| Titel: | Russlands Kriegsflotte zu Anfang des Jahres 1902. | 
| Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 175 | 
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                        Russlands Kriegsflotte zu Anfang des Jahres 1902.
                        Russlands Kriegsflotte zu Anfang des Jahres 1902.
                        
                     
                        
                           Der gewaltige Aufschwung des grossen Ostreiches datiert wenig länger als zwei
                              									Jahrzehnte. Libau oder vielmehr der bei Libau gelegene Kaiser Alexander III.-Hafen
                              									wird ein Seeplatz ersten Ranges, trotz der früheren Versicherungen, Russland
                              									beabsichtige dort nur die Anlage eines Zufluchtshafens für KreuzerDeutsche Heeres-Zeitung,„Libau und Danzig, zwei Kriegshäfen in der Ostsee“, Jahrgang
                                    											1892.. Katerinenhafen im Weissen Meer, Port Arthur im Japanermeer
                              									sind hinzugekommen, und der einst chinesische Platz wird nicht wie das deutsche
                              									Tsintau ohne Befestigung gelassen, sondern stark ausgebaut. Bereits Januar 1899
                              									erfolgte die Einweihung der Batterien am Goldberg, woran sich sofort ein scharfes
                              									Uebungsschiessen schlossRusski Invalide, Nr. 49 1899.. Die
                              									von den Japanern zerstörten Batterien sind wiederhergestellt, Material zum
                              
                              									Häuserbau, zusammensetzbare Häuser, Möbel u.s.w. wurden von San Francisco beschafft,
                              									ein grosses Dock ist fertig, eine Werft, vorläufig für den Bau von Torpedofahrzeugen
                              									eingerichtet, die später erweitert werden soll, ist in Betrieb; auf ihr lief als
                              									erstes Fahrzeug am 12. August 1901 der 240 t grosse Torpedobootzerstörer
                              										„Baklan“ vom StapelMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, I.
                                    										1901.. Ein auf den Howaldtswerken zu
                              									Kiel 1899 erbauter Saugbagger bringt die Hafentiefe auf 10 m, die Erfolge des
                              
                              									grossen Eisbrechers „Jermak“ im Freihalten des Kronstadter Hafens führten zum
                              									Bau ähnlicher Fahrzeuge und im Budget 1901 sind für Port Arthur 3,18 Millionen
                              									Rubel enthaltenDeutsche Marine-Rundsch., 2. 1901. Rubel zu 2,2
                                    											Mark gerechnet. Im Budget 1897 fungierten 15,5 Millionen Rubel für
                                    											Wladywostock, das 1901 mit nur 2,2 Millionen bedacht wurde.. Zu
                              									Windau, dessen Hafen nahezu eisfrei ist, werden grosse Etablissements errichtet,
                              									auch soll bereits Auftrag für Inbaulegung eines 6370 t grossen, geschützten Kreuzers
                              									gegeben sein, der Normand-Wasserrohrkessel, drei Schrauben, drei Maschinen von
                              									zusammen 20000 PS erhalten und 23 Meilen laufen wirdBerliner Neueste Nachrichten, 8. 10. 1898. Army and Navy Gazette, 19. 11. 1898. Royal United Serv. Instit., 12.
                                    										1898.. Im Budget 1901 sind 3 Millionen Rubel für Windau ausgeworfen,
                              									dessen Hafen auf 7,5 m Tiefe zu bringen ist, jedoch soll sich der Ausbau verzögern,
                              									da sigh das Privatkapital von Gründungen bisher zurückgehalten hat. Zu Reval ist ein
                              									Dock für Torpedoboote fertig und durch Ukas vom 15. Juli 1897 wurden zur Anlage von
                              
                              									Hellingen 530000 Rubel ausgeworfen. Sebastopol ist ein stärkerer Platz als jemals,
                              									der Handelshafen wurde von dort nach Feodosia verlegt. Nijolajew soll Hauptplatz des
                              									Schwarzen Meeres werden, auch ist davon die Rede, dass Kerksch zu einem Kriegsplatz
                              									ausgebaut wird. März 1899 ist zu St. Petersburg die Marineakademie eröffnet
                              										wordenMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, IV.
                                    										1899.. Man erwarb das Krupp'sche Patent
                              									auf Härteverfahren für Panzerplatten. Das Igorwerk zu
                              									Kolpino, welches Platten herstellt, hat neue Maschinen beschafft, und sehr viel
                              									geschah zur Hebung und Unterstützung der heimischen Industrie, 
                              									um dieselbe auf eine Höhe zu bringen, welche es unnötig macht, das Ausland zu
                              									grossen Lieferungen für die Marine heranzuziehen, wie es bisher in grossem Umfange
                              
                              									geschehen musste.
                           In Russlands gewaltigem Landheer sind viele Verbesserungen wünschenswert und
                              									unterbleiben aus pekuniären Gründen; für die Marine sind stets die Mittel
                              									bereitgestellt gewesen, Zahlungen haben nie gestockt, und die sehr bedeutenden
                              									Beträge an das Ausland sind stets prompt erledigt worden. Und dieser grosse Betrieb
                              									spielt sich völlig lautlos ab. Man erfährt nur Thatsachen, ohne dass vorher ein Laut
                              									in die Oeffentlichkeit gedrungen war, oder dass gar die Oeffentlichkeit zur Kritik
                              									herangezogen wäre. Russland baut zielbewusst eine starke Offensivflotte, in der
                              									Ostsee sowohl wie im Schwarzen Meer, und wird auch voraussichtlich noch lange weiter
                              									bauen, denn obwohl an vier Meeren gelegen, ist das Riesenreich faktisch nur Herr im
                              									Schwarzen und Weissen Meer und aus dem Schwarzen kann es nicht heraus. Es verlautet,
                              									dass dort grosse Neubauten nur in beschränktem Masse in Angriff genommen werden
                              									sollen, bevor nicht die Frage der freien Durchfahrt durch Bosporus und Dardanellen
                              									gelöst istMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, 3.
                                    										1899., und dass man alle verfügbaren Mittel auf den Ausbau der
                              									baltischen Motte verwenden wolle. Das mag wohl zutreffend sein. Wenn aber erwähnt
                              									wird, dass die Bauten deshalb nicht in gleicher Weise fortgeführt werden, weil
                              									Russlands Motte im Schwarzen Meer zur Verteidigung nunmehr für ausreichend erachtet
                              									werde, so ist darauf hinzuweisen, dass die Schwarze Meerflotte, wie sie heute
                              
                              									schwimmt, niemals zur „Verteidigung“ gebaut wurde, am allerwenigsten gegen
                              									Angriffe der Türkei, deren Flotte überhaupt nicht bewegungsfähig ist – bis auf ein
                              									Schiff, den 1874 in England abgelaufenen alten Panzer „Messudieh“, welcher im
                              									Umbau Ende 1901 bei Ansaldo, Sestriponente bei Genua,
                              									vollendet warSchiffbau, 8. 11. 1901.. Die Schwarze
                              									Meerflotte zählt gegenwärtig sieben fertige Linienschiffe aus den Jahren 1886 bis
                              									1896, die alle noch als modern anzusprechen sind und zusammen fast 80000 t
                              									deplazieren (78583 t). Ein achtes, „Knjaz Potemkin Tawricewski“ von 12585 t,
                              									begonnen zu Nicolajew am 27. Dezember 1897, ist am 29. Oktober 1900 abgelaufenSchiffbau, 8. 11. 1901. Nach Mitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, VIII. 1898,
                                    
                                    											erfolgte die Kielstreckung erst in der letzten Oktoberwoche
                                    									1898.. Ein 13000 t grosses Linienschiff ist projektiert. An Kreuzern ist
                              									die Flotte naturgemäss schwach, da für diese Schiffe kein Verwendungsgebiet
                              									vorhanden ist. Zwei von 6250 t, „Kagul“ zu Nicolajew und „Otschakoff“
                              									zu Port Lazareff befinden sich in Bau und Ausrüstung. – An verwendbaren kleinen
                              									Kreuzern, jedoch nur für Stationw- und Friedensdienst, sind sechs Typ „Donec“
                              									von 1224 t vorhanden; die Torpedoflotte ist zahlreich und modern. Drei
                              									Torpedokreuzer, 22 grosse Torpedoboote sind vorhanden, sechs 350 t grosse
                              									Torpedobootzerstörer befinden sich zu Nicolajew im Bau und müssen bald fertig
                              									gestellt sein. – Die Erweiterung des grossen Docks zu Nicolajew hat eine
                              									französisch-belgische Gesellschaft übernommen und zwar angeblich für 4 Millionen
                              									Pfd. St. (soll wohl Rubel heissen. D. V.), die Ausbaggerung der Bugbarre – Nicolajew
                              									liegt vier Meilen oberhalb der Mündung des Bug – und auch die gewünschten
                              									Baggerungen an der Barre bei Otschakoff besorgt eine amerikanische GesellschaftMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, IX.
                                    										1898..
                           Man darf bei Betrachtung der russischen Schwarzen Meerflotte die Freiwillige Flotte
                              									nicht übergehen, welche, unter der Marine stehend, unter Kriegsflagge fahrend, den
                              									Verkehr zwischen Odessa-Port-Arthur-Wladywostock regelmässig besorgt, deren Schiffe
                              									von Seeoffizieren befehligt werden und zur Aufnahme einer Armierung eingerichtet
                              									sind. Diese Schiffe dürfen die Engen um Konstantinopel passieren. Sie sind es,
                              									welche vor Fertigstellung der sibirischen Eisenbahn hauptsächlich Material und
                              									Personal nach den russiwchen Häfen in Ostasien zu bringen haben. Die Flotte zählt
                              									gegenwärtig 16 Dampfer von 147984 t DeplacementBerechnet nach Almanach, Pola 1902, der die
                                    											Namen und Daten angibt. La Marine française, 1.
                                    											1. 1902, gibt an nach Novosti 15 Dampfer von
                                    											49000 t; offenbar fehlt die Eins. und bezieht eine jährliche
                              									Subvention von 1,59 Millionen Rubel. Von den Dampfern ist einer,
                              										„Poltawa“, noch im Bau bei der Fairfield
                                 										Comp., Glasgow, welche alle neuen Schiffe der Freiwilligen Flotte geliefert
                              									hat. Von den fertigen können sechs („Smolensk“, „Mosqua“,
                              
                              										„Kherson“, „Petersburg“, „Orel“, „Saratow“) 19
                              									Meilen und darüber laufen, elf sind Doppelschrauber.
                           Bei der Betrachtung der Neubauten der russischen Flotte ist wohl zu beachten, dass
                              									nach einem festen Plane zwar gebaut wird, dass aber kein gesetzliches oder ähnliches
                              									Hemmnis eintreten kann, falls es notwendig erscheint, das Programm zu erweitern und
                              									den Bedürfnissen oder Wünschen anzupassen. Von grosser Ueberlegenheit des
                              									ausländischen Materials kann auch nicht mehr gross die Rede sein, zudem wird zu
                              									Bauzwecken viel des besten Materials fremder Firmen herangezogen. Allerdings muss
                              									das Mannschaftspersonal zum grossen Teil aus Binnenländern ergänzt werden – der
                              									Russe ist kein Seemann –, aber das geschieht in anderen Marinen ebenfalls, ohne dass
                              									sich gefährdende Nachteile zeigen. Das Offizierkorps gilt für gut – auf
                              									sensationelle Zeitungsnachrichten von russischen Lokalkorrespondenten ist
                              									selbstverständlich nichts zu geben. Jedenfalls muss man in der russischen Flotte
                              									Personal wie Material als vollwertig annehmen.
                           Das russische Marinebudget für 1900/1901 stellte sich auf 87564700 Rubel, das von
                              									1902 dagegen auf 98318484 Rubel oder 213350700 MarkMitth. a. d. Gebiet d. Seewesens, 1. 1901, für
                                    											1900/1901. D Marine-Rundschau, 11. 1901. Schiffbau, 23. 10. 1901, für 1902..
                              									Die Abrüstungsvorschläge Zar Nikolaus II. seiner Zeit können sehr wohl aufrichtig
                              									gemeint gewesen und einem tiefen Hintergrund entsprungen sein. Es ist vom pekuniären
                              									Standpunkt schwierig, die gewaltige Armee schlagfertig zu halten, alle
                              									Verbesserungen mitzumachen, die Beträge für die endlich aufgebesserten Gehälter zu
                              									beschaffen. Russland aber kann eine Verminderung seiner Armee sehr gut vertragen,
                              									denn einen Angriffskrieg hat es nicht zu befürchten, der kann dem Gegner wohl Siege
                              									bringen, aber kaum nennenswerte Endvorteile. Das an der Armee ersparte Geld würde
                              									dann aber der Flotte zu gute kommen, denn dass bei ihr Abrüstungen irgend welcher
                              									Art geschehen könnten, davon ist niemals ein Wort verlautet, und die Massnahmen zu
                              									ihrer Verstärkung haben gelegentlich der Anregung des Zaren zur Friedenskonferenz
                              									nicht einen Moment geruht.
                           Es soll in Russland ein „Etwas“ geben, aus dem heraus sich ab und zu jemand
                              									gewisse Massnahmen erklären will – das „Testament Peter des Grossen!“ In Preussen spricht man analog von
                              									einem „Testament Friedrich des Grossen“. Solche Testamente grosser Männer –
                              									wenn sie überhaupt vorhanden sind und als Testamente durchaus aufgefasst werden
                              									sollen – sind im besten Falle in allgemeinen, grossen Zügen gehalten, schliessen
                              									grosse Gedanken in sich, aber berühren die Politik der kommenden Jahrzehnte oder gar
                              									Jahrhunderte höchstens in Umrissen, schon aus dem Grunde, weil der grosse Mensch
                              									wohl die Verhältnisse allgemein zutreffend beurteilen kann, niemals aber die
                              									kommenden Menschen sieht, welche in die Verhältnisse einschneidend hineingreifen.
                              									Solche Testamente könnten, wenn sie ins Detail gehen, nach Ablauf der fixierten
                              									Zeitläufe dem Fluch der Lächerlichkeit verfallen, und grosse Menschen thun nichts
                              									Lächerliches. Peter des Grossen Blick war von Anfang seiner Regierung an auf ein
                              									Ziel gelenkt, dessen Erreichung er mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit
                              									verfolgte: Anschluss an das Meer, Beteiligung Russlands am
                                 										Weltverkehr! Sein Hauptmeer aber war die Ostsee, von der man kürzlich in
                              									russischen Blättern als von der „Preussischen Pfütze“ sprach, die aber
                              									trotzdem auch heute noch für Russland den wichtigsten Meeresteil an seinen Küsten
                              
                              
                              									bildet und die Mutter seiner Seemacht ist. Möglicherweise hat Peter der Grosse in
                              
                              									Ansehung des bereits zu seiner Zeit stark bemerkbaren Rückganges der
                              									Türkenherrschaft schon an die Besitzergreifung der Position am Goldenen Hörn
                              									gedacht, aber wenn das auch zutreffen und in seinem angeblichen Testament
                              									niedergelegt sein sollte, so hat er sicher von dem Umfang der Expansion der Russen
                              									nach Asien hinein, nach Osten und Südosten 
                              
                              
                              									hin nichts geahnt. Mit der Amurfrage, dem Japanermeer, mit der Besitzergreifung
                              									der Mandschurei (mit dem Blick auf Korea), mit dem Stillen Ozean, mit Indien und
                              									Persien hat Peter des Grossen Testament ganz sicher nichts zu thun, wenn auch
                              									verlautete, der Zar hätte die Amurmündung als einen für die Entwickelung Russlands
                              									wichtigen Punkt bezeichnet. Die Amurmündungen waren zu seiner Zeit so unbekannt, wie
                              
                              									sie es noch mehr als ein Jahrhundert später der ersten seefahrenden Nation, den
                              									Engländern, war, welche glaubten, Sachalin sei eine Insel. Am 1. August 1850 lief
                              									Kapitänleutnant Newelski. – sein Name ist heute fast
                              									vergessen – in die Amurmündung ein, nachdem er am 15. September 1849 seinem Chef Muraview im Hafen von Ajan durch das Sprachrohr von
                              									Bord des „Baikal“ zugerufen hatte: „Sachalin ist eine Insel! Der Eingang
                                 										in den Amur-Liman von Norden und Süden für Seeschiffe möglich“
                              									Russland im Stillen Ozean, Tilo v. Trotha.
                                    											Felix' Militärverlag.. Peter der Grosse war damals längst tot,
                              									sein Haus im Mannsstamm erloschen, und kaum kann behauptet werden, dass er diese
                              									Verhältnisse gekannt hat. Als Zar Nikolaus I. gemeldet wurde, Leutnant Newelski habe an der Amurmündung die russische Flagge
                              									gehisst und von der Flussmündung Besitz ergriffen „im Namen des Zaren“,
                              									schrieb Nikolaus die für seinen Charakter bezeichnenden, den Offizier ehrenden
                              									Worte: „Wo die russische Flagge einmal aufgepflanzt ist, soll sie nie wieder
                                 										sinken!“ – Diesen Ausspruch haben nach langer Zeit bei der Besetzung von
                              									Port Arthur und Talienwan der St. Petersburgkija
                                 										Wjedomosti aufgegriffen und zur Würdigung gebracht, er erinnert an die
                              
                              									thatkräftigen Worte, welche Kaiser Wilhelm II. zu Lübeck 1899 im Ratskeller sprach;
                              									Der sagte: „Das Fähnlein ist wohl leicht an die Stange gebunden, aber es kostet
                                 										viel, es mit Ehren wieder abzunehmen.“ Er knüpfte – frei sprechend – an
                              									einen Spruch an, der ihm gegenüber auf die Wand das alten hansischen Ratskellers
                              									geschrieben war: „Latet uns dagen: Dat Fänlin is licht an de stang gebunden, awer
                                 										et kostet veel et mit ehren aff to nehmen.“ – Die Aeusserung des Zaren ist
                              									um so bemerkenswerter, als Nikolaus I. ganz und gar kein Freund von weit
                              									ausgreifenden Marineoperationen war.
                           Es hat thatsächlich den Anschein, als ob Russland fast alle seine Mittel, die es auf
                              									die Marine verwendet, in die Ostseeflotte zu stecken beabsichtigt. Welche Zwecke
                              									damit verfolgt werden, gehört nicht hierher, entzieht sich zur Zeit auch der
                              									Beurteilung, bis auf den natürlichsten und klarsten Punkt: So stark als möglich
                              									überhaupt sein zu wollen. Es sind aber die kriegsmässig verfügbaren Kräfte der
                              									baltischen Flotte in ihren Hauptgefechtseinheiten keineswegs in der Ostsee, sondern
                              									in Ostasien, im Mittelmeer oder in Fahrt von und zu diesen Stationen. Die
                              
                              									eigentliche in der Ostsee verwendbare Flotte unter dem blauen Georgskreuz ist nur
                              									sehr gering mit Linienschiffen und starken Kreuzern dotiert, wohl aber mit einigen
                              									neuen, einer ganzen Anzahl alten Küstenverteidigern, und diejenigen, welche nur eine
                              										„Verteidigung“ der deutschen Küsten erstreben, können, was Russland
                              									anbelangt, ruhig schlafen; zur Abwehr von Angriffen dorther genügt die deutsche
                              									Flotte schon längst.
                           Die russische baltische Flotte zählt fertig zehn moderne Linienschiffe, drei Typ
                              										„Sebastopol“ („Poltawa“, „Petropawlowsk“), 10960 t gross,
                              									bald nach den vier Schiffen der deutschen „Brandenburg“-Klasse begonnen, den
                              
                              									8880 t grossen „Ssissoy Velicki“, abgelaufen am 1. Juni 1894 auf der Admiralitätswerft St. Petersburg;
                              									„Navarin“, 9475 t, abgelaufen 15. Oktober 1891; „Oslablja“ und
                              										„Pereswjet“, 12674 t gross, 1898 vom Stapel gegangen; „Pobjeda“,
                              									ein Schwesterschiff, abgelaufen auf der Baltischen
                                 										Werft am 24. Mai 1900; „Retwisan“, 12700 t gross, abgelaufen bei Cramp and Sons, Philadelphia, am 16. Oktober 1900, und
                              										„Cäsarewitsch“, 13100 t, am 23. Februar 1901 auf der Werft La Sayne bei ToulonWird September 1902 abgeliefert.. In Ausrüstung befinden sich zwei
                              									von 13516 t, „Borodino“ und „Imperator Alexander III.“, abgelaufen in
                              									St. Petersburg am 9. September bezw. am 2. August 1901. In Bau liegen drei gleiche,
                              
                              										„Slawa“, „Orel“, „Knjaz Suwaroff“, alle drei in St.
                              									Petersburg. „Pobjeda“, „Pereswjet“, „Oslablja“ und
                              										„Cäsarewitsch“ haben drei Schrauben erhalten und es hatte eine Zeit lang
                              									den Anschein, als ob Russland wie Deutschland das Dreischraubensystem bei seinen
                              									Linienschiffen einführen wolle; die meisten jedoch erhalten zwei Schrauben. Zwei
                              									weitere Linienschiffe von 8440 t, „Imperator Nicolaj I.“ und „Imperator
                                 
                                 										Alexander II.“, sind etwas über 12 Jahre alt und modernisiert, das alte
                              									Turmschiff „Peter der Grosse“ ist trotz Umbaus als veraltet zu betrachten.
                              									Sieht man von diesem Schiff ab, so besitzt Russland fertig, in Bau und Ausrüstung in
                              									der baltischen Flotte 17 Linienschiffe von 199509 t Deplacement. Die Schwarze
                              									Meerflotte mit acht Linienschiffen von 91168 t hinzugerechnet, ergibt 25 Linienschiffe von 290677 t, wovon 19 von 210512 t
                                 										Wasserverdrängung fertig sind.
                           Panzerkreuzer zählt Russland fertig 13, wovon jedoch fünf („General Admiral“,
                              										„Herzog von Edinbourg“, „Minin“, „Wladimir Monomach“,
                              										„Dimitri Donskoi“) als veraltet angesehen werden müssen, was auch noch
                              									für den 17 Jahre alten, 8500 t grossen „Admiral Nachimoff“ zutrifft, der
                              									jedoch in den vorigen Jahren modernisiert wurde. Die übrigen sieben – „Pamjat
                                 										Azowa“, 6600 t, Stapellauf 1888; „Rurik“, 10933 t, Stapellauf 5.
                              									Oktober 1892; „Rossija“, 12 200 t, 12. Mai 1896; „Gromoboi“, 12385 t,
                              									abgelaufen 20. Mai 1899; „Bajan“, 7800 t, abgelaufen 12. Juni 1900 zu La Sayne bei Toulon; „Warjak“, 6500 t,
                              									abgelaufen 31. Oktober 1899 bei Cramp and Sons,
                              									Philadelphia, und „Ascold“, 6500 t, vom Stapel März 1900 auf der Germania-Werft, Kiel. In Bau liegt noch „Witjaz“
                              									von 6350 t auf der Werft der neuen Admiralität zu St.
                              									Petersburg.
                           Grosse geschützte Kreuzer sind nur zwei fertig, „Admiral Korniloff“, 5800 t
                              									gross, 15 Jahre alt, und „Swjetlana“, 3862 t gross, 1898 von Frankreich
                              									bezogen, wo sie am 6. Dezember 1896 zu Havre zu Wasser kam. Drei weitere von 6630 t,
                              										„Pallada“, „Diana“, „Aurora“, haben ihre Probefahrten
                              									beendet und sind Frühjahr 1902 ebenfalls seeklar. Drei, über deren Abmessungen noch
                              									Näheres nicht bekannt ist, „Oleg“, „Jemischny“, „Izumrud“,
                              									kommen Frühjahr 1902 in Bau zu St. Petersburg.
                           Das wären an modernen Panzer- und grossen geschützten Kreuzern fertig, in Bau oder in
                              									Ausrüstung, einschliesslich „Nachimoff“, ausschliesslich der in Bau
                              									kommenden, 14 von 107320 t der baltischen Flotte, wozu in
                                 										der Schwarzen Meerflotte noch zwei mit 13000 t treten.
                           Russland hat sich vom Bau gepanzerter Küstenverteidiger nicht frei gemacht, es baut
                              									solche heute noch, während man in allen grossen Marinen, mit alleiniger Ausnahme der
                              									Vereinigten Staaten, sie seit längerer Zeit nicht mehr in Bau nimmt.
                           Drei von je 4126 t, „Admiral Uschakoff“, „Admiral Senjavin“,
                              										„Admiral Apraxin“, wurden in den Jahren 1893 bis 1896 gebaut, ein
                              									vierter, „Admiral Butakow“, der 6000 t gross wird, ist April 1900 auf der Neuen Admiralität begonnen worden. An neuem Material
                              									sind noch vier gepanzerte, 1492 t grosse Kanonenboote, „Grosjaschi“,
                              										„Gremjaschi“, „Otwaschni“ und „Chrabri“, aus den Jahren
                              									1890 bis 1895 vorhanden. Sonst ist für die Küstenverteidigung eine Menge von
                              									Schiffen und Fahrzeugen in den Listen, doch hat dieses Material, obwohl teilweise in
                              									Dienst gehalten, höchst zweifelhaften Wert, weil es gänzlich veraltet ist und bildet
                              									eigentlich einen Ballast für die Marine. Sieben 3000 bis 4000 t grosse Panzer von
                              									1863 bis 1868, zwölf Monitors von 1560 t, davon elf vom Jahre 1864, einer von 1867,
                              									sind da; dazu zehn Kanonenboote Typ „Staunch“, die sogen. schwimmenden
                              									Lafetten. Kleine geschützte Kreuzer sind in geringer Zahl vertreten. „Rynda“,
                              									3500 t gross vom Jahre 1885, nur 14 Meilen schnell, ist veraltet. Im Jahre 1900 lief
                              
                              										„Novic“ am 15. August auf der Werft von F.
                                 										Schichau (jetzt im Alleinbesitz von Ziese und
                              									Frau), ab, ein 3000 t grosses Dreischraubenschiff, das bei der Probefahrt am 18.
                              									Juli 1901 zwischen Hela und Brüsterort hin 25,03, zurück 25,4 Meilen im Maximum
                              									gelaufen ist. Am 8. Juni 1901 lief auf der Werft von Burmeister und Wein, Kopenhagen, der gleich grosse „Bojarin“ ab,
                              									welcher an Schnelligkeit „Novic“ erreichen soll. Ein drittes Schwesterschiff
                              										„Alias“ wird auf der Baltischen Werft, St.
                              									Petersburg, gebaut. Hinzuzurechnen ist noch das Schulschiff „Othean“.
                           
                           Für die Torpedoflotte wird viel gethan. Es gibt sechs Torpedokreuzer, von denen
                              									jedoch zwei der sibirischen Flotte zugeteilt wurden, 36 Torpedobootzerstörer sind
                              									teils fertig, teils im Bau. Zwei, „Sokol“ und „Som“, stammen aus
                              									England, zwei lieferte Normand, Havre, drei La Sayne, Toulon, vier F.
                                 										Schichau, Elbing, die anderen sind russischer Provenienz und zwar teilen
                              									sich darin die Werften von Ochta, Izora, Neva,
                                 
                                 										Creighton und die Admiralitätswerft. Es gibt
                              									65 Torpedoboote erster Klasse, wovon zwölf der Flotte Sibiriens überwiesen wurden,
                              									für welche auch neun der angeführten Torpedobootzerstörer bestimmt sind. Weitere
                              									zwölf Torpedobootzerstörer sind vorgesehen.
                           Was die eigentliche sibirische Flotte anbelangt, so besteht sie, ausser den
                              									angeführten zwei Torpedokreuzern und neun Torpedobooten, aus vier Kanonenbooten,
                              									sechs Transportschiffen und hat keinen eigentlichen Gefechtswert.
                           Von den Streitkräften, über welche die baltische Flotte verfügt, befinden sich nun,
                              									wie vorn gesagt, die besten fertigen Schiffe nicht in der Ostsee, sondern in
                              									Ostasien und im Mittelmeer. Das Ostasiatische Geschwader, das bis zur Fertigstellung
                              									von Port Arthur seinen eigentlichen Stützpunkt noch immer in Wladywostock hat,
                              									sollte Ende 1901 folgende Schiffe zählen: Linienschiffe „Poltawa“,
                              										„Petropawlowsk“, „Sebastopol“, „Pereswjet“,
                              										„Retwisan“, „Navarin“, „Ssissoy Velicki“. Panzerkreuzer
                              										„Gromoboi“, „Rossia“, „Ruric“, „Bajan“, „Admiral
                                 										Nachimoff“, „Wladimir Monomach“, „Dimitri Donskoi“. Geschützte
                              									Kreuzer „Bogatyr“, „Warjac“, „Ascold“, „Admiral
                                 										Korniloff“ und „Novic“, abgesehen von leichten Schiffen und
                              									Torpedofahrzeugen. Alle diese Kräfte sind jedoch nicht angelangt, „Novic“
                              									beispielsweise überwintert zu Danzig, „Retwisan“ hat erst September 1901
                              									seine Probefahrten begonnen. Diese 19 Schiffe haben rund 168000 t Deplacement. – Es
                              									ist interessant, Englands Chinageschwader zum Vergleich heranzuziehen. Dasselbe
                              									besteht zur ZeitNavy Litt. der Unit. Serv. Gaz., 4. 1.
                                    										1902. aus: Linienschiffe „Glory“, „Goliath“,
                              										„Albion“, „Ocean“ und „Victorious“. Panzerkreuzer
                              										„Cressy“ und „Orlando“, geschützte Kreuzer von 30001 und darüber
                              										„Terrible“, „Argonaut“, „Blenheim“, „Endymion“,
                              										„Pique“, „Arethusa“ und „Talbot“, zusammen 14 Schiffe von
                              									141000 t. Das absolute Uebergewicht über Russland in Ostasien besitzt danach England
                              									allein nicht, doch muss man bedenken, dass hinter Englands Chinageschwader mächtige
                              									Reserven stehen, hinter Russlands dort versammelter Flotte – nichts. Das
                              									Mittelmeergeschwader Russlands hat den schon etwas veralteten „Imperator Nicolaj
                                 										I.“ als Flaggschiff, dazu den kleinen Kreuzer „Rubanez“, Kanonenboot
                              										„Chrabry“ und den Torpedokreuzer „Abrec“ nebst zwei Torpedobooten,
                              									bildet also eine sehr schwache Reserve.
                           In nächster Zeit wird Russland noch nicht in der Lage sein, den Bedarf seiner Marine
                              									an Neubauten selbst zu decken, aber der Aufschwung ist ein ganz enormer und bei der
                              									Unangreifbarkeit des Riesenreiches und seiner fortschreitenden inneren Entwicklung
                              									wird auch der Zeitpunkt kommen, an welchem Russland auch im Schiffbau selbständig
                              									dastehen wird. Die neue russische Flotte ist eine ausgesprochene Offensivflotte, eine Hochsee-Kampfflotte, nur mit dem
                              									allernotwendigsten Kreuzermaterial ausgestattet. Die Küstenverteidigung, die sich
                              									für Russland in Anbetracht der Küstenbildung in der Ostsee sehr günstig stellt, wird
                              									alten oder minderwertigen Schiffen und der Torpedoflotte überlassen. Eine
                              									Kreuzerflotte ist unnötig, denn ausser Sachalin besitzt Russland keine Kolonien und
                              
                              									die Handelsflotte ist so gering und so schwer zu fassen, da sich ⅔ im Schwarzen und
                              									Kaspischen Meer befindet, dass man auf ihren Schutz verzichten kann. Die Herrschaft
                              									über die Ostsee ist anscheinend für Russland nicht mehr von Wert; im Weissen und
                              									Schwarzen Meer ist kein Gegner vorhanden, den Russland ernstlich zu fürchten
                              									braucht, und so baut man – für die Herrschaft an den Küsten Ostasiens.
                           ––––––––––
                           Anmerkung. Dezember 1901 traten die Heimreise von Ostasien
                              									an: „Ssissoy Velicki“, „Navarin“, „Wladimir Monomach“,
                              										„Dimitri Donskoi“, „Admiral Korniloff“. – Das
                              									Stille-Ozeangeschwader setzt sich nach Abrechnung dieser Schiffe folgendermassen
                              									zusammen: Linienschiffe „Petropawlowsk“, „Poltawa“,
                              										„Ssewastopol“, „Pereswjet“. Panzerkreuzer „Admiral
                                 
                                 										Nachimoff“, „Rurik“, „Rossija“, „Gromoboi“. Geschützter
                              									Kreuzer „Warjac“. Zusammen neun grosse Schiffe von 96386 t. Dazu kommen zwei
                              									Panzerkanonenboote, vier kleine Kreuzer, zwei Torpedokreuzer, zwei Min en dampf er,
                              									zwei Kanonenboote, sechs Torpedobootzerstörer, zusammen 18 Schiffe und Fahrzeuge von
                              									17659 t. Zwölf Torpedoboote von 220 t werden in Port Arthur zusammengesetzt, zwölf
                              									von 100 bis 185 t sind fertig, vier von 312 t, „Kefal“, „Losos“,
                              										„Ossetr“, „Forel“, in Havre gebaut, treten demnächst den Marsch
                              									nach Ostasien an. Mit Ausnahme der beiden Panzerkanonenboote werden die leichten
                              									Schiffe und Fahrzeuge zur „sibirischen“ Flotte gerechnet.
                           Die Veröffentlichung des japanisch-britischen Bündnisses scheint in Russland schon
                              									vorher bekannt gewesen zu sein, wenigstens lassen sich die Verminderungen des
                              									Schiffsmaterials auf diese Weise erklären. Der leidende Teil wird auf die Dauer
                              									zweifellos der Japaner sein müssen, denn Russland in der Verfolgung seiner Absichten
                              									auf dem Festland hindern zu wollen, hat die englisch-japanische Koalition nicht die
                              									Macht. Der künstliche, krankhafte Hochdruck, unter dem Japan der europäischen Kultur
                              									sich anzuschliessen bemüht, ist schon im Schwinden begriffen. Es fehlt Japan, wie
                              
                              									allen asiatischen Reichen, die Stetigkeit, der zähe Erhaltungstrieb des Errungenen
                              									und der Gedanke, eine Grossmacht werden zu wollen, ist eine asiatische Naivität.
                              									Durch das Bündnis glaubt England sich in Ostasien eine auf dem Festland gegen
                              									Russland verwendbare Macht für seine Interessen gesichert zu haben, aber die Armee
                              									Japans hat erst noch die Feuerprobe gegen einen ernsthaften Gegner zu bestehen. Die
                              									zwar sehr imposante moderne Flotte Japans schwimmt fertig, aber kein einziges grosses, gefechtsstarkes Schiff befindet sich
                                 										in Bau oder Ausrüstung und die, fertige Flotte, mit verschwindenden Ausnahmen,
                                 										sowie die meisten grossen Handelsdampfer hat – England geliefert.