| Titel: | Eine aussergewöhnliche Dampfmaschine. | 
| Autor: | E. Lufft | 
| Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 162 | 
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                        Eine aussergewöhnliche Dampfmaschine.
                        [Eine aussergewöhnliche Dampfmaschine.]
                        
                     
                        
                           Im Hafen von Buenos-Aires wurde im vergangenen Jahre eine
                              									der grössten Mühlen der Welt, die Mühle „Rio de la Plata“, für eine tägliche
                              									Weizenverarbeitung von 200000 kg hergestellt. Der Bau wurde begonnen am 8. April
                              									1902. Die Mühle kam am 17. September desselben Jahres in Gang, erforderte also nur
                              									eine etwas mehr als fünfmonatliche Bauzeit.
                           Zum Betrieb dieser Mühle dient die in Abbildung dargestellte Dampfmaschine. Es ist
                              									eine Dreifachexpansionsmaschine mit 1200 mm Kolbenhub und Zylinderweiten von 425,
                              									675 und 1040 mm, welche bei 2,88 m Kolbengeschwindigkeit, 13 Atm. Kesselspannung und
                              									etwa 24 v. H. Füllung im Hochdruckzylinder, 600 indizierte Pferdekräfte leistet,
                              									jedoch bis etwa 750 indizierte Pferdekräfte gesteigert werden kann.
                           Abweichend von der sonst bei Triplexmaschinen üblichen Bauart befinden sich hier alle
                              									drei Dampfzylinder jn Tandemanordnung und zwar liegt im Einklang mit der neuerdings
                              									bevorzugten Konstruktion der Hochdruckzylinder am weitesten von der Kurbelwelle
                              									entfernt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 161
                              
                           Zu solcher Bauart gaben die Verhältnisse der Gesamtanlage des Werkes die
                              									Veranlassung. – Es ist nämlich die Mühle derart angelegt, dass sie später durch
                              									Aufstellung der erforderlichen Maschinen auf die doppelte Leistung gebracht werden
                              									kann. Das Mühlengebäude wird durch einen 4,3 m breiten Seilschacht, in dem sich die
                              									Antriebscheiben aller 6 Stockwerke befinden, in zwei Teile getrennt. Da nun vorerst
                              									nur die eine Hälfte der Mühleinrichtung zur Ausführung kam und man am Seilschacht
                              									und der Maschinenstube jede überflüssige Breite vermeiden wollte, so ergab sich eben
                              									die Tandemanordnung als die vorteilhafteste für die jetzige und die später
                              									aufzustellende zweite Betriebsdampfmaschine.
                           Neben dieser Rücksicht auf die Gesamtanordnung des Werkes war für die Wahl des
                              									Systems der Antriebmotoren ausschlaggebend der hohe Preis des Brennstoffes, auf den
                              									man in Argentinien angewiesen ist. Derselbe beträgt zur Zeit 7 ½ Pesos Gold oder
                              									etwa. 30 M. für die Tonne Kohle. Man war also, um das Unternehmen rentabel zu
                              									machen, genötigt, eine Maschinenanlage mit möglichst geringem Dampf-bezw. Kohlen
                              									verbrauch zu machen und das führte zur Wahl der dreistufigen Expansionsmaschine mit
                              									Kondensation, welche aus Kesseln mit Tenbrink feuerung
                              									Dampf von 12–13 Atm. Anfangsspannung erhält. Die nachträgliche Anbringung von
                              									Ueberhitzern ist vorgesehen, in Rücksicht auf möglichst ungestörten Betrieb aber
                              									vorerst nicht zur Ausführung gebracht.
                           Seitens der Maschinenfabrik Esslingen in Esslingen,
                              									welche die gesamte Maschinenanlage geliefert hat, ist für die Maschine bei
                              									Normalleistung ein Verbrauch von 5,4 kg gesättigten Dampfes garantiert.
                           Die Dampfmaschine, deren mit grosser Eile durchgeführte Aufstellung bis zum
                              									betriebsfertigen Zustand nicht ganz fünf Wochen in Anspruch genommen hat, arbeitet
                              									seit 1. September vorigen Jahres ununterbrochen Tag und Nacht und es sind die bis
                              									jetzt vorliegenden Betriebsergebnisse durchaus günstige. Dies gilt besonders auch
                              									hinsichtlich der Ruhe des Ganges, die mehrfach von fachkundiger Seite bei der
                              									ungewöhnlichen Anordnung der Maschine als wenig günstig vorausgesagt wurde, sich
                              									aber, dank der sorgfältig durchgeführten Dampfverteilung und Kompressionen, sowie
                              									des reichlich bemessenen Schwungrades als ganz einwandfrei ergab.
                           Der Hochdruckzylinder arbeitet mit 12–13 Atm. Admissionsspannung und besitzt durch
                              									den Regulator verstellbare Widnmann-Ventilsteuerung, wogegen die beiden andern Zylinder durch
                              									Daumenscheiben gesteuert werden.
                           Das Schwungrad mit 24 Seilrillen hat bei 6 m äusserem Durchmesser ein Gewicht von
                              									rund 20 Tonnen. Zur Ingangsetzung der Maschine dient ein sog. Servomotor, der in
                              									eine innere Verzahnung des Schwungrades eingreift.
                           Sehr wichtig war es, bei der bedeutenden Länge der Maschine (15 ½ m Gesamtlänge) ihr
                              									die Möglichkeit ungehinderter Streckung in der Längsachse beim Uebergang aus dem
                              									kalten in den betriebswarmen Zustand zu schaffen. Diese Streckung ergab sich,
                              									gemessen am hintersten Fusse des Hochdruckzylinders, zu etwa 8 mm. Um sie zu
                              									ermöglichen, sind die Zylinder und ihre Zwischenstücke, ebenso auch der
                              
                              									Regulatorbock, auf den gehobelten Fundamentplatten in der Längsrichtung frei
                              									verschieblich, während die Steuerwelle zwei Ausdehnungskupplungen mit verlängerten
                              									Zähnen besitzt.
                           Auf Grund der bei vorliegender Maschine gemachten Erfahrungen kann man die
                              									einkurbelige Dreifach-Expansionsmaschine ohne Bedenken da anwenden, wo die örtlichen
                              									Verhältnisse für sie sprechen. Denn abgesehen von dem Umstände, einen in
                              									beschränkten Breitenabmessungen gegebenen oder neu zu schaffenden Maschinenraum
                              									zweckmässig verwenden zu können, spricht das Vorhandensein von nur einem Kurbelmechanismus sehr zu ihren Gunsten. Damit in
                              									Verbindungstehen: geringeres Gewicht, wie auch einfaches und billigeres
                              									Fundament. Ferner lassen sich, besser wie bei zweikurbeligen Maschinen, die
                              									verlustbringenden Längen der Dampfwege von einem zum andern Zylinder in engeren
                              									Grenzen halten, wenn die Receiver parallel zur Maschinenachse tunlichst dicht unter
                              									die betreffenden Zylinder gelegt werden.
                           Endlich hat auch der vorliegende Fall dargetan, dass die Aufstellung einer derart
                              									gebauten Maschine ungemein rasch von statten geht, weil das Parallelrichten zweier
                              									Maschinenachsen in Wegfall kommt und es sich fast nur um die Verschraubung der
                              									bereits in der Werkstätte auf guten Arbeitsmaschinen genau zentrierten und fixierten
                              									Zylinder mit den Zwischenstücken und der Geradführung handelt.
                           Eine ähnliche Vereinfachung ergiebt sich in Bezug auf die Steuerung, für welche nur
                              										eine Welle angetrieben, gelagert und mit Schmier
                              									Vorrichtung versehen werden muss. Das Bedenken wegen unruhigen Ganges hat sich, wie
                              									gesagt als hinfällig erwiesen und da eine solche Maschine, wie die Abbildung zeigt,
                              									auch für das Auge keinen unangenehmen Eindruck macht, so ist nicht einzusehen, warum
                              									sie nicht unter passenden Umständen öfter Anwendung finden sollte.
                           Buenos Aires 1903.
                           
                              E.
                                    											Lufft.