| Titel: | Blanc's Schutzvorrichtung für Strassenbahnwagen. | 
| Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 703 | 
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                        Blanc's Schutzvorrichtung für
                           								Strassenbahnwagen.
                        Blanc's Schutzvorrichtung für Strassenbahnwagen.
                        
                     
                        
                           Hand in Hand mit dem Anwachsen des Strassenbahnwesens ist auch der Eifer und die
                              									Zahl der Versuche grösser geworden, eine wirklich zweckentsprechende
                              									Schutzvorrichtung zu schaffen, durch welche bei aussergewöhnlichen Vorkommnissen die
                              									Unzulänglichkeit der Bremsmittel einigermassen ausgeglichen werden sollte. Demnach
                              									haben diese Schutzvorrichtungen die Aufgabe, zufällige, ins Geleise geratene
                              									Hindernisse, vor denen das Fahrzeug nicht mehr ganz zum Stillstande gebracht werden
                              									kann, derart aus dem Wege zu räumen, dass sie nicht unter den Wagen gelangen und
                              									hier entweder – falls es sich um Personen handelt – selbst Schaden erleiden, oder –
                              									wenn Sachen in Betracht kommen – durch Zerstörung des Wagenuntergestelles oder der
                              									Motoren u.s.w. Materialschäden hervorbringen, oder auch eine Entgleisung
                              									herbeiführen. Von den einschlägigen Vorrichtungen gibt es bekanntlich dreierlei
                              									Hauptformen, da sie entweder aus fixen, breiten
                              									Holzrahmen bestehen, die unverrückbar mit dem Wagengestelle verbunden sind, oder aus
                              									ebensolchen fixen, aus leichten Rund- oder Flacheisen
                              									hergestellten Rahmen, die starke Hanfschnurnetze tragen, oder indem sie endlich in
                              									der einen oder in der anderen Form, jedoch mit beweglichen Rahmen ausgeführt sind.
                           Es kann nun allerdings nicht geleugnet werden, dass trotz der grossen Zahl
                              									verschiedener Schutzvorrichtungen der in Rede stehenden Gattung, etwas vollkommen
                              									Entsprechendes nicht darunter zu sein scheint, wenn man die auffällig häufigen,
                              									schweren Unfälle in Betracht zieht, welche unablässig überall vorzukommen pflegen,
                              									soweit es Trambahnen gibt, die im gleichen Niveau besonders lebhaft begangener
                              									Strassen ihren Weg nehmen. Die Fälle, in welchen die Schutzvorrichtung eines
                              									Strassenbahnwagens ihre Schuldigkeit gethan hat, sind, wenigstens soweit die
                              									Publizistik davon Notiz nimmt, entsetzlich selten, gegenüber jenen Fällen, in
                              									welchen sie ihrem Zwecke nicht gerecht geworden ist. Ja – bei nicht wenigen
                              									besonders schweren Unfällen, die mit der Verstümmelung oder dem Tode des
                              									Ueberfahrenen abschlössen, steht es ausser Zweifel, dass dieser traurige Ausgang
                              									durch die sogen. Schutzvorrichtung geradezu herbeigeführt worden ist. Es gilt das
                              									letztere namentlich von den vorhin als erste Konstruktionsform bezeichneten, am
                              									Wagen fix angebrachten Bahnräumern, mögen dieselben als einfache Querbalken oder
                              									pflugförmig angeordnet sein; denn sie können, damit sie von der fortwährenden
                              									Zerstörungsgefahr einigermassen geschützt sind, nur eine gewisse Höhe über der
                              									Schienenoberkante bezw. über dem Strassenniveau angebracht werden. Allein, eben
                              									dieser Zwischenraum ist unter Umständen geeignet, entweder das Hindernis unter der
                              									Schutzvorrichtung weg an die Räder des Wagens gelangen zu lassen oder die
                              									Möglichkeit herbeizuführen, dass das Hindernis – etwa eine hingestürzte Person –
                              									durch den Schutzrahmen selbst zermalmt wird.
                           Ein recht auffälliger, besonders schrecklicher Fall hat erst unlängst wieder in Wien
                              									die Tagesblätter zu einer berechtigten und nichts weniger als schmeichelhaften
                              									Kritik der bestehenden Einrichtungen entflammt. So macht u.a. Oberst Angeli in der Neuen freien
                                 										Presse vom 20. September nachstehende Bemerkung: „Dass eine stabile Schutzvorrichtung nicht unmittelbar auf den
                                 										Schienen aufliegen könne, bedarf keiner weiteren Beweisführung, ebensowenig aber
                                 										auch die Thatsache, dass die dermalen auf den Wiener elektrischen Trambahnen im
                                 										Gebrauche stehenden Apparate ihrem Zwecke nicht entsprechen. Im Gegenteile sind
                                 										sie geradezu eine namhafte Erhöhung der Gefahr für jene, denen es nicht mehr
                                 										möglich ist, dem Tramwaywagen auszuweichen. Wäre gar keine Schutzvorrichtung
                                 										vorhanden, so bliebe dem Niedergestossenen noch immer die Chance, zwischen die
                                 										Räder zu liegen zu kommen, so dass der Wagen über ihn wegginge; bei unseren
                                 										Schutzvorrichtungen ist dies ausgeschlossen, denn läge sie auch nur so hoch über
                                 										den Schienen, dass eine Hand oder ein Fuss unter ihr Platz findet, so ist es für
                                 										den Verunglückten unmöglich,sich zu befreien oder beiseite geschleudert zu
                                 
                                 
                                 
                                 										werden. Eine wirklich wirksame Schutzvorrichtung darf nicht stabil, sondern muss
                                 										beweglich und so eingerichtet sein, dass sie während der Fahrt hoch genug über
                                 										den Schienen liegt, im Momente der Gefahr aber sich glatt an dieselben schmiegt,
                                 										und es hierdurch unmöglich wird, dass sie den Niedergestossenen zerquetscht.
                                 										Dies ist etwa durch eine nach Art der Schneepflüge geformte Schutzvorrichtung
                                 										aus starkem Eisenblech zu erreichen, welche in Scharnieren liegend während der
                                 										Fahrt durch eine entsprechende Vorrichtung gehalten, über den Schienen schwebt,
                                 										im Augenblicke der Gefahr aber durch einen einfachen Handgriff des Führers
                                 										ausgelöst, auf die Schienen fällt. Eine kurze Aufbiegung des vorderen Randes
                                 										würde ein Spissen an den Schienenstössen hindern. Eine derartige Vorrichtung
                                 										könnte selbst im allerletzten Momente jede Gefahr abwenden, da sie den
                                 										Verunglückten entweder aus dem Geleise schleudern, oder so lange vor sich her
                                 										schieben würde, bis der Wagen zum Stehen gebracht werden kann.“
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 316, S. 703
                              Blanc's Schutzvorrichtung für Strassenbahnwagen.
                              Fig. 1. Seitenansicht; Fig. 2.
                                 										Draufsicht.
                              
                           Ziemlich genau nach diesem Programm sind ja auch mehrfache Konstruktionen
                              									durchgeführt und eine der einfachsten davon, deren Zweckdienlichkeit Ch. Dantin in Le génie
                                 										civil, 1901 S. 305, besonders hervorhebt, steht beispielsweise auf den
                              									Marseiller Trambahnlinien bisher mit bestem Erfolge in Verwendung. Die betreffende,
                              									aus Fig. 1 und 2 ersichtliche, vom
                              									Betriebsleiter der Strassenbahnen in Marseille, Blanc,
                              									angegebene Anordnung bildet im wesentlichen einen unter der Plattform der Wagen
                              									aufgehängten, aus zwei weichen, senkrecht gestellten Holzbohlen A1 und A2 bestehenden Pflug,
                              
                              									der durch die zwei aus harten Brettern hergestellten Rippen A3 und A4 versteift ist. Von diesen Rippen liegt A4 genau in der
                              									Längsachse MN (Fig. 2) des Fahrzeuges,
                              									so dass sich also das Dreieck des Pfluges, dessen Grundlinie der Breite des Wagens
                              									gleich ist, auf die beiden Wagenhälften genau symmetrisch verteilt. An der Spitze
                              									des Dreiecks ist innerhalb der Bohlenwände A1 und A2 eine Laufrolle D
                              									angebracht, welche die Aufgabe hat, die rückwärts an den beiden Gelenken B1 und B2 am Wagengestelle
                              									hängende Vorrichtung von den Unebenheiten des Strassengrundes zu schützen, wenn der
                              										Pflug seine
                              
                              
                              									tiefste Lage einnimmt. In der Regel wird nämlich der ganze Pflug in der Höhe, soweit
                              									es die Länge der Gelenke B1 und B2
                              									gestattet, durch ein Drahtseil CC festgehalten.
                              									Letzteres ist mit seinem Ende an einen an der Mittelrippe A3 geschraubten Haken E geknüpft, dann über zwei Leitrollen F1 und F2 nach aufwärts und
                              									unter dem Boden der Plattform des Führerstandes seitwärts gelenkt, sowie
                              									schliesslich mit dem zweiten Ende auf einer kleinen Schnurtrommel G befestigt und aufgewickelt.
                           An der einen Seite sitzt auf der Welle der eben erwähnten Schnurtrommel lose ein
                              									Zahnrad R auf, welches mit der ersteren durch ein
                              									linkslaufendes, gewöhnliches Gesperre in Verbindung steht und in dessen Zähne eine
                              									an der Stange L auf einem Drehzapfen bewegliche, durch
                              									eine Feder angemessen beeinflusste Klaue J eingreift.
                              									Auch die aus einem eisernen Gasrohr hergestellte Stange L steckt zu unterst auf einem wagerechten, zu den Radachsen parallel
                              									liegenden und am Gestelle des Wagens angebrachten Drehzapfen; sie birgt in ihrem
                              									Hohlraume eine federnde Schub- bezw. Klinkenstange, die mit einer seitlichen Nase
                              									unter einen Sperrkegel reicht, welcher in ein an der anderen Seite der Schnurtrommel
                              									auf der Trommelwelle ohne Gesperrverbindung einfach festsitzendes Sperrrad
                              									eingreift. Am oberen Ende der Stange L, welche
                              									unmittelbar vor der Brüstung des Führerstandes neben der Bremsspindel nach aufwärts
                              									geführt ist, und eine angemessene Länge besitzt, um einerseits dem Führer bequem zur
                              									Hand zu liegen, und andererseits die Benutzung der Bremskurbel nicht zu hindern,
                              									befindet sich ein aus zwei ineinander geschobenen Teilen bestehender Handgriff Z, dessen Innenteil mit der Klinkenstange und dessen
                              									Aussenteil mit der Stange L selbst in fester Verbindung
                              									steht, so dass man beim kräftigen Anfassen des Handgriffes durch das Zusammenpressen
                              									der Finger die Klinkenstange genügend hoch hebt, um den Sperrkegel der Schnurtrommel
                              									auszurücken.
                           Würde also der Schutzrahmen A1A2 seine tiefste Lage einnehmen, wobei die
                              									Gelenkstangen B1 und
                              										B2 fast senkrecht
                              									nach abwärts hängen und die Rolle D am Strassengrund
                              									läuft, dann lässt sich derselbe mit Hilfe der Stange L
                              									hoch heben, indem letztere durch den Wagenführer am Handgriff Z mehrmals vorwärts und zurück geschoben wird, wie dies
                              									in Fig. 1 durch die
                              
                              									beiden Pfeile angedeutet erscheint. Dabei arbeitet ersichtlichermassen die Stange
                              										Lmit ihrer Klaue J, welche beim Rückgang immer das Rad H samt
                              									der Schnurtrommel mitnimmt, ähnlich etwa wie der Hebel einer Bohrratsche; das
                              
                              									Drahtseil CC wird auf diese Weise auf die Trommel
                              									aufgewickelt, so weit es angeht, d.h. so weit, dass der Rahmen A1A2 seine höchste Lage
                              									erhält, in welcher er nahezu zweimal so hoch über den Fahrschienen liegt, als die
                              									Gelenkstangen B1 und
                              
                              										B2 lang sind. Dies
                              									ist ja auch die normale Ruhelage der Schutzvorrichtung. Soll jedoch die letztere in
                              									Wirksamkeit gesetzt werden, dann braucht der Wagenführer lediglich den Handgriff Z anzufassen und dabei die Finger zusammenzupressen,
                              									wodurch die Ausklinkung des Sperrkegels der Schnurtrommel herbeigeführt wird;
                              									zufolge dieser Auslösung kann sich die Schnurtrommelwelle ungehemmt nach rechts
                              									drehen und es wird sich daher das Seil CC,
                              									angetrieben durch das Eigengewicht des Holzpfluges, so rasch abwickeln, dass der
                              									Rahmen A1A2 fast augenblicklich
                              									in seine tiefste Lage niederkippt und nunmehr das etwaige Hindernis vom Geleise zur
                              									Seite schiebt. Die Anschaffungskosten der Blanc'schen
                              									Einrichtung sind verhältnismässig gering, desgleichen die Unterhaltungskosten. Auch
                              									kann diese Schutzvorrichtung so ziemlich an jeder Art von Trambahnwagen, nämlich
                              									sowohl an Pferdebahnwagen als an elektrischen Strassenbahwagen ohne weiteres leicht
                              									angebracht werden; endlich lässt sich dieselbe im Winter bei nicht allzuhohen, fest
                              									gefrorenen Niederschlägen auch ganz gut als Schneepflug ausnutzen.
                           Im übrigen ist es eine bedauerliche Thatsache, dass auch die beweglichen Schutzvorrichtungen im allgemeinen ihre gefährlichen
                              									Schattenseiten besitzen, was namentlich bei den Netzapparaten bedenklich zu Tage
                              									tritt. Für alle Fälle kommt es bei sämtlichen beweglichen Konstruktionen darauf an,
                              									dass bei der Gebrauchsnahme die Auslösung augenblicklich und richtig erfolgt, dass
                              									also auch das Mittel der Auslösung dem Wagenführer stets unmittelbar zur Hand ist,
                              									und dass der Führer selbst die Geistesgegenwart besitzt, die Vorrichtung rechtzeitig
                              
                              									anzuwenden. Erfolgt die Auslösung auch nur einen Bruchteil einer Sekunde zu spät, so
                              
                              
                              									kann der bewegliche Apparat genau dieselben Gefahren ermöglichen oder herbeiführen,
                              									wie eine fixe Einrichtung. Immerhin gewährt aber die bewegliche Form die
                              									ausserordentlich wertvolle Chance, dass sie eben auch rechtzeitig wirksam gemacht werden kann und dann ihre Schuldigkeit
                              									thut.