| Titel: | Ueberseeische Luftschiffahrt. | 
| Autor: | W. Schenker | 
| Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, Miszellen, S. 529 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Ueberseeische Luftschiffahrt.
                        Ueberseeische Luftschiffahrt.
                        
                     
                        
                           In jenem interessanten Berichte des Ingenieurs G.
                                    										Espitallier über die Fortschritte der
                                 
                                 										Luftschiffahrt, aus dem wir bereits auf S. 287 d. Bd. den die Leistungen
                              										Santos-Dumont's betreffenden Abschnitt auszüglich
                              									wiedergegeben haben, findet sich auch eine eingehende Darstellung (vgl. Le Génie civil, 1902 S. 329) des jüngsten französischen
                              									Versuches hinsichtlich jener Bedingungen und Hilfsmittel, welche die Fahrt mit dem
                              									Luftballon über grosse Wasserflächen ermöglichen oder wenigstens ungefährlich
                              									gestalten sollen. Urheber dieser Veranstaltung war der schon von früheren
                              									Luftfahrten her einen vorzüglichen Ruf geniessende Graf De
                                 										la Voulx und sein Hauptmitarbeiter Henri
                                 										Hervé; als weitere werkthätige Teilnehmer sind dann noch zu nennen Castillon de Saint-Victor, gleichfalls ein erfahrener
                              									Fachmann und die Offiziere des Kriegsschiffes Du
                                 										Chayla, welches die Ballonfahrt begleitete und von wo aus der Verlauf der
                              									Fahrt aufs sorgsamste beobachtet und genau registriert wurde.
                           Wie gesagt, handelte es sich bei diesem Versuche, bei dem wieder dieselben
                              									Vorrichtungen von Henri Hervé zur Ausprobung gelangten,
                              									welche dieser ebenso kühne als gewandte und sachverständige Luftschiffer in
                              									kleinerem Massstabe schon gelegentlich seiner im Jahre 1886 mit dem Ballon „National“ quer über die Nordsee durchgeführten Fahrt erfolgreich
                              									angewendet hatte, nicht eigentlich um die Lösung der Lenkbarkeitsfrage, sondern
                              									vorläufig nur um Feststellungen darüber, ob und in welcher Weise den Luftschiffen
                              									der Weg über das Meer ohne schwere Gefährdungen zugänglich gemacht werden könne?
                           Es darf dies wahrhaftig als kein unnützes Ziel gelten, wenn man die zahlreichen
                              									schweren Unfälle solcher Luftschiffe bedenkt, welche durch verhängnisvolle Zufälle
                              									oder infolge unüberlegter, vermessener Waghalsigkeit ihres Lenkers auf grosse
                              									Wasserflächen entführt worden sind. So verunglückten beispielsweise mehrere der
                              									Ballons, welche im Verlaufe der letzten Belagerung von Paris während der Nacht
                              									aufgestiegen und übers Meer verschlagen worden waren, bevor noch das Tageslicht es
                              									den Lenkern gestattete, sich über den Ort, wo sie sich befanden, zu orientieren. Ein
                              									während des Krieges im Jahre 1870 mit den Luftschiffern Paul
                                 										Rolier und Deschamps in Orleans aufgestiegener Ballon wurde nach der Nordsee
                              									getrieben und nur mit schwerer Mühe und seltenem Glück solange flott erhalten, dass
                              									endlich die norwegische Küste erreicht und hier die Landung bewerkstelligt werden
                              									konnte. Weniger glücklich waren Prince und LacazePrince und Lacaze waren keine Luftschiffer, sondern der erstere ein Matrose, der letztere ein Liniensoldat, welche sich freiwillig als
                                       												Ballonbegleiter gemeldet und nur in aller Eile und Kürze betreffs der
                                       												Füllung des Ballons und namentlich über das Vorgehen bei der Landung die
                                       												notwendigsten Unterweisungen erhalten hatten. Anm. d.
                                       										Red., von denen der erstere am 30. November 1870 in Paris mit
                              									dem Ballon Jacquard aufstieg und nächst Plymouth ins Meer versank, wogegen letzterer, welcher
                              									Paris am 25. Januar 1871 mit dem Ballon Richard Wallace
                              									verlassen hatte, bei La Rochelle verunglückte und
                              									spurlos in der See verschwand.
                           Diese wenigen Beispiele und viele ähnliche, tragisch verlaufene Luftfahrten erhärten
                              									es mit schrecklicher Deutlichkeit, dass für die sogen. freien Luftballons die Möglichkeit, aufs Meer zu geraten, stets eine
                              									schwere Gefahr in sich birgt, der ein erfahrener Luftschiffer stets dadurch
                              									auszuweichen trachten wird, dass er um jeden Preis vorher landet. Allerdings hat in
                              									neuerer Zeit die Luftschiffahrt nach manchen Richtungen hin wertvolle Verbesserungen
                              									erfahren und Fortschritte gemacht, welche den Luftschiffern natürlich auch in den
                              									oben betrachteten Fällen zu gute kommen. Namentlich ist es gelungen, die Zeitdauer
                              
                              									der Fahrten gegen früher wesentlich zu verlängern, wie dies beispielsweise Graf De la Voulx gelegentlich der im Jahre 1900 in Vincennes stattgehabten Wettfahrten bewiesen hat, indem
                              									er damals durch 35 Stunden 35 Minuten seinen Weg verfolgte, ohne zu landen, und erst
                              									nach Zurücklegung einer 1925 km langen Strecke in Russland seine Fahrt abschloss.
                              									Freilich ist eine solche Leistung nur einem ganz gewandten, wohlerfahrenen
                              
                              									Luftschiffer möglich, der es versteht, alle während der Fahrt auftretenden Zufälle
                              									und Umstände nicht nur möglichst unschädlich, sondern vielmehr seinen Zwecken
                              									thunlichst dienstbar zu machen, wobei ihm jedoch vor allem andern günstige
                              									atmosphärische Verhältnisse, also in erster Linie gutes Wetter und eine
                              									gleichmässige Luftströmung günstiger Richtung zu Hilfe kommen muss. Mag übrigens die
                              									Zeitdauer, in welcher ein Ballon unter normalen Verhältnissen dienstfähig bleibt,
                              									wie immer bemessen sein, immer muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass
                              									aussergewöhnliche Ereignisse eintreten, welche das plötzliche oder doch vorzeitige
                              									Niedergehen des Ballons nach sich ziehen. Selbst wenn in einem solchen Falle die
                              									Gondel derart angeordnet wäre, dass sie schwimmen kann, so würde sie doch durch die
                              									ungleichmässigen Bewegungen des Ballons einerseits, als durch jene des ungleich
                              
                              									verdrängten Wassers andererseits in so heftige Schwankungen geraten, dass für die
                              									Insassen eine Katastrophe unvermeidlich erscheint.
                           Den Gefahren dieser Art wird nun vorgebeugt, wenn man – was überhaupt bei solchen
                              									Ballons nie ausser acht bleiben darf, welche von vorhinein bestimmt sind, grosse
                              									Wasserflächen zu passieren – der Gondel einen möglichst unveränderlichen Zustand des
                              									Gleichgewichts dadurch erteilt, dass sie samt dem Ballon in zweckdienlicher Weise
                              									vom Wasser selbst festgehalten wird und demzufolge andauernd gezwungen bleibt, nur
                              									in einer bestimmten mittleren Höhe oberhalb der Wasserfläche ihren Weg zu verfolgen.
                              									Durch diese Massnahme lassen sich denn auch Luftschiffe eigens zum Befahren des
                              									Meeres geeignet machen, wobei die beiläufige Dauer der Dienstfähigkeit ziemlich
                              									genau nach dem Erfahrungssatze berechnet werden darf, dass die Gasverluste bei einem
                              									gut gearbeiteten Ballon während einer gewöhnlichen Fahrt und unter sonst normalen
                              									Nebenumständen innerhalb 24 Stunden nicht ganz 3 % betragen. Die Dienstzeit eines
                              									vom Wasser wie ein Fesselballon gehaltenen Luftschiffes hängt eben weit
                              									gleichmässiger von der Gewichtsmenge des mitgeführten Ballastes ab als in anderen
                              									Fällen, weil für Manövrierzwecke fast gar kein Bedarf erwächst, sondern so ziemlich
                              									der ganze Ballastvorrat lediglich zum regulären Ausgleich der laufenden Gasverluste
                              
                              									verfügbar bleibt.
                           Sobald aber eine Anordnung gefunden ist, die den 
                              									über Wasser schwebenden Ballon innerhalb gleichbleibender Höhengrenzen
                              									festhält, macht sich allerdings sofort ein weiteres Erfordernis geltend, nämlich das
                              									nach einer Vorrichtung, welche es ermöglicht, die Fluglinie des Ballons aus der
                              									Windrichtung um' einen grösseren oder kleineren Winkel abzulenken, sei es zu dem
                              									Zwecke, eine bestimmte Uferstelle zu erreichen, sei es, um Klippen, Sandbänken oder
                              									anderen Hindernissen auszuweichen oder um in die Nähe eines Schiffes zu gelangen
                              									u.s.w. Das sind diejenigen zwei Aufgaben, welche sich Henri
                                 										Hervé seit Jahren schon gestellt hatte, und die nun neuerlich den
                              									Hauptgegenstand der eingangs angeführten Versuche bildeten.
                           Für die Lösung der ersteren dieser beiden Fragen, d.h. für die Schaffung eines sogen.
                              										Schleppankers (Stabilisateur), der den Ballon in
                              									ziemlich unveränderlicher Höhe über dem Wasser halten soll, steht ein ebenso
                              									naheliegendes als vorzügliches Hilfsmittel in der Ausnutzung des flüssigen Ballastes
                              									zur Verfügung, den das Meer an jeder Stelle und in jeder Menge darbietet. Weniger
                              									vorgezeichnet und begrenzt sind die Hilfsmittel zur Lösung der zweiten Frage,
                              									nämlich zur Schaffung der Lenkvorrichtung (Devinateur),
                              									wofür man bisher nur steuernde Schwimmer verschiedener Anordnung in Verwendung
                              									gebracht hat.
                           Der Schleppanker für Luftschiffe, welche über grosse
                              									Wasserflächen ihren Weg nehmen, sei es zufällig, sei es mit Absicht des
                              									Luftschiffers, hat bereits seine Geschichte, denn der älteste Versuch, welcher mit
                              									einer solchen Vorrichtung gemacht wurde, rührt von Green her und stammt bereits aus dem Jahre 1837. Allerdings begnügte sich
                              										Green lediglich mit einigen, von der Gondel
                              									niederhängenden Leinen, an deren Enden Bojen befestigt waren, die auf der Oberfläche
                              									der See schwammen. Eine etwas verbesserte Form eben dieser Green'schen schwimmenden Anker bediente sich auch der Luftschiffer Lhoste, welcher später gelegentlich der Ueberfahrt über
                              									den Kanal Lamanche sein Leben einbüsste.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 529
                              Fig. 1.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 529
                              Fig. 2.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 529
                              Fig. 3.
                              
                           Es liegt auf der Hand, dass Schwimmbojen allein nicht hinreichen konnten, die
                              									anzustrebenden Sicherungen zu erzielen, weil sie lediglich im Sinne der Entlastung einwirken, während doch auch durch Belastung Einfluss genommen werden muss, um den Ballon
                              
                              									innerhalb gewisser Grenzen an die Oberfläche des Wassers zu binden und seinen Lauf
                              									nach Bedarf zu massigen. In letzterer Beziehung bedeutete es einen Sprung nach
                              									vorwärts, als im Jahre 1872 Sivel die Kegelanker (Fig. 1)
                              									einführte, wie dieselben ja auch vor langer Zeit schon von der Seeschiffahrt nicht
                              									selten benutzt worden sind und mitunter wohl noch heutigentags angewendet werden.
                              									Diese Vorrichtung besteht aus geteertem Segeltuch oder einem ähnlichen wenig
                              									durchlässigen Stoff, aus welchem ein kegelförmiger Sack hergestellt ist, dessen
                              									offener Rand auf einem steifen Ring befestigt wird. Letzterer hängt auf drei
                              									Leinenstücken abc und kann mittels der Hauptleine l1 von der Ballongondel
                              									aus gehoben oder niedergelassen Werden. Der mit Wasser gefüllte Kegel t bietet ersichtlichermassen einen namhaften
                              									Widerstand, welcher sich immerhin zum Bremsen der Fluggeschwindigkeit, dann als
                              									Gegenkraft gegen den Auftrieb des Ballons und endlich selbst zum Aendern der
                              									Fahrtrichtung um so günstiger ausnutzen lässt, als dieser Widerstand ziemlich gut
                              									reguliert werden kann, indem eine zweite mit der Spitze i des Kegelankers verbundene Leine l2, sobald sie vom Lubtschiffer angezogen wird, ein
                              									Kippen bezw. Entleeren des Gefässes t bewirkt, wie es
                              										Fig. 2 ersichtlich macht. Eine Verbesserung des
                              									Kegelankers, welche darin besteht, dass die Entleerung nicht durch Kippen, sondern,
                              									wie es Fig. 3 kennzeichnet, durch Stülpen erfolgt,
                              									weil in diesem Falle die bei i festgemachte Leine l2 im Kegelinnern
                              									läuft, wurde zuerst vom Luftschiffer Duté-Poitevin
                              									zur Anwendung gebracht.
                           Auf Grund der Ergebnisse seiner ersten, im Jahre 1885 vorgenommenen Probefahrten
                              									hatte aber Henri Hervé die Ueberzeugung gewonnen, dass
                              									vor allem anderen von den Schleppankern, mögen sie wie immer angeordnet sein, nie
                              									gleichzeitig auch das Lenken der Fahrtrichtung verlangt werden soll, sondern dass
                              									die Vorrichtungen für das Halten und Lenken grundsätzlich nach der weiter oben schon
                              									dargelegten Methode stets getrennt für sich hergestellt und auch getrennt angewendet
                              									werden sollen. In diesem Sinne war denn auch der Ballon „National“ ausgestattet, mit dem Hervé
                              									am 12. September 1886 von Boulogne-sur-Mer abging, um
                              
                              									dann durch 24 Stunden die Fahrt nicht zu unterbrechen und dabei einen Seeweg von
                              									beiläufig 300 km Länge zurückzulegen. Ein Teil dieser Fahrt wurde in voller
                              									Freiheit, d.h. ohne jede mittelbare Verbindung zwischen Ballon und Meer
                              									bewerkstelligt; als jedoch der Wind den National in die
                              									offene See entführte, wurde sowohl ein Schleppanker als eine Lenk Vorrichtung ins
                              									Wasser ausgesetzt, wodurch man im stände war, den Ballon aus dem Windstrich um
                              									beiläufig 70° abzulenken und zu zwingen, seinen Lauf gegen die schottische Küste zu
                              									nehmen. Leider war dieses Ziel noch lange nicht erreicht, als die Lenkvorrichtung
                              									eine bedenkliche Havarie erlitt, durch welche sie ihre Verlässlichkeit einbüsste. Da
                              									überdies zur gleichen Zeit der Ausbruch eines Sturmes drohte, fand es Hervé ratsam, das freiwillige Anerbieten eines in der
                              									Nähe vorüberkommenden Schiffes anzunehmen und sich von demselben bis nach Yarmouth schleppen zu lassen. Es bleibt jedoch
                              									besonders erwähnenswert, dass beim Landen des National
                              									derselbe noch eine reichliche Tragkraft besass und eine Beihilfe noch ganz gut hätte
                              									entbehren können, wäre eben nicht von Minute zu Minute das Hereinbrechen des Sturmes
                              									zu befürchten gewesen.
                           Grossartiger angelegt und sorgsamer eingeleitet war die eingangs dieser Zeilen
                              									hervorgehobene überseeische Versuchsfahrt des Ballons „Le Méditerranéen“, welch letzterer in einem Schuppen erbaut und
                              									eingerichtet wurde, den man eigens für diesen Zweck am Strand von Lagoubran nächst Toulon
                              									errichtet hatte. Allein verschiedene Verhinderungen der fachmännischen Mitglieder
                              									des Unternehmens sowie ein heftiger Orkan, welcher den Schuppen so arg beschädigte,
                              									dass er fast ganz neu wieder aufgebaut werden musste, verursachten wiederholte
                              									Verzögerungen in der Ausführung des Versuches und eine Reihe von Schwierigkeiten,
                              									die sich schliesslich auch noch beim Füllen des Ballons und bei der Abfahrt ergaben,
                              									thaten dem Gesamtergebnis der Probefahrt bedauerlichen Eintrag.
                           Der Ballon besitzt 3100 cbm Rauminhalt, konnte aber nur unvollkommen gefüllt werden,
                              									weshalb er einen Auftrieb von bloss 2600 kg erreichte und sonach unfähig war, alle
                              									Einrichtungen, welche ursprünglich zu seiner Ausrüstung bestimmt worden waren,
                              									mitzunehmen. So mussten 800 kg trockener Ballast und eine Anzahl Instrumente,
                              									namentlich die elektrischen Scheinwerfer und die Heberpumpen zur Beschaffung
                              									flüssigen Ballastes zurückgelassen werden. Von den beiden Lenkvorrichtungen, welche
                              									benutzt werden sollten, nämlich einem sogen. Maximallenkanker mit 70° und einem
                              									Minimallenkanker mit 30° Ablenkungswirkung, konnte aus obigem Grunde nur einer
                              									mitgenommen werden und zog es der die Expedition leitende Henri Hervé vor, den Maximallenkanker zurückzulassen, da dieser ohnehin
                              									bei der Probefahrt des „National“ seine Brauchbarkeit bereits nachgewiesen hatte.
                           Unter diesen Beschränkungen erfolgte die Abfahrt mit nur 540 kg Ballast an Sand und
                              									Lebensmitteln am 12. Oktober um 11 Uhr 10 Minuten abends bei einem leichten
                              									Nordwind, der voll benutzt werden konnte, weshalb denn auch vorläufig kein Lenkanker
                              									ausgeworfen wurde. Zur Verbindung zwischen Ballon und Meer diente vorerst nur ein
                              									600 kg schwerer Schleppanker. Behufs genauer Beobachtung der Fahrt, sowie
                              									gleichzeitig zum Schutz des Ballons begleitete ihn innerhalb eines angemessenen
                              									Abstandes, der niemals über 1 km hinausging, das Kriegsschiff Du Chayla, dessen Kommandant, Linienschiffsleutnant Serpette, selbst ein bewährter Luftschiffer ist. Die
                              									leichte, von Norden nach Süden gerichtete Prise, 
                              									welche bei der Abreise herrschte, drehte sich jedoch bald nach Südost und als
                              									es am 13. Oktober gegen 5 Uhr morgens zu tagen anfing, trieb der Ballon
                              									ersichtlichermassen auf Marseille zu. Deshalb setzte
                              									man den Lenkanker aus, der bei einem beiläufigen Tiefgang von 5 bis 6 m unter dem
                              									Wasserspiegel die Fahrtrichtung prompt um 30° aus dem Windstrich brachte, was
                              									genügte, um dem Luftballon die Richtung nach den Balearen zu erteilen. Allein da der Wind sich späterhin immer mehr und
                              									mehr gegen Süden drehte, so wurde der Ballon gegen die Küste bei Perpignan getrieben, und daher kam es, dass man am 14.
                              									Oktober nachmittags vor der Frage stand, ob auf dem Festland gelandet oder die
                              
                              									Beihilfe des Begleitschiffes in Anspruch genommen werden sollte. Man entschied sich
                              									fürs letztere, weil die gedachte Landung in Bezug auf die beabsichtigten
                              									Feststellungen und Untersuchungen nichts Neues hätten bieten können, wogegen es
                              									belehrenden Wert hatte, die Bergung des grossen Ballons seitens des Kreuzers
                              									ausführen zu lassen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 530
                              Fig. 4.
                              
                           So wurde denn der ganze Ballon mit seiner Besatzung und seiner gesamten Ausrüstung an
                              
                              									Bord des Du Chayla gebracht und von diesem wieder nach
                              
                              										Toulon zurückbefördert, nachdem die Luftfahrt volle
                              									41 Stunden gedauert und sonach alle bis dahin bekannt gewordenen ähnlichen
                              									Dauerfahrten weit überholt hatte. Während der ganzen Reise, deren Verlauf in Fig. 4 dargestellt ist, konnten die Orts- und
                              									Richtungsdaten des Ballons auf dem begleitenden Kreuzer genau aufgenommen und
                              									fortlaufend registriert werden. Obwohl sich also das Ergebnis der Probefahrt zufolge
                              									der erwähnten Abträglichkeiten weniger günstig herausstellte, als es andernfalls
                              									hätte sein können, so bildet dasselbe doch eine wertvolle Unterlage für weitere,
                              									sicherlich erfolgreichere Versuche, die wohl ehestens gewärtigt werden dürfen. Es
                              									hatte sich übrigens in Wirklichkeit keineswegs darum gehandelt, um jeden Preis Algerien zu erreichen, wie ein Teil der französischen
                              
                              									Tagespresse es darstellte, denn darüber waren die beteiligten Luftschiffer von
                              									vorhinein völlig im klaren, dass der Wind eben nur bläst, woher er will, und dass
                              									ein heftiger Wind ungünstiger Richtung selbst durch die idealsten Lenkvorrichtungen
                              									nicht für alle Fälle in dem Masse bekämpft werden könne, um ein gestecktes Reiseziel
                              									unfehlbar zu erreichen. Immerhin sind nunmehr, wie Hervé sich äussert, zwei Thatsachen sicher gestellt, nämlich 1. dass die
                              									bisherigen Schrecken einer Ballonfahrt über das Meer durch richtige Anwendung von
                              									Schleppankern nahezu beseitigt erscheinen, und 2. dass sich mit Hilfe von
                              									Steuerankern wenigstens eine teilweise Lenkbarkeit des über grosse Wasserflächen
                              									ziehenden Ballons, d.h. eine Ablenkung seines Laufes aus der Windrichtung um 80° bis
                              									140° erzielen lässt.
                           Aus der untenstehenden Tabelle, welche durch Prof. Cailletet mit dem Bericht Hervé's am 28.
                              									Oktober 1901 der französischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt worden ist,
                              
                              									lassen sich alle Hauptumstände ersehen, unter welchen der weiter vorn besprochene
                              									Versuch mit dem Ballon „Le National“ und der zuletzt betrachtete mit dem Ballon „Le Méditerranéen“ stattgefunden haben, und hierüber Vergleiche
                              									anstellen.
                           
                              
                                 
                                 Le National
                                 Le Méditerranéen
                                 
                              
                                 Versuchstage
                                 12. bis 13. September 1886
                                 12. bis 14. Oktober 1901
                                 
                              
                                 Rauminhalt des Ballons
                                 1200 cbm
                                 3100 cbm
                                 
                              
                                 Füllung         „         „
                                 Gereinigtes Leuchtgas
                                 Wasserstoff
                                 
                              
                                 Auftrieb        „         „
                                 864 kg
                                 2600 kg
                                 
                              
                                 Gestalt          „         „
                                 Birnförmig
                                 Kugelförmig
                                 
                              
                                 Form   des Schleppankers
                                 Biegsames Seil
                                 Schachtelkette
                                 
                              
                                 Gewicht „               „
                                 80 kg
                                 600 kg
                                 
                              
                                 Quotient zwischen Gewicht und Länge des Schleppankers
                                 8 kg
                                 120 kg
                                 
                              
                                 Form des Lenkankers
                                 Maximalanker
                                 Minimalanker
                                 
                              
                                 Grenzwinkel des Lenkankers
                                 65°
                                 40°
                                 
                              
                                 Zugvorrichtung zum Lenkanker
                                 Leinen
                                 Flaschenzug
                                 
                              
                                 Hydronautische Bremse
                                 Gewöhnliche Seile
                                 Eine Anzahl Kugelgefässe
                                 
                              
                                 Gewicht der Lenktaue
                                 12 kg
                                 47 kg
                                 
                              
                                 Gondelanordnung
                                 Gewöhnlicher Korb
                                 Mit Magazinen
                                 
                              
                                 Aufhängung
                                 In Gelenksringen
                                 In Gelenksringen
                                 
                              
                                 Durchschnittshöhe über den Wasserspiegel
                                 8 m
                                 3 m
                                 
                              
                                 Die äussersten Wärmeunterschiede
                                 15,5° C.
                                 8° C.
                                 
                              
                                 Gasverlust innerhalb 24 Stunden
                                 Annähernd 3 %
                                 Annähernd 3,5 %
                                 
                              
                                 Mittlere Geschwindigkeit des Ballons
                                 3,17 m in der Sekunde
                                 1,70 m in der Sekunde
                                 
                              
                                 Länge des durchlaufenen Weges
                                 280 km
                                 250 km
                                 
                              
                                 Zeitdauer der Fahrt
                                 24 Stunden 30 Minuten
                                 41 Stunden 5 Minuten
                                 
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 530
                              Fig. 5.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 530
                              Fig. 6.
                              
                           Der von Hervé bei der Touloner Versuchsfahrt
                              									angewendete, in Fig. 5 und 6 gekennzeichnete Schleppanker bestand aus zwei Teilen, von denen der
                              									obere, bei regelrechter Fahrt stets ausserhalb des Wassers bleibende Teil, das Hängeseil, oder wie im vorliegenden Fall der Flaschenzug o nur die Verbindung zwischen Anker und
                              									Gondel herstellt, und für alle Fälle ein möglichst geringes Gewicht erhalten soll.
                              									Der untere Hauptteil u (Fig.
                                 										5), d. i. der eigentliche Anker, welcher bestimmt ist, auf oder vielmehr
                              									unter der Meeresoberfläche zu schwimmen, darf demgemäss nur eine um weniges grössere
                              									Dichte besitzen als das Wasser, und hat die Belastungsänderungen des Ballons
                              									lediglich durch den Gewichtsverlust zu bewirken, welche sich beim Eintauchen ergibt.
                              									Die Leistungsfähigkeit des Schleppankers hängt daher, wie bei der für gewöhnliche
                              									Luftfahrten angewendeten Schleifleine, welcher er auch
                              									in seinem Gesamtwesen völlig entspricht, von dem Gewicht pro laufenden Meter ab.
                              									Selbstverständlich muss aber das Gesamtgewicht des Schleppankers von vorhinein der
                              									Grösse des Ballons und den Grenzen, innerhalb welcher der Auftrieb des letzteren
                              									sich ändern kann, angepasst sein. Ein Haupterfordernis des Schleppankers besteht
                              									ferner darin, dass er den Ballon zwar festhält, der fortschreitenden Bewegung 
                              									desselben aber doch auch keinen störenden Widerstand entgegensetzt.
                           Allen diesen Anforderungen war bei der in Fig. 5 und
                              										6 dargestellten Vorrichtung zu entsprechen
                              									versucht worden, deren unterer Teil u (Fig. 5) die Anordnung einer Kette besitzt. Die 15
                              									Glieder dieser Kette sind auf zwei Taue wie die Kugeln eines Rosenkranzes
                              									aufgefädelt und bestehen aus in Leinöl gesottenem Eichenholz; dieselben haben, wie
                              										Fig. 6 ersehen lässt, eine Form, vermöge welcher
                              
                              									sie wie Gelenke ineinander greifen und eine grosse Biegsamkeit der Kette
                              									gewährleisten. Natürlich hat nur das erste Glied die Form g1, während alle übrigen die Form g2 besitzen; die ganze
                              									Länge des kettenförmigen Ankerstückes beträgt 5 m und sein Gesamtgewicht 600 kg,
                              									also 120 kg pro laufenden Meter. Die Schwimmkraft der Kette ist genügend schwach, um
                              									keinen unnützen Widerstand zu verursachen, und ihr Untertauchen erfolgt vollkommener
                              									als dies in Fig. 5 dargestellt erscheint.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 7.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 8.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 9.
                              
                           Was nun die Lenkvorrichtung anbelangt, welche nach Hervé's Anordnung mit dem Schleppanker gemeinsam wirken soll, so ist sie
                              									es, welche mit Widerständen arbeitet und daher grössere Flächenabmessungen erhalten
                              
                              									muss. Man gibt dem Lenkanker am besten die Gestalt eines der Länge oder der Breite
                              									nach kammartig mit Fächern versehenen Rahmens oder Kastens, der unter das Wasser
                              									gebracht und vom Ballon gezogen wird. Es ist klar, dass der letztere in der
                              									Windlinie verbleibt, wenn die Richtung der Fächerwände, beispielsweise des
                              									Lenkankers a (Fig. 7),
                              									mit dem Windstrich zusammenfällt, was stets der Fall sein wird, wenn die beiden
                              									Zugleinen l1 und l2 des Ankers dieselbe
                              									Länge haben und gleich gespannt sind. Ist dies jedoch nicht der Fall, so wird der
                              									Ballon, je nachdem der Anker herwärts, wie in Fig. 8,
                              									oder hinwärts, wie in Fig. 9, eine Winkelstellung
                              									erhält, im Sinne der eingezeichneten Pfeile von der Windlinie abgetrieben. Es
                              									erübrigt also, nur die günstigsten Flächenabmessungen für die Fächerwände des
                              									Lenkankers festzustellen und eine zweckmässige Anordnung der Verseilung zu treffen,
                              									welche die Aenderungen in den Winkellagen des Ankers unschwer und sicher ausführen
                              									lässt. Wenn die Fächer des Lenkankers der Breite nach angeordnet sind, wie es die
                              										Fig. 7 bis 10
                              									kennzeichnen, so ist der Widerstand des Ankers selbstverständlich am geringsten, wenn die Fächerwände, wie in Fig. 7, direkt in die Windlinie fallen, unter dem
                              									letztangeführten Umstände ergibt sich hingegen umgekehrt der grösste Widerstand, wenn die Fächer, wie es Fig.
                                 										11 darstellt, der Ankerlänge nach aneinander gereiht werden. Aus diesem
                              									Grunde nennt Hervé die erstere Form Déviateur à minima und die letztere Déviateur á maxima.
                           Wie der Minimallenkanker angeordnet war, welcher bei der Versuchsfahrt des „Méditerranéen“ benutzt wurde, lässt die schematische Fig. 10 ersehen. Die sechs Fächer des vorn wie
                              									rückwärts offenen Rahmens rr sind in der Mitte noch
                              									durch wagerecht eingesetzte Brettchen p1
                              									p2 geteilt und haben
                              									eine grössere Höhe als Breite. Dieser Anker wird durch die bei p1 und p2 befestigten und zum
                              									Ballon führenden Zugleinen l1 und l2
                              
                              									mitgeschleppt und erhält die jeweilig erforderliche Winkelstellung, indem von der
                              									Gondel aus l1
                              									entsprechend angezogen und l2 gleichermassen nachgelassen wird, oder im symmetrischen Sinne, wenn man
                              
                              
                              										l
                              									2 anspannt und l1 nachlässt. Bei dem in Fig. 11 skizzierten Maximallenkanker, wie ein solcher bei der
                              									Versuchsfahrt des „National“ benutzt worden war, liegen die Fächer nicht
                              									nebeneinander, sondern hintereinander, derart, dass die einzelnen Tafeln f1
                              
                              									f2
                              									f3
                              									... durch Gurten oder Gelenkstangen b1
                              									b2
                              									b3
                              									b4 miteinander
                              									verbunden und an die beiden Zugleinen l1 und l2 befestigt sind. Wie beim Minimallenkanker wird die
                              									zur Steuerung des Ballons erforderliche Winkelstellung durch Anziehen und Nachlassen
                              									der beiden Zugleinen l1
                              									und l2 bezw. l2 und l1 bewirkt. Vergleicht
                              									man diese beiden Formen von Lenkvorrichtungen, so ergibt sich, dass der
                              									Minimallenkanker mehr Raum fordert und wesentlich geringere ablenkende
                              									Wirkungen erzielen lässt als der Maximallenkanker, dafür aber beim Aussetzen ins
                              									Meer und namentlich beim Einholen viel leichter zu handhaben ist, und bei der Fahrt
                              									im Windstriche so wenig Widerstand darbietet, dass dadurch keine unnützen
                              
                              									Verzögerungen der regulären Fahrt verursacht werden können. Dementgegen entwickelt
                              									der Maximallenkanker für alle Fälle einen grossen Bremswiderstand, der nun
                              									allerdings bei allzurascher Fahrt sehr wertvoll werden kann; auch stellt die
                              
                              									Vorrichtung hinsichtlich ihrer Unterbringung, da sie dank ihrer jalousieartigen
                              									Anordnung dicht zusammengelegt werden kann, nur geringe Anforderungen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 10.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 11.
                              
                           Wie bereits an anderer Stelle bemerkt wurde, besteht die wesentliche Neuerung Hervé's darin, dass er die beiden zum Halten und Lenken
                              									erforderlichen Elemente nicht in einer einzigen Vorrichtung zu vereinigen versuchte,
                              									wie dies von den älteren Luftschiffern stets angestrebt worden ist, sondern dass er
                              									diese beiden Fälle voneinander trennte, aber in ihren Arbeitsleistungen gegenseitig
                              									voneinander abhängig machte, indem er sie auf einen gemeinsamen Punkt des Tauwerkes
                              									unterhalb des Ballons und oberhalb der Gondel angreifen lässt. Hierfür war der
                              									theoretisch wie praktisch erhärtete, bekannte Umstand massgebend, dass ein Ballon
                              										B (Fig. 12), wenn
                              									derselbe nur von einer Stelle A aus mit dem Meere durch
                              									eine Leine l in Verbindung steht, eine bestimmte
                              									Höhenlage über dem Wasserspiegel, doch nur ausnahmsweise, nämlich bei vollständiger
                              									Windstille oder während eines stetig gleich stark bleibenden Windes, einzuhalten
                              									vermag. Da nämlich der im Wasser befindliche Apparat A
                              									für alle Fälle, wenn er als Steuer dienen soll, der seitlichen Fortbewegung einen
                              									gewissen Widerstand entgegensetzen muss, welcher grösser ist als derselbe Widerstand
                              									des Ballons in der Luft, so wird unter dem Einflüsse des Windes der Ballon stets so
                              									weit vorauseilen, bis das Verbindungsseil l mit der
                              									Resultierenden r des Ballonauftriebes p und des Winddruckes q in
                              									eine Linie zusammenfällt, d.h. es werden die geringsten Veränderungen einer der
                              									Komponenten des Kräfteparallelogramms pq auch
                              									Aenderungen der Höhenlage des Ballons hervorrufen. Diesem Uebelstande kann begegnet
                              
                              									werden, indem der Ballon noch einen zweiten Anker C
                              										(Fig. 13) erhält, der thunlichst in senkrechter
                              									Richtung auf B einwirkt und zugleich der seitlichen
                              
                              									Bewegung im Wasser den geringst möglichen Widerstand entgegensetzt. Ist dieser Anker
                              										C danach eingerichtet, um die Komponente p stets so ausgleichen zu können, dass die Richtung der
                              									Resultierenden r so ziemlich dieselbe bleibt, so
                              									erleidet auch der Winkel x keine nennenswerte
                              									Veränderung, oder – was dasselbe sagen will – die Höhe des Ballons über dem
                              									Wasserspiegel bleibt fortwährend nahezu gleich.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 12.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 531
                              Fig. 13.
                              
                           In diesem Sinne ist also auch bei der Probefahrt mit dem Méditerranéen die Anordnung des Schleppankers G (Fig. 14) und des Lenkankers A getroffen gewesen, und hatte sich hier der Grundsatz
                              									des Dreieckverbandes, der 
                              									ja auch in verwandten Anordnungen mit Erfolg seit jeher von der Segelschiffahrt
                              									ausgenutzt wird, ganz trefflich bewährt. In Verbindung mit einer praktischen
                              									Aufhängung der Gondel und einer zweckmässig gewählten Angriffsstelle der
                              									Ankerseile l1 und l2 an der
                              									Ballontakelage wird mit der Hervé'schen Anordnung dem
                              									über grosse Wasserflächen seinen Weg nehmenden Luftschiffer in der That ein
                              									wertvolles Hilfsmittel geboten, den Lauf des Ballons bis zu einem gewissen Masse zu
                              									sichern und zu regeln.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 532
                              Fig. 14.
                              
                           Eine für die Zukunft der überseeischen Luftschiffahrt vielverheissende
                              									Vervollständigung des Schleppankers, die Hervé bereits
                              									bei der Nordseefahrt des „National“ versucht hatte, ist die Beigabe eines an der Ankerleine
                              									befestigten Gefässes, welches einen veränderlichen Vorrat von flüssigem Ballast
                              									aufzunehmen hat, der direkt dem Meere mittels einer Saugpumpe entnommen wird, die
                              									der Luftschiffer ganz nach Bedarf einfach mit der Hand antreibt. Ein verbesserter
                              									solcher Apparat musste leider in Toulon zufolge der
                              									unzureichenden Tragkraft des „Méditerranéen“ zurückgelassen werden und blieb also unversucht.
                              
                              									Möglich, dass diese Vorrichtung, mit welcher allem Anscheine nach der Auftrieb des
                              									Ballons bei guter Anordnung der Pumpe leicht, rasch und genau auszuwiegen wäre, sich
                              									geeignet erweist, den Schleppanker völlig überflüssig zu machen und ganz allein an
                              									seine Stelle zu treten.
                           
                        
                           Zuschriften an die Redaktion.
                           (Unter Verantwortlichkeit des Einsenders.)
                           Zu dem Aufsatz: „Zur Bestimmung und Beurteilung des Ventilerhebungsverlaufes u.s.w.“
                              									des Herrn Ingenieur Schenker in Karlsruhe in den Nrn.
                              									23 und 24 d. Js. Ihrer geschätzten Zeitschrift, die mir leider etwas verspätet zu
                              									Händen kamen, erlaube ich mir folgendes zu bemerken:
                           
                              „Während meiner Thätigkeit als Konstrukteur der Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe (1898 bis 1902) habe ich bereits
                                 										die Konstruktion der unrunden Scheiben und Berechnung der Ventilfedern von
                                 										Nockensteuerungen in genau der Weise durchgeführt, die Herr Schenker in den Abschnitten 1, 2 und 4 seines
                                 										Aufsatzes beschreibt. Angeregt dazu wurde ich durch das schon seit Jahren bei
                                 										genannter Firma geübte Verfahren der Rückwärtskonstruktion der Nockenformen aus
                                 										einer gewählten Ventilwegkurve, ein Verfahren, auf welches der Herr Verfasser
                                 										ausdrücklich den Prioritätsanspruch erhebt. Allerdings wurde dort die s-Kurve mit keiner anderen als erfahrungsmässigen
                                 										Rücksicht auf die zugehörigen Geschwindigkeits- und Beschleunigungsverhältnisse
                                 										gewählt und erst später stellte ich die letzteren auch zahlenmässig fest. Und
                                 										nach meinen Erfahrungen bleibt auch stets der in der Praxis am besten und
                                 										raschesten zum Ziel führende Weg dieser: zuerst mit Rücksicht auf Tourenzahl und
                                 										Ventilhub eine s-Kurve zu wählen, daraus v- und p-Kurve zu
                                 										konstruieren und nun die s-Kurve solange
                                 										abzuändern, bis jene den gewünschten Verlauf angenähert zeigen.
                              
                           
                              Eine weitere meines Erachtens vollkommen zulässige Vereinfachung des Verfahrens
                                 										besteht darin, die Ventilwegkurve nur aus Kreisbögen und Geraden
                                 										zusammenzusetzen, die dann einer analytischen Behandlung sehr leicht zugänglich
                                 										sind, indem man die Gleichungen der einzelnen Teilstücke aufstellt und daraus
                                 										durch ein- bezw. zweimaliges Differenzieren die zugehörigen Stücke der v- bezw. p-Kurve
                                 										bestimmt. Denn was nützen schliesslich die besten theoretischen Nockenprofile,
                                 										wenn man sie in der Werkstätte nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen
                                 										Aufwand von Zeit und Arbeit herstellen kann? Für die praktische Bearbeitung der
                                 										Nocken und der Schablonen dazu wird man immer wieder auf Profile aus Kreisen und
                                 										Geraden zurückkommen.“
                              
                           Nürnberg, den 8. Juli 1902.
                           Hochachtungsvoll
                           
                              Philipp Reuter,
                              
                           Ingenieur der Vereinigten Maschinenfabrik Augsburg und
                              									Maschinenbaugesellschaft Nürnberg A.-G., Werk Nürnberg.
                           ––––––––––
                           Auf die Zuschriften der Herren Ensslin-Stuttgart und Reuter-Nürnberg gestatte ich mir zu erwidern, dass ich
                              									in meinem Aufsatze in keiner Weise Ansprüche auf die Priorität der Anwendung der
                              									fraglichen Untersuchungsmethode gemacht habe, insbesondere auch nicht auf die
                              									Rückwärtskonstruktion der Nockenscheiben nach einer gewählten Ventilwegkurve. Da der
                              									eingeschlagene Weg ja der nächstliegende und genaueste ist, musste ich wohl
                              									annehmen, dass derselbe schon von anderer Seite begangen worden, obwohl ich
                              									diesbezügliche Wahrnehmungen während meiner vorherigen Thätigkeit in zwei grossen
                              									Maschinenfabriken nie machen konnte. Um verdächtigenden Kombinationen vorzubeugen,
                              									teile ich weiter mit, dass der in der Einleitung meines Aufsatzes gegebene Hinweis
                              									sich auf meine Thätigkeit bei Gebrüder Körting in
                              									Hannover bezieht (erst später siedelte ich nach Süddeutschland über), wo ich die
                              									erwähnte Methode bei der Konstruktion von 500- und 1000pferdigen Zweitaktgasmotoren
                              									benutzte.
                           Was im besonderen die Bemerkungen des Herrn Reuter
                              									betrifft, so will ich gern zugeben, dass für Einzelfälle es genügend sein kann, wenn
                              									die gewählte s-Kurve so lange verändert wird, bis der
                              									Beschleunigungsverlauf günstig genug erscheint. Ich selbst bin anfänglich stets nur
                              									auf diese Weise vorgegangen. Diese Methode ist aber unter Umständen zeitraubender
                              									als die von mir im 5. Abschnitt gegebene und erfordert Sicherheit in der Beurteilung
                              									der Kurven, ansonst die Aenderung der s-Kurve leicht
                              									falsch vorgenommen werden kann.
                           Der Ansicht, „dass die Werkstätte nur unter wesentlichem Mehraufwand an Zeit und
                                 										Arbeit im stände sei, eine Schablone herzustellen, deren Umrisse nicht aus
                                 										einzelnen Kreisbogen und Geraden zusammengesetzt sind“, kann ich mich nicht
                              									anschliessen, gibt es doch ein vielerorts übliches Verfahren, bei dessen Anwendung
                              
                              									es der Werkstätte gleichgültig sein kann, wie die Nockenform aussieht; nämlich:
                              									Zunächst wird das Schablonenblech ungefähr zugeschnitten. Dann wird die Nockenform
                              									herausgearbeitet, wobei durch öfteres Auflegen auf die genaue Zeichnung
                              									(Originalzeichnung) die Form geprüft wird. Sind schliesslich keine Mängel mehr
                              									wahrnehmbar, so wird dazu geschritten, den Mittelpunkt der Schablone festzustellen,
                              									was mit grosser Genauigkeit möglich ist, der Grundkreis wird aufgerissen und erst
                              									jetzt wird der runde Teil fertig gestellt. Dieses Verfahren ist jedenfalls das
                              									genaueste und verdient, da es zugleich den umständlicheren Teil des Aufreissens
                              									erspart, auch da angewendet zu werden, wo es möglich
                              
                              									wäre, die Form vollständig vorzureissen.
                           Dass eine Nockenform, welche aus lauter Geraden und Kreisen zusammengesetzt ist, der
                              									analytischen Behandlung „leicht zugänglich“ sei, kann ich nicht glauben, noch
                              									viel weniger, dass diese letztere gar weniger Zeit als die graphischanalytische
                              									beansprucht. Vielleicht entschliesst sich Herr Reuter
                              									dazu, in dieser Zeitschrift hierfür einen Beweis zu erbringen.
                           Legnano (Italien), den 21. Juli 1902.
                           Hochachtungsvoll                                
                           W. Schenker,           
                           Ingenieur der Firma Franco Tosi.