| Titel: | Die geleislosen elektrischen Bahnen mit Oberleitung. | 
| Autor: | H. | 
| Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 79 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Die geleislosen elektrischen Bahnen mit
                           								Oberleitung.
                        Die geleislosen elektrischen Bahnen mit Oberleitung.
                        
                     
                        
                           Ueber diese neuen Verkehrsmittel berichten u.a. zwei Schriftchen; das eine,
                              									welches den Oberingenieur Thomas Marcher zum Verfasser hat,
                              									behandelt die verschiedenen, bisher zur Verwendung gelangten Systeme, während das
                              									andere von Zivilingenieur Schiemann sich mit dessen System
                              									befasst.
                           Noch sind es wenige, die den Bau solcher Anlagen unternommen haben und im
                              									wesentlichen bestehen zunächst nur Versuchsstrecken, die sich aber in Hinsicht auf
                              									die jungen Unternehmungen im allgemeinen schon gut bewährten.
                           Hierzu zählen insbesondere die Einrichtungen nach dem System „Schiemann“ mit den Probestrecken bei Königstein Hütten und die nach dem
                              									System Lombard Gérin (s. D. p. J. 1900, S. 736) und Dr.
                              										A. Brunn durch den Zivilingenieur J. Brandt mit einer Probestrecke in Eberswalde. Nach
                              									letzterem System war bereits auf der Pariser Weltausstellung 1900 eine Probestrecke
                              									ausgeführt.
                           Die geleislosen Bahnen lassen sich bequem an örtliche Verhältnisse anpassen und
                              									kommen, ohne mit den sonstigen elektrischen Niveaubahnen in ihrer Verwendung und
                              									Anlage in Konkurrenz zu treten, da in betracht, wo die Strassen wegen zu geringer
                              									Breite oder aus sonstigen Ursachen die Verlegung von Schienen nicht zulassen oder
                              									aber, wo andere elektrische Bahnen, die durch die Schienenanlage besonders teuer
                              									werden, wegen des zu geringen Verkehres, sich nicht rentieren würden.
                           Diese Systeme schaffen gewissermassen ein Verbindungsglied zwischen einem Omnibus und
                              									einer mit Oberleitung betriebenen elektrischen Strassenbahn.
                           Ihre Einrichtungen können aber auch bei dem Fortbewegen von Lastschiffen auf
                              									Wasserstrassen Verwendung finden. So ist ein an die Oberleitung des Ufers
                              									angeschlossenes Boot z.B. auf dem Erie-Kanal schon in Benutzung genommen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 80
                              Fig. 1.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 80
                              Fig. 2.
                              
                           Was die konstruktive neue Ausrüstung betrifft, so muss bei den Wagen auf weit bessere
                              
                              									Federung wie bei den auf Schienen laufenden Wagen Bedacht genommen werden, wie auch
                              									die Bremsfähigkeit und das Drehungsvermögen der Wagengestelle eine besonders
                              									ausgiebige sein muss. Hierbei sind auch Versuche gemacht worden, viele Teile des
                              									Wagens und der Angriffs Vorrichtung aus weichem, zähem und elastischem Material
                              
                              									herzustellen und zur Federung eine Kombination von Spiral- und Blattfedern zu
                              									verwenden. Motore und Kontroller sind bisher dieselben oder sehr ähnliche, wie bei
                              									den bekannten Motorwagen.
                           Hinsichtlich der Stromabnehmer unterscheiden sich die beiden vorgenannten Systeme
                              									wesentlich. Während sich das System Schiemann hierin an
                              									die bekannten Stromabnehmer auf den Motorwagen der Schienenbahn anlehnt, bezw.
                              									dieselben Stromabnehmer mit entsprechender Ausladung und guter Drehbarkeit anwendet,
                              									benutzt das französische System einen Luftmotor, welcher durch einen Teilstrom der
                              									Oberleitung seine Antriebskraft erhält und, auf dieser Oberleitung sich
                              									fortbewegend, den Strom für die Wagenmotore abnimmt und durch ein Kabel dem Wagen
                              									zuführt. Dementsprechend bestehen auch zwischen beiden Systemen grosse Unterschiede
                              									in dem Oberleitungsmaterial zur Aufhängung der Fahrdrähte.In den beistehenden
                              									Figuren ist schematisch die Stromabnahme veranschaulicht. In Fig. 1 (Schiemann)
                              									bezeichnen a die Stromabnehmer, von denen jeder Wagen
                              									der metallischen Hin- und Rückleitung halber zwei solcher besitzen muss, b die Aufhängung für den Fahrdraht und d den Aufhängungs- bezw. Abspanndraht. In Fig. 2
                              									(Lombard Gérin) bedeutet a
                              									das doppeladrige Leitungsseil, b die isolierte
                              									Aufhängung, c den Stromabnahme-Motor und e eine auf dem Wagendach angebrachte Säule, welche den
                              									Zweck hat, das Strom zuführende Seil in einer gewissen Höhe zu halten, damit andere
                              									Fahrzeuge, die diesem begegnen, passieren können.
                           Bei dem französischen System bedingt der zwischen den Luftleitungen laufende und auf
                              									diese beiden Fahrleitungen in einem mit Rollen versehenen Gestell aufgehängte und
                              									immerhin recht schwere Motor eine sehr kräftige und sorgfältige Ausgestaltung der
                              									Befestigungsteile für die Oberleitung. Hierbei ist eine gute Fabrikation und
                              									Installation erforderlich, wobei der Abstand der parallel laufenden
                              									Fahrdrahtleitungen durch Justierung auf geradezu Millimeter bestimmt wird, damit die
                              									Rollen des vorbezeichneten Luftmotors auf dem Fahrdraht frei laufen und nicht durch
                              									Schleifen eine Reibung und hierdurch grössere Abnutzung des Fahrdrahtes und durch
                              									höheren Antriebsstrom eine Verteuerung der Betriebskosten hervorrufen.
                           Ueber die Betriebskosten seines Systemes giebt Schiemann
                              									folgendes an:
                           Das Kilometer eingleisiger Kleinbahn mit elektrischem Betrieb kostet je nach der
                              									Anzahl der erforderlichen Betriebsmittel, bezw. des einzuhaltenden Betriebsplanes
                              									80000 bis 120000 M., während ähnliche Anlagen für Dampfbetrieb 60000–80000 M. für 1
                              									km kosten. Die gleislose Anlage lässt sich mit 15–25000 M. pro km herstellen.
                           Der spezifische Stromverbrauch solcher Fahrzeuge auf die Tonne beförderter Last
                              									berechnet, ist selbstverständlich höher als bei einem auf Schienen laufenden Wagen,
                              									indess wird dieser Mehrverbrauch an Strom bei weitem nicht die Zinsen,
                              									Amortisationsquoten und Unterhaltung des Bahnkörpers usw. erreichen.
                           An Beispielen lässt sich feststellen, dass der Last verkehr mittels besonderer
                              									Gleisbahn 4 mal grössere Anschaffungswerte erfordert hätte, als beim gleislosen
                              									Betrieb, während die Betriebskosten für die Einheit sich nur um die höheren
                              									Stromkosten erhöhen. Wenn die Betriebsverhältnisse sich ändern, d.h. wenn die
                              									Verkehrsdichtigkeit die ein- bis zweistündigen Intervalle übersteigt und die
                              									kapitalisierten höheren Stromkosten eine Gleisbahnanlage rechtfertigen, kann die
                              									gleislose Bahn der Pionier für die an gleicher Stelle später zu errichtende
                              									Gleisbahn werden. Für den späteren Einbau des Bahnkörpers einer Kleinbahn lassen
                              									sich die Stromzuführungsanlagen der „Omnibusbahn“ ohne jede Aenderung
                              									verwenden.
                           Als ganz besonderen Vorteil muss man hervorheben, dass die Anlage einer gleislosen
                              
                              									Bahn ein in der Nähe befindliches Elektrizitätswerk voll ausnützt und dieses ganz
                              									sicherlich rentabel macht, falls dasselbe vorher etwa kränkeln sollte. Selbst wenn
                              									man die Stromtransformierung durch stationäre Akkumulatorenbatterieen vornehmen
                              									müsste, kann die Rentabilität durch den 15–16 stündigen Tagesbetrieb wesentlich
                              									erhöht werden.
                           
                              
                                 H.