| Titel: | Die Erzeugung von „Elektrostahl“ in Gysinge (Schweden). | 
| Autor: | Leo | 
| Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 784 | 
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                        Die Erzeugung von „Elektrostahl“ in Gysinge (Schweden).Vortrag des Ingenieurs F. A. Kjelien im Jernkontore
                                 										zu Stockholm am 29. Mai 1902 (Diskussions-Versammlung). 
                        Die Erzeugung von „Elektrostahl“ in Gysinge (Schweden).
                        
                     
                        
                           Das Problem Stahl durch Elektrizität zu erschmelzen, hat schon seit langer Zeit
                              									die Aufmerksamkeit der Erfinder beschäftigt; bereits 1879 konstruierte C. W. Siemens seinen ersten elektrischen Ofen zur
                              									Erschmelzung von Metallen, insbesondere von Stahl. Es war ein Lichtbogenofen, in
                              									weichem der Lichtbogen zwischen einer Kohlenspitze und den in einem Graphittiegel
                              
                              									befindlichen Metallen entstand. Der Abstand der Kohlenspitze vom Metalle und infolge
                              									davon die Länge des Lichtbogens wurde durch einen elektrischen Mechanismus
                              
                              									geregelt.
                           Gleich wie bei allen anderen ähnlichen Lichtbogenöfen stiess man auch bei diesem auf
                              									den Missstand, dass seine Wärmequelle – der Lichtbogen – eine viel höhere Temperatur
                              									– ca. 3700° Cels. – lieferte, als der Schmelzprozess erheischte. Infolgedessen fand
                              									Ueberhitzung des Stahls nahe dem Lichtbogen statt, während in den übrigen Teilen des
                              									Ofens eine wesentlich niedrigere Temperatur herrschte.
                           Ein anderer Missstand blieb, dass der Stahl leicht Verunreinigungen von den
                              									Elektroden aufnahm, woneben der Verbrauch der letzteren, wie bei der
                              									Karbiderzeugung, die Erzeugungskosten wesentlich erhöht. Das bei der Verbrennung der
                              									Elektroden entwickelte Kohlenoxyd wirkte schädlich auch durch Abgabe gelösten
                              									Kohlenoxyds an den Stahl.
                           Eine gleichförmigere Erhitzung des Stahls wird erzielt, indem man einen starken
                              									elektrischen Strom durch das Schmelzgut schickt und die durch den elektrischen
                              									Widerstand entwickelte Wärme zur Schmelzung benutzt. Der Widerstand der Metalle,
                              									auch während ihres geschmolzenen Zustandes, ist relativ klein, sodass man gezwungen
                              									bleibt, mit sehr bedeutender Stromstärke zu arbeiten, um die erforderliche Hitze zu
                              									erzeugen. Infolge dieses Umstandes muss man, um Spannungsverlusten
                              									auszuweichen, Kupferleitungen vorrichten mit Querschnittflächen, die mindestens so
                              									gross sein müssen, als die des Stahlbades.
                           Dr. de Lavat hat diesen Missstand zu verringern gesucht
                              									durch eine Anordnung des Ofens in der Weise, dass der Strom durch eine Schicht
                              									Schlacken gehen muss, deren Widerstand bedeutend grösser ist, als der des Eisens.
                              									Die Wärme wird infolgedessen hauptsächlich in der Schlacke entwickelt und von dieser
                              									an den Stahl und an das eingeschmolzene Metall beim Durchgange durch die Schlacke
                              
                              									abgegeben. Die angewendete Konstruktion ist jedoch vermutlich nicht völlig
                              									befriedigend ausgefallen, da das Patent dafür wieder aufgegeben wurde.
                           Die grösste Schwierigkeit bei Herstellung ähnlicher Oefen erwächst aus dem Verhalten
                              									der Elektroden. Kohleelektroden verursachen durch ihren verhältnismässig grossen
                              									Widerstand erhebliche Spannungsverluste und werden im übrigen bei Berührung mit dem
                              									geschmolzenen Stahl schnell zerstört. Man griff zwecks Vermeidung solcher Zerstörung
                              									zu wassergekühlten Stahlelektroden, bei denen nur ein neuer Missstand in den
                              									magnetischen Eigenschaften des Stahls zu überwinden war. Zur Erreichung genügend
                              									grosser Stromstärke war man genötigt, Wechselstrom anzuwenden. Hierbei wurde aber
                              									durch die Einwirkung des Magnetismus der Strom in der Oberfläche der Elektroden zu
                              									hoher Stromdichte konzentriert, die wieder grossen Spannungsverlust nebst
                              									Selbstinduktion in der Weise zur Folge hatte, dass die Kraft des Generators zur
                              									Ueberführung der mechanischen Energie in elektrische herabgesetzt wird.
                           Um diesen Missständen auszuweichen wurde auf Vorschlag von Kjelien im Mai 1899 in Gysinge ein elektrischer Stahlofen ohne Elektroden
                              									ausgeführt.
                           Bei diesem Ofen (s. Fig. 1 u. 2) bildet die
                              									kreisförmige Rinne aa den Ofenraum, dessen Boden
                              									und Seiten in Mauerwerk 
                              
                              									ausgeführt sind und der oben mit den Deckeln bb zu schliessen ist. An einer Stelle wird das ringförmige Mauerwerk des
                              									Ofens durch den eisernen Ring c umfasst, dessen vier
                              									Teile mit quadratischem Querschnitt aus dünnen, weichen Eisenplatten zusammengesetzt
                              									sind. Der im Ofenkern stehende Teil ist von der Spule dd aus isoliertem Kupferdraht umschlossen, der mit den Polen eines
                              									Wechselstromgenerators in Verbindung steht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 317, S. 785
                              Elektrischer Stahlofen von Kjelien.
                              
                           Beim Durchgang des Wechselstroms durch diese Spule wird im Eisenkerne Magnetismus
                              									erzeugt, welcher unausgesetzt seine Stärke und Richtung ändert und durch seine
                              									Wirkung auf das Metall im Ofenraume in dem ringförmigen Metallbade einen
                              									Wechselstrom erzeugt. Das Bad bildet nur eine Rinne um den Kern und die Stromstärke
                              									darin wird infolgedessen nahezu gleich mit der im Generator erzeugten, multipliziert
                              									mit der Anzahl der Drahtringe in der Spule dd. Die Spannung wird natürlich vermindert mit
                              									der Vergrösserung der Stromstärke. In solcher Weise kann man einen Generator für
                              									höchstgespannten Wechselstrom anwenden, ohne Benutzung von energievergeudenden
                              									Elektroden und die starken Kupferleitungen erhalten einen leichtgespannten
                              									Wechselstrom mit hoher Stromstärke im Ofen.
                           Gegen Schluss des Jahres 1900 war der erste Stahlofen dieser Art in Gysinge
                              									fertiggestellt und wurde bereits der erste Stahlblock aus ihm geliefert – der Stahl war sofort von vorzüglicher Qualität.
                           Die technische Frage war somit gelöst, aber ohne wirtschaftlichen Erfolg, weil mit
                              									der benutzten Dynamokraft in Höhe von 78 Kw. nicht mehr als 270 kg Stahlblöcke
                              
                              									innerhalb 24 Stunden zu erzeugen waren – der Ofen besass derselben entsprechend, nur
                              									einen Nutzraum in Höhe von 80 kg. Aus diesen Umständen ergab sich die Notwendigkeit
                              									des Neubaues eines grösseren Ofens mit grösserem Eisenkerne, dessen Fertigstellung
                              									im November 1900 erfolgte. Damit war ein erheblicher Fortschritt erreicht: mit 58
                              									Kw. Maschinenkraft war die Möglichkeit gegeben, innerhalb 24 Stunden 600 bis 700 kg
                              									Stahl zu schmelzen. Der neue Ofen fasste 180 kg, die einzelnen Chargen hielten
                              									100 kg und beanspruchten zum Schmelzen 3 bis 4 Stunden Zeit.
                           Die Nutzleistung für die PS blieb jedoch infolge der starken Abkühlung durch die im
                              									Verhältnisse zu der im Ofenraume entwickelten Wärme grossen Wandflächen noch
                              									durchaus unbefriedigend und die Reparaturkosten, berechnet auf die Tonne erzeugten
                              									Stahles fielen wesentlich grösser aus, als bei einem mehr fassenden Ofenraume.
                           Nachdem im August 1901 die Sulfitfabrik Gysingens niedergebrannt war, wurde an ihrer
                              									Stelle die Erbauung eines elektrischen Stahlwerks beschlossen, dessen Betriebskraft
                              									von der nun verfügbaren Wasserkraft erfolgen sollte. Für den Stahlofen wurde eine
                              									300pferdige Turbine mit direkt angekuppeltem Generator in Aussicht genommen. Der
                              									neue Ofen sollte 1800 kg Material fassen und die Produktion im Jahre wenigstens 1500
                              									Tonnen Stahl bei Chargierung mit kaltem Rohmateriale erreichen.
                           Als Ofenfutter waren anfänglich Quarzziegeln in Aussicht genommen, weil man die
                              									sauere Zustellung für Stahl als am zweckmässigsten erachtete, bei dem gute
                              									Schneidefähigkeit gefordert wird. Es wurden jedoch auch Versuche mit Magnesitmaterial durchgeführt, welches den Vorteil erheblich grösserer Feuerfestigkeit bietet.
                           Die elektrische Ausrüstung des Ofens bestand aus einer Instrumententafel mit den
                              									Hauptleitungen, mit Amperemeter und Voltmeter, mit Sicherungen und Kilowattmeter zu
                              									direkter Ablesung der verbrauchten Energie.
                           Die Spannung des Wechselstromgenerators wurde zwecks Ersparung an Kupfer zu 3000 Volt
                              									festgesetzt, die gleiche Spannung wie beim vorherigen Ofen, folgt der geschützten
                              									Lage der induzierenden Drahtspule, bei welcher irgendwelche Missstände nicht
                              									eingetreten waren.
                           Der Schmelzgang stellt sich in Gysinge, wo es gilt Werkzeugstahl höchster Qualität
                              									herzustellen, wie folgt:
                           Nach dem Abstiche, bei dem etwas mehr als die Hälfte der Ofencharge abgelassen wird,
                              									wird zuerst Roheisen und dann soviel Schrott eingesetzt, als nach der Erfahrung zur
                              									Erzielung des gewünschten Kohlenstoffgehaltes nötig ist.
                           Nach völligem Einschmelzen und ziemlicher Ueberhitzung der Charge erfolgt Zusatz von
                              									etwas Manganlösung. Nach einer weiteren halben Stunde ist der Stahl dann zum
                              									Abstiche fertig, der in ganz gleicher Weise wie beim Martinofenbetriebe erfolgt.
                           Die Oberkante des Ofens liegt, wie aus Fig. 1 ersichtlich, in
                              									gleicher Höhe mit einer Plattform, von der aus die Chargierung erfolgt. Da die Hitze
                              									im Stahle selbst erzeugt wird, ist die Schlacke weit weniger warm, als bei einem
                              									Martinofen, infolge dessen hindert die Hitze beim Chargieren nicht weiter.
                           Versuche haben ergeben, dass lediglich aus Roheisen vorzüglicher Stahl zu erzeugen
                              									ist, wenn die Zeitdauer zwischen den Abstichen hinreichend gross ist. Bei dem neuen
                              									Ofen soll zur Steigerung der Produktion die Entkohlung durch umfassenden Luftzulass
                              									beschleunigt werden, was bei den kleineren Oefen auf gewisse Schwierigkeiten
                              									stiess.
                           Der gefallene Stahl ist, wie vorher bereits erwähnt, von hervorragender Qualität und
                              									zeichnet sich durch Festigkeit, Dichtigkeit, Gleichmässigkeit, Zähigkeit und
                              									besonders durch leichte Bearbeitbarkeit im kalten, ungehärteten Zustande bei sehr
                              									hohem Kohlegehalte aus; daneben neigt er beim Härten weniger zum Springen und
                              									Reissen als gewöhnlicher Stahl. Diese guten Eigenschaften werden insonderheit durch
                              									seine Weichheit im ungehärteten Zustande und durch seine Freiheit von Gasen
                              									begründet. Bekanntlich wirken auch sehr kleine Mengen von Gasen, besonders von
                              									Wasserstoffgasen, schädlich im Stahle und dürfte die hohe Qualität des Tiegelstahls
                              									wesentlich daher rühren, dass er während des Einschmelzens nicht in direkte
                              									Berührung kommt mit den aus den Brennmaterialien entwickelten Gasen. Beim
                              									elektrischen Einschmelzen fehlen derartige Gase durchaus und beim Frischen werden
                              									die sich bildenden Gase so durch Luft verdünnt, dass eine schädliche Wirkung
                              									derselben völlig ausgeschlossen bleibt.
                           Die Erzeugung von Spezialstahl mit Nickel, Chrom, Mangan oder Wolfram unterliegt
                              									natürlich keinen Schwierigkeiten; zu Gysingen erzeugter Chrom- und Wolframstahl ist
                              									qualitativ ein vorzüglicher Drehstahl. Bei Herstellung permanenter Magnete gab
                              									Gysinger Wolframstahl stärkere 
                              									Magnete als Wolframstahl anderen Ursprunges mit gleicher Widerstandsfähigkeit
                              									gegen Hämmern.
                           Die Herstellungskosten, welche bei dem neuen Verfahren von höchster Bedeutung sind,
                              									werden in der Hauptsache durch die Kosten der Betriebskraft und durch die
                              									Produktionseinheit f. d. Pferdekraft bestimmt.
                           Die letztere berechnet Kjelien, unter der Annahme des
                              									Abbrandes zu 8 %, beim kalten Chargieren zu 38 kg für eine PS in 24 Stunden und zu
                              									64 kg beim Beschicken des Ofens mit schmelzflüssigem, soweit abgekühltem Roheisen,
                              
                              									dass es um 550° wieder erhitzt werden muss. Bei 64 kg würde die Jahresproduktion,
                              									das Jahr zu 300 Arbeitstagen gerechnet, auf 19200 kg f. d. PS sich belaufen und
                              									23360 kg betragen, wenn das Roheisen direkt vom Hochofen genommen und das
                              									Stahlschmelzen während des ganzen Jahres ununterbrochen fortgesetzt wird.
                           In solchem Falle muss man selbstverständlich über zwei Oefen verfügen, von denen der
                              									eine repariert und vorgewärmt wird, während man im andern schmelzt.
                           Um hohen Erfolg durch die verwendete einzelne Pferdekraft erzielen zu können, muss
                              									man grosse Oefen erbauen, welche selbstverständlich bedeutende Kraftleistung
                              									erfordern.
                           Bei einem Selbstkostenpreise in Höhe von 75 Kronen (rd. 84 Mark) pro elektrische
                              									Pferdekraft und Jahr berechnen sich die Kraftkosten, welche das Brennmaterial zu
                              									ersetzen haben, auf etwa 8,60 Kr. (rd. 9,65 Mk.) für die Tonne erzeugte Blöcke
                              									bei Beschickung der Oefen mit kaltem Material und auf 3,90
                                 										Kr., (rd. 4,37 Mk.) bei Anwendung flüssigen Roheisens direkt vom Hochofen und 300
                                 										Arbeitstagen.
                           Nach den bei den kleineren Oefen gesammelten Erfahrungen stellen sich die Kosten der
                              									Erhaltung des Ofenmauerwerks auf 2,60 Kr. (rd. 2,92 Mk.) pro Tonne Blöcke bei einem
                              									Ofen und 600 Pferdekräften, wenn der Prozess mit gleichem Verlaufe wie in Gysinge
                              									durchgeführt wird. Die Anlagekosten eines solchen Ofens belaufen sich auf etwa 15000
                              									Kr. (rd. 18000 Mk.), wovon der grösste Teil selbstverständlich für die elektrischen
                              									Anordnungen aufgeht.
                           Aus vorstehenden Berechnungen ergiebt sich, dass der einfache und leicht zu
                              									betreibende Gysinger Ofen, auch bei einem nahezu gleich hohen Kostenpreise der
                              									elektrischen Pferdekraft pro Jahr, wie 75 Kr., Aussicht behält in Beziehung auf die
                              									Selbstkosten der Stahlerzeugung mit den bislang zur Erschmelzung von Stahl
                              									verwendeten Oefen konkurrieren zu können, besonders wenn es sich dabei um hohe
                              									Qualität des Produktes handelt. Für Schweden mit seinen guten Erzen und den starken
                              									Wasserkräften muss die elektrische Stahlerzeugung von grosser Bedeutung werden
                              									können und auch im Auslande, wo die Hochofengase anfangen, eine billigere
                              									Kraftquelle zu werden, kann sie eine grosse Bedeutung erlangen.
                           Dr. Leo.