| Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. | 
| Autor: | M. Richter | 
| Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 326 | 
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                        Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
                           								Gegenwart.
                        Von Ingenieur M. Richter,
                           								Bingen.
                        Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
                        
                     
                        
                           Wenn vom 19. Jahrhundert mit Recht gesagt worden ist, es stehe „im Zeichen
                                 										des Verkehrs“, so kann hinzugefügt werden: dieses Zeichen ist die
                              									Dampflokomotive. Denn mehr als irgend eine andere Schöpfung menschlichen Geistes hat
                              									die fahrende Dampfmaschine, dieses Ergebnis langjähriger, oft fruchtloser Thätigkeit
                              									des Ingenieurgeistes auf einem einzigen seiner vielen Arbeitsfelder, welches, selbst
                              									voller Steine und brach liegend, mit den mangelhaftesten Werkzeugen zu bearbeiten
                              									war, dem verflossenen Jahrhundert das unauslöschliche Gepräge aufgedrückt. Der
                              
                              									bleibende Ruhm, den sich das 19. Jahrhundert in der Lösung von Kultur auf gaben, in
                              									der Herbeiführung eines gewaltigen Umschwungs und Aufschwungs im öffentlichen Leben
                              									und im Verkehr der Völker unter sich erworben hat, dieser Ruhm gebührt grossenteils
                              									der Technik, ihren Erzeugnissen und Vertretern im allgemeinen, und der Lokomotive im
                              									besonderen. Die „kraftvoll herrlichste“ Maschine (um die auf die
                              									Dampfmaschine bezogenen Worte Radinger's triftig auf
                              									die Dampflokomotive zu übertragen) ist in grossem Umfang zu einem Verbreiter der
                              									Kultur geworden. Ganze Weltteile sind durch sie erst der Kultur erschlossen worden
                              									(man denke nur an Nordamerika), und immer noch erfüllt sie ihre Kulturmission in
                              									vielen Gebieten, welche dem zivilisierten Menschen erst wohnlich gemacht werden
                              									sollen. Selbst ein Produkt potenzierter Kultur, hat sich die Lokomotive zu einem
                              									Kulturträger entwickelt und damit eine höhere Aufgabe übernommen, welche ausserhalb
                              									ihres Selbstzweckes steht.
                           Ihre Entstehung verdankt die Lokomotive dem Umstand, dass für das Zugpferd der
                              									Kohlengruben mit seiner geringen Ausdauer und seinen hohen Futterkosten ein Ersatz
                              									von grösserer Rentabilität in Gestalt einer Maschine gefunden werden sollte. Den
                              									Grund zur weiteren, bis auf die heutige Höhe getriebenen Ausbildung der fahrenden
                              									Dampfmaschine legte dann die geniale Idee Stephenson's,
                              									den Kessel mit einer grossen Zahl von Feuerröhren zu versehen und den Auspuff der
                              									Maschine ins Kamin zu leiten; nun erst war die Leistungsfähigkeit des Kessels nicht
                              									mehr von seinen starren Grössenverhältnissen allein abhängig, sondern war zu der
                              									verlangten Leistung der Dampfmaschine in eine unmittelbare Beziehung gebracht.
                              									Verhältnismässig sehr grosse Heizfläche in einem an und für sich kleinen Kessel, und
                              
                              									Auspuffgebläse im Kamin, also künstlicher Zug, das waren die unzertrennlichen
                              									Faktoren der conditio sine qua non für das, was heutzutage Lokomotive heisst!
                           Im Zeitraum von 70 Jahren ist an dem einmal festgelegten Prinzip der Lokomotive
                              									nichts geändert worden; dem zunehmenden Verkehrsbedürfnis entsprechend haben sich
                              									nur die Abmessungen und massgebenden Verhältnisse geändert; erstere sind im
                              									allgemeinen gestiegen in der Grosse, letztere haben Werte angenommen, bei welchen
                              									man neben der grössten Leistungsfähigkeit auch die mögliche Sparsamkeit
                              									berücksichtigt; theoretisch hat man die Wirkungsweise, praktisch die Anordnung und
                              									Ausführung im einzelnen, wie im ganzen bedeutend verbessert.
                           Die Eisenbahnen mit ihrer zu einer ungeahnten Grosse angewachsenen Ausdehnung
                              									und ihren riesigen Leistungen haben ebenfalls keine andere Ursache ihrer Existenz
                              									als den scheinbar geringfügigen Umstand, dass die im Wettkampf von Rainhill Siegerin
                              									gebliebene Lokomotive, die berühmte „Rocket“, nach Stephenson's Prinzip gebaut war. Eine andere konnte überhaupt nicht
                              									gewinnen, müssen wir in richtiger Erkenntnis der Sachlage nachträglich urteilen.
                           Aus unscheinbaren Anfängen heraus, aus einer Kohlenförderungsbahn mit Pferdebetrieb
                              									hat sich das Eisenbahnwesen der Gegenwart allmählich entwickelt; das Zugpferd ist
                              									durch einen Organismus ersetzt, welcher, zur gleichen Zeit Renner und Zugtier, in
                              									der Vereinigung von Stärke und Schnelligkeit alle von der Natur geschaffenen Wesen
                              									weit überholt hat.
                           Ein Vergleich zwischen der Lokomotive von einst und jetzt ist hier wohl
                              									angebracht:
                           Stephenson's „Rocket“ sei der Maschine des
                              										„Atlantic City Express“ gegenüber gestellt (D. p.
                                 										J. 1899 312 127).
                           
                              
                                 
                                 
                                 Rocket(1829)
                                 Atlantic(1896)
                                 
                              
                                 Zahl der
                                 Achsen überhauptTriebachsen
                                    2   1
                                         5        2
                                 
                              
                                 Totalgewicht
                                    7,5 t
                                       64,7 t
                                 
                              
                                 Kesselüberdruck
                                    3,5 at
                                       14,1 at
                                 
                              
                                 Heizfläche
                                  12,8 qm
                                        170 qm
                                 
                              
                                 Kolbendurchmesser
                                   203 mm
                                 331/558 mm
                                 
                              
                                 Kolbenhub
                                   420 mm
                                        660 mm
                                 
                              
                                 Triebraddurchmesser
                                 1435 mm
                                      2140 mm
                                 
                              
                                 Höchste
                                 DauerzugkraftLeistung
                                 1700 kg    15 PS
                                      5500 kg     1300 PS
                                 
                              
                                 Normale
                                 GeschwindigkeitTourenzahl/Min
                                     24 km/Std.    90
                                        130 km/std.(!)       330
                                 
                              
                                 Zuglast
                                     12 t
                                        210 t
                                 
                              
                           Besser als durch diesen Gegensatz lassen sich die Anforderungen an die
                              									Betriebsmittel, welche heute gestellt werden, nicht beleuchten. Die beförderte Last
                              
                              									ist bei Schnellzügen (und nur mit diesen kann sich das vorliegende Thema genauer
                              									befassen) auf das etwa 20fache, die Geschwindigkeit auf das 5fache erhöht worden.
                              									Dementsprechend musste die Leistung von 15 auf 1300 PS steigen, also auf das beinahe
                              									100fache. Dabei ist aber die Maschine nicht 100mal, sondern nur 9mal schwerer
                              									geworden, was beweist, dass die Vergrösserung der Abmessungen allein bei der
                              									Bemessung der Leistung nicht in die Wagschale fällt; denn die Heizfläche ist nur auf
                              									die 13fache Grosse angewachsen. Der Fortschritt muss in einem Ineinandergreifen
                              									vieler Umstände gesucht werden, unter welchen die hohe Tourenzahl eine Hauptrolle
                              									spielt, sobald sie einmal von anderer Seite her ermöglicht ist.
                           In nicht geringem Mass spiegelt sich die Steigerung der Ansprüche an die
                              									Leistungsfähigkeit der Eisenbahn bezw. ihrer Betriebsmittel in den Fahrplänen ab.
                              									Von dem erwähnten Beispiel abgesehen, welches in gewissen Beziehungen als
                              									ausserordentlich bezeichnet werden darf, aber doch treffend beweist, was schon
                              									erreicht worden ist, ist die Beanspruchung der Bahnen allgemein ins Ungeheuerliche
                              
                              										gewachsen.
                              									Nicht nur die fahrplanmässige Geschwindigkeit der Züge hat besonders auf einzelnen
                              									bevorzugten Strecken eine bedeutende Höhe erreicht, sondern auch die Zahl der
                              									schnellfahrenden Züge ist beträchtlich gestiegen, so dass gewisse Bahnen mit
                              									Schnellzügen überhäuft erscheinen. Dass gleichzeitig trotzdem noch das beförderte
                              									Zugsgewicht eine starke Steigerung erfahren hat, ist nicht nur dem
                              									Eisenbahnfachmanne, sondern auch dem aufmerksamen Laien eine bekannte Thatsache.
                           Der Aufschwung im Eisenbahnverkehr hat sich nicht wenig gerade in den Fahrplänen der
                              									letzten paar Jahre ausgeprägt, obwohl im übrigen schon während des ganzen
                              									verflossenen Jahrzehnts eine Art von frischem Wind das Eisenbahnwesen, besonders
                              									dasjenige des europäischen Festlandes, durchwehte, durch welchen der Verkehr rasch
                              									in die heutige Höhe gerissen wurde; das gleiche gilt von der zum Verkehr in
                              									wechselseitiger Beziehung stehenden Eisenbahntechnik. Das Ende der einmal begonnenen
                              									Steigerung ist nicht abzusehen – „die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht
                                 										los“, heisst es hier. Ein allgemeines „sich gegenseitig überbieten“
                              									ist das Fahrwasser der Weiterentwickelung geworden, wenn auch der Wettkampf manchmal
                              									nur unbewusst geführt wird, und jedenfalls viel harmloser, oder im Gegenteil viel
                              
                              									produktiver ist als der Kampf, welcher die Technik der Mordinstrumente aller Art
                              									Entwickelungs- und Profittriumphe feiern lässt.
                           Die Eisenbahntechnik, selbst nur ein Kapitel im grossen Buch der Technik, aber von
                              									den meisten anderen Kapiteln gerade so abhängig, wie diese von ihm, und für sich
                              									wieder in eine Reihe von Abschnitten zerfallend, von denen auch die scheinbar
                              									weniger wichtigen für das Ganze unerlässlich sind, bemüht sich angestrengt, dem
                              									Verkehrsbedürfnis gerecht zu werden, und der Erfolg ist der, dass die gestellten
                              									Forderungen übertroffen werden. Es entsteht umgekehrt wieder eine neue Triebfeder
                              									zur Hebung des Verkehrs, weil es sich darum handelt, die Leistungsfähigkeit der
                              									technischen Erzeugnisse, welche dem Verkehr dienen sollen, in letzterem möglichst
                              									weitgehend auszunutzen. Der Fortschritt der Technik macht also eine weitere Erhöhung
                              									der an die Technik tretenden Ansprüche selbst möglich. Da diese Wechselbeziehung
                              									zwischen Fortschritt und Anspruch, Leistung und Forderung, oder noch allgemeiner,
                              									Angebot und Nachfrage eine dauernde ist, so kann auch kein Stillstand in der
                              									Entwickelung des einen oder anderen der beiden Faktoren eintreten, sondern der eine
                              									ist in seiner jeweiligen Höhe stets die Verstärkungsursache des anderen.
                           Möglicherweise ist der erste Anstoss zu der plötzlich eingetretenen Hebung der
                              									Eisenbahnthätigkeit vom Lokomotivbau selbst ausgegangen und nicht vom unmittelbaren
                              									Verkehrsbedürfnis, sondern dieses folgte erst nach, als ersterer eine vermehrte
                              									Leistungsfähigkeit nachzuweisen sich in stand setzte. Zweifel gegenüber dieser
                              
                              									Annahme sind jedoch nur zu leicht vorzubringen, um so mehr als die erwähnte
                              									Wechselbeziehung auch noch anderen Einflüssen, als den durch die gegenseitige
                              									Abhängigkeit bedingten, unterworfen ist; so werden Schwankungen in der
                              									Verkehrsgrösse durch soziale (Tarifreform u.s.w.), solche in der technischen
                              									Leistungsfähigkeit durch speziell technische (Erfindungen, Weltausstellungen u.s.w.)
                              									Momente hervorgerufen.
                           Hält man an der gemachten Annahme fest, so war es vielleicht die Pariser
                              									Weltausstellung 1889, welche als Ursprung des regen Lebens, jedenfalls aber als
                              									tiefgehende Anregung im Eisenbahnwesen zu betrachten ist, deren Wirkung das letzte
                              									Jahrzehnt des eisernen Jahrhunderts beherrschte. Als Beweis gelte nur die Thatsache,
                              									dass die Verbundlokomotive jedes Systems, besonders aber die Doppelverbundlokomotive
                              
                              									System Mallet, erst durch diese Ausstellung sozusagen
                              									Empfehlung und deshalb allgemeinere Anwendung erlangte; ähnlich verhält es sich mit
                              									dem Drehgestell. Von sehr vielen Einzelheiten der Ausstattung, der theoretischen und
                              									praktischen Verfeinerung und Verbesserung, durch welche die Lokomotive in
                              									ökonomischem, konstruktivem und – nicht zu vergessen – ästhetischem Sinn gewann, ist
                              									hier nicht zu reden, sondern nur festzustellen, dass die Weltausstellung 1889 den
                              
                              									mittel- und unmittelbaren Lehrmeister bildete, indem sie die Praxisvieler
                              									Länder und die Geistesprodukte vieler Ingenieure sammelte und einander gegenüber
                              									stellte. Dadurch leitete sie die Technik aus manchen verfahrenen Geleisen in neue
                              									und neuartige, und lehrte die Techniker voneinander das beste zu lernen und
                              									schlechteres dafür auszumerzen, so dass die Ergebnisse technischen Schaffens auf
                              									eine hohe Stufe der Vollendung und Brauchbarkeit sich hoben.
                           Dasselbe kann von der Ausstellung Chicago 1893 gerühmt werden, deren belehrendes
                              									Moment, neben dem der Studienreisen hervorragender Fachmänner, wie z.B. von v. Borries, für die europäische Technik im
                              									Eisenbahnfach ein nicht zu verkennendes gewesen ist. Sich mit der hohen Kessellage,
                              									wie sie die amerikanischen Lokomotiven aufwiesen, zu befreunden; dem
                              									Lokomotivpersonal geräumige, helle, gut schützende Räume auf der Maschine
                              									einzurichten, das hat die Lokomotivtechnik Europas unmittelbar in Chicago gelernt;
                              									auch der Gedanke der mehr und mehr zur Verbreitung kommenden Schnellzüge feinster
                              									Ausstattung stammt daher: grösste Bequemlichkeit, geradezu Luxus, grösste
                              									Schnelligkeit der Beförderung, sowohl hinsichtlich der Fahrgeschwindigkeit des im
                              									vollen Gang befindlichen Zuges, als auch hinsichtlich der Vermeidung häufigen
                              									Anhaltens, alles nach amerikanischem Muster.
                           Für weniger wichtig darf man wohl den Einfluss der letzten Pariser Ausstellung
                              									halten. Erstens zeigte sie eigentlich nur die, allerdings grossartigen, Erfolge der
                              									beiden letzten Ausstellungen, weil sie zu rasch auf dieselben folgte; dann hat die
                              									Eisenbahntechnik eben auf Grund dieser Erfolge vielfach das nationale Gepräge
                              									verloren und wichtige Prinzipien sind internationales Gemeingut geworden, so dass
                              									sich die Gegensätze zwischen Aus- und Inland, in der Technik wenigstens,
                              
                              									abgeschliffen oder ausgeglichen haben; endlich war das Eisenbahnwesen von Seiten der
                              										„Gastgeber“ stiefmütterlich behandelt und auf die Seite geschoben, was
                              									begreiflicherweise das Bedauern der interessierten Kreise in hohem Mass geweckt
                              									hat.
                           Um so besser war die Eisenbahnausstellung von den Ausstellern beschickt. Was für das
                              									vorliegende Thema von Interesse ist, ist nicht die Ausstellung, noch ihre
                              									Sehenswürdigkeiten, deren Schilderung anderen überlassen werden muss, sondern der
                              									Umstand, dass die Ausstellung ein getreues Bild der Bestrebungen des Lokomotivbaues
                              									gegenüber dem den Forderungen des Schnell- und Fernverkehrs bot. Der grösste Teil
                              									aller ausgestellten Lokomotiven waren solche für Schnellzüge bezw. Personenzüge. Der
                              									Unterschied zwischen beiden ist ja heutzutage völlig verschwunden in der
                              									Maschinentechnik, er existiert nur noch in der Betriebstechnik. Für den Lokomotivbau
                              									gibt es nur noch Schnellzüge, d.h. Züge mit verhältnismässig geringer Belastung und
                              									hoher Geschwindigkeit, also hoher Tourenzahl der Maschine, und Güterzüge, d.h. Züge
                              									mit grosser Belastung und verhältnismässig geringer Tourenzahl. Auf die Häufigkeit
                              
                              									des Anfahrens, die Dauer der Aufenthalte kommt es nicht mehr an bei der Konstruktion
                              									der Maschinengattung. Weder in der Belastung noch in der Geschwindigkeit auf freier
                              									Strecke sind die Schnellzüge von den Personenzügen wesentlich verschieden.
                           Die vorhin erwähnte Art der Beschickung der Ausstellung zeigt unverkennbar, dass die
                              									Bahn Verwaltungen und Lokomotivfabriken unter den beiden Leistungsgrössen
                              									(Geschwindigkeit und Zugkraft) der ersteren bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit
                              									des Betriebes höheren Wert beilegen. Es darf uns das auch nicht Wunder nehmen. Das
                              									einzige Interesse, welches das Publikum dem Leben und Treiben der Bahn
                              									entgegenbringt, ist kommerzieller Natur und wird der Geschwindigkeit der Beförderung
                              									zugewandt; die Erhöhung der Zuglast ums Doppelte erregt nie in so hohem Mass die
                              									Bewunderung wie die Erhöhung der Geschwindigkeit um vielleicht nur ein Fünftel der
                              									bisherigen. Stets wird ein mit 100 km/std. durch eine Station rasender Schnellzug, und
                              									wäre es auch nur eine einzelne Lokomotive, in dem Beschauer einen ganz anderen, dem
                              									Genuss eines aufregenden Schauspiels ähnlichen Eindruck hervorrufen, als ein mit 40
                              										km/std.
                              									laufender, aus 75 Wagen bestehender Güterzug. Der Eindruck muss überwältigend sein,
                              									wenn er wirken soll, und muss etwas Sinnverwirrendes enthalten. Ist dies für den
                              									äusseren Beschauer schon vorhanden, so kommt für den Reisenden noch der Grundsatz:
                              										„Zeit ist
                                 
                                 										Geld“ hinzu. Meistens wird aber die beförderte Last ausserhalb des
                              									Interesses liegen.
                           Verzichten wir auf weitere psychologische Versuche, und sehen von subjektiven und
                              									instinktiven Entscheidungen in der Frage: Geschwindigkeit oder Kraft? ab, so hat die
                              									erstere der beiden Grossen auch ihre objektiven Befürworter, wenn das Prinzip
                              										„Zeit ist Geld“ in seiner allgemeinen Wahrheit nicht schon genügende
                              									Entscheidung enthält. Halten wir zunächst an diesem Prinzip fest.
                           Mit der Vergrösserung der Geschwindigkeit muss bekanntlich bei einer und derselben
                              									Lokomotive die Zugkraft sinken. Es wird deshalb bei jeder Geschwindigkeit eine
                              									Belastungsgrenze sich ergeben. Bei einer gewissen Grenze der Geschwindigkeit ist die
                              									erforderliche Leistung so hoch, dass die Lokomotive nur noch sich selbst befördern
                              									kann, aber keine Zuglast mehr. Damit ist allerdings der Verwendbarkeit der
                              									Dampflokomotive die praktische Grenze gezogen, und zwar liegt diese verhältnismässig
                              									niedrig, weil die Dampflokomotive ihrer Konstruktion, ihrem Grundgedanken gemäss,
                              									gezwungen ist, den Krafterzeuger und den Vorratswagen für denselben, also Kessel und
                              									Tender mitzuschleppen, die tote Last ist also hier das unübersteigbare
                              									Hindernis.
                           Auch die elektrische Lokomotive von Heilmann leidet, von
                              									ihren vielen anderen Fehlern abgesehen, an diesem Umstand und hat daher keinen
                              									Vorteil vor der gewöhnlichen Lokomotive in dieser Hinsicht; sie wird deshalb über
                              									kurz oder lang auf ihrem ohnehin beschränkten Betriebsfeld ausgespielt haben und
                              
                              									einer vernünftig konstruierten Dampflokomotive (und an solchen ist kein Mangel)
                              									Platz machen müssen.
                           Die elektrische Fernbahn der Zukunft mit Kraft- bezw. Energiezufuhr von aussen, wie
                              									sie schon so oft geplant war, wäre thatsächlich die einzige Lösung des
                              									Geschwindigkeitsproblems. Von toter Last ist dabei keine Rede mehr, und bei
                              									gleichzeitigem vollständigem Verzicht auf die Abgabe von Zugkraft wird die
                              									Geschwindigkeitsgrenze ganz enorm in die Höhe gerückt, denn die ganze zugeführte
                              									Energie wird zur ausschliesslichen Beförderung von Nutzlast verwendet.
                           Da nun bei der Dampflokomotive infolge des bei einer Vergrösserung der
                              
                              									Geschwindigkeit aus zwei Gründen (nämlich Vermehrung des Zugwiderstandes und der
                              									Kraftäusserungen in der Zeiteinheit) erfolgenden Anwachsens der nötigen Leistung
                              									auch eine Erhöhung des Gesamtgewichts eintritt, so gilt also:
                           Bei der Dampflokomotive bedingt eine Erhöhung der Geschwindigkeitsgrenze eine
                              									Vergrösserung der toten Last für gleiche Zugkraft.
                           In dieser Thatsache liegt eine kommerzielle Inferiorität der Dampflokomotive
                              									gegenüber dem elektrischen „Fernwagen“ mit äusserer Stromzufuhr.
                           Rein aus diesem Grund ist also die heutige Lokomotive nicht zur Rennmaschine im
                              									extremen Sinn, sondern zur Zugmaschine geschaffen; denn das Verhältnis der toten
                              									Lokomotivlast zur beförderten Nutzlast wird um so schlechter, je höher die verlangte
                              									Geschwindigkeit ist. Nicht mit Unrecht könnte hier von einem „kommerziellen
                                 										Wirkungsgrad“ gesprochen werden. Da der letztere bei der Heilmann-Lokomotive
                              									(Gewicht ohne Tender 120 t!) ein sehr geringer ist, so kann dieselbe nicht in Frage
                              
                              									kommen.
                           Sehr genau lassen sich diese Verhältnisse auch durch entwickelungsgeschichtlichen
                              									Vergleich feststellen.
                           Die Geschwindigkeit ist von 30 km/std. (1830) gestiegen auf 120 km/std. im
                              									Schnellzug (1900), also auf das 4fache; das Gleiche ist sie durchschnittlich
                              									geblieben im Güterzug.
                           Die Zuglast (hinter dem Tender) ist von 15 t (1830) gestiegen auf 300 t im Schnellzug
                              									(1900), also auf das 20fache; dagegen auf 1500 t im Güterzug, also auf das 100fache,
                              									und in Amerika sogar auf 6000 t, also auf das 400fache.
                           Es folgt daraus ohne weiteres, dass die Vergrösserung der Zugkraft eine 50- bis
                              									100mal leichtere Aufgabe ist, als diejenige der Geschwindigkeit, dass also die
                              									Bemessung der Leistungsfähigkeit der Lokomotive oder der Bahn thatsächlich nach dem
                              									Massstab der Geschwindigkeit, als des ungünstigen Faktors, zu geschehen hat, und
                              									nicht nach dem der Zuglast.
                           Hierin liegt, in Verbindung mit dem Wegweiser „Zeit ist Geld“, welcher
                              									stets die grösste Geschwindigkeit anzuwenden vorschreibt, die Begründung dafür, dass
                              									die Fabriken und Bahnen, wenn sie ein Bild ihrer Leistungen geben sollen, sich durch
                              									Schnellzuglokomotiven vertreten lassen, oder wenigstens durch solche mit hohen
                              									Tourenzahlen, wie dies in Paris sich gezeigt hat, und dass Maschinen von sehr
                              									grosser Stärke, soweit diese die Zugkraft bezeichnet, erst in zweiter Linie in
                              									Betracht kommen.
                           Ueberall herrscht das Bestreben, alle technischen Mittel dem Schnellverkehr zur
                              									Verfügung zu stellen, und zwar auf Kosten des „kommerziellen“ Wirkungsgrades der Zugförderung, d.h. des
                              									Verhältnisses der zur Beförderung der Nutzlast (Zuglast hinter dem Tender)
                              									erforderlichen Leistung zur Leistung, welche zur Beförderung des ganzen Zuggewichtes
                              
                              									einschliesslich Maschine und Tender nötig ist. Nicht zu verwechseln ist der
                              									kommerzielle mit dem mechanischen Wirkungsgrad der Lokomotive an sich, welcher das
                              									Verhältnis der zur Bewegung des ganzen Zuges erforderlichen Leistung zur
                              									Dampfleistung in den Cylindern darstellt. Ersterer ist beim elektrischen Fernwagen,
                              									wo Maschine und Zug identisch sind, gleich eins, letzterer dagegen infolge der
                              									mehrmaligen Energieumformung wahrscheinlich geringer als bei der Dampflokomotive;
                              									bei dieser allerdings sinkt er auch um so mehr, je höher die Geschwindigkeit
                              									ist.
                           Trotz dieser unabweisbaren Beschränkung in der Verwendbarkeit der Dampflokomotive hat
                              									dieselbe eine hohe Stufe der Vollkommenheit allmählich erklommen. Solange kein
                              									ernsthafter Konkurrent sich findet, ist sie der unumstrittene, durch seinen
                              									Organismus stets gleichzeitig zum Zugtier verdammte Renner. England, das Mutterland
                              									der Technik und vor allem des Eisenbahnwesens, hat fast durchwegs, also auch im
                              									Güterzugdienst, ihrer Rolle als Renner grössere Bedeutung und Verpflichtung
                              									beigelegt.
                           Die besten Schnellzüge werden mit ungekuppelten Maschinen befördert, welche schon
                              									infolge der hohen Triebräder geringe Zugkraft haben; die erreichbare Geschwindigkeit
                              									ist sehr hoch; die tote Last ist gross, die Zuglast klein, also der kommerzielle
                              									Wirkungsgrad schlecht, der mechanische freilich beim geringen Eigenwiderstand
                              									gut.
                           Schwerere Schnellzüge und Personenzüge werden wie bei uns von zwei- und dreifach
                              									gekuppelten Maschinen gezogen, dabei sind die Verhältnisse von vornherein besser
                              									angelegt, werden aber wieder durch steigende Geschwindigkeit verschlechtert.
                           Bei den Güterzügen ist das Güte Verhältnis zwischen Nettoleistung und Bruttoleistung
                              									noch schlechter. Das Gewicht der vielen kurzen schnellfahrenden Güterzüge ist in
                              									England gegenüber demjenigen der leistungsfähigen Maschinen etwa um ⅔ geringer, als
                              									z.B. bei uns.
                           Besser steht es wieder mit den erst neuerdings von vierfach gekuppelten Maschinen
                              									gezogenen Kohlen- und Erzzügen, wo die Nettolast den grössten Teil der Bruttolast
                              
                              									ausmacht.
                           Bei der englischen Betriebsweise wird viel Zeit gewonnen, aber es muss die Zahl der
                              
                              									Lokomotiven und das Personal enorm verstärkt werden; die Anlage- sowohl wie die
                              									Betriebskosten sind also hoch.
                           Bei uns, in Deutschland besonders, hat man einen anderen Standpunkt. Mit der Erhöhung
                              									des kommerziellen Wirkungsgrades sinken die erwähnten Kosten, es wird an Personal
                              									gespart, dafür aber sinkt auch die erreichbare Geschwindigkeit der Beförderung; die
                              									Zugkraft der Lokomotiven, an sich schon hoch bemessen, wird möglichst weit
                              									ausgenutzt.
                           Die Frage: Geschwindigkeit oder Kraft? ist also eine wirtschaftliche, und ihre
                              									Beantwortung muss wirtschaftlichen Berechnungen und Rücksichten unterliegen.
                              									Allgemeines kann nicht festgesetzt werden; Frankreich und England, teilweise auch
                              									Nordamerika urteilen zu Gunsten des Schnellbetriebes, die übrigen Länder in
                              									verschiedener Abstufung zu Gunsten des Kraftbetriebes, solang derselbe sich von
                              									ersterem trennen lässt, und das ist nur im Güterzugsdienst möglich. Der
                              									Lokomotivorganismus selbst entscheidet jederzeit für den Kraftbetrieb aus
                              									ökonomischen Gründen, solang die Dampflokomotive existiert.
                           Fasst man die Ergebnisse dieser Ableitung zusammen, so ergibt sich:
                              									Schnellverkehr und Dampflokomotive sind feindliche Gegensätze. Ersterer ist eine
                              									Forderung des modernen Lebens, letztere das einzige vorhandene Beförderungsmittel,
                              									welches aber nur für den Massenverkehr geschaffen ist. Die Aufgabe der
                              									Eisenbahntechnik in ihrem heutigen Stand, und zwar die schwierigste, ist es deshalb,
                              									den besten Mittelweg zwischen beiden Gegensätzen zu finden, welcher einerseits
                              									weitgehend dem vorliegenden Bedürfnis, andererseits der möglichen Wirtschaftlichkeit
                              									Rechnung trägt.
                           In nachstehendem soll beleuchtet werden, inwieweit dies bis jetzt gelungen ist und
                              									was noch erwartet werden kann. Auch die Pariser Ausstellung 1900 hatte sich
                              									sichtlich, wie oben ausgeführt worden ist, zum Ziel gesteckt, ein Bild zu geben von
                              									dem Verhältnis zwischen Schnellverkehr und Dampflokomotive.
                           Es kann also nicht genügen, nur eine trockene Aufzählung der Leistungen der heutigen
                              									Betriebsmittel vorzuführen, sondern die letzteren müssen selbst etwas eingehender
                              									behandelt werden, und wenn es auch im Sinn einer vergleichenden Uebersicht nur
                              									geschehen kann. Auf konstruktive Einzelheiten einzugehen, würde zu weit führen und
                              									den Rahmen unseres Themas über Gebühr ausdehnen. Bleiben wir beim Thema, so
                              									interessiert uns nur die Ausgestaltung des Prinzips; nicht die Lokomotive an sich,
                              									sondern als Mittel des Schnellverkehrs.
                           
                        
                           I. Die schnellfahrende Lokomotive.
                           Einer genaueren Betrachtung können wir nur die Lokomotiven der Gegenwart unterziehen.
                              									Unter „Gegenwart“ (wozu auch die nächste Zukunft zu rechnen ist, weil
                              									dieselbe wahrscheinlich keine Ueberraschung, auf keinen Fall aber eine Umwälzung im
                              									Eisenbahnwesen bringen wird) sind höchstens die letzten zehn Jahre zu verstehen in
                              									technischer Beziehung, besser nur die letzten drei Jahre. Was weiter als 25 Jahre
                              									(das Durchschnittsalter einer modernen, angestrengten, ja fortwährend
                              									überanstrengten Lokomotive) zurückliegt, gehört nicht einmal unter den Titel
                              										„Neuzeit“. Lokomotivgattungen, welche vor 1880 entstanden sind, sind im
                              									neuen Jahrhundert ebenso wenig mehr lebensfähig, als die aus jener Zeit stammenden,
                              									über kurz oder lang nur noch in der Erinnerung vorhandenen Lokomotivindividuen
                              									selbst.
                           Ein Feuerröhrenkessel mit künstlichem Zug ist die Kraftquelle der Lokomotive. Die
                              									Heizfläche des Kessels ist die Seele des Ganzen, als Dampferzeuger unmittelbar ein
                              									Faktor, welcher die mögliche Leistung bestimmt. Belastung und Geschwindigkeit der
                              									Züge schrauben diese Leistung immer höher, und zwar in einer Weise, dass die
                              									entsprechende Vergrösserung der Heizfläche allein nicht genügen würde, um die
                              									Lokomotive den Ansprüchen möglichst anzupassen, da sich letztere auch auf die
                              									Schonung des Bahnkörpers, des Personals, die Sparsamkeit im Kohlen- und
                              									Wasserverbrauch, und die Ruhe des Ganges erstrecken.
                           Für die heutige Schnellzuglokomotive sind daher folgende Bedingungen massgebend:
                           1. Grösster Wirkungsgrad des Kessels, also beste Ausnutzung des Brennstoffs zur
                              									Erzeugung von Dampf.
                           2. Grösster Wirkungsgrad der Maschine, also beste Ausnutzung des Dampfes zur
                              									Erzeugung von Arbeit.
                           3. Grösster kommerzieller Wirkungsgrad, also beste Ausnutzung der Arbeit zur
                              									Beförderung des Zuges.
                           4. Grösste Ruhe des Ganges und Schonung des Oberbaues.
                           Die drei ersten Punkte sollen in ihrer Vereinigung bewirken, dass die an und für sich
                              									hohe, zur Beförderung eines Zuges erforderliche Leistung mit geringen Anlage- und
                              									Betriebskosten erzielt wird, dass also mit einer kleinen Lokomotive grosse Leistung
                              									bei kleinem Brennstoffverbrauch erreicht werden kann.
                           Die zwei ersten Bedingungen für sich setzen der hohen Leistung eine kleine sparsame
                              
                              									Lokomotive entgegen; die dritte soll die Leistung selbst verkleinern, welche die
                              									Bewegung einer gegebenen Last mit verlangter Geschwindigkeit erfordert.
                           Da die nötige Leistung gegenüber der möglichen Grosse der Lokomotive, d.h. ihrer
                              									Heizfläche, unter allen Umständensehr gross ist, so muss der Quadratmeter
                              									Heizfläche stets eine bedeutende Anzahl von Pferdestärken erzeugen (man kann bis zu
                              
                              									9 PS/qm rechnen).
                              									Der Betrieb ist also stets forciert, der Wirkungsgrad des Kessels unter allen
                              
                              									Umständen schlecht, – falls dieser Ausdruck für die Lokomotive überhaupt passt.
                           Die spezifische Leistung, die Anzahl der Pferdestärken auf den Quadratmeter der
                              									Heizfläche, ist daher bei der Lokomotive, der Sachlage gemäss, dem Wirkungsgrad des
                              									Kessels gegenüber, der entscheidende Wert.
                           Was nun die absolute Leistung anbetrifft, so ist dieselbe gewissermassen von der
                              									dritten Potenz der Geschwindigkeit abhängig, aber nur von der ersten Potenz der
                              									Zuglast. Als Beweis gelte die Clark'sche Formel, welche
                              									heutzutage wenigstens noch für niedere Geschwindigkeiten richtig ist.
                           Wenn
                           V die Geschwindigkeit in km/st.
                           G  „   Zuglast in t,
                           W der Zugwiderstand in kg,
                           so ist die verlangte Leistung
                           
                              N=\frac{W\,V}{270}=\frac{V\,G}{270}\,\left(2,4+\frac{V^2}{1000}\right)\mbox{ in PS.}
                              
                           Das rasche Anwachsen der Leistung bei zunehmender Geschwindigkeit erklärt sich daraus
                              									bequem, und die weiter oben erledigte Frage, ob Rennmaschine oder Zugmaschine, hat
                              									hier ihre Antwort zahlenmässig.
                           Was ferner die spezifische Leistung der Heizfläche in PS/qm betrifft, so ist dieselbe, der Idee
                              										Stephenson's zufolge, von der Wirkungsweise der
                              									Dampfmaschine durch das Auspuffblasrohr abhängig gemacht worden; in anderen
                              									Worten:
                           Die Leistung des Quadratmeters Heizfläche ist eine Funktion der Tourenzahl der
                              									Maschine. Es liegt darin die unmittelbare Möglichkeit, einen kleinen Kessel sehr
                              									leistungsfähig zu machen, wobei zu beachten ist, dass diese Funktion langsamer
                              									steigt als die Tourenzahl, so dass zuletzt ein Höchstwert erreicht wird; denn je
                              									grösser die Anstrengung des Kessels, um so niedriger der Wirkungsgrad; die mögliche
                              									Vergrösserung der Anstrengung wird in steigendem Mass durch die Verschlechterung des
                              									Wirkungsgrades niedergedrückt und zuletzt bei einer im Betrieb allerdings selten
                              									erreichten, aber für eine gegebene Lokomotive konstanten Geschwindigkeitsgrenze
                              									vollständig aufgehoben, so dass von da ab die Leistung wieder sinkt.
                           Durch diese Beziehungen ist also der Lokomotive von gegebenen Abmessungen eine
                              									Geschwindigkeitsgrenze vorgeschrieben, deren Ueberschreitung eine Verkleinerung der
                              									Leistung verlangt; es ist also eine Verminderung der Zugsbelastung nötig, und damit
                              									eine Verschlechterung des kommerziellen
                                 									Wirkungsgrades.
                           Fasst man das Verhalten der Dampflokomotive gegenüber der Steigerung der
                              									Geschwindigkeit in ein paar Worten zusammen, indem man die früher gemachten
                              									Aufstellungen bezüglich des Lokomotivgewichts beizieht, so ergibt sich:
                           Eine Vergrösserung der Geschwindigkeit bedingt stets eine Verschlechterung des
                              									Güteverhältnisses der Zugförderung, d.h. des Verhältnisses der Nettoleistung zur
                              									Bruttoleistung, und zwar ist die Verschlechterung bedingt entweder durch
                              
                              									Verkleinerung des Zuggewichts für gegebene Lokomotive, oder durch Vergrösserung des
                              									Lokomotivgewichts für gegebenen Zug.
                           Wurde die Leistung als Funktion der Tourenzahl hingestellt, so muss dieselbe noch
                              									genauer definiert werden. Auf Grund zahlreicher Versuche kann gesetzt werden: wenn
                              										n Tourenzahl in Minuten, H Heizfläche in Quadratmeter, N Leistung in
                              									Pferdestärken, so ist die verfügbare Leistung
                           
                              \frac{N}{H}=a\,\sqrt{n}.\mbox{ in}^{\mbox{ PS}}/_{\mbox{qm}}.
                              
                           Der Koeffizient a schwankt zwischen 0,39 (für
                              
                              									Zwillings-) und 0,46 (für Verbundlokomotiven), und ist ausserdem von der Grosse der
                              									Rostfläche abhängig; denn je kleiner der Rost, um so schärfer der Luftzug und um so
                              									stossender die Verbrennung und daher die Verdampfung. Grosse Rostflächen, sehr
                              									schwache Auspuffspannung und sehr grosse Zahl der Dampfschläge in der Zeiteinheit sind
                              									die günstigen Grossen für gleichmässige Verdampfung, also grosse Leistungsfähigkeit
                              
                              									des Kessels.
                           Nebenbei bemerkt, ist es falsch, als Argument der
                              									spezifischen Kesselleistung die Fortbewegungsgeschwindigkeit des Zuges in km/std.
                              									anzunehmen; denn diese steht in keinem Zusammenhang zu dem Zug im Kamin, welcher
                              									lediglich durch das Auspuffgebläse hervorgerufen wird.
                           Bei gleicher Zahl der Dampfschläge in der Zeiteinheit und gleicher Austrittspannung
                              									ist der Quadratmeter Heizfläche jedenfalls immer zur gleichen Verdampfung fähig, ob
                              									nun der Zug hinter der Maschine 10 oder 100 km/std. läuft. Die Anschauung, welche oft in älteren
                              									Werken noch zu finden ist, dass der Zug aufs Feuer durch das Eindringen der Luft in
                              									die vordere Aschfallöffnung entstehe, und dass dieses Eindringen mit wachsender
                              									Geschwindigkeit an Heftigkeit zunehme, aber auch nur von der Bewegung dieser
                              									Oeffnung in der Fahrtrichtung herrühre, ist verfehlt. Das Eindringen ist eine blosse
                              									Folge des Absaugens einer Luftmenge im Kamin mittels des Blasrohres, dessen Wirkung
                              									im Stillstand durch den künstlichen Bläser ideal ersetzt wird.
                           Auf die Erfüllung der drei Bedingungen nun genauer eingehend, durch welche
                              									Leistungsfähigkeit und Sparsamkeit der Schnellzuglokomotive gegeben sind, müssen wir
                              									zunächst den ersten Punkt einer Betrachtung unterziehen.
                           
                              1. Leistungsfähigkeit und
                                    											Sparsamkeit des Kessels.
                              Einerseits hat der Kessel aufzukommen für die grosse Leistung von 800 bis 1500
                                 										PS; ausserdem ist die Lieferung einer besonderen Dampfmenge für Bremsen (Dampf
                                 										bremse, Luftpumpe), Dampfheizung im Winter, Dampfsander, künstlichen Bläser,
                                 										Rauchverzehrung geboten.
                              Andererseits ist der Kessel in seinen Abmessungen sehr beschränkt durch die
                                 										Spurweite, das lichte Normalprofil, die Grosse des zulässigen Achsdrucks.
                              Die hohe spezifische Leistung der Heizfläche ist durch das Auspuffgebläse
                                 										ermöglicht, wie schon besprochen. Vergrössert wird die spezifische Leistung
                                 										durch Anwendung hoher Tourenzahlen, also nicht zu hoher Triebräder, und geringer
                                 										Austrittspannung, also geringer Füllungen, wie sie durch Annahme grosser
                                 
                                 										Cylinderdurchmesser oder beim Verbundsystem sich ergeben.
                              Auf diese Weise erhöht sich für gegebene Heizfläche die Leistung.
                              Ferner lässt sich der Wirkungsgrad des Kessels (Produkt aus demjenigen der
                                 										Rostfläche und demjenigen der Heizfläche) verbessern durch gleichmässige
                                 										Verbrennung, wie sie durch die Auspuffverhältnisse des Verbundsystems ermöglicht
                                 
                                 										ist; durch Rauchverbrennung, wobei höhere Temperatur der Heizgase und Vermeidung
                                 										von Russansatz in den Siederohren erzielt wird; durch Verwendung gereinigten
                                 										Wassers, wobei die Bildung von Kesselstein sich vermindern lässt, und durch die
                                 										Verwendung endlich von Siederöhren mit Heizrippen, System Serve, zur bessern Aufnahme der Wärme, sowie von
                                 										Quersiedern, Tenbrinck-Siedern, Verbrennungskammern, zum gleichen Zweck.
                              Auf diese Weise vermindert sich für gegebene Heizfläche der Kohlenverbrauch.
                              Ist aber die verlangte Absolutleistung so hoch, dass zu einer Vergrösserung der
                                 										Kesselabmessungen trotz der Berücksichtigung beider Verbesserungsmethoden
                                 										gegriffen werden muss, so muss der Kessel von den beengenden Fesseln der
                                 										Spurweite und des Rahmens befreit werden.
                              Nach amerikanischem Muster wird er über die Triebräder gelegt und erhält dadurch
                                 										genügenden Durchmesser zur Aufnahme einer grossen Zahl von Siederöhren.
                                 										Gleichzeitig kann entsprechend die Rostfläche durch Verbreiterungder
                                 										Feuerbüchse über die Rahmen eine Vergrösserung erfahren. Die Anwendung von
                                 										Serve-Röhren führt infolge der grossen Oberfläche derselben zu einer Verkürzung
                                 
                                 										der Rohre und bedeutenden Verminderung ihrer Anzahl; daraus ergibt sich eine
                                 										nicht zu unterschätzende Verkleinerung des Totalgewichts der Maschine und es
                                 										kann die so oft nötig werdende fünfte Achse zur Unterstützung des Kessels
                                 										wegbleiben; in anderen Worten: der kommerzielle Wirkungsgrad der Lokomotive
                                 										steigt durch Verwendung von Serve-Röhren.
                              Auch Europa, zuerst England, in stärkerem Mass aber Oesterreich, hat sich zur
                                 										Hochlegung des Kessels entschlossen, nachdem die Anordnung sichtlich nur
                                 										konstruktive Vorteile, aber nicht die ängstlich erwarteten Nachteile
                                 
                                 										hinsichtlich der Ruhe des Ganges gebracht hatte. Nachträglich haben sich sogar
                                 										theoretische Vorteile statt dessen herausgestellt, die Lokomotiven laufen
                                 										ruhiger und schonen sowohl Oberbau wie Mannschaft besser, als die tiefgebauten.
                                 										(Siehe darüber Genaueres in D. p. J. 1896 301 253, 1900 315
                                 										382.)
                              Die Amerikaner sind auf Kesselhöhen von 2,95 m, die Ungarn von 2,7 m, die
                                 										Engländer auf etwa ebenso viel, die Deutschen neuerdings auch auf solchen von
                                 										2,65 m angekommen. Befanden sich noch vor zehn Jahren die Kesselmittellinien
                                 										meistens zwischen 1,6 und 2 m über Schienenoberkante, so sind die jetzigen Werte
                                 										alle über 2,3 m; im Durchschnitt ist eine Höherlegung um etwa einen halben
                                 										Meter, manchmal auch um einen ganzen Meter, diesseits wie jenseits des Ozeans
                                 										erfolgt.
                              England ist wohl bei solchen Bestrebungen am übelsten daran; die lichte Höhe des
                                 										Profils ist 4,1 m; das Kamin wird schon jetzt bedenklich verkürzt und dem
                                 										weiteren Ausbau des Kessels der Grosse nach ist der Weg verschlossen.
                              Die freieste Entwickelung des Kessels ist in Amerika zu beobachten, wo die
                                 										Rostfläche auf etwa 8 qm, die gesamte Heizfläche bei Schnellzuglokomotiven auf
                                 										320, bei Güterzuglokomotiven auf 350 qm getrieben wird, wenn man äusserste Fälle
                                 										herausgreift. Aehnliche Aussichten hat Russland, wo die Höhe der Lokomotiven am
                                 										Kaminrand schon 5,1 m (!) beträgt, so dass der Kessel von der Spurweite ganz
                                 										unabhängig sein kann. Etwas schwieriger hält es in anderen Ländern, wo das Kamin
                                 										bei Höherlegung des Kessels stark verkürzt werden muss. Immerhin sind überall
                                 										schon Heizflächen von 175 qm, auch ohne Anwendung von Serve-Röhren, möglich; mit
                                 										diesen ist Frankreich schon zu 208 qm vorgeschritten bei den neuesten, stärksten
                                 										Schnellzuglokomotiven der Nordbahn; es sind dies Werte, welche noch vor wenig
                                 										Jahren nur bei grossen amerikanischen Lokomotiven angetroffen wurden.
                              Ein weiterer Leistungsfaktor ist der Dampfdruck. Derselbe übt seinen Einfluss
                                 										nicht nur auf die absolute Grosse der Leistung, sondern auch auf den
                                 										Wirkungsgrad der Dampfmaschine aus.
                              Hinsichtlich der ersteren ist mit der Erhöhung des Dampfdrucks eine Vergrösserung
                                 										der Absolutleistung im allgemeinen verbunden, welche allerdings nur von
                                 										Verbundlokomotiven in vollem Umfang ausgenutzt werden kann. Dementsprechend ist
                                 										im Lauf der Jahre der Ueberdruck von 3,5 at (Rocket) auf 16 at (französische
                                 										Nordbahn) gestiegen. Unter 12 at werden überhaupt keine Kesselspannungen mehr
                                 										angenommen; für Zwillingsmaschinen wählt man Spannungen zwischen 12 und 14, für
                                 										Verbundmaschinen zwischen 13 und 16 at.
                              Für gleiche Leistung zieht die Erhöhung des Kesseldrucks eine Verkleinerung der
                                 										übrigen Leistungsfaktoren, also des Kesselgewichts und Maschinengewichts nach
                                 										sich; d.h. für gleiche Leistung steigt der kommerzielle Wirkungsgrad mit dem
                                 										Kesseldruck.
                              
                                 
                                    (Fortsetzung folgt.)