| Titel: | Zur Theorie der Kühlverfahren von Linde, Siemens und Mix mittels Kaltluftmaschine. | 
| Autor: | Paul Berkitz | 
| Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 5 | 
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                        Zur Theorie der Kühlverfahren von Linde, Siemens und Mix mittels Kaltluftmaschine.
                        Von Dr. Paul Berkitz,
                           								Charlottenburg.
                        Zur Theorie der Kühlverfahren von Linde, Siemens und Mix mittels
                           								Kaltluftmaschine.
                        
                     
                        
                           Die Theorie der Kaltluftmaschinen hat infolge des Erfolges, den Linde durch sein Luftverflüssigungsverfahren errungen
                              									hat, im Laufe der letzten Jahre eine erhöhte Bedeutung erlangt, da ja die Verwendung
                              									der flüssigen Luft in Wissenschaft und Technik, wenn auch nicht in so hohem Masse,
                              									wie man nach den ersten brauchbaren Versuchsergebnissen vielfach erwartet hat, so
                              									doch immerhin stetig und sicher zugenommen hat.
                           Die Früchte, welche Linde zeitigte, förderten die alten
                              									Luftverflüssigungsversuche von Siemens aus der
                              									Vergessenheit, der sie bereits anheimgefallen waren, wieder ans Tageslicht.
                           Gleichzeitig bezw. vor Lindes Versuchen wurde dagegen
                              									ein scheinbar ganz anderes Luftverflüssigungsverfahren, das sich von dem alten Siemensschen Verfahren nur durch Fortlassung des zur
                              									Gewinnung von mechanischer Nutzarbeit dienenden Expansionszylinders unterscheidet,
                              									von dem Naturwissenschaftler Conrad Mix in Berlin
                              									gefunden und auf Grund des ersten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie als
                              									richtig nachgewiesen.
                           Im Anschluss an die vorgenannten Kühlverfahren, insbesondere aber infolge des Lindeschen Kühlverfahrens, durch das die permanenten
                              									Grase, wie Stickstoff, Sauerstoff und selbst Wasserstoff, in grösseren Mengen
                              									verflüssigt worden sind, sind vielfach theoretische Arbeiten über die verschiedenen
                              									Kühlverfahren mittels der Kaltluftmaschine und über die Ausführbarkeit dieser
                              									Verfahrungsarten in den Fachzeitschriften veröffentlicht worden. In solchen Arbeiten
                              									sind jedoch nicht selten Aussprüche enthalten, welche, insbesondere soweit sie sich
                              									auf das Siemenssche und das aus demselben abgeleitete
                              									Verfahren von Mix beziehen, unhaltbar sind bezw. irrige
                              									Vorstellungen über deren Durchführbarkeit erwecken. Da die Prüfung und Bewertung
                              									dieser drei wichtigsten Kühlverfahren mittels der Kaltluftmaschine auch über das
                              									Wesen des Lindeschen Verfahrens neues und klares Licht
                              									ausstrahlen dürfte, so soll dieser Gegenstand unter möglichster Benutzung der
                              									früheren Arbeiten hier eingehend besprochen werden; insbesondere sollen die von Mewes in „Dinglers polytechn. Journal“ sowie in
                              									der „Zeitschrift für die gesamte Kälteindustrie veröffentlichten theoretischen
                              									Arbeiten über das Lindesche Kühlverfahren
                              									berücksichtigt werden, in welchen eine Prüfung der Grundlagen der Theorie, nämlich
                              									der Joule- Thomsonschen Formel
                           
                              \delta_0=\frac{p_2-p_1}{4}\cdot \left(\frac{289}{T}\right)^2
                              
                           an der Hand der Grundgesetze der mechanischen Wärmetheorie
                              									versucht worden ist. Auch Joules Versuche selbst sollen
                              
                              									eingehend besprochen werden.
                           Den bisherigen Standpunkt der Theoretiker und Praktiker kennzeichnet Professor M. Schröter in dem Vortrage, welchen er über „Lindes Verfahren der Sauerstoffgewinnung mittels
                                 										verflüssigter Luft“ in der 36. Hauptversammlung des Vereins deutscher
                              									Ingenieure am 19. August 1895 zu Aachen gehalten und in der Zeitschrift des Vereins
                              									Bd. 39 H. 39 veröffentlicht hat, auch heute noch für weite Fachkreise als richtig
                              									geltend dahin, dass im Gegensatz zu den Kaltdampfmaschinen die Kaltluftmaschine
                              									ausschliesslich auf der durch äussere Arbeit – Nutzarbeit – zu erzielenden Abkühlung
                              									der Luft beruhe, welche zuvor in einem Kompressionszylinder auf den gewünschten
                              									Druck (6 bis 8 Atmosphären) gebracht und durch Kühlwasser auf ihre ursprüngliche
                              									Temperatur abgekühlt wurde. (Vgl. den Streit zwischen Prof. Raoul Pictet und Linde über die
                              									Sauerstoffgewinnung nach Pictetschem Verfahren.)
                           Auf ein solches Kühlverfahren, bei welchem gleichzeitig noch das Gegenstromprinzip
                              									benutzt wurde, hat William Siemens im Jahre 1857 ein
                              									englisches Patent, No. 2064,genommen. Die Ausführung dieses theoretisch
                              									günstigsten Verfahrens scheiterte damals an praktischen Schwierigkeiten.
                           Da die Kompression möglichst isothermisch und die Expansion unter äusserer
                              									Arbeitsleistung in einem Zylinder adiabatisch erfolgt, so gelten für die Kompression
                              									und Expansion des Siemensschen Verflüssigungsverfahrens
                              									die bekannten thermodynamischen Grundformeln erstens für die Kompressionsarbeit in
                              									Wärmemass
                           A\,L=Q=A\,B\,T\,ln\,\frac{p_1}{p_0} . . . . (1)
                              								
                           worin
                           A=\frac{1}{425}, B = 29,269 (für Luft), T = 289,
                              								
                           p0 der Atmosphärendruck, p1 der Höchstdruck ist, zweitens für die
                              									Expansionsarbeit
                           AL1 =
                              										Q1 = cv (T – Tx) . . . . . (2)
                           also theoretischer Arbeitsaufwand
                           Q-Q_1=A\,B\,T\,ln\cdot \frac{p_1}{p_0}-c_v\,(T-T_x)     (3)
                              								
                           drittens für die Beziehung zwischen Temperatur, Volumen und
                              									Druck
                           
                              \frac{T}{T_x}=\left(\frac{v_14}{v_0}\right)^{k-1}=\left(\frac{p_0}{p_1}\right)^{\frac{k-1}{k}}
                              
                           Infolge der Vorkühlung der erzeugten Pressluft nach dem Gegenstromprinzip sinkt die
                              									Temperatur T immer mehr, so dass, wie Gleichung 2
                              									erkennen lässt, die Expansionsarbeit stetig abnimmt und somit die verbrauchte Arbeit
                              
                              									in dem Arbeitsprozess bis zu einem dem stationären Zustande entsprechenden Grenzwert
                              									zunimmt.
                           Ferner bemerkt Schröter a. a. O., dass man in allen
                              									technischen Lehrbüchern den Satz findet, dass eine Kaltluftmaschine vollkommen
                              									unwirksam werden müsste, wenn man nach dem Beispiel der Kaltdampfmaschine den
                              									Expansionszylinder weglassen und die Luft einfach durch ein Drosselventil ausströmen
                              									lassen wollte; diese Anschauung gründe sich darauf, dass man mit einer für
                              									technische Zwecke genügenden Genauigkeit die Luft als ein vollkommenes Gas
                              									betrachtet, bei welchem zwischen den einzelnen Molekülen gar keine Kräfte wirken,
                              									und dass daher die gesamte innere Arbeit durch die zur Veränderung der Temperatur
                              									erforderliche Wärme geleistet wird.
                           Die hier von Schröter vertretene Anschauung älterer
                              									Kühlmaschineningenieure ist nicht nur theoretisch unhaltbar, sondern auch längst
                              									experimentell durch die Versuche von de Saint-Vemant
                              
                              									und Wantzel (Mémoire et éxperiences sur l'écoulement de
                              									l'air, détérminé par des differences de pressions considérables; Journal de l'École
                              									polytechnique Bd. 16, 1839) und von Weissbach (Lehrbuch
                              									der Ingenieur- und Maschinenmechanik, 3. Auflage, 1855 Bd. 1, S. 820). als unrichtig
                              									nachgewiesen worden.
                           Auch in der neuesten Ausgabe von Zeuners Thermodynamik
                              									Th. I, S. 163 und Th. II, S. 290 und 291, wird jene Anschauung Schröters vertreten und durch eine angebliche
                              									Beobachtung Joules begründet, nach welcher die in einem
                              
                              									Gefässe eingeschlossene hochgespannte atmosphärische Luft keine Temperaturänderung
                              									erleidet, wenn man dieselbe nach einem zweiten Gefässe, welches vorher luftleer
                              									gepumpt wurde, expandieren lässt, vorausgesetzt, dass man die Temperatur nach der
                              									Druckausgleichung und nach dem Uebergange in den Ruhezustand beobachtet und eine
                              									Wärmemitteilung von aussen nicht stattfand.
                           Zeuner hat leider die Stelle nicht angegeben, wo Joule diesen Versuch veröffentlicht hat. Die einzige
                              									Stelle, welche ich über diese Frage in Joules
                              									Abhandlungen (On the Thermal Effects experiment W. ced by air in rushing through
                              									small Apertures. By J. P. Joule and Thomson. Phil. Mag, 4th Series, Suppl. vol. p. 481, Joule,
                              									Scientific Papers, Bd. II. p. 216–218, 221–222) gefunden habe, stellt jene Behauptung nur als eine aus
                              									dem Mayer'schen, Aequivalentgesetze folgende Hypothese
                              									bezw. diese Hypothese als die Vorbedingung für die Richtigkeit des Mayer'schen Aequivalentgesetzes hin. Joule sagt nämlich auf S. 217 unten und S. 218
                              									oben:
                           
                              „Then, if Mayers hypothesis were true, the aire
                                 										after leaving the narrow passage would have exactly the same temperature as it
                                 										had before reaching it. If, on the contrary, the air experiences either a
                                 										cooling or a heating effect in these circumstances, we may infer that the heat
                                 										produced by the fluid friction in the rapids, or, which is the same, the thermal
                                 
                                 										equivalent of the work done by the air in expanding from its state of high
                                 										pressure on one side oft the narrow passage to the state of atmosphäric pressure
                                 										wich it has after passing the rapids, is one case less, and in the other more,
                                 										than sufficient to compensate the cold due to the expansion; and the hypothesis
                                 										in question would be disproved.“
                              
                           Dieser von Zeuner Joule zugeschriebene Versuch ist,
                              									soviel ich weiss, von Regnault gemacht worden. Die in
                              									vorstehender Stelle von Joule gegen Mayer beliebte Kritik schwebt in der Luft, da
                              
                              									einerseits das Ueberströmen hochgespannter Luft in ein Vakuum nur ein rein idealer
                              									Grenzfall ist, andererseits die von Joule ausgeführten
                              									Versuche, wie sich unten zeigen wird, nur eine Bestätigung des Mayer'schen Aequivalentgesetzes bringen. Allerdings hat
                              										Joule, dessen Arbeiten ja eingestandenermassen
                              									gegen das Mayer'sche Gesetz gerichtet sind, sich nicht
                              									die Mühe genommen, die gefundenen Resultate durch die bei der Expansion gegen die
                              									Atmosphäre geleistete Arbeit zu erklären, sondern vielmehr die geringfügigen
                              									Kühlwirkungen, welche er beobachtete, auf innere Arbeitsleistung bei der Ausdehnung
                              									der Luft zurückzuführen unternommen.
                           Die von ihm und Thomson gefundenen Versuchsresultate
                              									lassen sich durch die Formel
                           
                              \delta=0,276\,(p_1-p_2)\,\left(\frac{273}{T}\right)^2
                              
                           darstellen, in welcher p1 – p2 die Druckdifferenz in Atmosphären (10333 kg auf 1
                              									qcm) und T die absolute Temperatur der Luft beim
                              									Eintritte in die Mündung bedeutet. Diese Formel ist von Linde und auch von Zeuner als richtig und
                              									massgebend für die Vorgänge beim Lindeschen
                              									Kühlverfahren angenommen und darauf nicht nur eine Theorie des Lindeschen Kühlverfahrens begründet, sondern daraus
                              									auch eine neue Zustandsgleichung der Luft
                           
                              \frac{p\,v}{T}=B-\frac{c_{p_0}}{3\,A}\,\left[1-\sqrt[3]{1-\frac{3\,\alpha}{T}\cdot \frac{p}{3}}\right]
                              
                           abgeleitet worden. In dieser Zustandsgleichung, welche auch
                              										Planck in seinen „Vorlesungen über
                                 										Thermodynamik“ (Leipzig 1897) S. 118 entwickelt hat, ist B = 29,303, cpo = 0,237, a =
                              									20570. Aus dieser Zustandsgleichung folgt das spezifische Volumen v der Luft bei –191° v =
                              									0,2222 cbm.
                           Dieser Zahlenwert stimmt jedoch weder mit der von Mewes
                              									durch zahlreiche Beobachtungen bestätigten allgemeinen Zustandsgleichung der Gase
                              									(s. „Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleisses“) noch
                              									auch mit den in Wiedemanns Annalen veröffentlichten
                              									Versuchen von Behn über die Dichtigkeit der Luft beim
                              									Siedepunkte unter Atmosphärendruck überein; denn in beiden Fällen ergiebt sich für
                              									das spezifische Volumen der Luft v bei – 191° v = 0,46 cbm. Die aus der Theorie des Lindeschen Kühlverfahrens abgeleitete Zustandsgleichung
                              
                              									stimmt demnach nicht mit der Beobachtung überein; ebenso wenig lassen sich die
                              									daraus erhaltenen Werte der spezifischen Wärmen bei sinkender und steigender
                              									Temperatur mit den bisherigen genauen Versuchen von Eilhard
                                 										Wiedemann und anderen Physikern in Einklang bringen. Man ist daher
                              									genötigt, die Theorie des Lindeschen Kühlverfahrens kritisch und mit grosser
                                 										Vorsicht aufzunehmen.
                           In der That sind in dieser Theorie zwei recht wunde Punkte enthalten, nämlich erstens
                              									die oben Joule zugeschriebene Hypothese bezw. die
                              									daraus abgeleitete sachliche Schlussfolgerung,dass, wenn man ein Gas unter
                              									konstantem Druck p1 aus
                              									einem Gefässe nach einem zweiten Gefässe durch ein Drosselventil hindurchtreten
                              									lässt, in welchem der Druck auf konstanter Höhe p2 gehalten wird,
                           U2 =
                              										U1 + p1v1 – p2v2
                           und wegen Gleichheit von U2 und U1 auch p1v1 = p2v2 und folglich gemäss der Gleichung pv = BT auch T2 = T1 ist, und zweitens
                              									die Joule-Thomsonsche Experimentalformel.
                           Mit Rücksicht auf diese Formel weist nämlich Professor Schröter a. a. O. zur Erklärung des Lindeschen Kühlverfahrens darauf hin, dass die Physik ein vollkommenes Gas
                              									nicht kennt, sondern bei allen Gasen Abweichungen vorkommen, welche darauf deuten,
                              									dass die inneren Kräfte nicht gleich Null sind; dass jedoch diese Abweichungen sehr
                              									gering und um so unbedeutender sind, je permanenter im übrigen das Gas ist. Die
                              
                              									Versuche von Joule und W.
                                 										Thomson, welche schon anfangs der 50er Jahre und später angestellt sind,
                              									hätten den experimentellen Nachweis erbracht, dass atmosphärische Luft, wenn sie aus
                              									einem Raum mit höherem Druck durch ein Ventil einfach ausströmt, sich nach
                              									Erreichung des Beharrungszustandes dauernd abkühlt, so dass ein gewisser Betrag von
                              									Wärme zur Ueberwindung innerer Kraft aufzuwenden sei, welcher durch die obige Formel
                              									angegeben werde.
                           Die von Joule und seinen Anhängern gegen die Meyer'sche Bestimmungsmethode des Wärmeäquivalents
                              									erhobenen Einwände werden jedoch als haltlos gekennzeichnet durch den bündigen
                              									Beweis von Dr. Th. Gross, dass die Luft innere Kräfte
                              									nicht enthält und die auf der gegenteiligen Annahme aufgebauten wärmetheoretischen
                              									Formeln demnach irrig und falsch sind. Gross führt in
                              
                              									seiner wichtigen Abhandlung „Robert Mayer und Hermann v. Helmholtz“ folgendes
                              									aus:
                           „Ist p der Druck, v das
                              									Volumen einer gegebenen Luftmenge, die sich durch Erwärmen sehr langsam ausdehnt, so
                              									ist ein Element der äusseren Arbeit, die sie dabei leistet, gleich p d v.
                           Bezeichnet U die Wärme, die von der Luft, von äusserer
                              									Arbeit abgesehen, aufgenommen wird, so könnte dieselbe ausser von der absoluten
                              									Temperatur ϑ auch von einer begrenzten Zahl anderer von
                              										ϑ unabhängiger Veränderlicher λ, μ . . . . ρ abhängen,
                              									so dass
                           
                              d\,U=\frac{d\,U}{d\,\vartheta}\cdot d\,\vartheta+\frac{d\,U}{d\,\lambda}\,d\,\vartheta+\frac{d\,U}{d\,\varrho}\,d\,\varrho
                              
                           wäre.
                           Wird nun wiederum die Unzerstörbeit der Wärme vorausgesetzt, so wäre demnach ein
                              									Element der gesamten Wärme Q, die bei der Erwärmung der
                              
                              									Luft unter Arbeitsleistung verbraucht wird, gleich
                           
                              d\,Q=\frac{d\,U}{d\,\vartheta}\,d\,\vartheta+\frac{d\,U}{d\,\lambda}\,d\,\lambda+.....+\frac{d\,U}{d\,\varrho}\,d\,\varrho+p\,d\,v
                              
                           Auf der linken Seite der Gleichung steht eine Wärmegrösse dQ, auf der rechten eine Arbeit p d v;
                              									hierauf wird aber nicht das Bestehen eines konstanten Verhältnisses zwischen Wärme
                              									und Arbeit behauptet, sondern die Gleichung besagt nur, dass die auf der linken
                              									Seite stehende Wärmegrösse gleich der Summe aller Aenderungen auf der rechten Seite
                              									ist. Das ist aber nichts anderes als die Annahme der Unzerstörbarkeit der Wärme, die
                              									bei keiner Aequivalentbestimmung zu umgehen ist.
                           Wird p als konstant angenommen, so ist nun nach dem
                              									Gesetz von Mariotte und Gay-Lussac p d v = K d ϑ, worin K die Konstante des genannten Gesetzes bezeichnet.
                           Ferner ist cpdϑ = d Q und c_v\,d\,\vartheta+\frac{d\,U}{d\,\vartheta}\,d\,\vartheta;
                              									folglich wird
                           
                              c_p\,d\,\vartheta=c_v\,d\,\vartheta+\frac{d\,U}{d\,\lambda}\,d\,\lambda+.....+\frac{d\,U}{d\,\varrho}\,d\,\varrho+K\,d\,\vartheta
                              
                           Da diese Gleichung für beliebige Werte gilt, und die auf der linken Seite stehende
                              									Grösse proportional ϑ ist, so muss dasselbe auch für
                              									die rechte Seite gelten; folglich ist
                           
                              \frac{d\,U}{d\,\lambda}\,d\,\lambda+....+\frac{d\,U}{d\,\varrho}\,d\,\varrho=0
                              
                           was zu beweisen war.
                           
                           Der Unterschied zwischen den Jouleschen Versuchen
                              									und der Annahme innerer Arbeitsleistung gegenüber dem vorstehenden Beweise lässt
                              									sich erklären oder der dadurch bedingte Widerspruch lässt sich beseitigen, wenn
                              									gezeigt werden kann, dass die beobachtete Temperaturerniedrigung nicht durch innere
                              									Arbeitsleistung, sondern entsprechend dem Mayerschen
                              									Aequivalentgesetze durch äussere Arbeit in ähnlicher Weise wie bei dem Siemensschen Kühlverfahren bewirkt wird.
                           Aus der Joule-Thomsonschen Formel hat Schröter a. a. O. ohne weiteres den Schluss gezogen,
                              									dass angesichts einer so geringfügigen Abkühlung der oben erwähnte Ausspruch ganz
                              									zutreffend ist, dass nämlich eine Kaltluftmaschine ohne Expansionszylinder technisch
                              									vollkommen wertlos wäre. In der ganzen Untersuchung Joules ist jedoch nirgends der Nachweis geführt, dass thatsächlich nicht
                              									eine dem beobachteten Temperaturabfall gleichwertige äussere Arbeit bei den
                              									betrachteten Vorgängen geleistet wird; sondern es wird lediglich zur Erklärung der
                              									geringen Temperaturerniedrigung innere Arbeitsleistung angenommen.
                           Zur Prüfung des vorliegenden Gegenstandes müssen somit in erster Linie die Fragen
                              									entschieden werden, ob nicht beim Fortfall des Expansionszylinders, entsprechend der
                              										Jouleschen Versuchsanordnung, doch noch äussere
                              									Arbeit geleistet wird, daher die Joule-Thomsonsche
                              									Formel hier garnicht in betracht kommt, und ob ferner, wenn gleichwohl äussere
                              									Arbeit geleistet – wohl verstanden nicht nutzbar gemacht – wird, diese Arbeit eine
                              									genügende Abkühlung bewirken kann, und nach welchem Gesetze dies geschieht, und ob
                              									schliesslich die Formel und die Versuche von Joule und
                              										Thomson unanfechtbar sind.
                           Von alledem findet sich in der ganzen Litteratur über Kühlverfahren und
                              									Kälteindustrie bis auf die Patentanmeldung von Mix – D.
                              									R. P. 124376 Klasse 12a – und die von Mewes über dessen
                              									Kühlverfahren veröffentlichten theoretischen Arbeiten nichts. Im Gegenteil hat sogar
                              										Helmholtz, dem das Mixsche Kühlverfahren zur Begutachtung vorgelegen hat, am 24. Juli 1893 in
                              									einem Briefe ein dahingehendes Gutachten abgegeben, dass er das Verfahren zur
                              									gewerbsmässigen Herstellung fester Luft für vollkommen aussichtslos halte und in
                              									diesem Briefe folgendes geschrieben:
                           „Auf ihre erneute Eingabe
                                    											vom 18. d. M. vermag ich mich nur dahin zu erklären, dass ich das von Ihnen
                                    											der Reichsanstalt unterbreitete Verfahren zur gewerbsmässigen Herstellung
                                    											fester Luft für vollkommen aussichtslos halte.
                           
                              
                                 Ihre Ausführungen vom 19. v. M. erhalten Sie beifolgend zurück; der darauf
                                    											befindliche Eingangsstempel lässt erkennen, dass das Schriftstück hier
                                    											vorgelegen hat.
                                 
                              
                           Der
                                    									Präsident                
                           
                              
                                 der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt,
                                 
                              
                           v.
                                    									Helmholtz.“                
                           Helmholtz hat das vorstehende Urteil wohl nur mit
                              									Rücksicht auf die ihm sicher bekannten, oben erwähnten Versuche Joules und Thomsons
                              									gefällt.
                           Nunmehr ist der theoretische Nachweis zu führen, dass eine Kaltluftmaschine, welche
                              									den Expansionszylinder weglässt, lediglich infolge der durch Fortschieben der
                              									Atmosphäre geleisteten, allerdings verloren gehenden oder nicht mechanisch nutzbar
                              									zu machenden äusseren Arbeit ohne bezw. auch zusammen mit der nicht zu vermeidenden
                              									– eventuell – inneren Arbeit eine bedeutende Kühlwirkung nach dem Mixschen Verfahren hervorbringen kann. Um die
                              									theoretischen Formeln nicht zu verwickelt zu gestalten, soll die Abkühlung durch
                              									innere Molekulararbeit unberücksichtigt bleiben, da diese Abkühlung, wie sich zeigen
                              									wird, nur einen geringen Bruchteil der durch die verloren gehende, gegen die
                              									Atmosphäre geleistete äussere Arbeit bewirkten Abkühlung darstellt. Die von Zeuner in „Technische Thermodynamik“ Bd. 1, S.
                              									40–44 u. ff. gegebenen Entwickelungen über diese Frage sollen, da die Zeunersche Darstellung ausserordentlich einfach und
                              									klar ist, hier, wie dies ja auch in der o. a. Arbeit von Mewes geschehen ist, möglichst wörtlich benutzt werden.
                           Es handelt sich im vorliegenden Falle um die Ausströmungsgesetze der atmosphärischen
                              									Luft unter Druck.Die Grundformeln für die strömende Bewegung und für den
                              									Ausfluss der Gase ergeben sich aus den allgemeinen Strömungsformeln für eine
                              									Flüssigkeit. Nehmen wir an, dass irgend eine Flüssigkeit ohne Einwirkung äusserer
                              									Kräfte im Beharrungszustande durch ein Rohr mit horizontaler Achse, aber
                              									veränderlichem Querschnitt hindurchströmt, sodass in der Zeiteinheit durch jeden
                              									Querschnitt die gleiche Gewichtsmenge G
                              									hindurchfliesst. Geht nun durch den vorderen Querschnitt die Flüssigkeit mit überall
                              									gleicher Geschwindigkeit w parallel hindurch, so ist
                              									das in der Zeiteinheit durchgeströmte Flüssigkeitsvolumen gleich Fw und entsprechend das durch den hinteren Querschnitt
                              										F1
                              									w1.
                           Ist v das spezifische Volumen und p der Druck im vorderen Querschnitt und entsprechend
                              										v1 und p1 die Werte für den
                              									Querschnitt F1, so ist
                              									im Beharrungszustande
                           Gv1 =
                              										F1w1 und Gv = Fw . . . . 1)
                           Bezeichnet man mit U den ganzen Betrag der inneren
                              									Arbeit und mit H denjenigen Teil der Gesamtenergie der
                              									Flüssigkeit, welcher der offenen fortschreitenden, mit der Geschwindigkeit W erfolgenden Bewegung entspricht, so ist die in der
                              									Gewichtseinheit enthaltene Arbeit gleich U + H, worin die Arbeit der fortschreitenden Bewegung H gleich deren lebendigen Kraft, also
                           H=\frac{W^2}{2\,g} ist. . . . . . 2)
                           Beim Uebergang vom Querschnitt F1 zum Querschnitt F
                              									wird bei entsprechender Bezeichnung eine Arbeit gleich
                           (U + H) –
                              										(U + H1)
                           aufgewendet oder verbraucht.
                           Die Differenz H – H1 bezeichnet man als die Zunahme der
                              									Strömungsenergie. Ist nun die Summe der Widerstände, welche die Flüssigkeit auf dem
                              									Wege F1 nach F zu überwinden hat, gleich W, so wird die ganze auf diesem Wege verbrauchte Arbeit
                           L = (U +
                              										H) – (U1 + H1) + W . . . 3)
                           Während des Strömens der Flüssigkeit legt die Hinterfläche F1 in dem Zeitelement d t den Weg w1
                              									d t und die Vorderfläche den Weg w d t zurück. Es ist F1
                              									p1 der hinter dem
                              									Querschnitt F1 auf den
                              									Flüssigkeitskörper ausgeübte Druck, so dass auf die Flüssigkeit die Arbeit F1
                              									w1
                              
                              									p1
                              									dt übertragen wird, während die Vorderfläche F ganz entsprechend die Arbeit F w p d t noch vorwärts in Richtung der Strömung abgiebt. Die vom
                              
                              									Flüssigkeitskörper in der Zeit d t aufgenommene Arbeit
                              
                              									ist somit mit Rücksicht auf Gleichung 1)
                           F1w1p1d t – F w p d t = (p1
                              									v1
                              									p v) G d t
                           Da wegen des Beharrungszustandes in der Zeit d t das
                              									Flüssigkeitsgewicht G d t sowohl in den Raum F1
                              									F ein – als auch aus demselben durch die Fläche F ausgetreten ist und eine Aenderung des
                              									Bewegungszustandes nicht stattfindet, so stellt der vorstehende Ausdruck die Arbeit
                              									dar, welche das Flüssigkeitsgewicht G d t während
                              									seiner Bewegung F1 nach
                              										F aufgenommen hat. Für die endliche Zeit t ist diese Arbeit gleich (p1
                              									v1 – p v) G t, für die
                              									Gewichtseinheit also, indem man G t = 1 setzt, gleich
                              										p1
                              									v1 – p v. Wird der Gewichtseinheit Flüssigkeit während der
                              									Bewegung durch F1 und
                              										F von aussen her die Wärmemenge Q zugeführt, so ist, da die Widerstandsarbeit W in Wärmemass A W ist,
                              									die zugeführte Wärmemenge
                           Q + A W,
                              									worin A=\frac{1}{425} ist, 
                           so dass die gesamte Arbeitsleistung in mechanischem Masse
                           L=p_1\,v_1-p\,v+\frac{Q}{A}+W . . . . 4)
                           wird. Durch Gleichsetzen mit Gleichung 3) erhält man die
                              									Grundgleichung des vorliegenden Problems
                           Q = A
                              										[pv – p1v1 + (U + H) – (U1 + H1)] . 5)
                           oder, wenn man zum Differential übergeht
                           dQ = A[d(pv) + dU + dH] . . . . 6)
                           Liegt der Kanal nicht horizontal, sondern der Querschnitt F1 um h1 und der Querschnitt F
                              									um h unter der Horizontalebene, so wird infolge der
                              
                              									Schwerkräftwirkong noch die Arbeit h – h1 aufgenommen, so dass die Gleichung 5)
                              									in
                           Q = A [pv –
                                 										p1v1
                              									+ (U+ H) – (U1 + H1) – (h – h1)] . . 7)
                           und Gleichung 6) in
                           dQ = A[d(pv) +
                                 										dU + dH – dh] . . . 8)
                           übergeht.
                           Neben den hier abgeleiteten Gleichungen 7) und 8) hat aber noch die Grundgleichung
                              									der Thermodynamik
                           dQ1 =
                              										d (Q + AW) = dQ + AdW
                              									= A(dU+pdv) . . . . . . . . 9)
                           oder
                           Q+A\,W=A\,(U-U_1)+A\,\int_{v_1}^v\,p\,d\,v . . 10)
                           Giltigkeit. Durch Gleichsetzen mit Gleichung 8) resp. 7)
                              									erhält man
                           dH=dh – dW –
                                 										vdp . . . . . . 11)
                           oder
                           H-H_1=h-h_1-W-\int_{p_1}^p\,v\,d\,p . . . 12)
                           Bei den praktischen Anwendungen handelte es sich bisher fast ausschliesslich um die
                              									Ermittelung der Strömungsenergie H, woraus dann noch
                              									Gleichung 2)
                           
                              w=\sqrt{2\,g\,h}
                              
                           und das Gewicht G der sekundlich
                              									durchströmenden Flüssigkeit nach Gleichung 1)
                           
                              G=\frac{F\,w}{v}
                              
                           gefunden wird.
                           Die hier abgeleiteten Formeln, welche für jede Flüssigkeit gelten, lassen sich ohne
                              									weiteres auf die strömendeBewegung der Gase anwenden. Es ist nur bei den Gasen
                              									die innere Arbeit
                           
                              d\,U=\frac{1}{k-1}\,(v\,d\,p+p\,d\,v)
                              
                           oder
                           
                              d\,U=\frac{d\,(p\,v)}{k-1}
                              
                           in die Gleichung (8) einzusetzen, so dass man
                           
                              \left\mbox{oder}{{d\,Q=A\,d\,(p\,v)+\frac{A\,d\,(p\,v)}{k-1}+A\,d\,H-A\,d\,H}\atop{A\,d\,H=d\,Q-\frac{A\,k}{k-1}\,d\,(p\,v)+A\,d\,H}}\right\}\
                                 13)
                              
                           und aus Gleichung (9)
                           
                              \left\mbox{oder}{{d\,Q+A\,d\,W=A\,\left[\frac{d\,(p\,v)}{k-1}+p\,d\,v\right]}\atop{d\,Q+A\,d\,W=\frac{A}{k-1}\,(v\,d\,p+k\,p\,d\,v)}}\right\}\
                                 14)
                              
                           erhält. Nun ist aber pv = RT (Clapeyronsche Zustandsgleichung), worin R die Gasconstante und cp
                              									– cv = AR ist, so dass man
                           
                              \frac{A\,k}{k-1}\,d\,(p\,v)=c_p\,d\,T
                              
                           setzen kann und Gleichung (13) in
                           AdH=dQ + AdH –
                                 										cpdT . . .
                                 										. 15) 
                           übergeht. Aus Gleichung 15) kann man die Temperatur
                              									ausströmender Gase an der Mündungsstelle berechnen; eine Prüfung der so erhaltenen
                              									Werte ist nur auf indirektem Wege, nicht aber unmittelbar mittels Thermometer
                              									möglich, weil Reibung und Stoss der Flüssigkeit den Stand des Thermometers
                              									beeinflussen.
                           
                              
                                 (Schluss folgt.)