| Titel: | Technische Hochschule und Gewerbeinspektion. | 
| Autor: | G. Hardegg | 
| Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 693 | 
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                        Technische Hochschule und
                           								Gewerbeinspektion.
                        Antrittsvorlesung von Gewerbeinspektor G.
                                 									Hardegg, Dozent für Arbeiterschutz an der königl.
                              									Technischen Hochschule in Stuttgart.
                        Technische Hochschule und Gewerbeinspektion.
                        
                     
                        
                           Die grossen Umwälzungen, welche die Technik im letzten Jahrhundert auf allen
                              									Gebieten des sozialen Lebens hervorgebracht hat und fortdauernd noch hervorbringt,
                              									stellen an die Leiter und Ingenieure industrieller Unternehmungen immer höhere und
                              									schwierigere Aufgaben, denen sie absolut gewachsen sein müssen, um ihrer Stellung im
                              									praktischen Leben gerecht zu werden.
                           Die Technische Hochschule hat längst schon mit bestem Erfolg die angehenden
                              									Ingenieure nach der technischen Seite hin zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit
                              									befähigt. Sie hat das erreicht durch die zweckmässige Verbindung wissenschaftlicher
                              									Forschung mit praktischer Arbeit. Während so nach der wissenschaftlichen und
                              									praktischen Seite der Technik aufs beste gesorgt wurde, blieb es dem ins Leben
                              									hinaus, in verantwortungsvolle Stellen eintretenden Ingenieur oder Unternehmer
                              									überlassen, sich mit dem zurecht zu finden, was die Technik mittelbar auf geistigem
                              									und sozialem Gebiete hervorgerufen hat, besonders aber mit den lebenden
                              									Produktionsfaktoren, mit den Arbeitern selbst, denen er als Vorbild und Berater
                              									dienen soll.
                           Dem weiten Gebiet der sozialen Gesetzgebung, deren einschneidenden Wirkungen auf die
                              									Industrie, die Arbeiterschaft und nicht zuletzt auf seine eigenen Daseinsbedingungen
                              									war er unvermittelt fremd gegenüber gestellt, und es bedurfte seinerseits erst
                              									mühsamer Erfahrungen, um das zu erreichen, was mit Leichtigkeit hätte erworben
                              									werden können, wenn den Vorgängen auf praktisch sozialem Gebiete die erforderliche
                              									Aufmerksamkeit schon auf der Hochschule geschenkt worden wäre.
                           Wie ungemein wichtig es ist, sich mit dem Studium der Industriearbeiterschaft in
                              									ihrer Beziehung zur Technik und zur sozialen Gesetzgebung zu befassen, zeigt uns
                              									schon das enorme Anwachsen der industriellen Bevölkerung Deutschlands. Nach der
                              									Gewerbestatistik des Deutschen Reichs ist dessen Bevölkerung von 45222113 im Jahre
                              									1882 auf 51770284 im Jahre 1895, d. i. um 14,5 % gestiegen, während die Zahl der in
                              									Gewerbebetrieben durchschnittlich beschäftigten Personen in demselben Zeitraum von
                              									7340789 Personen auf 10269269, d. i. um 39,9 % angewachsen ist. Am auffälligsten
                              									zeigt sich dieses Anwachsen in den Grossbetrieben mit 50 und mehr Arbeitern, in
                              									welchen die Arbeiterzahl von 1882 bis 1895 von 1613247 auf 3044267 gestiegen ist und
                              									somit gegen 1882 eine Zunahme von 88,7 % erfahren hat.
                           Der Mangel hinreichender Vertrautheit mit den Verhältnissen der Arbeiterschaft, der
                              									sich den Ingenieuren selbst fühlbar machte, wurde von den hervorragenden Männern der
                              									technischen Wissenschaften längst erkannt. C. v. Bach
                              									hat schon im Jahre 1889Vgl. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure,
                                    											1890 S. 91. anlässlich der Enthüllungsfeier des Robert Mayer-Denkmals in Stuttgart und auch bei
                              									späteren Anlässen die dringende Notwendigkeit des Studiums der Arbeiterverhältnisse
                              									auf den technischen Hochschulen hervorgehoben, indem er darauf hinwies, dass kein
                              									Stand durch die soziale Gesetzgebung unmittelbar indem Masse zur
                              									Mitleidenschaft herangezogen werde, wie derjenige der Ingenieure, der berufenen
                              									Führer und Leiter der Arbeiter in den Werken des Friedens.
                           Damit war auch die Richtung angedeutet, in welcher die Ausbildung der Ingenieure ihre
                              									zeitgemässe weitere Ausgestaltung zu erfahren habe.
                           Erstmals im Jahre 1890 wurde der Arbeiterschutz unter die Lehrgegenstände der
                              									Technischen Hochschule Stuttgart aufgenommen. Die Vorträge hierüber wurden von dem
                              									damaligen Lehrer der mechanischen Technologie, dem verstorbenen Oberbaurat Zeman, gehalten, von einem Manne, der durch seine
                              									Menschenkenntnis und ideale Gesinnung bei reichem technischen Wissen für dieses neue
                              									Fach besonders befähigt war.
                           Nach dem Tode dieses hochverehrten Lehrers hat der Senat der Technischen Hochschule
                              									ein Mitglied der Gewerbeinspektion an diese Stelle berufen. Nun fragt es sich, durch
                              									was ist die Zweckmässigkeit, ja die Notwendigkeit der Mitwirkung der
                              									Gewerbeinspektion bei der Heranbildung der künftigen Leiter technischer Arbeit
                              									begründet? Hierauf ist zu antworten: in den Beziehungen zwischen Gewerbeinspektion
                              									und Technischer Hochschule auf technischem und sozialem Gebiete. Beide Gebiete
                              
                              									greifen ineinander über und sind aufs engste miteinander verknüpft, denn, wo wir
                              									auch in das industrielle Getriebe hineinschauen, überall tritt uns die
                              									Wechselwirkung zwischen den Daseinsbedingungen des Arbeiters einerseits und der
                              									Technik und der sozialen Gesetzgebung andererseits vor Augen. Alles, was auf dem
                              									Gebiete technischer Wissenschaft in ihrer praktischen Anwendung geschieht, weckt in
                              
                              									der Arbeiterwelt neue Wünsche, Hoffnungen oder Beschwerden, die ihrerseits der
                              									Technik wieder neue Anregung schaffen und auch der Arbeiterschutzgesetzgebung die
                              									Richtung zeigen, in der letztere einer Fortentwickelung fähig und bedürftig ist.
                              									Diese Abhängigkeit der Daseinsbedingungen des Arbeiters von allem technischen und
                              									sozialen Geschehen hat ihren Grund in der Unzertrennlichkeit seiner Person von der
                              									Arbeitskraft, die er auf dem Arbeitsmarkt anzubieten sich gezwungen sieht. Der Raum,
                              									in welchem die Arbeit verrichtet wird, die Beschaffenheit der Arbeitsmaschinen, die
                              									Organisierung und Leitung der Arbeit, sie alle sind von bestimmendem Einfluss auf
                              									Wohl und Wehe des Arbeiters und seiner Familie.
                           Es ist nun eine der wichtigsten Aufgaben der Gewerbeinspektion, diesen Zusammenhang
                              									durch Beobachtung thatsächlicher Verhältnisse zu studieren und die dabei gewonnenen
                              									Erfahrungen in Richtung eines wirksamen Schutzes der körperlichen und sittlichen
                              									Güter der Arbeiter zu verwerten.
                           Die wirksamste Unterstützung, welche die Gewerbeinspektion in Verfolgung der ihr
                              									durch das Gesetz vorgezeichneten Ziele erfährt, wird ihr unmittelbar durch die
                              									wissenschaftlichen Forschungen der Technischen Hochschule und mittelbar durch die
                              									gründliche wissenschaftliche Ausbildung der aus ihr hervorgehenden Ingenieure und
                              									Fabrikanten zu teil.
                           
                           Im Nachstehenden möge das näher ausgeführt sein. Wir sind nur zu sehr gewöhnt,
                              
                              									alle Fortschritte auf maschinellem Gebiete mit Pferdekräften und Kohlenersparnis zu
                              									messen und übersehen zu leicht die Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeiten der
                              									Technischen Hochschulen für den Arbeiterschutz. Als Bach seine wichtigen Untersuchungen über den Einfluss der Temperatur auf
                              									die Festigkeit der Bronze und des GusseisensVgl.
                                    												Zeitschrift des Vereins deutscher
                                       												Ingenieure, 1900 S. 1745 u. ff., und 1901 S. 168 u. ff.
                              									veröffentlichte, da wollte er gewiss nicht nur sagen, dass bei der oder jener
                              									Temperatur die Verwendung von Gusseisen an Stelle des teueren Rotgusses aus
                              									ökonomischen Gründen zu empfehlen sei, sondern gewiss in erster Linie, dass die
                              									Verwendung des genannten Materials zu Armaturstücken, etwa in Leitungen mit
                              									überhitzten Dämpfen, mit erheblichen Gefahren für Leben und Sicherheit der Arbeiter
                              									verknüpft sei.
                           Und was ist schliesslich der ideale Inhalt von Ernst's Werk Die Hebezeuge
                              									und seiner Untersuchungen über die Kuppelungen? Gewiss nichts anderes als eine teils
                              									ausgesprochene, teils in mathematische Formeln gekleidete Anleitung, in welcher
                              									Weise das Leben der Arbeiter und anderer mit diesen Maschinen in Berührung tretender
                              									Menschen wirksam zu schützen sei.
                           Was hiervon dem Maschineningenieurwesen gesagt wird, gilt ebenso für das
                              									Bauingenieurwesen und die Architektur.
                           Wie oft ist ferner schon auf dem Gebiete der Chemie ein gesundheitsschädliches
                              									Arbeitsverfahren durch ein anderes, nicht gesundheitsschädliches, ersetzt worden;
                              									ich darf hier nur kurz an die Zündholzfabrikation erinnern, aus welcher der weisse
                              									Phosphor mehr und mehr verdrängt und durch relativ unschädliche Substanzen ersetzt
                              									wird.
                           Alle diese Errungenschaften der Technischen Hochschulen dienen der Gewerbeinspektion
                              									auf den einschlägigen Gebieten als Grundlage bei der Beurteilung und amtlichen
                              									Begutachtung gewerblicher Anlagen, Maschinen und Apparate und häufig als
                              									letztinstanzliches Urteil, wenn es gilt, die Arbeiterschutzbestimmungen nach
                              									gewisser Richtung hin wirksam durchzuführen.
                           Fassen wir nun die mittelbare Einwirkung der Technischen Hochschule ins Auge, so
                              									sehen wir, dass schon die konstruktive Thätigkeit, zu der sie die Anleitung gibt,
                              									wenn ich so sagen darf, von sozialem Geiste getragen sein muss. Denn welches Unheil
                              									wird verhindert im allgemeinen durch die richtige Kenntnis des toten Materials,
                              									seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften, sodann im besonderen auf dem
                              									Gebiete des Maschineningenieurwesens durch wissenschaftlich gründliche Berechnung
                              									von Konstruktionen aller Art, wie Transmissionen, Krane und Aufzüge, Dampfkessel und
                              									andere mit hoher Spannung arbeitende Maschinen und Apparate, deren Aufzählung zu
                              									weit führen würde. Durch jede richtig konstruierte Maschine werden Unfälle verhütet
                              									und störende Schutzvorrichtungen vermieden. Wir müssen uns stets vor Augen halten,
                              									dass der Arbeiter und seine Angehörigen die ersten sind, welche die Folgen der
                              
                              									unrichtigen Beurteilung des toten Materials zu tragen haben.
                           Dieser Geist der sittlichen Verantwortung soll aber nicht nur den Konstrukteur
                              									beseelen, sondern auch seinen Wiederhall finden in den Anschauungen der Arbeitgeber
                              									und der Leiter industrieller Anlagen. Er kann in den Studierenden nur gepflanzt
                              									werden durch die überzeugende Macht der Wissenschaft selbst. Darin liegt die
                              									Bedeutung der erziehenden Wirkung der Technischen Hochschule, dass sie die soziale
                              									Gesinnung weckt, und dadurch nicht allein der Gediegenheit der Konstruktionen auf
                              									dem Gebiete des Arbeiterschutzes Eingang verschafft, sondern auch der Thätigkeit der
                              									Gewerbeinspektion die Wege ebnet.
                           Die Gewerbeinspektion ist es nun, die durch gründliches Studium dessen, was
                              									Wissenschaft und Technik in der Industrie und im Arbeiterleben Neues schaffen,
                              									hinwiederum beide anzuregen hat, hinsichtlich des Arbeiterschutzes die Fragen
                              									mitzulösen, die sie selbst hervorgerufen haben. Diese Anregung ist bis jetzt schon
                              									in den Jahresberichten der Gewerbeinspektion gegeben worden, und wir dürfen wohl
                              									hinzufügen, nicht ohne Erfolg. Sie wird in noch höherem Masse erfolgen dadurch, dass
                              									dieim Aufsichtsdienst gewonnenen Erfahrungen der Gewerbeinspektion den
                              									Studierenden in planmässig geordneter Weise zum Vortrag gebracht werden.
                           Aber auch mittelbar ist die Gewerbeinspektion in der Lage, die Bestrebungen der
                              									Technischen Hochschule in der Praxis draussen zu unterstützen, denn wo durch die
                              									Rücksicht auf die Billigkeit und durch die gegenseitige Unterbietung auf dem
                              									Arbeitsmarkt der soziale Gedanke verdrängt zu werden droht, und wo der gewissenhafte
                              									Konstrukteur seiner von der Hochschule erhaltenen besseren Einsicht nicht immer den
                              									gewollten Ausdruck geben kann, da ist es die Gewerbeinspektion, die jenen in seinen
                              									Bestrebungen unterstützt, und sie kann durch ihre beratende Thätigkeit bei
                              									Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sowie durch die Veröffentlichung mustergültiger
                              									Einrichtungen, dem Fortschritte auf dem Gebiete der Arbeit er Wohlfahrt und des
                              									Arbeiterschutzes zur Anerkennung verhelfen.
                           Was Baudirektor v. Bach in seiner Abhandlung über die
                              										Wirksamkeit der Dampfkesselüberwachung im Deutschen
                                 										ReicheVgl. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure,
                                    											1900 S. 811. für die Unfallverhütung ausgesprochen hat, dass
                              									überall da, wo der Ingenieur mit wissenschaftlicher Gründlichkeit unfallverhütend
                              									thätig ist, eine verhältnismässige Abnahme der Zahl der Verletzungen festgestellt
                              									werden kann, das gilt in demselben Umfange auch auf dem Gebiete der Vermeidung
                              									gesundheitsschädlicher Einflüsse, wenn auch hier ein zahlenmässiger Nachweis viel
                              									schwerer erbracht werden kann als dort. Mit Stolz darf auch die Gewerbeinspektion
                              									auf die mustergültigen Fabrikanlagen hinweisen, die für das soziale Verständnis
                              									unserer württembergischen Industriellen ein beredtes Zeugnis ablegen. Wir dürfen
                              									gewiss auch die Behauptung aussprechen, dass das erfreuliche Ergebnis des Rückganges
                              									der Tuberkulose, dieser hauptsächlichsten Arbeiterkrankheit, zu einem grossen Teile
                              									dem Zusammenwirken von technischer Wissenschaft und Gewerbeinspektion zuzuschreiben
                              
                              									ist.
                           Indessen sind mit den rein technischen Vorbedingungen des Arbeiterschutzes die
                              									Faktoren noch nicht alle erschöpft, auf welche die künftigen Ingenieure und Leiter
                              									industrieller Anlagen im Interesse der Unfallverhütung hingelenkt werden müssen, und
                              									hier wird es die Aufgabe der Gewerbeinspektion sein, die noch bestehende Lücke auf
                              									Grund ihres Studiums der persönlichen Arbeiterverhältnisse auszufüllen. Es sei nur
                              									daran erinnert, welche Bedeutung der richtigen Beurteilung der körperlichen und
                              									geistigen Leistungsfähigkeit des Arbeiters, seiner Behandlung durch den
                              									Vorgesetzten, der Arbeitsdauer und der Ruhezeit, sowie der Organisierung der Arbeit
                              									für die Unfallverhütung und die Bekämpfung gesundheitsschädlicher Einflüsse zukommt.
                              
                              									Einen namhaften Prozentsatz der Betriebsunfälle und der Berufskrankheiten bei
                              									jugendlichen und weiblichen Arbeitern können wir auf eine unrichtige Beurteilung der
                              									persönlichen Arbeitskräfte seitens der Vorgesetzten zurückführen.
                           Nach den Ergebnissen der gewerblichen Unfallstatistik entfallen von den im Jahre 1897
                              									entschädigten Unfällen (abzüglich der unaufgeklärten Fälle)Vgl. Amtliche
                                       												Nachrichten des Reichsversicherungsamts, Jahrg. 1900 Heft
                                    										II.
                           
                              
                                 auf
                                 Verschulden
                                 der
                                 Unternehmer
                                 17,30 %
                                 
                              
                                 „
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                                 Arbeiter
                                 29,74 %
                                 
                              
                                 „
                                 „
                                 beider Teile
                                 10,14 %
                                 
                              
                           zusammen 57,18 %, die übrigen 42,82 % auf unvermeidliche
                              									Betriebsgefahren und andere Ursachen. Ohne dass wir an dieser starren Unterscheidung
                              									festhalten wollen, entnehmen wir den ersten drei Zahlen, wie viel noch auf
                              									technischem und rein menschlichem Gebiet zu geschehen hat, um die Verhältnisse zu
                              									bessern, welche Wichtigkeit namentlich der erziehenden Einwirkung der Vorgesetzten
                              									auf ihre Arbeiter beizumessen ist, die durch wohlwollende Belehrung und Beratung
                              									ihrer Untergebenen viel zur Herabminderung der Zahl der Unfälle beitragen können.
                              									Wir sehen, dass es sich für den angehenden Betriebsleiter durchweg um die Kenntnis
                              									der gesamten Verhältnisse der Arbeiterschaft handelt, wie sie sich aus dem
                              									jeweiligen Stand der industriellen Entwickelung, der sozialen Gesetzgebung und dem
                              									geistigen und sittlichen Fortschritt in der Arbeiterwelt ergeben.
                           
                           Jedes tiefere Eingehen auf die Ursachen der Unfälle und der
                              									Krankheitserscheinungen unter den Arbeitern eröffnen uns ganz neue Gesichtspunkte,
                              									die uns zu einer gerechten Beurteilung zahlreicher Erscheinungen im Arbeiterleben
                              									befähigen. Ich glaube das am besten an einem Beispiel zeigen zu können.
                           Als durch die Novelle zur Gewerbeordnung in der Fassung des Gesetzes vom 1. Juni 1891
                              									für die in Fabriken und diesen gleichgestellten Anlagen beschäftigten Arbeiterinnen
                              									mit 1. April 1892 ein besonderer Schutz, vor allem der 11stündige Maximalarbeitstag
                              									und das Verbot der Nachtarbeit eingeführt worden ist, wurde in denjenigen Betrieben,
                              									in welchen – wie in der Textilindustrie – die Arbeiterinnen vorherrschend an der
                              									Maschine beschäftigt sind, die Arbeitszeit der Männer aus Gründen der Ordnung und
                              									der Oekonomie des Betriebes jener der Frauen gleich gemacht. Infolgedessen
                              									befürchtete man allgemein einen bedeutenden Produktionsausfall, den man durch
                              
                              									Einführung verbesserter Arbeitsmaschinen, durch Erweiterung der Anlagen, vor allem
                              									auch dadurch zu begegnen suchte, dass man kurz entschlossen und nicht ohne Erfolg es
                              									wagte, den Arbeitsmaschinen gleichsam über Nacht grössere Geschwindigkeit zu geben.
                              									Auch das Gesetz über die Sonntagsruhe führte in einzelnen Industriezweigen zu
                              									grösserer Intensität der Arbeit. In den Papierfabriken zur Herstellung von
                              									Zeitungspapier, welche durch dieses Gesetz besonders berührt worden sind, wurden den
                              									Maschinen gleichfalls höhere Tourenzahlen gegeben, wodurch die Anstrengung des
                              									Arbeiters gesteigert, die Unfallgefahren erhöht und anfänglich auch schwere Unfälle
                              									hervorgerufen worden sind.
                           Gewiss liegt es uns fern, die segensreichen Wirkungen dieser Gesetze durch Erwähnung
                              									einzelner vorgekommener unliebsamer Begleiterscheinungen verdunkeln zu wollen,
                              									allein wir müssen uns auch dessen bewusst bleiben, dass die durch die Neuerungen
                              									hervorgerufene grössere Intensität der Arbeit und das Prinzip ihrer Verdichtung, dem
                              									wir heute fast überall begegnen, einen rascheren Verschleiss der körperlichen und
                              									geistigen Kräfte der Arbeiter zur Folge haben.
                           Dazu kommt, dass bei den technischen Veränderungen, denen wir in fast allen
                              
                              									Industrien begegnen, und bei der Raschheit der Entwickelung ein allmähliches
                              									Hineinwachsen des Arbeiters in die veränderten Verhältnisse häufig nicht möglich
                              									ist; das Alter wird mehr und mehr aus der Fabrik hinausgedrängt, und die dadurch
                              									entstehenden Lasten fallen auf die Arbeiterversicherung oder auf die jüngeren
                              									Arbeitskräfte.
                           Damit sind wir auf das soziale Gebiet im engeren Sinne übergetreten, und auch hier
                              									wollen wir auf die Beziehungen hinweisen, welche zwischen der Technischen Hochschule
                              									und der Gewerbeinspektion bestehen.
                           In der Erhaltung und Förderung der geistigen und materiellen Kräfte der deutschen
                              
                              									Industrie erblicken wir eine der wichtigsten Aufgaben der Technischen Hochschule.
                              									All die grossen Errungenschaften der Technik, vor denen wir heute bewundernd stehen,
                              									wären nicht gemacht worden, wenn den Führern und Leitern industrieller
                              									Unternehmungen nicht eine ebenso tüchtige Arbeiterschaft zur Seite gestanden hätte,
                              									befähigt, den sich immer steigernden Anforderungen gerecht zu werden. Die
                              									zukünftigen Arbeitgeber sollen aber auch die Bedingungen kennen lernen, unter
                              									welchen der Arbeiterstand diesen Anforderungen der Industrie dauernd gewachsen
                              									bleiben kann.
                           Es kann deshalb der Hochschule nicht gleichgültig sein, wie sich der künftige
                              									Unternehmer und Vorgesetzte der Arbeiter diesen gegenüber stellt, denn die
                              									Grundbedingung jedes erfolgreichen Zusammenwirkens zwischen beiden ist das
                              									gegenseitige Sichverstehen und die daraus sich von selbst ergebende Achtung, bezw.
                              									das Bewusstsein der gegenseitigen Rechte und Pflichten beider. Die Gefahr
                              									gegenseitiger Entfremdung ist heute um so grösser, je mehr beide Teile durch die
                              									Verschiedenheit der Erziehung und der gesellschaftlichen Stellung die
                              									Berührungspunkte verlieren.
                           Wenn wir die Streikstatistik des Deutschen Reiches ansehen und daraus entnehmen, dass
                              									im Jahre 1899 allein 1288 Streiks zum Austrag gebracht wurden (1336 Streiks waren
                              									begonnen worden), die insgesamt 24731 Tagedauerten und an denen sich 99338
                              									Arbeiter beteiligten, und wenn wir dabei den Verlust an Kapital und Arbeit ins Auge
                              									fassen, den sie notwendigerweise zur Folge hatten, so müssen wir uns unwillkürlich
                              									die Frage aufwerfen, ob nicht manche der Differenzen auf friedlichem Wege hätten
                              									beglichen werden können, wenn von beiden Seiten an eine vorurteilslose Behandlung
                              
                              									der streitigen Punkte herangetreten worden wäre. Ich glaube diese Frage entschieden
                              
                              
                              									bejahen zu können.
                           Wie manche Opfer an Geld, wie manche bitteren Erfahrungen hätten nur dadurch erspart
                              									werden können, dass beide Teile eine richtige Vorstellung von den geistigen und
                              									materiellen Kräften des Gegners gehabt hätten.
                           Ungleich höher als bei der technischen Hochschule musste bei der Gewerbeinspektion
                              									das Interesse an der sozialen Erziehung der künftigen Ingenieure und Leiter
                              									industrieller Anlagen sein, denn der Erfolg ihrer gesamten Thätigkeit hängt ganz
                              									unmittelbar von dem sozialen Verständnis ab, das ihr von den Leitern technischer
                              									Arbeit entgegengebracht wird. Um das zu erkennen, dürfen wir nur die Aufgaben ins
                              									Auge fassen, welche der Gewerbeinspektion vom Staat direkt zugewiesen sind. Sie
                              									bestehen vornehmlich darin, durch eine wohlwollende, beratende und vermittelnde
                              									Thätigkeit den Arbeitern die Wohlthaten des Gesetzes zu sichern und die Arbeitgeber
                              									in der Erfüllung der Anforderung, welche das Gesetz an sie stellt, zu unterstützen.
                              									Die Gewerbeinspektion soll zwischen den Interessen der Gewerbeunternehmer einerseits
                              									und den Interessen der Arbeiter und des Publikums andererseits auf Grund ihrer
                              									technischen Kenntnisse und amtlichen Erfahrung in billiger Weise zu vermitteln
                              									suchen; sie soll sich bemühen, den Arbeitgebern und Arbeitnehmern gegenüber eine
                              									Vertrauensstellung zu gewinnen, welche sie in den Stand setzt, zur Erhaltung und
                              									Anbahnung guter Verhältnisse zwischen beiden mitzuwirken und die Arbeitgeber auch
                              									über die gesetzlichen Anforderungen hinaus zu Einrichtungen anzuregen, welche die
                              									Verbesserung der Lage ihrer Arbeiter bezwecken.
                           Für die Erfüllung dieser Aufgaben dürfte sich der Gewerbeinspektion wohl kaum ein
                              									mehr förderndes Moment darbieten, als ihre Lehrthätigkeit an der Technischen
                              
                              									Hochschule. Dabei ist es von besonderem Wert, dass sich die Gewerbeinspektion an die
                              									studierende Jugend wenden kann, die, dem wirtschaftlichen Interessenkampf noch fern
                              									stehend, einer idealen Lebensauffassung besonders zugänglich ist, und vorurteilslos
                              									an alle die Fragen herantreten wird, mit denen sie im späteren Leben zu thun
                              									hat.
                           Auf die Wichtigkeit dieser Fragen gestatte ich mir in der Folge etwas näher
                              									einzugehen, zunächst auf die Arbeiterschutzgesetzgebung nach ihrer idealen und
                              									technischen Seite.
                           Die Industrie im allgemeinen und im besonderen die Maschinenindustrie hat es mit
                              									einer hochentwickelten Arbeiterbevölkerung zu thun, die in der
                              									Arbeiterschutzgesetzgebung das gesetzliche Mittel erblickt, ihre Ideale der
                              									geistigen und wirtschaftlichen Besserstellung der arbeitenden Klasse wirksam zu
                              									verfolgen. Kein Wunder, dass ihre Vertreter über die Wahrung dieser ihrer
                              									gesetzlichen Rechte peinlich wachen. Es ist noch wenig bekannt, dass die
                              									organisierte Arbeiterschaft heute ein System von Vertrauenspersonen über ganze
                              									Industriebezirke und Fabriken verteilt, mit der Aufgabe, die Durchführung der
                              									Arbeiterschutzgesetzgebung zu überwachen und jede Uebertretung zur Kenntnis ihrer
                              									Organisation oder der Gewerbeinspektion zu bringen. Den Arbeitern selbst wird
                              									seitens ihrer Verbände das Studium der Arbeiterschutzgesetzgebung zur ernsten
                              									Pflicht gemacht; wenn nun sie selbst, zum Teil mit bewunderungswürdigem Eifer, sich
                              
                              									die Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen aneignen, so glauben sie das auch bei
                              									ihren Vorgesetzten annehmen zu können und werden selbst in solchen Fällen, wo die
                              									Uebertretung gesetzlicher Bestimmungen auf Unkenntnis derselben zurückzuführen ist,
                              									nur Absichtlichkeit und Böswilligkeit erblicken, was über kurz oder lang zum Bruch
                              									führen muss. An einer wirksamen Durchführung der Arbeiterschutzgesetze hängt
                              
                              									thatsächlich für den Arbeiter zu viel, als dass er ihr gleichgültig gegenüberstehen
                              									sollte. So sichern ihm die Bestimmungen über die Sonntagsruhe im Gewerbebetrieb das Mindestmass von
                              									Erholung, das er zur Sammlung seiner Kräfte und zur Befriedigung seiner sittlichen
                              									Bedürfnisse notwendig hat. Die Vorschriften über die Lohnzahlung sichern ihm das
                              									freie Verfügungsrecht über seinen Verdienst, und die Bestimmungen über die
                              									Arbeitsordnung seine Mitwirkung bei Festsetzung des Arbeitsvertrags. Mit den das
                              									Leben und die Gesundheit der Arbeiter schützenden, die Beschäftigung von
                              									Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern regelnden Bestimmungen ist sein
                              									persönliches Dasein, die Wohlfahrt und die Zukunft seiner Familie aufs engste
                              									verbunden.
                           Eine verständnisvolle Beachtung des Inhalts und des Wesens der
                              									Arbeiterschutzgesetzgebung muss von selbst zu einer richtigen Behandlung des
                              									Arbeiters führen, was angesichts der Thatsache, dass fast alle Lohnbewegungen in der
                              									Forderung besserer Behandlung der Arbeiter ausklingen, von grosser Bedeutung ist. Es
                              									ist, um nur ein Beispiel anzuführen, nicht gleichgültig, ob bei Aufstellung einer
                              									Arbeitsordnung über die gesetzliche Vorschrift hinweggesehen wird, die Arbeiter über
                              									den Inhalt der Arbeitsordnung zu hören, und etwaige Bedenken derselben zur Kenntnis
                              									der zuständigen Behörde zu bringen. Bleibt diese Vorschrift unbeachtet, vielleicht
                              									nur aus dem Grunde, weil etwaige Einsprachen ihrer Natur nach doch nicht
                              									berücksichtigt werden könnten, so mag das bei einer wenig entwickelten
                              									Arbeiterschaft ohne Folgen bleiben, unter anderen Verhältnissen wird es zu sozialer
                              									Erbitterung und einem nicht leicht zu beseitigenden, alle Beziehungen durchsetzenden
                              									Misstrauen führen.
                           Hinsichtlich der technischen Seite der Arbeiterschutzgesetzgebung ist daran zu
                              									erinnern, dass der Gewerbeinspektion neben ihrem Aufsichtsdienst auch die
                              									Begutachtung aller grösseren gewerblichen Neuanlagen zugewiesen ist, und es dient
                              									gewiss zur Erleichterung des späteren gegenseitigen Verkehrs, wenn der angehende
                              									Techniker die einschlägigen Vorschriften auch kennt.
                           Der Architekt, der eine Zigarrenfabrik, eine Buchdruckerei, eine Rosshaarspinnerei
                              									baut, muss schon im Entwurf auf die bestehenden bundesrätlichen Verordnungen über
                              									deren Einrichtung und Betrieb Rücksicht nehmen, nur um Verzögerungen oder gar Kosten
                              									zu vermeiden, welche eine spätere Durchführung bestimmter gesetzlicher Vorschriften
                              									im Gefolge haben kann.
                           Hinsichtlich der inneren Einrichtung von Fabriken ist es für den Maschineningenieur
                              									ebenfalls unerlässlich, dass er die Vorschriften kennt, welche die Gewerbeinspektion
                              									in Verbindung mit der Berufsgenossenschaft auf Grund der Arbeiterschutzbestimmungen
                              									bei Neuanlagen zu machen hat. Von den 65 gewerblichen Berufsgenossenschaften sind 62
                              									eingehende Unfallverhütungsvorschriften erlassen, in denen die Erfahrungen der
                              									Gewerbeaufsichtsbeamten und der Beauftragten der Berufsgenossenschaften zum Ausdruck
                              
                              									kommen. Einsichtige Konstrukteure werden sich diese Erfahrungen zu nutze machen. In
                              									durchgreifender Weise geschieht es noch nicht. Man sieht das an der ganz einfachen
                              									Thatsache, dass verschiedene die Arbeiter gefährdende Maschinenteile und
                              									Einrichtungen, denen die Daseinsberechtigung längst abgesprochen worden ist, stets
                              									aufs neue wiederkehren, und dass sich die Unternehmer in der Folge bitter darüber
                              									beklagen, dass sie durch Betriebsstörungen und Geldopfer die Fehler der ausführenden
                              
                              									Fabriken zu tragen hätten.
                           Mahnt schon das Strafgesetz zur Einhaltung der Arbeiterschutzgesetzgebung, so
                              									erwachsen dem sozial denkenden Arbeitgeber dazu noch eine Reihe rein materieller
                              									Vorteile, die ihm auf die Dauer auch die wirtschaftliche Ueberlegenheit über andere
                              									sichern. Es ist ja eine allgemeine Erfahrung, dass diejenigen Betriebe, welche die
                              									Arbeiterschutzgesetzgebung nach ihrer technischen und geistig sittlichen Richtung
                              									hin achten, sich dadurch die besseren Arbeitskräfte zuziehen und solche auch dauernd
                              									zu erhalten vermögen; ich erinnere zunächst nur, an den hygienischen Arbeiterschutz.
                              									Kein tüchtiger Arbeiter wird mehr in dunklen Räumen, in stauberfüllter Luft oder
                              									unter der Einwirkung giftiger Dämpfe seine Gesundheit aufs Spiel setzen, wenn ihm
                              									ohne diese Schädigungen sein Auskommen gesichert wird. Die Leistungsfähigkeit eines
                              									unter sonst gleichen Bedingungen beschäftigten Arbeiters ist daam grössten, wo
                              									die gesundheitlichen Rücksichten am besten gewahrt werden.
                           Nicht minder wichtig als die Kenntnis der Arbeiterschutzgesetzgebung erscheint mir
                              									für den sozialen Frieden die Würdigung der in der Arbeiterschaft liegenden
                              									sittlichen Kräfte und der aus ihrer Mitte selbst hervorgehenden Bestrebungen, ihren
                              									Stand in wirtschaftlicher und sittlicher Hinsicht zu heben; ich meine die
                              									Organisationsbestrebungen der Arbeiter auf wirtschaftlichem Gebiet.
                           Es ist heute nicht möglich, von Kenntnis der Arbeiterverhältnisse zu reden, ohne auf
                              									diese Erscheinungen Rücksicht zu nehmen. Wo wir hinblicken, sehen wir die Arbeiter
                              									zu wirtschaftlichen Interessenverbänden sich zusammenschliessen, die einen nicht zu
                              									unterschätzenden Einfluss auf die gesamte übrige Arbeiterschaft, auf die Gestaltung
                              									ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen und auf ihre geistige und sittliche Hebung
                              									ausüben. In Deutschland allein sind im Jahr 1900 unter 4897725 in Fabriken und
                              									Motorwerkstätten beschäftigten männlichen und weiblichen Arbeitern 995435 = 20,32 %
                              									gewerkschaftlich organisiert. Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter
                              									ist bis heute auf annähernd eine MillionVgl.
                                    												Korrespondenzblatt der Generalkommission der
                                       
                                       												Gewerkschaften Deutschlands, 1901 Nr. 34 S. 532, und die Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten und
                                       												Bergbehörden für das Jahr 1900. gestiegen.
                           Ohne in theoretische Erörterungen über den Wert oder Unwert gewerkschaftlicher
                              									Organisationen eingehen zu wollen, müssen wir hier mit dem Gegebenen rechnen. Es
                              									wird sich deshalb darum handeln, auf Grund thatsächlicher Beobachtungen die
                              									Bedingungen kennen zu lernen, unter denen die Organisationen entstehen und wie sie
                              
                              									gegebenenfalls in das industrielle Getriebe eingreifen und die Gesamtlage
                              									beeinflussen.
                           Wer gelernt hat, mit diesen neuen sozialen Gebilden zu rechnen, wer in ihnen nicht
                              									nur die wirtschaftlichen Kampfesorganisationen erblickt, sondern auch ihre
                              									Bildungsbestrebungen und ihre Opfer würdigt, die sie zur Hebung der Arbeiterklasse
                              									aufbringen, was nur wieder der Industrie und ihrem Fortschritt zu gute kommen muss,
                              									der wird den Arbeitern ein höheres Mass wohlwollenden Interesses und persönlicher
                              									Wertschätzung entgegenbringen als derjenige, der ohne eingehende Kenntnis der
                              									Verhältnisse sich plötzlich im Interessenkampf diesen Erscheinungen gegenüber
                              									gestellt sieht.
                           Wenn durch die Einführung neuer Maschinen, durch Aenderung des Produktionsverfahrens,
                              									durch die Gesetzgebung oder durch sonstige soziale Erscheinungen, wie dürftige
                              									Wohnungsverhältnisse, Steigerung der Wohnungsmieten, Verteuerung der Lebensmittel
                              									und anderes veranlasst, Arbeiter mit Wünschen an den Arbeitgeber oder Betriebsleiter
                              									herantreten, wie ganz anders mag er ihnen begegnen, wie viel kann er allein durch
                              									wohlwollende Beratung verbessern und heben, wie kann er selbst sich unliebsame
                              									Beunruhigung fernhalten, sofern er die Arbeiterverhältnisse richtig zu beurteilen
                              									gelernt hat.
                           Auch manche Fragen im Verhältnis der Gewerbeinspektion zu Arbeitgebern und
                              									Arbeitnehmern bedürfen der Erörterung und Klarstellung, um jedes Misstrauen
                              									fernzuhalten. Ich erinnere nur an den Verkehr der Gewerbeinspektion mit den
                              									Arbeitern, an die Einrichtung des Vertrauenspersonensystems, durch welches dem
                              									Arbeiter Gelegenheit gegeben wird, in der gleich unumwundenen Weise wie der
                              									Arbeitgeber, sich dem Gewerbeinspektor gegenüber zu äussern. Der sozial geschulte
                              									Arbeitgeber wird hierin keine einseitige Parteinahme der Gewerbeaufsichtsbeamten für
                              									den Arbeiter, sondern den natürlichen Ausdruck der notwendigen inneren
                              									Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Amtes erblicken. Er wird noch weiter gehen
                              									und sich davon überzeugen, dass dieses Entgegenkommen eine erziehende Wirkung auf
                              									die Arbeiterschaft selbst ausübt, dass böswillige Denunziationen gegen die
                              									Arbeitgeber in dem Masse zurückgehen, als die Arbeiter zu einer freien Aussprache
                              									erzogen werden und sich unter dem Eindruck der Verantwortlichkeit für ihre Aussagen
                              									an die Gewerbeinspektion wenden können.
                           Handelt es sich endlich darum, die Arbeitgeber auch über die gesetzlichen
                              									Anforderungen hinaus zu Einrichtungen
                              									anzuregen, welche die Verbesserung der Lage ihrer Arbeiter bezwecken, so wird
                              									der Erfolg in erster Linie davon abhängen, in welchem Masse das Interesse und das
                              									Verständnis für die wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse rechtzeitig geweckt
                              									worden sind. Letzteres zu thun, scheint mir eine wichtige Aufgabe der Technischen
                              									Hochschule zu sein, da sie auch die technischen Kräfte liefert, den
                              									Wohlfahrtsbestrebungen Gestalt zu verleihen.
                           Durch die Vorführung dessen, was Staat, kommunale Verbände, gemeinnützige
                              									Gesellschaften, sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Hebung des Arbeiterstandes
                              									thun, soll die Anregung zur weiteren Förderung aller humanitären Bestrebungen auf
                              									diesem Gebiete gegeben werden. Auch das Gebiet der Wohlfahrtspflege setzt eine
                              									eingehende Kenntnis der Arbeiter und ihrer Verhältnisse voraus, um erfolgreich darin
                              									arbeiten zu können. Sie bewahrt den Arbeitgeber davor, Einrichtungen zu treffen, die
                              									ihren beabsichtigten Zweck verfehlen und ihm in der Folge die Lust zu fernerem
                              
                              
                              									sozialen Wirken nehmen. Beispielsweise kann man mit Fabrikkantinen und ähnlichen
                              									Anstalten auf dem Lande gute Erfahrungen machen, in der Stadt dagegen würden solche
                              									Einrichtungen wenig Anklang finden. Hier sind es vornehmlich die sanitären
                              									Einrichtungen, Fabrikbäder und Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, durch die sich
                              									der Arbeitgeber den Dank seiner Arbeiter dauernd sichern kann.
                           Es ist eine Ehrenpflicht der Gewerbeinspektion, auch an dieser Stelle darauf
                              									hinzuweisen, wie viel auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege in Württemberg schon
                              									geschehen ist.
                           Im Vordergrund steht die Wohnungsfürsorge für die arbeitenden Klassen. Nach den von
                              									den Gewerbeaufsichtsbeamten im Jahr 1898 angestellten Erhebungen über die
                              									Beschaffung von Arbeiterwohnungen durch Arbeitgeber, Baugenossenschaften und
                              
                              									gemeinnützige Vereine waren bis Ende 1898 3248 Arbeiterwohnungen erstellt und
                              										zwar:1593 von privaten Arbeitgebern, 411 von Baugenossenschaften, deren Mitglieder
                              
                              									vorherrschend aus Arbeitern bestehen, und 1244 Wohnungen von gemeinnützigen
                              									Gesellschaften. Wir sehen, dass die privaten Arbeitgeber allein 49 % aller
                              									Arbeiterwohnungen erstellt haben.
                           Zur Bekämpfung der Nachteile, welche die mangelhafte Ausbildung im Hauswesen für die
                              									Fabrikarbeiterinnen im Gefolge hat, wurden von einzelnen Arbeitgebern, wie von
                              									Vereinigungen solcher, Haushaltungsschulen und Wanderkochkurse errichtet. Grössere
                              									Fabrikanlagen haben die Krankenfürsorge auf die Angehörigen der bei ihnen
                              									beschäftigten Arbeiter ausgedehnt; zur Beaufsichtigung der Kinder der
                              									Arbeiterfamilien sind Krippen, Kinderschulen und ähnliches errichtet worden. Reiche
                              									Stiftungen ermöglichen im einzelnen, hilfsbedürftigen Arbeitern aussergewöhnliche
                              
                              									Unterstützungen zukommen zu lassen. Von besonderer Bedeutung ist die Fürsorge,
                              									welche der Ausbildung der Lehrlinge seitens einzelner Arbeitgeber zugewendet wird.
                              									Ueberhaupt können wir in Württemberg die erfreuliche Wahrnehmung machen, dass die
                              									Industrieellen mancher Anregung zur Verbesserung der Lage ihrer Arbeiter gerne
                              									gefolgt sind, auch da, wo es mit erheblichen Opfern verbunden war.
                           In den vorstehenden Ausführungen glaube ich das weite Gebiet gestreift zu haben, mit
                              									dem der Ingenieur vertraut sein muss, wenn er ins praktische Leben hinaustritt. Die
                              									angeregten Fragen weisen aber auch auf die gemeinsame Aufgabe der technischen
                              									Hochschule und der Gewerbeinspektion hin, durch aufklärende und beratende
                              									Thätigkeit, hier bei den Studierenden, dort bei den Arbeitgebern und Arbeitnehmern
                              
                              									in sozial versöhnendem Sinne zu wirken.
                           Mögen die Ziele, welche beide gemeinsam verfolgen, in vollem Masse erreicht werden,
                              									im Interesse des sozialen Friedens und einer gedeihlichen Fortentwickelung unserer
                              									vaterländischen Industrie.