| Titel: | Die Dampfmaschine als monocyklisches System betrachtet. | 
| Autor: | Viktor Fischer | 
| Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 485 | 
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                        Die Dampfmaschine als monocyklisches System betrachtet.
                        Von Ingenieur Viktor Fischer.
                        Die Dampfmaschine als monocyklisches System betrachtet.
                        
                     
                        
                           Zu der kleinen Betrachtung, die ich hier anzustellen gedenke, wurde ich bei der Lektüre von Boltzmann's Vorlesungen über Maxwell's Theorie der Elektrizität, I. Teil (Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1891), durch die bei Besprechung der Theorie der cyklischen Bewegungen auf S. 5 gemachte Aeusserung angeregt:
                           
                              „Räder mit Speichen oder Zähnen entsprechen unserer Definition nicht vollkommen, können aber doch als unechte Cykeln bezeichnet
                                 werden, insofern die Abweichungen nur unwesentliche Dinge betreffen; ja selbst Maschinen, bei denen wie beim Kolben der Dampfmaschine
                                 hin und her gehende, aber doch in kurzen Zeiträumen periodisch sich wiederholende Bewegungen vorkommen, dürften kaum ein von
                                 den Cykeln wesentlich abweichendes Verhalten zeigen.“
                              
                           
                              „Es wird daher wohl auch die noch wenig behandelte Mechanik der Cykeln in der praktischen Maschinenlehre von Nutzen sein.“
                              
                           Indem ich diese Mahnung des berühmten Physikers beherzigte, habe ich in dem folgenden versucht, die Dampfmaschine als monocyklisches
                              System darzustellen. Hierbei fand ich auch Gelegenheit zu einer Analogie mit elektrischen Erscheinungen, die ja gleichfalls
                              den Gesetzen für cyklische Bewegungen gehorchen.
                           Vorerst will ich in kurzen Worten das Wesentliche der cyklischen Bewegungen erläutern, wobei ich mich an das erwähnte Buch
                              von Boltzmann halte.
                           Eine cyklische Bewegung ist eine solche, bei deren Verlauf die einzelnen Teilchen des betrachteten Systems stets mit gleichen
                              und gleichbewegten Teilchen wechseln. Das einfachste Beispiel dafür ist eine mit konstanter Geschwindigkeit rotierende Scheibe.
                              Die Koordinaten, die den Bewegungsvorgang bestimmen, heissen die cyklischen, ihre Ableitungen nach der Zeit die cyklischen
                              Geschwindigkeiten. Sind die Geschwindigkeiten aller bewegten Teile von einer einzigen Geschwindigkeit abhängig, so heisst
                              das System ein monocyklisches, sind sie aber von mehreren Geschwindigkeiten abhängig, so spricht man von einem polycyklischen
                              System. Die rotierende Scheibe ist also ein Monocykel, und als ihre cyklische Geschwindigkeit kann die Winkelgeschwindigkeit
                              angenommen werden.
                           Wäre ein System nur durch seine cyklischen Geschwindigkeiten gegeben, so wäre seine Bewegung unveränderlich. Es treten aber
                              bei den Erscheinungen, die wir eben als cyklische bezeichnen, noch andere, sogen. langsam veränderliche Koordinaten, auch
                              Parameter genannt, auf, die die cyklischen Geschwindigkeiten derart beeinflussen, dass sowohl die Aenderungen der cyklischen
                              Geschwindigkeiten nach der Zeit, demnach die cyklischen Beschleunigungen, als auch die Aenderungen der Parameter nach der
                              Zeit gegenüber den cyklischen Geschwindigkeiten gering sind.
                           Bei der Dampfmaschine sind z.B. die cyklischen Beschleunigungen, also die Schwankungen der Kurbelgeschwindigkeit, gering gegenüber
                              der Geschwindigkeit selbst. Parameter ist hier der Abstand der Schwungkugeln des Fliehkraftreglers von dessen Achse.
                           Ich muss mich hier, um nicht zu weitschweifig zu werden, mit diesen wenigen Andeutungen begnügen und auf die einschlägige
                              Litteratur verweisen, glaube aber, dass dieselben zum Verständnis des Folgenden genügen werden.
                           Eins muss ich immerhin noch erwähnen. Man geht bei der Behandlung der cyklischen
                              Bewegungen von den allgemeinen dynamischen Gleichungen in der Lagrange'schen Form aus. Wenn ich dieselben hier auch anführe, so werde ich die folgenden einfachen Entwickelungen doch so führen,
                              dass sie auch denjenigen, die mit den Lagrange'schen Gleichungen nicht vertraut sind, vollkommen verständlich bleiben.
                           Die Ableitung der Lagrang'schen Gleichungen findet sich in zahlreichen Lehrbüchern, unter anderem in Föppl's
                                 											„Technischer Mechanik“, Bd. IV, Dynamik.
                           Sie lauten:
                           P=\frac{d}{d\,t}\,\frac{\delta\,L}{\delta\,l'}-\frac{\delta\,L}{\delta\,l} . . . . . 1)
                           Dabei bedeutet L die kinetische Energie des betrachteten Systems, l eine allgemeine Koordinate, l' ihre Ableitung nach der Zeit und P die Kraft, die an der betreffenden Koordinate angreift.
                           Bezeichnen wir nun bei einer cyklischen Bewegung die cyklischen Koordinaten und die Kräfte, die an denselben wirken, gleichfalls
                              mit l und
                              										L, während wir die Parameter k und die Kräfte, die an ihnen angreifen, K nennen, so lauten nach dem Vorhergehenden ihre allgemeinen Bewegungsgleichungen:
                           P=\frac{d}{d\,t}\,\frac{\delta\,L}{\delta\,l'} . . . . 2)
                           K=-\frac{\delta\,L}{\delta\,k} . . . . 3)
                           Die k' können wir eben vernachlässigen, und die l sind in dem Ausdruck für die kinetische Energie nicht enthalten. Mit anderen Worten: L = f (l1' k).
                           Führen wir in Gleichung 2) noch irgend einen Widerstand W ein, so geht dieselbe über in
                           P=\frac{d}{d\,t}\,\frac{\delta\,L}{\delta\,l'}+W . . . . 2a)
                           Wir wollen nun untersuchen, ob und wie weit diese Gleichungen Gültigkeit für die Dampfmaschine besitzen, inwiefern wir dieselbe
                              demnach als ein cyklisches System betrachten dürfen.
                           Vorerst wollen wir noch die Grösse jener Kraft bestimmen, die an einem beliebigen, um eine durch seinen Schwerpunkt gehende
                              Achse drehbaren Körper in der Entfernung r von dieser Achse wirken muss, um die Drehung des Körpers zu beschleunigen, oder um denselben aus der Ruhelage auf eine bestimmte
                              Rotationsgeschwindigkeit zu bringen.
                           
                           Nach dem Prinzip von der Erhaltung der Energie muss die hierbei aufgewendete Arbeit gleich sein der Erhöhung der kinetischen
                              Energie \frac{\Theta\,\omega^2}{2} des Körpers, wobei Θ das Trägheitsmoment und ω die Winkelgeschwindigkeit bedeutet, v = r ω sei die Geschwindigkeit in jener Entfernung r von der Achse, in welcher die äussere Kraft T in tangentieller Richtung auf den Körper wirke. Es gilt dann für ein Zeitdifferential
                           
                              T\,v\,d\,t=T\,r\,\omega\,d\,t=\Theta\,\omega\,d\,\omega=\Theta\,\frac{v}{r^2}\,d\,v
                              
                           T=\frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}=\frac{\Theta}{r^2}\,\frac{d\,v}{d\,t} . . . . . 4)
                           Man pflegt zwar bei Rotationen nur das Moment T r des auftretenden Kräftepaares in Betracht zu ziehen. Da es sich uns aber nicht um die Grösse dieses Momentes, sondern speziell
                              um die Grösse der im Radius r auszuübenden Kraft handelt, so wählen wir diese Darstellung, die ja an dem Wesen der Sache nichts ändert. Es ist die Kraft
                              selbst dem Radius verkehrt proportional, während das Moment für eine bestimmte Winkelgeschwindigkeit überall denselben Wert
                              hat.
                           Das in 4) erhaltene Resultat können wir nun sofort auf das Schwungrad anwenden, wenn wir dieses, sowie die mit demselben starr
                              verbundene Kurbel für sich betrachten. T bedeutet jetzt die durch die Schubstange auf den Kurbelzapfen, also im Kurbelradius r übertragene Tangentialkraft, Θ ist das Trägheitsmoment des Schwungrades, ω die Winkelgeschwindigkeit und v die Geschwindigkeit des Kurbelzapfens. Ausserdem wirkt im Kurbelzapfen entgegen der Tangentialkraft ein von den Formänderungsarbeiten
                              der Werkzeugmaschinen herrührender Widerstand W.
                           Wir können daher für die am Kurbelzapfen wirkenden Kräfte die Gleichung anschreiben
                           
                              \left{{T=\frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+W}\atop{T=\frac{\Theta}{r^2}\,\frac{d\,v}{d\,t}+W}}\right\ .\ .\ .\ .\ 2)
                              
                           Diese Gleichung sagt uns: Wenn T > W, ist
                              									\frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t} positiv, auf das Schwungrad wirkt jetzt eine beschleunigende Kraft T – W, wenn T < W, ist \frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t} negativ, auf das Schwungrad wirkt jetzt in umgekehrter Richtung eine verzögernde Kraft W – T.
                           In jenen Punkten, wo T = 0 also in den beiden Totlagen, wird
                           
                              \frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}=W.
                              
                           In diesen beiden Momenten rührt also die dem Widerstand W entgegenwirkende Kraft bloss von dem sich verzögernden Schwungrad her.
                           In den Punkten, wo T= W, wird
                           
                              \frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}=0.
                              
                           Hier geht der Wechsel zwischen Beschleunigung und Verzögerung vor sich, die Geschwindigkeit erreicht demnach in diesen Punkten
                              ihre Maximal- und Minimalwerte.
                           Die graphische Darstellung dieser Verhältnisse, sowie die Veranschaulichung des durch den stationären Zustand gleichzeitig
                              bedingten Energieausgleiches, ist uns durch das
                              										Radinger'sche Tangentialdruckdiagramm gegeben. Nehmen wir bei einem als konstant vorausgesetzten Widerstand die Widerstandslinie als
                              Abscissenachse an, so ergibt sich aus dem Diagramm direkt der Verlauf der Trägheitskräfte \frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}, bezogen auf den Weg des Kurbelzapfens.
                           In Bezug auf die Gleichförmigkeit des Ganges ersehen wir aus Gleichung 2 c) bereits die Thatsache, dass damit die Winkelbeschleunigungen
                              gering bleiben, die Geschwindigkeiten also nach einer möglichst flachen Kurve verlaufen sollen, das Trägheitsmoment des Schwungrades
                              dementsprechendgross sein muss, und dass ein kleiner Kurbelradius, mithin ein kleiner Kolbenhub jedenfalls günstig auf die Gleichförmigkeit
                              wirkt; obwohl der letztere Umstand weniger von Belang ist, da man den Hub ohnedies nicht grösser als notwendig macht.
                           Ein anderer Umstand wäre aber bezüglich der Gleichförmigkeit noch zu erwähnen. Wir haben bisher nur das Schwungrad in Betracht
                              gezogen. Nun ist dieses nicht die einzige rotierende Masse, sondern es rotieren mit ihm noch alle Riemenscheiben, Wellen u.s.w.,
                              und es werden alle in drehender Bewegung befindlichen Teile, deren Geschwindigkeit von der Winkelgeschwindigkeit der Kurbel
                              abhängig ist, die also mit beschleunigt und verzögert werden, gleichfalls zur Gleichförmigkeit des Ganges beitragen. Ich will
                              dies an einem einfachen Beispiel erläutern.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 315, S. 486
                              Fig. 1
                              
                           Wir hätten einen einfachen Riementrieb (Fig. 1) gegeben. Der Einfachheit halber wollen wir die Masse der Nabe und der Arme vernachlässigen, so dass für die kinetische Energie
                              der rotierenden Scheiben nur die Masse der beiden Ringe in Betracht kommt. Die Umfangsgeschwindigkeit vu muss für beide Scheiben gleich gross sein, wenn die Bewegung ohne Gleiten erfolgt, was wir voraussetzen wollen. An der einen
                              Scheibe sei im Abstand r vom Mittelpunkt ein Bolzen angebracht, an dem eine tangentielle Kraft
                              										T wirke. Wir fragen uns wieder, wie gross dieselbe sein muss, um die rotierenden Scheiben zu beschleunigen.
                           Die gesamte kinetische Energie L ist jetzt gleich der Summe der kinetischen Energien beider Scheiben, also
                           L=L_1+L_2=\frac{\Theta_1\,{\omega_1}^2}{2}+\frac{\Theta_2\,{\omega_2}^2}{2}.
                              								
                           Nach dem Prinzip der Erhaltung der Energie können wir daher schreiben:
                           Tvdt = Trω1dt = dL = Θ1ω1dω1 + Θ2ω2dω2.
                              								
                           Nun ist aber \Theta_1=m_1\,{r_1}^2 und \Theta_2=m_2\,{r_2}^2 wobei r1 und r2 die Radien der Schwerlinien, m1 und
                              										m2 die Massen der beiden Ringe bedeuten. Für m1 und m2 können wir aber auch schreiben:
                           m1 =
                              										μ f . 2 r1π, m2 = μf 2 r2π.
                           Dabei ist μ die Masse pro Volumeinheit, also die Dichtigkeit, f der Querschnitt der Ringe, den wir für beide gleich gross annehmen wollen. Für das Verhältnis der beiden Trägheitsmomente
                              ergibt sich demnach:
                           
                              \frac{\Theta_2}{\Theta_1}=\frac{\mu\,f\,2\,r_2\,\pi\,{r_2}^2}{\mu\,f\,2\,r_1\,\pi\,{r_1}^2}=\frac{{r_2}^3}{{r_1}^3}
                              
                           
                              \Theta_2=\left(\frac{r_2}{r_1}\right)^3\,\Theta_1.
                              
                           Für das Verhältnis der Winkelgeschwindigkeiten ererhalten wir
                           vu =ω1
                              									R1 = ω2
                              									R2.
                           
                              \omega_2=\frac{R_1}{R_2}\,\omega_1;\ d\,\omega_2=\frac{R_1}{R_2}\,d\,\omega_1.
                              
                           Nehmen wir nun an, dass r1 und R1, sowie r2 und R2 so wenig voneinander verschieden sind, dass wir sie als gleich betrachten können, was ja den thatsächlichen Ausführungen
                              der Riemenscheiben entspricht, und führen wir die gefundenen Werte für Θ2 und ω2 in die Energiegleichung ein, so ergibt sich:
                           
                              T\,r\,\omega_1\,d\,t=\Theta_1\,\omega_1\,d\,\omega_1+\left(\frac{R_2}{R_1}\right)^3\,\left(\frac{R_11}{R_2}\right)^2\,\Theta_1\,\omega_1\,d\,\omega_1
                              
                           T=\frac{\Theta_1}{r}\,\left(1+\frac{R_2}{R_1}\right)\,\frac{d\,\omega_1}{d\,t} . . . . 5)
                           Stellen wir uns nun unter der treibenden Scheibe das Schwungrad einer Dampfmaschine, unter der angetriebenen die Gegenscheibe
                              vor, und nehmen wir das Uebersetzungsverhältnis ½ an, so entspricht das gewissermassen einer Vergrösserung des Schwungradträgheitsmomentes
                              um 50 %. Freilich müssten wir dann auch den Ring der Gegenscheibe als Schwungmasse ausbilden, aber selbst, wenn wir das Verhältnis
                              der Ringquerschnitte als ½ annehmen, bleiben 25 %, was noch immer eine ziemliche Erhöhung der Gleichförmigkeit zur Folge haben
                              dürfte.
                           Nehmen wir die beiden betrachteten Scheiben als homogen an, so dass sich ihre Trägheitsmomente durch
                           
                              \Theta_1=\frac{m_1\,{R_1}^2}{2},\ \Theta_2=\frac{m_2\,{R_2}^2}{2},
                              
                           und ihre Massen durch m1
                              									= μ R12 π l m2
                              									= μ R22 π l ausdrücken lassen, wobei l die Breite der Scheiben bedeutet, so erhalten wir, was leicht nachzurechnen ist, für
                           T=\frac{\Theta_1}{r}\,\left[1+\left(\frac{R_2}{R_1}\right)^2\right]\,\frac{d\,\omega_1}{d\,t} . . . . 6)
                           Sind nun auf der angetriebenen Welle ausser der einen Scheibe noch eine beliebige Anzahl um ihren Schwerpunkt rotierender
                              Massen mit den auf die Wellenachse bezogenen Trägheitsmomenten Θ3, Θ4 u.s.w. gegeben, so wird der Ausdruck für die gesamte kinetische Energie
                           L=\frac{\Theta_1\,{\omega_1}^2}{2}+\frac{\Theta_2\,{\omega_2}^2}{2}+\frac{\Theta_3\,{\omega_2}^2}{2}+...=\frac{\Theta_1\,{\omega_1}^2}{2}+\frac{\Theta_s\,{\omega_2}^2}{2},
                           wenn wir
                           Θ2 +
                              										Θ3 + .... = Θs
                           setzen.
                           Der allgemeine Ausdruck für die dieses System beschleunigende Kraft ergibt sich daher aus
                           
                              T\,r\,\omega_1\,d\,t=\left[\Theta_1+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\omega_1\,d\,\omega_1
                              
                           T=\frac{1}{r}\,\left[\Theta_1+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\frac{d\,\omega_1}{d\,t}
                              . . 7)
                           Eine Erweiterung dieses Ausdrucks für eine beliebige Anzahl von Wellensträngen liegt auf der Hand, und es dürfte hiermit der
                              Einfluss sämtlicher rotierender Teile, also der gesamten Transmission auf die Gleichförmigkeit des Ganges genügend klar gelegt
                              seinFür die thatsächlichen Verhältnisse dürfen wir sowohl das Gleiten als auch die Elastizität der Riemen und Seile nicht vernachlässigen.
                                    Es wird dadurch die angetriebene Scheibe den Geschwindigkeitsschwankungen des Schwungrades nicht so folgen können, und diese
                                    dadurch gewissermassen nur gedämpft übertragen werden. Daher wird die Vorgelegewelle mit einer grösseren Gleichförmigkeit
                                    umlaufen als die Schwungradwelle, was auch Radinger in „Dampfmaschinen mit hoher Kolbengeschwindigkeit“, 3. Auflage, auf S. 338 anführt. Diesem Umstände müssten wir also noch Rechnung tragen, indem wir in unseren Gleichungen
                                    einen durch Versuche festzustellenden Erfahrungskoeffizienten einführten..
                           Kehren wir wieder zur Gleichung 2 c) zurück. Wir sehen, dass wir dieselbe auch direkt aus Gleichung 2) für die cyklischen
                              Bewegungen hätten ableiten können, denn es ist hier
                           
                              L=\frac{\Theta\,\omega^2}{2}
                              
                           und
                           l' = v = r
                                 										ω,
                           daher ist
                           
                              \frac{\delta\,L}{\delta\,l'}=\frac{\delta\,L}{r\,\delta\,\omega}=\frac{\Theta}{r}\,\omega
                              
                           
                              \frac{d}{d\,t}\,\frac{\delta\,L}{\delta\,l'}=\frac{\Theta}{r}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}.
                              
                           Für die Kraft gilt also
                           
                              T=\frac{\Theta}{\tau}\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+W.
                              
                           Dies ist dieselbe Gleichung, die wir bereits auf anderem Wege erhalten haben. Ziehen wir ausser dem Schwungrad auch noch die
                              gesamte Transmission in Betracht, so müssen wir den entsprechenden Gesamtwert der kinetischen Energie aller rotierenden Teile
                              in die Gleichung einführen und erhalten ein Resultat, das dem der Gleichung 7) entspricht.
                           Zu jeder cyklischen Bewegung gehören aber, wie bereits erwähnt, auch Parameter. Dem Wesen eines solchen entspricht nun vollständig
                              der Abstand der Schwungkugeln des Fliehkraftreglers von seiner Achse. Nennen wir den ersteren k, die Masse der letzteren m und die durch ein bestimmtes Uebersetzungsverhältnis gegebene Winkelgeschwindigkeit des Reglers
                              										ωk, und bedenken wir weiter, dass k nur in dem Ausdruck
                           
                              L_k=\frac{m\,k^2\,{\omega_k}^2}{2}
                              
                           der kinetischen Energie der Schwungkugeln enthalten ist, demnach die kinetische Energie der übrigen Massen bei einer partiellen
                              Differentiation nach k ausser Betracht kommt, so ergibt sich aus Gleichung 3)
                           K=-\frac{\delta\,L_k}{\delta\,k}=-m\,k\,{\omega_k}^2 . . . . 3a)
                           Mithin haben wir das vorauszusehende Resultat erhalten, dass die an den Schwungkugeln angreifende Kraft mit deren Fliehkraft
                              gleich gross und ihr entgegenwirkend sein muss.
                           Wir sehen also, dass die Bewegungen des Schwungrades und der Transmission den allgemeinen Gleichungen für ein monocyklisches
                              System entsprechen, dass sie uns also in der That ein monocyklisches System vorstellen.
                           Etwas anders gestaltet sich die Sache, wenn wir auch die Bewegung des Kolbens in Betracht ziehen. Hier ist die Bedingung,
                              dass die Beschleunigungen gering sind gegenüber den Geschwindigkeiten, auch nicht annähernd erfüllt, denn die ersteren erhalten
                              ganz beträchtliche Werte. Wir können höchstens die Bewegung des Kolbens annähernd als harmonische Bewegung, demnach als die
                              Projektion einer konstanten Kreisbewegung in deren Durchmesser auffassen. Dann können wir auch sagen, dass die Kolbenbewegung
                              die Projektion einer cyklischen Bewegung ist und uns die Masse m des Kolbens und der übrigen hin und her gehenden Teile, wie es üblich ist, im Kurbelzapfen konzentriert denken, wobei wir
                              die Kurbelgeschwindigkeit als konstant betrachten. Wir müssen aber dabei im Auge behalten, dass eine konstante Kurbelgeschwindigkeit
                              für die thatsächlichen Verhältnisse widersinnig wäre, da die Schwankungen derselben durch das Wesen des Kurbelmechanismus
                              bedingt und daher unerlässlich sind; denn nur durch diese und die durch sie bedingten Trägheitskräfte ist eine dauernde Bewegung
                              möglich.
                           Auf den Kolben wirkt der Dampfdruck. Dieser hat die hin und her gehenden Massen zu beschleunigen, den Gegendruck und den von
                              der Kurbel auf den Kreuzkopf übertragenen Horizontaldruck zu überwinden. Daher lautet die Bewegungsgleichung für den Kolben:
                           P_1=m\,\frac{d\,v}{d\,t}+H+P_2; . . . . 8)
                           wenn wir unter P1 den Gesamtdruck des Dampfes, unter P2 den Gegendruck und unter H den Horizontaldruck verstehen.
                           Führen wir die bekannten Beziehungen, z.B. für unendliche Stangenlänge, in Gleichung
                              									8) ein, so geht sie über in
                           P1= F cos α + H+P2; . . . . 8a)
                           wobei F die Fliehkraft der im Kurbelkreis konzentriert gedachten Masse m und α den Kurbelwinkel bedeutet.
                           
                           Wenn wir die bisherigen Betrachtungen überblicken, drängt sich uns eine Analogie mit einer Gleichstromdynamomaschine von selbst
                              auf.
                           Ebenso wie dort die bald in positiver, bald in negativer Richtung angenähert nach einer Sinuslinie verlaufende Stromstärke
                              durch einen Stromwender in einen nur mehr in geringem Mass um einen konstanten Wert schwankenden Strom umgewandelt wird, den
                              die Leitung in einer bestimmten Richtung fortführt, ebenso wird bei der Dampfmaschine die bald positive, bald negative Geschwindigkeit
                              des Kolbens, die, wenn wir sie uns statt auf den Kolbenweg, auf den ausgestreckten Kurbelkreis bezogen denken, gleichfalls
                              in erster Annäherung nach einer Sinuslinie verlauft, durch den Kurbelmechanismus in eine nur mehr geringen Schwankungen unterworfene
                              Geschwindigkeit umgewandelt, die durch einen Wellenstrang in bestimmter Richtung fortgeleitet wird.
                           Eine ähnliche Analogie besteht bezüglich der elektromotorischen Kraft der Selbstinduktion und der Trägheitskraft der hin und
                              her gehenden Massen. An Stelle des Selbstinduktionskoeffizienten tritt liier die Masse, und der Verlauf der Trägheitskräfte
                              bezogen auf den gestreckten Kurbelkreis, geschieht hier ebenfalls wie bei der E. M. K. der Selbstinduktion nach einer gegen
                              die Geschwindigkeit um 90° in der Phase verschobenen Sinuslinie. (Bezieht man die Trägheitskräfte auf den Kolbenweg, so ist
                              deren Verlauf bekanntlich durch eine gerade Linie dargestellt, wenn unendliche Stangenlänge vorausgesetzt wird.) Bezüglich
                              der übrigen Grössen ist eine Analogie nicht möglich, da die treibende E. M. K. wieder als eine einfache Harmonische angesehen
                              werden kann, während der Dampfdruck nach einem ganz anderen Gesetz verläuft; ebenso können wir den Reibungswiderstand nicht
                              in Analogie bringen zu der der Stromstärke proportionalen E. M. K. des Leitungswiderstandes.
                           Die allgemeinen dynamischen Grundgleichungen, von denen wir ausgehen, sind aber hier wie dort dieselben.
                           Passen wir nun das Resultat unserer Analogie zusammen, so ergibt sich folgendes:
                           v= V sin (ω t)
                           
                              f=-F\,sin\,\left(\omega\,t-\frac{\pi}{2}\right)
                              
                           i = J sin (ω t)
                           e=-E\,sin\,\left(\omega\,t-\frac{\pi}{2}\right).
                              								
                           Dabei bedeutet v die Kolbengeschwindigkeit und f die Trägheitskraft, i die Stromstärke und c die elektromotorische Kraft der Selbstinduktion, während uns die grossen Buchstaben deren Maximalwerte vorstellen. Ferner
                              bedeutet ω die Winkelgeschwindigkeit und t die Zeit.
                           Zum Schlusse wollen wir noch sehen, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn wir auf den Mechanismus der Dampfmaschine die
                              Lagrange'schen Gleichungen in ihrer allgemeinen, also durch 1) gegebenen Form anwenden. Dabei nehmen wir der Einfachheit halber unendliche
                              Stangenlänge an und ziehen bloss den ersten Wellenstrang der Transmission in Betracht.
                           Den Antriebspunkt wählen wir in der Entfernung 1, damit wir bei der Differentiation das r nicht mitschleppen müssen. Es besteht aber dann zwischen der in der Entfernung 1 gedachten Tangentialkraft T1 und der im Kurbelzapfen thatsächlich wirkenden Tangentialkraft T die Beziehung T1 = T . r. Wir haben dann für
                              										l = α und für l = α zu setzen.
                           Der Ausdruck für die kinetische Energie lautet:
                           L=\left[\Theta+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\frac{\omega^2}{2}+\frac{m\,(r\,\omega\,sin\,\alpha)^2}{2},
                           daher ist
                           
                              \frac{\delta\,L}{\delta\,\omega}=\left[\Theta+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\omega+m\,r^2\,sin^2\,\alpha\,\omega
                              
                           
                              \frac{d}{d\,t}\,\frac{\delta\,L}{\delta\,\omega}=\left[\Theta+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+m\,r^2\,sin^2\,\alpha\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+2\,m\,r^2\,\omega^2\,sin\,\alpha\,cos\,\alpha
                              
                           
                              \frac{\delta\,L}{\delta\,\alpha}=m\,r^2\,\omega^2\,sin\,\alpha\,cos\,\alpha
                              
                           Mithin erhalten wir
                           
                              T_1=\left[\Theta+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+m\,r^2\,sin^2\,\alpha\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+m\,r^2\,\omega^2\,sin\,\alpha\,cos\,\alpha
                              
                           T=\frac{1}{r}\,\left[\Theta+\left(\frac{R_1}{R_2}\right)^2\,\Theta_s\right]\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+m\,\left(r\,sin\,\alpha\,\frac{d\,\omega}{d\,t}+r\,\omega^2\,cos\,\alpha\right)\,sin\,\alpha+W . . 9)
                           Dies ist der thatsächliche Ausdruck für die im Kurbelkreis auftretenden Kräfte, wenn unendliche Stangenlänge vorausgesetzt
                              wird. Der Ausdruck kompliziert sich in entsprechender Weise für endliche Stangenlänge.
                           Das zweite Glied der Gleichung 9) hat übrigens eine sehr einfache Bedeutung. Da die Kolbengeschwindigkeit v = r ω sin α ist, so ist die Beschleunigung
                           
                              \frac{d\,v}{d\,t}=r\,\omega^2\,cos\,\alpha+r\,sin\,\alpha\,\frac{d\,\omega}{d\,t}.
                              
                           Daher stellt uns der zweite Ausdruck die Komponente der Kolbenträgheitskraft in Richtung der Tangentialkraft dar.
                           Da diese Komponente stets klein gegenüber den übrigen Grössen in Gleichung 9) sein wird, so können wir sie vernachlässigen,
                              und es drückt dann 9) die bereits früher abgeleitete, den Gesetzen der cyklischen Bewegungen gehorchende Beziehung aus. Wir
                              können daher die Dampfmaschine, trotz der nicht eigentlich cyklischen Bewegungsverhältnisse der hin und her gehenden Massen
                              auf Grund dieser Vernachlässigung als ein monocyklisches System betrachten.