| Titel: | Bestimmung des wirklichen Weges, welchen ein Punkt eines belasteten massiven Balkens nach erfolgter Biegung desselben zurückgelegt hat. | 
| Autor: | G. Ramisch | 
| Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 330 | 
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                        Bestimmung des wirklichen Weges, welchen ein
                           								Punkt eines belasteten massiven Balkens nach erfolgter Biegung desselben zurückgelegt
                           								hat.
                        Von Prof. G. Ramisch,
                           								Breslau.
                        Bestimmung des wirklichen Weges, welchen ein Punkt eines belasteten
                           								massiven Balkens u.s.w. zurückgelegt hat.
                        
                     
                        
                           Der mit P1, P2, P3 und P4 belastete Balken
                              
                              									ruht auf einem festen Auflager A und einem parallel zu
                              										\overline{mn} beweglichen Auflager B. Die Lasten sollen senkrecht zum Balken und zu
                              										\overline{mn} gerichtet sein. Irgend ein Querschnitt, z.B.
                              									derjenige, dessen Schwerpunkt C ist, zerlegt den Balken
                              									in zwei Teile, und indem sich der Balken biegt, dreht sich dieser Querschnitt um
                              									eine, durch C hindurchgehende Achse; der sehr kleine
                              									Drehungswinkel möge Δy heissen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 330
                              
                           Zugleich drehen sich beide Balkenteile und zwar der rechte um
                              										A mit dem sehr kleinen Drehungswinkel Δα und der linke um den Schnittpunkt R von \overline{AC} mit dem Lote von
                              										B auf \overline{mn} mit dem sehr
                              									kleinen Drehungswinkel Δρ. Es muss nun sein:
                           
                              \overline{AC}\,\cdot\,\Delta\,\alpha=\overline{RC}\,\cdot\,\Delta\,\rho
                              
                           und
                           
                              Δα + Δρ = Δγ.
                              
                           Aus diesen beiden Gleichungen ergibt sich:
                           
                              \overline{AR}\,\cdot\,\Delta\,\rho=\overline{CA}\,\cdot\,\Delta\,\gamma.
                              
                           Man bezeichne mit x und l
                              									die Entfernungen der Punkte C und B vom Auflagerdruck bei A,
                              									so ist:
                           
                              \overline{AR}\,:\,\overline{CA}=l\,:\,x,
                              
                           so dass sich auch ergibt:
                           l . Δρ =
                              										x . Δγ.
                           Es sollen sein: E der Elastizitätsmodul des
                              									Balkenstoffes, J das Trägheitsmoment des Querschnitts
                              									in Bezug auf die Drehachse dieses Querschnitts, welche zugleich neutrale Achse ist.
                              									Hierzu bemerken wir gleich, dass der Einfachheit wegen der Balken überall denselben
                              
                              									Querschnitt, also auch dasselbe Trägheitsmoment haben möge. Endlich nennen wir Δx das Element der neutralen Faser, so ist:
                           
                              E\,\cdot\,J\,\cdot\,\frac{\Delta\,\gamma}{\Delta\,x}=M,
                              
                           wobei noch M das Biegungsmoment
                              									der gegebenen Belastungen für den bezeichneten Querschnitt ist.
                           Aus den beiden letzten Gleichungen ergibt sich:
                           
                              E\,\cdot\,J\,\cdot\,l\,\cdot\,\Delta\,\rho=M\,\cdot\,x\,\cdot\,\Delta\,x.
                              
                           Der Punkt Q, welcher dem linken Balkenteil angehört,
                              									dreht sich mit diesem auch um R und legt senkrecht zu
                              										\overline{RQ} den sehr kleinen Weg
                              										\overline{Qc}=\overline{RQ}\,\cdot\,\Delta\,\rho zurück. Diesen
                              									Weg zerlegen wir in zwei zu einander senkrecht stehende Komponenten, von denen die
                              									eine \overline{Qe} parallel zu \overline{mn}
                              									unddie andere \overline{Qf} senkrecht zum Balken liegt.
                              									Diese nennen wir Δσ und jene Δr. Ist nun b der Abstand des Punktes Q von RB, so findet
                              									man:
                           Δσ = b .
                              										Δρ.
                           Wir bezeichnen mit v den Abstand des Punktes Q von \overline{AB}, so ergibt sich
                              									ferner:
                           
                              \Delta\,r=(\overline{RB}-v)\,\cdot\,\Delta\,\rho.
                              
                           Aus den drei letzten Gleichungen folgt:
                           
                              \Delta\,\sigma=\frac{b}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,M\,\cdot\,x\,\cdot\,\Delta\,x
                              
                           und
                           
                              \Delta\,\tau=(\overline{R\,B}-v)\,\cdot\,\frac{M\,x\,\cdot\,\Delta\,x}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}.
                              
                           Ist l der Abstand des Punktes C von \overline{AB}, so ist:
                           
                              \overline{RB}\,\cdot\,\frac{x}{l}=t,
                              
                           so dass man weiter hat:
                           
                              \Delta\,\tau=t\,\cdot\,\frac{M\,\cdot\,\Delta\,x}{E\,\cdot\,J}-\frac{v}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,M\,\cdot\,x\,\cdot\,\Delta\,x.
                              
                           Auf diese Weise können wir Δσ und Δτ für jeden Querschnitt von A bis zu dem durch Q gehenden bilden. Man
                              									findet, dass sämtliche Δσ von oben nach unten und
                              									sämtliche Δτ von rechts nach links gerichtet sind. Wir
                              									können daher sämtliche Δσ sowohl, als auch sämtliche
                              										Δτ addieren, und nennen wir σ und τ die bezüglichen Summen, so
                              									entsteht:
                           
                              \sigma=\frac{b}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,\int\,M\,\cdot\,x\,\cdot\,\Delta\,x
                              
                           und
                           
                              \tau=\frac{t}{E\,\cdot\,J}\,\cdot\,\int\,M\,\cdot\,\Delta\,x-\frac{v}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\int\,M\,\cdot\,x\,\cdot\,\Delta\,x.
                              
                           Man zeichne mit einem beliebigen Polabstande H die
                              									Momentenfläche der gegebenen Belastungen, nämlich: b0
                              									p1
                              									p2
                              									p3
                              									p4
                              									a0 Dieselbe wird durch
                              									eine mit dem durch Q gehenden Querschnitte
                              									zusammenfallende Gerade in zwei Teile zerlegt, von denen wir den linken Teil Fb und den
                              									rechten Teil Fa
                              									nennen wollen. Hierbei sollen die Schwerpunkte von Fa und Fb mit Sa und Sb bezeichnet werden und dieser von dem
                              									Auflagerdruck bei B die Entfernung sb und jener
                              									von dem Auflagerdruck bei A die Entfernung sa haben.
                           Es ist dann:
                           ∫ M . x . Δx = Fa . Sa . H
                           und
                           ∫ M . Δx = Fa . H,
                           so dass weiter entsteht:
                           \sigma=\frac{b}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,H\,\cdot\,F_a\,\cdot\,s_a . . . . 1)
                           und
                           \tau=t\,\cdot\,\frac{H\,\cdot\,F_a}{E\,\cdot\,J}-\frac{v}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,F_a\,\cdot\,s_a . . . . 2)
                           Durch den Querschnitt mit dem Schwerpunkte C' wird der
                              									Balken wiederum in zwei Teile zerlegt und jetzt gehört der Punkt Q dem rechten um A drehbaren Teile an. Q
                              									bewegt sich senkrecht zu \overline{AQ} und legt dabei den sehr
                              									kleinen Weg \overline{Qd}=\overline{AQ}\,\cdot\,\Delta\alpha' zurück;
                              									wenn Δα' der sehr kleine Winkel ist, mit dem sich der
                              									rechte Balkenteil um A dreht.
                           
                           Wir bezeichnen mit x' die Entfernung des Punktes
                              										C' vom linken Auflagerdruck, und mit M' das Biegungsmoment der gegebenen Kräfte für den
                              									Querschnitt mit C' als Schwerpunkt. Es lässt sich dann
                              									genau so wie vorher entwickeln, dass
                           E . J . l . Δα' = M' . x' . Δx'
                           ist, wobei Δx' das Element der
                              									neutralen Faser bei C' ist.
                           Den Weg \overline{QA}\,\cdot\,\Delta\,\alpha' zerlege man wiederum in
                              									zwei zu einander senkrechte Komponenten, von denen die eine
                              										\overline{Qg} parallel zu mn und
                              									daher die andere \overline{Qh} senkrecht zum Balken ist. Diese
                              									nennen wir Δσ' und jene Δτ'. Es ergibt sich nun, wenn a der Abstand
                              									des Punktes Q vom rechten Auflagerdruck ist:
                           
                              Δσ' = a . Δα'
                              
                           und
                           
                              Δτ' = v . Δα'
                              
                           oder auch:
                           
                              \Delta\,\sigma'=a\,\cdot\,\frac{M'\,\cdot\,x'\,\cdot\,\Delta\,x'}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}
                              
                           und
                           
                              \Delta\,\tau'=v\,\cdot\,\frac{M'\,\cdot\,x'\,\cdot\,\Delta\,x'}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}.
                              
                           So können wir Δσ' und Δτ'
                              									für jeden Querschnitt von B bis Q bilden und auch sämtliche Δσ' und Δτ' addieren, weil sowohl die ersteren, als auch die
                              									letzteren zu einander gleichgerichtet sind. Setzen wir nun erstere Summe σ' und letztere Summe τ'
                              									und bedenken, dass
                           ∫ M' . x' Δx = Fb . sb . H
                           ist, so entsteht:
                           \sigma'=\frac{a}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,H\,\cdot\,F_b\,\cdot\,s_b . . . . 3)
                           und
                           \tau'=\frac{v}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,H\,\cdot\,F_b\,\cdot\,s_b . . . . 4)
                           Da aber endlich einerseits σ und σ' und andererseits τ und τ' gleichgerichtet sind, so kann man sie auch bezw.
                              									zusammenzählen und setzt man σ + σ' = X und τ + τ' = Y, so ergibt
                              									sich:
                           X=\frac{H}{E\,\cdot\,J\,\cdot\,l}\,\cdot\,(a\,\cdot\,F_b\,\cdot\,s_b+b\,\cdot\,F_a\,\cdot\,s_a) . . 5)
                           und
                           Y=\frac{H}{E\,\cdot\,J}\,\cdot\,\left(F_a\,\cdot\,t+\frac{v}{l}\,\cdot\,[F_b\,\cdot\,s_b-F_a\,\cdot\,s_a]\right) . 6)
                           Der wirkliche, von Q zurückgelegte Weg ist endlich
                              
                              
                              										\sqrt{X^2+Y^2}, und bildet X mit
                              									diesem Wege den Winkel q, so ist
                              										tg\varphi=\frac{Y}{X} und hieraus lässt sich die Richtung des
                              
                              									Weges angeben.
                           Was X anbelangt, so ist diese Komponente für alle
                              
                              									Punkte ein und desselben Querschnitts konstant, weil ja X unabhängig von v ist; dagegen ist Y für jeden Punkt des Querschnitts verschieden gross,
                              									und für einen einzigen Punkt ist Y = 0, nämlich wenn
                              									die Klammer in der Formel 6 gleich Null ist. Man findet aus der daraus sich
                              									ergebenden Gleichung die Entfernung des betreffenden Punktes von
                              										\overline{AB}, nämlich:
                           v=\frac{F_a\,\cdot\,t\,\cdot\,l}{F_a\,\cdot\,s_a-F_b\,\cdot\,s_b} . . . . 7)
                           Ist ferner a = 0, d.h. liegt der Punkt in dem
                              									Querschnitte, in welchem das rechte Auflager ist, so ist auch Fa = 0 und
                              									daher, wie vorauszusehen war, X = 0; dagegen ist:
                           Y=\frac{H}{E\,\cdot\,J}\,\cdot\,\frac{v}{l}\,\cdot\,F_b\,\cdot\,s_b . . . . 8)
                           Wenn weiter b = 0 ist, so ist auch Fb = 0 und es
                              									ergibt sich wiederum X = 0, dagegen:
                           Y=\frac{H}{E\,\cdot\,J}\,\left(F_a\,\cdot\,t-\frac{v}{l}\,\cdot\,F_a\,\cdot\,s_a\right) . . 9)
                           Im vorigen Falle erhält man Y = 0, wenn v = 0 ist, was ja wiederum vorauszusehen war; in diesem
                              									Falle jedoch, wenn:
                           
                              v=\frac{l\,\cdot\,F_a\,\cdot\,t}{F_a\,\cdot\,s_a}=l\,\cdot\,\frac{t}{s_a}
                              
                           ist.
                           Unter sa ist
                              									hier rfie Entfernung des Schwerpunktes der Fläche bo
                              									P1
                              
                              									P2
                              									P3
                              									P4
                              									a0
                              									vom rechten Auflager zu verstehen. In dieser Entfernung
                              
                              										l\,\cdot\,\frac{t}{s_a} von \overline{AB} gibt
                              									es demnach einen Punkt, welcher ganz unbeweglich ist. Befestigt man in diesem Punkte
                              									und im Punkte A den Balken, so dass also diese beiden
                              
                              									Punkte feste Auflager desselben sind, so verhält er
                              									sich gerade so, wie ein auf zwei Stützen frei aufliegender Balken; die Stützdrücke
                              									sind dann parallel zu den gegebenen Lasten; es kommen nur Biegungsspannungen vor,
                              									d.h. zur statischen Berechnung bedient man sich der Formel M
                                 										= k . W für irgend einen Querschnitt, wenn M
                              									das Biegungsmoment, k die Beanspruchung in der
                              									äussersten Faser und W das Widerstandsmoment des
                              									Querschnittes sind; anderenfalls muss man sich nämlich der Formel:
                           
                              k=\frac{P}{F}\,\pm\,\frac{M}{W}
                              
                           bedienen, wenn P die statisch
                              									unbestimmte Kraft ist, welche sich ergibt, wenn man einen anderen Punkt festmacht,
                              									wobei noch F die Querschnittsfläche des Balkens
                              
                              									bedeutet.
                           Anwendung findet die Untersuchung bei solchen Trägern, welche auf beliebig vielen
                              									Auflagern ruhen, z.B. bei Querträgern von Brücken, welche mit Längsträgern vernietet
                              									sind.