| Titel: | Der mechanische Flug einst und jetzt (Leonardo da Vinci und Karl Buttenstedt). | 
| Autor: | Rudolf Mewes | 
| Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 29 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Der mechanische Flug einst und jetzt (Leonardo da
                              								Vinci und Karl Buttenstedt).
                        Von Rudolf Mewes, Ingenieur und
                           								Physiker.
                        Der mechanische Flug einst und jetzt (Leonardo da Vinci und Karl
                           
                           								Buttenstedt).
                        
                     
                        
                           I. Allgemeine Bemerkungen über den künstlichen und
                              									natürlichen Flug.
                           Obwohl durch die neueren Arbeiten auf diesem Gebiete im einzelnen viel geleistet
                              									worden ist, so bin ich der Ansicht, dass durch die Arbeiten und Aufklärungen, welche
                              									schon Leonardo da Vinci und in den letzten Jahrzehnten
                              									in ähnlicher Weise Karl Buttenstedt aus Rüdersdorf über
                              									den künstlichen und natürlichen Flug veröffentlicht haben, der Kern des Flugproblems
                              
                              									gelöst und daher nunmehr zu methodischen Versuchen mit rationell gebauten
                              									Flugmaschinen geschritten werden muss. Bevor ich jedoch auf die Arbeiten dieser
                              									beiden zeitlich so weit voneinander geschiedenen, in der Sache aber miteinander
                              
                              									übereinstimmenden Flugtechniker eingehe, möchte ich zunächst zur Einführung an der
                              									Hand meiner früheren Arbeiten in der Zeitschrift des
                                 										deutschen Vereins zur Beförderung der Luftschiffahrt einige Bemerkungen
                              									über die Ermöglichung des künstlichen und natürlichen Segelfluges
                              
                              									vorausschicken.
                           Die Erfüllung des sehnsuchtsvollen Wunsches Goethe's:
                           
                              „O dass kein Flügel mich vom Boden hebt,
                              
                           
                              Ihr nach und immer nachzustreben!“
                              
                           erscheint infolge der eifrigen Bemühungen der modernen
                              									Flugtechniker und Forscher, die rein dynamische Luftschiffahrt zu verwirklichen,
                              									nicht mehr als ein blosser,schöner Traum, sondern vielmehr als in nicht zu
                              									langer Zeit erreichbar und bevorstehend. Da indessen über den Weg, welcher bei der
                              									Lösung des so hochwichtigen Flugproblems einzuschlagen ist, selbst bei denjenigen
                              									Forschern, welche sich eingehend damit beschäftigt haben, auch heute noch nicht eine
                              									allseitige und völlige Uebereinstimmung herrscht, so dürfte eine kritisch sichtende
                              									Behandlung dieses Gegenstandes und der wichtigsten einschlägigen Fragen wohl gerade
                              									jetzt mit Rücksicht auf die Aufsehen erregenden Versuche von v. Zeppelin am Platze sein. – Hierfür enthält die Zeitschrift des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt, welche
                              									sich seit ihrem fast 20jährigen Bestehen unter den Fachjournalen einen ehrenvollen
                              									Platz errungen hat, reichhaltiges geschichtliches Material. Entgegen der früher
                              									vorherrschenden Ansicht hat sich in dem letzten Jahrzehnt in den mannigfaltigen
                              
                              
                              									Arbeiten, welche die Lösung des Flugrätsels zum Thema haben, die Ueberzeugung immer
                              
                              									mehr und mehr Bahn gebrochen, dass nur die rein mechanische Lösung desselben einen
                              									weiteren Fortschritt für die Luftschiffahrt bedingen könne, da die bloss in
                              									beschränktem Masse praktisch verwertbaren Resultate, welche Kapitän Renard und Direktor Krebs
                              									in Frankreich und jüngst Graf v. Zeppelin am Bodensee
                              									mit lenkbaren Ballons erreicht haben, der Grenze des thatsächlich überhaupt Möglichen schon
                              									ziemlich nahe gekommen sein dürften. Auch ich halte mich zu der Ansicht berechtigt,
                              									dass nicht der statischen Luftschiffahrt mit ihren unförmlichen Ballons, sondern der
                              									dynamischen, den ruhigen Segelflug nachahmenden Schiffahrt die Zukunft gehört.
                           Die diesbezüglichen Versuche scheiden sich in zwei grosse Gruppen, deren eine auf
                              									mechanischem Wege nur mit Hilfe ausreichender Maschinenkraft die Möglichkeit des
                              									künstlichen Fluges schaffen will, deren andere hingegen zu diesem Zwecke auch noch
                              
                              									die Kraft des Windes und die Schwere des ganzen Apparates selbst gemäss den Gesetzen
                              									des Pendels und der schiefen Ebene auszunutzen gedenkt. Die ersten Lösungsversuche,
                              									für welche der Flug der Insekten und kleineren Vögel vorbildlich ist, werden
                              									vorläufig noch stets scheitern müssen, weil die Technik noch nicht im stande ist,
                              									eine solche Kraftmaschine zu liefern, wie zu jenem Zwecke nötig ist. Da die als
                              									Spielzeug dienenden mechanischen Vögel des Franzosen Penaud in praktischer Hinsicht nicht in Betracht kommen können, so ist als
                              									das günstigste Resultat, das sich auf diesem Wege bis jetzt hat erreichen lassen,
                              									unstreitig dasjenige des Italieners Forlanini zu
                              									bezeichnen, welcher mittels einer kleinen Dampfmaschine von ⅓ bis 1/4 PS die schon
                              										Leonardo da Vinci bekannte Luftschraube in Rotation
                              									versetzte und dadurch den ganzen, etwa 3 kg schweren Apparat in die Luft erhob. Die
                              									Dampfspannung in dem kleinen, kugelförmigen Generator betrug dabei 8 Atmosphären.
                              									Indessen hat dieser Versuch nur insofern einigen praktischen Wert erlangt, als
                              									dadurch wenigstens sicher festgestellt worden ist, dass 1 PS unter normalen
                              									Verhältnissen durch Luftschrauben ein Gewicht von etwa 9 bis 12 kg in die Luft
                              									erheben kann. Mit einem derartigen Flugapparat wird demnach der Mensch, der ja nur
                              										1/7 PS zu
                              									leisten vermag, den persönlichen Kunstflug niemals ausführen können. Die grossen
                              									Schrauben, welche Prof. Wellner bei seinem Flugapparat
                              									benutzt hat, hielten pro geleistete Pferdekraft ein Gewicht von 16 kg in Schwebe,
                              									wie von Baimund Nimführ in seiner Arbeit Flugtechnische Betrachtungen (1899) erwähnt wird; das
                              										Wellner'sche Ergebnis stimmt demnach gut mit dem
                              									von Forlanini erhaltenen Resultate überein. Auch Leonardo da Vinci hat bereits darüber nachgedacht, ob
                              									man die Luftschraube zur Luftschiffahrt verwenden könne. Nach der Uebersetzung von
                              										Th. Beck (Beiträge zur Geschichte des
                                 										Maschinenbaues) sagt Leonardo hierüber in dem
                              									unten ausführlicher zu besprechenden Bande seiner Manuskripte (B. 83 u.): „Der
                                 										äussere Rand sei von Eisendraht, so dick wie eine Schnur, und vom Umfange bis
                                 										zur Mitte seien es 8 Ellen. – Ich finde, wenn dieser Apparat, wie eine Schraube
                                 										geformt, gut, nämlich aus mit Stärke gedichteter Leinwand, hergestellt und
                                 										schnell herumgedreht wird, dass genannte Schraube sich ihre Mutter in der Luft
                                 										macht und in die Höhe steigt. Ich nehme als Beispiel ein breites und dünnes
                                 										Lineal, das mit rasender Schnelligkeit (con furia) durch die Luft geführt wird.
                                 										Du wirst alsdann sehen, dass dein Arm in der Richtung des Schnittes mit der
                                 										genannten Achse geführt wird. Die Versteifung (armatura) der obengenannten
                                 										Leinwand bestehe aus dünnen, langen Rohren. Man kann sich ein kleines Modell
                                 										davon aus Papier machen. Sein Stift bestehe aus dünnem Eisenblech (vermutlich
                                 										einer schraubenförmigen Feder), das mit Gewalt gewunden wird und, wenn es
                                 										losgelassen wird, die Schraube in Drehung versetzt.“
                              									Forlanini's Apparat stimmt mit der von Leonardo da Vinci beschriebenen und hier (Fig. 1) abgebildeten Luftschraube vollkommen überein;
                              									an die Stelle der gespannten Feder ist nur ein kleines Dampfmaschinchen
                              									getreten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 30
                              Fig. 1.
                              
                           Günstiger hingegen gestalten sich die Aussichten für die zweite Klasse der
                              									dynamischen Luftschiffe, bei denen als Vorbild der Segel- oder Schwebeflug der
                              									grossen Raubvögel gewählt wird. Als die erste derartige künstliche Flugmaschine
                              									verdient jene vortreffliche und technischwohl durchdachte Flügelkonstruktion
                              									eines alten ägyptischen Künstlers erwähnt zu werden, welche man noch heute, auf den
                              									goldenen Armbändern der Königin Meroë abgebildet, im
                              									historischen Saal des ägyptischen Museums in Berlin sehen kann (Nr. 156, 157, 158).
                              									(Vergl.: Alte Darstellungen fliegender Menschen. Von
                              										Hermann Mödebeck. Zeitschrift des deutschen Vereins zur
                                 										Förderung der Luftschiffahrt. Jahrg. 1887, S. 24.) Obwohl Mödebeck jener mit vier Flügeln und einer Königskrone
                              									versehenen weiblichen Figur vielleicht mit Recht bloss eine symbolische Bedeutung
                              									beimisst, so muss man doch gestehen, dass gerade diese Flügelkonstruktion von hoher
                              									technischer Durcharbeitung und Harmonie zeugt, so dass dieselbe verdiente, von den
                              									modernen Flugtechnikern zum Vorbild genommen zu werden; denn dieselbe vereinigt die
                              									Eigenschaften des Fallschirmes mit denen der Flügel in wirklich originaler Weise und
                              									scheint auch durch Benutzung von elastisch auslaufenden, biegsamen Flügelrändern
                              									ebenfalls darauf hingearbeitet zu haben, einen gewissen Teil der vertikal wirkenden
                              									Schwerkraft in horizontale Massengeschwindigkeit umzusetzen (siehe Fig. 2).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 30
                              Fig. 2.
                              
                           Aegypten ist vor allen übrigen Ländern des Altertums nicht bloss ausgezeichnet durch
                              									seine gewaltigen und wunderbaren Bauten, deren grossartige Ruinen noch jetzt das
                              									Staunen der Nachwelt erregen, sondern seine Bewohner haben auch, weil nach
                              									ägyptischer Sitte die Beschäftigung des Vaters sich stets auf den Sohn und so von
                              									Generation zu Generation vererbte, im Kunsthandwerk und in technischen Fertigkeiten
                              									teilweise eine solche Vollkommenheit erreicht, dass manche ihrer Leistungen noch
                              									heute unübertroffen dastehen. Darum möchte ich beinahe glauben, dass es sich in der
                              									erwähnten geflügelten Figur nicht allein um eine symbolische Darstellung der Göttin
                              
                              									Mut, sondern um die Wiedergabe eines wirklich konstruierten und versuchten
                              									technischen Flugapparats handelt. In dieser Ansicht bestärkt mich noch mehr
                              									einerseits die auffällige Thatsache, dass derselbe von allen Flügelkonstruktionen,
                              									welche die symbolischen Göttergestalten der Aegypter zeigen, dadurch wesentlich
                              									abweicht, dass er statt zweier Flügel, wie jene sie haben, vier fallschirmartig zu
                              									einem harmonischen Ganzen vereinigte Fittige besitzt, andererseits aber auch der
                              									Umstand, dass die alten Aegypter in ihren grossartigen Bauwerken sowohl wie in ihren
                              									sonstigen Kunstprodukten neben religiösen auch praktische Zwecke zu verfolgen
                              									pflegten. Im Berliner Museum habe ich trotz eifrigen Suchens nur ein einziges
                              									Analogon zu jener eigenartigen Flügelkonstruktion gefunden, nämlich eine mit
                              									ähnlichen Flügeln versehene, kleine weibliche Statue unter den griechischen
                              
                              									Gipsabgüssen (Nr. 894, siehe hier Fig. 3). Diese
                              									Uebereinstimmung dürfte nicht auf einem blossen Zufall beruhen, sondern auf einen
                              									inneren Zusammenhang der ägyptischen Flugvorstellung mit derjenigen des
                              									entsprechenden griechischen Mythus hindeuten. Nun spricht aber die aus dem Orient
                              									stammende, bekannte griechische Sage vom Dädalus und
                              									seinem Sohne Ikarus gerade für die von mir vertretene
                              									Ansicht, dass wir es hier mit einem künstlichen Flugapparat zu thun haben; denn Dädalus, der Erbauer des Labyrinths auf Kreta, ist die
                              									Personifikation der
                              									ägyptischen Technik, welche durch die Vermittelung der Phönizier den Hellenen
                              									überliefert worden ist. Der in allen technischen Künsten erfahrene Baumeister
                              									vermochte, indem er die ererbten Kenntnisse benutzte, gar leicht sich und dem Sohne,
                              									wie die Sage berichtet, Flügel zu verfertigen und damit der Gefangenschaft zu
                              									entfliehen, in welcher ihn Minos, der mächtige
                              									Beherrscher von Kreta, festhalten wollte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 31
                              Fig. 3.
                              
                           Da jedoch derartige Kombinationen allein nicht beweisend sind, so dürfte eine
                              									Diskussion über jenen Apparat von flugtechnischen Gesichtspunkten aus vielleicht zu
                              									demselben und darum um so sichereren Ergebnisse führen. Die Aegypter erstrebten bei
                              									der Darstellung menschlicher Figuren Porträtähnlichkeit und bei der Abbildung
                              									anderer Dinge möglichste Genauigkeit; sie berücksichtigten demgemäss auch die
                              									räumlichen Verhältnisse der einzelnen Gegenstände völlig sachgemäss; daher hat der
                              
                              									Schluss von den bekannten Dimensionen irgend eines Teiles der anbei dargestellten
                              									Figur auf diejenigen aller übrigen seine volle Berechtigung.
                           Nun liegen die vier Flügelenden und die Ferse der fliegenden Göttin sämtlich auf der
                              									Peripherie eines Kreises, welcher um den Vereinigungspunkt des obersten Rippenpaares
                              									und des Brustbeins mit der Entfernung dieses Punktes von der Ferse als Radius
                              									geschlagen werden kann, wie Fig. 2 und 3 zeigen. Bei normaler Grösse der weiblichen Figur
                              									beträgt die Länge dieser Strecke 1,3 m, der Flächeninhalt des beschriebenen Kreises
                              									also 5,3 qm. Durch Messung mit Millimeterpapier oder durch Berechnung findet man,
                              									dass das Segelareal des ganzen Apparates etwa 2 qm, also wenig mehr als ein Drittel
                              									der Kreisfläche einnimmt. Die Wahl dieser Grössenverhältnisse legt ein glänzendes
                              									Zeugnis für die scharfe Naturbeobachtung des Künstlers ab, denn bei den Vögeln
                              									liegen die Flügelenden und die Zehen- oder Schwanzspitzen ebenfalls auf der
                              
                              									Peripherie eines solchen Kreises, und zwischen dessen Flächeninhalt und dem
                              									Segelareal besteht ein ähnliches und zwar für die Vögel desselben Typus
                              									wahrscheinlich ein gleiches Zahlenverhältnis. Ausserdem verdient noch hervorgehoben
                              									zu werden, dass nach der Abbildung die beiden schräg aufwärts gegeneinander
                              									geneigten Flügelebenen einen Winkel von etwa 135 ° bilden, also dieselbe Neigung
                              									besitzen, welche Tauben und andere Vögel ihren Flügeln bei sanftem,
                              									fallschirmartigem Herabsinken annähernd geben und welche auch Hengler, der Erfinder des Horizontalpendels, für die
                              									diametral gegenüberliegenden Seiten seines kegelförmigen, unten näher beschriebenen
                              									Fallschirmes gewählt hat. (D. p. J., 1832 43 * 102.)
                           Nimmt man das Gewicht der fliegenden Figur und des Apparates, um auch diesen nicht
                              									unwesentlichen Punkt zu berühren, zu 70 kg an, so würde sich beim Fall durch die
                              									Luft eine Fallschirmgeschwindigkeit von ungefähr 15 m ergeben, also eine doppelt so
                              									grosse, als ein 12,7 kgschwerer Albatros bei einem Segelareal von 1,78 qm
                              
                              									erlangt. Weil jedoch nach den Berechnungen, welche Gerlach auf Grund der von Dr. Müllenhoff
                              									gemachten Messungen ausgeführt hat, bei wachsender Fallschirmgeschwindigkeit die
                              									Segelfertigkeit der Vögel zunimmt, sofern überhaupt noch die Möglichkeit dafür
                              									vorhanden ist, so liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass es dem alten ägyptischen
                              									Künstler mit dem besprochenen Apparate wohl hat gelingen können, durch die Lüfte in
                              									ähnlicher Weise über das Aegäische Meer zu segeln, wie der Albatros bald in ruhig
                              									schwimmendem, bald in eilendem Fluge über das Weltmeer dahinfährt. Ob nun die
                              									betreffende Erzählung mehr als ein blosser Mythus ist oder nicht, ändert sicherlich
                              									wenig oder gar nichts an dem aus Vorstehendem folgenden Resultate, dass die
                              									beschriebene Flugmaschine in flugtechnischer Hinsicht höchst rationell konstruiert
                              									ist.
                           In den historischen Zeiten gebührt zwei italienischen Physikern das Verdienst, die
                              									Flugversuche des ägyptischen Flugtechnikers mit nach dem Prinzip des Segelfluges
                              									erbauten Apparaten zuerst wieder aufgenommen zu haben, nämlich dem als Maler und
                              									Physiker hochberühmten Leonardo da Vinci und dem
                              									Mechaniker Dante aus Perugia. Die Experimente beider
                              
                              									Forscher sind nicht ohne Erfolg geblieben, denn Dante
                              									soll von einem erhöhten Abflugsorte aus mit seinem Apparate über den trasimenischen
                              									See und Leonardo mit dem seinigen über den Po geflogen
                              									sein. Ein zweiter Versuch, bei dem Dante von einem
                              									Kirchturm in Perugia abflog, nahm ein unglückliches Ende, weil der kühne Flieger das
                              									Dach eines Hauses streifte und mit dem lädierten Flugapparate auf das Steinpflaster
                              									des Marktplatzes hinabstürzte, wobei er sich ein Bein brach. Dante kam also glimpflicher davon als sein moderner Nacheiferer Otto Lilienthal, der bei seinen methodischen
                              									Flugversuchen das Leben einbüsste. Die jetzt von Leonardo's Hand noch vorhandenen Federzeichnungen und Manuskripte
                              									beweisen, dass Leonardo's Flügelkonstruktion eine sehr
                              									originale und kunstvolle und sein Wissen über den künstlichen und natürlichen Flug
                              									ein sehr genaues und zutreffendes war. Im zweiten Abschnitt soll daher auf die
                              									Arbeiten Leonardo's besonders eingegangen werden.
                           Die späteren Experimente, welche der Uhrmacher Degen aus
                              									Wien anstellte, können mit den vorerwähnten Flugversuchen ebensowenig konkurrieren,
                              									als die grossartigen dynamischen Fahrzeuge, welche die neueren Flugtechniker wie Wellner, Maxim u.a. auf Grund der verbesserten Gesetze
                              									des Segelfluges zu bauen beabsichtigen, bezw. wirklich ausgeführt haben. Denn wenn
                              									auch von den jetzigen Konstrukteuren die Flugprinzipien klarer als früher erkannt
                              									werden könnten und auch im allgemeinen bei der Konstruktion ihrer Apparate benutzt
                              									werden, so stehen diese gleichwohl in praktischer Hinsicht denjenigen der älteren
                              									Experimentatoren nach, weil deren Apparate kleiner und nur für den direkten Flug des
                              									Menschen bestimmt und darum leichter zu bauen und zu regieren waren, jene aber
                              									gleich für den Massentransport berechnet und projektiert werden und darum
                              
                              									Dimensionen erhalten, welche der technischen Ausführung sowohl als auch der
                              									nachherigen Lenkung und Handhabung unnütze Schwierigkeiten bereiten. Die
                              									Veranlassung zum Bau solcher gleich dem Uebermass verfallenden Projekte scheint
                              									meiner Meinung nach in der Absicht zu liegen, mit der Hebekraft der Luftballons
                              									wetteifern zu wollen. Der freilich für die Ballonschiffahrt gültige, von Prof. v. Helmholtz aufgestellte Satz, dass ein etwaiger
                              									Erfolg nur noch durch die Vergrösserung der Ballons selbst erzielt werden könne,
                              									darf schon aus technischen und praktischen Gründen nicht als Norm für die
                              									Konstruktion mechanischer Flugapparate eingeführt, bezw. angenommen werden, denn
                              									grosse Apparate kosten erstlich mehr Geld als kleinere, und vergrössern bei den
                              									ersten, durchaus notwendigen Vorversuchen und Vorübungen wegen ihrer
                              									Schwerfälligkeit die Gefahr für den Experimentator. Denn der Mensch muss das
                              									Luftsegeln, ebenso wie der Vogel das Fliegen, erst durch beharrliche und fleissige
                              									Uebung erlernen.
                           Am gefahrlosesten und bequemsten dürfte sich der direkte Flug des Menschen
                              									ermöglichen lassen, wenn man mit Fallschirmversuchen aus mässiger Höhe beginnt und
                              									allmählich den sogen. Hengler'schen oder Cocking'schen, kegelförmigen Fallschirm zu
                              									einem dynamischen Flugapparat nach Art des oben beschriebenen ägyptischen
                              									umgestaltet. Die rein dynamische Luftschiffahrt muss eben, wie ich bereits 1887
                              									betonte, wenn sie schliesslich zu einem praktisch brauchbaren Resultate gelangen
                              									soll, damit beginnen, den Fallschirm mehr und mehr zu verbessern; denn wie die Natur
                              									stets von den einfacheren Gebilden aus in regelrechtem Stufengange sich zu
                              									verwickelteren Gestaltungen und Formen entwickelt, ebenso muss auch der Mensch in
                              
                              									seinem Streben, das weite Luftmeer seinem Willen zu unterwerfen, in der Nachahmung
                              									des von der Natur ihm im Vogel gelieferten kunstvollen Modells erst das leichtere
                              									und einfachere Problem des Schwebens mittels eines Fallschirmes nach allen Seiten
                              									hin zu lösen sich bemühen. Aus dem vervollkommneten Fallschirm wird sich
                              									schliesslich das dynamische Luftschiff, ein von Menschenhand geschaffener,
                              									gewaltiger künstlicher Vogel, als natürliche Frucht in folgerechtem Stufengange
                              									allmählich von selbst herausbilden. Freilich sind die jetzigen Fallschirme noch sehr
                              									unvollkommen und stehen, so zu sagen, noch in den Kinderschuhen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 32
                              Fig. 4.
                              
                           Die bisher am häufigsten konstruierten und auch praktisch
                              									versuchten Fallschirme, von Leonardo in Pyramidenform
                              										(Fig. 4) gebaut und Padiglione (Zeltdach)
                              									genannt, leiden sämtlich an einem sehr verhängnisvollen Fehler, der schon mannigfach
                              									gerügt worden ist. Dieselben pendeln nämlich, da in der nach unten gekehrten
                              									konkaven Höhlung des Schirmes die Luft sich wie in einem Sacke fängt, sehr stark hin
                              
                              									und her und zwingen darum den Konstrukteur, den Schwerpunkt, d.h. die Gondel, in
                              									welcher der Insasse Platz nimmt, ausserordentlich tief unter dem Schirm anzubringen,
                              									um die Gefahr des gänzlichen Umkippens zu vermeiden. Bei dieser Art und Weise, die
                              									Gondel mit dem tragenden Fallschirm zu befestigen, lässt sich der Schirm von der
                              									Gondel aus ebenso wenig oder ebenso schwer lenken und steuern, wie von der tief
                              									unter dem voluminösen Ballonkörper hängenden Gondel aus sich dies in praktischer und
                              									wirklich rationeller Weise erreichen lässt. Um diese beiden hauptsächlichsten Fehler
                              									des regenschirmartig konstruierten Fallschirmes zu umgehen, kehrten Cocking und vor ihm schon Hengler, wie man sich durch Nachlesen der Hengler'schen Arbeit in D. p. J. 1832 43 * 102, überzeugen kann, das Verhältnis völlig um (Hengler hat a. a. O. auch das von ihm erfundene
                              									Horizontalpendel beschrieben). Sie kehrten die konvexe Kegelfläche des Schirmes nach
                              									unten und erreichten dadurch in der That, dass das Pendeln vermieden wurde, da bei
                              
                              									dieser Konstruktionsweise die Luft nach allen Seiten hin gleichmässig in die Höhe
                              									entweichen kann. Wenn sie auch, um die gleiche Tragfähigkeit als vorher zu
                              									erreichen, die Dimensionen des Schirmes etwas vergrössern mussten, so bezahlten sie
                              									den erlangten Vorteil, dass das Pendeln vermieden wurde, doch nicht zu teuer damit.
                              									Leider hatte Cocking gleich bei seinem ersten
                              
                              									diesbezüglichen Versuche das Unglück, sein Leben einzubüssen. Soviel ich weiss, hat
                              										Cocking auch bei seiner Fallschirmkonstruktion die
                              									Gondel, in welche er von dem Ballon Green's aus
                              									hinabkletterte, noch verhältnismässig sehr tief unter dem tragenden Schirme
                              									angebracht. Hengler hingegen hatte auch diese
                              									Vorsichtsmassregel, welche Cocking von der älteren
                              									Fallschirmkonstruktion mit überkommen hatte, schon vor ihm als unbrauchbar
                              									aufgegeben und zwar mit Fug und Recht, denn gerade beim allzu tiefen Aufhängen der
                              									Gondel lässt sich nur eine sogen. lose Verbindung derselben mit dem Schirm mittels
                              									starker Seile und Taue herstellen, so dass der flächengrössere Schirm durch einen
                              									seitlichen Luftstrom schneller und leichter aus seiner Lage zur Seite hin gedrückt
                              									werden kann, als die kleinere und schwerere Gondel, und so der erste Anlass zu einem
                              									nach und nach wachsenden Pendeln gegeben wird. Verbindet man hingegen die Gondel
                              									nach dem Vorgang Hengler's direkt unter dem Schirm mit
                              									demselben in stabiler Weise, so kann der Schirm selbst für sich alleinkeine
                              									Schwingungen ausführen, sondern der ganze Fallschirmapparat vermag sich höchstens
                              									als ein Ganzes nur um einige Grade über oder unter die durch den Schwerpunkt gelegte
                              									Horizontalebene zu neigen. Wie übrigens die Gondeln der Kugelballons, welche nur
                              									Schauzwecken oder Lustfahrten dienen, im Verhältnis zu den Gondeln der
                              									cylinderförmigen Ballons, welche durch Maschinenkraft gegen den Wind gesteuert und
                              
                              									gelenkt werden sollen, aussergewöhnlich klein sind, so war auch die Gondel, welche
                              										Hengler bei seinen Fallschirmversuchen benutzte, im
                              									Vergleich mit denjenigen, deren sich Luftschiffer wie Garnerin, Blanchard und Cocking bei ihren
                              									Fahrten bedienten, unverhältnismässig gross gebaut. Hengler selbst betont, dass er die Gondel mit Absicht darum so gross
                              									gemacht habe, damit er den Fallschirm beim Fallen durch das Neigen seines
                              									Oberkörpers nach der einen oder der anderen Seite in gewissen Grenzen lenken könne.
                              									Mit einer kleinen, tief unten hängenden Gondel würde er dies Ziel nicht haben
                              									erreichen können, wohl aber ist dies mit einer direkt unter dem Schirm befindlichen
                              									und mit demselben überall fest verbundenen langen und breiten Gondel ohne
                              									Schwierigkeit zu bewirken. Hengler hat also schon bei
                              									seinem Fallschirm aus denselben Gründen, wie später Haenlein, Baumgarten, Renard, Krebs und Zeppelin bei ihren lenkbaren Luftschiffen, aus technischen Rücksichten die
                              									enge Verbindung der Gondel mit der tragenden Fläche behufs teilweiser Lenkung
                              									derselben für rationell und notwendig gehalten. Der von ihm selbst angestellte
                              
                              									Versuch hat die Richtigkeit seiner Ansicht dargethan. Indessen infolge des
                              									Unglückes, das Cocking mit seinem Fallschirm hatte, gab
                              									man es auf, den Fallschirm noch weiter zu verbessern, zumal die glücklicheren
                              									Versuche Hengler's in Deutschland vorher keine
                              									Beachtung gefunden hatten. Man hat daher bis heute der Fallschirme nur als praktisch
                              									unbrauchbarer Apparate gedacht, welche höchstens zur Befriedigung der Schaulust des
                              									Publikums dienen könnten, denen aber neben den Ballonschiffen kein selbständiger
                              									Wert zugestanden werden dürfe. Und doch ist nach meiner Ansicht der Fallschirm
                              									entwickelungsfähiger als ein Luftschiff mit seinen gewaltigen Dimensionen, abgesehen
                              									davon, dass die lenkbaren Luftschiffe bereits auf die höchste Stufe ihrer
                              									Vollkommenheit gebracht sind. Wie mir wenigstens scheint, sind bei der Konstruktion
                              									der von Renard und Krebs,
                              									sowie von Zeppelin erbauten Luftschiffe alle Vorteile
                              									und Hilfsmittel, welche die so vorzüglich entwickelte Technik des vergangenen
                              									Jahrhunderts gewährt, im höchsten Masse verwertet worden, während bei den
                              									Fallschirmkonstruktionen bisher gerade das Gegenteil stets Geltung gehabt hat; denn
                              									mit Ausnahme des von Hengler gebauten Fallschirmes sind
                              									fast sämtliche Fallschirmkonstruktionen von mathematisch und technisch ungeschulten
                              									Luftschiffern ausgeführt worden.
                           Aber die Konstruktion eines Fallschirmes ist ja so einfach, dürfte man vielleicht
                              									entgegenhalten, dass zur Herstellung eines solchen die Dienste eines Technikers
                              									durchaus nicht erforderlich seien; freilich für den Fallschirm älterer Konstruktion
                              									mag dies in gewissem Sinne gelten, jedoch schon nicht mehr für einen rationell
                              									verbesserten Fallschirm, der zur Lösung des Flugrätsels führen soll, oder gar für
                              									den bisher unerreichten natürlichen Fallschirm, den die Natur im kunstvoll gebauten
                              									Vogelflügel als stetes Vorbild geschaffen hat. Der Zweck und die Aufgabe eines
                              									Fallschirmes ist in erster Linie, den vertikalen Fall des Menschen zu mildern oder
                              									zu verlangsamen; erst in zweiter Linie, wenn man sich die Lenkbarmachung desselben
                              									zum Ziel setzt, kommt noch die fernere Aufgabe hinzu, eine Horizontalbewegung
                              									mittels desselben auf irgend eine Weise zu bewirken. Die letzte Aufgabe lässt sich
                              									nun durch Verstellung der Ebene des Fallschirmes gegen die Horizontalebene lösen,
                              
                              									während die Mässigung der Fallgeschwindigkeit nur durch den Druck der Schirmfläche
                              									auf die unter ihr befindliche Luftsäule, also durch den Luftwiderstand, möglich
                              									wird. Vergrössert man jedoch die Horizontalgeschwindigkeit des Flugapparates, so
                              									vermindert man dadurch gleichzeitig auch den vertikalen Zug nach unten, da sich die
                              									nach unten ziehende Schwerkraft mit der seitlich treibenden Horizontalkraft zu einer
                              									Resultante vereinigen muss. Nun kann der Mensch schon eine ziemlich bedeutende
                              									horizontale Geschwindigkeit vertragen, ohne dass er, wenn er, wie dies den über die
                              									Erde dahinjagenden Reitern häufig genug passiert ist, plötzlich in einiger Höhe über
                              
                              									dem Erdboden, sozusagen aus dem Sattel fliegt, sich erheblichen Schaden zuzufügen
                              									pflegt. Durch eine gleich grosse vertikale Geschwindigkeit würde der Mensch jedoch
                              									einen solch unsanften Stoss beim Anprall auf die Erde erhalten, dass ihm
                              									thatsächlich Hören und Sehen verginge. Schon die Rücksicht auf die Selbsterhaltung
                              									fordert demnach, dass man die horizontale Geschwindigkeit des Fallschirmes auf
                              
                              									Kosten der vertikalen Geschwindigkeit möglichst zu vergrössern sich bestreben muss.
                              									Dieses Ziel kann man auf zwei von einander sehr verschiedenen Wegen erreichen,
                              									welche übrigens bei einem guten Fallschirm bezw. Flugapparat gleichzeitig in
                              									Anwendung kommen müssen, nämlich erstlich durch mechanische (maschinelle) Kraft und
                              									zweitens durch die Einstellung der Fallschirmebene in dem geeigneten Winkel zur
                              									Horizontalebene.
                           Gehen wir zunächst auf den letzten Punkt näher ein. Würde man in der Luft durch
                              									Verlegung seines Körpergewichtes die erforderliche Neigung der Gesamtebene des
                              									Apparates gegen die Horizontale hervorbringen, so würde man sich bei einigermassen
                              									bewegter Luft sehr leicht der Gefahr aussetzen, dass der ganze Apparat, statt in der
                              									gewünschten schrägen Richtung abwärts zu schiessen, infolge des Winddruckes
                              									vollständig umkippen und in rapider Eile in die Tiefe stürzen könnte. Dieser
                              									Unglücksfall kann sogar bei fast normaler Stellung der Tragfläche eintreten, wenn
                              									der Wind in etwas schräger Richtung gegen dieselbe von unten oder von oben her in
                              									plötzlichem Stosse trifft. Es bilden sich nämlich, wie ja auch schon bei völlig
                              									normaler Stellung der Ebene gegen die Windrichtung, ganz besonders dann längs der
                              									Ebene parallel laufende Abluftströme, wodurch der Angriffspunkt der Resultante des
                              									Luftwiderstandes gegen den ankommenden Wind hin vorgeschoben und schliesslich ein
                              
                              
                              									teilweises Auf- oder Umkippen veranlasst, bezw. eingeleitet wird. Auf dem hier
                              									erwähnten, längs der Druckfläche fliessenden Luftstrom, der seitwärts und
                              									hauptsächlich nach hinten auszuweichen gezwungen ist, beruht ja auch die anderweitig
                              									vielfach beobachtete Thatsache, dass der Wind breite Flächen nicht leiden kann und
                              									nur scharfe Kanten liebt, wie Buttenstedt in seinen
                              									Arbeiten zur Erklärung des Vogelfluges sagt. Aus den Versuchen, welche Prof. Kummer über die diesbezügliche Wirkung des Winddruckes
                              									in seiner Abhandlung Ueber die Wirkung des Luftwiderstandes
                                 
                                 										auf Körper von verschiedener Gestalt u. s tu. veröffentlicht hat, folgt,
                              									dass die Resultante des Luftwiderstandes einer mit der Richtung der Luftströmung
                              									einen beliebigen Winkel bildenden Ebene nicht durch den Schwerpunkt dieser Ebene
                              									hindurchgeht, wie dies nach den Newton'schen Prinzipien
                              									der Fall sein müsste, sondern dass der Luftwiderstand gegen eine schiefe, ebene
                              									Fläche auf die weiter nach vorn liegenden Teile derselben bei weitem stärker wirkt,
                              
                              									als auf die hinteren. Bei einem dieser Versuche war die tangentiale Komponente des
                              									Luftwiderstandes so gross, dass die vordere, dreimal so kleine Fläche eines durch
                              									eine Querachse in zwei Teile geteilten Quadrates einen Widerstand erfuhr, der
                              									demjenigen der dreimal grösseren hinteren Quadratsfläche das Gleichgewicht zu halten
                              									vermochte.
                           Bei einem Fallschirm bezw. Flugapparat kann mander aufkippenden Wirkung der
                              									tangentialen Komponente des Winddruckes in einfacher Weise dadurch begegnen, dass
                              
                              									man wie beim Vogelflügel statt einer einzigen grossen, zusammenhängenden Fläche
                              									viele fest miteinander verbundene kleinere Flächen wählt, deren Gesamttragfähigkeit
                              									derjenigen der vollen Fläche gleichkommt; denn dann heben sich die Drehungsmomente,
                              									welche die tangentialen Komponenten des Winddruckes auf die einzelnen Flächen vor
                              									und hinter der Drehungsachse ausüben, zum grössten Teil gegenseitig auf, wie auch
                              									die diesbezüglichen Versuche Kummer's bestätigt haben.
                              									Durch die Verwendung zahlreicher kleiner Flächen ergeben sich zunächst zwei
                              									wesentliche Vorteile; erstens vermeidet oder verringert man nämlich dadurch die
                              									grosse, Lilienthal so verhängnisvoll gewordene Gefahr
                              									des Umkippens, zweitens bewirkt man aber auch, dass bei geneigter Stellung der
                              									kleinen Teilflächen der ganze Fallschirm eine beständige Horizontalkomponente
                              									erhält, und drittens der Bau des Flugapparates haltbarer und fester wird. Infolge
                              									der schiefen Flächenstellung kann nämlich, wie schon Leonardo da Vinci und Karl Buttenstedt in
                              									ihren Arbeiten andeuten bezw. klar aussprechen, die vertikal gerichtete Schwerkraft
                              									nicht senkrecht nach unten wirken, sondern muss sich in eine horizontale und
                              
                              									vertikale Komponente zerlegen und, da diese beiden Teilkräfte gleichzeitig wirken,
                              									einen schräg abwärts geneigten Fall des Schirmes hervorbringen. Da die Einstellung
                              									starrer Flächen Schwierigkeiten bereiten würde, so wird man entsprechend der
                              									elastischen Fahnenschraube bezw. den Federn des Vogelflügels elastische, sich dem
                              									Winddrucke gemäss selbstthätig einstellende Lamellen wählen. Auf diese Weise bewirkt
                              									man zugleich, dass der Fallschirm in Ruhestellung eine vollständig geschlossene oder
                              									bei geringerem Druck eine weniger weit als sonst geöffnete Nutzfläche darbietet,
                              									welche sich eben erst bei genügend starkem Luftwiderstand an den Endkanten der
                              									einzelnen elastischen Stahllamellen öffnen kann und dann der von unten her
                              
                              									drückenden Luft an diesen Stellen einen Durchgang gestattet. Die Reibung der
                              									daselbst durchströmenden Luft ergibt ausserdem noch eine nach oben wirkende Kraft,
                              									welche ebenso wie der Widerstand der Tragfläche den vertikalen Fall in der Grösse
                              									nach bestimmtem Grade mässigt. Es dürfte aus diesem Grunde nicht unvorteilhaft sein,
                              									wenn man die einzelnen Lamellen statt in eine geschlossene, dünne, elastische Kante
                              									in unzählige, feine, elastische Härchen auslaufen lässt. Auf die Grösse des
                              									Luftwiderstandes derartig bewegter Flächen bei verschiedenen Geschwindigkeiten kann
                              									ich hier nicht eingehen, da dies zu weit führen würde. Ich bemerke, dass bei der
                              									Aufstellung des diesbezüglichen Gesetzes erstlich auf das Doppler'sche Prinzip Rücksicht zu nehmen ist, wodurch sich eine mechanisch
                              									unanfechtbare Begründung der ein wenig umgeformten Luftwiderstandsformel von v. Lössl ergibt; zweitens ist der Einfluss des Stosses
                              									der elastischen Luft auf die elastischen Lamellen in Rechnung zu stellen, wozu die
                              									bei den Dampfturbinen über den Stoss des elastischen Dampfes gemachten
                              									experimentellen und theoretischen Ergebnisse zu benutzen sind. Soweit ich die
                              									Litteratur über künstliche Flugapparate kenne, sind ausser den auf scharfer
                              									Naturbeobachtung beruhenden Angaben Leonardo's und Buttenstedt's keine mechanisch und wissenschaftlich
                              									zutreffenden Aufschlüsse über diesen Gegenstand bis jetzt gegeben worden.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)