| Titel: | Studien und Versuche über die Elastizität kreisrunder Platten aus Flusseisen. | 
| Autor: | Max Ensslin | 
| Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 801 | 
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                        Studien und Versuche über die Elastizität
                           								kreisrunder Platten aus Flusseisen.
                        Von Dr.-Ing. Max Ensslin,
                           									Stuttgart.
                        (Schluss von S. 789 d. Bd.)
                        Studien und Versuche über die Elastizität kreisrunder Platten aus
                           								Flusseisen.
                        
                     
                        
                           
                              
                              f) Beurteilung der Grundlagen, auf denen die Gleichungen (1)
                                 										bis (12) beruhen.
                              
                           Die Grundgleichungen der Elastizitätslehre, welche den Spannungs- und
                              									Formänderungszustand eines Körpers beschreiben und den Zusammenhang zwischen
                              									Spannungen und Formänderung zum Ausdruck bringen, beruhen auf den Annahmen,
                           1. dass die Gestaltsänderungen im Vergleich zu den Abmessungen des Körpers klein
                              									seien,
                           2. dass zwischen einfachen Zugspannungen und den durch sie bewirkten Dehnungen,
                              									zwischen einfachen Druckspannungen und den durch sie bewirkten Zusammendrückungen
                              									und zwischen einfachen Schubspannungen und den durch sie bewirkten Schiebungen
                              									Proportionalität bestehe, und
                           3. dass Zug- und Druckelastizität gleich gross seien.
                           Für den Fall, dass senkrecht auf einander stehende Normalspannungen gleichzeitig
                              									wirksam sind, ist fernerhin vorausgesetzt,
                           4. dass die Gesamtdehnung gleich ist der algebraischen Summe der Einzeldehnungen,
                              									welche jede Normalspannung für sich allein hervorbringen würde, wobei die
                              									Vorstellung zu Grunde liegt, dass jede einfache Normaldehnung von einer ihr
                              									proportionalen Querdehnung begleitet ist. (Bei einer Schiebung wird bekanntlich vom
                              									Auftreten analoger Begleiterscheinungen abgesehen.)
                           5. dass das Material isotrop und homogen sei.Zahlenrechnungen sind bis jetzt meines Wissens nur für diese Annahme
                                    											ausgeführt. Bezüglich allgemeiner Gleichungen nicht isotroper Körper (s. Clebsch annoté S. 85).
                           Tritt ein Widerspruch zwischen Theorie und Versuch auf, etwa in dem Fall der
                              									kreisförmigen Platte, so kann derselbe zwei Ursachen haben: entweder sind die eben
                              									aufgeführten Grundlagen der allgemeinen Elastizitätslehre in einem Punkt nicht
                              									richtig, oder es sind die besonderen Voraussetzungen, die bei der Entwicklung der
                              									Theorie für den Fall der kreisförmigen Platte gemacht worden sind, nicht genau.
                           Ich will hier zunächst die zweite Möglichkeit näher ins Auge fassen.
                           Die Theorie der ebenen Platten, insbesondere der ebenen Kreisscheibe, ist von einer
                              									Reihe Gelehrter behandelt wordenGeschichtliche Darstellungen des Problems, siehe Navier, Resistance des corps solides, annoté
                                    											par de St. Venant. Love Theory of Elasticity, II Bd.,
                                    									Einleitung., zum Teil unter der Annahme, dass die Normalen auf der
                              									Mittelfläche nach wie vor Eintritt der Belastung gerade und senkrecht zur
                              									Mittelfläche bleiben, zum Teil auch ohne diese Annahme. Unter der zuerst genannten
                              									Voraussetzung hat neben anderen Grashof die Gleichungen
                              									für die kreisförmige Scheibe gegeben, welche in dieser Arbeit (Abschnitt c) benutzt worden sind.
                           Die Annahme des Geradebleibens der Normalen ist streng richtig nur, wenn die Scheibe
                              									allein von reinenBiegungsmomenten ergriffen wird, welche über den
                              									Scheibenumfang gleichmässig verteilt sind (wie das z.B. für die innere Zone der
                              									untersuchten Vollscheiben zutrifft), und deren Ebenen durch die Normale in der
                              									Scheibenmitte gehen. Unter diesen Umständen treten nur Normalspannungen in Richtung
                              									des Scheiben-Halbmessers und –Umfanges auf, und zwar sind dieselben proportional dem
                              									Abstand von der Mittelfläche, und in gleichem Abstand von der Mittelfläche gleich
                              									gross. Der strenge Nachweis hierfür ist, wie schon oben S. 785, Fussbemerkung 10
                              									bemerkt, von St. Venant geführt worden.
                           Sobald jedoch Schubkräfte, d.h. Kräfte senkrecht zur Plattenoberfläche vorhanden
                              									sind, hört das Geradebleiben der Normalen auf. Dieselben krümmen sich Sförmig, ähnlich, wie sich die Querschnitte gerader auf
                              									Biegung beanspruchter Balken unter dem Einfluss von Schubkräften wölben.Siehe Clebsch, St
                                       												Venant, S. 344, Abschn. 6, Gleichung (x).
                           
                              Anzunehmen, dass die Normalen gerade bleiben, auch wenn
                                 										Schubkräfte in Tätigkeit sind, heisst also: es wird die Schiebung vernachlässigt
                                 										und nur die von den Normalspannungen hervorgerufene Dehnung berücksichtigt. Je
                                 										mehr die tatsächlich auftretenden Schiebungen gegen die Normaldehnungen
                                 										zurücktreten, umsomehr ist man zur Annahme vom Geradebleiben der Normalen
                                 										berechtigt.
                              
                           
                              Macht man die letztgenannte Annahme, so enthält die
                                 										Gleichung für die Durchbiegung der Platte nur den Anteil der Formänderung, der
                                 										mit den Normalspannungen zusammenhängt, nicht aber den Anteil, den die
                                 										Schubspannungen hervorrufen; die berechnete Durchbiegung wird dann je nach der
                                 										Sachlage mehr oder weniger unterschätzt.
                              
                           Man vergegenwärtige sich nun den Gang der Lösung, welcher oben (S. 785) zur
                              									Ermittlung der Gleichungen für die volle Scheibe führte: die Scheibe zerfällt in
                              									eine Ringzone, auf die Zugkräfte einwirken und in eine zentrale Zone, in welcher die
                              									Schubkräfte gleich Null sind. Nimmt man, wie oben, an, von der äusseren Zone würden
                              									auf die innere nur reine Biegungsmomente ausgeübt, so würden dem vorhin gesagten
                              									zufolge die Normalen in der inneren Zone gerade bleiben, in der äusseren dagegen
                              									sich wegen der Schubkräfte krümmen. An der Uebergangsstelle aus der äusseren in die
                              									innere Zone würden so Normalen zusammentreffen, von denen die eine gerade, die
                              									andere gekrümmt ist; dies wäre nur dann möglich, wenn der Zusammenhang der beiden
                              									Zonen in einzelnen Punkten der Uebergangsstelle unterbrochen wäre. Da aber eine
                              									Aufhebung des Zusammenhangs in Wirklichkeit nicht vorhanden ist, so sieht man, dass
                              									die Annahme, derzufolge die Ringzone nur mit reinen Biegungsmomenten auf die innere
                              									Zone einwirkt, nicht in voller Strenge zutrifft; es müssen in der Uebergangsstelle
                              									Kräfte wirken, welche die erwähnte Unstetigkeit ausgleichen, derart, dass die der
                              									Ringzone angehörigen Normalen weniger stark gekrümmt sind, die Normalen der inneren
                              									Zone dagegen eine schwache Krümmung erfahren.
                           
                           Ob durch die Vernachlässigung der zuletzt genannten Kräfte in der
                              									Uebergangsstelle ein wesentlicher Fehler begangen wird, kann experimentell geprüft
                              									werden, wenn man eine kreisförmige Platte einmal als volle, dann als gelochte
                              									Scheibe untersucht. Im letzteren Fall ist eine zentrale Zone nicht vorhanden, womit
                              									auch die Unsicherheit bezüglich der Kräfte in der Uebergangsstelle entfällt. Die
                              									Gleichungen für die gelochte Scheibe, wie sie auf S. 786 entwickelt wurden, sind
                              									daher von dem Mangel frei, welcher den für die volle Scheibe angegebenen
                              										GleichungenBei der auf S. 785
                                    											ausgeführten Rechnung ist der hier angemerkte Widerspruch deswegen nicht
                                    											offenkundig hervorgetreten, weil von vornherein die Wirkung der Schubkräfte
                                    											in der Ringzone vernachlässigt und das Geradebleiben sämtlicher Normalen
                                    											vorausgesetzt wurde. Der Widerspruch tritt aber zu Tage in einer von St. Venant gegebenen Lösung (Clebsch-St. Venant
                                    											S. 354, Absatz 13), in welcher berücksichtigt ist, dass die Normalen in der
                                    											Ringzone sich krümmen, während diejenigen in der zentralen Zone als
                                    											geradebleibend angenommen werden. Berechnet man aus den von St. Venant angegebenen Gleichungen (i'') und (j'') S.
                                    											356 a. a. O. die Koordinatenänderung eines beliebigen, den beiden Zonen
                                    											angehörigen Punktes in Richtung des Scheibenhalbmessers (Bezeichnung von St. Venant: U), so ergeben sich – abgesehen von
                                    											den Punkten der Mittelfläche – verschiedene Werte, wenn man einmal die für
                                    
                                    											die Ringzone, das andere Mal die für die zentrale Zone giltige Gleichung
                                    											benutzt, so dass an der Uebergangsstelle scheinbar ein Klaffen stattfindet.
                                    											Auch die Spannungen in den Punkten der Uebergangsstelle findet man
                                    											verschieden, je nachdem man sie als zur Ringzone oder zur zentralen Zone
                                    											gehörig ansieht. in grundsätzlicher Hinsicht zum Vorwurf gemacht
                              									werden muss. Den Versuchen zufolge war der reciproke Wert des Dehnungskoeffizienten
                              
                              									(der Elastizitätsmodul) der 1,616 cm starken Scheibe A
                           
                              
                                 im ungelochten Zustand bei Versuch I \frac{1}{a}=E
                                 = 2336000
                                 
                              
                                 im gelochten Zustand bei Versuch II
                                 = 2326000
                                 
                              
                                 d der Elastizitätsmodul der 1,193 cm starken Scheibe
                                    												B
                                 
                              
                                 im ungelochten Zustand bei Versuch III \frac{1}{a}=E
                                 = 2170000
                                 
                              
                                 im gelochten Zustand bei Versuch IV
                                 2158000
                                 
                              
                                  „         „              „        „        „    VIII
                                 2156000
                                 
                              
                           
                              Der Elastizitätsmodul der gelochten Scheiben erscheint
                                 										hiernach etwas kleiner als derjenige der vollen Scheiben, doch ist der
                                 										Unterschied kleiner als 1 v. H. Die grundsätzlich nicht vollständig zutreffende
                                 										Annahme, dass an einer vollen Kreisscheibe, welche wie in Fig. 1 belastet und gestützt ist, von der äusseren
                                 										Zone auf die innere nur reine Biegungsmomente ausgeübt werden, hat nach den
                                 										angegebenen Versuchen – zunächst unter Verhältnissen, welche mit den
                                 										untersuchten Aehnlichkeit besitzen – einen wesentlichen Fehler nicht zur Folge,
                                 										ein nennenswerter Einfluss auf die Grösse des Elastizitätsmoduls ist nicht
                                 										festzustellen.
                              
                           Es erklärt sich dies daraus, dass der gerügte Fehler sich nur auf einen
                              									verhältnismässig kleinen Bezirk der Scheibe in der Nähe der Uebergangsstelle
                              									erstreckt, während das Verhalten der ganzen Platte nicht wesentlich davon
                              									beeinflusst wird, ob die in der Uebergangsstelle tätigen Kräfte ganz scharf oder mit
                              									einer kleinen Vernachlässigung in Rücksieht gezogen werden. Bei grosser
                              									Plattenstärke würde der Fehler in stärkerem Masse zum Vorschein gekommen sein.
                           Zu einer weiteren Berücksichtigung dieser Feinheit bei der Entwicklung der
                              									Gleichungen für die kreisförmige Platte scheint mir, wenigstens vom technischen
                              									Standpunkt aus, kein Bedürfnis vorzuliegen. Es ist kaum zu erwarten, dass durch eine
                              									feinere Ausgestaltung der Theorie in der hier erörterten Richtung eine bessere
                              									Uebereinstimmung mit den Versuchen erzielt wird.
                           
                              Bemerkungen zu der Lösung von St. Venant.
                              
                           Die Gleichung der elastischen Mittelfläche der Scheibe, welche zur Aufstellung der
                              									Gleichungen (1) – (12) benutzt worden ist, wurde von Grashof unter der Annahme entwickelt, dass die Normalen auf der
                              									Mittelfläche der Scheibe vor und nach der Durchbiegung gerade und senkrecht zur
                              									Mittelfläche bleiben. Ich hatte anfänglich beabsichtigt, eine Theorie der
                              
                              									Kreisscheibe zu benutzen, welche ohne Beiziehung dieser Hypothese lediglich mit
                              									Hilfe der Gleichungen der allgemeinenElastizitätslehre aufgestellt ist. In der
                              									Tat ist von St Venant im Clebsch annoté S. 346 und
                              									folg, der Versuch gemacht, solche Gleichungen für einen Kreisring abzuleiten. Die
                              									gelochten Scheiben, wie sie bei Versuch II, IV bis VIII untersucht worden sind,
                              									würden einen Sonderfall des von St. Venant betrachteten
                              									Kreisrings dargestellt haben und es wäre von Interesse gewesen, den
                              									Dehnungskoeffizienten der Platten aus einer Gleichung zu berechnen, welche auf
                              									keinen weiteren Annahmen beruht, als die Gleichungen der allgemeinen
                              									Elastizitätslehre. Die Gleichungen St Venants für den
                              									Kreisring sind jedoch mit einem Mangel behaftet, der die Veranlassung gab, dass ich
                              
                              
                              									meine anfängliche Absicht aufgab und auf die Grashofschen Gleichungen zurückgriff, deren Herleitung zwar nicht so allgemein
                              									angelegt ist, wie diejenige der St Venantschen
                              									Gleichungen, die aber dafür den weiter unten anzuführenden Widerspruch nicht
                              									enthalten.
                           St Venant gibt für die Koordinatenänderungen U und W eines Punktes des
                              									Kreisrings, welche in Richtung des Radius bezw. der Normalen auf der Scheiben
                              									Oberfläche erfolgen, Gleichungen an, und fernerhin für die Normalspannungen σx in Richtung
                              									des Radius, sowie für das Moment der Radialspannungen, welche auf einer beliebigen
                              									Normalen zur Scheibenoberfläche (d.h. auf dem zwischen Ober- und Unterfläche
                              									gelegenen Normalenstück) gelegen sind. Von diesen Gleichungen ist, wie St Venant im Abschnitt 11, S. 352 bemerkt, nachgewiesen
                              									worden, dass sie den allgemeinen GleichgewichtsbedingungenZ.B. C. Bach,
                                    											Elastizität und Festigkeit, 4. Aufl. S. 617, Gleichung 3.
                              									zwischen den Spannungen in einem beliebigen Punkt des Platteninneren, sowie den
                              									besonderen Bedingungen an den Begrenzungsflächen der Scheibe genügen. Die letzteren,
                              									die sog. Grenz- oder Randbedingungen, nimmt St Venant
                              									in folgender Fassung an:
                           a) Die Summe der Radialspannungen, welche auf einer
                              									beliebigen Normalen zur Scheibenoberfläche liegen, ist gleich Null; eine
                              									Radialkraft, welche die Mittelfläche der Platte dehnt, ist nicht vorhanden. Dies
                              									gilt sowohl im Innern der Scheibe, als in den zylindrischen Begrenzungsflächen (x = Ra, x = Ri
                              									Fig. 1) am innern und äusseren Umfang des
                              
                              									Kreisrings.
                           b) Die Radialspannungen ergeben am äusseren und inneren Umfang des Kreisrings
                              									Biegungsmomente, „Einspannungsmomente“, deren Ebenen durch die Normale in der
                              									Scheibenmitte gehen. Die übrigen Grenzbedingungen sind für die vorliegende
                              									Betrachtung ohne Interesse.
                           Im Fall der gelochten Scheibe, welche wie in Fig. 1
                              									(S. 707) gestützt und belastet ist, sind die Einspannungsmomente am äusseren und
                              									inneren Umfang der Scheibe gleich Null, da die Scheibe in beiden Umfangen frei
                              									aufliegt. Berechnet man unter diesen Bedingungen die in der
                              									Biegungsmomentengleichung, (Clebsch annoté S. 352 Gleichung (x')) enthaltenen zwei willkürlichen Konstanten, so zeigt sich das
                              									auffallende Ergebnis, dass die Radialspannungen am inneren und äusseren Scheibenrand
                              									nicht durchweg den Wert Null besitzen, wie dies in Wirklichkeit der Fall sein muss.
                              									Ihre Summe ist Null, ihr Moment ist Null, und doch weisen sie in gewissen Abständen
                              									von der Mittelfläche, wenn auch kleine, positive oder negative Werte auf. Der
                              									einfache Ausweg, der hier anscheinend zum Ziel führen muss, nämlich die beiden
                              									Konstanten so zu bestimmen, dass die Radial Spannungen in jedem Punkt der äusseren
                              									und inneren Begrenzungsfläche Null werden, erweist sich als unmöglich. Die Gleichung
                              									für die Radial Spannungen lautet nämlich mit den auf S. 785 angegebenen
                              									Bezeichnungen:
                           
                              \sigma_z=\frac{m}{m-1}\,\frac{\lambda}{a}\,\left[-\frac{m+1}{m-1}\,\frac{1}{v_1}+\frac{1}{H}\,\left\{1+\frac{m+1}{m-1}\,ln\,\frac{x^2}{{R_a}^2}-\frac{2}{m-1}\,\frac{1}{x^2}\,\left(2\,m\,\frac{h^2}{4}-(2\,m-1)\,\frac{2}{3}\,\lambda^2\right)\right\}-\frac{c^2}{x^2}\right]
                              
                           wobei
                           
                              \frac{1}{H}=\frac{b}{4}=\frac{3}{2}\,\frac{m^2-1}{\pi\,m^2}\,\frac{P}{h^3}\,u
                              
                           Man sieht, dass es für die zwei Konstanten c1 und c2 keinen Wert gibt, durch welche die Radialspannung
                              									am inneren und äusseren Umfang (x = Ra; x = Ri) für jeden Wert
                                 										von k zum Verschwinden gebracht werden kann.
                           
                           Die Lösung von St. Venant, obwohl auf ganz
                              									allgemeiner Grundlage aufgebaut, kann hiernach nicht als eine völlig befriedigende
                              									angesehen werden, da sie den grundsätzlichen Mangel besitzt, dass sich mit der für
                              									die Radialspannungen angegebenen Gleichung die am inneren Rande der gelochten
                              									Scheibe zu erfüllende Grenzbedingung nicht ausdrücken lässt, derzufolge die
                              									Normalspannungen daselbst gleich Null sein müssen.
                           Im übrigen muss hervorgehoben werden, dass der hier ausgesprochene Mangel mehr
                              									grundsätzlicher Natur ist; die tatsächlich errechneten Zahlenwerte für Spannungen und Durchbiegungen zeigen keine erheblichen
                              									Abweichungen von denjenigen, welche mit den Grashofschen Gleichungen erhalten werden.
                           Schliesslich ist zu bemerken, dass St. Venant die
                              									Gleichungen nicht unter der Annahme vollkommener Isotropie entwickelt hat; er hat
                              									vielmehr angenommen, dass das Plattenmaterial zwar nach allen Richtungen in der
                              									Ebene der Platte selbst gleiche Elastizität besitze, senkrecht dazu jedoch d.h. in
                              									Richtung der Plattendicke eine andere Elastizität aufweise. Der hierin gelegene
                              									grundsätzliche Vorzug konnte indessen in der vorliegenden Arbeit nicht verwertet
                              									werden, weil die experimentelle Bestimmung aller erforderlichen
                              									Elastizitätskonstanten aus verschiedenen Gründen nicht vorgenommen werden konnte. Es
                              									muss daher die Frage offen gelassen werden, ob nach einer sorgfältigen Bestimmung
                              									aller Elastizitätskonstanten die Uebereinstimmung zwischen Theorie und Versuch nicht
                              									eine noch bessere gewesen wäre.
                           Die oben angeführte Gleichung für σx ist aus der Gleichung von St. Venant für den Fall vollkommener Isotropie
                              									abgeleitet.
                           
                        
                           
                              g) Zusammenfassung und Schlüsse.
                              
                           1. Wie aus den Versuchsergebnissen in Zusammenstellung 2 bis 11, oder auch aus der
                              									bildlichen Darstellung derselben Fig. 2 hervorgeht,
                              									besteht – im Einklang mit der Theorie – Proportionalität
                                 										zwischen Belastung und federnder (elastischer)
                              										Durchbiegung bis zu einer Grenze, jenseits welcher
                              									die federnden Durchbiegungen langsamer wachsen, als die
                              									Belastungen. Die gesamten Durchbiegungen wachsen im
                              									Gegensatz hierzu von einer gewissen Belastung ab rascher als die Belastungen. Der Verlauf der bleibenden Durchbiegungen ist aus Fig. 2
                              									ersichtlich.
                           Proportionalitätsgrenze, Elastizitäts- und Streckgrenze haben sich sehr schwach
                              									ausgeprägt, eine Folge davon, dass die grösste Beanspruchung, welche diese Grenzen
                              									bedingt, nur in einem kleinen Bezirk der Platten auftritt – und hier überdies nur an
                              									der Ober- und Unterfläche, während im Inneren kleinere Beanspruchungen herrschen
                              									(vergl. hierzu die Bilder der Spannungsverteilung an der Ober- oder Unterfläche Fig. 3-6). Ein Schluss
                              									über die Lage der Proportionalitätsgrenze usw., so interessant er wäre, kann daher
                              									nicht gezogen werdenIch überlasse es dem
                                    											Leser zu entscheiden, inwiefern der versuch X mit der Ansicht Wehages und den Versuchsergebnissen von Guest (s. S. 2 und Fussbemerkung 2), dass die
                                    											grösste resultierende Dehnung nicht als Masstab
                                    											für die Materialanstrengung angesehen werden darf,
                                    									übereinstimmt..
                           2. Die gelochte Platte A ergibt zufolge Versuch II, V
                              									und VI bei gleichem Lochdurchmesser für verschiedene Stärken
                                 										h = 1,616; 1,257; 1,024 cm nahezu den gleichen Wert des Elastizitätsmoduls
                              									E=\frac{1}{a}, nämlich: 2326000; 2307000; 2330000. Der Einfluss
                                 										der Plattenstärke kommt hiernach in der Theorie zu richtigem Ausdruck.
                           3. Der Elastizitätsmodul der Platten und der Zugstäbe
                              									desselben Materials hat folgende Werte:
                           
                              Zusammenstellung 16
                              
                           (vergl. hierzu Zusammenstellung 1).
                           
                              
                                 Platte
                                 Versuch
                                 Elastizitätsmodul E kg/qcm
                                 Unterschiedin % von Eaus dem
                                    											Zug-versuch
                                 
                              
                                 der Platten
                                 der Zugstäbe
                                 
                              
                                 
                                    A
                                    
                                    I
                                 2336000
                                 
                                 + 7,45
                                 
                              
                                 
                                   II
                                 2326 000
                                 
                                       + 7
                                 
                              
                                 
                                   V
                                 2307000
                                 2174000
                                 + 6,12
                                 
                              
                                 
                                  VI
                                 2330000
                                 
                                 + 7,18
                                 
                              
                                 
                                 VII
                                 2283000
                                 
                                 ± 5,01
                                 
                              
                           
                              
                              Zusammenstellung 16.
                              
                           (vergl. hierzu Zusammenstellung 1).
                           
                              
                                 
                                    
                                    B
                                    
                                 IIIIVVIII
                                 217000021580002154000
                                 2170000
                                    0– 0,55– 0,74
                                 
                              
                                 
                                    C
                                    
                                 IX
                                 2090000
                                 2140000
                                 – 2,33
                                 
                              
                                 
                                    D
                                    
                                 X
                                 2084000
                                 2162000
                                 – 3,6
                                 
                              
                           Der Elastizitätsmodul der Platten hat sich also zum Teil grösser, zum Teil kleiner
                              									als derjenige der Zugstäbe des gleichen Materials ergeben.
                           Die Platte A lieferte ein Mehr von 7 v. H. im Mittel aus
                              									den Versuchen I, II, V und VI; nach dem Ausglühen hat sich zufolge Versuch VII nur
                              									noch ein Unterschied von + 5 v. H. feststellen lassen.
                           Die Abweichung nach der positiven Seite hin ist bei sämtlichen Versuchen mit Platte
                              										A gefunden worden: bei verschiedener Wandstärke, im
                              									vollen und gelochten Zustande.
                           Bei Platte B ist der Unterschied zwischen den beiden
                              									Elastizitätsmodulen ein sehr geringer (im Mittel – 0,42 v. H.)
                           Bei Platte C und D fand
                              									sich ein Unterschied nach der entgegengesetzten Richtung, d.h. ein Weniger von 2,33
                              									bezw. 3,6 v. H. aus dem Platten versuch gegenüber dem Zugversuch.
                           Dass sich der Unterschied zwischen den beiden Dehnungskoeffizienten infolge des
                              									Ausglühens vor dem Versuch VII um 2 v. H. ermässigt hat, beweist, dass sich das
                              									Material, so wie es angeliefert worden ist, in einem anderen Zustande befunden hat,
                              									als nach dem Ausglühen. Welcher Art dieser Zustand gewesen ist, darüber lassen sich
                              									nur Vermutungen aussprechen, nämlich etwa, dass in dem angelieferten Material vom
                              									Walzprozess herrührende, innere Spannungen vorhanden gewesen sind. Dass das Material
                              									durch Ausglühen in einen mehr normalen Zustand übergeführt wird, folgt aus dem
                              									Vorhergehenden; nicht gewiss ist es, dass hierdurch der innere Zwangszustand ganz
                              									beseitigt worden ist. Mit der Möglichkeit, dass das gewalzte Material (und auch das
                              									gegossene) sich beim Anliefern in einem gewissen Zwangszustand befindet, hat der
                              									Ingenieur jedenfalls zu rechnen.
                           Bei der Beurteilung der Zahlenwerte in Zusammenstellung 16 ist im Auge zu behalten,
                              									dass das Verhältnis m = Längsdehnung: Querdehnung (Prissonsche Zahl \left\sigma=\frac{1}{m}\right) nicht experimentell
                              									bestimmt werden konnte, sondern mit dem Werte m=\frac{10}{3} eingeführt worden ist.Einige Angaben über das Verhältnis \sigma=\frac{1}{m}
                                    											mögen hier Platz finden (s. Love, Theory of
                                    											Elasticity, vol. I S. 77 und die in Fussbemerkung 2 angegebene Arbeit von
                                    												Guest, Bauschinger: Mitteilungen a. d.
                                    											mech. techn: Laboratorium der Königl. techn. Hochschule in München).MaterialE=\frac{1}{a}\mbox{ kg/qcm}G=\frac{1}{\beta}\mbox{ kg/qcm}\sigma=\frac{1}{m}BeobachterStahl2181000834000[0,306]Everett„––0,294Kirchhoff„2081000–0,268AmagatSchmiedeeisen2000000785000[0,274]EverettWeicher Stahl2085000785000[0,33]GuestStahlröhren2227000823000[0,355]„„2185000785000[0,393]„„2180000787000[0,365]„„2170000809000[0,344]„„2137000771000[0,39]„„2074000805000[0,287]„„2032000750000[0,355]„„2025000764000[0,328]„Stahl2210000878000[0,26]Bauschinger„2240000853000[0,31]„„2200000856000[0,284]„„2140000837000[0,28]„„2220000869000[0,28]„„2300000851000[0,35]„„2220000850000[0,306]„„225000087000[0,285„Die
                                    											eingeklammerten Werte sind berechnet aus der bekannten Gleichung\frac{1}{m}=o=-\frac{\beta}{2\,a}-1=\frac{E}{2\,G}-1.Die mittelbare Bestimmung setzt (ausser der
                                    											Richtigkeit der letzten Gleichung) eine sehr genaue Ermittlung von E und G voraus;
                                    											kleine Aenderungen der beiden Werte haben einen ziemlich starken Einfluss
                                    											auf den Rechnungwert von \frac{1}{m} Dies ist zu beachten, wenn der oder
                                    											jener Wert von \sigma=\frac{1}{m} in der obenstehenden Zusammenstellung nicht ganz
                                    											wahrscheinlich erscheinen sollte.Unmittelbare Bestimmungen von m sind sehr schwierig und nur in spärlicher
                                    											Anzahl ausgeführt.
                           
                           Da nach theoretischen Erwägungen für vollkommen isotropes Material \frac{1}{m}=0,25
                              									sein soll, so würden Abweichungen von diesem Wert auf eine mehr oder minder grosse
                              									Isotropie hindeuten. Die vollständige experimentelle Ermittlung der Elastizität
                              									eines gewalzten oder gezogenen, also nicht isotropen Materials nach 3 aufeinander
                              
                              									senkrechten Achsenrichtungen ist aber eine überaus heikle und zeitraubende Arbeit,
                              									worüber man die Ausführungen von St. Venant im Clebsch
                              									annoté S. 81, nachlesen möge; da bei der vorliegenden Arbeit nicht einmal die
                              									Drehungselastizität zweier zueinander senkrecht aus dem Plattenmaterial
                              									herausgeschnittener Streifen bestimmt werden konnte, so muss die Frage offen
                              									bleiben, inwieweit Mangel an Isotropie, bezw. die ungenaue Kenntnis des Wertes m die festgestellten Unterschiede zwischen den
                              									Dehnungskoeffizienten der Platten und Zugstäbe zur Folge gehabt hat. Man würde keinen Unterschied finden, wenn man bei Versuch VII \frac{1}{m}=0,34; bei Versuch IX \frac{1}{m}=0,28 und bei Versuch X \frac{1}{m}=0,265 setzen dürfte.
                              									Vergleicht man diese Zahlen mit den in der Fussbemerkung zusammengestellten Werten,
                              									so erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die oben festgestellten Unterschiede
                              									zwischen den beiden Dehnungskoeffizienten bei genauer Ermittlung von m noch kleiner ausgefallen wären.
                           Als wahrscheinliche Ursachen der Unterschiede zwischen den Dehnungskoeffizienten der
                              									Platten und der Zugstäbe sind also anzuführen:
                           a) Die ungenaue Kenntnis des Wertes m, sowie der
                              									Elastizitätskonstanten des Materials nach 3 auf einander senkrechten Richtungen.
                           b) Ein eigenartiger Zustand des Materials im Anlieferungszustand (innere Spannungen,
                              									herrührend von dem Walzprozess), der durch Ausglühen verändert wird.
                           c) In dem Ausserachtlassen des Einflusses der Schubkräfte auf die Durchbiegung der
                              									Platte (vergl. Abschnitt f, S. 801).
                           Letzterer Umstand würde zur Folge haben, dass der Elastizitätsmodul der Platte
                              									kleiner gefunden wird, als derjenige des Zugstabes; Abweichungen nach der
                              									entgegengesetzten Richtung können damit nicht erklärt werden.
                           Föppl hat, wie schon eingangs erwähnt, an
                              									schweisseisernen Platten den Elastizitätsmodul stets kleiner gefunden, als aus
                              									Biegungsstäben desselben Materials, und zwar im Mittel um 7 v. H. in einem
                              									Einzelfall um mehr als 10 v. H. Wollte man den Unterschied auch dadurch erklären,
                              									dass m nicht den Wert \frac{10}{3} sondern einen anderen
                              									besessen hat, so müsste \frac{1}{m} im Mittel = 0,238, in dem Einzelfall 0,21 gewesen
                              									sein, das sind kleinere Zahlen als sämtliche in der Fussbemerkung 20 aufgezählten.
                              									So grosse Unterschiede zwischen den beiden Dehnungskoeffizienten wie Föppl habe ich bei den vorliegenden Versuchen nicht
                              									finden können. Ich halte es für wohl möglich, dass Föppl kleinere Unterschiede gefunden hätte, wenn er statt Kreisscheiben
                              									von 20 cm Durchmesser grossere verwendet hätte, z.B. wie bei Bachs ersten und den vorliegenden Versuchen, Platten von 56 cm
                              									Durchmesser, und wenn ferner die Auflagerschneiden etwas weniger scharf gemacht
                              									worden wären, damit sie in geringeremMasse zur Zusammendrückung, bezw. zum
                              									Eindringen in die Platte geneigt sind.Ein
                                    											deutlicheres Urteil in dieser Hinsicht gestattet der Vergleich des Versuches
                                    											X in dieser Arbeit an einer 10 mm starken Scheibe mit dem Versuch 8 oder 9
                                    												Föppls an einer gleich starken Scheibe; es
                                    											stehen sich gegenüber:hier:für200kgLastzuwachseineDurchbiegungvon0,0400cmbei Föppl:„200„„„„„0,0053„das ist nur der 7. bis 8. Teil. Dabei verteilt sich
                                    											die Last von 200 kg im 1. Falle auf einen Kreisumfang von 56 cm Durchmesser
                                    											mit flacher Auflage (s. Bach, Abhandlungen und
                                    											Berichte, Fig. 84), im zweiten auf einen Kreisumfang von 20 cm Durchmesser
                                    											mit verhältnismässig scharfer Schneide (s. Föppl, Mitteilungen, Heft 27, Tafel V). Bei dem Föpplschen Versuch muss deshalb offenbar die
                                    											örtliche Zusammendrückung bezw. Eindrückung am Auflager, ihrem Absolutwert
                                    											nach, und insbesondere im Vergleich zu dem kleinen Biegungspfeil grösser
                                    											gewesen sein, als bei den vorliegenden Versuchen. Die örtliche Deformation
                                    											ist nun in der Ablesung finden Biegungspfeil enthalten, weshalb die
                                    											Nachgiebigkeit der Scheibe grösser erscheint, als sie in Wirklichkeit
                                    											ist.
                           4. Die Durchsicht der Theorie kreisförmiger Scheiben hat zu dem Schluss geführt, dass
                              									zwar Einwendungen grundsätzlicher Art gemacht werden können, dass es sich aber nur
                              									um Feinheiten handelt, deren Berücksichtigung auf das ziffernmässige Ergebnis
                              									voraussichtlich von geringem Einfluss sein wird. Sollte es wünschenswert erscheinen,
                              									eine bessere Uebereinstimmung zwischen Theorie und Versuch herzustellen, so müsste
                              
                              									in erster Linie das Plattenmaterial genau auf seine Isotropie hin untersucht werden,
                              									sodass man die Folgen mangelhafter Isotropie zahlenmässig feststellen kann.
                           Vom technischen Standpunkt aus scheint mir ein Bedürfnis nach feinerer Ausgestaltung
                              									der Theorie kreisförmiger Scheiben nicht vorzuliegen.
                           5. Inwieweit der Ingenieur berechtigt ist, den Entwicklungen der allgemeinen
                              									Elastizitätslehre für kreisförmige Scheiben Vertrauen entgegen zu bringen, ergibt
                              									sich aus den unter Ziffer 3) aufgeführten Zahlen, nach denen ein Unterschied von + 7
                              									bis – 3,6 v. H. zwischen Theorie und Versuch festgestellt worden ist, sofern für das
                              									Verhältnis m = Längsdehnung: Querdehnung der Wert
                              									\frac{10}{3} gesetzt wird. Da nun bei technischen Rechnungen eine absolute Genauigkeit
                              									meist gar nicht verlangt wird, in zahlreichen Fällen wegen der Schwierigkeit der
                              									Aufgabe überhaupt nicht erreichbar ist, so dürfen die
                                 										Ergebnisse der Theorie kreisförmiger Scheiben vom technischen Standpunkt als
                                 										hinreichend zuverlässig bezeichnet werden, bis zu der Grenze hin, bis zu
                              									welcher die allgemeine Theorie der Elastizität ihren Voraussetzungen gemäss (s.
                              									Abschn. f) noch anwendbar ist. Damit tut sich eine neue Schwierigkeit in doppelter
                              									Hinsicht auf: fürs erste kann diese Grenze nach dem heutigen Stand unserer
                              									Kenntnisse über das Verhalten des Materials bei gleichzeitigen Beanspruchungen nach
                              									mehreren Richtungen nicht mit Sicherheit angegeben werden, fürs zweite aber ist es
                              									keineswegs sicher, dass diese Grenze, wenn sie bekannt wäre, auch gleichzeitig die
                              									Grenze für die praktische Verwendbarkeit eines Maschinenteiles bilden würde. Der
                              									erste Teil der Frage kann nur auf dem Wege des Versuchs geklärt, der zweite nur
                              									durch die Erfahrung im Betrieb entschieden werden. Ein sprechendes Beispiel hierzu
                              									liefert die Hertzsche Theorie über die Berührung
                              									elastischer Körper und die Versuche Stribecks mit
                              									Kugellagern. Auch hier haben die Ergebnisse der allgemeinen Elastizitätztheorie eine
                              									Prüfung durch den Versuch erfahren. Der Versuch bestätigte die Hertzsche Theorie fast vollkommen. Stribeck bemerkt selbst,Mitteilungen über Forschungsarbeiten.
                                    											Herausgegeben vom Verein deutscher Ingenieure, Heft 2, S. 7.
                              
                              									dass, wenn die Kugeln mit verhältnismässig kleiner Kraft gegen einander gepresst
                              									wurden, sodass bleibende Eindrückungen nicht mit Sicherheit; nachgewiesen werden
                              									konnten, die bei den Versuchen beobachteten und die nach Hertz berechneten Eindrückungen fast vollständig mit einander
                              									übereinstimmten. Trotz der Bestätigung für kleine Formänderungen und Anstrengungen
                              									innerhalb der Proportionalitätsgrenze hat sich aber die Hertzsche Theorie für den praktischen Zweck der Dimensionierung als völlig
                              									unzureichend erwiesen.Vergl. hierzu die
                                    											Darlegungen Bachs in „Elastizität und
                                       												Festigkeit“ 4. Aufl. S. 164. Die Kugeln sind nach den Stribeckschen Versuchen und den bis heute gemachten
                              									Betriebserfahrungen auch bei Anstrengungen, die weit jenseits der
                              									Proportionalitätsgrenze liegen und für welche die Hertzschen Gleichungen nicht mehr gelten, noch gebrauchsfähig. Das konnte nach
                              									den Gleichungen von Hertz keineswegs erwartet werden;
                              									es lag vielmehr die Gefahr vor, dass aus diesen Gleichungen der Schluss gezogen
                              									wurde, die Kugellager seien für hohe Belastungen ganz unbrauchbar, sofern man in
                              									diese Gleichungen für die zulässige Materialanstrengung die sonst üblichen Werte
                              									einführt. „Wollte man die zulässige Belastung gehärteter Stahlkugeln so niedrig
                                 										wählen, dass die grösste Dehnung die Proportionalitätsgrenze9000 kg/qcm. Das ist im Vergleich mit den
                                       												üblichen Werten der zulässigen Druckbeanspruchung überaus
                                       											viel. nicht überschreitet, so käme das einem Verzicht auf
                                 										Kugellager für grössere Belastungen gleich.“ (Stribeck, a. a. O. S. 4.) Für die Wertschätzung der Theorie seitens des
                              									Ingenieurs ist dieser Fall sehr lehrreich. Hervorzuheben ist, dass sich dabei nicht
                              									allein die praktische Brauchbarkeit der Hertzschen
                              									Theorie als unzureichend herausgestellt hat; es zeigt sich auch, dass unsere
                              									heutigen Anschauungen über die zulässige Anstrengung des Materials keineswegs als
                              									allgemein giltig und abgeschlossenangesehen werden können, sondern durch
                              									weitere Versuche und Sammlung von Erfahrungen erweitert werden müssen.Wenn sich die von Stribeck mitgeteilten Erfahrungen mit Kugellagern für hohe
                                    											Belastungen in der Praxis im Dauerbetrieb auch fernerhin bestätigen, so
                                    											müssen die üblichen Anschauungen über die Grösse der zulässigen Anstrengung
                                    											eine wesentliche Erweiterung erfahren.
                           Unter Berücksichtigung des zuletzt Dargelegten kann die Frage, inwieweit der
                              									Ingenieur der Theorie kreisförmiger Platten Vertrauen entgegenbringen darf, dahin
                              									beantwortet werden:
                           Die Genauigkeit der theoretischen Ergebnisse darf vom technischen Standpunkt aus
                              									innerhalb der Proportionalitätsgrenze als eine genügend grosse bezeichnet werden.
                              									Wird es in irgend einem Falle nötig, sich eingehender über den Formänderungs- und
                              									Spannungszustand zu unterrichten, so können die Ergebnisse der Theorie mit Vertrauen
                              									benutzt werden.
                           Ueber die Giltigkeitsgrenzen der Theorie kann aus den
                              									vorliegenden Versuchen ein allgemeiner Schluss nicht gezogen werden (s. Ziff. 1),
                              									noch weniger über die zulässige Materialanstrengung; die Bestimmung der letzteren
                              									erfordert ausser wissenschaftlichen Versuchen die Beachtung der Erfahrungen im
                              									Betrieb.