| Titel: | Selbststrahlende Substanzen. | 
| Autor: | S. H. | 
| Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 161 | 
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                        Selbststrahlende Substanzen.
                        Selbststrahlende Substanzen.
                        
                     
                        
                           Die von Röntgen vor etwa 6 Jahren gemachte
                              									Entdeckung, dass die Kathoden Hittorf'scher Röhren
                              									Strahlen aussenden, welche die Eigenschaft besitzen, Körper mehr oder weniger zu
                              									durchdringen, veranlasste, dass viele Chemiker und Physiker zur Untersuchung der
                              									Eigenschaften dieser Erscheinung schritten, so dass dieselbe in kurzer Zeit nach
                              									allen Seiten durchforscht wurde.
                           Bei einem seiner Experimente zur Erweiterung seiner Kenntnisse über diese Strahlen
                              									entdeckte nun der französische Physiker Becquerel im
                              									Jahre 1896, dass das aus Pechblende gewonnene Uran und seine Verbindungen, ohne
                              									vorher dem Sonnen- oder Kathodenlicht ausgesetzt zu sein, die Eigenschaft besitzen,
                              									fluorescierende Substanzen, wie das sehr empfindliche und wirkungsvolle
                              									Baryumplatincyanür, im Dunkeln zum Leuchten zu bringen, auf der photographischen
                              									Platte ein Bild des durchdrungenen Gegenstandes zu hinterlassen, Holzschachteln zu
                              									schwärzen und mit Elektrizität geladene Körper zu entladen. Ungefähr zur gleichen
                              									Zeit fand das Ehepaar Currie in Paris, dass nicht
                              									allein das Uran, sondern auch das Thorium und seine Verbindungen solche Strahlen
                              									aussenden. In ganz kurzer Zeit entdeckten nun verschiedene Forscher eine ganze Reihe
                              									derartiger Substanzen. Unter diesen zeichjen sich besonders das Radium und das
                              									Polonium aus, und ergab sich, dass die erstgenannte Substanz, welche aus der
                              									Uranpechblende gewonnen wird, die grösste Intensität der Strahlung besitzt, und
                              									allen anderen bisher entdeckten Substanzen in dieser Beziehung um das
                              									Mehrhundertfache übertrifft. Eigentümlicherweise scheint die Energie der Strahlungen
                              									nicht abzunehmen, und würde dies dem Gesetze von der Erhaltung der Kraft
                              									widersprechen; denn nicht allein dass diese Substanzen Licht, sondern auch
                              									elektrische Energie aussenden, ist zu berücksichtigen. Vor kurzer Zeit jedoch
                              									berechnete Becquerel, dass Millionen Jahre darüber
                              									vergehen würden, bis sich das Gewicht der Substanz um ein Milligramm verringert
                              									haben würde. Nimmt man nun an, dass diese Rechnung unrichtig wäre oder vielmehr auf
                              									einer hypothetischen Rechnung beruht, so dürfte vielleicht zurdErklärung der
                              									dauernden Intensitätserscheinung nur noch das Naturgesetz, dass Wärme immer nur von
                              									einem wärmeren zu einem kälteren Körper überfliesst, hinreichen. Nehmen wir nun an,
                              									dass unsere Voraussetzung des Ruhezustandes der Moleküle, deren Bewegung ja
                              									bekanntlich uns als Wärme erscheint, falsch wäre, und fuhren dafür die Annahme ein,
                              									dass in allen Körpern, in welchem Aggregatzustande ist gleichgültig, die Atome
                              									gleich unendlich kleinen Planeten um einen imaginären Mittelpunkt oder um ein
                              									zentrales, sich um die eigene Achse drehendes Atom rotieren, und eine grosse Anzahl
                              									sehr kleine, selbständige, im Aether schwebende und durch die Kohäsion
                              
                              									zusammengehaltene Sonnensysteme bilden, so wird es möglich, hierin eine Erklärung zu
                              									finden, indem wir einfach die Vorgänge, welche sich im Sonnensystem abspielen, auf
                              									unsere obige Annahme beziehen. Im Sonnensystem drehen sich die Planeten um ihre
                              									Sonnen und würden die grösseren Bahnen den höheren Wärmegraden entsprechen. Damit
                              									nun aber ein Ruhezustand der Moleküle stattfindet, müssen sich die Bahnbewegungen
                              
                              									der sich beeinflussenden Moleküle auszugleichen suchen, so dass die grössten Bahnen
                              									kleiner und die kleineren grösser werden, wodurch die Temperaturen sich ausgleichen.
                              									Unmöglich wäre es nun nicht, dass eine Verkettung solcher molekularen Bewegungen
                              									stattfindet, und ein Teil der Bahnen 
                              									beständig kleiner und hierdurch die anderen immer grösser werden, so dass
                              									letztere bei gesteigerter Geschwindigkeit schliesslich selbstleuchtend werden und
                              
                              									die gewonnene Kraft durch Aussenden von Licht und elektrischen Strahlen wieder
                              									abgeben. Das Radium sowie die anderen entdeckten selbststrahlenden Substanzen
                              									erwärmen sich beim Ausstrahlen absolut nicht, und ist auch dies leicht erklärlich,
                              									wenn man berücksichtigt, dass es durchaus nicht unwahrscheinlich ist, dass es Körper
                              									gibt, deren Atome, ohne dass sich ihre elliptischen Bahnen vergrössern, eine so
                              									grosse Steigerung ihrer Rotationsgeschwindigkeit fähig sind, dass die hierdurch
                              									hervorgerufenen Aetherschwingungen in unserem Auge die durch uns mit Licht benannte
                              									Empfindung hervorrufen. Solche Körper müssten dann jene Strahlungsfähigkeit
                              									besitzen, die wir am Radium vorfinden und ein kaltes Licht erzeugen.
                           Da nun die grossen Atombahnen eines warmen Körpers die kleineren eines kalten Körpers
                              									vergrössern, indem die Wärme vom warmen zum kalten Körper überfliesst, so muss auch
                              									die Bewegungsschnelligkeit der Atome aktiver Substanzen, die berührten langsam
                              									rotierenden Atome eines nicht aktiven Körpers zu beschleunigter Drehung veranlassen,
                              									und muss sich gerade wie beim Wiederabkühlen des angewärmten Körpers, der frühere
                              									nicht aktive Zustand in kürzerer oder längerer Zeit wieder einstellen; damit soll
                              
                              									aber nicht gesagt sein, dass es keine Substanzen gibt, welche diese von einer
                              									anderen erteilte grössere Bewegungsschnelligkeit beibehalten.
                           Es müsste nun allerdings bei der Kraftabgabe – denn diese ist ganz bestimmt durch
                              									eine Uebertragung der Geschwindigkeit bedingt – eine Abnahme der Kraft nach dem
                              									Gesetze der Erhaltung der Energie stattfinden.
                           Dies geschieht jedoch bei den radioaktiven Substanzen in keiner Weise; man muss also
                              									annehmen, dass ein derartiger Stoff nicht allein die Eigenschaft besitzt, seine hohe
                              									Atomgeschwindigkeit langsamer rotierenden Atomen mitzuteilen, sondern auch und zwar
                              									in einem sehr grossen Masse im stände sein, den ringsum rotierenden wärmeren Luft-
                              									und Körpermolekülen einen Teil ihrer Rotationskraft nicht zur Vergrösserung seiner
                              									Atombahnen, sondern zur Erhaltung seiner Atomgeschwindigkeit zu entnehmen. Es könnte
                              									nur dies der Grund sein, weshalb diese Substanzen ungeschwächt fortleuchten, und
                              									wäre damit, falls die Annahme sich in einiger Zeit als richtig erweist, der
                              									Zusammenhang von Wärme, Licht und Elektrizität sowie ihre Nebenerscheinungen
                              									erklärt, indem sie sämtlich auf verschiedene Wirkungen einer und derselben Ursache,
                              									der Molekularrotation, zurückzuführen sind und dass diese die gesuchte an die
                              									Materie gebundene Urkraft ist.
                           Zu den Eigenschaften der Strahlungen gehört auch das Auftreten einer sekundären
                              									Radioaktivität. Verwendet man eine kleine Menge sehr aktives Radiumsalz, welches
                              									etwa ein Jahr in einer 1 mm breiten und 1,6 mm tiefen Rinne eines Bleistückes lag
                              									und plaziert dasselbe auf eine in schwarzes Papier gehüllte photographische Platte,
                              									so findet man nach der Entwickelung derselben, dass die Substanz eine sehr kräftige
                              									Wirkung vollbracht hat, indem nicht allein der dicke Boden der Rinne, sondern auch
                              									die Seitenwände des Bleistückes durchsetzt werden. Kommen diese Strahlen direkt von
                              									der Substanz her, so durchdringen sie eine Bleimasse von 10 bis 12 mm Dicke.
                              									Eigentümlich ist nun, dass diese gewissermassen durch die Bleiplatte filtrierten
                              									Strahlen noch intensiver werden, indem sie leicht zwei aufeinanderliegende
                              									photographische Platten durchsetzen und noch auf eine dritte einwirken, obwohl sie
                              									eine starke Diffusion erfahren, so dass das Bild auf der dritten Platte sehr neblig
                              									ausfällt. Wird die dritte Platte mit einer Glimmerschicht bedeckt, so sind auch dann
                              									die Umrisse des durchleuchteten Bleistückes ganz deutlich wahrzunehmen.
                           Verwendet man statt einer Glimmerschicht eine 1 mm dicke Bleiplatte, welche grösser
                              									els das Bleistück ist, legt sie ebenfalls auf die in schwarzes undurchlässiges
                              									Papier eingehüllte photographische Platte, und legt auf dieselbe vielleicht noch
                              									mehrere Metallstücke, so findet man, dass alle von den Strahlungen getroffenen
                              									Metallteilchen ein kräftigeres Bild auf der Platte hinterlassen, als die direkte
                              									Bestrahlung hervorgerufen hätte. Hieraus ersieht man, dass diese Platten keine
                              									Schirmwirkung, sondern im Gegenteil eine stärkende Wirkung ausüben und ein
                              									kräftigeres Bild als sonst erzeugen. Diese Additionseigenschaft nimmt mit grösser
                              									werdendem Abstand und zunehmender Dicke des von den auffallenden Strahlen zu
                              									durchleuchtenden Gegenstandes ab.
                           Wird unter der ersten photographischen Platte noch eine zweite hinzugefügt, so zeigt
                              									diese die direkte Strahlung durch ein sehr kräftiges Bild, während die sekundären
                              									Strahlen der auf die erstere Platte gelegten Metallstücke das Glas schwieriger
                              									durchsetzen und auch ausserdem kein solches Durchsetzungsvermögen haben als die
                              									direkten Strahlen. Werden dagegen die Metallstücke isoliert oder gegen eine
                              									erregende Strahlung geschützt und dann auf eine in schwarzes Papier gelegte
                              									photographische Platte geschoben, so bringen sie keine Wirkung hervor.
                           Hieraus muss man ableiten, dass die Wirkung dieser Metallstücke nur auf eine
                              
                              
                              									sekundäre Strahlung zurückzuführen ist, und somit ein Analogon zur Phosphorescenz
                              									oder Fluorescenz des Lichtes bildet. Einen ähnlichen Vorgang ergeben die von Sagnac entdeckten sekundären Röntgen-Strahlen und folgt
                              									daraus, dass ein Zusammenhang derselben bestehen könnte. Wird irgend ein Körper in
                              									die Nähe einer radioaktiven Substanz gebracht, so erteilt diese dem Körper
                              									gleichfalls auf einige Zeit eine Radioaktivität in mehr oder weniger grösser
                              									Intensität; jedoch wird die dem nichtaktiven Körper erteilte Aktivität nicht immer
                              									den Intensitätsgrad des primären Körpers erreichen und verliert dieselbe in einiger
                              									Zeit vollständig. Mischt man z.B. einige aktive Substanzen mit Baryumsalz oder
                              									sonstigen aktivierungsfähigen Verbindungen, so nehmen erstere zeitweilig etwas von
                              									deren Intensität an und geht hieraus hervor, dass die Annahme von der Uebertragung
                              									der Atomgeschwindigkeit wohl zutrifft.
                           Wird Pechblende längere Zeit erhitzt, so entwickelt sich ein Gas, welches monatelang
                              									radioaktiv bleibt, und wäre es nicht unwahrscheinlich, dass es Substanzen gibt,
                              									welche im stände wären, ein Gas zu liefern, dessen Aktivität konstant wie des
                              									Radiums bleibt. Herr und Frau Currie fanden, dass die
                              									induzierte Aktivität durch die Ausstrahlung der radioaktiven Substanzen erzeugt
                              									wird, indem die die Substanz umgebende Luft die Aktivität fortpflanzt. Hiermit wäre
                              									nochmals erwiesen, dass die aktiven Substanzen im stände sind, den umliegenden
                              									Atomen und Molekülen einen Teil ihrer Rotationsgeschwindigkeit abzugeben und sie von
                              									anderwärts zu ersetzen. Werden Baryumsalze in einen Raum gebracht, welcher mit
                              									mehreren anderen durch Kapillarröhren in Verbindung steht, so werden die zu
                              									aktivierenden Körper ebenso leicht aktiv, als wenn sie mit den verwendeten SubstanzenStubstanzen in einem Raume untergebracht wären. Zur Erhaltung eines sehr radioaktiven
                              
                              									Gases bediene man sich der folgenden Methode.
                           Man lege den radioaktiven Stoff in eine offene Kugel und bringe ihn mit dem zu
                              									induzierenden Körper in eine verschlossene Röhre, pumpt dieselbe vielleicht bis
                              									unter 0,001 mm Quecksilber luftleer und hält das Vakuum möglichst konstant. Ist der
                              									zu induzierende Körper vor dem Luftleerpumpen aktiv geworden, so verschwindet diese
                              									Eigenschaft, kehrt jedoch nach einiger Zeit zurück, indem die aktive Substanz die
                              									Röhre mit einem Gase anfüllt, welches ungemein stark radioaktiv ist und dessen
                              									Intensität ganz langsam abnimmt.
                           Dieses Gas wirkt durch das Röhrenglas hindurch, schwärzt die photographische Platte,
                              									entladet elektrisch geladene Körper und erzeugt eine Fluorescenz der Glaswände,
                              									welche man im Dunkeln leuchten sehen kann.
                           Hieraus geht hervor, dass die Atomrotation keine Uebertragung im Vakuum erzeugt und
                              									durch die Entziehung der Luftmoleküle und Atome eine Aktivität nicht induziert
                              
                              									werden kann, so dass auch hierdurch die Hypothese der Atomrotation näher begründet
                              									erscheint.
                           Nicht allein dass man im stände ist ein Gas herzustellen, sondern vielmehr auch ein
                              									radioaktives Wasser ist durch Currie angefertigt
                              									worden, indem er eine Lösung von Radiumsalz in eine vollständig verschlossene Kapsel
                              									unterbrachte und diese in eine Schüssel mit Wasser legte. Nach kurzer Zeit wurde das
                              									Wasser aktiviert und erlangte oft eine grössere Aktivität als die zum Induzieren
                              									benutzte radioaktive Substanz selbst. Ein Tropfen dieses Wassers bringt eine
                              									Entzündung der menschlichen Haut hervor und verursacht eine Chlorose an grünen
                              									Pflanzen. Wird das aus Uranpecherz, Broggerit, Cleveit, Samarskit, Uranglimmer und
                              									Euxenit gewonnene Bleisulfat, welches seine Radioaktivität verloren hat, unter den
                              
                              									Einfluss der Kathodenstrahlen gebracht, so erlangt dies die Fähigkeit einer aktiven
                              									Substanz wieder und dauert dieselbe oft wochenlang. Durch Erhitzen des radioaktiven
                              									Bleies wird die Intensität nur wenig vermindert und keineswegs aufgehoben. Wird das
                              									Sulfat in Sulfid übergeführt, so verschwindet die Aktivität, erscheint aber wieder
                              									nach der Rückverwandlung, aber in etwas schwächerem Grade, so dass man annehmen
                              									muss, dass bei der chemischen Verwandlung ein Teil der Atomgeschwindigkeit verloren
                              									geht.
                           Auf ein Elektroskop wirken die Strahlen des aktiven Bleisulfats wie die
                              									Radiumstrahlen und das ultraviolette Licht.
                           Im allgemeinen ergibt sich demnach aus obigem, dass die Strahlen der Bleipräparate
                              									wahrscheinlich mit den Kathodenstrahlen und damit den Röntgen-Strahlen verwandt
                              									sind.
                           Zur praktischen Verwendung dieser Substanzen sei bemerkt, dass an eine solche
                              									vorläufig nicht zu denken ist, da die Herstellungskosten noch zu hoch sind, und
                              									ausserdem die Seltenheit derselben zu gross ist.
                           Sollte es doch einmal so weit kommen, dass die Herstellungskosten minimale werden und
                              									die Substanzen in jeder Anzahl hergestellt werden können, sodwäre vielleicht eine
                              									neue Aera für die Elektrotechnik und Elektrochemie angebrochen.
                           
                              S. H.