| Titel: | Kinematische Untersuchung einer zwischen zwei miteinander gelenkartig befestigten Backen befindlichen dünnen Blattfeder. | 
| Autor: | G. Ramisch | 
| Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 645 | 
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                        Kinematische Untersuchung einer zwischen zwei
                           								miteinander gelenkartig befestigten Backen befindlichen dünnen Blattfeder.
                        Von Prof. G. Ramisch,
                           								Breslau.
                        [Kinematische Untersuchung einer zwischen zwei miteinander
                           
                           								gelenkartig befestigten Backen befindlichen dünnen Blattfeder.]
                        
                     
                        
                           Die beiden Backen AB und AD in der Abbildung sollen bei A miteinander drehbar verbunden und in den Punkten B bezw. D mit einer dünnen
                              									Blattfeder gelenkartig befestigt sein. Die Backe AD soll festliegen und die Backe AB von
                              									einer Kraft P beansprucht werden. In A und D werden
                              									Auflagerdrücke entstehen. Um sie zu bestimmen, ziehe man DB bis zum Schnittpunkte K mit P und dann noch die Gerade KA. Zwischen KD und KA ziehe man weiter eine
                              									Parallele zu P, so dass die Strecke
                              										\overline{mn} darauf gleich P
                              									ist. Es sind dann mK und Kn der Grösse, Lage und Richtung nach die
                              									Auflagerdrücke in A bezw. D.
                           Indem wir die Formänderung der Backen vernachlässigen, welche verglichen mit der der
                              									Feder sehr klein ist, stellen wir uns die Aufgabe, zunächst den Winkel zu ermitteln,
                              									um welchen sich die Backe AB dreht, wenn infolge
                              									von P die Feder ihre Form verändert.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 645
                              
                           Die Feder sei nur in C elastisch, so dass die Federteile
                              										BC und CD
                              									als starr aufzufassen sind, so haben wir es mit einer zwangläufigen viergliederigen
                              									Cylinderkette zu thun, wobei AD das festliegende
                              									Glied ist, AB und DC sind die um A bezw. D drehbaren Glieder und das vierte Glied ist BC, welches, wenn auch nur augenblicklich, um den
                              									Schnittpunkt F von AB und der Geraden CD drehbar ist. Wir
                              									bezeichnen die gleichzeitig stattfindenden Drehungswinkel um A und D bezw. mit dα und dϑ und
                              									den unendlich kleinen, auch gleichzeitig stattfindenden Winkel, um welchen sich BC und CD
                              									gegenseitig drehen, mit dγ. Bildet man den
                              									Schnittpunkt H von AC und BD, so findet zwischen dα und dγ
                              									folgende Beziehung statt:
                           AH . dα = HC . dγ . . . . . 1)
                           Ferner sei die für die spätere Untersuchung nötige Beziehung zwischen dϑ und dγ hier
                              									gleich erwähnt. Sie lautet:
                           FD . dϑ = CF . dγ . . . . . 2)
                           Nennen wir M das Biegungsmoment im Punkte C, so kann man es, weil ja die
                                 										Feder sehr dünn sein soll, gleich E\,J\,\cdot\,\frac{d\,\gamma}{d\,s} setzen. Hierin bedeuten: E den Elastizitätsmodul der Feder, J das Trägheitsmoment des Querschnitts bei C in Bezug auf die Drehachse dieses Querschnitts und
                              										ds das Bogenelement der Feder. Hierdurch
                              									entsteht die Gleichung:
                           E\,\cdot\,J\,\cdot\,\frac{d\,\gamma}{d\,s}=M . . . . . . . 3)
                           Wir nennen p den Abstand des Punktes A von Pund es werden
                              									von P und M gleichzeitig
                              									die unendlich kleinen Arbeiten: Pp . dα und M .
                              									dγ geleistet. Es muss deswegen sein:
                           Pp . dα
                              									= M .
                              									dγ.
                           Mit Rücksicht auf die Gleichung 1 ergibt sich hieraus:
                           
                              \frac{P\,p}{A\,H}=\frac{M}{H\,C}.
                              
                           Zu dieser Gleichung gelangt man auch, wie folgt: Nennt man u den Abstand des Punktes A von BD und X die
                              									Seitenkraft von P, welche in BD wirkt, so ist
                           
                              P . p = X . u.
                              
                           Heisst v der Abstand des Punktes C von BD, so ist M = v . X, also entsteht
                              									M=\frac{v}{u}\,\cdot\,P\,p. Es ist aber \frac{v}{u}=\frac{C\,H}{A\,H}, so dass M=\frac{C\,H}{A\,H}\,\cdot\,P\,p ist. Hieraus entsteht die
                              									obige Gleichung.
                           Es möge nun die Federkurve ein Viertelkreis mit A als
                              									Mittelpunkt vom Radius r sein.
                           Nennen wir ϕ den Winkel CAD, so ist
                           AH : AD = sin (ADH) : sin (ADH + ϕ),
                           d.h.
                           
                              A\,H=r\,\cdot\,\frac{1}{sin\,\varphi\,ctg\,(A\,D\,H)+cos\,\varphi}.
                              
                           Da ADH = 45°, also ctg (ADH) = 1 ist, so erhält man:
                           
                              A\,H=\frac{r}{sin\,\varphi+cos\,\varphi}.
                              
                           Weiter ist
                           
                              C\,H=A\,C-A\,H=r-\frac{r}{sin\,\varphi+cos\,\varphi}
                              
                           oder auch
                           
                              C\,H=\frac{r\,(sin\,\varphi+cos\,\varphi-1)}{sin\,\varphi+cos\,\varphi}.
                              
                           Also ist
                           
                              \frac{H\,C}{A\,H}=(sin\,\varphi+cos\,\varphi-1)
                              
                           und
                           M = Pp (sin ϕ + cos
                                 										ϕ – 1) . . . . 4)
                           Aus der Gleichung 3 erhält man jetzt:
                           E . J .dγ = Pp (sin ϕ + cos ϕ – 1) ds.
                           Nach der Gleichung 1 ist auch:
                           
                              \frac{d\,\alpha}{d\,\gamma}=sin\,\varphi+cos\,\varphi-1,
                              
                           so dass aus den beiden letzten Gleichungen sich ergibt, wenn
                              									man noch ds = r .
                              										dϕ setzt:
                           E . J .
                              									dα = Ppr (sin ϕ + cos ϕ – 1)2 . dϕ.
                           Eine solche Gleichung kann man für alle Punkte zwischen B und D bilden, indem man nach und nach nur
                              									das Federelement in dem betreffenden Punkte als elastisch nimmt. Nehmen wir den
                              
                              									Elastizitätsmodul und das Trägheitsmoment für alle Punkte der Feder als konstant an, so kann
                              									man sämtliche sich daraus ergebenden dα addieren,
                              									und setzt man \int\limits_D^B\,d\,\alpha=\alpha, so erhält man:
                           
                              E\,\cdot\,J\,\cdot\,\alpha=2\,P\,p\,\cdot\,r\,\int\limits_0^{\frac{\pi}{2}}\,(1+sin\,\varphi\,cos\,\varphi-sin\,\varphi-cos\,\varphi)\,d\,\varphi,
                              
                           woraus folgt:
                           \alpha=\frac{\pi-3}{E\,\cdot\,J}\,\cdot\,P\,p\,\cdot\,r . . . . . 5)
                           Hiermit ist der verlangte Winkel, um welchen sich die Backe AB dreht, berechnet.
                           Das Maximalmoment Mmax findet an der Stelle statt, wo der Winkel ϕ = 45° beträgt. Es ist dafür sin\,\varphi=cos\,\varphi=\frac{\sqrt{2}}{2} und deshalb entsteht aus der
                              									Gleichung 4:
                           Mmax = Pp . (√2 – 1) . . . . . 6)
                           Ist z.B. der Federquerschnitt ein Rechteck von der Höhe 2 h und ist ferner k die grösste zulässige
                              									Beanspruchung, so ist M_{max}=k\,\cdot\,\frac{J}{h} zu setzen, so dass
                           
                              k=\frac{P\,p\,\cdot\,r}{J}\,\cdot\,h\,(\sqrt{2}-1)
                              
                           entsteht.
                           Nunmehr wollen wir noch den Winkel angeben, um welchen sich die Feder bei der
                              									Formänderung im Punkte D gedreht hat; hierbei
                              									vernachlässigen wir, wie bei der Bestimmung von α, die
                              									Formänderungsarbeit der Längskraft, weil sie von keinem wesentlichen Einflusse
                              									ist.
                           Es ist
                           CF : DF = cos ϕ,
                           wie man sich leicht ableiten kann.
                           Daher erhält man nach Gleichung 2:
                           E . J .
                              
                              										dϑ = Pp .
                              										(sin ϕ + cos ϕ – 1)
                              										r . dϕ . cos ϕ.
                           Diese Gleichung bilden wir für alle Punkte zwischen B
                              									und D und addieren sämtliche dϑ. Setzen wir nun \int\limits_D^B\,d\,\vartheta=\vartheta, so erhält man:
                           
                              E\,\cdot\,J\,\cdot\,\vartheta=\int\limits_0^{\frac{\pi}{2}}\,P\,\cdot\,p\,\cdot\,r\,(sin\,\varphi\,cos\,\varphi+cos^2\,\varphi-cos\,\varphi)\,d\,\varphi,
                              
                           d.h.
                           E\,J\,\cdot\,\vartheta=P\,p\,\cdot\,r\,\cdot\,\frac{\pi-2}{4} . . . . 7)
                           Ebensogross ist der Winkel, um welchen sich die Feder bei B gegen die Backe AB dreht.
                           Aus den Gleichungen 6 und 7 folgt:
                           
                              \frac{\vartheta}{\alpha}=\frac{\pi-2}{4\,(\pi-3)},
                              
                           d.h.
                           ϑ = 2,015 α.
                           Selbstverständlich gilt diese Gleichung nur dann, wenn die Bewegung der Feder sehr
                              									klein ist.
                           Auf ähnliche Weise lässt sich die Stelle ermitteln, wohin der beliebige Punkt C der Feder nach der Formänderung gelangt, also auch
                              									die Gestalt angeben, welche die Feder nach der Formänderung annimmt.