| Titel: | Die Curtissche Dampfturbine. | 
| Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 490 | 
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                        Die Curtissche Dampfturbine.
                        Die Curtissche Dampfturbine.
                        
                     
                        
                           Die „Electrical
                                       
                                       												World and Engineer“ bringt einen Vortrag von EmmetGehalten vor
                                    											der American Philosophical
                                          													Society zu Philadelphia am 2.
                                    											April. über eine neue von Curtis erfundene
                              									Turbinenkonstruktion, deren erste Patente bereits aus dem Jahre 1895 stammen, über
                              									welche indessen bisher keine Beschreibungen veröffentlicht wurden, obwohl die
                              									Fabrikation schon in vollem Gange ist und Aufträge auf Maschineneinheiten von
                              									zusammen 230000 PS erteilt sind. Wir geben den Vortrag nachstehend auszugsweise
                              									wieder.
                           Seit James
                                    											Watts genialer Erfindung bedeutet die Dampfturbine den
                              									ersten wirklich bedeutenden Fortschritt im Bau von Primärmaschinen, der dazu angetan
                              									ist, einen völligen Umschwung der bisherigen Verhältnisse herbeizuführen. Während
                              									der Hauptteil einer gewöhnlichen Dampfmaschine ein in einem Zylinder gedichteter
                              									Kolben ist, welcher durch die Expansion des Dampfes hin und her bewegt wird, liegt
                              									den Turbinen die Idee zugrunde, dem Dampf durch seine Expansion eine eigene
                              									Geschwindigkeit zu erteilen und durch Stosswirkungen auf die Schaufeln eines
                              									rotierenden Rades zu übertragen. Die Ausführung dieses Gedankens erscheint auf den
                              									ersten Blick sehr einfach und in ähnlicher Weise lösbar wie bei den Wasserturbinen;
                              									doch bedingt, wie die nachstehenden Zahlen zeigen werden, die Uebertragung der hohen
                              									Dampfgeschwindigkeit auf Räder mit brauchbaren Umlaufszahlen grosse Schwierigkeiten.
                              									Wenn Dampf unter einem Druck von 10,5 kg/qcm in die freie Atmosphäre hinein
                              									expandiert, so erteilt er sich dabei eine Geschwindigkeit von etwa 890 m/Sek. Dieser
                              									Wert erhöht sich auf 1200 m, wenn die Expansion in einem Vakuum von 710 mm
                              									Quecksilbersäule stattfindet. Die Geschwindigkeit des Wassers in der Düse eines
                              									Wasserrades beträgt dagegen bei einer Druckhöhe von 30 m nur 24 m/Sek.
                              									Vergegenwärtigt man sich, dass die theoretisch günstigsten Betriebsbedingungen
                              									gegeben sind, wenn der austretende Flüssigkeits- bezw. Dampfstrahl die doppelte
                              									Geschwindigkeit besitzt, wie die Schaufel, auf welche er auftrifft, so kennzeichnen
                              									diese Zahlen deutlich den Unterschied beider Maschinen. Während diese Bedingung bei
                              									Wasserrädern leicht zu erfüllen ist, kann sie bei Dampfturbinen wegen der begrenzten
                              									Festigkeit des Materials der Räder und Schaufeln auch nicht einmal annähernd
                              									erreicht werden.
                           Bevor wir auf die Konstruktionseinzelheiten der Curtisschen Turbinen eingehen, seien einige Bemerkungen über die de Lavalsche und die Parsonsche Turbine, welche die ersten und für spätere Konstruktionen
                              									massgebenden Typen gewesen sind, vorausgeschickt. Bei der Lavalschen Turbine wird die gesamte potentielle Energie des Dampfes in
                              									einer Expansionsdüse in kinetische Energie umgesetzt; der Dampfstrahl trifft auf die
                              									Speichen eines einzigen Rades, welches infolge seiner genialen Konstruktion und
                              									Lagerung die Benutzung hoher Umfangsgeschwindigkeiten zulässt. Durch ein Vorgelege
                              									mit einer Uebersetzung 10 : 1 wird die zu betreibende Dynamomaschine mit der
                              									Turbinenwelle gekuppelt. Die im Betriebebenutzte Umfangsgeschwindigkeit am
                              									Laufrade beträgt 360 m/Sek., die Dampfgeschwindigkeit 1200 m/Sek. Man sieht, dass
                              									hier die theoretisch günstigste Geschwindigkeit nicht annähernd erreicht werden
                              
                              									kann. Bei der Parsonsschen Turbine wird der Dampf in
                              									achsialer Richtung zwischen einer i Reihe von abwechselnd feststehenden und
                              									beweglichen Zylindern hindurchgeführt, welche konzentrisch angeordnet und auf den
                              									einander gegenüberstehenden Mantelflächen mit Schaufeln ausgerüstet sind. Beim
                              									Durchströmen durch diese Schaufelreihen erlangt der Dampf keine so hohe
                              									Geschwindigkeit, I wie in der Expansionsdüse der Lavalschen Turbine; die Geschwindigkeit wird vielmehr mit stufenweise
                              									zunehmender Expansion nach und nach erhöht.
                           Obwohl diese beiden Turbinen nicht zu unterschätzende Erfolge erreicht haben so waren
                              									sie bisher nicht dazu angetan, eine durchgreifende Wandlung der
                              									Dampfmaschinentechnik herbeizuführen. Der grosse Mangel an der Lavalschen Turbine besteht darin, dass ein
                              									Zwischengetriebe verwendet werden muss, dessen Wirkungsgrad den der Turbine stark
                              									beeinträchtigt, und dass bei grossen Maschineneinheiten die Verwendung eines solchen
                              									Getriebes überhaupt unstatthaft ist. Die Parsonssche
                              									Turbine dagegen hat den Nachteil einer sehr verwickelten Konstruktion, verbunden mit
                              									sehr hohen Herstellungskosten.
                           Die Curtissche Turbine, welche sich in manchen Punkten
                              									an die vorbeschriebenen Konstruktionen anlehnt, hat folgende Vorzüge: Die
                              									Möglichkeit, weit niedrigere Umfangsgeschwindigkeiten zu verwenden, geringes
                              									Gewicht, wenige und verhältnismässig einfache Teile, grössere Oekonomie und
                              									geringere Herstellungskosten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 490
                              Fig. 1.
                              
                           Das Wesentliche der Konstruktion des Laufrades ist in Fig.
                                 										1 dargestellt. Wie bei der Lavalschen Turbine
                              									findet die Umsetzung der Energie aus dem potentiellen in den kinetischen Zustand in
                              									einer Expansionskammer k statt. Durch eine Reihe von
                              									gesteuerten Ventilen, vv tritt sodann der Dampf
                              									in das eigentliche Gehäuse der Turbine über und trifft auf die Schaufeln des
                              
                              									beweglichen Teiles bb. Diese Schaufeln sitzen auf
                              									mehreren Radkränzen, welche durch eine entsprechende Anzahl von Schaufelkränzen ff auf dem feststehenden Teil getrennt sind. Die
                              									Schaufeln des beweglichen und des feststehenden Teiles sind gegeneinander gekrümmt,
                              									wie dies aus Fig. 1 zu ersehen ist. Der Dampfstrahl
                              									trifft also
                              									zunächst auf die Schaufeln eines beweglichen Kranzes, wird von den Schaufeln des
                              									folgenden feststehenden Kranzes zurückgeworfen um sodann auf den nächsten
                              									beweglichen Kranz aufzutreffen. Diese Anordnung ermöglicht es, eine hohe
                              									Dampfgeschwindigkeit wirksam auf ein relativ langsam umlaufendes Element zu
                              									übertragen. Die Expansionskammer besitzt mehrere Ausströmungsöffnungen, sodass der
                              									Dampf bei gleichzeitiger Oeffnung derselben in Form eines breiten Bandes gegen die
                              									Schaufelräder strömt. Jede Turbine setzt sich zusammen aus mehreren
                              									Schaufelradsätzen mit Expansionskammern. Die Zahl der Sätze oder die Zahl der Räder
                              									f. d. Satz richtet sich im allgemeinen nach der gewünschten Grösse der
                              
                              									Umfangsgeschwindigkeit; je niedriger letztere ist, eine desto grössere Anzahl von
                              									Sätzen, Rädern f. d. Satz oder beides gleichzeitig ist erforderlich. Die Verluste
                              									oder Undichtigkeiten in einem der Sätze kommen den nächstfolgenden wieder zugute in
                              									Gestalt grösserer Wärme oder grösserer Dampfmenge und ersetzen sich daher zum Teil
                              									wieder. Auch Verluste durch Wieder Verdampfung von Kondensationswasser fallen fort,
                              									da das Wasser in die nächsten Kammern eintritt, wo eine niedrigere Dampftemperatur
                              									herrscht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 491
                              Fig. 2. Belastung in KW.; Dampfverbrauch für 1 KW-Std. in kg.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 491
                              Fig. 3. Admissionsdruck in kg/qcm; Dampfverbrauch für 1 KW-Std. in kg.
                              
                           Die Steuerung geschieht in der Weise, dass die Ventile vv in bestimmter Reihenfolge geöffnet und geschlossen werden. Es können
                              
                              									auch, wenn es aus gewissen Gründen, besonders der Einfachheit halber, angebracht
                              									erscheint, die entsprechenden Ventile aller Kammern gleichzeitig geöffnet bezw.
                              									geschlossen werden. Fig. 2-5 sind Schaulinien, welche den Dampfverbrauch der Turbinen unter
                              									Zugrundelegung einer Maschineneinheft von 600 Kilowatt in Abhängigkeit von der
                              									Belastung,dem Admissionsdruck, dem Grade der Ueberhitzung, sowie dem
                              									verwendeten Vakuum wiedergeben. Fig. 2 zeigt die hohe
                              									Wirtschaftlichkeit der Turbinen; die obere Linie gilt für den Betrieb mit nicht
                              									überhitztem Dampf, die untere Linie bei Ueberhitzung des Dampfes um 83,5° C. Die
                              									verwendete Umfangsgeschwindigkeit betrug 126 m/Sek. Der Wirkungsgrad bei geringer
                              									Belastung ist verhältnismässig hoch und fällt bei Ueberlastung nicht ab, wie dies
                              									bei gewöhnlichen Dampfmaschinen der Fall ist. Die Linien (Fig. 4 und 5) für den Grad der
                              									Ueberhitzung und des Vakuums sind gerade Linien. Sie zeigen durch ihren Verlauf den
                              									grossen Vorteil hoher Ueberhitzung und hohen Vakuums.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 491
                              Fig. 4. Ueberhitzung in Celsius graden; Dampfverbrauch für 1 KW-Std. in
                                 										kg.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 318, S. 491
                              Fig. 5. Vakuum in mm Quecksilbersäule; Dampfverbrauch für 1 KW-Std. in
                                 										kg.
                              
                           Ein nicht zu unterschätzender Vorzug der Curtisschen
                              									Turbine ist der, dass der Dampf mit Oel nicht in Berührung kommt, und dass daher das
                              									Kondenswasser ohne vorherige Reinigung wieder als Kesselspeisewasser Verwendung
                              									finden kann. Der Raumbedarf von Turbinengeneratoren ist im Vergleich zu
                              									Dampfmaschinenbetrieben ein äusserst geringer, gleichzeitig ist der Aufbau der
                              									Fundamente ein sehr einfacher und billiger. Eine z. Zt. im Bau begriffene
                              									Maschineneinheit für 5000 Kilowatt soll auf Grund angestellter Berechnungen zwischen
                              									halber Belastung und 50 v. H. Ueberlastung nur um etwa 3 v. H. in ihrem Wirkungsgrad
                              									schwanken. Die Gewichte einer solchen Maschine verhalten sich zu denen einer gleich
                              									grossen durch eine senkrechte Corlissmaschine
                              									betriebene Einheit ohne Rücksicht auf die Fundamente wie 1 : 8. Noch krasser fällt
                              									der Vergleich mit einer wagerecht angeordneten Verbundmaschine aus. Es liegt daher
                              									auf der Hand, dass sich unter Benutzung von Turbinengeneratoren Erweiterungen
                              									grosser Kraftwerke im Innern grosser Städte ohne neuen Grunderwerb höchst
                              									wirtschaftlich ausführen lassen, und es steht zu erwarten, dass die Curtissche Turbine einen völligen Umschwung im Bau von
                              									elektrischen Kraftwerken herbeiführen wird.