führer durch eine stark tönende, weithin vernehmbare
                              									elektrische Glocke.
                           Der Akkumulatorenraum befindet sich vorn unter dem Führersitz; er ist säurefest
                              									ausgestrichen und durch zwei bis über die Decke des Wagens führende
                              									Ventilationsschächte gelüftet. Zum leichten Herausnehmen und Hineinsetzen der Batterien sind
                              									auf beiden Seiten des Akkumulatorenraumes Klappen angebracht. Ausserdem ist der
                              									Führersitz zum Aufklappen eingerichtet, damit dem Führer die Batterie auch während
                              									der Fahrt leicht zugänglich bleibt. Letzteres ist zur schnellen Beseitigung etwaiger
                              									kleiner Betriebsstörungen, deren Ursache die Batterie bildet, von besonderem
                              									Werte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 164
                              Fig. 97.Motorboot, gebaut von der Gesellschaft für
                                 										Verkehrsunternehmungen.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 164
                              Fig. 98.Postwagen der Gesellschaft für Verkehrsunternehmungen.
                              
                           Grösse Sorgfalt ist der Abfederung des Wagens gewidmet. Hinter die üblichen
                              									Blattfedern sind nochmals Spiralfedern geschaltet, und zwar in der Weise, dass das
                              									Untergestell gegen die Achse durch Spiralfedern und das Obergestell durch
                              									Plattfedern abgefedert ist. Die beiden Elektromotoren hängen schwingend um die
                              									Hinterachse abgefedert im Untergestell. Auf diese Weise ist die denkbar grösste
                              									Gewähr für die Lebensdauer des Mechanismus und der Batterie geschaffen und die
                              									Gefahr, welche demselben durch die fortwährenden Stösse auf dem Strassenpflaster
                              									erwächst, auf das Aeusserste beschränkt worden.
                           Das Untergestell dieses elektrischen Paketbestellwagens ist vollständig ausgebildet,
                              									so dass das vorhandene Postwagenmaterial der Behörde in leichter Weise für den
                              									elektrischen Betrieb umgebaut werden kann.
                           Die Anschaffungskosten dieses elektrischen Postwagens belaufen sich jetzt auf rund
                              									10000 M. Es wird aber voraussichtlich möglich sein, diesen Preis künftig nicht
                              									unwesentlich zu ermässigen. Unter Zugrundlegung des Preises von 10 Pf. für die
                              									Kilowatt-Stunde berechnen sich die Ausgaben für den Stromverbrauch per Kilometer
                              									Fahrt auf 4,7 Pf. Dieser geringe Betrag wird sich aber noch sehr ermässigen, wenn
                              									das zur Bedienung dieser elektrischen Wagen bestimmte Postpersonal technisch so weit
                              									geschult wird, dass die Stromvergeudung, welche bei der Ladung der Batterie u.s.w.
                              									im Falle nicht ganz sachkundiger Behandlung eintritt, und die bei unserer Berechnung
                              									auf 40% des gesamten Ladestromverbrauches veranschlagt ist, auf ein geringes Mass
                              									zurückgeführt werden kann.
                           Dieser elektrische Postpaketwagen der Gesellschaft für
                                 										Verkehrsunternehmungen durchläuft zur Zeit planmässig bestimmte
                              									Strassenzüge und entledigt sich seiner Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit, so
                              									dass in nächster Zeit die Einstellung mehrerer solcher Motorwagen seitens der
                              									Postbehörde erfolgen dürfte.
                           Die Abteilung für elektrische Bahnen der Aktiengesellschaft
                                 										Siemens und Halske hatte in der offenen Halle für fahrende Wagen ihren
                              									neuen, allen Anforderungen genügenden elektrischen Strassenbahnomnibus (Fig. 99) zur allgemeinen Besichtigung untergebracht.
                              									Dieser Strassenbahnomnibus ist bereits von Vertretern der Berliner städtischen
                              									Verkehrsdeputation, sowie von dem Berliner Polizeipräsidium eingehend zur vollsten
                              									Zufriedenheit der Sachverständigen geprüft worden. Auf der Berliner
                              									Motorwagenausstellung wurde er im Betrieb vorgeführt und erntete eine ungeteilte
                              									Anerkennung.
                           Das Fahrzeug ist von neuer und eigenartiger Bauart und dürfte in der That eine Lücke
                              									unter den dem öffentlichen Verkehr dienenden Betriebsmitteln ausfüllen; es wird in allen Teilen in
                              									den Werkstätten der Aktiengesellschaft Siemens und
                                 										Halske hergestellt und von der Firma in Betrieb genommen. Dieser Omnibus
                              									unterscheidet sich von den bisher bekannten Fahrzeugen dieser Art (vgl. elektrischen
                              									Omnibus der Firma Lange und Gutzeit in D. p. J. 1899 314 * 62)
                              									dadurch, dass er mit zwei besonderen Leiträdern vor den vorderen Laufrädern und dem
                              									genügend bekannten Siemens-Bügel versehen ist, die ihm gestatten, sich nicht nur auf
                              									Strassen ohne Schienen, sondern auch auf den Geleisen einer Strassenbahn wie ein
                              									gewöhnlicher Strassenbahnwagen zu bewegen (Fig.
                                 									99).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 165
                              Fig. 99.Elektrisch betriebener Omnibus von Siemens und Halske.
                              
                           Dieser Omnibus vermag daher, indem er teils auf den Strassenbahnschienen, teils auf
                              									Strassen ohne Schienen lauft, auf kürzestem Wege sämtliche Stadtviertel zu
                              									verbinden, da er auch diejenigen, gewöhnlich im Mittelpunkt einer Grossstadt
                              									gelegenen Strassen benutzen kann, welche wegen ihrer geringen Breite oder grossen
                              									Verkehrsdichte der Durchführung von Strassenbahnen verschlossen sind. Auch das
                              									Kreuzen und Befahren der Strassen, in denen Strassenbahnen nicht angelegt werden
                              									dürfen, ist dem neuen Fahrzeug möglich, so dass auch durch solche Strassen mittels
                              									dieses Strassenbahnomnibusses durchgehende Verkehrsverbindungen gelegt werden
                              									können.
                           Bei der Fahrt auf den Geleisen einer Strassenbahn mit Oberleitung, wie sie nunmehr
                              									fast alle grösseren Städte besitzen, nimmt der Wagen den zu seiner Fortbewegung und
                              									zum Laden seiner Akkumulatoren erforderlichen Strom von dem Fahrdraht der
                              									betreffenden elektrischen Strassenbahn, während bei der Fahrt auf den schienenlosen
                              									Strassen die Leiträder hochgehoben sind, der Bügel niedergelegt wird und die
                              									Akkumulatoren den Strom für die Fahrt Hefern.
                           Hierdurch werden gegenüber den bisher bekannten elektrischen Automobilen die Vorteile
                              									erreicht, dass die Akkumulatorenbatterie leichter sein kann, dass der Stromverbrauch
                              									wegen des verminderten Widerstandes während der Fahrt auf dem Geleise geringer, der
                              									Gang des Fahrzeuges sanfter, eine grössere Fahrgeschwindigkeit möglich, und ein
                              									Aufenthalt zum Nachladen der Batterie an den Endpunkten der Fahrt entbehrlich
                              									ist.
                           Dieser Strassenbahnomnibus für „gemischten“ Betrieb, der nach den Angaben von
                              										Reichel, Oberingenieur der Siemens und Halske Aktiengesellschaft, ausgeführt wurde, hat eine Batterie
                              									von 200 Zellen, zu deren An- und Abschaltung, sowie zur Herstellung der
                              									erforderlichen Verbindungen zwischen Batterie, Motoren, Oberleitung und Fahrschalter
                              									ein besonderer Akkumulatorenschalter, welcher im Apparatraum angeordnet ist,
                              									dient.
                           Der daneben liegende Fahrschalter (Fig. 100) erhält
                              									seinen Strom durch einen über dem Dache des Führerstandes liegenden automatischen
                              									Handausschalter mit magnetischer Funkenlöschung und einen Notausschalter auf dem
                              									Hinterperron.
                           Die vier Motoren des Strassenbahnomnibusses (Fig.
                                 										101) können durch den Fahrschalter in verschiedener Weise bethätigt
                              									werden, um die verschiedenen Geschwindigkeiten, Vor- und Rückwärtsfahrt, Kurzschluss
                              									und die Gegenstrombremsung hervorzubringen. Besonders zu bemerken ist, dass die
                              									hinteren Motoren nach einem bestimmten Drehwinkel des Vordergestells automatisch
                              									völlig ausgeschaltet werden, um den Wagen nach Querstellung der Vorderachse um den
                              									Mittelpunkt der Hinterachse herumfahren zu können.
                           Jeder Motor (Fig. 101) hat eine Normalleistung von 4
                              									, während die Maximalleistung je 12 e beträgt.
                           Die Uebersetzung ist 1 : 8 unter Verwendung einfacher Stirnräder. Hinter der
                              									Vorderachse und vor der Hinterachse sind die Motoren zu je zweien, zu einem festen
                              									Ganzen vereint, pendelnd aufgehängt. Da alle Motoren parallel mit 500 Volt von der
                              									Oberleitung bezw. mit 360 Volt von den Zellen betrieben werden können, ist jedes
                              									Wagenrad von dem anderen unabhängig, so dass beispielsweise bei Glatteis oder
                              									Schneewetter die volle Adhäsion eines jeden Rades zum Antriebe ganz und gar in jeder
                              									Weise ausgenutzt werden kann.
                           Die Räder laufen um die Achse auf reichlich bemessenen Rollenlagern, welche sich auf
                              									längeren Fahrten in jeder Hinsicht ausserordentlich gut bewährt haben.
                           Die Federung des Strassenbahnomnibusses erfolgt auf tadellose Art nach dem bekannten
                              									Dreifedersystem mit langen Blattfedern.
                           Die Hinterachse ist fest mit dem Wagenkasten verbunden.
                           Die Vorderachse trägt unterhalb der Federlaschen zwei Oesen, an welchen die steifen
                              									Verbindungsstangen mit der vorderen Führungsachse angreifen. Die Führungsachse
                              									selbst wird durch zwei Blattfedern, welche wiederum an den Federlaschen befestigt
                              									sind, belastet, damit die kleinen Führungsräder nicht so leicht aus den Rillen der
                              									Schienen herausspringen können. Die Führungsachse wird durch eine Kette und eine
                              									Maxim-Schraubenwinde, deren Handrad ganz rechts am Vorderperron liegt, mit drei
                              									Umdrehungen der Handräder rund 10 cm von den Schienen abgehoben.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 165
                              Fig. 100.Fahrschalter für 2 Motoren Fahrschalter für 1 Motor von Siemens
                                 										und Halske.
                              
                           Für den Drehkranz des Vordergestells ist statt der üblichen gleitenden Reibung durch
                              									Anwendung von Kugeln eine rollende Reibung geschaffen. Dadurch geht die Lenkung bei
                              									der Fahrt so leicht, dass man bei einem Lenkrade von 30 cm Durchmesser den Wagen
                              									bequem mit einer Hand lenken kann. Die angewendete Uebersetzung und ein Handrad von
                              									60 cm Durchmesser wurden vorgesehen, um es unter den schwierigsten Verhältnissen dem
                              									Führer allein möglich zu machen, das Vordergestell bei Stillstand des Wagens ganz einzulenken.
                              									Der am Drehschemel befestigte Zahnkranz wird durch das vorgenannte Handrad mit
                              									horizontaler, in der Fahrtrichtung rechts am Vorderperron liegender Welle unter
                              									Vermittelung von zwei konischen und drei Stirnzahnrädern gedreht.
                           Als Bremsen sind vorgesehen: eine mechanische Klotzbremse, die auf die Hinterräder
                              									wirkt, für die betriebsmässige Benutzung dagegen eine elektrische Kurzschlussbremse,
                              									die an allen vier Rädern angreift und mit demselben Hebel des Fahrschalters, der auf
                              									Vorwärtsfahrt schaltet, bethätigt wird.
                           Die Beleuchtung des Wagens erfolgt im Inneren durch Wandarme und Ecklaterne, durch
                              									eine Decklampe auf dem Hinterperron und einen Scheinwerfer vor dem Vorderperron.
                              									Diese Beleuchtungskörper sind mit je einer 16 NK-Glühlampe versehen.
                           Dieser Strassenbahnomnibus kann auch in solchen Fällen, in denen aus irgend welchen
                              									Gründen in den Strassen wohl die Anbringung der Oberleitung gestattet ist, dagegen
                              									die Verlegung von Schienen nicht erlaubt ist, in etwas abgeänderter Bauart verwendet
                              									werden. Es kommen alsdann die Akkumulatorenbatterie und die Leitachse mit den
                              									Leiträdern in Fortfall. Der Omnibus entnimmt hierbei den Strom zu seiner
                              									Fortbewegung nur der Oberleitung, die für diesen Zweck zweidrähtig, für Hin- und
                              									Rückleitung des Stromes, ausgebildet sein muss und zwar mittels eines für solche
                              									zweipoligen Leitungen geeigneten, der Siemens und Halske
                                 										Aktiengesellschaft patentierten Bügels.
                           Bereits gegen Ende des Monats Juni dieses Jahres wurde der Strassenbahnomnibus einem
                              									Kreise massgeblicher Persönlichkeiten und sachverständigen Vertretern der Presse
                              									vorgeführt, um auch die ungeteilte Anerkennung der Fachleute in vollem Masse zu
                              									finden. Die von dem Fahrzeug erzielte Geschwindigkeit von 28 km in der Stunde, die
                              									überaus leichte Lenkbarkeit, der überraschend schnelle Uebergang von den Schienen
                              									der Strassenbahn auf die Strassendecke und umgekehrt, und die ausgezeichneten
                              									Bremsvorrichtungen fanden allgemeine Beachtung.
                           Ausser diesem elektrischen Strassenbahnomnibus, mit dem in der sogen. fahrenden
                              									Abteilung der Internationalen Motorwagenausstellung täglich Rundfahrten ohne irgend
                              									welche Störung unternommen wurden, waren in der ruhenden Abteilung der Ausstellung
                              									noch nachstehende Gegenstände ausgestellt:
                           1. Doppelmotoren D 14/8 für schwere Fuhrwerke bei Schwingenaufhängung und
                              									einfacher Zahnradübersetzung:
                           
                              
                                 Normalleistung:Dauerleistung:Höchstleistung:
                                 42½8½
                                 „„
                                 bei„„
                                 550650250
                                 Umdrehungen„„
                                 für je einenMotor
                                 
                              
                                 Spannung:
                                 150
                                 Volt
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                           2. Einzelteile zu solchen Doppelmotoren, wie Polgehäuse, vordere und hintere
                              									Lagerschilder bei einfacher und doppelter Zahnradübersetzung, Anker u.s.w.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 314, S. 166
                              Fig. 101.D 14/8 Motoren, 7,5 HP, 1000 Umdrehungen, für Einzelaufhängung
                                 										an Achse mit Sturz. Gewicht 330 kg von Siemens und Halske.
                              
                           3. Schalter für Serienschaltung von zwei Motoren und Batterie in einer Reihe für
                              									Stromstärken bis 300 Ampère und Spannungen bis 150 Volt (in ähnlicher Ausführung
                              									auch bis 500 Volt).
                           4. Schalter für einen Motor und Batterie in einer Reihe und für Stromstärken bis 150
                              									Ampère und Spannungen bis 150 Volt (in ähnlicher Ausführung bis 500 Volt).
                           5. Verschiedene Zubehörteile für elektrische Motorfahrzeuge jeder Art und Grösse, wie
                              									automatischer und Handausschalter für Stromstärken bis 300 Ampère und Spannungen bis
                              									500 Volt, Lichtausschalter, Anschlussdosen, Umschalter, Beleuchtungskörper jeglicher
                              									Art und Sicherungen.
                           Ferner wurden Spezialmessinstrumente ausgestellt, bestehend aus je einem
                              									Präzisionsvolt und Ampèremeter, weiterhin Galvanoskope.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)